Kitabı oku: «Ein Parcerie-Vertrag»
Vorwort
Ich habe versucht dem Leser in der nachstehenden Erzählung eine, wenn auch peinliche, doch treue Schilderung einer Familie zu geben, die sich verleiten ließ auf einen sogenannten Parcerie-1 Vertrag hin ihr Vaterland zu verlassen und ihr Glück in einem fernen Welttheil zu suchen.
Das Land ist Brasilien, denn gerade mit den Pflanzern des heißen und nördlichen Theils von Brasilien sind solche Verträge abgeschlossen worden, weil sich die freiwillige Auswanderung nicht jenen, für den Europäer ungesunden Distrikten zuwandte. Der Hauptstrom der süd-amerikanischen Auswanderung ging nach dem Süden von Brasilien, wohin die Regierung selber deutsche Auswanderer wünschte und sie in vielen Stücken begünstigte. Dort befanden sich die Colonisten wohl und schrieben nach Deutschland zurück, wie gut es ihnen ging.
Diese Briefe wurden häufig von gewissenlosen Agenten benutzt um arme unwissende Menschen in Deutschland, die keine Mittel besaßen ihre Passage zu bezahlen, zu täuschen, denn man versprach ihnen ja sie nach Brasilien zu schaffen und von der ungeheueren Größe des Landes, und den verschiedenen Klimaten und Bodenverhältnissen hatten die Unglücklichen, mit ihren mangelhaften geographischen Kenntnissen keine Ahnung.
Sie sahen dann zu spät ein daß sie betrogen waren, aber eben so wie sie sich außer dem Schutz der deutschen Regierungen befanden – denn unser Consulats-Wesen lag entsetzlich im Argen und liegt noch darin, wenn nicht die Norddeutsche Bundesregierung eine gründliche Änderung desselben vornimmt – ebenso konnte auch die brasilianische Regierung nur in solchen Fällen einschreiten, wo ihr Beweise gebracht wurden, daß die Pflanzer ihre Arbeiter wirklich betrogen. Wie schwer das aber in einem so ungeheueren Reiche und in den abgelegenen Provinzen war, läßt sich denken.
Vor diesen und vielen ähnlichen Contracten möchte ich nun den Auswanderer nicht allein warnen, sondern auch ihm sowohl, wie Allen solchen die sich für fortziehende Familien interessiren oder von ihnen um Rath gefragt werden, ein deutliches Bild vor Augen rücken, wie es, leider in den meisten Fällen, mit derartigen Verträgen steht.
Ich gebe zu daß manche derselben ehrlich gemeint sind und ehrlich gehalten wurden, und dadurch dem unbemittelten Auswanderer Vortheile boten, die er auf eine andere Art nur schwer erreicht hätte. Aber nirgends ist ihm dafür eine Gewähr gegeben. Von dem Augenblick an wo er das fremde Land betritt, ja läßt er sich besonders mit englischen und vorzüglich belgischen Agenten ein, von der Stunde an wo er die heimische Grenze überschreitet, bleibt er der Willkür fremder Menschen preisgegeben, und zwar ohne Hülfe, ohne Schutz.
Wer einmal auswandern will mag es thun, aber er soll sich vorher, um seiner selbst und seiner Familie willen, nicht durch ein Blatt Papier Hände und Füße binden lassen. Ein freier Mann findet überall in der Fremde sein Brod, ein durch einen Contract gebundener ist dagegen der Sclave seines Herrn und wer ihm hier in Deutschland vorredet, die Sache wäre gar nicht so schlimm – sein ärgster Feind.
In solchen Fällen aber, wo ein armer deutscher Familienvater gar keine Mittel in Händen hat, um ein fremdes Land zu erreichen und er doch sein Elend hier vor Augen sieht, ohne im Stand zu sein sich herauszuarbeiten, wo es ihm also wie eine Hülfe in der Noth erscheint wenn er in ein fremdes Land auf fremde Kosten übersiedeln kann, da gehe er nicht etwa unter jeder Bedingung, denn er hat sich die für ihn und die Seinen nachher vielleicht furchtbaren Folgen sonst selber zuzuschreiben, sondern beobachte die folgenden Regeln.
Vor allen Dingen verlasse er sich nie und unter keinen Umständen allein auf das Wort eines Auswanderungs-Agenten.
Alle diese Leute die eine Auswanderungs-Agentur errichten, sind mit nur sehr wenigen Ausnahmen, heruntergekommene Kaufleute oder sonst Menschen die ein solches Geschäft als letzten Erwerbszweig ergriffen haben, und fast ohne Ausnahme nicht das Geringste von fremden Welttheilen wissen oder verstehen.
