Kitabı oku: «Der Politiker», sayfa 5

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Der schwarze Freitag /1929

Willi hat für seinen 14. Geburtstag Schulkollegen eingeladen. Joshua hat sich krank abgemeldet. Willi weiss nicht, ob er Willi ersparen wollte, dass mehrere Kollegen absagen, weil ein Jude eingeladen ist. Auf jeden Fall bekommt er dank der Absage von Joshua, keine Probleme. Er nimmt sich vor, ihn später einzuladen und nur mit ihm, Mutter und Gabi, zu essen.

Gabi hilft bereits am Donnerstagabend Rosa bei der Vorbereitung. Sie richten das Gartenhaus so ein, dass die Feier dort stattfinden kann. Rosa beobachtet die beiden Turteltauben mit einer Mischung aus Stolz und Eifersucht. Bei ihr und Franz war es nie so romantisch. Jedes Mal wenn sich die beiden näher kommen, streicheln sie sich, so ein richtig unschuldige Liebe.

Als Franz von der Arbeit nach Hause kommt, wirkt er nervös und schaltet sofort das Radio ein. Er hat in einem Telegramm aus Amerika gelesen, dass dort an der Börse einige Unruhe herrscht. Soll er die Aktien verkaufen? Noch hätte er einen kleinen Gewinn aufzuweisen, allerdings rät ihm sein Bankberater, nicht jetzt zu verkaufen, die Kurse gehen nur kurzzeitig runter.

Er vertraut seinem Berater, bis jetzt lag er immer richtig. Heute ist die Börse eh bereits geschlossen, er kann noch die ganz Nacht überlegen. Die Meldungen im Radio deuten nicht auf Probleme hin. So kann er nach den Nachtessen noch beim Fahrradhändler vorbei gehen und das Geburtstagsgeschenk für Wilhelm abholen. Ein solches Fahrrad hat Wilhelm noch nie gesehen, es hat fünf Gänge. Der wird Augen machen, ist Franz überzeugt. Als Wilhelm Gabi nach Hause bringt ist es günstig, er kann das Geschenk hinter dem Gartenhaus verstecken, eine Decke schützt es vor Blicken.

Noch bevor Franz am Freitagmorgen zur Arbeit fährt, weckt er seinen Sohn und führt ihn zum Gartenhaus.

«Herzlichen Glückwunsch zum 14. Geburtstag!»

Er zieht die Decke Weg und beobachtet Wilhelm, - seine Augen strahlen.

«Jetzt wo du vierzehn bist, kannst du nicht mehr mit dem alten Fahrrad zur Schule, der Händler hat mir versichert, dass es das Neuste auf dem Markt ist.»

«Danke!»

Mehr bringt Wilhelm nicht raus, er muss alles genau anschauen. Die fünf Gänge sind der grösste Luxus, aber auch der Sattel, der Gepäckträger und ein Schloss zum abschliessen gehören zur Ausrüstung.

«Darf ich mit ihm in die Schule?»

«Natürlich es ist deins, du kannst mit ihm machen was du willst», erklärt Vater, «so, ich muss zur Arbeit, heute Abend werden wir feiern, aber jetzt kannst du schon die erste Runde drehen.»

Franz verabschiedet sich und schwingt sich auf sein Fahrrad mit drei Gängen. Er hat auf dem Weg zum Stadthaus keine Steigung zu bewältigen, da reichen drei Gänge aus.

Im Stadthaus liest er die eingegangenen Telegramme durch. Letzte Nacht war in Amerika einiges los. Die Zahlen über das Wirtschaftswachstum vielen schlecht aus. Die Börse reagiert entsprechend. Er schaut auf die Uhr, die Bank ist noch geschlossen. Er ärgert sich, die ganze Woche schon hat er überlegt, ob er seine Aktien verkaufen soll, doch er konnte sich nicht entscheiden. Nun könnte es zu spät sein. Zum Glück haben sie jetzt im Stadthaus Telefonapparate. Zwei Minuten nach neun Uhr ruft er seinen Bankberater an. Der lässt sich entschuldigen, er sei in einer dringenden Sitzung.

Langsam begreift Franz, dass er ein grösseres Problem hat. Jetzt geht es nur noch um Schadensbegrenzung. Nur, Franz sind die Hände gebunden. Ohne seine Bank kann er nicht verkaufen, er kann nicht selber an der Börse Aktionen auslösen. Er ahnt, dass er mit grossen Verlusten rechnen muss. Wie gross sie ausfallen, das weiss er noch nicht.

