Kitabı oku: «Aus zwei Welttheilen, Erster Band.»
Heimweh und Auswanderung.
Skizze
Vor Jahren, und noch nicht einmal vor so gar langen Jahren, war eine Reise von mehr als zwanzig Meilen ein Gegenstand, der nicht allein jede nur erdenkliche Vorbereitung erforderte, sondern den Reisenden selbst fast wie einen tollkühnen Wagehals erscheinen ließ, der sein eigenes Leben und die Ruhe seiner Verwandten und Freunde keinen Deut hoch achtete, sondern nur, ein zweiter Robinson Crusoe, Lust habe, seine Tage unter Wilden und Cannibalen zu beschließen. Damals standen noch wohlbeleibte Wirthe mit den dicken, gemüthlichen Gesichtern in der Thür ihrer Gasthäuser und unter den an starken eisernen Stäben hin- und herknarrenden Conterfeys von rothen Drachen oder noch rötheren Potentaten, sahen die alte, wohlbekannte Landkutsche halbe Stunden lang bedächtig auf der ausgefahrenen Straße heranrasseln, und berechneten schon im Voraus, für wie viel Gäste die hochlägerigen, schneeweiß überzogenen Betten hergerichtet, wie viel Paar Pantoffel zum Wärmen an den Ofen gestellt werden müßten.
Jetzt dagegen zischen und schnauben keuchende Locomotiven ihre eiserne Bahn entlang – die Drachen und Potentaten sind (beide jedoch nur von den Wirthshausschilden) verschwunden und haben französirten Hotels – »de Leipsic, de Katzenellenbogen etc.« – Platz gemacht, und langbeinige, dünnleibige Wirthe und Kellner stürzen, mit ganzen Armladungen voll Erfrischungen, von Coupee zu Coupee, um die nie mehr einkehrenden Passagiere zu veranlassen, ihr Geld im Fluge zu verzehren.
Der Ocean hält mit dem festen Lande Schritt; sonst nannte man eine Fahrt von Hamburg nach Helgoland eine »Seereise«, jetzt heißen die, zwischen Newyork und Liverpool »spielenden«, ungeheueren Packetdampfschiffe »Fährboote«, und Pianofortes und Brüsseler Spitzen werden nach Gegenden hingeschafft, in denen noch vor kurzer Zeit Schellen und Glasperlen als Wunderwerke der Kunst galten.
Der Mensch selbst bleibt dann natürlich nicht hinter dem Fortschritt der Länder zurück – der enge Kreis, der sonst den Hausvater an die Scholle bannte die er bewohnte, wird ihm jetzt zu eng, und wenn er die Seinen nicht verlassen kann, ei nun, so nimmt er sie mit zu anderen Zonen. Ein mit dem Vaterland Zerfallener – ein »Weltschmerzdurchtobter« – dachte früher nur selten daran, die alten Ketten und Verhältnisse, die ihn bisher gebunden, abzuschütteln und auf neuem Boden, von der neuen, lebensfrischen Keimkraft einer anderen Welt durchglüht, ein ebenso neues, ein ebenso frisches Leben zu beginnen, – das Wort »Europamüde« stand noch in keinem deutschen Wörterbuch. Jetzt ziehen Tausende von ruhigen Landleuten, die bis dahin von Schiffen keine anderen kannten als Weberschiffe, und das Wasser, außer dem Hausgebrauch, nur noch zum Mühlentreiben verwendbar hielten, mit schwellenden Segeln über brausende Wogen hin, einer neuen, ferngelegenen Heimath zu, und befinden sich auch dort schon, nach ganz kurzem Aufenthalte so wohl, so bekannt, als ob sie zwischen lauter Negern und Mulatten aufgewachsen wären, und von frühester Kindheit an nichts Anderes gegessen hätten, als Maisbrod und Ananas.
Deutschland, das sonst so ruhige, gemüthliche Deutschland, ist auf Reisen gegangen; Michel hat Schlafrock und Pantoffeln ausgezogen, und am Ganges, Nil und Niger, am Amazonenstrom wie am Mississippi verlangt er von dem aufs Aeußerste erstaunten Echo, ihm »Ei du lieber Augustin« und »schöner grüner Jungfernkranz« nachzusingen.