Sie bleiben dabei einzig und allein auf den Gewinn des Kopfgeldes angewiesen, das sie für Alle solche bekommen, die durch sie befördert werden. Wohin! bleibt sich bei ihnen gleich, wenn sie ihre »Köpfe« nur auf ein Schiff liefern, und was nachher aus den Unglücklichen wird, kümmert sie wenig oder gar nicht.
Alle solche Contracte dabei, die auf Hälfte des Gewinns oder auch auf einen Antheil lauten, sind fast ohne Ausnahme betrügerischer Art, wenigstens ist der Auswanderer, der die fremde Sprache nicht versteht und dem keine Einsicht in die Bücher seines Herrn zusteht (die ihm unter solchen Umständen auch Nichts nützen würde) jedesmal demselben auf Gnade und Ungnade übergeben, und wenn er wirklich auch einmal nicht betrogen werden sollte, hält er sich doch sicher selber davon überzeugt.
Theilcontracte sind für ihn annehmbar, wenn sie auf umgekehrten Grundsätzen beruhen, wie sie besonders in Süd-Australien von englischen Grundeigenthümern zu ihrem eigenen, aber auch dem Nutzen der deutschen Einwanderer, abgeschlossen wurden.
Nach diesen übernahm der Auswanderer eine Strecke Land, bekam von dem Eigenthümer das nöthige Ackergeräth geliefert, und zahlte jährlich für den Acker 4 £ also etwa 27 Thlr. Pacht, wobei er jedoch nach 14 Jahren das Vorkaufsrecht auf das Land hatte.
Bei einem solchen Contract, obgleich in Amerika und auch in Süd-Brasilien viel günstigere Bedingungen für den Einwanderer zu erlangen sind, standen sich doch beide Parteien gut und der deutsche Arbeiter blieb nicht allein sein eigener Herr, sondern sah auch selber wie er langsam vorwärts rückte.
Es giebt aber auch Fälle hier, wo der arme Tagelöhner wirklich im alten Vaterland im größten Elend lebt, und nur Gott dankt wenn er freie Passage nach einem fremden Welttheil erhalten kann. Er ist also dann gezwungen Verbindlichkeiten einzugehn, die aber nie einen solchen Grad erreichen müssen, daß er sich, wie bei diesen schurkischen Parcerie-Verträgen, fast bedingungslos einem Agenten und dessen Helfershelfern verkauft.
Nur zwei Bedingungen kann er annehmen; er läuft wenigstens keine unmittelbare Gefahr dabei, und wenn ihn auch beide zur Arbeit zwingen, bleibt er doch dabei sein eigener Herr, oder wird es wieder sobald er die für ihn wirklich ausgelegten Kosten bezahlt hat. Beide Arten habe ich selber in Australien, in Brasilien und in Peru ausgeführt gesehn, und bei beiden befanden sich die Einwanderer wohl.
Die eine ist, daß ihm ein bestimmter, den Preisen des Landes in das er zieht angemessener Tagelohn bestimmt wird, für den er so lange arbeiten muß, bis er seine Reisekosten bezahlt hat – und nicht eine Stunde länger. Dann ist er wieder sein eigener Herr, hat das Land in der Zeit kennen lernen, und kann nun seinen Contract mit dem bisherigen Brotherrn machen, um sich auch ein Stück Land als Eigenthum zu erwerben. Solche Contracte sind viele nach Moreton-Bai in Australien und besonders nach Süd-Brasilien abgeschlossen worden.
Die andere daß er das ihm überwiesene Land, wohin man ihn bringt entweder nach Jahr und Tag, wie es seine Erndten erlauben, langsam abbezahlt, oder es auch ganz vom Staat geschenkt bekommt, denn eine Regierung (und mit Privatleuten soll man sich unter keiner Bedingung einlassen; es ist wenigstens stets gefährlich) läßt ja doch nur dann Einwanderer passagefrei in ihr Land schaffen, wenn ihr daran gelegen ist dasselbe cultivirt zu bekommen. Das kleine Stück das sie ihm dann anfangs als Geschenk giebt, hat noch keinen Werth für sie – aber die Nachbardistrikte werden werthvoll sobald sich fleißige Colonisten in der Nähe niederlassen, denn nicht sie allein brauchen später mehr Land und müssen es von der Regierung kaufen, sondern sie ziehen auch Landsleute und andere Ansiedler dorthin und eröffnen damit in bis dahin unbewohnten Distrikten Handel und Verkehr.