Kurz vor Mittag erreicht er endlich seinen Bankberater. Der informiert ihn, dass die Kurse um mehr als die Hälfte gefallen sind.

«Wenn du jetzt verkaufst», gibt er zu bedenken, «dann werden die Verluste noch grösser. Jede Aktie die auf den Markt zum Verkauf angeboten wird, drückt die Kurse weiter nach unten.»

«Du meinst, ich soll die Aktien behalten?»

«Im Moment ist es sehr ungünstig, zu verkaufen, glaube mir, das ist nur eine kurze Talfahrt, danach geht es wieder aufwärts.»

«Gut, ich vertraue dir», geht Franz auf den Vorschlag ein und legt auf.

Die Erholung lässt auf sich warten. In einer Woche hat er praktisch seine ganzen Ersparnisse verloren. In Deutschland bricht Panik aus. Die Arbeiter werden zu hunderten entlassen. Im Stadthaus ist die Stimmung schlecht. Die Beamten beobachten einander argwöhnisch. Jeder befürchtet, dass er als nächster entlassen wird. Dass es zu Entlassungen kommt, steht ausser Frage, es ist nur noch eine Frage der Zeit.

Rosa macht ihm Vorwürfe: «Ich habe immer gesagt, dass das mit den Aktien ein Risiko ist, aber du wolltest ja nicht hören. Diese Kandidatur für den Stadtrat, war auch nicht nötig, das gibt nur Neider.»

«Du hast ja Recht», verteidigt sich Franz, «aber wie sollte ich den Gewinn aus meinen Geschäften sonst anlegen.»

«Ist schon gut», besänftigt Rosa, «immerhin haben wir noch unser Haus und das ist schuldenfrei.»

«Wir müssen trotzdem unsre Ausgaben reduzieren, ich weiss nicht wie lange ich noch Arbeit habe. Die Stadtkasse ist leer, die müssen Leute entlassen.»

«Aber doch nicht dich Franz, das können die nicht machen.»

«Mit können hat das nichts zu tun, eher mit müssen. Zudem bin ich jetzt in der falschen Partei, die Sieger der Wahl wollen jetzt ernten.»

Langsam geht der Streit, in eine Diskussion wie man die Zukunft meistern kann, über. Man trifft einige Massnahmen. So soll der Garten wieder vermehrt auf Gemüse umgestellt werden. Die drei Blumenbeete werden geopfert. Essen ist wichtiger. Zudem wird von Wein auf Bier umgestellt. Im Schachklub gibt er den Austritt und Rosa will sich in Zukunft die Kleider wieder selber nähen. Im Keller wird ein Vorratslager mit Zucker, Marmelade und Kartoffeln angelegt. Der im Garten geerntete Kohl wird zu Sauerkraut verarbeitet. Sie sind auf schlechte Zeiten vorbereitet.

Ein neues Jahrzehnt /1930

Am Silvester zum Jahrzehnten Wechsel, ist nicht nur das Wetter sehr kalt, auch die Stimmung der Leute auf Worms Strassen deutet eher darauf hin, dass die Leute sich auf eine Beerdigung vorbereiten, als auf eine Silvesterfeier.

Die Familie Wolf hat keine Gäste eingeladen. Man begnügt sich, mit einem guten Nachtessen. Rosa hat sich grosse Mühe gegeben, den Tisch zu dekorieren. Das kostet nicht viel und gibt dem Essen etwas grössere Bedeutung. Es gibt sogar zum Dessert einen Apfelkuchen.

Zum Kaffee hört man am Radio eine Übertragung aus dem Kurhaus von Baden-Baden. Das Sinfonieorchester spielt berühmte Opernpartien. Sie passen gut zur Stimmung von Wolf.

Um elf Uhr machen sie sich auf den Weg zur Kirche. Der Besuch der Mitternachtsmesse ist für die meisten Katholiken Pflicht. Es gehört sich einfach, dass man das Jahr besinnlich beginnt.

Die Menschen denen sie auf der Strasse begegnen sind alle in Eile. Bei den frostigen Temperaturen will jeder so schnell wie möglich zurück an die Wärme. Die Kirche ist bereits gut gefüllt. Sie suchen sich einen Platz möglichst weit weg vom Eingang. Die Kirche ist nicht geheizt, wenn man nicht im Durchzug steht, sorgen die zahlreichen Besucher für eine angenehme Temperatur.

