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Kitabı oku: «Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band.», sayfa 11

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Er horchte erschreckt empor – war es ihm doch fast, als ob er in der Richtung nach seinem versteckten Schatz hin einen Ruf gehört hätte – es war Alles todtenstill – die Grillen zirpten ihr Abendlied, und von der See herüber konnte man das dumpfe Rollen der Brandung hören – weiter keinen Laut.

»'s ist doch merkwürdig,« dachte Jeremias, »was mir heute nur Alles in den Gliedern liegt und in den Ohren klingt, nur, weil ich da oben die Spur von einem Schuh im Sande gefunden habe! Als ob es nicht Menschen genug gäbe, die da herumstreifen könnten – und außerdem hat's in drei Tagen nicht einmal geregnet. Aber wie Blei liegt's mir trotzdem in den Gliedern und ich möchte die ganze Nacht hier sitzen, um nur morgen früh mit Tagesanbruch gleich wieder an der Stelle zu sein. – Dann nehm ich's aber mit – keine Sonne soll je wieder auf den Stein scheinen mit meinem Geld darunter, so viel weiß ich, denn die Angst will ich nicht noch einmal ausstehen. – Und was hindert mich denn, daß ich's jetzt noch hole? – aber mit dem Gelde mitten in der Nacht den Weg da allein gehen und alle die Soldaten um das Nest herum…?!«

Jeremias war vollkommen mit sich im Unklaren – er wollte Etwas thun und wußte nicht was. Wie machte er's am Gescheutesten?

Gerade, wo er stand, war ein Baum quer über den Weg gefallen, von einem vorbeipassirenden Kärrner wahrscheinlich durchgehauen und eben nur nothdürftig genug mit dem Stammende aus dem Weg gehoben, daß die Räder durchpassiren konnten – wer die Passage breiter haben wollte, konnte sich selber helfen. Auf den Stamm setzte sich Jeremias, seinen Hut neben sich legend, und kratzte sich unter der rothen Perrücke in lauter Zweifel und Ungewißheit den Kopf; es war indessen vollständig dunkel und Nacht geworden.

Endlich schien er zu einem Entschluß gekommen. »Zum Schwerebrett!« brummte er, jetzt ist's Nacht geworden – jetzt kriecht Niemand mehr da oben herum – und ich auch nicht – und morgen, eine Stunde vor Tag, steh' ich auf, und sprenge die Bank – hol' mich Dieser und Jener wenn ich's nicht thue!«

Damit nahm er seine Perrücke ab, trocknete sich darunter mit einem baumwollenen Taschentuch den Schweiß, zog sie wieder fest, drückte sich den Hut darüber und wollte eben aufstehen und in die Stadt zurückkehren, als er rasche und schwere Schritte auf den Steinen hörte.

»Holla, wer ist das?« fuhr er erschreckt empor. Aber die Schritte kamen rasch näher – es war Jemand, der aus Leibeskräften lief, und im nächsten Momente sah er eine dunkle Gestalt auf sich zuspringen, und zwar genau der Richtung folgend, welche die Straße selber nahm.

Das eine Ende des Baumes lag aber nach dort hinüber, da der umgestürzte Stamm am dünnen Ende durchgehauen war und der Bauer mit seinem Wagen lieber einen kleinen Bogen gemacht hatte. Der Laufende schien den Stamm gar nicht gesehen zu haben, bis er dicht davor war – er wollte einhalten, konnte aber nicht mehr, that einen Fehltritt und schlug der Länge nach über das Holz weg. In demselben Augenblick klirrte Etwas wie Geld auf dem Boden, wie ein Sack mit Silber, und Jeremias, zu dessen Füßen das Alles vorging, sprang in die Höhe und rief überrascht aus: »Holla! – wen haben wir denn da?«

Der Gestürzte mußte keinesfalls die unmittelbare Nähe eines andern Menschen geahnt haben; kaum aber hörte er die Stimme neben sich, so stieß er einen Angstschrei aus, so hell und gellend, daß Jeremias selbst davor zurückschreckte, raffte sich aber auch in demselben Moment empor und war mit Einem Satze seitwärts im Dickicht verschwunden, wo er in wilder Flucht durch Dornen und Geröll hindurchbrach.