Aber selbst unter den anscheinend günstigen Umständen bleibt für den Auswanderer große Vorsicht nöthig, ehe er einen so wichtigen Schritt thut und sein Vaterland, mit Allem was er eigen nennt, verläßt.
Er soll sich auch um Gottes Willen nicht zu rasch dazu entschließen und besonders nie vorher einem Agenten sein Gepäck übergeben bis er nicht vollkommen mit sich im Reinen ist, Leute die etwas davon verstehn und kein eigenes Interesse dabei haben, zu Rath gezogen und einen Contract in Händen hat, der nicht allein ihn bindet, wie ein solcher Parcerie-Wisch, der weiter Nichts erklärt als daß sich der Auswanderer an den Agenten verkauft und zur Beglaubigung selber seinen Namen darunter gesetzt hat – nein, der auch dem für den er arbeiten soll, Pflichten auferlegt, welche ihm selber den Lohn seiner Arbeit sichern. Er bekommt und will ja Nichts geschenkt; für das was er erhält leistet er wieder, und wie beide Theile einen Nutzen dabei erhoffen, müssen sich auch Beide gleichberechtigt gegenüberstehn.
Außerdem muß er sich über die geographischen Verhältnisse sowohl wie über die politischen des Landes, nach dem er befördert werden soll genau bei Leuten erkundigen die ihm auch wirklich Auskunft darüber geben können, denn gerade in neuster Zeit haben wir ein Beispiel wie dringend nöthig das ist. Dorfschulmeister sind aber nicht die passenden Menschen dazu, denn sie werden so erbärmlich besoldet, daß sie kaum das Nothwendigste für ihren Lebensunterhalt erschwingen, vielweniger denn größere und besonders fremde Zeitungen halten können. Die Agenten dagegen, wenn sie wirklich etwas wissen, verheimlichen das dem Auswanderer Bedenkliche, um ihn ja nicht von der Reise abzuhalten.
Der Fall worauf ich Bezug nehme, ist der folgende:
Die Chilenische Regierung (eine der besten und zuverlässigsten in ganz Südamerika, wie sie sich wenigstens bis jetzt bewährt hatte) hat einen Contract mit einem Hamburger Schiffsrheder gemacht, ihr im ersten Jahr hundert, im zweiten zwei, im dritten dreihundert und sofort bis zum vierten Jahr, Familien hinüber nach Chile zu schaffen, für welche sie, für die Erwachsenen für den Kopf 40 Dollar Passage zahlt. Sie will den Ansiedlern dort gutes Land geben, verlangt auch Nichts für ihre Auslagen zurück, sondern wünscht allein ihr Land besiedelt zu bekommen.
Das klingt ausgezeichnet. Chile hat ein vortreffliches Klima, Tausende unserer deutschen Landsleute leben dort glücklich und in guten Verhältnissen, und die Regierung gilt überall als Vertrauen erweckend. Ich selber würde auch meinen Landsleuten mit Freuden gerathen haben, so günstige Anerbietungen zu benutzen. Aber sie sind eben zu günstig, und die Sache hat einen Haken.
In dem Contract steht nämlich daß die Auswanderer nach Arauco geschickt und in Lota ausgeschifft werden sollen – Was sind das nun für Orte? –
Araukanien selber ist bekannter. Der Distrikt liegt von Chilenischen Regierungsbezirken im Süden und Norden begrenzt, und war bis jetzt – und ist eigentlich noch bis auf den heutigen Tag, freies Indianisches Land, in dem die Weißen keine Macht haben, weil sie die Araukaner noch nicht unterwerfen konnten.
Arauko ist ein kleiner Ort im Nordwesten des Staates – Lota, nicht sehr weit davon entfernt, an der Küste des stillen Meeres eine Chilenische Kohlenstation, und bis jetzt der einzige Platz in Araukanien, auf dem die Chilenen festen Fuß gefaßt.
Neuerdings sind sie nun wieder mit gewaffneter Macht in Araukanien eingefallen, haben die Araukaner – wilde kriegerische Indianer, zurückgeworfen und sehen voraus daß sie das eroberte Terrain nicht selber besetzt halten können. Dazu paßt ihnen aber eine deutsche Einwanderung, die sie sich unter diesen Umständen auch gern etwas kosten lassen wollen. Unsere deutschen Familien sollen da hineingeschoben werden, und wenn die Indianer bei ihnen einbrechen, ihre jungen Leute erschlagen, ihre Weiber und Töchter mit fortschleppen – nun so läßt man eben wieder Andere nachkommen.
