Sadece LitRes`te okuyun

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Eine Gemsjagd in Tyrol», sayfa 5

Yazı tipi:

»Halloh!« rief der Jäger unten, und stieß mit seinem eisenbeschlagenen Stock auf die Steine – der Bock regte sich nicht – »halloh – huh – ah!« – er rührte sich nicht von der Stelle. Erst wie der Jäger höher und immer höher stieg, und schon fast in Schußnähe an ihn angekommen war, drehte er sich langsam ab, und nahm den Wechsel an.

Ich hatte mir indessen einen Platz ausgesucht auf dem ich gut hinüber schießen konnte, sobald der Bock nur hoch genug kam, und die Wand sah aus, als ob er möglicher Weise gar keinen anderen Weg nehmen könne. Was kann aber ein Gemsbock nicht, wenn er es sich einmal in den Kopf setzt. Plötzlich, ohne daß er im Stande gewesen wäre Witterung von mir zu haben, nahm er seitwärts eine ganz steile Wand an, an der er hin galopirte, als ob er auf breiter Straße gewesen wäre. Ragg schrie und gesticulirte unten, aber Alles umsonst, das störte ihn gar nicht, und an einer Wand von etwa siebzig Fuß Höhe, die scheinbar nicht den geringsten Halt selbst für den Fuß einer Gemse bot, glitt er, halb auf den Hinterläufen rutschend, hinab, sprang unten über den Bach, setzte die andere Wand hinauf, und war wenige Minuten später im Dickicht verschwunden.

Was ihm Ragg unten nachwünschte weiß ich nicht, aber ich selber hatte jetzt da oben auch nichts weiter zu thun, und kletterte thalab, sobald als möglich die Riß zu erreichen.

8.
Ein Sonntag Morgen

Wie freundlich das Schloß da tief im Thale liegt; wie rasch und munter der klare schnelle Strom vorüber springt, und wie so lustig die Flaggen auf den zierlichen Thürmen wehn. Die hellen Mauern und der dunkle Wald vom blauen Aether sonnig überspannt, so recht im Herzen des edlen Waidwerks mitten drin; die kräftigen Gestalten dann darum her, die Jäger – die Hunde, und dann vor Allem – kein Gasthaus in der Nähe in dem sich eine Schaar schwärmerischer Städter concentriren könnte, von dort aus ihre Picknickparthieen in die Berge hinauf zu senden – oh es ist ein wonniges – ein unbeschreibliches Gefühl der Sicherheit und Lust.

Aber nicht allein die Jagd lockt dort die Leute zusammen. Am Sonntag Morgen ziehen die Jäger und nächsten Nachbarn des Klosters nach der kleinen Klosterkirche, die sie hier mitten in die Berge eingebaut, und auch manch liebes Mädchengesicht lächelt da unter dem spitzen grünen Hut das freundliche »Gott grüß Dich« vor. – »Gott grüß Dich« – wie lieb und hold das klingt. Es giebt doch keine Sprache in der weiten Welt die noch so herzlich grüßte als die deutsche – wenn die Leute nur nicht alle das verwünschte »Regendach« trügen. Gestalten findet man unter den Bergbewohnern wie man sie sich nicht edler und kräftiger wünschen könnte, und Alle fast ohne Ausnahme mit den ehrlichen, gutmüthigen Gesichtern, und den treuen wenn auch ein Bischen verschmitzten Augen. Die Tracht ist dabei so malerisch, und selbst den Mädchen steht der grüne Männerhut so lieb auf den vollen blühenden Gesichtern, aber – gebt einem Apollo, gebt einer Venus einen rothbaumwollenen Regenschirm unter den Arm, und die ganze Poesie ist zum Teufel.