»Na ja,« sagte Jeremias und sah verblüfft hinter ihm drein – was hat denn der ausgefressen, und wer war's eigentlich? – Kam mir beinahe so vor, als ob's der Lump, der Bux – alle Teufel!« unterbrach er sich selber und sprang der Stelle zu, aus der er das klirrende Geräusch gehört. Er brauchte auch nicht lange zu suchen, denn mitten im Weg lag ein dunkler Gegenstand, während es ihm durch alle Nerven zuckte, als er nur seine Hand darauf legte.

Es war ein Sack mit Geld – genau so ein Sack, wie er ihn unter dem Stein verborgen gehabt, und als er mit vor Aufregung zitternden Fingern darüber hingriff, konnte er nicht länger im Zweifel sein, daß er sein Eigenthum in Händen halte.

Was war geschehen – wie hing das Alles zusammen? Die Gedanken jagten sich ihm wirr im Kopf und die Furcht überkam ihn jetzt, daß der blos erschreckte Räuber, vielleicht noch mit Genossen, zurückkehren und ihn überfallen könne.

In die Stadt! war jetzt sein einziger Gedanke – zu Menschen, zwischen menschliche Wohnungen, und den wiedergefundenen Beutel fest unter den Arm drückend, lief er, wie der Verbrecher vor ihm gelaufen war, den Weg entlang, als ob ihn selber sein böses Gewissen treibe.

Selbst unterwegs aber überkam ihn die Angst, daß der Flüchtige schon umgedreht sein könne und hinter irgend einem Busche auf ihn lauere, und er brauchte jetzt die wunderlichsten Mittel, sich dagegen sicher zu stellen. Wenn Jener nämlich glauben mußte, daß er nicht allein sei, wagte er sicher nicht vorzubrechen, und Jeremias fing jetzt an zu rufen: »Hier ist er – da hinter dem Busche! – Spring' da herum, daß er nicht wieder durchbricht! – Halt' ihn! – Warte, Canaille, dieses Mal entgehst Du uns nicht!« Und dabei lief er so rasch ihn seine Füße trugen, bis er, endlich bei Justus' Haus angekommen, vor Erschöpfung und ausgestandener Todesangst fast in die Knie brach.

Hier begegneten ihm aber Menschen. Zwei Soldaten gingen plaudernd die Straße hinauf – ein Reiter kam die eine Querstraße herein. In den Häusern war Licht und in den Zimmern konnte er die Leute sitzen sehen. Vor der einen Thür saßen sogar noch ein paar junge Burschen und sangen, und Mädchen gingen über die Straße, um Wasser zu holen. – Er war in Sicherheit.

11
Könnern und Elise

Am nächsten Morgen fehlte es in Santa Clara an allen Ecken und Enden: bei Baulens war kein Pferd gefüttert und geputzt, der Baron schimpfte über Jeremias und seine schmutzigen Pfeifen, bei Bohlos sollte Wein abgezogen werden und keine Flasche war rein, beim Kaufmann Rohrland waren die Kleider nicht rein gemacht und die Schuhe ungeputzt geblieben, kurz, überall suchte man Jeremias, der noch im Leben nicht so nöthig gewesen schien als gerade heute, und gerade heute nicht gefunden werden konnte.

Und wo war Jeremias? – In seinem Dachstübchen, aber fest eingeschlossen, das Schlüsselloch verstopft, so saß er auf seinem Bett, antwortete auf kein Klopfen, und brütete über seinem Geldsack, den er wohl verborgen unter der Matratze liegen hatte und sich nicht mehr getraute zu verlassen.

So war es bald Mittag geworden, und er saß noch immer da, als es plötzlich wieder, lauter als je, an seine Thür schlug. Er gab keine Antwort; aber der Klopfer ließ sich dieses Mal nicht abweisen, und rief, mit dem Mund an der Thür:

»Was, zum Teufel, treibst Du denn da drin, Jeremias? So mach' doch auf!« – Keine Antwort – »verstelle Dich nur nicht – ich habe Dich ja eben nießen hören. Mach' auf, oder ich drücke wahrhaftig die Thür ein!«

Jeremias kannte die Stimme – es war der Kaufmann Rohrland selber – konnte ihm der vielleicht einen guten Rath geben? Jeremias stand auf und schob den Riegel zurück.