Einige Minuten vor Mitternacht schliesst der Pförtner die grosse Türe und es wird noch wärmer. Noch vor Mitternacht beginnt der Priester mit der Messe. Das stille Gebet endet kurz vor Mitternacht. Als der erste Schlag der Glocke erklingt, beginnen die meisten Leute, laut mit dem betten des Ave Maria. Eine friedliche Stimmung breitet sich aus. Jeder ist tief in seine Gedanken versunken. Was wird das neue Jahr, respektive Jahrzehnten bringen?

In der Predigt versucht der Priester den Leuten Mut zu machen. Er weiss, dass es im neuen Jahr nicht einfach wird. Die meisten werden den Gürtel noch enger schnallen müssen. Er ruft den Gläubigen in Erinnerung, dass auch Jesus arm war, das sei keine Schande. Wichtig ist, dass man auch in harten Zeiten seinen Respekt vor den Mitmenschen nicht verliert.

Als sich kurz nach eins die Türen der Kirche öffnen, ist es richtig warm geworden, nicht nur im Raum, auch in den Herzen der Besucher. Ohne zu sprechen eilt die Familie Wolf nach Hause.

Jeder in Worms sehnen den Frühling herbei. Bereits anfangs März gibt es die ersten wärmeren Tage. Franz nützt die Zeit und beginnt bereits mit den Gartenarbeiten. Wenn das Wetter mitspielt, hofft er auf zwei Gemüseernten. Er spürt, dass er nicht mehr lange im Stadthaus arbeiten wird. Man nimmt ihm Übel, dass er für die falsche Partei kandidiert hatte. Liberale Parteien sind nicht mehr zeitgemäss. Jetzt muss man sich für deutsche Werte einsetzt.

Franz hat eigentlich das Gefühl, ebenfalls für sein Vaterland einzustehen, doch er möchte das nicht auf Kosten von anderen Leuten tun. Das sehen die Wahlsieger anders, man muss die Feinde von Deutschland bekämpfen. Für sie ist es schon Verrat, wenn er Steuererklärungen der Juden, gleich wie für deutsche Personen behandelt. Ende April muss er bei seinem Vorgesetzten vorsprechen. Das Gespräch ist kurz.

«Herr Wolf, haben sie einen Antrag gestellt, um in der NSDAP aufgenommen zu werden?»

«Nein, ich bin seit meiner Geburt den Liberalen verpflichtet. Warum sollte ich wechseln?»

«Sie sind einfach unverbesserlich. Die Zeiten ändern sich, man muss mit der Zeit gehen. Unter diesen Voraussetzungen muss ich leider das Arbeitsverhältnis auflösen. - Tut mir leid, ich habe meine Anweisungen.»

Dann überreicht er ihm den Brief: «Bitte hier unterschreiben. Bis Ende April bekommen Sie noch Lohn.»

Mit gesenktem Kopf verlässt Franz das Rathaus, nun hat es auch ihn erwischt. Was soll er nur machen? Vielleicht bekommt er bei der Sodafabrik eine Stelle, immerhin hat er noch Aktien. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Anfangs Mai fährt er nach Mannheim und bewirbt sich als Buchhalter. Der mitleidige Blick des Pförtners spricht Bände, als er das Formular ausgefüllt zurückgibt.

«Der Personalchef hat keine Zeit, er wird sich bei Ihnen melden, wenn es eine Stelle für Sie gibt.»

Das war’s, er spürt, da ist nichts zu machen. Er hat noch seinen Garten, zumindest kann er damit etwas zu Essen herstellen. Da gibt es hunderte von Arbeiter, die nicht einmal ein Dach über dem Kopf haben. Zu essen gibt's nur was in der Suppenküche beim Armenhaus, aber da wird er sich nie Blicken lassen, dazu ist er zu stolz.

Willi setzt sich auf seinen Platz im Schulzimmer. Er wundert sich, dass Joshua noch nicht da ist. Normalerweise ist er einer der ersten. Auch die anderen Schüler wundern sich. Mit dem Lehrer betritt auch der Schuldirektor das Schulzimmer.

«Der Joshua wird nicht mehr in unsre Schule kommen», erklärt der Lehrer, «sein Vater wurde in seinem Uhrengeschäft überfallen. Beim Überfall wurde sein Vater an der Hand verletzt und kann keine feinen Arbeiten mehr ausführen. Jetzt muss Joshua das Uhrenhandwerk erlernen. Dazu braucht er kein Abitur.»

