Kitabı oku: «Aus dem Matrosenleben», sayfa 3
Hinter Jean stieg in diesem Augenblick jemand die Treppe herunter – der Deutsche vor dem Steven gab zu gleicher Zeit noch einmal, und jetzt etwas lauter, das verabredete Zeichen. Jim hatte seine halbe Krone gefunden, steckte sie in die Tasche und öffnete die Laterne diese auszublasen.
»Hallo« – sagte in diesem Augenblick eine Stimme mitten zwischen ihnen, und zwar so laut, daß alle wie von einem elektrischen Schlag zusammenzuckten – »was ist das?«
Jim ließ unwillkürlich das volle, durch kein Horn mehr gedämpfte Licht der Laterne auf das Gesicht des Sprechers fallen. – Es war der Zimmermann, der sich erstaunt in der reisefertigen Gruppe umsah.
»Das ist mir ja eine schöne Geschichte«, rief er verwundert aus – »da soll ja gleich –«
Er sagte nichts weiter – nur zwei Worte hatten die an der Treppe stehenden Bill und Jean miteinander gewechselt, und in derselben Secunde fast fühlte er sich von zwei riesenstarken Armen dermaßen umfaßt, daß seine Hände wie von einer eisernen Zange gehalten wurden, während ihm zu gleicher Zeit irgend ein anderer guter Freund ein festgedrücktes Tuch wie einen Knebel in den Mund stieß. Jim ließ, bei dieser zauberschnellen Veränderung der Scene den Strahl der noch immer hochgehaltenen Laterne links und rechts fallen, und sah Bill und Jean mit ihrem Opfer beschäftigt. – Im nächsten Moment schloß er aber das Licht, und alles war wieder in tiefste Dunkelheit gehüllt.
Draußen ertönte zum drittenmal, und jetzt laut und ungeduldig das Zeichen.
»Der wird den Steven noch einschlagen«, lachte Jim – doch immer noch halblaut vor sich hin – »sollen wir ihm den Zimmermann hinuntergeben, daß er sich beruhigt.«
»Jetzt rasch und keine Zeit mehr verloren« – rief aber Jean den Anderen zu. – »Bill, schafft die Sachen hinauf und dann fort ins Boot.«
Der Zimmermann sträubte sich aus Leibeskräften frei zu kommen oder wenigstens den Knebel aus den Mund zu bringen, daß er den Alarm geben konnte; Jean lag aber mit Riesenkraft auf ihm und jeder derartige Versuch war umsonst.
»Reich' Einer von Euch mir ein Ende« – stöhnte dieser endlich, als der Zimmermann einen Augenblick ruhig lag. – »Hier Bob – bind ihm einmal die Hände zusammen – so – das ist gut. Jim zeig dein Licht noch einmal, hast du sie fest?«
»Die kriegt er nicht wieder los«, lachte Bob zwischen den Zähnen durch – »die Füße auch?«
»Ja, es ist besser – so, nun schlag das hier um den Pfosten – so – noch fester – das wird's thun, und nun noch den Knebel –« und damit nahm er sein eigenes Halstuch vom Nacken und band es dem unbeweglich an den mitten im »Logis« stehenden Pfosten Geschlossenen, fest um den Mund, so daß er nur die Nase zum Athmen frei behalten konnte. »Nun rasch fort«, rief er, als er endlich auf die Füße sprang – »sind die Sachen oben?«
»Dies ist das letzte«, rief Bob, als er zwei Säcke nach der Treppe hob und hinauflangte – »nun, ade Boreas, und bleibt hübsch gesund, Zimmermann. – Wenn nur der Steward die Zeit nicht verschläft.«
Damit sprang er die Treppe hinauf und von den übrigen gefolgt über die Gallion hinunter ins Boot. Jean war der letzte der das Schiff verließ – es regte sich aber nichts darauf. Oben in Sussexstreet hörte er wie die Constabler ihre Stunde abriefen – es war gerade drei Uhr. An der Bay herum fingen hie und da schon die Hähne zu krähen an, und von den Schmelzöfen glühten noch immer die rothen Flammen aus den Schornsteinen heraus – sie hatten die ganze Nacht gebrannt. Sonst schlief ganz Sydney noch und die Bay lag so ruhig, daß die auf sie niederfunkelnden Sterne ihr Licht so rein und ruhig wieder erhielten als sie es gegeben. Kein Lufthauch bewegte das Wasser, und man konnte deutlich den regelmäßigen Schritt der Wache auf einer nicht weit davon vor Anker liegenden englischen Barke hören.