»Aber, zum Teufel, was treibst Du denn nur hier oben?« rief ihm dieser entgegen, »überall wirst Du gesucht; der Bodenlos flucht und schimpft und der junge Graf wettert im ganzen Orte herum. Bist Du krank?«

»Zahnschmerzen,« sagte Jeremias, und hielt sich mit beiden Händen die Backe.

»So laß ihn herausreißen – wer quält sich denn so lange mit einem kranken Knochen! Ist's denn jetzt besser?«

»Ja.«

»Kannst Du mir 'was besorgen?«

»Und was ist's?«

»Der neue Director war bei mir, und wollte für etwa ein Conto de Reis Silber; ich habe aber nur ein paar Hundert Milreis im Hause – kannst Du einmal herumlaufen und sehen, wo Du sie auftreibst? – Er giebt ganz gute Banknoten dafür, die eigentlich noch eine Prämie bekommen.«

»Ganz gute Banknoten?« fragte Jeremias aufmerksam werdend.

»So gut wie Silber, oder noch besser. Ich wechselte sie ihm gern ein, wenn ich es nur hätte.«

Jeremias sprang wie der Blitz in die Höhe und in seine Schuhe; da war Hülfe in der Noth.

»Sieh' zu, daß Du es bekommst, und wenn es nur wenigstens ein Theil ist, das Andere schaffen wir dann schon.«

»Ich bring' es hinüber,« sagte Jeremias, und meinte seinen Sack – »also gute Banknoten?«

»Ich tausche sie zu jeder Stunde wieder um, wenn ich's nur selber habe. Kommst Du dann hinüber?«

»In einer Viertelstunde; ich – muß mich nur erst waschen.«

»Gut,« sagte Rohrland – »also, ich verlasse mich darauf. Hier hast Du erst einmal fünfhundert Milreis, und wenn Du noch mehr auftreiben kannst, hol' Dir das Übrige – siehst Du, es sind lauter gute Noten und noch alle neu.«

Er zählte sie ihm vor, wickelte das Packet dann wieder in Papier ein, und legte es ihm auf das Bett. Kaum war er aber fort, als Jeremias die Thür wieder hinter ihm fest verriegelte und in voller Hast seinen Schatz vorholte. – Banknoten – weshalb hatte er denn nicht an die schon lange gedacht, daß er sich immer mit dem schweren Silber herumgequält und die Angst ausgestanden hatte, es zu verlieren – Banknoten – die konnte er in seinen Rock oder in seine Weste nähen, und wer wußte nachher, daß er ein Vermögen auf dem Leibe trug? Aber zählen mußte er vorher, was er hatte, und mit vorsichtiger Hand that er das jetzt auf der Bettdecke, daß die Münzen nicht an einander schlugen. – Und wie das hübsch aussah, als da Alles in einer Reihe vor ihm lag – aber Banknoten waren besser – die klimperten nicht und hatten kein Gewicht, und man brauchte nicht draußen in den Bergen herumzukriechen, um sie einzeln zu verstecken, und nachher alle auf einmal stehlen zu lassen. – Wer nur der Dieb gestern gewesen war, und wie er ihn ausgefunden hatte? Wirklich der Bux? – Aber wie konnte der wissen, daß er Geld im Walde versteckt gehalten? – Es mußte jemand Anders gewesen sein – vielleicht der Schneider, der Justus, der ihn wie Gift haßte? – Er hörte bei dem Gedanken ordentlich mit Zählen auf, und brummte leise vor sich hin: »So eine Canaille, – dem traut' ich's zu.«

Jetzt war er fertig, aber wieder und wieder überzählte er die Summe – vierhunderteinundzwanzig Stück, und seiner Berechnung nach fehlten neunzehn daran – ob die der Schuft herausgestohlen hatte? – Es wurden aber nicht mehr, und er packte sie endlich wieder ein und trug sie fort.

Damit schien dem kleinen Burschen aber eine wahre Last von der Seele genommen zu sein. So wie er sein schweres Silber los war, nähte er sich die paar Banknoten sorgfältig in seine Weste ein, und ging dann an seine Arbeit, und pfiff und sang dabei, daß es eine wahre Lust und Freude war. —

Wir müssen jetzt noch einmal auf die Erlebnisse des vorigen Tages zurückspringen, und zwar zu dem Augenblick, wo Könnern und von Schwartzau in Begleitung Helenen's den Meier'schen Garten verließen.