Dem Contract selber sieht man das freilich nicht an, denn er lautet unverfänglich genug. Wer aber die Verhältnisse jenes Landes kennt, muß auch dem Auswanderer abrathen selbst diese scheinbaren Vortheile anzunehmen, weil sie nur eben scheinbar sind. Im günstigsten Fall ist er jeden Augenblick der Gefahr ausgesetzt daß die Indianer über sein Land brechen, ihm sein Vieh wegtreiben und seine Erndten zerstören und er darf dort weder für sein Eigenthum wie selbst für sein Leben Sicherheit erwarten.
Jeder Contract ist deshalb für den Auswanderer gefährlich, wenn er sich nicht vorher nach Allem erkundigt hat was das Land betrifft, und zwar bei Leuten, wie gesagt, die nicht wie der Auswanderungsagent ein specielles Interesse haben ihn nur auf ein Schiff zu packen, damit sie für seinen Kopf ihr bestimmtes Geld bekommen.
Außerdem warn' ich aber meine deutschen Landsleute noch ganz besonders vor dem Antwerpener Auswanderungs-Agenten, mit denen sie sich unter keiner Bedingung einlassen dürfen, wenn sie sich nicht der größten Gefahr aussetzen wollen.
Sind sie entschlossen auszuwandern, so bietet ihnen Bremen vor allen anderen Städten reelle Schiffsgelegenheit nach allen Welttheilen und neben Bremen Hamburg. Dort sind die Auswanderer noch auf deutschem Boden, unter deutschem Schutz und deutschen Regierungen ist es möglich ihre Einschiffung wie Beförderung zu überwachen, wie Betrügereien – die sie aber da wohl kaum zu fürchten haben – entgegenzutreten; in einem fremden Land dagegen, dessen Sprache sie nicht einmal verstehn – und sie sollen nicht etwa glauben daß in Antwerpen deutsch gesprochen wird – sind sie in den Händen der Agenten, und haben sich, was sie betrifft, selber zuzuschreiben.
Zum Schluß will ich aber noch hinzusetzen daß diese Erzählung nicht etwa den Zweck hat Auswanderer von einer Übersiedlung nach Brasilien selber abzuhalten. Nur in die nördlichen Distrikte dürfen sie nicht gehen, besonders nicht auf solche Theilcontracte hin. Süd-Brasilien dagegen, und vorzüglich die Provinzen Rio Grande do Sul, Santa Catharina und zum großen Theil auch Parana eignen sich ganz vortrefflich zur deutschen Auswanderung. Die dort angelegten, schon sehr bedeutenden deutschen Colonien befinden sich wohl, und die Deutschen selber ordnen sich dort keineswegs der verdorbenen Portugiesischen Raçe unter, sondern haben schon ein Übergewicht erlangt, das mit einer vermehrten Einwanderung dahin auch nur zunehmen muß.
Außerdem befinden sie sich in einem gesunden Klima und – für ihre weitere Entwicklung besonders günstig – am Atlantischen Ocean, der ihnen einen leichten und raschen Verkehr mit dem Mutterlande bietet. Und somit übergebe ich dem Leser diese Blätter und hoffe daß sie ihn in Manchem aufklären, ihn auf Manches aufmerksam machen werden, was später entweder ihm selber, oder Leuten die sich bei ihm einen Rath erholen, von Nutzen sein mag.
Der Verfasser.
Erstes Capitel.
Beim Schulmeister
Draußen im Land ackerten die Knechte und waren die Tagelöhner emsig beschäftigt Kartoffeln zu legen, denn der Frühling hatte dieses Jahr lang auf sich warten lassen und eine hohe Schneedecke die Feldarbeiten bis zu einer ungewöhnlich späten Zeit hinausgeschoben. Jetzt endlich schien der kalte, strenge Nordost-Wind, der Monate lang geweht, seine Herrschaft verloren zu haben. Er sprang nach Südwesten um, warme Regen setzten ein, und wie mit einem Zauberschlag warf die Natur ihre starre Winterdecke ab, und kleidete sich in ein junges, frisches Grün.
Und wie die Lerchen jubelten, und die Bachstelzen, die bis jetzt achselzuckend an dem gefrornen Bach umhergetrippelt waren, auf einmal so geschäftig herüber und hinüber sprangen; was sich die Rothschwänzchen Alles zu erzählen hatten, und wie eilig die Staare ihre alten Bauplätze aufsuchten und herrichteten. – Aber die Menschen nicht minder, denn es galt sehr viel nachzuholen, und die Arbeit häufte sich so in der Zeit, daß Arbeitskräfte kaum genügend zu beschaffen waren.