Der Direktor verabschiedet sich und der Unterricht wird aufgenommen, als wäre nichts geschehen. Das Problem mit dem jüdischen Schüler hat sich so für alle Beteiligten elegant gelöst. Willi hatte schon lange befürchtet, dass die Lehrer den Joshua am liebsten loswerden möchten. Wie war das mit dem Überfall? Er hat nichts davon in der Zeichnung gelesen. Für ihn wird sich nicht viel ändern, die Kontakte zu Joshua hat er in letzter Zeit eingeschränkt. Joshua hat sich zurückgezogen, er hat gespürt, dass Willi Probe bekommen hätte.

Am Abend fragt er seinen Vater, ob er etwas gehört hat. Der will am nächsten Tag bei Goldberg vorbeigehen und sich direkt informieren. Er hat jetzt Zeit, mehr als ihm lieb ist. Als Franz den Laden betritt, ist Maria am abstauben der Regale. Sie begrüsst ihn erfreut.

«Was ist geschehen?», fragt Franz.

«Drei Typen sind in den Laden gestürmt. Sie hatten Knüppel dabei und schlugen auf die Regale ein, dann packten sie einige Uhren in einen Sack und wollten verschwinden. Dummerweise stellte sich Josef an die Tür und wollte verhindern, dass sie flüchten können, doch die schlugen mit dem Knüppel auf seine Hand. Drei Finger sind gebrochen. Er liegt noch im Krankenhaus. Der Joshua ist jetzt bei einem befreundeten Uhrenmacher in Mannheim und lernt das Handwerk, bis Josef aus dem Spital entlassen ist. Ich führe den Laden solange allein. Wenn Uhren zur reparieren sind, nimmt sie Joshua mit nach Mannheim und repariert sie unter Aufsicht des Freundes. So kommen wir über die Runde, viel läuft eh nicht. Unser Glück ist, dass es praktisch keine deutschen Uhrengeschäfte gibt, sonst hätten wir schon lange keine Kunden mehr.»

Maria lädt Franz noch zu einem Kaffee in die Wohnung über dem Geschäft, dieses bleibt solange geschlossen. Nach einem Gespräch über die schlechten Zeiten und dass es früher viel besser war, verabschiedet sich Franz und tritt auf die Strasse. Worms hat sich verändert. An Strassenecken hängen Männer rum und beobachten die Leute. Gelegentlich sprechen sie Passanten an und scheinen einen Handel abzuschliessen.

Auf dem Weg nach Hause denkt er intensiv nach. Nur den Garten bestellen, das kann es nicht sein. Er muss nach einer anderen Lösung suchen. Eine Stelle als Buchhalter kann er in nächster Zeit vergessen. Er braucht eine Alternative damit sie über die Runde zu kommen.

Franz schläft schlecht. Doch am Morgen weiss er, was er machen muss. Er verabschiedet sich von Rosa ohne zu sagen was er vorhat. Heimlich hat er den Briefumschlag mit den Aktien aus dem versteckten Fach des Sekretärs genommen und unter dem Mantel versteckt.

Noch zögert er, doch dann betritt er die Bank. Sein persönlicher Berater empfängt ihn in einem Sitzungszimmer. Franz begrüsst ihn freundlich, obwohl er ihm am liebsten eine auf die Fresse gehauen hätte. Das Gespräch ist kurz, sie sind sich schnell einig. Der Berater geht zur Kasse und kommt mit einem Bündel Geldscheinen zurück, welche er Franz auf den Tisch blättert.

«Stimmt», bestätigt Franz und überreicht ihm die Aktien, dann streckt er das Geld ein und verlässt die Bank. Auch so ein verrückter, denkt er für sich. Er hat das Hakenkreuz an seinem Kragen bemerkt.

Als Erstes geht er nach Hause und versteckt ein Teil des Geldes im Gartenhaus. Er darf nicht daran denken, wie viel die Aktien noch vor einem Jahr Wert waren, aber jetzt hat er sie los. Nun will er das Geld wieder vermehren.

Er steckt sich einige Geldscheine ein und macht sich mit dem Fahrrad auf zum Hafen. Noch weiss er nicht, wie es weiter geht, aber der Zufall wird ihm helfen, er muss nur die Augen offen halten.