Noch saß der alte Mann auf dem Stuhl, die Hände gefaltet und in sich zusammengebrochen, den Blick stier und glanzlos auf den Boden heftend. Neben ihm stand die Tochter, den linken Arm um seine Schulter geschlagen, ihre Stirn auf sein Haupt gelehnt, und mit der rechten Hand seinen Arm gefaßt, und flüsterte leise:

»Väterchen – Väterchen – was ist Dir? So fasse Dich doch – sieh mich an – ich bin ja bei Dir, Deine Elise, Dein Kind, und will Dich nie verlassen, wenn es Dir gar so schrecklich ist. Sprich nur mit mir – hebe nur die Augen zu mir auf – sage mir nur das Eine – Eine Wort, daß Du mir nicht böse bist!«

»Sprich mit ihr,« flüsterte die Frau, die ihre ganze Fassung wieder gewonnen hatte, und ebenfalls zu dem Gatten getreten war – »sprich mit ihr und sei ein Mann, Franz. – Es ist Nichts, Kind, es wird gleich vorübergehen – vor acht Tagen hatte er ja auch schon einmal einen solchen Anfall gehabt, nur daß wir es Dir damals verheimlichten, damit Du Dich nicht so sehr erschrecken solltest.«

Meier hob den stieren Blick langsam zu seiner Frau empor, und sah sie so scharf und durchdringend an, daß sie ihre Augen zu Boden schlagen mußte.

»Es ist Nichts – gar Nichts?« sagte er leise. – »Und war er nicht hier – hat er nicht…«

»Unsinn!« rief aber die Frau jetzt ärgerlich; »schwatze dem Kinde Nichts vor, daß es sich ängstigen muß.«

Noch immer haftete des alten Mannes Blick fest auf seiner Frau, und an dem Arm der Tochter hob er sich empor, bis er aufgerichtet vor ihr stand – dann seine Hand auf Elisens Schulter legend, und sich zu ihr wendend, während nur noch ein scheuer Blick nach der Frau hinüberschweifte, flüsterte er:

»Glaub' ihr nicht, Elise, glaub' ihr nicht. Jahr nach Jahr hat sie mich eingeschläfert und mein Gewissen erdrückt, daß es nicht ausbrechen konnte an freie Luft. Jetzt ist's vorbei, jetzt ist's vorbei! Er ist gekommen, der Rächer, und die Schuld muß gesühnt werden.«

»Vater!« rief Elise in furchtbarer Angst – ist geschehen – was hast Du?«

»Er spricht im Fieber,« rief die Mutter erbleichend – »hör' nicht auf ihn – lauf', Elise – spring' hinaus und schick' das Mädchen nach einem Arzt!«

»Zurück!« rief der alte Mann, indem er Elisen's Arm jetzt krampfhaft hielt – »zurück Versucher, Deine Zeit ist um. – Länger ertrag' ich's nicht – hat mir so schon das Herz fast abgedrückt die langen, langen Jahre über – zurück!« Und das Mädchen wieder an sich ziehend, flüsterte er ihr rasch und ängstlich zu: »Komm mit auf mein Zimmer, Elise – komm mit – Du sollst Alles – Alles wissen – Dir will ich beichten – in Dein reines Herz will ich meine ganze Schuld, meinen ganzen Jammer ausschütten – dann wird mir wohl – dann wird mir wohl werden!«

»Franz,« rief die Frau, mit krampfhaft gefalteten Händen zu ihm aufschauend – »um Gottes willen bedenke was Du thust! Willst Du das Kind vom Herzen der Mutter reißen?«

»Du hast kein Herz!« stöhnte aber der alte Mann, die zitternde Hand gegen sie schüttelnd – »geh' – geh' – geh'! Laß mich mit dem Kind allein, ich muß sprechen – muß endlich sprechen und für meine Seele Ruhe finden, wenn ich nicht hier und dort zu Grunde gehen soll. Komm', Lieschen, komm – ich will reden,« und mit zitternder Hast zog er die Tochter in sein Zimmer. Die Frau aber wankte zum Sopha, warf sich darauf, barg ihr Gesicht fest, fest in den Händen und lag dort stumm und regungslos.