Jean glitt, als er sich überzeugt hatte daß niemand auf ihrem Schiff auch nur das Mindeste von dem Vorgefallenen ahne, wie seine Cameraden vor ihm, an der Ankerkette in das da vorn befestigte Boot hinunter, und im nächsten Augenblick schossen sie, von zwei kurzen Bretern, die als Ruder gebraucht wurden vorwärts getrieben, über die Bay schräg hinüber an's andere Ufer. Dort banden sie das Boot fest, das sich der Eigenthümer, wenn er es haben wollte, am nächsten Morgen selber holen konnte, nahmen ihre Säcke auf die Schultern, und waren im nächsten Augenblick in dem Schatten der dichtbei gelegenen Häuser, zwischen denen sie sich nach verschiedenen Richtungen hin zerstreuten – verschwunden.
Von der ganzen Mannschaft war nur ein einziger – ein Deutscher – an Bord des Boreas zurückgeblieben. – Er hielt sich, ohne daß ihn die anderen vermißten – und als sie ihn vermißten, war es zu spät – ruhig in seiner Coye, band aber auch den Zimmermann nicht los, legte sich, als seine Cameraden das Schiff verlassen, auf die andere Seite, und war bald wieder wirklich fest eingeschlafen.
Fünftes Capitel.
Die Entdeckung
Der Capitän vom Boreas lag in seiner Coye – er hatte den vorigen Abend bös geschwärmt, und der Kopf glühte ihm noch von all den »Brandys hot« und »Brandys cold«, die er in sich hineingegossen. Er träumte – aber was kümmern uns seine Träume, wir können ihn doch nicht länger schlafen lassen.
Der Tag brach eben im Osten an, ja der hellere Schein drängte sich schon durch das obere Cajütfenster, das sogenannte Skylight,4 in die Cajüte. Der Capitän murmelte etwas von »half and half« – er trank gern Porter und Ale zusammen, und mochte wahrscheinlich Durst haben – stöhnte noch ein paarmal, und warf sich dann auf die andere Seite.
Der Steward war indessen ebenfalls munter geworden. – Nicht daß ihn jemand geweckt hätte, sondern mehr von einem halb unbewußten Gefühl aufgetrieben, das uns manchmal, ohne die geringste äußere Einwirkung, aus dem tiefsten Schlafe aufrüttelt, wenn wir uns nur Abends vorher fest vorgenommen haben zu einer gewissen Stunde aufzuwachen.
Es ist das ein Gefühl, das mit unserem Gewissen genau verwandt sein muß, denn es verrichtet, wenn auch nur im Kleinen, denselben Dienst; ja vielleicht wird es von der haushälterischen Natur selber dazu verwandt, wer kann es wissen. Wer von uns ist in die geheimen Gänge und Falten seines eigenen Geistes schon je so weit eingedrungen, um nur mit Bestimmtheit voraussagen zu können, was er in der nächsten Minute selber denken, selber empfinden will? Er kann es nicht.
Mag er seinen Geist alle Kraft anwenden lassen sich nur auf einen einzigen Punkt zu concentriren – es ist umsonst. Irgend eine ihm unbewußte, aber in ihm bestehende Kraft lenkt den Strahl seiner Gedanken, ganz von ihm selber unabhängig, wohin sie eben Lust hat, und schüttelt ihm gerade dann gewöhnlich, wenn er etwas Bestimmtes festhalten will, den ganzen bunten Bilderkram seines Gehirns – diese tollste Rumpelkammer alter Geschichten und Träume – um und um, daß es ihm schwarz und blau vor den Augen wird, und er diese endlich in Verzweiflung schließen muß, nur all dem krausen Wirrwarr zu entgehen. Und selbst das hilft ihm nichts. – Gerade durch die fest auf die Augen gepreßten Finger sieht man das tollste Zeug, und muß zuletzt ruhig seine Zeit abwarten, bis das alles wieder aus eigenem freien Antriebe in seine alten Behälter und Gefache zurückgekehrt und verschwunden ist.
Und wohin bin ich jetzt selber gerathen, von eben diesem wunderlichen Geist geneckt? Halt, ich sprach von dem Steward, der erschreckt von seinem Lager auffuhr.
