Kitabı oku: «Spirituelle Sterbebegleitung», sayfa 3

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Rechtliche und ethische Probleme am Lebensende

Bärbel Trautwein

Zur Palliativmedizin

Der Palliativmedizin und der Hospizbewegung ist es zu verdanken, dass das Thema Sterben immer stärker in das öffentliche Bewusstsein rückt. Neben der Anforderung, Schmerzen und belastende Symptome zu lindern, sehen Palliativmedizin und Hospizbewegung ihre Aufgabe darin, das Sterben als untrennbaren Teil des Lebens zu akzeptieren. Die spirituellen und existenziellen Fragen werden ebenso berücksichtigt, wie die Bedürfnisse des Sterbenden. Der sterbende Mensch mit seinen spezifischen Werten und sozialen Bezügen erfährt eine ganzheitliche Hinwendung.

Palliative Care (der Begriff wurde von Dr. Balfour Mount, einem kanadischen Urologen und Onkologen, geprägt; Borasio, Seite 175) bedeutet also einerseits, spezifische Behandlungsmöglichkeiten anzubieten und andererseits auch auf die Mittel und den Wert palliativmedizinischer Betreuung hinzuweisen, wenn die präventive und die kurative Medizin an ihre Grenzen stoßen. Hinzugekommen ist, dass inzwischen das Selbstverständnis der Betroffenen, ihr Wunsch nach Mitwirkung und Selbstbestimmung ein immer stärkeres Gewicht bekommen hat. Palliativmedizin beinhaltet deshalb auch, für die schwierigen Entscheidungen bei sterbenskranken und sterbenden Menschen nicht nur fachliche Beratung anzubieten, sondern Handlungsprinzipien zu finden, die der spezifischen und individuellen Lebenssituation eines Betroffenen in seiner letzten Lebensphase gerecht werden. Und dies sowohl im Hinblick auf die Intentionen und Motivationen als auch auf die Folgen des Handelns. Dafür ist eine patientenorientierte Haltung erforderlich, die den Glauben, spirituelle Gesichtspunkte und Wertvorstellungen der Betroffenen berücksichtigt.

Sterbehilfe

Manchmal bitten schwer kranke Menschen um aktive Sterbehilfe. Diese Frage ernst zu nehmen und die Gründe dafür zu erkunden, ist enorm wichtig. Oft sind es Ängste vor dem Sterbeprozess, nicht vor dem Tod. Hier kann es für den Patienten schon erleichternd sein, dass er seine existenziellen Nöte an- und aussprechen kann. Dem Patienten zu erklären, was beim Fortschreiten der Erkrankung in der palliativen Behandlung und Pflege möglich ist, kann ihm die Angst mindern und den Schrecken vor unartikulierbaren Vorstellungen nehmen. Auch die eigene, persönliche Haltung und die Zusage, für ein würdevolles Sterben zu sorgen, fließt in den Dialog zwischen dem Begleiter und dem Patienten mit ein. Meistens taucht im Verlauf der Behandlung das Verlangen nach Tötung nicht mehr auf, weil es eine bessere Alternative, eine Möglichkeit gibt, die auf das Weiterleben gerichtet ist. Für die Begleitung kann es hilfreich sein, die unterschiedlichen Formen der Sterbehilfe zu kennen und sie voneinander unterscheiden zu können:

Differenzierung der Begriffe

Aktive Sterbehilfe: Tötung auf Verlangen des Patienten (ist in Deutschland strafbar!)

Passive Sterbehilfe: Unterlassen, Reduzieren oder Abbrechen lebenserhaltender Maßnahmen

Indirekte Sterbehilfe: Medikamentöse Maßnahmen zur Linderung von Leiden und Schmerzen, auch unter Inkaufnahme des Bewusstseinsverlustes oder eines beschleunigten Sterbeprozesses

Mitwirkung beim Suizid: Hilfe beim Beschaffen des todbringenden Mittels (Medikaments), Begleiten und Zulassen des Suizids, Unterlassen von Rettungsmaßnahmen

Zulässige und unzulässige Handlungen (aktive Sterbehilfe) in der Betreuung schwerst kranker und sterbender Patienten sind oft nicht leicht zu unterscheiden; besonders die Bedeutung der Aktivität bei einem erlaubten Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bereitet oft Probleme. Den erlaubten und vertretbaren Handlungsspielraum zu kennen, ist für eine ethische Praxis unerlässlich.