Er stellt sein Fahrrad an eine Wand und schliesst es ab. Natürlich muss er damit rechnen, dass es trotzdem gestohlen wird, doch er behält es aus der Distanz im Auge. Es gibt viele Männer welche in der Nähe der Anlegestelle der Schiffe herumlungern. Er beobachtet die Männer heimlich. Die können sicher irgendwelche Geschäfte machen, sonst wären sie nicht hier. Einige verkaufen Zigaretten, andere Alkohol und dann gibt es noch solche, die Geld wechseln.

Ein Schiff aus Basel legt an der Pier an. Die Matrosen haben offensichtlich für den Abend Ausgang erhalten. Er folgt einem, welcher sich auf den Weg zur Innenstadt macht. Als der Matrose anhält und in seinen Taschen etwas sucht, holt ihn Franz ein und grüsst ihn.

«Kannst du mir Reichsmark verkaufen?»

«Wieviel brauchst du?»

«Ich denke für zehn Mark bekomme ich etwas zu essen und ein Bier.»

«Sicher, das reicht. Was kannst du mir geben.»

«Ich habe nur Schweizer Franken!»

«Was soll ich mit denen? Hast du Zigaretten?»

«Ja, aber nicht hier, ich muss zurück aufs Schiff, dort habe ich dreihundert.»

«Soviel brauche ich nicht, aber hundert zu zehn Mark wäre ein faires Geschäft.»

Man ist sich einig. Franz ist mit neunzig Zigaretten zufrieden. Nicht das ganz grosse Geschäft, aber immerhin ein Anfang.

Nach einer Woche hat er einige Güter ausgemacht, mit denen man gute Geschäfte machen kann. Am Nachmittag kann er noch drei kleine Geschäfte abschliessen. Es ist nicht viel, aber wenigstens hat er, als er nach Hause zu Rosa geht, mehr Geld in der Tasche, als er am Mittag mitgenommen hatte.

In den folgenden Tagen lernt er das Geschäft mit den Matrosen besser kennen. Die haben meistens nur wenig Zeit, um sich vom harten Job auf dem Schiff zu erholen. Die Meisten sind zufrieden, wenn sie eine Kneipe mit etwas Betrieb und gutem Bier finden. Mit dem Wirt der goldenen Gans schliesst er eine Art Vertrag ab. Für jeden Matrosen den er in die Kneipe bringt, erhält er drei Prozent Kommission auf dessen Umsatz. Es ist nicht viel, aber leicht verdientes Geld. Zudem sind die Matrosen dankbar, in anderen Städten werden sie oft übers Ohr gehauen. Die gute Betreuung durch Franz hat sich schnell herumgesprochen. Nach drei Wochen muss er den meisten Kunden nicht mehr nachrennen, sie suchen ihn.

Streng achtet er darauf, dass sie in der Kneipe gut betreut werden. Die meisten Matrosen fahren immer die gleiche Strecke. Inzwischen kennt er die Möglichkeiten, welche seine Kunden haben. In jeder Stadt gibt es spezielle Waren, welche dort günstig zu erwerben sind. So vertieft sich die Zusammenarbeit und beide Seiten profitieren. Die einen können ihre Rechnung in der Kneipe entweder mit einem Käse aus Holland begleichen oder mit Wein aus Frankreich. Aus der Schweiz sind die Zigarren momentan am einträglichsten.

Damit die Matrosen in der goldenen Gans nicht alleine rumsitzen müssen, organisierte Franz Leute von der Strasse. Die sind froh, wenn sie an der Wärme sind. Da sie sich kein Bier leisten können, stellt der Wirt ihnen ein, zwei Finger hoch gefülltes, Bierglas hin. Ab und zu, lässt er in ein leeres Glas etwas nachfüllen. So ist in der goldenen Gans immer viel Betrieb.

Nachdem es sich herumgesprochen hat, ist es manchmal zu laut. Einmal geraten sich Sozis und Nazis in die Haare und es gibt eine Schlägerei. Darauf hin hängte der Wirt eine Tafel vor das Lokal. Politische und religiöse Symbole sind in der goldenen Gans unerwünscht. Ab diesem Zeitpunkt sieht man weder Hakenkreuze noch rote Halstücher im Lokal.

Franz macht sich die Arbeit nicht leicht, jeden Abend führt er sein Kassenbuch nach. Es ist wichtig, denn die Preise schwanken. Er muss darauf achten, dass von keinem Produkt zu viel auf den Schwarzmarkt in Worms gelangt.

