Kitabı oku: «Stadt, Land, Klima»

Yazı tipi:

Gernot Wagner

STADT
LAND
KLIMA

Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten


Inhalt

Vor(w)ort

TEIL IWARUM

1Klima

2Natur

Von Stelzenhäusern und Passivhausluftschlössern, der wunderbaren Welt der Klimabuchhaltung und unserem Natursch(m)utz

TEIL IIWO

3Stadt

4Land

4½Suburbia

Ein Liebesbrief an die Stadt und einer an das Land, über das Wohnen im „Na ja, eigentlich“, kontraproduktive Klimapolitik und die Stadt als Idee, in der wir das wahre Klimapotenzial finden

TEIL IIIWAS

5Essen

6Wohnen

7Mobilität

Über lokales Essen und globales Denken, Quadratmeterfragen und Bumerang-Effekte, Abenteuerreisen, die Qual des Pendelns und Mobilität als Chance

TEIL IVWIE

8Moral

9Effizienz

10Resilienz

Der Fußabdruckrechner und die Erdöllobbys, Moral und CO2-Absolution und eine Einladung: Beginnen wir beim individuellen Handeln, sorgen wir aber für einen Systemwandel!

Vor Ort

Anmerkungen und Quellen

Vor(w)ort
Kaffee, Kuchen – und Quadratmeter

Als ich noch klein war, bekamen wir an Sonntagnachmittagen oft Besuch. Das ist bei einer großen Familie mit einem Dutzend Onkeln und Tanten nun einmal so. Sogar die Tante aus dem fernen Berlin und der Onkel aus München kamen zu uns nach Amstetten im Westen Niederösterreichs. Es kamen nie alle zusammen, und nicht alle gleich oft. Aber fast an jedem Wochenende saßen die Erwachsenen rund um den Tisch im Esszimmer oder jenen auf der Terrasse oder auch um den draußen im Garten. Sie aßen Muttis Kuchen, tranken Vatis Kaffee und unterhielten sich angeregt.

Damals, als Kind in den Achtzigerjahren, habe ich nicht weiter darüber nachgedacht, warum so viele der sonntäglichen Familien-Kaffeekränzchen bei uns zu Hause stattfanden. Waren wir selbst vielleicht so schlechte Hausgäste? Oder schmeckten Kaffee oder Kuchen bei uns einfach am besten? Erst Jahre später wurde es mir klar: Der Hauptgrund waren unsere 78 Quadratmeter Wohnfläche.

Diese 78 Quadratmeter waren groß genug, um den Besuch bequem zu Tisch zu bitten. Sie waren auch deutlich mehr als die 48 Quadratmeter in der Stadtwohnung, in der bis zu zehn meiner Onkel und Tanten gleichzeitig ihre Kindheit verbracht hatten. Es waren zwar nur 15 Minuten Fußweg von dieser Wohnung zu uns in die kleine Vorortsiedlung – doch die Größensteigerung war enorm.

Gleichzeitig waren die 78 Quadratmeter immer noch bescheiden genug, um nicht selbst zum dominierenden Gesprächsthema zu werden. Sie waren nicht das großzügige Haus in Hanglage, wo man sich sonntags vielleicht über die Größe des Swimmingpools unterhalten hätte. Sie waren auch nicht das noch weitläufigere Haus unten an der Donau, wo die „Jahrhundert“-Hochwasser inzwischen – bedingt durch den Klimawandel – alle paar Jahre kamen und das Erdgeschoss daher immer regelmäßiger renoviert werden musste: zwei Mal alleine in den zehn oder zwölf Jahren meiner Kindheit und Jugend, an die ich mich gut erinnern kann. Selbst abseits notwendiger Renovierungen ließ sich das große Haus als eigenes Gesprächsthema nicht vermeiden: Noch vor der Frage, ob man Kaffee oder lieber Tee wolle, kam die Frage, ob wir in der Wohnküche, im vorderen oder doch lieber im hinteren Wohnzimmer Platz nehmen sollten.