Das war ein trauriger Tag in dem Hause. Die Dienstleute gingen herum und wußten nicht, was mit der Herrschaft geschehen sei. Das Frühstück war schon unberührt auf dem Tisch stehen geblieben und kalt wieder hinausgetragen, zum Mittagsessen wurde gar nicht gedeckt. Das Dienstmädchen ging ein paar Mal zur »Madame« hinein, um zu fragen ob Niemand Etwas verlange – aber sie bekam nicht einmal eine Antwort. Die Frau lag noch immer auf dem Sopha und regte kein Glied, und nur an dem schweren Athmen konnte man sehen, daß sie noch lebe, und Elise war, als sie den Vater verließ, auf ihr Zimmer gegangen, und hatte sich dort eingeschlossen.

So kam der Abend heran, und als es anfing zu dämmern, erhob sich die Frau langsam von ihrem Lager, stand auf, und verließ das Haus und den Garten, und schritt langsam den schmalen Weg zum Thal hinab. Karl sah sie gehen, und schüttelte den Kopf, denn wie selten war die Frau hinaus vor die Gartenthür gegangen, und nie und nimmer nach Dunkelwerden – wo wollte sie jetzt hin? Einmal fiel es ihm ein, ob er nicht lieber hinein gehen sollte und es dem Herrn sagen; aber der hatte seinen Riegel inwendig vorgeschoben, und das Fräulein war eben so wenig zu sprechen. Er ging dann selber hinaus vor den Garten, um nach der Madame da draußen auszuschauen – aber sie war nirgends zu sehen, und es fing an, ihm selber ganz unheimlich dabei zu werden.

Endlich kam Elise herunter, um ihre Mutter zu sprechen. – Das Mädchen kam ihr weinend entgegen, um ihr zu erzählen, daß die Frau fort sei, und so gar schrecklich bleich ausgesehen habe, wie sie gegangen, und so gar große und glänzende Augen gehabt habe. Und kein Tuch hatte sie mitgenommen, keinen Hut – ruhig und langsam war sie hinausgeschritten auf die Straße und dort hinab.

Elise seufzte tief auf und faßte krampfhaft ihr armes, gequältes Herz – die Ahnung von etwas Furchtbarem kam über sie; aber so viel war schon geschehen – so Entsetzliches, daß der Eine Schlag nicht betäubender wirken konnte als der andere. Das Mädchen durfte auch nicht ahnen was geschehen – wenigstens jetzt noch nicht, denn lange ließ es sich ja doch nicht mehr geheim halten.

»Wo ist der Karl?« fragte sie ruhig.

»Hier, Fräulein,« sagte der junge Bursche, der schüchtern an der Thür gestanden.

»Geh' hinunter in die Stadt und suche die Mutter – sie ist krank – benachrichtige auch zugleich den Arzt, daß sie in einem heftigen Fieberanfall das Haus verlassen habe. Wenn Du sie allein nicht gleich findest, so schick' andere Leute nach allen Richtungen aus – Du wirst aber schon von ihr hören – Menschen werden sie schon hier oder da gesehen haben – lauf', Karl – sei geschwind, und – wenn Ihr sie gefunden habt, schick' mir rasch einen Boten voraus, daß ich Euch entgegen komme.«

Karl nickte stumm mit dem Kopfe, und seine Mütze nehmend lief er in die Stadt hinab, so rasch ihn seine Füße trugen – aber der Abend verstrich und er kehrte nicht zurück, und Elise ging still und allein in dem öden Zimmer auf und ab. Es war tiefe Nacht, und der Mond ging auf und warf sein bleiches Licht in zitternden Schatten durch den Orangenbaum, der vor dem Fenster stand; Elise sah es nicht – die Augen auf den Boden geheftet, wanderte sie die halbe Nacht mit schweren, sorgenvollen Schritten, bis sie etwa gegen zwei Uhr Morgens die Hausthür gehen hörte und wußte, daß jetzt Karl zurückgekehrt sei. Sie schritt zur Thür, und rief: »Karl!«

»Ach, Fräulein, sind Sie noch auf?«

»Hast Du keine Spur gefunden?«

»Wir haben Alles abgesucht – in allen Häusern nachgefragt, sie kann – sie kann sich nirgends aufgehalten haben.«