War er aber noch im halben Schlaf, so brachte ihn der Stoß, mit dem er seine eigene Stirn beim in die Höh fahren gegen den quer durch seine Coye laufenden »Beam« stieß, augenblicklich zur Besinnung, und er sprang jetzt erschrocken aus der Coye, denn zu ihm herein drang das Tageslicht, und um vier Uhr hatte er ja schon wieder auf Deck sein sollen.
Warum mochte ihn denn der Zimmermann nicht geweckt haben? Er lief, ohne sich erst weder die Jacke anzuziehen, noch nach der neben ihm liegenden Mütze zu greifen, an Deck. Alles war hier stumm und still – dem Steward klopfte das Herz wie ein Schmiedehammer, denn er dachte an das was ihm, im Fall wirklich etwas passirt sei, selber bevorstand.
Im »Logis« fand er denn auch nur zu bald seinen schlimmsten Argwohn bestätigt, und den armen Teufel von Zimmermann in der wirklich traurigsten Lage von der Welt. Als er ihm aber das Tuch vom Gesicht band und den Knebel aus dem Mund zog, war es gerade als ob er den Stöpsel aus einer Flasche Weißbier gezogen hätte, denn wie aus dieser der Schaum, so sprudelten aus dem endlich befreiten Munde des Gebundenen jetzt eine wahre Unzahl von Flüchen und Verwünschungen – die alle hier so lange festgestopft gesessen hatten – in solcher Schnelle und Kraft heraus, daß der Steward im ersten Moment wirklich vergaß seine Hände zu lösen, und nur ganz erstaunt und verdutzt neben ihm stand und ihn ansah.
Durch den Lärm munter gemacht, wachte auch der Deutsche auf, und sah aus seiner Coye. Ueber diesen fielen sie nun Beide her und wollten von ihm erfahren, was aus den anderen geworden, und wo sie sich aufhielten. Er wußte von gar nichts – hatte keinen Menschen weggehen hören oder irgend etwas mitgetheilt bekommen, was die Absicht der Entlaufenen betreffen konnte. Er war spät an Bord gekommen, sehr müde gewesen, gleich eingeschlafen und in diesem Augenblick durch das gotteslästerliche Fluchen des Zimmermanns zum erstenmal aufgewacht.
Aus ihm war auch nicht das mindeste herauszubekommen, und dem Steward lag jetzt die höchst unangenehme Pflicht ob, den Capitän von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen, damit dieser augenblicklich seine Maaßregeln darnach nehmen könnte. Er ging in die Cajüte hinunter, zog seine Jacke an, strich sich die Haare aus dem Gesicht und trat zu des Capitäns Coye.
»Capitän Oilytt«, sagte er, als er ihn am Arm faßte und leise schüttelte.
»Brandy hot«, antwortete der Capitän – »der Teufel soll das Ale holen, das brennt wie Feuer.«
»Capitän Oilytt«, wiederholte der Steward. – Wär' er ein Zauberer gewesen, er hätte den Capitän einmal vor allen Dingen einige tausend Jahre so fortschlafen, und nachher in einer kühlen Grotte mit einer wunderschönen verwunschenen Prinzessin wieder aufwachen lassen. So aber konnte er das nicht, und schüttelte ihn noch einmal etwas stärker als das erstemal.
»Sieben Schilling Sixpence« lautete diesmal die hartnäckige Antwort, die sich wahrscheinlich auf irgend eine gestern bezahlte Zeche bezog – »lieber Gott!« – und ein tiefer Seufzer folgte.
»Ja jetzt ruft er den lieben Herrgott an, wenn er nicht weiß was er spricht« – brummte der Steward leise vor sich hin, »und wenn er nachher aufwacht und zur Besinnung kommt, flucht er wie ein Heide. – Und wenn er nur blos noch fluchte. – Ich muß ihn aber wahrhaftig wecken.«
Diesmal wich der tiefe Schlaf dem stärkeren und entschlossenen Schütteln des Dieners, und der Capitän fuhr, die Augen weit aufgerissen, in seinem Bett in die Höhe.