Klinische Ethik-Beratung

Angesichts der komplexen Fragestellungen im Krankenhaus wird eine kompetente ethische Beratung empfohlen. Die Konfrontation mit einer durch Unheilbarkeit und den Fortgang der Krankheit begrenzten Lebenszeit und dem unausweichlichen Tod stellt eine Grenzsituation dar. Der Betroffene, aber auch Angehörige, Ärzte, Pflegende, Therapeuten und Helfer stehen vor schwierigen Entscheidungen und müssen sich mit existenziellen und spirituellen Fragen auseinandersetzen. Die fachlichen Möglichkeiten des Handelns und deren Ziele und Werte müssen abgewogen und eine Orientierung gegeben werden, die unterschiedlichen und womöglich kollidierenden Wertvorstellungen, aber auch allgemeinen ethischen Prinzipien gerecht wird.

Die wichtigsten ethischen Probleme in der Palliativmedizin betreffen folgende Themen:

– Einverständnis bzw. informierte Zustimmung des Patienten

– Behandlungsverzicht, Behandlungsverweigerung

– Entscheidungs- bzw. Einwilligungsfähigkeit des Patienten

– Wahrheit am Krankenbett

– Schweigepflicht

– Neue Therapien, Studien, Forschung am Patienten

– Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen

– Ethische Fragen der Kostendämpfung

– Verteilung knapper Ressourcen

Ethische Probleme in der Medizin haben in der Regel drei Dimensionen:

Eine philosophisch-religiöse, durch die allgemeine Prinzipien und unterschiedliche weltanschauliche Wertvorstellungen berührt werden.

Eine rechtliche, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigt.

Eine medizinische, in der sich diagnostische und therapeutische Prinzipien, Möglichkeiten und Erfahrungen für konkrete Handlungssituationen manifestieren.

In der modernen Bioethik werden vier grundlegende Prinzipien bzw. ethische Forderungen für medizinisches Handeln unterschieden:

Für das Wohl des Patienten sorgen (Benefizienz)

Schaden für den Patienten vermeiden (Non-Malefizienz)

Die Mittel gerecht verteilen (Gerechtigkeit)

Die Autonomie des Patienten achten (Autonomie)

Eine ethische Fallbesprechung ist der systematische Versuch, im Rahmen eines strukturierten, von einem Moderator geleiteten Gesprächs mit einem multidisziplinären Team innerhalb eines begrenzten Zeitraumes zu der ethisch am besten begründbaren Entscheidung zu gelangen. Ethisches Empfinden, Fragen und Handeln im Krankenhaus sind nicht nur Aufgaben einer Expertengruppe, sondern liegen in der Verantwortung jedes Einzelnen, der an der Behandlung eines Patienten beteiligt ist. Die Würde des Patienten und seiner Angehörigen zu wahren, aber auch die aller Mitarbeiter, ist ein wesentliches Anliegen im Klinikalltag. Das Krankenhausdirektorium benennt ein Gremium, das sich mit den ethischen Belangen im Krankenhaus beschäftigt. Es setzt sich aus Vertretern der unterschiedlichen Bereiche zusammen und erstellt Leitlinien und Fortbildungsangebote zu ethischen Themen und bietet das Instrument der ethischen Fallbesprechung an. Dieses wird in vier Schritten mithilfe eines Protokollbogens durchgeführt:

Die Bestimmung des ethischen Problems – Benennen der ethischen Fragestellung

Die Analyse der medizinischen, pflegerischen, sozialen, weltanschaulichen und organisatorischen Fakten

Die Bewertung und Entwicklung von Argumenten aus dem Blickwinkel ethischer Normen

Die Beschlussfassung einschließlich der Zusammenfassung der wichtigsten Gründe, die zu ihr geführt haben – Ergebnis und Empfehlung

Grundsätzlich wird die ethische Fallbesprechung von einem multidisziplinären Team durchgeführt. Dabei ist zu klären, wie die Wünsche und Belange des Patienten so gut wie möglich in den Beratungsprozess einbezogen werden können. Die Gesprächsleitung erfolgt durch einen Moderator, die ethischen Fallbesprechungen werden protokolliert, und das Protokoll wird der Patientenakte hinzugefügt. Eine anonymisierte Fassung des Protokolls geht dem Ethikgremium zu.