Betritt nun der Deutsche amerikanischen Grund und Boden, und ist ihm selbst die Sprache fremd, die er von lauter fremden Menschen sprechen hört, dann erfaßt ihn gewöhnlich zum ersten Mal jenes Gefühl gänzlicher Verlassenheit, das er selbst bei dem Abschied aus der Heimath, als er den letzten blauen Streifen des Vaterlandes in nebliger Ferne schwinden sah, noch nicht empfand. Damals, in ganz neuer, fremdartiger Umgebung, wo Scene nach Scene wechselte, und jede nachfolgende immer wieder frischeres, lebendigeres Interesse bot, – noch dazu von lauter Landsleuten umgeben, die nur über Sachen sprachen die ihm selbst bekannt, mit denen er selbst vertraut war, fühlte er, glaubte er noch nicht, daß der letzte Faden zerrissen sei, der ihn an vaterländische Erde band, – er war nur eben unterwegs, und das Meer, in dessen wundervolle Bläue er jetzt hineinstarrte, umfluthete ja auch den heimischen Strand.
So vergrößerte sich nach und nach die Entfernung, ohne daß er im Stande war einen Maßstab anzulegen, wie er von Stunde zu Stunde alles Das weiter zurückließ, an dem bis jetzt sein ganzes Herz gehangen, und das ihm durch Liebe und Gewohnheit heilig geworden war.
Der erste Schritt auf fremder Erde zerstört den Wahn – von seinen Reisegefährten trennt ihn gewöhnlich bald irgend ein anderer Plan, trennen ihn andere Interessen, andere Ansichten – er verliert sie in dem ihn umtosenden Gedränge aus den Augen, und erst dann – erst in dem Augenblick steigt mit einem Schlage die ganze starre Wahrheit vor ihm auf: du bist im fernen, fremden Land allein.
In der Zeit schließt er sich an Jeden an, der deutsch spricht – in der Zeit glaubt er einem Jeden, der ihm versichert, daß er es gut und ehrlich mit ihm meine – ach seine ganze Seele hängt ja an dem Glauben. Nur zu häufig fällt er aber auch dann gerade in die Hände listiger Speculanten, die, in der amerikanischen Schule gestählt, jeden fremden Einwanderer, komme er nun aus der eigenen Heimath oder wo anders her, wie einen Schwamm betrachten, den sie so lange drücken und kneten, als noch ein Tropfen Wasser in ihm enthalten ist, und erst dann, nachdem sie sich ihres Erfolgs vergewissert haben, wie ein abgenutztes Handwerkszeug bei Seite werfen.
Der also Mißbrauchte sieht sich so von Jedem, dem er mit treuem Herzen vertraute, hintergangen und verspottet, und jetzt stürmen urplötzlich all die tausend und tausend gehörten und für Märchen gehaltenen Geschichten auf ihn ein, durch die er in der alten Heimath vor solchen Freunden gewarnt worden war. Er gleicht jetzt dem Knaben, der sich, schon unter Wasser, noch deutlich daran erinnert, daß ihm Jemand gesagt hätte, das Eis würde nicht halten. Er ist aber einmal durchgebrochen, und nur starkes, kräftiges Ringen kann und wird ihn wieder an die Oberfläche bringen.
Nun sind es allerdings großentheils Deutsche, die in den Seestädten Amerikas einzig und allein darauf auszugehen scheinen, ihre Landsleute durch falsche Verkäufe, Landspeculationen oder sonstige Betrügereien zu hintergehen; das hat aber hauptsächlich darin seinen Grund, daß der Amerikaner nur selten Deutsch genug versteht, sich des eben Eingewanderten Vertrauen zu erwerben und Vortheil aus ihm zu ziehen, sonst wäre er der letzte, der sich ein Gewissen daraus machen würde, ein greenhorn1 hinters Licht zu führen.
Der Amerikaner hat überhaupt, besonders im Handel, wunderliche Begriffe von Ehrlichkeit, und hält Manches für erlaubt, was wir nach unseren Ansichten unmöglich billigen könnten. Ich brauche da nur an die aus Kien gedrehten Muskatnüsse, an hölzerne in Leinwand eingenähte Schinken, an aus Kartoffeln und rothem Flanell gestopfte Würste, und an viele andere Betrügereien zu erinnern, die den Schuldigen vor Gericht allerdings verdammt hätten, denen aber der Amerikaner selbst seine volle Bewunderung zollt und einen solchen Pfifficus höchstens einen »deuced smart fellow«, einen »verwünscht schlauen Burschen« nennt.