»Was zum Donnerwetter gibts nun?« rief er ärgerlich aus – »kann man denn in des drei Teufels Namen nicht einmal ruhig schlafen bis es Tag ist, daß du Einen mitten in der Nacht herausrütteln mußt? – was ist los? – na? – wird's bald?«
Der Steward, der bis dahin gar nicht hatte zu Wort kommen können, sagte jetzt schnell:
»Capitän Oilytt, die ganze Mannschaft ist fortgelaufen – der Koch und der ganze andere Schwarm. – Nur der Zimmermann und Hans – der eine Deutsche – sind noch an Bord.«
Der Capitän war mit einem Satz aus seinem Bett und mit einem zweiten in seinen Hosen, während er eine wahre Sündfluth von Flüchen ausströmte. Damit wurde die Sache aber um kein Haarbreit geändert. Natürlich hatten der Zimmermann und der Steward die alleinige Schuld, und der zurückgebliebene Deutsche, als der Capitän wie ein Wüthender nach vorn gefahren war, sollte nun gezwungen werden zu beichten. Er wußte aber, dabei blieb er trotz allen Drohungen und Versprechungen – von gar nichts. Er hatte die ganze Nacht, wenigstens von der Zeit an wo er an Bord gekommen, bis zu der wo der Steward den Zimmermann losband, geschlafen. Früher sei, wie er weiter erzählte, allerdings vom Fortlaufen die Rede gewesen, da er aber stets fest erklärt habe daß er nicht mit ginge, hätte man ihm diesmal, wie es schiene, gar nichts davon gesagt.
Der Capitän schäumte vor Wuth. – »Das kommt davon«, rief er, »daß ich mich mit dem verdammten fremden Gesindel eingelassen habe. – Hätte ich lauter Engländer gehabt, wäre das nicht geschehen. – Aber wartet, wartet Canaillen, Euch will ich ein Gericht einbrocken, auf das Ihr nicht gerechnet haben sollt, und hab ich Euch erst wieder, dann Gnade Euch Gott. Dann geb ich Euch mein Wort drauf, Ihr sollt Euch lieber in der Hölle als bei mir an Bord wünschen. – Und du Steward, vor allen andern, du verdientest überhaupt, daß ich dich an die Railing binden und dir 25 aufzählen ließ – du – Holzkopf du.«
Und damit schoß er wie ein Pfeil in seine Cajüte hinunter, in seine Kleider hinein und dann an Land, die Anzeige bei der Wasserpolizei von den Entflohenen zu machen und eine Belohnung auf ihren Fang zu setzen.
Kaum war er aber fort, und ehe sich der Steward noch von dem ersten Erstaunen über die entsetzliche Drohung erholen konnte, so kam der erste Mate schon auf ihn zu, faßte ihn am Kragen und überschwemmte ihn mit einer wahren Fluth von Schimpfreden.
»Du Lump!« – rief er, »bist der einzige der die ganze Geschichte zu verantworten hat. – Warum hast du nicht aufgepaßt, – heh? – was zum Donnerwetter hast du denn sonst auf der Welt zu thun? – wozu bist du nütz?« –
Nach diesem Ausbruch innerer Gefühle stieg er an Deck und lief eine gute Stunde das Quarterdeck auf und ab. Der Steward fing indessen an die Tische unten abzuwischen. Er hatte aber noch nicht einen fertig, als der zweite Mate ebenfalls den Kopf hereinsteckte.
»Du bist doch das nichtsnutzigste miserabelste Stück Takelwerk am ganzen Bord«, sagte er, und sah den Steward an als ob er ihn mit Haut und Haaren, und ohne Pfeffer und Salz verschlingen wolle. – Damit schlug er die Thür wieder zu und ging ebenfalls an Deck. Er war die halbe Nacht an Land gewesen, und erst um Mitternacht an Bord gekommen.
Der Steward aber setzte sich mit dem Abwischtuch in der Hand am Tische nieder, schüttelte in einem fort mit dem Kopf und murmelte leise vor sich hin.
»Na, nu wird's Tag – ich habe die Schuld – ich bin die alleinige Ursache, daß die anderen fortgelaufen sind. – Natürlich – wenn ich nicht meine zwei Stunden geschlafen hätte, wo die anderen auf Wacht waren, hätte das alles nicht geschehen können. Na, das wird eine schöne Reise werden – ich glaube wahrhaftig, es wäre das Beste ich liefe auch fort – nachher wär ich denn doch neugierig wer die Schuld davon hat – ich wieder; natürlich. Und wieder kriegen? – wenn sie die wieder kriegen freß' ich sie – alle zusammen.« Und mit diesem kannibalischen Entschluß stand er auf und begann seine Arbeit auf's neue.
Sechstes Capitel.
Sydney im Dunkeln
Eine ganze Woche war verflossen, und noch immer lag der Boreas an seinem alten Platze am Werft, ohne, trotz der darauf gesetzten Belohnung, einen einzigen von seinen Leuten wieder bekommen zu haben. Natürlich konnte er, mit einem Mann an Bord, auch nicht in See gehen, und andere Matrosen waren ebenfalls nicht zu bekommen. Der Capitän hatte schon, der schlechten Behandlung seiner Leute wegen, einen solchen Namen in Sydney bekommen, daß niemand mit ihm segeln wollte und der Goldschwindel machte überdies die Leute die extravagantesten Preise fordern.
Natürlich mußte er unter der Zeit Arbeiter annehmen, die an Bord nothwendigen Geschäfte zu verrichten, und an diese ebenfalls sehr theuren Lohn bezahlen; das ging aber freilich alles aus der Tasche der weggelaufenen Leute und zwar von dem ihnen gut stehenden Geld was sie an Bord zurückgelassen – vorausgesetzt, natürlich, daß man sie wieder bekam. Wurden sie wieder eingefangen, so hatten sie die Arbeiterkosten für fremde Hülfe, wie selbst den auf ihr Einfangen gesetzten Preis von dem ihnen noch gut stehenden Geld, oder von ihrer nächsten Reise – und wenn die nicht zulangte, von der nächstfolgenden – zu bezahlen.
Die Wasserpolizei war indessen, wie sie sagte, sehr thätig gewesen die Leute wieder einzubringen, oder wenigstens auf ihre Spur zu kommen, doch ohne Erfolg. Es war erst ein Pfund Sterling auf den Kopf gesetzt, und man konnte nicht gut erwarten, daß sie sich den Preis muthwillig verderben sollten, da er mit der Zeit von selber steigen mußte.
Der Capitän hoffte indessen das meiste von dem Sonnabend Abend, wo sich die Matrosen in Sydney gewöhnlich am freisten gehen lassen und, wenn sie erst einmal ins Trinken kommen, nicht mehr die sonst kaum vergessene Vorsicht gebrauchen, die Straße oder alle öffentlichen Häuser zu vermeiden. Von vielen anderen Schiffen war ebenfalls die Mannschaft fortgelaufen, und die ganze Wasserpolizei sollte an diesem Abend auf den Beinen sein. Die beiden Steuerleute des Boreas hatten sich ebenfalls erboten mit den Steuerleuten noch zweier anderen Schiffe, je zwei mit einem Polizeidiener zu gehen, um, falls sie einen der Ihrigen treffen sollten, ihn gleich zu kennen und festhalten zu können.
Um sieben Uhr setzte sich der ganze Zug in Bewegung, zerstreute sich aber bald nach verschiedenen Richtungen hin, um mehrere Stadttheile auf einmal durchstreifen zu können, und man bestimmte nun einen Platz am entferntesten Ende der Stadt, wo man sich um 12 Uhr Nachts treffen und die gemachten Beobachtungen mittheilen wollte. Bis ein Uhr Morgens ist es auf den Straßen stets lebendig.
Der erste Mate vom Boreas, der zweite von einer anderen englischen Barke und ein Polizeidiener nahmen den oberen Theil der Stadt Georgestreet, Pittstreet und was dort in der Nähe lag, obgleich in Georgestreet, als der Hauptstraße der Stadt, wohl kaum einer der Weggelaufenen anzutreffen sein mochte. Sie wagten sich schon nicht in diesen Stadttheil, wo eine so zahlreiche Menschenmenge fortwährend hin- und wiederströmte, und zwischen diesen leicht jemand sein konnte der sie kannte und den Händen der überall postirten Constabler übergab. Nichtsdestoweniger gingen die drei Männer Georgestreet hinauf und bogen dann oben links ab, durch Liverpoolstreet in Pittstreet hinein, vor allen Dingen einmal das »goldene Kreuz«, was ihnen als der frühere Hauptaufenthaltsort der Leute des Boreas beschrieben war, zu revidiren.
Es war noch zu früh am Abend um schon viel Gäste in den Wirthshäusern anzutreffen; die meisten wanderten noch in der Nähe des Markthauses und durch den Markt auf und ab, und erfreuten sich des schönen mondhellen Abends. Dennoch saßen etwa zehn oder zwölf Männer, meistens Matrosen, an den verschiedenen Tischen, und in einem der kleinen Verschläge, wo zwei Seeleute ihre beiden Mädchen mit hineingenommen hatten und ihnen dort zutranken, ging es besonders lustig und auch laut zu.
Der Mate vom Boreas warf einen schnellen aber forschenden Blick über sämmtliche Gäste hinüber, und trat auch in das kleine »Privatzimmer«, in das er indiscret genug und, von einem »what do you want« der darin Sitzenden angeschnauzt, hineinschaute, konnte aber kein bekanntes Gesicht entdecken. Mrs. und Mr. Mac Carther warfen sich übrigens einen Blick zu, den sie beide zu verstehen schienen, und die »Dame« wandte sich dann mit der größten Freundlichkeit an die Neuangekommenen, und frug was sie zu trinken wünschten. Sie ließen sich eine Flasche Porter und drei Gläser geben, und setzten sich an einen der Tische.
Polly ging ab und zu, und schien besonders mit dem Polizeidiener, einem jungen, hübschen und schlanken Mann, gut bekannt zu sein. Als Mr. Mac Carther die zweite Flasche auf den Tisch setzte, stand der junge Mann von der Wasserpolizei auf und ging hinaus – wenige Minuten darauf folgte ihm Polly – sie standen beide in der offenen Hausthür.
»Polly«, sagte der Polizeidiener, und hob ihr mit dem rechten Zeigefinger das Kinn empor – »wo sind die Leute vom Boreas, die Ihr versteckt habt?«
»Die Ihr versteckt habt?« sagte das Mädchen schnippisch und schnell, und schlug den Finger mit der verkehrten Hand weg – »die Ihr versteckt habt? – was gehen mich die Leute vom Boreas oder irgend einem anderen »aß« an, und was hätt' ich davon, Matrosen zu verstecken? – Wenn Ihr mir weiter nichts zu sagen habt, Mr. Naseweis, dann seid so gut und laßt mich ein andermal zufrieden.« Und damit wollte sie sich von ihm losmachen und wieder ins Schenkzimmer gehen. Charles, wie der junge Mann hieß, faßte aber ihre Hand und sagte schmeichelnd: – »Sey nicht närrisch, Polly – du verstehst wie ichs meine, und daß ich recht gut weiß wie du selber nichts damit zu thun hast – obgleich mir Gerüchte zu Ohren gekommen sind von einem jungen Franzosen der –«
»Charles«, sagte das Mädchen, und schien ernstlich böse zu werden, »du hast es heut Abend ordentlich darauf angelegt mich zu ärgern, und ich antworte dir keine Sylbe weiter.«
»Was das betrifft, mein Schatz«, lachte der andere, während er jedoch die Hand des Mädchens noch immer fest dabei hielt – »so hast du mir auch noch gar keine Sylbe geantwortet. – Ich weiß aber, daß du ein vernünftiges Mädchen bist – du hast mir davon schon zu viele Proben gegeben, so laß uns denn auch ohne weitere Umschweife ein vernünftiges Wort miteinander reden. Auf das Einfangen der Leute vom Boreas wird in der nächsten Woche, wenn der Capitän erst einmal weg muß, ein sehr bedeutender Preis gesetzt werden – wenn du die Hälfte davon verdienen kannst, wirst du doch vielleicht zusehen, ob du mir ein oder das andere von Mr. und Mrs. Mac Carther herausbekommen kannst?«
»Du glaubst doch nicht etwa«, fiel ihm das Mädchen rasch in die Rede, »daß Mr. und Mrs. Mac Carther weggelaufenen Matrosen in ihrem eigenen Hause …«
»Gott bewahre«, unterbrach sie Charles lachend »da sind sie beide viel zu vernünftig dazu, als daß sie sich einer solchen Gefahr aussetzen sollten – es stehen 50 Pfund Sterling Strafe darauf. – Nein, aber sie – haben doch manches – oh hol's der Henker, du bist klug genug, und dir brauch ich doch weiter keine Erklärung zu geben.«
Das Mädchen sah einen Augenblick vor sich nieder und sagte dann leise –
»Wie hoch wird die Belohnung etwa sein?«
»Wie hoch? nun unter vier Pfund Sterling per Mann auf keinen Fall, wahrscheinlich aber sechs, und wie viel sind es gleich – vier, sieben – neun, nicht wahr?«
Das Mädchen sah zu ihm auf und schüttelte verschmitzt mit dem Kopf – die Falle war ein klein wenig zu plump gewesen. Charles mochte das auch wohl fühlen, denn er wurde bis über die Ohren roth, sagte aber gleich darauf lachend – »bitt' um Entschuldigung, ich hatte ganz vergessen, daß du gar nichts davon weißt. Doch genug für jetzt. Mir liegt selber nichts daran, daß wir sie heut Abend erwischen sollten, und sind sie in der Nähe, so thäten sie sehr wohl sich ein wenig von den Straßen oder aus den öffentlichen Trinkhäusern zu halten, sie könnten sich sonst leicht morgen an einem Orte finden, auf den sie Heute schwerlich gerechnet haben. Also good bye, Polly, sei ein gut Mädchen und halte die Augen offen.«
Damit trat er mit ihr in den dunklen Gang zurück, zog sie etwas näher an sich und – doch es war zu dunkel etwas weiter zu erkennen. Als aber gleich darauf die Thür aufging, stand Charles vorn im Haus, und Polly kam, allem Anschein nach eben vom Hof, und trat in die Schenkstube.
Als Charles wieder in die Stube kam, hatten die beiden Steuerleute schon die Zeche bezahlt und sich zum Fortgehen gerüstet. – Sie hielten sich erst einmal vor allen Dingen nach der Rowson oder Rosenstraße hinüber, wo ein freier eingezäunter Platz die eine Reihe Straßen begrenzt und die Matrosen, in der Nähe zahlreicher verrufener Häuser gern umherschlendern. Obgleich sie aber manchen von diesen begegneten, und alle scharf ins Auge faßten, war doch keiner der rechten darunter. Einmal freilich glitt eine dunkle Gestalt rasch und flüchtig vor ihnen hin, verschwand aber auch gleich darauf durch die dort hohe Pallisadenfenz, in eine kleine Thür, die sich hinter ihm schloß. Es war dies kein öffentliches oder Kosthaus, und der Polizeimann hätte erst einen »warrant« ausnehmen müssen, ehe er ein Privathaus untersuchen durfte. Oft blieb Charles aber eine kurze Strecke zurück, und flüsterte hie und da mit einer, im Schatten irgend eines niedern Hauses, neben einem erleuchteten Fenster stehenden weiblichen Gestalt – er schien mit allen Winkeln und Höhlen der ganzen Stadt bekannt zu sein.
Es war etwa neun Uhr als sie nach Pittstreet zurückkamen; hier hatte sich indessen manches verändert, und die im Anfang noch ziemlich öde Straße wimmelte jetzt, besonders in der Nähe des Theaters, von Menschen. Dem Theater gerade gegenüber sind eine Anzahl kleiner Spelunken oder Trink- und Tanzhäuser nur von liederlichen Dirnen besucht, zu denen sich die Menschen förmlich drängten. Unsere drei Wanderer traten ebenfalls ein, und zwar zuerst in das bedeutendste, das sogenannte »Shakespeare Haus.«
Unten befand sich die sogenannte Bar – ein Schenktisch mit den dazu gehörigen Vorräthen von Flaschen und Gläsern; dahinter ein kleines Zimmer für solche die ruhig ein Glas Bier trinken wollten. Beide Locale waren aber fast leer von Gästen, und doch sollte dies Haus ungemein großen Absatz haben. Außer diesen beiden Zimmern hatte es aber auch noch andere Räume. Gleich neben der Bar, von dieser nur durch eine Mauer getrennt, und mit einem aparten Eingang von der Straße, ging eine schmale Treppe in die erste Etage hinauf, wo der ganze Raum in zwei große Locale getheilt war. Das eine war ein hoher Saal, dessen äußerstes Ende ein statuenartig und lebensgroß gemaltes Bild Shakespeare's zierte.
Der große Dichter stand aufrecht da und überschaute mit einem merkwürdigen Zug unendlicher Gleichgültigkeit das ganze wilde Treiben um sich her. Der Maler hatte in diesem Bild sicher eine schwere Aufgabe gelöst, und Shakespeare wenigstens an Gestalt, Kleidung und Gesichtszügen kennbar, zugleich aber auch mit einem so nichtssagenden faden Gesicht hingestellt, daß man dem Bild, da der Maler gerade nicht bei der Hand war, die erste beste Flasche hätte an den Kopf werfen mögen. Rings an den übrigen Wänden waren Scenen aus Shakespeare's Werken, colorirt, dargestellt, mit gerade solchen Gesichtern als sie der Shakespeare geschaffen haben würde. – Der Sturm und Romeo und Julie, König Lear und Fallstaff hatten besonders dazu herhalten müssen, und auf einem Bild stand eine lange schwarze Figur mit einem Barrett auf dem Kopf und einer Kegelkugel in der Hand, und sah ums Leben aus, als ob sie eben im Begriff wäre alle neun zu schieben. – Das sollte Hamlet sein.