Unsere 78 Quadratmeter Wohnfläche waren vor allem eines: Durchschnitt. Guter Mittelklasse-Durchschnitt. Sie drängten sich nie direkt in den Vordergrund.

Diese 78 Quadratmeter waren das ideale Zuhause für unsere vierköpfige Familie. Ein Schlafzimmer, ein Kinderzimmer, Wohnzimmer, Esszimmer, Küche, Toilette und Bad. Wohlgemerkt eine Toilette – nicht etwa zwei oder gar vier, die mittlerweile in vielen amerikanischen Vororten und Vorstädten, meist kollektiv Suburbs genannt, zum Goldstandard geworden sind: für jedes Kind ein eigenes Schlafzimmer mit eigener Toilette und eigenem Bad. Wie käme die Zwölfjährige dazu, mit ihrem 14-jährigen Bruder ein Badezimmer zu teilen? Ein gemeinsames Schlafzimmer wäre ohnehin keine Option. Damit hat schon die Großeltern-Generation Schluss gemacht – diejenigen, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren aus den Städten wieder nach Suburbia geflohen sind: auf Suche nach mehr Platz, weg vom Schmutz und Lärm der Stadt. Die eigenen Schlafzimmer waren dabei sowohl redlich erarbeiteter Luxus – der mittlerweile zum Standard geworden ist – als auch Entschädigung für die Distanz zur Stadt, zur Arbeit, zu den urbanen Unterhaltungsmöglichkeiten.

Ein Mittelklasse-Leben verlangt bestimmte Dinge: den Überseeurlaub zum Beispiel, das Auto für den Weg zur Arbeit und zur Schule, ein entsprechendes Zuhause ebenso. All das – die Erwartungen, die Übererfüllung von Erwartungen, der Wintergarten, der zweite Wintergarten, das Heimbüro, der Weinkeller neben der Sauna, die Sauna neben dem Pool – all das macht auch viele Sonntagnachmittage komplizierter.

Das Haus ist dann nicht mehr nur der Ort, wo man mit anderen Menschen zusammenkommt, um mit ihnen entspannte Gespräche zu führen. Das Haus ist der Inhalt des Gesprächs. Oder zumindest weiß man nie so recht: Kam die Einladung, weil der nachmittägliche Besuch genauso zum Sonntag gehört wie der morgendliche Kirchenbesuch? Oder kam sie, weil es etwas Neues zu bestaunen gibt: den neuen Swimmingpool, den nochmals vergrößerten Gartenteich? Ist die Sauna neu oder doch nur größer? Oder war sie beim letzten Besuch einfach nur nicht Teil der Haustour?

Manchmal freilich kann der Drang nach mehr auch nach hinten losgehen: Einer meiner Onkel baute nicht nur einfach in attraktiver Hanglage – er kaufte sich ein Mehrfamilienhaus ganz oben am Hügel mit Fernblick bis nach Amstetten hinten am Horizont. Seine Idee war ursprünglich eine Komplettsanierung: Er selbst war Innenarchitekt, und mittlerweile ging es bei seinen Ambitionen um deutlich größere Projekte als das Wohnzimmer in unserer 78-Quadratmeter-Wohnung. Sein Haus hatte ein geräumiges Schlafzimmer – den Master Bedroom, ganz in amerikanischer Tradition. Von seinen vielen Nordamerikareisen kam auch die Inspiration für den Master Bathroom – Ausblick über die Dächer der „Normalsterblichen“ von der Badewanne aus inklusive. Alleine bei diesem repräsentativen Schlafzimmer mit eigenem Bad fehlte nicht mehr viel auf unsere 78 Quadratmeter.


Die grundlegende Frage, wo und wie wir leben (sollen), was die jeweiligen Motive dafür sind und was das alles mit unserem Klima zu tun hat, begleitet mich seit vielen Jahren. Sie treibt mich als Wissenschaftler an, und sie begleitet meine Familie und mich in unserem persönlichen Alltag. Als Klimaökonom beschäftige ich mich mit globalen Zahlen: mit den relativen Kosten von Klima-schmutz und Klimaschutz, mit Zahlen über Risiken und Ungewissheiten. Als Mensch frage ich mich: Was bedeuten diese Zahlen für mich persönlich? Welche Entscheidungen sollte ich treffen? Welche nicht? Und was ist notwendig, damit wir alle jene Entscheidungen treffen – und treffen wollen –, die uns ein gutes Leben ermöglichen und zugleich unseren Planeten schützen?