Nun ist es aber nicht allein das Vertrauen gegen Andere, vor dem sich der neu eingewanderte Deutsche besonders zu hüten hat, sondern auch das in sich selbst, was ihm nicht selten noch größeren Schaden thut als das erste, denn jenes kostet ihm gewöhnlich nur Geld und er gewinnt dafür Erfahrung, das andere aber kostet ihm seine Zeit und die kann ihm Nichts wieder ersetzen.
Ich möchte hier übrigens nicht mißverstanden werden, denn ich will keineswegs damit sagen, daß der Europäer nicht auf seine eigenen Kräfte, auf seine eigene Ausdauer und Beharrlichkeit vertrauen solle. Nein im Gegentheil, ein solches Vertrauen ist sogar unumgänglich nöthig, er würde sonst untergehen in Zweifel und Unentschlossenheit; er soll sich aber nicht einbilden daß er nach Amerika gekommen ist, um die Eingeborenen durch seine eigene Geschicklichkeit in Erstaunen zu setzen – er soll nicht, ohne vorher zu prüfen, seine Manier zu arbeiten für die bessere, seine Werkzeuge für die einzigen guten halten – er soll seine eigenen Fähigkeiten nicht zu hoch anschlagen und selbst da noch lernen, wo er sich schon vielleicht für geschickter und klüger als Die hielt, mit denen er zusammentraf.
Der Amerikaner ist viel praktischer als der Deutsche – er hat sich aber auch nicht aus dem alten Schlamm, aus geistigem und körperlichem Zwang erst herauszuarbeiten gebraucht, wie wir das noch jetzt mit Händen und Füßen, ja oft auf dem Bauche liegend, im Begriff sind zu thun. Er hat das Joch, was ihn zu drücken erst anfing, abgeschleudert und nun, ein freier Staat, die freie Bahn frisch und fröhlich verfolgt. Nicht durch Zunft oder anderen Zwang niedergehalten, von allen Ländern der Welt die Repräsentanten in seiner Mitte, konnte er prüfen und wählen und der Erfolg hat bewiesen, wie er nicht blind war gegen das Bessere.
Daher geschieht es denn gewöhnlich, daß sich besonders der deutsche Handwerker im Anfang gar nicht in die Behandlungsart seines eigenen Gewerbes hineinfinden kann, und selbst der Meister zu seinem nicht geringen Erstaunen noch lernen muß. Hier in Deutschland kommt es besonders darauf an, daß eine Sache gut und dauerhaft gearbeitet sei; der Vater will ein Stück, das er für sich selber machen läßt, auch noch auf den Sohn vererben, dort hingegen soll nur Alles schnell und in Masse fertig werden, und der Amerikaner wird daher stets den schnellen Arbeiter dem guten vorziehen. Schuhmacher z. B., die zwei bis drei Paar Schuhe in einem Tage machen, gehören keineswegs zu den Seltenheiten. – Hie und da, in großen Städten, findet man Anschläge, wo »schwarze Wäsche« in einer Stunde gewaschen, getrocknet und geplättet wird. – Häuser scheinen über Nacht aus dem Boden zu steigen, ganze Städte wachsen in wenigen Monaten heran und ein ewiges Drängen und Treiben schüttelt die Amerikaner selbst aus einem Staat in den anderen, aus einem Geschäft in das andere.
Der Lebenszweck ist: durch die Welt zu kommen, und womöglich ehrlich, das wie ist aber auf jeden Fall sonst Nebensache. Was also hier in Deutschland einem Menschen zur Schande gereichen, oder über das der Philister wenigstens sehr stark den Kopf schütteln würde, das öftere sogenannte »Umsatteln« wird dort nicht allein für natürlich, sondern sogar für lobenswerth gehalten, weil es beweist, wie der unstät von Einem zum Anderen Wechselnde das für ihn Passende zu finden sucht, und man ist überzeugt, er wird, wenn er es findet, nicht langsam in der Benutzung desselben sein.
Daß Einer heute Zimmermann, morgen Straßenarbeiter, übermorgen Doctor, nachher Landmann, Maler, Schuster, Matrose, Apotheker, Händler u. s. w. ist, fällt Keinem auf, und gerade diese unbegrenzte Arbeitsfreiheit hat Amerika seinen ungeheuern Aufschwung gegeben. Dort treibt ein Jeder nicht etwa Das, wozu ihn die Laune seiner Aeltern oder seiner Geburt verdammte, sondern Das, was seinen eigenen Neigungen und Fähigkeiten entspricht, und ist daher auch im Stande, es zu einer Vollkommenheit zu bringen, zu der er sich noch mehr durch unbegrenzte Concurrenz getrieben sieht.
