Kitabı oku: «Rückkehr nach Europa», sayfa 2

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III

Die ersten Sonnenstrahlen fallen schräg ins Boot und beleuchten Coumbas Gesicht. Sie wacht langsam auf und reibt sich die Augen. Ich war zuvor wach geworden, weil ich den allgemeinen Kübel zur Verrichtung der Notdurft benötigte. Die Sonne fällt nun auch auf mich. Ich halte mir die Hand vors Gesicht, aber es ist zu spät. Aufgeregte Stimmen erheben sich, als die anderen Bootsinsassen der zwei Außenseiter ansichtig werden.

»Ein Weißer und eine Frau an Bord – das sind sicher Spione«, rufen die einen, »Sie bringen auf jeden Fall Unglück«, die anderen.

Das Boot gerät ziemlich ins Wanken, als die Passagiere zu unserem Schlafplatz stürzen oder auch fallen, abhängig von den weiterhin starken Schwankungen, denen unser Platz im Bug ausgesetzt ist.

»Spione – sie geben sicher der Küstenwache Signale. Und wenn nicht: Ein Weißer an Bord bringt Unglück, eine Frau noch viel mehr!«

Sie schreien heftig durcheinander. Einer der Lebous schlägt vor, man solle die zwei Eindringlinge dem lokalen Meeresgott opfern. Wenngleich die Muslime in Afrika meist noch über animistische Wurzeln verfügen, geht das den meisten doch zu weit: »Unschädlich machen ja, aber nicht als Opferung. Es gibt keinen Gott außer Allah. Fesselt sie, damit sie nichts anstellen können.«

Der alte Mann, offenbar der Anführer der Gruppe aus Guinea, ist trotz seiner sanften Stimme sehr bestimmt. Man will uns bereits mit den Fischernetzen festbinden, da tritt Badou dazwischen.

»Ich bin hier der Kapitän und bestimme, was geschieht. Coumba und Mamadou haben nicht nur das Doppelte für die Überfahrt bezahlt, sie stehen auch unter meinem persönlichen Schutz. Wehe, jemand rührt sie an.«

Betretenes Schweigen weicht nach einiger Zeit halblautem Gemurmel. Unsere Mitreisenden haben sich mit den Umständen abgefunden. Wenn sie uns auch in der Folge nichts antun, so ignorieren sie uns aber weitgehend und rücken räumlich, soweit es der beschränkte Platz zulässt, von uns ab, was uns immerhin mehr Komfort verschafft. Nur der junge Mann zu meiner Rechten, der während der gesamten Auseinandersetzung nichts gesagt und offenbar weitergeschlafen hat, verbleibt auf seinem Platz, die Decke über den Kopf gezogen und in sich gekrümmt wie ein Embryo im Mutterleib des Bootes liegend. Das nun sanfter werdende Meer tut auch das Seine, um die Gemüter zu beruhigen. Die steigende Sonne und die sanften Wellenschläge gegen die Ada Bintou versetzen die meisten in einen quasi euphorischen Zustand. Es scheint, als mache die Ada Bintou gute Fahrt und als sei es überhaupt nur noch eine Sache von wenigen Stunden, bis wir die Inseln erreichen würden.