Es war noch ziemlich leer im Saal; in der äußersten linken Ecke stand ein altes, abgepauktes Pianino wie ein Luftspringer auf einem Dorfe, der sich auf die Hände stellt und mit den Füßen an der Wand hinaufreicht. – Vor diesem saß ein junger Mann, der Horn an den Fingern haben mußte, denn er schlug unablässig eine alte Polka von vorn bis hinten durch, und fing, wenn er hinten fertig war, vorn wieder an. Neben ihm stand ein kleiner Junge mit einer Violine, der ihn zu begleiten suchte, aber nicht mit kommen konnte. Allerdings hielt er ziemlich Tact mit ihm, aber er konnte ihn nur nicht einholen. – Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, die Augen traten ihm aus dem Kopf, die Finger gingen in rastloser Hast auf den gequälten Saiten auf und nieder, aber vergebens – zwei Noten war er regelmäßig hinter ihm. Hätte der Clavierschläger nur eine Secunde gewartet – nur den Gedanken einer Secunde – aber nein – vorwärts, unaufhaltsam vorwärts ging es, wie die wilde Jagd – kein Rückblick, außer für die, denen das Gesicht auf den Nacken gedreht war – und der Violinspieler gab die Verfolgung endlich in Verzweiflung auf.
Rings an den Wänden hin standen Bänke und Sophas; unter der Shakespearestatue der beste, und auf diesem lag lang ausgestreckt ein junges wunderhübsches Mädchen in einem seidenen, oben hochanschließenden Kleid, unter dem die kleinen zierlichen Füße nur eben mit den Spitzen hervorschauten. Ihre Beschäftigung war, wie sich das unter einer Shakespearestatue auch gar nicht anders denken läßt, eine rein geistige – sie schlürfte ein Glas Brandy und Wasser, und stellte das Glas als sie es ausgetrunken der Bequemlichkeit wegen vor sich auf die Erde nieder.
Auf den anderen Sophas und Bänken saßen viele andere Mädchen und junge Leute – von den ersteren einige sehr elegant gekleidet, mit Hüten und Schleiern und großen Shawls, andere wieder mit schlicht zurückgekämmten Haaren und kattunenen Kleidern. Ebenso großer Unterschied war bei dem männlichen Geschlecht, von dem feingekleideten Stutzer bis, in einzelnen Fällen, zum einfachsten Matrosen herunter, so standen, saßen und lehnten sie in den buntesten und verschiedenartigsten Gruppen umher. – Nur der eine Unterschied war doch wohl, daß die Mädchen alle einem bestimmten jugendlichen Alter angehörten, während sich unter den Männern auch sogar einige aus dem »besten« befanden, die mit noch recht jugendlichem Anstand scheinbar theilnahmlos hin- und herwanderten, oder an einem der Tische ihren »Portwein St. Gris« sippten.
Der Tanz hatte aber noch nicht begonnen – der verzweifelte Wettlauf der beiden Musici schien nur erst eine Vorübung gewesen zu sein.
Unsere drei Freunde fanden hier übrigens nicht was sie suchten, und Charles meinte, sie wollten lieber später noch einmal hierher zurückkehren, und erst nebenan in die anderen Locale hineinsehen. Es sei wahrscheinlicher, daß sich einzelne der Leute, wenn sie sich überhaupt in ein öffentliches Local getraut, eher dort als hier aufhalten würden.
Ehe sie übrigens die Treppe wieder hinuntergingen, traten sie noch einen Augenblick in das nach vorn hinaussehende Zimmer. Drei junge Mädchen saßen hier an dem mittleren Fenster und schauten nach dem gegenüberliegenden Theater hinüber; ein paar andere lehnten in verschiedenen Sophaecken und schienen zu schlafen, und an dem Tisch stand eine sechste im eifrigen aber leise geführten Gespräch mit einem jungen Mann, der sehr elegant gekleidet war, und augenscheinlich den höheren Ständen angehörte.
Hier war weiter nichts für sie zu thun – sie stiegen die Treppe hinunter, bogen rechts ab, und traten in das erste Local hinein, das sie drei oder vier Thüren weiter hin fanden. Wilder Lärm tönte ihnen schon bei ihrem Eintritt entgegen, aus dem Saal hinter der Bar kreischten die schrillen Töne einer Violine hervor, und kaum hatten sie diesen Platz betreten, als sie auch in eine wahre Wolke von Tabaksqualm und Brandygeruch eingehüllt waren.