Das sollte aber auch den Einwanderer vor einem Fehler warnen, in den er nur zu oft von allem Anfang an fällt – daß er nämlich Dasselbe dort treiben will und es durchsetzen zu müssen glaubt, was er hier im alten Vaterlande getrieben. Es ist gerade so, als ob er nun auch noch immer in das alte Wirthshaus gehen wollte, in das er seit Jahren gegangen; ja lieber Gott, das liegt Tausende von Meilen hinter ihm, und eine neue Welt ist's, die ihn umgiebt, eine neue Welt ist's also auch, der er sich anpassen, der alte Adam ist's, den er mit dem alten Schlafrock ausziehen muß.
Dazu kommt noch, daß viele Gewerke in Nordamerika gar keine Kundschaft haben, so z. B. würden Weber, wenn sie es dort durchsetzen wollten, vor dem Webstuhl ihr Brod zu verdienen, verhungern müssen – was gewebt wird, geschieht auf Maschinen oder von Frauen – Spitzenklöppler dürften ebenso wenig daran denken, ihr Geschäft in Amerika zu treiben – Hufschmiede müßten sich den steinigen Norden oder gebirgige Strecken suchen, da im Süden kein Mensch daran denkt, ein Pferd beschlagen zu lassen u. s. w. Michel muß also, wenn er einmal überhaupt eine so große Reise angetreten hat, total aus sich herausgehen und ein ganz anderer Mensch werden.
Der Arme aber, der hier nur Sklave und Knecht war, der hier wie ein Pferd arbeitete, um zu leben, und für einen Tag Krankheit zwei Tage hungern mußte, um die Sache wieder ins alte Gleis, d. h. auf sein früher reducirtes Nichts zu bringen, wird dort auf einmal finden, daß er mehr als ein bloßer Zahn in einem Maschinenrad ist, daß er auch noch Menschenrechte hat, die dort gelten und anerkannt werden. Er braucht auch nicht mit Thränen auf seine Kinder zu blicken, weil er im Geist voraus sieht, welch fürchterliches Leben sie durch lange endlose Jahre dahin zu schleppen haben; denn gerade die Kinder sind es, die nachher tausendfältig ernten, was die Aeltern, vielleicht immer noch unter Sorgen und Entbehrungen, gesäet haben. Für den Armen, der arbeiten will, ist daher Amerika noch ein Land der Verheißung, und alle die, die es gut mit den Unglücklichen meinen, sollten der Auswanderung derselben nicht allein nicht im Wege sein, sondern sie eher und so viel als möglich unterstützen helfen.
Daß dort Alle gedeihen, daß es dort Allen gut gehen soll, wer könnte das verbürgen – schon ihre ganze Erziehung hier, die Abhängigkeit, in der sie von Jugend auf gelebt, läßt sie dort anfänglich in einer Freiheit umhertaumeln, die sie nicht verstehen, deren Werth sie noch nicht begreifen können. Allerdings sagen sie es sich wohl oft, recht oft laut und in Gedanken vor: »Hier sind wir Alle gleich, hier trennt uns kein Unterschied des Ranges mehr«, aber vor jedem guten Rock bücken sie sich, weil sie den verwünscht schwachsinnigen Gedanken noch nicht abschütteln können, daß in einem bessern Stück Tuch auch nothwendig ein besseres Stück Fleisch stecken müsse, als sie selbst unter ihrer wollenen Jacke tragen. Das verliert sich aber nach und nach, sie lernen ihren eigenen Werth erkennen, und der deutsche Farmer ist durch seine Arbeitsamkeit und offene Ehrlichkeit der geachtetste Bürger der Staaten.
Anders, aber nicht etwa besser steht es dafür mit Denen, die in den Städten kleben bleiben und nun dem Endzweck der Amerikaner huldigen und Geld, nur immer Geld zu verdienen suchen, während ihnen das Wie dabei als eine nicht zu beachtende Nebensache erscheint.
Du kannst im Großen nichts verrichten,
Und fängst es nun im Kleinen an.