Ich stelle mir vor, wir befänden uns an Bord eines großen Ozeandampfers, wie er vor einigen Jahrzehnten noch das gängige Fernreisevehikel war, ehe ihn die Flugzeuge gänzlich verdrängten, als noch nicht die hypertrophen Kreuzfahrtschiffe, hoch wie Wolkenkratzer, nur zu Vergnügungszwecken und ohne ein wirkliches Ziel mit Tausenden vornehmlich älteren und wohlhabenden Weißen auf den Weltmeeren kreuzten. Auch wenn wir hier ein Ziel haben, lassen wir uns von der Sonne bescheinen und sehen den glitzernden Wellenkämmen zu. Schon ist der Aufruhr von zuvor vergessen. Coumba fängt sogar an, mit ihrer schönen Stimme leise einige Lieder vor sich hin zu summen, als wolle sie das sich wiegende Boot wie ein Kind zum Einschlafen bringen. Die Sonne lässt nicht nur die Wellen mit einer silbernen Aura glitzern, auch Coumbas Gesicht erstrahlt darin. Fast verklärt erscheint sie mir, wie sie zurückgelehnt mit halb geschlossenen Augen vor sich hin singt. Ich muss mich beherrschen, nicht ihre langen Wimpern zu küssen, ein derartiger Akt hätte an Bord wieder für Unruhe gesorgt. Aber sie wird ohnehin immer weniger die Frau, die ich begehre und die ich in meine Arme schließen möchte, sondern vielmehr entrückt, fast wie eine Göttin, die zu uns Irdischen in dieses Boot gestiegen ist, um uns mit ihrer Gegenwart zu beglücken. Während ihres Gesanges merke ich an manch verstohlenen Blicken der anderen Bootsinsassen, dass diese beginnen, Ähnliches zu empfinden.

Als die Sonne hoch über dem Horizont steht, ruft einer der Guineer nach längerem Studium seiner Armbanduhr zum Mittagsgebet auf. Verunsichert ist seine Stimme, schließlich ist er es nicht gewohnt, einen Muezzin zu ersetzen. Doch hier gilt es, sich zu behelfen und selbst die Initiative zu ergreifen. Die anderen Guineer wechseln von der sitzenden in eine kniende Position und beten halblaut vor sich hin. Die übrigen Bootsinsassen schließen sich dem nicht an. Erst eine halbe Stunde später ruft ein kleiner Serer mit melodiöser Stimme zum Gebet, offenbar auf Wolof, um von allen verstanden zu werden, jedenfalls nicht auf Arabisch, dazu fehlt ihm wohl die Übung. Jetzt wären die Guineer an der Reihe, sich in ihren Gesprächen zurückzuhalten. Halblaut setzen sie ihre Konversation fort. Nach Ende des Gebets wird ihnen vorgeworfen, gestört zu haben. Wir selbst werden gar nicht wahrgenommen. Coumba hat bereits vor geraumer Zeit mit dem Singen aufgehört, da sie darüber eingeschlafen ist. Ich stelle mir vor, die Gebete werden an sie gerichtet.

IV

Coumba kannte ich noch nicht, als ich auf der Corniche zu betteln begann. Und was hätte sie auch dort gesucht – eine junge Frau mit einer festen Anstellung, die noch dazu am anderen Ende der Stadt wohnte. Ein eigenes Auto hatte sie auch nicht, da sie weder zu den wenigen begüterten Afrikanern zählt noch zu jenen, die sich schwer verschulden, um ein solches ihr Eigen nennen zu können, und sei es auch nur eines der üblichen betagten rostigen Erbschaften aus Europa – wie man ja hier auch sonst eine große Menge Abfall aus Europa erhält.