Patientenverfügung

Dieses Instrument, mit dem sich Patienten vorausschauend auf die Betreuung am Lebensende vorbereiten können, gewinnt zunehmend an Bedeutung; es soll im Sinne des Prinzips Respekt vor der Autonomie in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Wichtig ist der Beratungsprozess für das Abfassen einer Patientenverfügung und für das Benennen eines Betreuers und für die Vorsorgevollmacht. Durch eine Vertrauensperson, die als Stellvertretung autorisiert wird, kann eine Patientenverfügung abgesichert werden. Informationen und gute Vorlagen finden Sie im Internet unter:

www.ethik-medizin-pflege.de: Aktuelle Rechtslage bei Patientenverfügung, Betreuungsvorsorge und Vorsorgevollmacht

www.justiz.bayern.de: Fragen, die sich jeder stellen sollte

www.rub.de: Werteanamnese

www.medizinethik-bochum.de

www.bmj.bund.de: Textbausteine

www.aekno.de: Rüstzeug für die eigene Erklärung

Zusammenfassung

Ethische Fallbesprechungen sind insbesondere dann angezeigt, wenn der Eindruck entsteht, dass die Würde oder die moralischen Werte des Patienten, seiner Angehörigen oder der an der Behandlung beteiligten Personen verletzt werden. Die ethische Fallbesprechung dient dazu, derartige Probleme zu benennen, zu verstehen, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen und Handlungsempfehlungen zu formulieren. Sie hat eine beratende und empfehlende Funktion für die verantwortlichen Ärzte, nimmt ihnen aber letztlich nicht die Verantwortung für die medizinische Entscheidung ab.

Wann beginnt Sterbebegleitung? Wie lange dauert sie?

Erfahrungen aus einer Begleitung in der Familie

Dass Sterbebegleitung mit Lebensbegleitung wechseln und sehr lange dauern kann, haben wir bei der Begleitung meiner Schwiegermutter erlebt. Sie war 86 Jahre alt und lebte allein in ihrem Haus. Es ging ihr gut, bis sie die Treppe hinunterstürzte und unglücklich mit dem Kopf gegen den Rahmen eines Ofens und auf die Steinfliesen fiel. Aufmerksame Nachbarn fanden sie und brachten sie ins Krankenhaus. Dort fanden wir sie, bewusstlos aber kreislaufstabil. Die Ärzte wollten und konnten keine Aussage über den weiteren Behandlungsverlauf machen. Es war ein kleines Krankenhaus, und für eine genauere Diagnostik hätte sie in das größere Kreiskrankenhaus verlegt werden müssen. War es notwendig? »Ich bin nicht sicher, ob sie den Transport überlebt und all die Untersuchungen und was dann folgt«, sagte der Stationsarzt, »sie ist hier gut aufgehoben.« Und das war auch unser Eindruck. Ärzte und Pflegekräfte sorgten für sie, taten medizinisch nicht zu viel und nicht zu wenig. Sie akzeptierten auch, dass ich das tat, was ich konnte: ihr mit homöopathischen Mitteln Kraft zum Leben oder zum Sterben zu geben. Eindrucksvoll war für alle, wie sie 20 Minuten, nachdem ich ihr drei Kügelchen Arnika C 200 in den Mund geschoben hatte, die Augen öffnete und uns ansah. Sie erkannte uns, versuchte ein paar Worte zu sprechen und schlief dann ein, deutlich entspannter als vorher. Dies wechselte in den nächsten Tagen immer wieder: kurze Wachphasen, Dahindämmern und Schlafen lösten einander ab. Wir waren, so oft es ging, bei ihr, sprachen mit ihr und wussten, dass letztlich sie sich entscheiden musste, ob sie ins Leben zurückwollte oder nicht. Vermutlich hat ihr wohl der emotionale Appell einer Enkelin, doch nicht einfach so zu sterben, dabei geholfen. Unterstützt von wiederholten Arnikagaben in verschiedenen Potenzen und Carbo vegetabilis, dem homöopathischen Lebenswecker wurden die Wachphasen zunehmend länger, die Hämatome bildeten sich gut zurück, sie konnte mit Unterstützung trinken und fing wieder an zu essen. Wie richtig die Entscheidung des Stationsarztes war, sie nicht in ein Krankenhaus mit mehr Diagnostik zu verlegen, zeigte sich in dieser Phase, in der sie wieder ins Leben fand. Wichtig und hilfreich waren nun auch die Bekannten aus dem Ort, die sie täglich besuchten, mit ihr sprachen und sie auch beim Essen und Trinken unterstützten.