Zu dem Großen fehlen ihnen die Mittel, fehlt ihnen der Geist – von klein auf krämern sie sich nach und nach hinauf. Stege, die der Amerikaner ihres Schmutzes wegen nicht einschlagen will, benutzen sie mit Freuden, und haben sie endlich ihr Ziel erreicht – ist es ihnen gelungen ein kleines Vermögen zu erwerben, das sie unabhängig dastehen läßt, dann kriecht aus der Puppe der gemeinen Raupe ein Zwitter-Unding von Amerikaner und Deutschem hervor – ein Wesen, das nur englisch radebrecht, und von seinen Landsleuten mit vornehmen Nasenrümpfen sagt: it is only a Dutchman (es ist nur ein Deutscher) – und zwar Dutchman noch im allerverächtlichsten Sinn gebraucht.
Die Galle läuft einem ordentlichen Kerl über, wenn er solch Pack sieht, und dann fühlt, daß Jene nur ihre eigene Gemeinheit vor einer so reichlich verdienten Züchtigung schützt.
Auch unter diesen giebt es allerdings eine bessere Klasse, aber sie ist selten; der gebildete Deutsche zieht es – wunderlicher Weise – fast stets vor, sich lieber durch Handarbeit eine Zeitlang fortzuhelfen, bis er Sprache und Sitten des Landes erlernt hat, und wenn er dann mit dem Lande selbst vertraut wird, wenn er die Achse findet, um die sich Alles dreht, und sich nun selber fragt: Weshalb bist Du denn eigentlich nach Amerika gekommen? weshalb hast Du Freunde und Verwandte, weshalb Alles Das verlassen, was Dir einst lieb und theuer war? dann gesteht er sich wohl meistens selber ein: es war jener, vielleicht noch unbewußte Drang nach Freiheit – ein Gefühl, das, wenn auch ungeweckt, in seiner Brust geschlummert, und hinein zieht er nun in den freien, fröhlichen Wald, und als freier Farmer der Vereinigten Staaten verdient er sich sein Brod, zwar im Schweiße seines Angesichts, aber er steht auch selbstständig und unabhängig da, ein souverainer Fürst auf seinem eigenen kleinen Fürstenthum.
Zwei Krankheiten sind es übrigens, denen der Deutsche, denen überhaupt der Auswanderer nach Amerika fast stets anheimfällt – zwei Krankheiten, die, eigentlich sehr von einander verschieden, doch auch wieder einzelne Aehnlichkeit mit einander haben; sie heißen: Seekrankheit und Heimweh.
Die Seekrankheit betrifft allerdings nur hauptsächlich den Körper, das Heimweh dagegen den Geist; das heißt: die eine kommt aus dem Magen, die andere aus dem Herzen – beide sind aber die fast unausbleiblichen Folgen einer transatlantischen Fahrt und ähneln sich auch darin, daß sie manchmal ihr Opfer nur im Anfang, nur in den ersten Tagen mit beiden Fäusten anpacken und recht ordentlich, so recht aus Leibeskräften durchschütteln, es aber dafür auch später ungeschoren lassen, oder – was viel, viel schlimmer ist – leise auftreten und bei jeder neuen Woge, bei jedem etwas stürmischen Meer, wieder- und immer wiederkehren und Herz und Magen gleich stark zur Verzweiflung bringen. Beides sind Krankheiten, die kein Arzt zu curiren im Stande ist, die aber beide, die eine durch jedes feste Land, die andere nur durch den heimischen Boden, augenblicklich gehoben werden, und sonderbarer Weise sich auch nach wiederholter Ursache, d. h. nach wiederholter Seereise oder Trennung vom Vaterlande, selten und nur in außerordentlichen Fällen zum zweiten Male einstellen.
Zwar hat man für das Heimweh allerlei probate Mittel empfohlen, wie z. B. stete Aufregung, ein rastloses Suchen von Geschäften, Reisen, überhaupt Zerstreuung, und das hilft auch für die Zeit vielleicht, in der wir uns zerstreuen; Augenblicke der Ruhe müssen aber kommen und dann – ach selbst die Erinnerung an die ist schmerzlich.
Auch für die Seekrankheit hat man in neuerer Zeit etwas – ein Vomitiv gleich zu Anfang genommen – als von ausgezeichneter Wirkung empfohlen, das ist aber etwa eben so, als ob mich beim Arbeiten das Wagenrasseln auf der Straße störte und ich mir nun ein paar nimmer rastende Trommelschläger vor die Thüre bestellte, damit ich jenes nicht mehr höre. Nein, Heimweh wie Seekrankheit will austoben und beiden muß man daher seinen ruhigen Lauf auch ruhig lassen.