Coumba wohnte an der Innenseite der wie ein Fischerhaken ins Meer geworfenen Dreiviertelinsel, die sich Dakar nennt, etwas nördlich des Hafens, dort, wo das Meer eine große Bucht mit nur schwachen Strömungen bildet, in die sich die Abwässer der Millionenstadt ergießen und nicht von heftigen Wogen und Strömungen wie an der Nordseite der Stadt weggespült werden, kurz: dort, wo das an feine Sandstrände grenzende Meer sich in eine stinkende Kloake verwandelt. Coumba ist nicht in Dakar aufgewachsen, sondern erst mit sechzehn Jahren aus einem Dorf im entlegenen Süden des Landes hierher zu ihrer Schwester gezogen. Diese ist mit einem Koch verheiratet, der das Glück hat, bei einem ausländischen Diplomaten angestellt zu sein, womit sein Gehalt das sonst übliche beträchtlich übersteigt. Coumba hat von ihrer Mutter das Schneiderhandwerk erlernt, nachdem sie mit vierzehn Jahren die Schule verlassen hat. Dieses in Dakar auszuüben, daran war anfangs nicht zu denken, sie sollte ja vor allem auf die kleinen Kinder ihrer Schwester aufpassen, die ihrerseits auch eine Beschäftigung beim Arbeitgeber ihres Mannes gefunden hatte. Doch nach und nach bekam Coumba wieder die Möglichkeit zum Schneidern, und da sie geschickt und voller Einfälle war, fand sie Arbeit in einer Schneiderwerkstatt unweit der Wohnung, sodass sie ihrerseits ein Mädchen bezahlen konnte, das die Kinderbeaufsichtigung übernahm. Dem Schwager war es anfangs nicht recht, dass sich seine Schwägerin aus ihrer familiären Pflicht wegstahl, noch dazu war das Kindermädchen eine Christin, deren religiösen Einfluss er als gläubiger Muslim fürchtete. Im Lauf der Zeit fand sich die Familie mit der neuen Situation zurecht, was auch dadurch erleichtert wurde, dass Coumba einen großen Teil ihres Lohns an Schwester und Schwager ablieferte und mit dem Rest ihren Ersatz bezahlte. Coumba verdiente sehr rasch besser als ihre Kolleginnen, so sehr war die Chefin vor ihrem Talent begeistert.

Coumba hat mich kennengelernt, ohne dass ich sie bemerken konnte. An einem der schwülheißen Oktobertage, wenn die Luft stillsteht und wie ein dicker Wattebausch die Stadt umfangen hält – eine Beengung, der nur die wenigen glücklichen Besitzer von Klimaanlagen und Generatoren entgehen oder jene, die zumindest die Wächter der immer zahlreicher werdenden modernen Einkaufszentren täuschen, um sich in klimatisierte Hallen einschleichen zu können. Am 1. Oktober, daran erinnere ich mich genau, brach ich auf der Corniche zusammen, zwischen zwei wieder in Bewegung geratenden Autokolonnen. Die Autofenster waren wegen der Hitze meist geschlossen und wurden zum Almosengeben nicht geöffnet, zu lethargisch waren die Insassen selbst trotz der Klimaanlagen. Wie man mir später sagte, lag ich so, dass an mir kein Auto hätte vorbeifahren können. Bei aller Gleichgültigkeit und Erschöpfung wollte man mich aber doch nicht überfahren. So zog man mich an den Straßenrand und ließ mich dort liegen. Die Fahrbahn war wieder frei. Coumba verfolgte die Szene von einem Taxi aus einige Autos weiter hinten. Als schlussendlich ihr Taxi auch wieder hätte weiterfahren können, ließ sie es anhalten, was für einen neuen Stau und ungeduldiges Hupen sorgte. Sie stieg aus, sah mich in der prallen Sonne liegen und konnte den Taxifahrer überreden, ihr zu helfen und mich auf den Rücksitz zu ziehen, wo ich halb bewusstlos vor mich hin dämmerte.

»Aber was fangen wir mit dem an, Mademoiselle, ich will nicht, dass jemand in meinem Taxi stirbt oder es verschmutzt«, protestierte der Fahrer zunächst. Coumba steckte ihm einen 5000-Franc-Schein zu und ließ mich zu der nächsten Klinik fahren. Diese war ein Privatinstitut, wo sich herausstellte, dass ihr Bargeld nicht reichte, um mir den Zutritt zu verschaffen. Schließlich überredete sie den Rezeptionisten, dem sie eine baldige Begleichung der Mindestsumme von 100.000 Franc versprach und dem sie ihr neues Smartphone als Sicherheit hinterließ. Der Arzt schob mich dann etwas widerwillig in eine Röhre, schlecht riechende und zerlumpte Patienten war er offenbar nicht gewohnt. Ich erwachte aus meinem Dämmerzustand, als ich draußen in einem der breiten Fauteuils des Eingangsbereichs lag. In ein Zimmer wollte man mich nicht geben, dazu reichten Coumbas Schmuckstücke, die sie ihnen anbot, nicht aus. Ich weiß nur noch, dass sich anfangs alles um mich herum drehte. Coumba wurde der Befund in die Hand gedrückt, mit dem sie nichts anzufangen wusste. Der Arzt murmelte etwas von Blutung in der rechten Hirnhälfte, die man bald in Europa kontrollieren sollte, sonst könnte es schlecht enden.