Um so mehr mußte es auffallen, daß gerade heute Einer der fleißigsten und ordentlichsten Arbeiter, Behrens mit Namen, in seinem Sonntagsrock, den großen ausgeschnittenen Hut auf, langsam durch das Dorf ging, und gar nicht die Absicht zu haben schien, in die allgemeine Thätigkeit irgend wie mit einzugreifen.
Die Chaussee herunter, vom Feld herein, kam im Trab auf seinem alten Apfelschimmel der Rittergutspachter geritten. Er hatte draußen nach den Arbeitern gesehen, und war eben nur zurückgekommen, um noch auf dem Hofe selber einige nöthige Anordnungen zu treffen. Als er aber einen seiner Tagelöhner – oder sogenannte Häusler, weil sie kleine, dem Gut gehörige Häuser bewohnen, – in einem so ungewohnten Aufzug und müßig sah, zügelte er überrascht sein Pferd ein und rief ihn an.
»Hallo Behrens! – wo wollt Ihr denn hin? Ich glaubte, Ihr wäret krank, weil ich Euch nicht draußen bei den Knechten fand. Was soll denn das heißen? Warum seid Ihr nicht bei der Arbeit?«
»Ich werde hier wohl nicht mehr arbeiten, Herr Frommann,« sagte der Tagelöhner, indem er achtungsvoll den Hut zog und neben dem Reiter stehen blieb.
»Nicht mehr arbeiten?« rief der Pachter erstaunt. »Habt Ihr eine Erbschaft gemacht, Behrens, und seid Ihr ein reicher Mann geworden, daß Ihr ohne Arbeit leben könnt?«
»Ohne Arbeit möcht' ich gar nicht leben, Herr Frommann,« sagte der Mann freundlich, »wenn ich auch wirklich so viel Geld hätte, daß ich alle Tage Braten essen könnte, aber – da wir nicht einmal alle Tage satt Kartoffeln haben, so muß ich doch sehen wie ich das ändern kann, denn der Jammer daheim frißt mir das Herz ab.«
»Eure Frau ist noch krank?«
»Krank nicht mehr, Herr Frommann, Gott sei Dank, aber doch noch so schwach, daß sie auf Wochen, ja vielleicht auf Monate lang, nicht daran denken darf schwere Arbeit zu thun. Das Kleinste macht ihr ohnedies genug zu schaffen.«
»Und da versäumt Ihr auch noch Euren Tagelohn?«
Der Mann schwieg einen Augenblick. Er hatte augenscheinlich etwas auf den Lippen, was ihm schwer wurde auszusprechen, – endlich sagte er mit leiser Stimme: »Ich will nach Amerika, Herr Frommann.«
»Nach Amerika?« rief dieser erstaunt, »seid Ihr toll?«
»Nach Brasilien.«
»Nach Brasilien? Und mit Eurer ganzen Familie? Wo wollt Ihr das viele Geld dazu hernehmen?«
»Da haben Sie Recht, Herr Frommann,« nickte traurig der Mann, »wenn ich die Reise bezahlen müßte, käm' ich nicht einmal mit den Meinen in die nächste Seestadt, viel weniger über das weite Meer hinüber, – aber vorige Woche war ein Herr aus der Stadt hier, der uns versprochen hat daß wir frei hinübergeschafft werden sollen, und es nachher dort drüben abverdienen können. Da will ich es denn in Gottes Namen einmal versuchen – und auf der Reise erholt sich auch vielleicht meine Frau wieder, denn sie hat hier zu viel schaffen müssen und ist dadurch nur immer mehr herunter gekommen.«
Der Pachter schüttelte mit dem Kopf und während sein Pferd langsam auf der Straße hinging, schritt der Mann neben ihm her.