Nun wollen freilich Einige behaupten, das Eine schütze zugleich vor dem Andern, denn wer die Seekrankheit einmal recht ordentlich gehabt, der bekomme nie das Heimweh, oder verlange wenigstens nie heimzukehren, weil er sonst auch jener wieder zum Opfer fiele. Dem ist jedoch nicht so, das Heimweh kann sogar viel eher als eine fortgesetzte, als eine moralische Seekrankheit betrachtet werden. Es ist die Seele, die auf dem sturmgepeitschten fremden, ungewohnten Lebensmeer erkrankt und sich nun, obgleich der Körper durch jede mögliche Anstrengung, durch Beinespreizen und verzweifeltes Balanciren sein Aeußerstes thut dagegen anzukämpfen, nur immer und immer zurücksehnt nach dem festen Land, nach dem Vaterland.
Einen Beweis hierzu liefert ebenfalls wenigstens der bessere Theil der Deutschen in Nordamerika. Dieser nämlich, obgleich vielleicht früher mit den Wörtern Preuße, Baier, Oestreicher, Sachse etc. vollkommen einverstanden, macht jetzt plötzlich keinen Unterschied mehr zwischen dem Rhein und der Donau – er fragt nicht mehr den Deutschen: aus welchem Lande kommst Du? das weiß er, das ist Deutschland; nein, aus welcher Gegend, und selbst die Frage geschieht nur, um vielleicht einen bekannten Ort genannt zu hören und sich an den lieben, ach lange entbehrten Lauten zu erfreuen. – Daher schreiben sich auch die, fast in allen amerikanischen Städten entstehenden Gesellschaften zur Bildung eines einigen Deutschlands in Amerika – Michel versucht ganz urplötzlich in einem total fremden Lande etwas, an das er zu Hause, wo es doch eigentlich hingehörte, mit keiner Sterbenssilbe gedacht hatte, und ärgert sich dann, daß er so wenig »Gemeinsinn«, wie er es nennt, daß er so wenig Anklang unter seinen Landsleuten findet.
Alle diese Versuche sind ebenfalls nur ein Heimweh, das sich auf solche Art seine, tief im Herzen wurzelnde Bahn bricht – es ist das Andenken an liebe, früher so glücklich verlebte Stunden. Der Ausgewanderte will sich dadurch gewissermaßen glauben machen, er lebe noch in den alten, jetzt so schmerzlich vermißten Kreisen, und all das Fremde, Ungemüthliche, was ihn umgebe, sei nur die harte, bittere und keineswegs zum süßen Kern gehörige Schale, wie wir ja wohl vor den hereinbrechenden Winterstürmen Blumen und Blüthen mit in das wohnliche Zimmer flüchten und diese hegen und pflegen, daß sie uns noch recht lange den lieben Sommer erhalten sollen.
Eine Weile geht das auch – die Keime sind noch frisch und kräftig, und wenn gleich draußen der eisige Nord das gelbe verwelkte Laub von den Zweigen reißt, so trotzen die warm gehaltenen Pflanzen lange und glücklich dem starren Vernichter. Nach und nach aber welken sie auch – die Zeit übt ihr Recht – der Winter greift durch jedes zufällig geöffnete Fenster, durch jede Ritze und Spalte herein, nach den armen Kindern einer anderen Sonne, und legt sie erbarmungslos in ihr dunkles Grab.
Doch eines bleibt – eines ist, das der Hitze wie Kälte, der erstickenden Stubenluft wie dem vernichtenden Norde trotzt, das sich mit immer wieder neuen Schößlingen an Herz und Seele rankt und klammert, das frisch und fröhlich keimt, wenn auch draußen die ganze Natur erstarrt, wenn Alles unter weißer Leichendecke todt und begraben liegt, und das ist der Epheu – die Erinnerung an die Heimath, wenn auch die Heimath selbst, ach längst für uns gestorben scheint. In seinen lebensfrischen Blättern sehen wir uns eine neue Frühlingswelt erstehen – aus ihm bauen wir uns Lauben und Grotten – ihn flechten wir um unsere Sitze und zu ihm aufblickend trägt uns sein freundliches Grün zu der Zeit zurück, wo wir draußen im schattigen Wald mit den heißen Wangen den Thau von den Zweigen strichen, wo wir in der Heimath Das fanden, was uns jetzt nur noch, ein schwaches Bild ihrer selbst, geblieben.