»Schicken Sie ihn heim, in Europa zahlt die Sozialversicherung ohnehin alles, so eine Operation können wir hier gar nicht durchführen.«

Coumba drehte ratlos den Kopf zu mir. Da sah ich sie zum ersten Mal ohne den grauen Schleier von vorher. Sie hatte die Haare aufgesteckt, sodass ihre ebenmäßigen Gesichtszüge noch besser zur Geltung kamen. Richtige Zuneigung konnte ich in ihren Augen damals noch nicht erkennen, lediglich schieres Mitleid. Mit ihrer Hilfe konnte ich aufstehen und hinausgehen. Auch ihre Gesten und Bewegung drückten Mitleid aus, das mich wohlig umgab. Das Taxi hatte gewartet, wohl in der Hoffnung auf weiteren Fuhrlohn, denn dass ich nicht in der noblen Klinik verbleiben würde, war dem Fahrer wohl von Anfang an klar gewesen.

»Wohin mit ihm?«

Coumba zögerte etwas.

»Zu Hause habe ich keinen Platz, ich bin selbst nur Bettgeherin bei meiner Schwester. Weißt du etwas?«

Der Fahrer bot ihr an, mich gegen einen gewissen Betrag bei sich zu Hause schlafen zu lassen. Coumba musste ihm dafür als Sicherheit ihre Armbanduhr lassen. Wie sie mir später erzählte, sei sie von ihrer Familie mit Vorwürfen überhäuft worden, wie sie dazu käme, einem Europäer zu helfen. Almosen zu geben, ja, das sei zwar Pflicht jedes Muslims, doch das beschränke sich auf … ja, eben auf une pièce. Das neue Telefon und die Armbanduhr herzugeben, sei verrückt gewesen. Tatsächlich hat Coumba sie auch nicht mehr auslösen können, selbst als sie das nötige Geld zahlen wollte.

Bei Madické, dem Taxifahrer, verbrachte ich fünf Tage. Täglich erschien Coumba abends nach ihrer Arbeit und brachte Essen. Es war wie in der Bibel, auch wenn ich nicht unter die Räuber geraten, sondern den Schwächen des eigenen Körpers erlegen war. Wie gerne wäre ich nach einem Tag schon wieder weggegangen, hinaus aus dem stickigen fensterlosen Raum, der immerhin Platz für zwei Schlafstätten hatte, aber die Beine versagten bei jedem Versuch nach einigen Schritten. Den Himmel sah ich nur, wenn ich mich zum Abort, einem Bretterverschlag draußen am Hof, schleppte. Sobald ich den Raum verließ, starrten mich alle neugierig an, sprachen mich aber, wohl von Madické über meine Lage informiert, nicht an. Von Coumba konnte ich bei ihren Besuchen wegen des Halbdunkels im Zimmer nicht viel erkennen. Anfangs war sie einsilbig, offenbar hatte sie Scheu, einem fremden Mann, der noch dazu halbnackt auf einer Schlafstätte lag, nahe zu sein. Wie es mir gehe, ich müsse mich in Geduld üben, mehr brachte sie nicht aus sich heraus. Doch ihr wohlklingendes gepflegtes Französisch tat mir gut und legte sich wie Balsam auf mein heruntergekommenes Dasein. Am dritten Tag vermeinte ich ein Lächeln in ihrem Gesicht zu erkennen, zumindest sah sie mich offen an und blickte nicht mehr verlegen auf ihre Fußspitzen.