Eine steile Karriere, welche Franz da hinlegt. Vom korrekten Beamten, zu einer Drehscheibe auf dem Schwarzmarkt. Nach zwei Monaten steht er nicht mehr selber am Pier, dazu hat er Männer angestellt, welche für ein paar Zigaretten seine Aufträge ausführen. Er hat sie gut im Griff, jeder ist froh, wenn er seine Aufgabe hat, die ihm erlaubt, dass er abends nicht hungrig ins Bett muss.

Natürlichen hat sich herumgesprochen, dass in der goldenen Gans viele Matrosen einkehren. Um den Matrosen ein gutes Programm zu bieten, schickt Franz Männer aus, welche in den Strassen nach jungen Mädchen Ausschau halten. Die meisten sehen erbärmlich aus. Frau Wirtin nimmt sich den Mädels an. Zuerst müssen sie ins Badezimmer. Einige erhalten nach Wochen endlich wieder einmal ein Bad. Nach dem sie gründlich gewaschen sind, versucht die Wirtin, sie etwas herzurichten. Sie kämmt ihre meist wilde Frisur und bändigt diese in Zöpfen. Wenn die Kleidung gar schäbig aussieht, holt sie aus ihrem Kleiderschrank einen Rock oder eine Bluse und leiht sie den Mädels.

So herausgeputzt schickt man die inzwischen recht ansehnlichen Mädchen in die Kneipe. Der von der Strasse geholte Handharmonikaspieler sorgt für Stimmung. Es wird geschunkelt, als ob jeden Tag Fasching wäre. Das gefällt den Leuten. Die Matrosen haben meistens links und rechts bei einem Mädchen eingehängt und wiegen hin und her. Natürlichen wurde der Körperkontakt von beiden Seiten begrüsst. Die Mädchen bekommen zur Belohnung meistens ein Bier und manchmal eine Suppe spendiert. Die Spende wird üblicherweise mit einem Kuss verdankt.

Der Franz kann sich nicht beklagen. Der Wirt lässt ihn am guten Geschäft mit verdienen. Dass aus dem exakten Beamten, so quasi ein Zuhälter geworden ist, stört eigentlich nur Rosa. Sie ist jedoch froh, dass ihr Haushaltsgeld wieder etwas reichlicher ausfällt. Nachdem Franz arbeitslos wurde, musste sie sich sehr einschränken, das ist für sie ungewohnt. Sie die in Kassel Verwandte hat, welche mit dem Kaiser verwandt waren. Wenn die wüssten, sie könnte sich bei ihnen nicht mehr blicken lassen, aber das ist zurzeit eh kein Thema, es sind keine weiteren Familientreffen geplant.

Wilhelm geht immer noch ans Gymnasium. Dort hat es grosse Änderungen gegeben. Viele Schüler haben aufgegeben. Was sollen sie mit dem Abitur anfangen. Arbeit werden sie auch mit einem Diplom keine finden. Es gibt unter den Arbeitslosen zu viele Akademiker. Zurzeit sind eher Leute mit starken Muskeln gefragt. Kerle die anpacken können. Die Klasse ist um die Hälfte geschrumpft und wird nur noch von einem Lehrer unterrichtet.

In den Strassen von Worms finden wöchentlich Demonstrationen statt. Sowohl rechts wie links mobilisieren ihre Leute. In der Schule gibt es zwei Lager. Von der Herkunft her gehört Willi eigentlich zu den rechten, doch die jüdische Urgrossmutter verhindert einen Beitritt zur Hitlerjugend.

So ist er gezwungen, sich mit den immer seltener werdenden Söhnen der linken zusammenzutun. Er tritt dem SV Wormatia Worms bei. Fussball hat ihn schon immer begeistert. Die Mitglieder sind meistens links orientiert, doch es dominiert der Fussball, Politik bleibt draussen. Nach anfänglichen Problemen, wird er immer besser und steigt vom Ersatzspieler zur Stammelf auf, allerdings nur in der zweiten Mannschaft.

In der Schule hat er immer noch viele Freunde. Auch solche die jetzt in der Hitlerjugend sind. Die erzählten von ihren Zeltlagern und Schiessübungen welche sie jedes Wochenende organisieren. Da können die Fussballer nicht mithalten. Eigentlich würde Willi auch gerne ins Zeltlager und bei Schiessübungen teilnehmen, aber sein Bericht über den Besuch bei seiner jüdischen Urgrossmutter, haben die anderen Schüler noch nicht vergessen. Wie konnte er nur so dumm sein, mit einer jüdischen Urgrossmutter anzugeben. Heute wäre das undenkbar, doch damals war das noch normal.