Es ist eine eigene Sache um das Heimweh, und ein dem vaterländischen Boden entrissener Mensch ist ebenfalls wie ein aus der Erde, die ihn erzeugte, genommener Baum; er stirbt vielleicht nicht ab im fremden Lande – die Wurzeln schlagen wieder aus, aber die feinen, zarten Theile derselben sind doch noch im alten Bett zurückgeblieben – die tausend kleinen, unbedeutenden Fasern wurden verletzt und getrennt, und wenn sie auch zu dem Leben des Baumes selbst nicht unbedingt erforderlich waren, so thun sie ihm doch recht weh, und ihr Verlust schmerzt noch lange nach.
Ist es aber zur Erhaltung des ganzen Baumes nöthig, daß er in anderen Grund und Boden komme, dann sind eben diese Fasern nur Nebendinge, auf die man nicht Rücksicht nehmen darf und kann – es thut ja auch weh, sich einen Zahn ausnehmen zu lassen, und doch unterzieht man sich dem Schmerz, um künftig Ruhe zu haben und sich wohler zu befinden. So leben wir denn ebenfalls jetzt in einer Zeit, wo die Bevölkerung einzelner Länder mit Dem was sie selbst erzeugen kann, in keinem Verhältniß mehr steht, und entweder muß ein Theil, nach Vorbild der Bienen, schwärmen, oder der ganze Stock Noth und Mangel leiden.
Früher geschah das erstere durch sich selbst; die Völkerwanderungen bedurften eben keiner weiteren Anregung als der Ueberzeugung, daß der bisherige Aufenthaltsort für einen Stamm zu eng ward und die, überdieß nicht an die Scholle gebundenen Nomadenvölker zogen aus, in irgend einer anderen Himmelsrichtung ein besseres, ihrer großen Zahl mehr zusagendes Land zu finden. Jetzt aber fehlen jene ungeheueren, wenig bevölkerten und in der Nähe gelegenen Strecken, oder wo sie liegen, sind die politischen Verhältnisse der Art, daß Jemand, der erst einmal glücklich Sack und Pack zusammengeschnürt hat, gewiß nicht dorthin zieht; es werden daher Mittel erfordert, um einen uns nicht mehr ernährenden Wohnplatz zu verändern, die der Arme nicht besitzt; gleichwohl nimmt die Noth, besonders in einzelnen, übervölkerten Theilen unseres Vaterlandes, wie in den sächsischen, schlesischen und böhmischen Gebirgen, mit jedem Tage zu und mit allen gereichten Gaben ist immer kein Ende derselben zu ersehen, keine dauernde Hülfe zu erzwecken – es ist immer nur ein einzelnes Mahl, dem Hungrigen gereicht, und der morgende Tag wird ihn eben wieder so verschmachtend finden, als der gestrige ihn fand. Daher sollte denn auch der Staat, wenn er es wirklich gut mit den Armen meint, wenn er ihrer Noth wirklich abhelfen und sie nicht nur für den Augenblick durch eine Galgenfrist beschwichtigen will, die Auswanderung unterstützen und leiten. Unterstützen, so weit das in seinen Kräften steht, bedenken daß er in dem Läutern seiner eigenen Kräfte auch sein eigenes Blut reinigt von dem ungesunden Ueberfluß, der ihn zuletzt sonst selbst bewältigt, und nicht fürchten, daß die gesunden Arbeiter alle fortgehen und nur Greise und Krüppel zurückbleiben – denn wäre das wirklich der Fall, so könnte man dann noch immer die wenigen mit dem zehnten Theil dessen thätig unterstützen, was jetzt auch an die arbeitsfähigen, und zwar nur zur augenblicklichen Stillung ihres Hungers verwendet wird, ohne daß es ihre Leiden lindert, sondern sie bloß am Leben erhält.
Aber auch leiten sollte der Staat die Auswanderung und zwar durch tüchtige Männer, die, vom Staate beauftragt, die Auswanderer nicht allein hinüber zu führen hätten in ihre neue Heimath, sondern die auch an Ort und Stelle die Gegenden aussuchen und alles Nöthige einleiten müßten, um ihnen wenigstens einen Anfang möglich zu machen, um ihnen die Gelegenheit zu geben, daß sie beweisen können, wie es ihnen wirklich Ernst ist, selbstständig durch die Welt zu kommen, und sie ihr altes Vaterland nicht allein nicht ganz vergessen, sondern auch mit Freundlichkeit statt mit bitteren Empfindungen daran zurückdenken. Die Zeit war wo wir eine Flotte hatten, – und unsere Nachkommen werden glauben, man erzählt ihnen ein Märchen, wenn sie die Geschichte derselben lesen – wir dürfen deshalb nicht daran denken, unsere ausgewanderten Freunde auch noch in fremden Welttheilen schützen zu wollen. Das edle Recht ist nur den Nationen vorbehalten, aber wir könnten ihnen dadurch doch auch beweisen, daß uns wirklich ihr Wohl am Herzen lag, als wir ihre Taxen und Steuern nahmen, daß wir sie wirklich, wie ihnen das hier oft genug vorerzählt wird, als Kinder des Staates betrachten und nicht als überflüssiges Material, als Kehricht, den man auf die Straße wirft, und von dem man froh ist, wenn ihn der Nachbar gelegentlich mit fortführt.