Dabei geht es um die Einstellung zum täglichen Leben; um Normen; darum, was einem selbst und seinen Nachbarn, Freunden und Verwandten wichtig ist – oder wichtig sein sollte. Es geht um Architektur, Design und Technologie ebenso wie um Mobilität: das tägliche Pendeln zur Arbeit und zur Schule, den Weg zum Bäcker und zum Wochenendeinkauf und den alljährlichen Familienurlaub. Es geht um Verkehrs- und Raumplanung, um Politik. Es geht um Zielkonflikte und um Kompromisse – sowohl auf volkswirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher als auch auf ganz persönlicher Ebene. Es geht um die Frage: Wo leben wir wann und wie? Und vor allem auch: Warum?

Stadt, Land, Suburbia

Bei uns im Amstettener Vororthaus gab es genau genommen auch noch eine zweite Toilette: Die 78 Quadratmeter Wohnfläche bezogen sich nämlich auf unsere Familienwohnung im ersten Stock. Falls wirklich einmal viele Leute zu Besuch waren, gingen wir Kinder hinunter ins Erdgeschoss. Dort wohnten Oma und Opa. Kurz bevor meine Eltern noch einmal Nachwuchs erwarteten, zogen mein Bruder und ich nach unten, in das sogenannte Bügel- und Extrazimmer. Dort hatte zuvor manchmal unsere Uroma geschlafen, wenn sie zu Besuch kam. Mittlerweile war sie gestorben.

Das Haus lebte mit unserer Familie mit – wie ein Haus eben, das von drei Generationen einer großen Familie bewohnt wird. Inzwischen ist aus der Terrasse ein zusätzliches Zimmer geworden, 19 Quadratmeter groß, für den Fall, dass die vierte Generation zu Besuch kommt. Die jüngste Generation, das sind meine beiden Kinder, Annan und Sonja, die nun immer wieder das Vorortleben bei Oma und Opa in Niederösterreich genießen dürfen.

Beide sprechen in ihrem Alltag – in Manhattan, New York City – das ganze Jahr über davon, dass sie im Sommer wieder nach Amstetten reisen möchten. Dorthin, wo sie mit ihrem Opa einen ganzen Sommer lang das Radfahren perfektioniert haben; wo sie einmal pro Woche – und zwar jede Woche – mit ihren Fahrrädern zum Pizzaessen ins Amstettener Einkaufszentrum fahren dürfen. In den Vereinigten Staaten, wo ich seit meinem Schulabschluss am Amstettener Gymnasium lebe, waren meine Frau und ich mit unseren Kindern noch nie in einem solchen Shoppingcenter – wenigstens nicht, ohne es davor ausdrücklich als anthropologisches Experiment zu deklarieren: Shopping Malls sind für uns eine andere Welt.


Zugegeben: Meine Frau und ich haben als Familie – nach mittlerweile zwanzig Jahren in den Vereinigten Staaten – noch nie im tatsächlichen „Amerika“ gewohnt. Wir waren dort höchstens zu Besuch. Soweit sich das ohne Auto machen lässt, denn Führerschein habe ich keinen, so wie fast die Hälfte aller New Yorker. Über zwei Drittel besitzen hier auch kein Auto. Unseren letzten Umzug von Cambridge (im Bundesstaat Massachusetts) nach New York City haben wir per Fahrrad, Bahn und Schiff erledigt. Die 340 Kilometer zwischen den beiden Ostküstenstädten überwinden Auto und Bahn in weniger als vier Stunden. Wir waren ganze vier Tage unterwegs – Urlaub inklusive. Doch auch dieser Trip durch einen Teil des Nordostens der Vereinigten Staaten hatte nur wenig mit dem ländlichen Amerika zu tun. Weite Teile dieser Region sind riesige Suburbs: erst jene von Boston, dann die von Providence (in Rhode Island) und ein paar kleineren Städten entlang des Weges. Und dann kommt der Speckgürtel, der alle anderen Speckgürtel in den Schatten stellt: die Suburbs von New York.