»Behrens, Behrens,« sagte er endlich, »ich fürchte, Ihr steht da im Begriff, einen recht raschen und unüberlegten Schritt zu thun, denn hier zu Lande hört man nicht viel Gutes über solche Verträge, und wenn Ihr da drüben zwischen die Fremden kommt, deren Sprache Ihr nicht einmal kennt, so seid Ihr so gut wie verrathen und verkauft, und müßt Alles mit Euch geschehen lassen.«
»Wir haben aber einen Contract, Herr Frommann,« sagte der Arbeiter, indem er in die Tasche griff und ein Papier herausholte, »da steht Alles darauf und ich brauche ihn nur zu unterschreiben, und dann sollen wir uns um gar nichts mehr bekümmern, sondern werden frei hinüber in das Land geschafft, wo so herrlicher Boden ist, daß die kostbarsten Früchte draußen frei im Walde wachsen. Auch haben wir dort immer Sommer und so viel Holz, daß man sich holen kann was man mag, ohne einen rothen Heller dafür zu bezahlen. Mein Bruder ist ja auch seit langer Zeit dort hinübergegangen und hat mir schon vor zwei Jahren geschrieben ich sollte nur hinüber kommen, denn es ginge ihnen sehr gut, und er wollte mich dort schon einrichten. Ja, aber du lieber Gott, von unserem Tagelohn hier hätt' ich ja im ganzen Leben nicht das Reisegeld erschwingen können.«
»Und wo ist Euer Bruder?«
»In der Colonie Blumenau.«
»Und dorthin wollt Ihr auch?«
»Ja das weiß ich noch nicht,« erwiderte der Mann, »ich denke ja, denn so weit werden die Plätze doch nicht von einander sein.«
»Zeigt einmal das Papier, Behrens,« sagte der Pachter und streckte die Hand darnach aus.
Behrens reichte ihm den »Contract« aufs Pferd hinauf und der Pachter las ihn langsam durch. Dabei schüttelte er aber den Kopf und sagte endlich: »Ja, Behrens, das ist eigentlich gar kein Contract, denn ein solcher bindet beide Theile zu verschiedenen Verpflichtungen; hier aber sehe ich nichts darin, als wozu Ihr Euch, für Euch und Eure Familie verpflichten sollt. Es steht auch weiter nichts drüber, als: Verpflichtung, und wenn Ihr es dabei mit einem ehrlichen Mann zu thun bekommt, so mag die Sache vielleicht gehen; fallt Ihr aber gewissenlosen Menschen in die Hände, dann seid Ihr auch eben in ihre Hände gegeben, und sie können mit Euch machen, was sie wollen.«
»Aber das soll ein ehrlicher Mann sein, Herr Frommann.«
»Wer hat Euch das gesagt?«
»Der Herr aus der Stadt.«
»Ein Auswanderungs-Agent wahrscheinlich,« nickte der Pachter, »der so und so viel Kopfgeld für Jeden bekommt, den er hinüber schafft. Wollt Ihr nicht erst einmal Jemanden fragen, der mit den Verhältnissen genau bekannt ist, und kein eigenes Interesse dabei hat?«
»Ich wollte eben zum Schulmeister gehen, Herr Frommann; der muß es wissen, denn er hat erst noch in voriger Woche den Kindern von Brasilien erzählt und was es für ein herrliches Land wäre.«
»Ob der Euch gerade in einer so wichtigen Sache einen Rath geben kann, Behrens, weiß ich nicht, und bezweifle es fast, denn was er darüber sagen könnte, liest er doch nur aus seinen Büchern. In der Stadt findet Ihr vielleicht Andere, die mehr Erfahrung darüber haben, – aber ich muß fort, denn sie brauchen draußen noch Saatkartoffeln. Das Auswandern kann Euch natürlich kein Mensch verbieten, wenn Ihr einmal fest dazu entschlossen seid, aber leid sollte es mir um Euch thun, Behrens, wenn Ihr in schlechte Hände kämt. Brasilien mag ein schönes Land sein, aber Ihr wißt nicht was Ihr dort findet. Bleibe im Lande und nähre Dich redlich! ist ein altes, braves Sprüchwort.«
»Ja, Herr Frommann, das ist wohl wahr,« nickte Behrens, »wir wissen nicht was wir in Brasilien finden, aber wir wissen leider was wir hier haben: Jammer und Elend und schwere Arbeit, die nicht einmal so viel abwirft, um uns bei Kräften zu erhalten.«
»Aber Euer Lohn ist erst kürzlich auf acht Groschen erhöht worden.«
»Ja,« seufzte der Mann, »und für einen ledigen Burschen mag es ausreichen, wo aber Einer für Fünf verdienen soll, denn das Hannchen kommt jetzt gar nicht von der kranken Mutter weg, was sind da acht Groschen; sie reichen nicht einmal für's liebe Brod in den Wochentagen, und am Sonntag, wo wir nichts verdienen dürfen, wollen wir doch auch leben.«
»Aber es giebt doch immer hie und da zu thun.«
»Als ich neulich am Sonntag im Wirthsfeld grub,« sagte der Mann, »hat mich der Herr Pfarrer angezeigt, und ich mußte fünf Groschen Strafe bezahlen. Wir haben dafür den ganzen Montag gehungert.«
Der Pachter seufzte, aber er erwiderte nichts darauf.