»Sie war in der Stadt?«

»Ja – des Liebel's Mädchen hat sie gesehen, wie sie dort am Haus, aber hinten am Garten vorbeigegangen ist, auf dem kleinen Wege – der – «

»Der?«

»Der nach dem Fluß führt.«

»Nach dem Fluß?« wiederholte Elise, und sie fühlte, wie ihr das Blut im Herzen stockte, aber gewaltsam raffte sie sich empor und fuhr leise fort: »Und weiter hat sie Niemand gesehen?«

»Der Mann, welcher die Fähre unten hält, behauptet, es sei eine Frau in einem weißen Kleide an seinem Hause vorbeigegangen, immer den Weg entlang; unten, wo die Soldaten liegen, will sie aber Niemand gesehen haben.«

»Ihr habt nicht ordentlich nachgefragt.«

»Gewiß, Fräulein – aber es wurde so spät – die Leute schliefen schon alle. Morgen mit Tagesanbruch bin ich wieder in der Stadt und – bringe Ihnen gewiß gute Nachricht.«

»Es ist gut; leg' Dich nieder – Du wirst auch müde sein.«

»Ach, gar nicht, bestes Fräulein, wenn ich nur…«

»Leg' Dich nieder, Karl, und sei morgen früh wieder auf.«

»Ehe es nur grau im Osten wird, bin ich in der Stadt unten.«

Es mochte etwa zehn Uhr am nächsten Morgen sein, als ein einzelner Reiter am Gartenthor hielt, sein Pferd dort befestigte und an das Thor pochen wollte; aber er sah, daß dieses nur angelehnt sei, und betrat den Garten. Es war Könnern, und sein erster Blick flog nach dem Mandelbaum hinüber, an dem er gestern Elisen getroffen. Der Cithertisch stand noch dort mit der Cither, wo sie vergessen und dem Nachtthau ausgesetzt gewesen war – ein kleines Halstuch, das Elise getragen und abgenommen, als es ihr zu warm wurde, lag daneben auf dem Tisch.

Könnern seufzte tief auf; die Brust war ihm so beklommen, er konnte kaum athmen; aber er faßte sich gewaltsam, und schritt auf das Haus zu. Unten traf er das Mädchen, das in der Küche neben dem Heerde saß und roth geweinte Augen hatte.

»Ist Ihr Fräulein zu Hause?« fragte er leise.

»Ja – drin im Zimmer,« sagte die Magd, scheu zu dem Fremden aufsehend, denn das war ja Einer von Denen, die gestern dagewesen, wonach das Unglück über ihr Haus hereingekommen.

»Kann ich sie sprechen?«

»Ich weiß nicht – sie wird wohl Niemand sprechen wollen – das arme Kind – ach, bei uns geht's zu!«

»Sind die Eltern bei ihr?«

»Der alte Herr ist in seinem Zimmer und schreibt,« antwortete das Mädchen, sich die Augen abtrocknend – »er hat die ganze Nacht geschrieben und ist in kein Bett gekommen – und die Frau ist fort – kein Mensch weiß wohin, und sie suchen sie schon seit gestern Abend vergeblich überall. Sie haben 'was Schönes angerichtet, und Gott im Himmel verzeih' Ihnen die Sünde!«

»Ich muß das Fräulein sprechen – gehen Sie hinein – sagen Sie ihr, daß ein Freund da sei, der ihr Trost brächte.«

»Den könnte sie brauchen,« seufzte das arme Mädchen, und erhob sich von der Küchenbank, als die Thür des Zimmers aufging und Elise auf der Schwelle stand. Sie sah todtenbleich aus, war aber vollkommen ruhig und sagte leise: »Kommen Sie herein, Herr Könnern, ich habe Ihre Stimme gehört – ich muß mit Ihnen reden.«

»Elise, meine arme, arme Elise!« rief Könnern, als er das Zimmer betreten hatte und ihre Hand ergriff – »welch ein kalter Reif ist auf Dein junges Leben gefallen!«

Elise barg ihr Antlitz in den Händen und stand eine Weile schweigend vor ihm. Er legte seinen Arm um sie und zog sie an sich – sie duldete es; endlich richtete sie sich wieder empor, machte sich von ihm frei und flüsterte:

»Ich danke Ihnen, Herr Könnern, daß Sie mich noch einmal aufgesucht haben – der Gedanke wäre mir schrecklich gewesen, auch Sie in jener furchtbaren Stunde so verloren zu haben. Jetzt ist Alles gut, jetzt kann ich ruhig mit Ihnen sprechen – ruhig von Ihnen Abschied nehmen…«

»Elise,« bat Könnern, und wollte wieder ihre Hand ergreifen, die sie ihm aber entzog.