New York City selbst hat knapp über acht Millionen Einwohner, ebenso viele wie ganz Österreich oder die Schweiz. Davon wohnen rund 1,6 Millionen Menschen in Manhattan, die damit die am dichtesten bebauten sechzig Quadratkilometer der Vereinigten Staaten sind. Diese Bevölkerungsdichte ist höher als jene in allen europäischen Städten; sie ist etwa siebenmal so hoch wie jene Berlins. Und sie konkurriert mit den am dichtesten besiedelten Metropolen der Welt wie Mumbai und Kolkata in Indien. Ganz New York mit seinen acht Millionen Einwohnern ist hingegen „nur“ etwa halb so dicht besiedelt, in etwa wie Peking oder Neu-Delhi – immer noch viel dichter als jede europäische Großstadt.

Die Suburbs von New York haben nicht minder gewaltige Ausmaße: Sie beherbergen um die zwölf Millionen Menschen. Die ganze Metropolregion hat über zwanzig Millionen Einwohner, mehr als Nordrhein-Westfalen. Dabei verschwimmen die Grenzen zusehends; die Suburbs ziehen sich mittlerweile über vier Bundesstaaten hinweg: New York, New Jersey, Connecticut und Pennsylvania.

Manche dieser Suburbs sind tatsächliche Orte, vergleichbar mit europäischen Kleinstädten: relativ kleine Häuser rund um einen beschaulichen Ortskern. Die Mittelklasse lebt in den nächstgelegenen Vororten: Die begehrtesten haben einen kleinen Bahnhof mit direkter Verbindung nach New York City. Zehn Minuten zu Fuß oder mit Rad zum Bahnhof, dreißig oder vierzig Minuten im Zug, und schon steht der Familienvater aus Montclair, New Jersey, in Midtown Manhattan, während die Mutter ihre Kinder in die großzügig angelegte Vorortschule bringt.

Das Familiendomizil ist ebenso großzügig gestaltet: Mittlerweile zählen 200 Quadratmeter als Standard, verglichen mit etwa 110 Quadratmetern in Deutschland – Tendenz da wie dort steigend. Vorortidylle, mit dem dazugehörigen, oft nur allzu traditionellen Familienbild: sonntagmorgens Kirchenbesuch, sonntagnachmittags Kaffee und Kuchen – freundschaftliche Haustouren inklusive.

Wenn beide Elternteile arbeiten, sind es manchmal noch mehr Quadratmeter, einschließlich Zimmer und Bad für das Au-pair. Und falls es nur einen alleinerziehenden Elternteil gibt oder sonst etwas „komplizierter“ wird, dann ist es eben so: kompliziert! Dann ist man vielleicht auch nicht geeignet für das Vorortleben. (Aus Sicht der dortigen Bewohner ist das sogar einer der großen Vorteile: eine ganz von selbst hergestellte und bewahrte Stabilität. Vorortidylle eben.)

Viele dieser Suburbs sind freilich nicht ganz so idyllisch. Sie sind vor allem eines: eine bequeme Schlafstätte. Der Besuch am Sonntagnachmittag ist dann kaum ein Thema, denn die Familienmutter arbeitet ohnehin im Krankenhaus: Die Wochenendschicht wird besser bezahlt, die Nachtschicht ebenso. Meine Frau Siri (ja, wie beim iPhone) wuchs so auf – in Yonkers, einer Vorstadt nördlich von New York, auf ungefähr doppelt so vielen Quadratmetern wie ich, und teils auch mit doppelt so vielen Personen im Haus.