Als ich zwar noch nicht an ihrem Arm, aber in ihrer Begleitung endgültig Madickés Loch verließ, standen die Nachbarn Spalier und überreichten mir kleine Geschenke, ein vergilbtes T-Shirt, sogar einen afrikanischen Boubou, einen Blechnapf, wohl aus Armeebeständen stammend, und einen Sack Reis. Der Älteste des Gevierts wünschte mir alles Gute und schüttelte mir die Hand. Ich bedankte mich so gut es ging, auch bei Madické, der etwas verlegen dabei stand.

»Und was wirst du jetzt machen? Du solltest heimkehren und dich behandeln lassen, hat mir der Arzt gesagt. Nächstes Mal kann es schlecht ausgehen.« Sehr zaghaft war Coumbas Stimme, sie kam gegen den Straßenlärm kaum an. Ich fühlte mich unangenehm an meine Vorvergangenheit erinnert.

»Unsere Botschaft – mit denen will ich nichts zu tun haben, ich habe in Europa nichts verloren.«

Coumba stellte keine Fragen, offenbar wusste sie, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte.

»Wohin gehst du – hast du niemanden, bei dem du bleiben kannst?« Dass sie diese Frage erst jetzt stellte, verwunderte mich.

»Ich wohne auf der Corniche mit Blick aufs Meer und ›pied dans l’eau‹, wie es sich die Touristen immer wünschen.« Tatsächlich hatte ich vor einiger Zeit eine Höhle im Steilabfall zum Meer hinunter entdeckt, die mir ein angenehmes Zuhause geboten und mich vor allen Regengüssen der letzten Wochen geschützt hat. Der Regen hat auch die Polizei davon abgehalten, vereinzelte Razzien an der Küste durchzuführen. Außerdem war meine Höhle gut versteckt und weit von jenen Höhlen entfernt, in denen die Rauschgifthändler und die Prostituierten ihrem jeweiligen Gewerbe nachgehen. »Höhlen innerhalb von Höhlen«, hat mein philosophischer Freund Boubacar, einer der Wertkartenverkäufer und Absolvent des Philosophiestudiums der Universität Bamako, nachdenklich bemerkt, als eines Abends eine erregte Diskussion der Corniche-Bewohner darüber, ob man Prostituierte dort dulden sollte oder nicht, eingesetzt hatte. »Solange die Moscheen weit genug entfernt sind, sollen sie ihre Höhlungen in den Höhlen anbieten«, hat er damals die Diskussion beendet.

An diesem Abend verabschiedete sich Coumba nur mit einem leichten Händedruck von mir. Trotz der schlechten Straßenbeleuchtung – die meisten der Solarlampen waren wegen der verschmutzten Paneele ausgefallen – sah ich in ihrem Gesicht ein Lächeln, das mich innerlich wärmte. Nach der Hitze des Tages fegte plötzlich ein heftiger Wind vom Meer herein.

»Es wird gleich regnen, du musst heim. Und danke für alles.« Mehr brachte ich nicht heraus. Ich sah ihr noch nach, wie sie in einen der öffentlichen Busse stieg und im Abendverkehr verschwand. Die Abenddämmerung war plötzlich von schwarzen Wolken überlagert worden, Sturzbäche brachen mit einem Mal über die Stadt herein. So rasch es mein Zustand erlaubte, eilte ich zu meiner Höhle, die ich nach einer Woche Abwesenheit im selben Zustand wie zuvor antraf. An der hinteren Felswand lag noch gut versteckt mein Bündel, das meinen Hausrat ausmachte. Die mitgebrachten geschenkten Gegenstände legte ich dazu, dann streckte ich mich auf meiner Matte aus, wo ich in den Halbschlaf verfiel, den ich mir in meinem Leben im Freien angeeignet habe, immer bereit, auf mögliche Störungen oder Gefahren reagieren zu können. Doch diesmal war es nicht die Bedrohung, es war die Erinnerung an Coumbas Lächeln und an den Druck ihrer Hand gegen die meine, die von mir Besitz nahm und sie mir von einem Schutzengel zu einer immer mehr begehrten jungen Frau werden ließ.