Sie wollte leben und unterstützte aktiv alle therapeutischen Maßnahmen, um wieder auf die Beine zu kommen. Das war ihr ganz wichtig, und der Wille, so selbstständig wie möglich zu sein, bestimmte auch die nächsten Jahre, in denen sie dann bei uns lebte. Sie kam zwar nicht wieder so ganz auf die Beine, doch in allem Auf und Ab der nächsten fünf Jahre gab es doch auch längere Phasen, in denen sie in der Wohnung gut allein gehen und sich außerhalb mit dem Rollator bewegen konnte. Doch der Sturz und die Blutergüsse im Kopfbereich waren nicht ohne Folgen geblieben und führten zu einer sich langsam entwickelnden Demenz und einer damit verbundenen Persönlichkeitsveränderung. Es gab gute Zeiten, in denen sie viel von früher erzählte. Sie las die Zeitung und profitierte sicher auch geistig von unserem recht lebhaften Familienleben. Sie war eine gläubige Frau, die den Tag mit einer Losung (einem kurzen Text aus der Bibel) begann, gern in ihrem Gesangbuch las, das immer am Bett lag, sich freute, wenn sie zu einem Gottesdienst konnte oder wenn der Ortspfarrer sie besuchte. Dennoch oder gerade deswegen war Sterben oder Tod selten ein Thema. Allerdings hatte sie in Bezug auf ihre Beerdigung und ihr Grab klare Vorstellungen, an die wir uns später auch gehalten haben. Daneben gab es zunehmend andere Zeiten, erst nur ab und zu, dann jedoch immer öfter und heftiger. Sie beschimpfte mich und andere, lehnte Hilfe ab oder wurde wütend, wenn sie selbst nicht zurechtkam. Auch merkte man, wie ihre Kräfte zunehmend nachließen. Sie saß viel im Sessel oder im Rollstuhl, ging aber immer wieder, auch wenn es nur wenige Schritte waren, mit dem Rollator auf und ab. Manchmal war es schwierig, mit ihren verbalen und körperlichen Aggressionen richtig umzugehen. Wir hatten uns von Anfang an entschieden, zur Unterstützung der jeweils nötigen Pflege einen ambulanten Pflegedienst hinzuzuziehen, was uns kräftemäßig aber auch emotional sehr entlastete. Mit ihrer Schwäche nahm die Verwirrtheit zu, phasenweise sah sie Personen vor der Tür und im Zimmer oder hörte Musik von draußen. Heute weiß ich, dass dies im Sterbeprozess häufig geschieht. Es kann ein Zeichen dafür sein, dass das Bewusstsein nicht mehr ganz hier ist. Da sich bei ihr die zunehmende Demenz mit diesen Erfahrungen überlagerte, haben wir dies nicht so wahrgenommen. In dieser gesamten Phase wurde sie von einer Hausärztin begleitet, die sich sehr um sie bemühte und sehr einfühlsam in der Medikamentierung war und auch meine homöopathischen Mittel akzeptierte. So konnte ich ihr bei manchen körperlichen Beschwerden helfen und ihr auch lang die Ängste erträglicher gestalten, die zum Beispiel aus den veränderten Sinneswahrnehmungen entstanden. Erst in einer späten Phase entschieden wir uns mit der Hausärztin für ein schwach dosiertes Psychopharmakon (das sie nur nahm, weil die Ärztin ihr sagte, dass ihr dieses Stärkungsmittel guttun würde). Anders wäre eine weitere Pflege zu Hause nicht mehr möglich gewesen. Dies war aber immer ihr ausdrücklicher Wunsch gewesen, den wir ihr gern erfüllen wollten. Kurzzeitpflege im Altersheim hatte sie als Urlaub akzeptiert, aber vor einer Pflegestation oder einem Krankenhausaufenthalt hatte sie Angst. Vor allem wollte sie auf keinen Fall lebensverlängernde Maßnahmen. Die Intensivstation war für sie eine Horrorvorstellung, nachdem sie gesehen hatte, wie ihre Schwester starb und dabei an Schläuchen angeschlossen war.