Von Vorortidylle spricht in solchen Fällen kaum jemand: Man ist hier in Suburbia, weil das andere auch so machen. Die Anzahl der Quadratmeter ist dann fast schon egal. Groß genug ist es, und falls es doch einmal knapp werden sollte, lässt sich über der Garage leicht noch ein Schlafzimmer einrichten, dahinter ebenso. Ein Pool hätte im Garten auch noch Platz. „Könnte“, „wäre“, „hätte“ – es geht um die Möglichkeiten, um den Traum. Das Eigenheim gehört nun mal dazu. Das ist in Europa nicht anders. Hier schlägt es sich sogar sprachlich nieder – die deutsche Übersetzung für Family Home, das Zuhause für die ganze Familie, lautet nicht umsonst: Einfamilienhaus.


Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten, Tendenz steigend.1 Mit Städten ist tatsächlich das gemeint: dichte urbane Zentren. Platz ist dort knapp und in begehrenswerten Stadtteilen auch entsprechend wertvoll. Die Mittelklasse zieht es daher zunehmend hinaus in die Suburbs, die Vorstädte und -orte, auf der Suche nach mehr Platz.

Der Weg vom Land in die Stadt in die Suburbs scheint zum natürlichen Lauf der Dinge geworden zu sein: Zunächst wird das Leben in Hektar gemessen, dann in Stadtwohnungsdimensionen (48 oder 84 Quadratmeter oder irgendwas dazwischen), denen es zu entkommen gilt. Ein Drittel der Amerikaner wohnt in mehr oder weniger dicht bebauten Städten. Etwa 50 Prozent leben mittlerweile in Suburbia. Der kleine Rest lebt immer noch – oder auch wieder – am Land.2 Der Traum vom Einfamilienhaus ist aber bei Weitem nicht nur etwas typisch Amerikanisches. Genauso ist er asiatisch: Die Vororte von Bangkok dehnen sich ebenso aus wie jene in Kuala Lumpur. Der Traum ist australisch, südafrikanisch, südamerikanisch. Und er ist auch europäisch: Suburbanisierung, Speckgürtel und Zersiedelung gibt es mittlerweile auf der ganzen Welt.

In Deutschland zum Beispiel liegt der Anteil der Landbevölkerung auf dem niedrigsten Stand seit dem Jahr 1871. In der Region Berlin-Brandenburg leben heute 88 Prozent aller Einwohner im urbanen Raum.3 Die großen Städte wachsen zwar – allerdings fast nur mehr dank Immigration aus dem Ausland. Deutsche Staatsangehörige hingegen wandern seit 2014 noch stärker ins Umland der großen Städte ab.4 Die Landkreise, die am schnellsten wachsen, liegen rund um Städte wie Frankfurt /Main, München oder Stuttgart: im Speckgürtel, Suburbia.5

Der Grund für diese Entwicklung, so ist vielerorts zu hören, sind die hohen Quadratmeterpreise in den Innenstädten. Das stimmt in vielen Fällen, ist aber gleichzeitig nur ein Teil der Erklärung: Die teuersten Wohnungen sind oft in Städten zu finden, aber ebenso befinden sich auch die billigsten Wohnungen dort, und natürlich gibt es auch alles dazwischen. Der Traum vom Einfamilienhaus ist vor allem Lebenseinstellung. Er ist Erwartung, er ist Norm, er ist Werbung: die glückliche Vorortfamilie im idyllischen Einfamilienhaus mit eigenem Garten. Die dadurch entstehende Abhängigkeit vom Auto für die Fahrt zur Arbeit: purer Fahrgenuss, individuelle „Freiheit“! Die Erhaltungskosten für die 100 oder mehr Quadratmeter: volkswirtschaftliche Wertschöpfung.

Der Traum vom Einfamilienhaus ist auch Politik, mit all den dazugehörigen Steueranreizen und Subventionen: „Bausparverträge“ heißen nicht umsonst so. Die Einkaufszentren mit ihren riesengroßen Parkplätzen am Stadtrand, die dazu einladen, in immer größeren Gefährten die attraktivsten Schnäppchen zu immer größeren Häusern noch weiter weg zu kutschieren – sie sind ein direktes Ergebnis der Steuer-, Verkehrs- und Regionalpolitik, das gleichzeitig viele Innenstädte weiter vereinsamen lässt.