Diese vom Staat Beauftragten sollten aber nicht, wie das bis jetzt stets der Fall gewesen, Männer sein, die, selbst unbekannt mit Amerika, hinübergehen, dort vielleicht ein halbes Jahr leben, flüchtige Erkundigungen einziehen und dann glauben, sie kennten das Land genug, um ein richtiges Urtheil darüber fällen zu können; solche Leute haben schon unendliches Unheil über arme Auswanderer gebracht, die ihren Worten, ihrer Führung unbedingt vertrauten und dann zu spät einsahen, wie sie von Menschen geleitet waren, denen selbst kaum die obere Rinde der dortigen Verhältnisse bekannt geworden. Allerdings weiß ich, welche Schwierigkeiten es hat, Deutsche zu einem gemeinschaftlichen Zusammenleben zu bewegen; ja ich halte es sogar, außer unter dem strengsten religiösen Zwang, für eine positive Unmöglichkeit. Das darf aber auch gar nicht der Zweck einer Uebersiedelung von Armen sein, der Staat hat genug gethan, wenn er sie hinüber schafft und dort dafür sorgt, daß sie wenigstens im Anfang einen Wirkungskreis für ihre Thätigkeit bekommen, was nur durch Ankauf einer selbstständigen Strecke Landes geschehen kann. Für das weitere Fortbestehen ihres Zusammenlebens wäre es verlorene Mühe sorgen zu wollen – es findet dann später ein Jeder schon seine eigene Bahn, und wer nicht Lust hat, das ihm angewiesene Land zu bebauen, der mag es verlassen und irgendwo anders Beschäftigung suchen. Das Land muß ihm nur im Anfang als Aufenthaltsort gegeben werden, daß er nicht gerade in der Zeit, wo er weder Sprache noch Sitten kennt, als ein Bettler die Staaten durchstreift, und sowohl für sich selbst ein eben so elendes Leben fortsetzt, als er es hier geführt, sondern auch seinen anderen Landsleuten unendlichen Schaden zufügt, indem er sie durch sich selbst in den Augen der Amerikaner herabwürdigt.
Das Alles ist jedoch nur durch Leute möglich zu machen, die Amerika nicht allein vom Bord eines Dampfschiffes aus, oder durch das Coupeefenster eines Bahnzuges kennen gelernt, sondern die sich selbst eine genaue Kenntniß der dortigen Verhältnisse an Ort und Stelle verschafft haben. Ebensowenig wäre es aber auch anzurathen, dortigen Ansiedlern die Wählung eines Platzes zu überlassen; diese werden nie im Interesse der Uebersiedler, sondern stets in ihrem eigenen Interesse handeln und zwar die neue Colonie so viel als möglich in ihre Nähe, wenn nicht gar auf ihr eigenes Land zu bringen suchen, um einen sicheren und bequemen Absatz für ihre Produkte zu finden. Das Alles wird durch einen dabei nicht selbst Betheiligten vermieden, dann aber bietet auch der weite Westen der Vereinigten Staaten einen ungeheueren Abzugscanal für jene Unglücklichen, die hier hungern müssen, während dort Brod wächst sie zu sättigen, die den Quell kennen, der sie vor dem Verschmachten retten würde, ihn aber nicht zu erreichen vermögen, weil ihre Kräfte erschöpft, ihre Glieder erschlafft sind. Jetzt werden sie nur durch dürftige Spenden dürftig am Leben gehalten – eine kräftige Hülfe aber, die das Uebel bei der Wurzel faßte und herausrisse, würde nicht allein Denen einen freieren Blick in die Zukunft gestatten, die jetzt durch das Unglück ihrer Mitmenschen jede Freude verbittert sehen, und immer nur gedrängt und getrieben werden, zu helfen und zu unterstützen, sondern auch für Die, die es selbst betrifft, von segensreichster Wirkung sein.