»Lassen Sie mich ausreden,« bat sie – »meine Gedanken sind ohnedies verwirrt, mein Kopf ist mir wüst und leer – so lassen Sie uns denn wenigstens diese schwere Stunde abkürzen – es könnte sonst meine Kräfte übersteigen.«

»Mein armes, armes Kind!« flüsterte Könnern.

»Sie wissen Alles, wie ich voraussetzen darf, nicht wahr?« fuhr Elise fort, und sah scheu zu ihm auf.

»Alles,« hauchte Könnern – »Herr von Schwartzau hat mir gestern Abend Alles erzählt, denn ich mußte es wissen, wenn ich rathen und helfen soll.«

»Gott sei Dank,« seufzte Elise, »dann wird mir das wenigstens erspart! Ich hatte mich davor gefürchtet.«

»Und hat Dein Vater, Elise…«

»Er hat mir sein ganzes Herz ausgeschüttet,« sagte die Tochter – »seine ganze, furchtbare Schuld bekannt und – mich noch viel Furchtbareres ahnen lassen, was ihn dazu getrieben« – setzte sie leise und scheu hinzu. »Das Unglück ist aber so plötzlich über uns hereingebrochen, daß es mir selber manchmal noch wie ein böser, furchtbarer Traum vorkommt, aus dem ich endlich erwachen müsse, weil es ja gar nicht möglich sein könne, daß er wahr – daß er wirklich sei. Und doch ist er wahr und wirklich; – ich wache – ich lebe bei vollem Bewußtsein, und darf mir das Entsetzlichste – meine Mutter – noch nicht einmal denken, wenn ich die armen, gequälten Sinne zusammenhalten will. – Doch jetzt fort mit Allem, was mich stören oder hindern könnte – der Schmerz ist mein – und ich will ihn allein tragen.«

»Und verschmähst Du die Hand, die sich ausstreckt, Dir tragen zu helfen?«

»Lassen Sie mich ausreden,« bat Elise, »denn der Weg, den ich mir vorgezeichnet habe, liegt so klar und offen vor mir, daß kein Irren davon möglich ist. – Ich will auch nicht den Vater – die Eltern entschuldigen – das Furchtbare ist geschehen, und die Folgen brechen herein. Nichts bleibt uns jetzt übrig, als gut zu machen was noch möglich ist – und das soll geschehen. Mein Vater hat die ganze Nacht damit zugebracht, seine Papiere zu ordnen – ich habe ihn heute Morgen gesprochen – bis heute Nachmittag wird er mit Allem fertig sein, und läßt bis dahin Ihren Freund bitten, sich zu ihm her zu bemühen.«

Könnern schwieg und nickte nur leise mit dem Kopf.

»Er wird ihm,« fuhr Elise fort, und Könnern sah, welche Gewalt sie sich anthun mußte, ruhig zu bleiben – »Alles übergeben was wir haben – Alles,« setzte sie rasch hinzu, »selbst das Letzte, und morgen – verlassen wir dann die Colonie.«

»Elise, das geht nicht – das geht bei Gott nicht!« rief Könnern erschreckt.

»Es geht nicht?« rief das junge Mädchen, und ihre ganze Gestalt zitterte, ihre Glieder bebten, die Lippen halb geöffnet, mit stieren Blicken streckte sie die Arme nach Könnern aus und bat mit vor innerer Angst fast erstickter Stimme: »Und soll auch noch das Furchtbarste über uns hereinbrechen? Soll der arme, alte Mann, dessen Leben schon durch seine Gewissensbisse zerstört und vergiftet wurde, auch noch in den Kerker müssen? Soll ich den Vater hinter Eisenstäben sterben sehen, während die Mutter…« Sie konnte nicht mehr, der schwache Körper hatte das Übermenschliche ertragen, und sie wäre zu Boden gesunken, hätte sie nicht Könnern in seinem Arm aufgefangen.