V

Wir gleiten sanft dahin. Das Meer ist ruhig, die Menschen an Bord sind ruhig, nicht aus Angst, sondern in freudiger Erwartung. Sie denken wohl, es werde die nächsten fünf, schlimmstenfalls sechs Tagen ebenso weitergehen. Treibstoff ist sogar für sieben Tage vorhanden, es gibt einen zweiten Motor, der bereitliegt, um den bisher klaglos und regelmäßig vor sich hin arbeitenden Außenbordmotor im Fall einer Panne zu ersetzen. Fünfhundert Liter Trinkwasser sind auf dem Boot vorhanden, in großen Behältern, eine Menge, die Abdoulaye für ausreichend erklärt hat. Reis, getrocknetes Gemüse, all das wird von Abdoulaye am Abend auf einem Kocher zubereitet werden. Zunächst hat er versucht, Coumba als einziger Frau an Bord diese Aufgabe zu übertragen. Sie lehnte jedoch ab, denn sie hat wohl Angst, von meiner Seite zu weichen. Heute Mittag gelang es den Lebous, mit Ködern an einer einfachen Schnur etliche Fische zu fangen, die Abdoulaye am Abend grillen will. Die Fischernetze seien zur Tarnung mitgenommen worden, man solle sie, so Abdoulaye, noch nicht direkt zum Fischen verwenden.

Nur der Fahrtwind erfrischt uns zurzeit, sonst herrscht Windstille. Badou steht auch jetzt unbeirrbar an der Lenkstange, die er nur selten an Abdoulaye abgibt, etwa, um die Lage des Boots mit seinem GPS-Gerät zu kontrollieren.

»Wir sind etwa zehn Kilometer von der Küste entfernt, abends sollten wir die mauretanischen Gewässer erreichen.«

Mauretanien. Ich erinnere mich, wie ich mit einem gebrechlichen und halb verrosteten Volkswagen – einem roten Passat – am Festland entlang der Passatwinde in die entgegengesetzte Richtung gefahren bin. Damals gab es schon eine asphaltierte Straße von Nord nach Süd, über den Strand wäre mein Fahrzeug wohl nicht weitergekommen.

Warum gerade ich dieses Auto nach Westafrika überstellen sollte – die Reise hätte bis Nigeria gehen sollen –, daran will ich mich gar nicht erinnern. Für derartige Fahrten suchten sich die Ankäufer von europäischen Schrottautos eher unternehmungslustige junge Leute aus, die Freude am Abenteuer haben und die den Heimweg dann mit einem bereits vorausbezahlten Flugticket antreten. Zahlreich waren die Polizeikontrollen auf der Straße zwischen der nordmauretanischen Stadt Nouadhibou und der Hauptstadt Nouakchott, einer staubigen Ansammlung meist eingeschossiger Häuser, die nicht viel mehr bietet als ein paar akzeptable Restaurants und Läden, um Proviant aufzunehmen, die aber doch groß genug ist, um auch auf diesem Außenposten Afrikas veritable Verkehrsstaus vorweisen zu können. Zur Erholung fuhr ich zum nahegelegenen Strand und sah dem regen Treiben der durchwegs dunkelhäutigen Menschen am Fischerhafen zu. Die buntbemalten Pirogen gefielen mir schon damals. Ich hätte aber nie daran gedacht, dass ich einmal in einem derartigen zum Seelenverkäufer verwandelten Fischerboot als einziger Weißer inmitten von Schwarzen die Heimreise nach Europa antreten würde.

Ich war erleichtert, nur noch drei Stunden Fahrt bis zur Grenze des Senegals vor mir zu haben, zu sehr beunruhigten mich die Warnungen, die westliche Botschaftskanzleien an ihre Staatsangehörigen wegen des Risikos der Entführung durch Terroristen richteten.

Öfter fiel mir damals während meiner einsamen Fahrt Antoine de Saint-Exupéry ein, der zwischen den Weltkriegen mit der zu befördernden Post von Frankreich nach dessen westafrikanischen Kolonien dieselbe Route genommen haben musste, in einem anderen Element als ich damals auf der Erde bzw. jetzt auf dem Wasser. Waren es die sternenklaren Nächte am Rand der Sahara, dass er sich eben diesen Sternen nahe fühlte und sie mit seinen eigenen Geschöpfen bevölkerte? Ich selbst wagte es nicht, neben der Straße im Freien zu übernachten, die Angst vor jenen Wüstenbewohnern, die vorzugsweise Europäer zu fangen versuchen, um sie dann an irgendwelche Katibas zwecks Lösegelderpressung oder Freilassung von inhaftierten Terroristen weiterzuverkaufen, die Angst, selbst Sklave zu werden – ein später Treppenwitz der Geschichte, zweihundert Jahre nach Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei in Europa –, diese Angst hat während der ganze Zeit Besitz von mir ergriffen. Die knallrote Farbe meines Autos hat ja dabei noch zusätzlich für Auffälligkeit gesorgt. Erst als ich den Senegalfluss überquerte, inmitten von überladenen Lastwagen, Viehherden und zahlreichen Einheimischen, deren Kleider die Pirogen an Buntheit weit übertrafen, fühlte ich mich geborgen. Daran änderte auch der stundenlange Ausfall des Motors der Fähre inmitten des Flusses nichts. Ich war wirklich am schwarzen Kontinent angekommen.

Der junge Mann neben mir ist jetzt wach geworden. Seit Besteigen des Boots ist er unter der Decke gelegen und hat sich kaum bewegt. Er reibt sich die Augen und sieht sich um, verwundert, wie es mir scheint, weniger über meine Hautfarbe als darüber, sich plötzlich in einem Boot auf dem Ozean wiederzufinden. Sehr höflich erkundigt er sich bei mir, wo wir jetzt seien. Er erweckt den Eindruck, als könne er sich gar nicht erinnern, warum er überhaupt an Bord gekommen ist, dabei verfügt er auch über einen Sack mit seinem Gepäck. Ein wenig fahrig sucht er etwas darin und zieht schließlich ein recht modernes Mobiltelefon hervor. Er steht auf und macht einige Fotos vom Boot. Als er eine Nummer eintippt und sich wundert, keine Verbindung zu haben, lachen etliche.

»Hier gibt’s keine Sendemasten, du musst dich gedulden. Vielleicht kannst du Radio hören.«

Etwas verwirrt sucht der Junge nach seinen Kopfhörern und dann nach einem Sender. Er dürfte erfolgreich sein, auf einmal entspannt sich sein Gesicht und er wiegt sich im Rhythmus irgendwelcher von irgendwoher aufgefangenen Musik. Nach zwei Stunden wird er das Ganze enttäuscht wegstecken, wenn der Akku fast leer ist und ihm die prekäre Situation voll zu Bewusstsein gekommen sein wird. Abgesehen von der Djembe, die zu schlagen aber Badou fürs Erste verboten hat, bleibt nur das kleine Zupfinstrument, das einer der Serer bereits am Vormittag hat erklingen lassen, das aber kaum gegen das Motorengeräusch ankommt und bei stärkerem Wind wohl gänzlich im Streit der Elemente gegen den Yamaha-Motor, auf den sich all unsere Hoffnung richtet, untergehen wird. Tritt totale Stille an Bord ein, ist es um uns geschehen. Ich befühle erneut die Konturen meines Seesacks und spüre die Umrisse des kleinen Pakets, das mir Bill Hooper mitgegeben hat. Heute Nacht, wenn außer Badou alle anderen schlafen, werde ich davon Gebrauch machen, und wie einst Saint-Exupéry werde ich mit etwas da oben zwischen den Sternen verbunden sein.

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