Nicht zuletzt ist der Vororttraum: Natur- und Klimakiller.

Stadt, Land, Klima

Klimaschmutz entsteht zwar überall – in Suburbs entstehen jedoch doppelt so viele CO2-Emissionen wie in Städten oder am Land.6 Klimaschutz liegt in der Stadt.

Die Logik ist einfach: Die entscheidenden Faktoren heißen Reichtum und Dichte. Reichtum bedeutet mehr CO2-Emissionen, Dichte weniger. Das Land ist relativ arm und dünn besiedelt. Städte sind relativ reich und dicht besiedelt. Suburbs liegen genau dazwischen: Sie haben zwar relativen Reichtum, aber kaum Dichte. Das bedeutet: größere Häuser, mehr Autos, mehr materieller Konsum – und daher auch deutlich mehr CO2-Emissionen.

Stadt selbst ist noch kein Garant für ein CO2-armes Leben. Reichtum und Dichte eröffnen allerdings echte Möglichkeiten. Ich als New Yorker blicke etwa wehmütig nach Barcelona und dessen autofreie „Superblocks“: Der Verkehr fließt auf den großen Adern, während die kleineren Straßen dazwischen für die Menschen reserviert sind. Auch Berlin, Wien und Zürich sind beim Nahverkehr und der Verkehrsplanung trotz aller Probleme globale Vorbilder: Das in Österreich geplante „1-2-3-Ticket“ – 1 Euro pro Tag, um alle öffentlichen Verkehrsmittel im eigenen Bundesland nutzen zu können, 2 Euro für zwei Bundesländer und 3 Euro für das ganze Land – ist dabei ebenso lobend zu erwähnen wie der Dreißig- oder gar 15-Minuten-Takt der Schweizer Bahn und sämtliche weiteren Maßnahmen, die Menschen gegenüber Autos bevorzugen.

Doch Verkehr ist nicht alles: Die Reduktion von CO2-Emissionen muss viel weiter gehen, als Radwege auszubauen. Möglichkeiten gibt es genug: von intelligenten Flächennutzungsplänen und Bauordnungen bis zu gänzlich neuen Geschäftsmodellen, in denen Vermieter finanzielle Vorteile genießen, wenn sie ihren Mietern effizientere Haushaltsgeräte zur Verfügung stellen. Wie immer hängt vieles von der Politik ab: Neben Wohnbauförderung plus Pendler- oder Kilometerpauschale gibt es auch Wohnungsförderung plus subventionierten städtischen Nahverkehr.

Vieles andere ist aber von Politik relativ unabhängig: Es geht ebenso um die persönliche Einstellung, um Umstellung, um Umdenken, um Potenziale. Es geht um Familie, um Zeit. Es geht um den Sonntagnachmittag genauso wie um den Montagmorgen. Es geht vor allem um die Zukunft: jene von Stadt, von Land und von Klima.

Dieses Buch ist mein persönlicher Versuch, das Thema aus den verschiedensten Perspektiven zu beleuchten. Ich begann daran zu arbeiten, als ich mit meiner Frau und unseren beiden kleinen Kindern per Fahrrad, Bahn und Schiff von Cambridge, Massachusetts, nach New York City zog. Die Frage, die dabei für mich im Mittelpunkt stand, lautete: Warum? Nicht bezogen auf den Umzug selbst, denn den hatten wir wie einen Urlaub geplant. Das „Warum?“ bezog sich auf unser Ziel: Wir hatten soeben unser erstes Family Home gekauft – ein neues Zuhause für unsere Familie. Allerdings war es kein „Einfamilienhaus“. Die Größe: 70 Quadratmeter.