»Elise,« flehte der junge Mann in Todesangst, »woher diese schrecklichen Gedanken – quäle Dich nicht unnöthig mit einer leeren Furcht! Dein Vater kann frei hinziehen, wohin er will – Günther von Schwartzau ist ein Ehrenmann und mein treuer Freund, und was in seinen Kräften steht, Dein hartes Geschick zu mildern, wird er mit Freuden schon meinetwegen thun.«

»O, Dank – tausend, tausend Dank für diesen Trost!« schluchzte Elise, ergriff Könnern's Hand und preßte sie an ihre Lippen, ehe er es verhindern konnte – »dann ist Alles gut – Alles gut – und mit der Angst von sich genommen, die seine Tage vergiftet hat, kann er, wird er ein neues Leben beginnen. Ich bin ja auch jung und kräftig,« fuhr sie lebhafter fort – »ich will und kann arbeiten, und Gott wird uns nicht verlassen, wenn er die wahre Reue des Schuldigen sieht.«

»Elise,« rief Könnern, der sich nicht länger halten konnte – »Du zerreißest mir das Herz mit solchen Reden – »bin ich Dir gar Nichts mehr? Sind die lieben Worte, welche Du gestern zu mir gesprochen, schon verhallt und todt? Elise, ich entbinde Dich nicht des Wortes, das Du mir gegeben – was auch geschehen, was verschuldet ist, nicht Du – nicht ich trage die Schuld davon, und wir dürfen deshalb nicht darunter leiden. Du bist mein – mein für immer, und auf Händen will ich Dich tragen mein ganzes Leben lang!«

Er hatte noch seinen Arm um sie geschlungen, und preßte sie fest und leidenschaftlich an sich, und Elise duldete die Umarmung und lehnte ihr Haupt müde an seine Brust. Dann machte sie sich leise von ihm los und sagte, indem sie ihn mit einem rührenden Blick voll Liebe und Dankbarkeit ansah:

»So – jetzt ist mir wohl – ich habe einmal an diesem treuen Herzen geruht, und die Erinnerung dieses Augenblicks wird mir ein Trost mein ganzes, langes Leben sein – und jetzt, Bernard, laß uns scheiden.«

»Elise…«

»Rede mir nicht zu,« sagte das Mädchen, indem jetzt wieder Leichenblässe ihre Züge entfärbte – »mein Entschluß steht fest – unerschüttert fest – ich kann und darf Dir nicht angehören – ich kann und will das Opfer nicht von Dir annehmen, Dich an das Leben eines Verbrechers zu ketten. Aber das Kind gehört zum Vater, und wie mich Gott geschützt, daß ich den Augenblick überstanden, in dem ich Dir das gesagt – wird er mich auch weiter schützen auf meiner langen, dornenvollen Bahn. Ja, Bernard,« fuhr sie wie verklärt fort, als er stumm vor Schmerz vor ihr stand – »ich habe Dich geliebt mit meiner ganzen Seele – mit jedem Athemzug, den ich gethan, mit jedem Schlage meines armen Herzens – ich liebe Dich noch und werde Dich immer lieben, aber – ich darf nicht Dein sein – darf nicht – kann es nicht. Leb' wohl! Möge Dir Gott den Frieden geben, welchen Dein reines Herz verdient – mögen Dich dereinst wieder süße Bande fesseln, die nicht von Schuld und Sünde getrübt sind; mein Segen begleite Dich auf allen Deinen Wegen, denn Du hast mir mehr gegeben, als die ganze Welt – einen glücklichen Augenblick an Deinem Herzen. Und nun leb' wohl, Bernard – leb' ewig wohl – Gott schütze Dich!« Und ihr Antlitz zu ihm hebend, bot sie ihm selber den Abschiedskuß – aber ihre Lippen waren kalt und bleich, und wie sie sich von ihm wandte und die Thür ihres Zimmers hinter sich schloß, war es, als ob ein Geist aus einer andern Welt zu ihm gesprochen und vor seinen Augen in Duft und Nebel zerstoben sei.

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Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 eylül 2017
Hacim:
220 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain