Kitabı oku: «Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Erster Band.», sayfa 6
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Elise
Am nächsten (Montag) Morgen standen schon um sieben Uhr früh drei gesattelte Pferde vor dem Hause des Directors angebunden, denn dieser hatte versprochen, Günther zu dem Beginne seiner Arbeiten zu begleiten, und Könnern in dem Interesse, das er an der gestrigen Erscheinung nahm, ebenfalls den Wunsch ausgesprochen, sich dem kleinen Zuge, wenigstens bis in den Wald hinein, anzuschließen.
Allerdings wünschte der Director, daß er, wenn er jagen wolle, sich einen Führer mitnehmen möge, da er sich sonst leicht in den wilden und schwerdurchdringlichen Wäldern verirren könne. Dies wies Könnern jedoch lächelnd zurück und erklärte, daß er zu lange in den amerikanischen, auch ziemlich dichten Wäldern gejagt habe, um etwas Derartiges zu befürchten. Ein Führer störte ihn dabei nur auf einem wirklichen Pirschgange, und er konnte sich im Walde wohl vergehen, daß er genöthigt war einen Umweg zu machen, aber nie verirren, denn er hatte sich dafür zu genau den Cours gemerkt, den der etwa zweihundert Schritte unter Santa Clara vorbeiströmende Fluß nahm, und den mußte er immer wieder treffen, sobald er mit Hülfe seines Compasses die Richtung darauf zu nahm.
So früh kamen sie aber an diesem Morgen doch nicht fort, denn erstens nahm ihnen das Frühstück noch etwa eine halbe Stunde weg, und dann kamen noch eine Menge Leute, die den Director in irgend einer wichtigen oder unwichtigen Angelegenheit zu sprechen hatten, und er mußte wenigstens anhören, was sie von ihm wollten.
Es war halb neun Uhr geworden, als die drei Männer endlich mit den nöthigen Begleitern aufbrachen, die dabei alle Instrumente des Vermessers, wie auch einige Provisionen zu tragen hatten. Könnern ließ übrigens seine Mappe heute noch zu Hause, und nahm nur seine Büchsflinte mit, wenn er sich auch eben keine große Jagd versprach. Der Wald ist dort zu dicht, um nahe den Ansiedelungen, wo die Bauern überdies Sonntags noch mit ihren Flinten herumknallen, irgend einen bedeutenden Erfolg zu versprechen.
Sie ritten heute gerade durch das kleine Städtchen durch, und den beiden Fremden konnte es nicht entgehen, wie sich ihre Landsleute, selbst in dem fremden tropischen Lande, so ganz heimisch angesiedelt hatten, als ob sie noch daheim im alten Vaterlande lebten.
Die Schilder an den verschiedenen Häusern trugen überall deutsche Namen in deutscher Schrift, deutsche Kinder mit ihren Flachsköpfen und dicken, gesunden, schmutzigen Gesichtern spielten vor den Thüren. Bauerfrauen in ihren wollenen rothen Unterröcken wuschen ihr Geschirr hier unter den Palmen, wie sie es daheim unter der alten Linde gethan hatten, und deutsche Handwerker, in Schurzfell und Pantoffeln, waren eifrig dabei, ihren verschiedenen Geschäften obzuliegen.
Nur ein einziges Haus passirten sie, das fremdartig aussah. Es war ein kleines niederes Gebäude, von Stein aufgeführt, mit offenen Thüren und Fenstern, durch die man in ein paar anscheinend leere Räume hineinsah – es hingen wenigstens keine Gardinen vor den Fenstern, wie sie die ärmlichste deutsche Wohnung zeigte, und die Wände sahen leer und kahl aus. Einzelne Möbel verriethen aber doch, daß dieses Haus nicht verlassen sei, und auf der einen Commode sah Könnern auch im Vorbeireiten ein Paar vergoldete Porzellan-Vasen und einige andere derartige Spielereien stehen.
Dort wohnte der portugiesische Delegado2, und ein paar Negerjungen kauerten vor der Thür in der Sonne und ließen sich von einem grauen, vollkommen haarlosen und nackten Hunde die Gesichter ablecken.
Am Ende der Straße war die Schule; anstatt aber, daß die Kinder jetzt eifrig darin mit Lernen beschäftigt sein sollten, lärmten sie in wildem, wüstem Geschrei vor der Thür umher, prügelten sich, haschten sich und trieben allerlei tolle Spiele. Der Director hielt mitten unter ihnen sein Pferd an.
»Hallo, Ihr kleine Bande,« rief er aus, »was ist das? Weshalb steckt Ihr nicht da drinnen, wohin Ihr gehört, und stellt hier auf der Straße die Stadt auf den Kopf?«
»Ja, Herr Director,« sagte einer der älteren Jungen, der ihn kannte, indem er die Mütze von dem struppigen Haare herunterzog, »der Schulmeister ist nicht da und die Thür ist zu.«
»Der Schulmeister ist nicht da?« fragte der Director erstaunt; »und weshalb habt ihr ihn noch nicht geholt?«
»Ja, er ist auch nicht zu Hause und die ganze Nacht nicht heimgekommen,« lautete die Antwort.
Ein sehr elegant gekleideter Herr mit weißer Wäsche, goldener Uhrkette, einigen Ringen an den Fingern und einem Panamahute auf, der aber sonderbarer Weise statt der Stiefel ein Paar sehr bunt gestickte Pantoffeln und einen Zahnstocher hinter dem rechten Ohre hatte, kam um die nächste Ecke und grüßte den Director und seine Begleiter freundlich. Es war der Delegado.
»Ah, mein lieber Director,« redete dieser Sarno in portugiesischer Sprache an, »das wird immer ärger mit unserem Schullehrer. Wie ich eben höre, haben ihn einige Nachbarn gestern Abend spät oben am Flusse und etwa eine Legoa von hier entfernt, schwer angetrunken verlassen, und dort wird er auch wohl jetzt noch liegen, um seinen Rausch auszuschlafen. Meines Nachbars Kinder kamen heute Morgen wieder zurück, weil sie nicht in die Schulstube konnten.«
»Wer ist denn das, der da die Straße herunter taumelt,« sagte Könnern, nach jener Richtung zeigend.
»Hehe, der Schulmeister, der Schulmeister!« jubelten ihm da auch schon eine Anzahl Jungen, die ihn erkannt hatten, in dem seligen Gefühle entgegen, heute wieder keinesfalls Schule zu haben. »wie er schräg geht – und jetzt stolpert er! Hoh, hoh, hoh, der Schulmeister!«
Es war allerdings jenes unglückliche Individuum, das sich in solchem Zustande zu keinem ungünstigeren Momente hätte zeigen können. Der Director gab seinem Pferde die Sporen und sprengte ihm entgegen, und während der zeitweilige Schulmonarch die gläsernen Augen zu Sarno aufschlug, rief dieser ihn mit vor innerer Heftigkeit fast erstickter Stimme an:
»Herr, schämen Sie sich nicht, hier am hellen Tage wie eine Sau umher zu gehen, und wären Sie nicht werth, daß ich – « er schwieg, und die Hand, in der er die Reitpeitsche hielt, schloß sich ordentlich krampfhaft um den Griff derselben.
»Pfehle mich Ihnen, Herr Director,« stammelte der Unglückliche mit schwerer Zunge, vergebens dabei bemüht sich gerade zu halten, »sehr angenehm so am frühen Morgen – sehr schöner Morgen heute, Herr Director – sehr schöner Morgen.«
Der Director wandte sein Pferd in Ekel von dem Trunkenen und ritt langsam zu dem Portugiesen zurück. Die Schuljugend indessen wartete nur den Moment ab, wo sie der Gegenwart dieser Beiden enthoben wäre, um mit einem wahren Jubel über ihren entwürdigten Lehrer herzufallen.
»Jetzt haben wir wieder keinen Schullehrer,« stöhnte der Director, bei dem Delegado angelangt.
»Der Herr scheint heute Morgen etwas aufgeregt,« sagte der Portugiese mit einem spöttischen Lächeln. »Wollen wir ihn aber nicht lieber in Sicherheit bringen. Sobald wir den Rücken wenden, fällt das junge Deutschland jedenfalls über ihn her.«
»Ich habe Nichts dagegen,« rief der Director, »und wenn sie ihm die Kleider in Fetzen vom Leibe reißen! Kommen Sie, Schwartzau, kommen Sie – o, ich vergaß, die Herren vorzustellen: Dom Franklin Brasileiro Lima – zwei Freunde von mir, Landsleute, Dom Könnern und Dom Schwartzau, der letztere unser durch die Regierung hergesandter Landvermesser.«
Der Portugiese machte eine stumme und etwas steife Verbeugung, nahm dann den Zahnstocher hinter dem Ohre vor und sammelte die Überreste seines Frühstücks.
Sie standen gerade vor einem der kleinen Häuser, über dem ein hellgelbes Schild mit rothen Buchstaben den Namen Pilger – Schuhmacher trug, und Könnern hatte schon, weniger bei dem Schulmeister interessirt, ein paar Mal eine allerliebste junge Frau am Fenster gesehen, die einen Blick nach ihrer Gruppe herüber warf und dann wieder in dem Dunkel der innern Stube verschwand. Der Portugiese stand mit dem Rücken nach der Thür zu, als der Schuhmacher, ein großer, breitschultriger Mann in seinen besten Jahren, das Schurzfell vor, ein kleines Käppchen auf und die Hemdärmel in die Höhe gestreift, hinter ihn auf den Schwellenstein trat und, seine breite Hand auf des Portugiesen Schulter legend, mit ruhiger Stimme, aber sehr schlechtem Portugiesisch sagte:
»Wenn ich Euch noch einmal in meinem Hause treffe, Delegado, so schlage ich Euch jeden Knochen in Eurem erbärmlichen Leibe zusammen. Habt Ihr mich verstanden? Guten Morgen, meine Herren,« wandte er sich dann, als ob nicht das geringste Außergewöhnliche vorgefallen wäre, an den Director und seine Begleiter; »entschuldigen Sie, daß ich mich mit dem Lump in Ihrer Gegenwart unterhalten habe.«
Der Portugiese war vor Zorn hochroth geworden, und seine kleinen, schwarzen Augen schienen Feuer zu sprühen. Endlich hatte er sich so weit wenigstens gesammelt, um zu erwiedern, und er sagte, ohne den Handwerker jedoch eines Blickes zu würdigen:
»Wenn Ihr Eure Frau mißhandelt, und nicht wißt was Ihr einer Frau an Achtung schuldig seid, so ist es Sache der Obrigkeit dazwischen zu treten.«
»Und weshalb hab' ich meine Frau mißhandelt, Du Lump, Du?« rief der Schuhmacher, bei dem der Zorn die Oberhand gewann.
»Pilger, bedenkt was Ihr sagt!« unterbrach ihn der Director rasch.
»Ach was, Herr Director – Nichts für ungut,« zürnte der Mann; »ich weiß recht gut was ich rede. Wenn der da auch zehnmal der Delegado ist, oder wie das Ding heißt, so sollte er sich nur um so mehr schämen, Unfrieden und Unglück in die Häuser zu tragen. Aber, Gott verdamm' mich! finde ich ihn noch einmal auf der andern Seite von der Schwelle da, so geschieht ein Unglück. Das will ich ihm vorausgesagt haben.«
Der Portugiese verstand nicht die letzten heftigen, in Deutsch gesprochenen Worte, aber er mochte recht gut den Sinn ahnen, denn die Gesticulation des Meisters dabei war gar nicht falsch zu verstehen. Er drehte jedoch nur, mit dem Ausdrucke der höchsten Verachtung in den Zügen, den Kopf halb nach ihm herum, ohne ihn selber anzusehen, sagte: »Wir sprechen uns noch!« und ging dann in seinen gestickten Pantoffeln, mit einer leichten Verbeugung gegen den Director und seine Begleiter, die Straße wieder hinauf.
Könnern's Blick beobachtete indessen das Fenster, hinter dem er die junge Frau gesehen, und er bemerkte, wie sie noch ein paar Mal scheu vortrat, um, ohne selber gesehen zu werden, zu erfahren was da draußen vorging. Sobald sie aber des Fremden Blick auf sich haften fand, verschwand sie rasch und kam nicht wieder zum Vorscheine.
»Haltet mir Frieden, Pilger, das thut's nicht,« sagte der Director warnend.
»Eben deshalb weil ich Frieden haben will,« meinte der Schuhmacher, »halte ich mir den verdammten Bleifuß aus dem Hause, und gnade ihm Gott, wenn ich ihn da wieder einmal treffe, wo er nicht hingehört – guten Morgen meine Herren,« und damit drehte er sich ruhig um und trat in sein Haus zurück.
Die Schuljugend war indessen ein sehr interessirter Zuschauer bei den Bewegungen ihres sonst so gefürchteten Meisters gewesen, denn der junge Schulmonarch führte seinen Stock gewöhnlich mit unerbittlicher Gewalt. Einer der Nachbarn aber, den der arme Teufel in diesem Zustande dauerte, trat vor seine Thür, nahm ihn ohne Weiteres unter den Arm und führte ihn in sein Haus hinein, damit er dort seinen Rausch ausschlafen könne. Der Director schickte dann die Jungen nach Hause, die sich in wildem Jubel durch die verschiedenen Straßen vertheilten.
»Das ist ja ein recht hübsches Exemplar von einem Schulmeister,« lachte Günther, als sie ihren Weg wieder aufgenommen hatten.
»Das sei Gott geklagt!« seufzte der Director; »jetzt sitzen wir wieder in der Ansiedelung auf dem Trockenen und die ganze Kinderwelt hat Ferien, bis sich ein neues, eben so unbekanntes, vielleicht eben so untaugliches Individuum dazu hergiebt, das Amt des Schullehrers zu übernehmen.«
»Und Ihr Delegado?« fragte Könnern; »die Sache scheint nicht ganz richtig zu sein.«
»Ist auch so ein Lump, den wir der Güte der Frau Präsidentin verdanken. Der Teufel mag da Director sein, wenn man es mit solchem Gesindel zu thun hat, und ihnen doch nicht, in dem engen Kreislauf unseres hiesigen Lebens, ausweichen kann. Übrigens ist das auch derselbe Herr, der da drüben die Brücke gebaut hat, welche ihm von der Regierung – nachdem sie kaum beendet und schon wieder eingestürzt war – mit achtzehn Contos de Reis bezahlt wurde. Es geht doch Nichts über Protection! Und wenn ich ein oder zwei Contos verlange, nur um die nöthigsten Bauten hier, ein neues Auswanderungs-Haus oder dergleichen, zu bauen, bekomme ich Vorwürfe von Oben, daß ich zu viel Geld gebrauche. Aber zum Henker damit! Wir wollen uns den schönen Morgen nicht durch derartige Dinge verbittern, und der Lump verdient gar nicht, daß ich mich über ihn ärgere. Kommen Sie, lassen Sie die Pferde ein Wenig schärfer austraben, denn wir haben eine Menge werthvolle Zeit versäumt und unsere Träger und Arbeiter sind uns schon, wer weiß wie weit, voraus.«
Eben hatten sie die letzten Häuser hinter sich, als ihnen wieder der Baron begegnete, und wie er den Director erkannte, diesem ein Zeichen machte, daß er ihn zu sprechen wünsche. Der Director hielt an, während Könnern und Schwartzau vorausritten.
»Ach, Herr Director, nur auf ein Wort,« sagte der etwas umständliche Baron mit einer achtungsvollen Verbeugung; »dürfte ich Sie bitten, mir aufrichtig eine einzige Frage zu beantworten?«
»Warum nicht – aber ich bin heute Morgen etwas in Eile.«
»Ich will Ihre werthvolle Zeit nur für Secunden in Anspruch nehmen. Hat sich die Frau Gräfin in einer Geldangelegenheit an Sie gewandt?«
Der Director lächelte.
»Ich weiß nicht,« sagte er, »ob die Frage gerade discret ist.«
»Geschäftssache,« vertheidigte sich der Baron vor diesem furchtbaren Verdachte; »Sie werden doch nicht glauben, daß ich – «
»Nun, mir ist keinesfalls anbefohlen, ein Geheimniß daraus zu machen. Ja – zu irgend einer ihrer zahlreichen Unternehmungen.«
»Cigarren?«
»Ich glaube, es betraf diesmal den Tabakshandel.«
»Ich danke Ihnen,« sagte der Baron, von dem Pferde zurücktretend.
»Ich hoffe doch nicht, daß Sie sich damit einlassen werden?« fragte der Director jetzt seinerseits.
»Ich bedaure unendlich nicht die Mittel zu haben, ein so gemeinnütziges Unternehmen zu unterstützen,« erwiederte der Baron, gerade etwa mit derselben Betonung und in derselben Stellung, als ob er der Frau Gräfin selber gegenüber stände.
Der Director lachte, grüßte den Baron flüchtig und sprengte dann den Weg hinauf, die beiden vorangerittenen Freunde einzuholen.
Zwischen den Männern wurde weiter kein Wort gewechselt, bis sie den eigentlichen Platz erreicht hatten, auf dem Schwartzau seine Vermessung beginnen sollte, und da dies das Terrain war, welches dem Colonisten Meier gehörte, so war es nöthig, daß er dazu gerufen wurde.
Während Günther seine Bussole auspackte und aufstellte, die nöthigen Vorbereitungen zum Beginne traf und seine Leute instruirte, was sie zu thun hätten – denn bei einer solchen Arbeit ist es besonders nothwendig, daß sich der Vermesser und seine Kettenträger vollkommen gut verstehen – ritt der Director nach dem Hause hinüber, um den Menschenfeind in Kenntniß zu setzen und abzuholen, und Könnern bot sich ihm natürlich zum Begleiter an.
Die Gartenthür war verschlossen; zufällig kam aber gerade ein kürzlich angenommener Arbeiter heraus, und da er den Director kannte, machte er nicht die geringste Schwierigkeit, ihn hinein zu lassen.
»Gehen Sie nur da gerade aus, Herr Director,« sagte er, auf eine kleine Biegung des Weges zeigend, »dort gleich rechts ist eine Laube, in der finden Sie die ganze Familie beim Frühstück.«
»Der wird uns ein schönes Gesicht schneiden, wenn wir ihm so plötzlich über den Hals kommen!« lachte der Director, als sie den breiten und vortrefflich gehaltenen Kiesweg verfolgten; »aber ich kann ihm nicht helfen. Es liegt auch in seinem eigenen Interesse, daß er weiß wo seine Gränzen laufen – aber da sitzt die Familie – jetzt können Sie auch Ihre Brünette wieder begrüßen.«
Könnern erwiederte kein Wort; es war ihm ganz sonderbar beklommen um's Herz, und ein Gefühl beschlich ihn, als ob er sich hier in unehrlicher Weise in den Kreis einer Familie stehle, in der er jetzt fast bezweifelte, daß er gern gesehen sei. Es blieb ihm jedoch keine Zeit zu längerer Überlegung, denn wenige Secunden später waren sie schon von der Familie bemerkt, die überrascht emporschaute, als sie die Fremden plötzlich in dem Garten entdeckte.
Meier saß ihnen mit dem Rücken zugewandt, links von ihm seine Frau, rechts seine Tochter, und schon als er die Schritte hinter sich hörte, hatte er sich halb umgedreht und beschattete dabei die Augen mit der Hand. Dann wandte er den Kopf wieder ab, nahm eine blaue Brille aus der Rocktasche und erhob sich erst, als er diese aufgesetzt hatte, um die Fremden besser erkennen und dann begrüßen zu können.
Elise war ebenfalls tief erröthend aufgestanden, als sie auf den ersten Blick den Fremden von gestern erkannte; der Mutter entging ihre Bewegung, da sie ihrerseits auch den einen Fremden – den Director kannte sie schon von früher her – aufmerksam musterte.
»Mein lieber Herr Meier, ich muß um Entschuldigung bitten,« sagte der Director, auf ihn zugehend – »aber bitte, mein liebes Fräulein, wollen Sie nicht Platz behalten – , ich will Sie auch nicht lange stören und Ihnen nur anzeigen, daß wir hier auf Ihrem Grundstücke zu vermessen anfangen, weshalb es vielleicht besser wäre, daß Sie mit hinausgingen. Sie wissen ja auch am besten, wo die alte Linie gelaufen ist, die jener Schneidergeselle neulich umgeworfen hat. Wir wollen sehen, daß wir jetzt die ganze Sache wieder in Ordnung bringen.«
»Sehr angenehm, Herr Director,« sagte Meier mit einer etwas ängstlichen und dadurch ungeschickten Verbeugung – »sehr angenehm in der That, und äußerst dankbar – der Herr ist wohl der Vermesser, wenn ich fragen darf?«
Könnern erröthete bis in den Nacken hinein, als er so selber gezwungen wurde zu erklären, daß er hier eigentlich gar Nichts zu suchen habe.
»Ich besonders muß sehr um Entschuldigung bitten,« sagte er mit einem unwillkürlichen Seitenblick auf Elise, »daß ich mich hier eingedrängt habe. Ich bin nicht der Vermesser, der schon draußen bei seiner Arbeit ist, sondern nur ein wandernder Maler, der sich seit einigen Jahren heimathlos in der Welt herumtreibt, um Gottes schöne Erde nach allen Richtungen hin zu durchstreifen. Mit dem Herrn Director durch meinen Bruder befreundet, habe ich mich den Herren heute Morgen angeschlossen, und nur auf die allbekannte brasilianische Gastfreundschaft fußend, wagte ich es, Ihnen meine Gesellschaft für wenige Minuten aufzudringen.«
»Herr Bernard Könnern,« stellte ihn der Director vor.
»Sie sind uns herzlich willkommen,« sagte die Frau, der die edle männliche Gestalt des jungen Mannes, wie sein bescheidenes Benehmen von vorn herein gefallen hatte – »Entschuldigungen wären ja auch gar nicht am Platze – bitte, setzen Sie sich – trinken die Herren vielleicht eine Tasse Kaffee mit uns?«
Sie winkte der Tochter, und ehe sich die Gäste entschuldigen konnten, sprang Elise – überhaupt froh, dazu Gelegenheit zu bekommen – rasch in das Haus hinein, um ein paar Tassen herauszuholen.
Meier, also gedrängt, konnte nicht anders, als die einmal geschehene Einladung unterstützen. Mit einer Handbewegung bat er seine Gäste, Platz zu nehmen, und das Gespräch zwischen ihm und dem Director wandte sich dann natürlich gleich der sie beide am Meisten interessirenden Veranlassung zu.
Elisens Mutter ließ sich indessen in ein Gespräch mit Könnern ein, von dem sie bald erfuhr, daß er Deutschland schon seit einer Reihe von Jahren verlassen und indessen Nord- und Mittelamerika durchstreift habe, theils um zu jagen, theils um Skizzen und Studien für seine Mappe zu sammeln.
Meier, obgleich in eifrigem Gespräche mit dem Director, hatte sich doch kein Wort von der anderen Unterhaltung entgehen lassen, und nickte dabei ein paar Mal halb unbewußt und zufrieden mit dem Kopfe. Er schien auch mehr und mehr aufzuthauen und die bisherige Scheu abzulegen, und als Elise die Tassen gebracht und eingeschenkt hatte, rückte er mit zum Tische und unterhielt sich selber mit dem jungen Manne.
»Ich will Ihnen Etwas sagen, Könnern,« unterbrach der Director das Gespräch, »ich gehe jetzt mit dem Herrn Meier zu Ihrem Freunde hinaus, um die Sache erst einmal in Gang zu bringen. Das beschäftigt mich keine halbe Stunde; dann komme ich hierher zurück, hole Sie ab und begleite Sie nachher bis zu der Mündung eines gar nicht entfernten Thales, dem Sie aufwärts folgen, und nachher vielleicht doch noch Wild zum Schuß bekommen können. Hier oben auf der Hochebene glaube ich schwerlich, daß Sie irgend Etwas antreffen, das der Mühe lohnte danach zu feuern.«
»Das wäre recht schön,« sagte Könnern wieder mit einem unwillkürlichen Blicke nach Elisen; »wenn ich nur auch gewiß wüßte, daß ich den Damen hier indessen nicht zur Last fiele.«
»Nicht im Geringsten,« antwortete die Mutter – »kennen Sie unser Land noch nicht und sind Sie ein Liebhaber von Pflanzen, so haben Sie indessen Gelegenheit, sich in unserm Garten umzusehen; denn mein Mann hat sich große Mühe gegeben, alle einheimischen Pflanzen und Gewächse hier zu sammeln – Elise mag Sie herumführen.«
»Ich wäre unendlich glücklich, wenn die junge Dame…« stammelte Könnern.
»Nun, sehen Sie,« sagte der Director, »da sind Sie ja gleich untergebracht, und werden es wohl so lange aushalten können. In einer halben Stunde sind wir jedenfalls wieder hier. Sie gehen also mit, Herr Meier?«
»Ich muß sehr um Entschuldigung bitten,« sagte der Angeredete mit dem ihm eigenen, etwas verlegenen Lächeln – »Ich selber bin gerade beschäftigt; aber ich werde Ihnen meinen Karl mitschicken, der sich vortrefflich in alle diese Sachen zu finden weiß. Wenn Sie nur so freundlich sein wollen, ihm meine Gränzlinien zu zeigen, so wird er sie sich selber markiren und ich dann schon Sorge tragen, daß sie später dauernd gekennzeichnet werden. Verlassen Sie sich darauf. Ich bin gerade mit einer kleinen Arbeit beschäftigt, die ich nicht gern unterbrechen möchte. Dem jungen Herrn hier mache ich indessen vielleicht mehr Freude, wenn ich ihn in meine kleine Bibliothek führe – Bücher sind seltener in Brasilien, als Blumen.«
»Erst die Blumen, wenn ich bitten darf!« sagte Könnern, der sich heute merkwürdiger Weise dafür besonders interessirte, obgleich er nicht das Geringste von Botanik verstand, und da Elise sich schon erhoben hatte, stand er ebenfalls auf, um sie durch den Garten zu begleiten.
»Sie scheinen sich besonders für Blumen zu interessiren,« sagte das junge Mädchen, während sie den halben Garten lang schon schweigend neben Könnern hingeschritten war, ohne daß dieser einen Punkt gefunden hätte, ein Gespräch anzuknüpfen. Bei der Frage spielte ein eigenes, schelmisches Lächeln um ihre Lippen, und ihr Blick suchte halb verstohlen die Züge ihres Begleiters, senkte sich aber blitzschnell wieder zu Boden, als sich dieser, von einem plötzlichen Verdachte erfaßt, gegen sie wandte.
»Weshalb glauben Sie das, mein Fräulein?«
»Weil Sie – die Blumen Vaters Bibliothek vorzogen,« erwiederte Elise, aber sie wagte nicht den Blick zu ihm zu erheben, denn sie fürchtete, daß sie den darin liegenden Muthwillen verrathen würde.
»Und Sie haben wirklich keinen andern Grund?« forschte Könnern weiter, denn er begann jetzt in der That mißtrauisch zu werden, ob er gestern seinen Raub so ganz unbemerkt geborgen habe.
»Und welchen andern Grund sollte ich haben?« sagte Elise, und sah ihm jetzt so voll und ehrlich in's Auge, daß er seinen Blick fast erschreckt vor den hellen Sternen zu Boden senkte.
»Zürnen Sie mir nicht der ungeschickten Frage wegen,« sagte er leise; »aber ich kann Ihnen den Grund nennen, weshalb ich die Blumen in Ihrer Begleitung den staubigen Büchern – wahrscheinlich ohne dieselbe – vorgezogen habe.«
»Ich wäre wirklich neugierig ihn zu hören,« lächelte Elise, fühlte aber doch, daß sie, vielleicht unmerkbar, dabei erröthete.
»Er ist einfach,« sagte Könnern treuherzig, »und in dem Leben eines Jägers und Herumtreibers, wie ich leider einer bin, allein begründet. Wir sehen Gottes schöne Welt in all' ihrer wundervollen Pracht, in allen Zonen, sehen sie in ihrem Reize, in ihrer furchtbaren Öde, in ihren großartigen Massen, in ihren kleinsten, lauschigsten Winkeln und Ecken, aber – wohin wir kommen, sind wir immer nur Fremde und Heimathlose. – Wie auch unser Herz daheim an dem Zauber eines stillen Familienkreises gehangen haben mag, da draußen werden wir in den allgemeinen Wirbel hinausgestoßen, und wenn sich in der friedlichen Abendstunde alle Menschen, mit denen wir in flüchtige Berührung gekommen, in das Asyl ihres eigenen Heerdes zurückziehen, wenn sie sich gewissermaßen in dem Kreise der Ihren die Belohnung holen für das, was sie den Tag über gewirkt und geschafft, dann liegen wir an einem einsamen Lagerfeuer, oder vielleicht noch schlimmer, in einem erbärmlichen, unfreundlichen Wirthshause, und dürfen nun darüber nachbrüten und grübeln, daß wir über Tag Alles zu haben meinten, was der Mensch nur wünschen kann, und daß uns doch in der That Alles fehlt, was zum eigentlichen Glück des Menschen gehört.
»Mit Einem Worte, es fehlt uns da draußen der Umgang mit sanften Frauen, das mildernde Element im Leben des Mannes, der sich seinen Weg nur das ganze Jahr durch seine rauhe und wilde Umgebung erkämpfen muß. Wo wir deshalb auch immer so ein liebes, freundliches Frauenbild finden, da sehen wir in ihren Augen den ganzen Himmel unserer eigenen, daheim verlassenen Häuslichkeit, und wenn auch die Freude, die wir dabei empfinden, eine Art von Heimweh sein mag, so regt sich doch auch zugleich Alles wieder in unserm Herzen, was gut und edel, und die ganze Zeit vielleicht todt darin geschlummert hat. Ich weiß nicht, liebes Fräulein, ob Sie mich verstanden?«
»Ich glaube ja,« flüsterte Elise, und es war ihr in dem Augenblicke fast, als ob sie selber eine lange, öde Strecke allein und freudlos durch die Welt gezogen sei, und jetzt eben aus weiter, weiter Ferne das Geläute ihrer heimischen Glocken gehört habe. Und doch durchzuckte sie dabei auch wieder ein wehes Gefühl, wenn sie sich das auch selber nicht einmal gestehen mochte – aber es war nur der flüchtige Gedanke, daß der Fremde also gestern auch die Blumen da draußen gar nicht ihretwegen an sich genommen und aufgehoben habe. Nur die Erinnerung an die Heimath – vielleicht an ein anderes liebes Wesen, das dort seiner warte, hatte ihn in dem Augenblicke erfaßt, und das tiefe Gefühl selbst, das aus seinen Worten, aus seinem ganzen Wesen sprach, galt nicht der Gegenwart, sondern war allein der Wiederglanz eines verlorenen oder lang entbehrten Glückes daheim.