»Na, Behrens,« sagte er nach einer Weile, »thut keinen unüberlegten Schritt. – Es sollte mir leid thun, Euch hier zu verlieren, denn Ihr seid ein braver, ordentlicher Arbeiter gewesen, die ganze Zeit, ich möchte Euch aber auch nicht abrathen, wenn ich wüßte daß es zu Eurem Glück wäre, und Ihr Eure Lage dadurch wirklich verbessertet. Das Papier da sichert Euch aber gar nichts, und ehe Ihr das unterschreibt, besinnt Euch lieber noch einmal,« und seinem Pferd die Sporen gebend, trabte er rasch in den Hof hinein, um dort die für die Feldarbeiten nöthigen Anordnungen zu treffen.
Behrens aber faltete langsam das Papier zusammen, steckte es in die Tasche und schritt ruhig dem Hause des Schulmeisters zu, der heute Nachmittag, wo er keine Schule hatte, das warme Frühlingswetter ebenfalls benutzte, und in seinem, freilich sehr kleinen Gärtchen hackte und schaufelte.
Auch der Schulmeister war überrascht, den Tagelöhner Behrens in seinem »Geh zur Kirche« Rock am Werktage bei sich zu sehen, und hörte erstaunt mit arbeiten auf. Behrens ließ ihn aber nicht lange über die Absicht seines Besuchs im Zweifel, und der kleine Mann, mager, wie eigentlich nur ein Schulmeister sein kann (und mit der vollen Berechtigung dazu, denn sein Gehalt stellte ihn nicht viel über den Tagelöhner, und dabei hatte er eine Frau und sechs Kinder zu ernähren, und außerdem noch sechszig zu unterrichten) wischte sich plötzlich die Hände an den fettglänzenden, alten schwarzen Hosen ab, ehe er das ihm dargereichte Papier nahm, und sagte nun, völlig aufgelöst in Bewunderung:
»Nach Brasilien? – ja, freilich, Behrens, wenn Ihr dahin kommen könntet. – Du lieber Gott, da möchte ich gleich selber mit. Aber wie wollt Ihr das möglich machen?«
»Das steht Alles in dem Papier da, Schulmeister,« sagte der Mann, »und ich wollte Sie nur einmal bitten es durchzulesen und mir Ihre Meinung darüber zu sagen.«
»Hm,« nickte der kleine Mann, indem er einen flüchtigen Blick über das Blatt warf, »ich habe aber meine Brille drinnen. Kommt mit hinein, Behrens, meine Alte hat mich doch eben zum Kaffee gerufen, und der Rücken thut mir auch von dem vielen Schaufeln weh, – kommt nur mit hinein.«
»Ach, wenn Sie jetzt Kaffee trinken wollen,« sagte der Mann zurückhaltend, »so komme ich lieber später wieder; stören wollte ich ja nicht.«
»Ach, was,« nickte der Schulmeister, denn der Tagelöhner hatte durch das eine Wort »Brasilien« einen ganz neuen Nimbus bekommen, »Ihr trinkt eine Tasse mit, – so viel wird schon da sein, und wenn Ihr erst in Brasilien seid, schickt Ihr mir einmal gelegentlich einen Sack Kaffee herüber, – da kommt er ja her, Behrens, und dort giebts ganze Wälder von lauter Kaffeebäumen.«
»Wenn Sie's erlauben,« sagte der Mann, indem er etwas verlegen den Hut zwischen den Händen drehte, denn es war das eine Ehre, die ihm widerfuhr, und er nicht gewöhnt, von irgend einem Menschen eingeladen zu werden.
Schulmeister Peters, nachdem er sich vorher erst ein paar Mal gestreckt und gedehnt und dabei ein sehr schmerzhaftes Gesicht geschnitten, weil ihm der Rücken noch vom langen Krummstehen weh that, konnte endlich wieder aufrecht gehen, und das Papier noch immer in der Hand haltend, schritt er seinem Gast voraus in das kleine Häuschen, wo ihn seine Frau schon mit der dampfenden Kanne erwartete. Als sie freilich den Tagelöhner Behrens mit ihrem Manne eintreten sah, wollte sie die Kanne wieder zurück auf den Ofen stellen, weil sie glaubte der Arbeiter hätte etwas mit Peters zu sprechen, und der Kaffee sollte indessen nicht kalt werden.
Der Schulmeister aber, mit seinem Steckenpferd »Brasilien« im Kopf, rief ihr lachend zu: »Laß stehen, Alte, und gieb uns noch eine Tasse für Behrens her. Denk Dir einmal, der ist unterwegs nach Brasilien.«
»Nach Brasilien?« sagte die Frau, setzte die Kanne wieder auf den Tisch und schlug die Hände zusammen, »es ist doch die Möglichkeit.«
»Und nun setzt Euch, Behrens, – da drüben ist ein Stuhl, stellt Euren Hut nur dort auf die Kommode, – Alte, hast Du meine Brille nicht gesehen? Ich habe sie doch vorhin hierher gelegt, – ach, da ist sie, – setzt Euch nur, und nun wollen wir einmal sehen was hier in dem Papier steht. Das ist wohl der Überfahrts-Contract? – aber, Behrens, das wird schmähliches Geld kosten. Brasilien liegt in gerader Richtung etwa tausend deutsche Meilen von uns entfernt, und was für einen Umweg müßt Ihr da noch vorher machen. Seht einmal her, hier ist Deutschland,« sagte er, auf eine kleine, an der Wand hängende Weltkarte zeigend, »hier, wo ich den Finger halte, und da müßt Ihr nun erst nach Norden hinauf, damit Ihr an die Nordsee kommt, und dann geht's hier hinaus, in gerader Linie nach Westen, durch den britischen Canal – La Manche heißt er – hinaus in das weite Weltmeer, und dann geht's hier quer hinüber, über all die Striche weg, immer da hinunter, bis Ihr da ganz unten an Brasilien anfahrt. Da liegt's und unterwegs ist's so heiß, daß Euch die Butter vom Brod herunterschmilzt. So eine Reise kostet vieles Geld.«
»Bitte, lesen Sie nur einmal das Papier durch,« sagte Behrens, »da drin steht Alles, und dann wollte ich Sie um Ihren Rath dabei fragen, was ich thun und wie ich mich verhalten soll.«
Behrens täuschte dabei sich selber und den Schulmeister, denn im eigenen Herzen war er schon fest entschlossen den Schritt, der über sein ganzes künftiges Lebensglück entscheiden sollte, zu wagen, und eigentlich nur zum Schulmeister gekommen, um sich von diesem in dem gefaßten Plan bestärken – nicht davon abrathen zu lassen, was er übrigens auch kaum zu fürchten brauchte.
»Na,« meinte Peters, »dann wollen wir also erst einmal sehen was hier geschrieben steht. Schenk derweil ein, Alte, und trinkt nur, Behrens, genirt Euch nicht, es ist gern gegeben.«
Die Frau Schulmeisterin schenkte, noch immer den Kopf über das eben Gehörte schüttelnd, dem Tagelöhner den Kaffee, der eine frappante Farbenähnlichkeit mit schwachem Thee hatte, in eine henkellose Tasse, denn eine von ihren »guten« Tassen konnte sie doch nicht dazu von der Kommode nehmen, wo sie zur Schau ausstanden. Behrens nahm aber auch selbst das auf das Dankbarste an, – besseres Geschirr war er ja zu Hause auch nicht gewöhnt, ja nicht einmal das, denn seinen Kaffee trank er daheim aus einem kleinen Topf, und daß er etwas dünn war, merkte er ebenfalls nicht; er wußte wahrscheinlich nicht einmal, wie besserer Kaffee schmeckte.
Während er aber trank und der Schulmeister las, sah er sich ein wenig im Zimmer um, wo ihm besonders die Bücher auffielen, von denen Peters wohl zwölf bis vierzehn auf einem Regal zwischen den beiden Fenstern stehen hatte. Auch die Landkarte an der Wand imponirte ihm. Darauf konnte der Mann nur mit seinem Zeigefinger über die ganze Welt herum fahren und dabei jeden Platz und Ort mit Namen nennen, und beschreiben wie es dort aussah. Sonst freilich bot das Zimmer nicht viel Besonderes. Die Möbel bestanden aus einfachem, weißtannenem Holz und waren nicht einmal angestrichen; auf der Kommode stand noch eine kleine, blaugemalte Glasvase mit einem Büschel Schilfblüthen und Strohblumen darin, und über dem entsetzlich hart gepolsterten Sopha hing ein kleiner Spiegel, und rechts und links davon die Bilder von Peters und seiner Frau, als Braut und Bräutigam, mit einer wahren Verschwendung von bunten Farben und rothen Backen gemalt. Wo aber waren jetzt die rothen Backen hingekommen? wo der üppige Haarwuchs des kleinen Mannes und das frische, fröhliche Gesicht? – Nur die große Warze über dem linken Auge hatte er noch als einzige Ähnlichkeit behalten, sonst war Alles verschwunden und gebleicht.