Mit diesem Wissen standen wir dann erneut vor einer schweren Entscheidung, als sie, bereits seit einiger Zeit bettlägerig, an einem Tag sichtbar Atemnot hatte, Flüssigkeit hörbar die Lunge füllte und die Rettungssanitäter erklärten, dass sie nur im Krankenhaus die Möglichkeit hätten, sie ausreichend zu behandeln und sie damit vor dem Ersticken zu bewahren. Sie war schon lang schwach, aber jetzt auch nicht mehr bei Bewusstsein. Wäre dies gegen ihren Willen? Aber sie ersticken lassen?

Wir entschieden uns schweren Herzens, sie ins Krankenhaus bringen zu lassen, und waren darauf vorbereitet, dass sie dort sterben würde. Wir standen alle an ihrem Bett, nachdem ihre Lunge abgesaugt und ihr eine Sauerstoffmaske angelegt worden war. Der Atem war mühsam, die Augen geschlossen. Wieder sagten wir ihr, dass sie bleiben oder gehen dürfe, wir seien bei ihr. Wir beteten mit und für sie. Dann schaute der Arzt nur kurz herein, beugte sich über sie, fühlte den Puls und sagte zu der Schwester prämortal. Den Begriff kannte meine Schwiegermutter nur zu gut, zum einen konnte sie Latein, zum anderen war sie als Grüne Dame viel im Krankenhaus gewesen und hatte als Berufsschullehrerin Krankenschwestern ausgebildet. Das Wort war ein Weckruf, sie schlug die Augen auf und flüsterte: »Ich sterbe noch nicht.« Und von da an ging es noch einmal bergauf. Sie wurde wieder wacher, nahm mehr von ihrer Umgebung war, übte mit dem Physiotherapeuten, wollte wieder gehen. Der anschließende Versuch, sie auf der geriatrischen Abteilung medikamentös auf die Behandlung der Demenz einzustellen, misslang völlig. Sie schwankte zwischen höchst aggressiv und apathisch und wollte nur noch nach Hause. Dort erholte sie sich körperlich wieder, und mit den Psychopharmaka der Hausärztin und weiteren homöopathischen Mitteln konnte sie wieder am Familienleben teilnehmen. Zeitweise war sie bei klarem Bewusstsein und konnte sich zum Beispiel mit einer Frau aus dem ambulanten Hospiz-Besuchsdienst der Gemeinde gut unterhalten, die sie schon seit längerer Zeit immer wieder besuchte.

Dann wieder kam die Schwäche, das Dahindämmern – und wenn sie dies bemerkte –, die Aggression.

Doch ihr Wille war zeitweise immer noch klar. Sie wollte leben und tat dafür, was sie konnte, und wir versuchten, ihr es so gut wie möglich zu machen: kleine Freuden zu schenken, einfach da zu sein.

Der Umbruch kam, als ich sie eines Morgens wecken wollte und sah, dass sie im Schlaf einen leichten Schlaganfall erlitten hatte. Sie konnte sich nicht mehr allein aufrichten, eine Gesichtshälfte war gelähmt, und als ich ihr etwas zu trinken geben wollte, lief ein Großteil davon wieder aus dem Mund. Sie versuchte zu sprechen und sich aufzurichten, ihre Worte waren jedoch kaum verständlich, und sie konnte sich nicht aufsetzen. Ich versuchte sie zu beruhigen und sagte ihr, dass ich die Hausärztin rufen wollte. Diese bestätigte meinen Eindruck, machte meiner Schwiegermutter aber Hoffnung, dass sich ihr Zustand bessern würde. Auf keinen Fall wollte meine Schwiegermutter ins Krankenhaus. In den nächsten Tagen versuchte sie noch einmal, ihre Situation aus eigener Kraft zu verbessern. Als sie merkte, dass es nicht funktionierte, entschied sie sich, zu sterben. Ich erinnere mich, dass ich versuchte, ihr ein wenig Essen zu geben. Doch sie verschloss den Mund und sah mich ganz fremd an. Von dem Zeitpunkt an wollte sie nicht mehr. Der Pflegedienst kam jetzt dreimal täglich und versuchte auch, ihr zu essen und zu trinken zu geben. Wir mussten jede Trinkmenge dokumentierten. Am Anfang aß sie noch etwas, aber selbst ihren Lieblingsjoghurt lehnte sie nach zwei, drei Löffeln ab. Der Mund blieb zu. Der Satz: »Man darf sie doch nicht verhungern und verdursten lassen«, schwebte drohend über uns. Aber sie wollte nicht mehr. Sie wollte vor allem keine Schläuche und keine Apparate. Zum Glück bedrängte uns die Hausärztin nicht zu sehr und bot uns lediglich an, meiner Schwiegermutter einen Tropf zu legen, wenn sie gar nicht mehr trinken würde. Um das zu verhindern, versuchten wir, ihr mit vielen kleinen Schlucken noch etwas Flüssigkeit zuzuführen. Doch sie wurde immer schwächer, und irgendwann mussten wir die Versuche, sie beispielsweise zum Waschen in den Rollstuhl zu setzen, aufgeben. Wache und dämmernde Phasen wechselten sich ab. Keiner konnte uns sagen, wie lang dieser Zustand anhalten würde. Sie bekam eine pneumatische Matratze, um ein Wundliegen zu verhindern, sie wurde verpflegt und umsorgt, manchmal nahm sie Besuch noch gut wahr, manchmal schlief sie aber einfach ein. Im Grunde war es eine gemeinsame Zeit des Wartens und des langsamen Abschiednehmens. Es dauerte über zwei Monate. Dann veränderte sich noch einmal der Ausdruck ihres Gesichtes, und eine Freundin, die als Palliativschwester schon viele Menschen hatte sterben sehen, meinte: »Jetzt sind es nur noch Stunden oder wenige Tage.« Eine unserer Töchter hatte am nächsten Tag Geburtstag, und weil viele der Gäste auch meine Schwiegermutter kannten, gingen sie noch einmal kurz zu ihr hinein, grüßten sie, sagten ein paar freundliche Worte oder blieben ein wenig bei ihr. Am Morgen des übernächsten Tages sah und spürte ich, dass sie gehen würde. Ich war dankbar, bei ihr sein zu können. Auch wenn sie es mir nicht immer leicht gemacht hatte, hatte sie mir viel bedeutet. Alle, die im Haus waren, kamen noch einmal vorbei. Ich blieb bei ihr sitzen, streichelte über ihre Hände und sprach ein Gebet für sie und sang ein Lied, von dem ich wusste, dass es ihr Trost gab. Dann war Stille. Nur ihre unregelmäßigen Atemzüge waren noch zu hören, dann ein leichtes Seufzen, ein letztes deutliches Ausatmen. – Dann war, wie ich es schon beim Tod meines Vaters gespürt hatte, der Raum erfüllt: Sie war noch da, auch wenn ihr Körper tot war. Wir haben sie in ihrem Bett gewaschen und so angezogen, wie sie es gern hatte. Wer in der Nähe war, kam noch einmal vorbei, um sich zu verabschieden. Wir zündeten eine Kerze neben ihrem Bett an als Symbol für das Licht, in das sie gegangen ist. Ihr Körper war noch lang warm, sodass die Hausärztin am nächsten Morgen noch einmal kam, um anhand der Totenflecken absolute Sicherheit zu haben.

Dann wurde ihr Leichnam abgeholt, und der Raum war leer – oder doch nicht ganz.

Von guten Mächten

Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar,

so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht,

führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Dietrich Bonhoeffer

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