Wieder wanderten die Beiden eine ganze Zeit lang schweigend durch den Garten, Jeder mit seinen eigenen Gedanken voll beschäftigt.
»Wie das schön ist in dieser herrlichen, tropischen Welt!« brach endlich Könnern das Schweigen; »wie wohl die warme Luft dem Körper thut, und wie zierlich jene herrlichen Baumformen die schönsten, natürlichsten Gruppen bilden. Die Eingeborenen hier müssen doch eigentlich recht glückliche Menschen sein.«
»Und warum nur die Eingeborenen?« fragte Elise.
»Weil sie bloß der Gegenwart zu leben brauchen,« sagte Könnern; »sie haben Nichts in der Welt, das ihnen den Genuß des Augenblickes verkümmern könnte, keine Erinnerung, die sie zurückzieht, keine Sehnsucht nach irgend einem verlassenen Spielplatze der Kindheit. Fühlt sich nicht selbst der Lappländer in seiner Schneewüste, in seiner rauchigen Hütte, in Schmutz und Elend glücklich, nur weil es seine Heimath ist, wie viel mehr denn könnte es der Brasilianer in seinen Palmenwäldern und Orangenduft?«
»Und hängen Sie noch so sehr an der Heimath?«
»Du lieber Gott,« sagte Könnern, »ich habe eigentlich nicht viel dort zurückgelassen, was mich binden könnte. Meine Eltern sind beide todt, und nach so langer Abwesenheit von daheim darf ich kaum hoffen, daß, außer einem Bruder, der mir dort lebt, meine Freunde mir eben das warme Herz bewahrt haben, das ich zurückbringe. Man sagt ja sogar, daß das Heimweh nur durch eine Rückkehr in die Heimath so gründlich curirt werden könne, um nie wiederzukehren. Aber dennoch liegt ein eigener Zauber über dem Platze, auf dem einst unsere Wiege gestanden, und ich weiß nicht, ob ich mich je mit dem Gedanken befreunden könnte, selbst Brasilien zu meinem steten Aufenthalte zu wählen, ehe ich den heimischen Boden nicht wenigstens noch einmal wiedergesehen hätte. Fühlen Sie kein solches Verlangen?«
»Ich war noch ein halbes Kind als ich Deutschland verließ,« sagte Elise; »kannte ich doch damals Nichts als das Vaterhaus, und da meine Eltern mit herüber kamen, vermißte ich kaum Etwas aus dem alten Vaterlande. Wohl steigt manchmal eine Art von Sehnsucht in mir auf, die Heimath wieder zu sehen, aber es ist mehr ein unbestimmtes Gefühl, das keinen festen und gewissen Anhaltspunkt hat, und deshalb auch nicht so mächtig, um mich lange und ernsthaft in Anspruch zu nehmen.«
»Aber Sie führen doch ein recht einsames Leben hier oben.«
»Ich bin kein anderes gewöhnt,« sagte Elise, während aber doch ein leichter Seufzer ihre Brust hob; »Vater und Mutter sind so gut mit mir, und Alles, was ich brauche, habe ich im Überfluß. Was könnte mir die geräuschvolle Welt da unten mehr bieten? Je mehr ich auch davon sehe, desto weniger gefällt sie mir, und ich habe es dem Vater oft schon im Stillen gedankt, daß er uns hier oben so vollkommen von dem Verkehr mit der Ansiedelung abgeschlossen.«
»Aber was haben Sie schon davon gesehen?«
»Was? O, viel!« sagte Elise erstaunt. »lärmende, trunkene Menschen, die gar nicht selten unser Haus passirten, Klagen der Arbeiter im Überfluß, und Zank und Streit, Neid und Haß der einzelnen Colonisten, die manchmal den Vater bitten, zwischen ihnen zu entscheiden, damit sie keinen Advocaten anzunehmen brauchen. Es ist recht traurig, daß die Menschen nicht in Frieden neben einander leben können, und Vater hat gewiß ganz Recht gehabt, daß er sich von ihnen zurückgezogen. Wir leben jetzt hier viel glücklicher in unserer Einsamkeit, wo wir Nichts von all' dem Lärm und Unfrieden zu hören bekommen – und doch sehnt sich Mutter hinaus und zurück in die Welt.«