Zumindest Gabi schätzt es, dass er nicht in der Hitlerjugend ist. Ihre Familie steht politisch, auf Grund ihrer Herkunft, links. Sie besucht jedes Fussballspiel in dem Willi mitspielt, sogar wenn sie auswärts antreten, fährt sie mit dem Rad hin und unterstützt ihn mit lauten Zurufen.

In der goldenen Gans bereitet man sich auf eine spezielle Nacht vor. Max Schmeling boxt diese Nacht in New York. Der Wirt hat ein Radio organisiert, dass der Kampf direkt verfolgt werden kann. Eigentlich müsste er die Kneipe nachts schliessen, aber man hat vorgesorgt. Um Mitternacht sieht es so aus, als ob alle nach Hause gingen, doch die Leute kommen durch den Kellereingang wieder zurück in die Kneipe. Natürlichen heisst es ab diesem Zeitpunkt ruhig sein. Alles versammelt sich in der hinteren Stube, die für Versammlungen vorgesehen ist. Von dort dringt kein Laut nach draussen.

Der Kampf gegen den als unschlagbar geltenden Sharkey beginnt. Gespannt lauschen die Leute der Stimme des Reporters. Schmeling beginnt gut, doch es ist nicht zu verkennen, dass Sharkey sehr stark ist. Auch wenn der deutsche Reporter jede Aktion von Schmeling über Gebühren lobt, so ist nicht zu verheimlichen, dass er viel einstecken muss. Auf jeden Fall mehr als es dem Reporter lieb ist.

Immerhin, die ersten drei Runden hat er überstanden, das schafften bis jetzt nur die wenigsten. Dann wird die Stimme des Reporters laut.

«Max krümmt sich vor Schmerzen, es sieht schlechte aus, aber das war ein Tiefschlag, der ihn ausser Gefecht gesetzt hat».

Danach ist der Reporter verstummt, die Halle scheint zu toben.

«Der Kampf ist zu Ende», findet der Reporter seine Stimme wieder, «wird Max der Titel gestohlen?»

Die Spannung ist auch in der Kneipe zu spüren, ist das das Ende des Traums?

«Max ist Weltmeister!», - die Stimme des Reporters überschlägt sich beinahe. «Sharkey wird disqualifizier. Max ist Weltmeister, - Weltmeister, Weltmeister!»

In der Kneipe bricht Jubel aus. Max ist einfach der Grösste.

Mit dem Gefühl, wir Deutschen sind Weltmeister, verlassen die letzten Gäste die Kneipe erst, als es draussen schon hell war. Auch Franz hat ein bisschen zu viel getrunken, doch Rosa schläft schon fest, als er zu ihr ins Bett steigt.

Ende Juni ist es dann soweit, die Franzosen ziehen ab. Endlich ist Worms wieder deutsch. Endlich kann man die Ernst Ludwig Brücke überqueren, ohne dass man mit einer Kontrolle durch die Franzosen rechnen muss.

Die Freude in der Bevölkerung ist gross, nur öffentlich zeigen wollte man es nicht. Die Hauptsache ist, dass sie endlich gehen. Mit gemischten Gefühlen schaut Maria den letzten LKWs nach. Die Nacht von Mannheim spukt immer noch ab und zu in ihrem Kopf herum, zum Glück hat nie jemand davon erfahren.

Der Abzug der Franzosen verursacht in Worms eine optimistische Stimmung. Nur, der Lebensstandard steigt deshalb nicht wirklich an, die Armut ist nur besser zu ertragen.

Der Winter 1931 ist etwas wärmer, als die letzten Jahre. Trotzdem leiden die Einwohner von Worms unter der Wirtschaftskrise. Immer mehr Arbeitslose bedeutet auch für die Geschäfte wenig Umsatz und stark sinkende Erträge. Auch die goldene Gans musste Einbussen verkraften, doch lange nicht so viel, wie andere Kneipen. Das Konzept stimmte und Matrosen haben immer Geld. Aber die schlechte Wirtschaftslage führt dazu, dass weniger Schiffe in Worms anlegen. Auch Familie Wolf muss zurückstecken, doch im Vergleich mit vielen anderen Wormser sind sie gut dran.

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