Das ist klein, selbst für New York. Für eine vierköpfige amerikanische Familie ist es winzig. Das gab uns fast jeder auf seine Weise zu verstehen: der Blick der auf Stadtwohnungen spezialisierten Wohnungsmaklerin, die sichtlich noch nie mit Kindern zu tun hatte; der Kommentar der Bankangestellten, die unsere Wohnung wiederholt als Starter Home beschrieb, als „Einsteiger-Eigentum“. (Beiden schien unsere Wahl freilich mehr als gelegen zu kommen: Sie empfahlen sich sofort für unsere vermeintlich unausweichliche Wohnungssuche drei Jahre später, wenn es dann „weiterginge“. Das machen Jungfamilien mit ihren Einsteiger-Eigentümern doch so.)

Dass unsere eigene Wohnungssuche nicht der Norm entsprach, bestätigte uns auch die neue Lokalzeitung. Die New York Times verewigte unsere Wohnungssuche in einem Artikel nach dem Motto: „Effiziente vierköpfige Familie sucht Wohnung mit wenigen Wänden mitten in Manhattan.“7 Tatsächlich: Unsere Wohnung hat keine Innenwände, vom Badezimmer mal abgesehen. Das Wort „effizient“ kam in dem Artikel ganze drei Mal vor – nicht zwingend als Kompliment gemeint.

Wir haben freilich keinen Grund, uns zu beschweren. Ganz im Gegenteil: Wir halten die Größe unserer Wohnung für nahezu perfekt. Verbunden mit der Lage könnten die 70 Quadratmeter nicht idealer sein. Gleichzeitig fragen wir uns: Warum sehen das im Allgemeinen die wenigsten so?

Weder amerikanische noch europäische Durchschnittsfamilien wohnen so, wo und wie wir es tun. Familien gibt es in unserer unmittelbaren Nachbarschaft kaum: Ich kann die Nachbarskinder an zwei Händen abzählen – zumindest jene, die so wie wir leben. Denn Millionärs- oder gar Milliardärsfamilien gibt es hier ebenso, in New York City mehr als in jeder anderen Stadt. Die logieren im dreistöckigen Penthouse und schweben gleichsam über dem Rest der Stadt, mit der sie kaum jemals persönlich in Kontakt kommen.

Die ärmsten New Yorker – jene, die sich nicht unbedingt aussuchen können, was sie ihr Zuhause nennen – wohnen auch in Kleinstwohnungen, aus denen viele gerne entkommen würden. Viele leben in Schlafstädten innerhalb der Stadt. Jemand, der die Wahl hat, entscheidet sich anders.

Viele kleinere und größere Familien auf allen Kontinenten – von Shanghai bis Tokio, von São Paulo bis hin zur kleinen Stadtwohnung im niederösterreichischen Amstetten – können von 70 Quadratmetern nur träumen. Von jener Milliarde Menschen, die in den urbanen Slums wohnen, ganz abgesehen. Doch genau darum geht es: um den Traum von „mehr“.

Es gibt immer wieder irgendwo auf der Welt das Beispiel eines höchst effizient lebenden Designerpärchens mit Kleinstwohnung, das seine treue Anhängerschaft auf Instagram an seinem Alltag teilhaben lässt – hypermodernes skandinavisches Design inklusive. Designbücher, die das „einfache Leben“ im „kompakten Zuhause“, die „Sehnsucht nach weniger“ und den „Minimalismus“ preisen, gibt es zur Genüge. Und es gibt den Internetmillionär, dessen neues Statussymbol das Mikrohaus ist – die Trendikone in der kargen Wohnung. Exzentriker leben so, Familien kaum.

Bei Familien ist allzu oft von „Kompromiss“ die Rede: vom Leben auf eng(st)em Raum als notwendigem Ausgleich, um andere Prioritäten setzen zu können. „Effizienz“ ist dabei oft nur der Versuch, einen schöneren Begriff für „Kompromiss“ zu finden. Das eigentliche Ziel ist Effizienz dabei selten. Vielleicht wird sie das am Lebensabend, in der Pension, wenn die Kinder groß geworden sind und das Haus verlassen haben. Doch warum so lange warten?

Warum sich nicht bewusst für das effiziente Stadtleben entscheiden: als ideal für das tägliche Leben, für die persönliche Balance, für die Familie, für das eigene Wohnklima – und, ja, auch für das Weltklima?

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