Ein solcher Sonntag Morgen in dem Thal ist auch das schönste was man sich in stiller traulicher Waldeinsamkeit nur denken kann. Noch hat die Sonne kaum die hohen Joche mit ihrem ersten Strahl gegrüßt, da mischt sich schon in das fröhliche Plätschern des Bergbachs, in das leise Rauschen der mächtigen Waldeswipfel, das harmonische Geläut der Glocken, und wenn der Himmel dann so rein und blau herniederschaut, und mit den weißen duftigen Nebelschleiern wie zum Schmuck die wundervollen Berge überhängt, dann geht das Herz dem Menschen auf, dann zwingt es ihn zur Andacht, dann wird die ganze wundervolle Welt zur Riesenkirche, und jedes rauschende Blatt, jede flüsternde Welle predigt die Allmacht, predigt die Liebe Gottes.

Die Berge sind auch der eigentliche Tempel des Herrn, denn nirgends fühlt der Mensch sich seinem Gott so nah – nirgends so klein und unbedeutend, dem Allmächtigen gegenüber.

Die Kirche ist aus. Die Andächtigen kommen einzeln und langsam aus dem Gotteshaus – nur die Frauen eilen, denn sie haben den Mittagstisch zu besorgen, und die Männer bleiben hie und da auf den Wegen plaudernd zusammen stehn. Sie haben heute Nichts zu versäumen, und es wäre auch schade, wenn sie so rasch wieder nach Haus in die engen Stuben gingen, und ihren blinkenden Sonntagsstaat nicht erst ein wenig in der warmen hellen Sonne lüfteten und – zeigten.

Wetter noch einmal wie blank sie aussehn, mit den neuen hellgrünen Hüten, den reinen Hemden und den sauber geputzten Gürtelschlössern. Manche von ihnen, den Tag recht feierlich zu begehn, tragen auch lange Hosen, aber das steht ihnen nicht; sie schlenkern auch darin die Beine beim Gehn, und bewegen die Knie herüber und hinüber. Es sitzt ihnen unbequem, und sie wissen's vielleicht selber nicht; die Knie wollen hinaus in's Freie, und da sie das nicht können, halten sie sich steif und ungelenk.

Dort aus dem Schloß kommt ein alter Mann. Er trägt, ungleich den Anderen, die nur höchstens, und trotz dem sonnigen Wetter, ihr roth oder blaues Regendach unter dem Arm haben, ein paar blecherne Milchkannen, die er heut Morgen gefüllt heruntergebracht, und jetzt wieder mit heim nimmt, oder zurück trägt wohin sie gehören.

Das ist ein Charakter, von dem wir in unserem Eisenbahn durchzogenen und durchflogenen Flachland kaum noch einen Begriff haben – giebt es ja doch selbst in den Bergen nur wenige seines Gleichen, ja kaum einen zweiten alten Gori. Es ist eine untersetzte kräftige Gestalt mit frischer Farbe und von mittler Größe, und unterscheidet sich in seinem Aeußeren durch wenig oder Nichts von den Uebrigen, aber kein Mensch sieht ihm an daß er schon zweiundsiebzig Jahre zählt, obgleich nicht soviel graue Haare auf seinem Haupte sind, und daß er sechzig davon hier in dem Thale zugebracht. Sechzig Jahre hier in den Alpen, in den engen Felsenkessel eingezwängt, ohne ein einziges Mal den Fuß hinausgesetzt zu haben in's flache Land, oder hinüber über die Alpen »auf die andere Seite.« Sechzig Jahre, und was seitdem geschehn da draußen, davon hat der Mann keine Ahnung; er kennt es nicht, er kümmert sich nicht drum. Als Knabe kam er her, auch nicht von weit, und was die nächsten Joche hier umspannen, ist für ihn die Welt. Andere haben ihm von der Herrlichkeit draußen, von den Wundern des flachen Landes, vom Dampf und seiner Kraft, vom Telegraphen, von weiten ebenen Flächen erzählt, über die man Tage lang marschiren könne, ohne den Fuß nur mehr als vom Boden zu heben; von Eisenbahnen, von Schiffen – von Amerika – er hört das auch recht gern, und nickt dazu mit dem Kopf und lächelt – aber all die Sachen haben für sein Ohr nur ein und denselben Klang: sie gehören der Welt nicht an in der die Riß fließt und existiren deshalb nicht für ihn. Amerika – das liegt »im flachen Land« – was soll er draußen?

Abgeschlossener sitzt kein Südseeländer auf seiner kleinen Insel mitten im Weltmeer, und lebt von seiner Brodfrucht und seinen Cocosnüssen, als der alte Gori hier im einsamen Thal, von Käse, Butter und Milch, und da ihm das Bedürfniß fehlt hinaus zu kommen, ist auch kein Grund vorhanden anzunehmen, daß er sich nicht vollkommen glücklich fühle. Trotz seinem Alter arbeitet er dabei noch rüstig fort, und hat sich auch wohl ein paar hundert Gulden gespart, oder hat er sie geerbt, ich weiß es nicht; in ihrem Besitz ist er aber, und das Capital scheint ihm die einzige Sorge zu machen, die er überhaupt im Leben kennt. Vorsichtiger Weise steckte er sein kleines Vermögen allerdings nicht in unzuverlässige Aktien sondern in einen alten Strumpf, die Welt aber, die er nun schon zweiundsiebzig Jahre kennt, scheint sich in dieser langen Zeit seine unbedingte Achtung doch nicht erworben zu haben, und Mistrauen bildet einen nicht unbedeutenden Theil seines sonst so einfachen Charakters. Demnach verbirgt er seinen Schatz auch bald hier bald da, ohne daß irgend Einer seiner Hausgenossen eine Ahnung hat, welcher Ort der bevorzugte sei; ja man kannte vor einiger Zeit den alten Gori noch nicht einmal als Capitalisten, bis die Sache auf eine wunderliche Art zu Tage kam. Einer der Arbeiter nämlich räumte eines Nachmittags den Holzkasten aus, und fand unten drin, zu seinem nicht geringen Erstaunen einen Strumpf mit Geld. Der alte Gori meldete sich da etwas bestürzt als Eigenthümer, und der Strumpf verschwand auf's Neue.

In früheren Jahren soll der alte Mann ein vortrefflicher Birkwildjäger gewesen sein, und da das, neben seinem Strumpf eigentlich die einzige sichtbare Leidenschaft war die er hatte, wurde ihm die Erlaubniß – die sonst nur die wirklich angestellten Jäger haben – jährlich in der Balzzeit einen Spielhahn zu schießen. Von der machte er denn auch Gebrauch, und erlegte richtig jedes Jahr den gestatteten Hahn. Vor zwei Jahren nun, doch fühlend daß er alt würde, und in einer Art von Ahnung, daß das vielleicht der letzte sein möchte den er schösse, beschloß er seine Jagd auf würdige Art zu beschließen, kaufte sich den erlegten Hahn um 48 Kreutzer, lud sich eine alte Köchin vom Schloß, die er achtete, zu Gast, und verzehrte mit ihr die muthmaßlich letzte Jagdbeute seines Lebens. Eigenthümlich muß dem alten Mann dabei zu Muthe gewesen sein.

So verging wieder ein Jahr – die Balzzeit kam auf's Neue heran, und der Greis fühlte zu seiner Freude, daß er die letzte Jagdfeier doch etwas zu voreilig angestellt habe und die Berge noch immer steigen, die Büchse noch immer führen könne. Wieder schulterte er die alte treue Waffe, suchte sein gewöhnliches Revier auf, lockte den balzenden Hahn und – das Gewehr versagte. Beim Anpirschen war ihm das Zündhütchen vom Piston gefallen, und kein zweites fand er in den ängstlich durchsuchten Taschen. Da ist er wieder zu Thal hinabgestiegen, und hat die Jagd aufgegeben, – wundern sollt' es mich aber nicht, wenn er es trotzdem dies Jahr noch einmal versuchte. Wir klammern uns ja Alle an das Leben und Keiner, mag er den Tod auch noch so ruhig und Gott ergeben erwarten, gesteht sich's gern und freiwillig ein: »ich bin jetzt fertig!«

Die Jäger, die nicht ihr Dienst gerade an ein entferntes Terrain fesselt, haben sich meist hier unten eingefunden; denen aber sieht man's an daß ihnen eine Beschäftigung, daß ihnen die Büchse auf der Schulter fehlt. Nach der Kirche schlendern sie müßig umher – und der Blick den sie manchmal zur Sonne hinaufwerfen, scheint die Zeit herbei zu sehnen, in der sie ihr fröhliches Werk auf's Neue beginnen dürfen. Auch der kleine Ragg ist unter ihnen, weiß aber von seiner Zeit besseren Nutzen zu ziehn als die Kameraden, und sucht Spielhahnfedern, kunstgerecht gebundene Gemsbärte, Stöße von Hasel-, Schnee- und Steinhuhn, und anderen Jägerschmuck zu ziemlich hohen Preisen an den Mann zu bringen.

Eigenthümlich an ihm ist selbst der Gang, mit dem er auf der belebten Straße oder im Hof dahin schreitet. Wie auf der Pirsche haftet sein Blick nicht zwei Secunden lang an ein und derselben Stelle, und sucht herüber und hinüber, bald auf den Boden hin nach den Fährten, bald nach links bald nach rechts hinüber. Wie ein Stück Wild, das draußen in den Bergen eine friedliche Heerde angenommen hat und mit ihr eine Strecke dahin zieht, scheu und mistrauisch aber der geringsten Bewegung, dem schwächsten fremden Laut mit Aug' und Ohr begegnet, während die zahmen Thiere friedlich und unbekümmert ihr Gras von der Lanne zupfen, so wandert der kleine, falkenäugige Gesell hier zwischen den ruhigen, sonntägigen Gestalten umher, und ordentlich erwartet hab' ich's oft, daß er bei dem ersten ungewöhnlichen Geräusch blitzschnell im Wald verschwinden würde.

Dort unter der hohen, breitästigen Tanne stehn zwei Männer in eifrigem, und wie es scheint, heimlichem Gespräch; wenigstens schweigt der kleinere von ihnen, der etwas ihm höchst Aergerliches vorzutragen scheint, jedesmal still wenn eine Gruppe der Jäger grüßend an ihnen vorübergeht, und wirft auch wohl einen mistrauischen, unzufriedenen Blick hinter ihnen drein. – Es ist Bandey, allerdings auch in der Jägertracht, aber doch kein rechter Jäger und mit mehr weichlichen, nicht so sonnverbrannten derben Zügen wie die Anderen, die ihn sich auch größtentheils nicht ebenbürtig halten. Er aber, der von seinem Geschäft eine ganz andere Meinung trägt, hat die Fischerei unter sich und den Forellenteich, und klagt heute Morgen dem Haushofmeister des Schlosses, einer langen würdigen Gestalt mit einer Feder hinter dem Ohr und einer Brille auf, sein schweres Leid. Sein Forellenteich ist ihm nämlich in der letzten Zeit, und nächtlicher Weise, arg geplündert worden, und er hat jetzt auf alle Welt Verdacht und traut Keinem mehr.

»Aber lieber Bandey, wer von den Jägern sollte es denn hier wagen, und Angesichts vom Schloß den Teich bestehlen? Das thäten sie ja schon nicht einmal dem Herrn zu Leide.«

»Die nicht?« sagt Bandey, der eine ganz andere Meinung von der Sache hat, »was machen die sich drauß? – sind doch die Hälft' von Allen nur zahmgemachte Wilderer. Aber ich krieg' sie. – Den Bandey lachen sie aus daß er nicht schießen könnt' – ich will's ihnen zeigen ob ich's kann oder nicht.«

»Bandey – Du wirst doch nicht des Teufels sein und wegen einem paar lumpigen Forellen ein Menschenleben –«

»Da haben sie's Menschenleben nicht sitzen wo ich sie hinschießen werde,« sagt Bandey determinirt, »aber soviel weiß ich, heute Abend setz' ich mich mit der Schrotflinten an, und die ganze Woche durch. Der Schlaf soll mich nicht verdrießen, bis ich ihn habe, und daß mir der dann nicht zum zweiten Male kommt, darauf können Sie sich verlassen.«

»Und hast Du denn auf irgend Jemand Verdacht hier herum?«

»Sie taugen Alle mitsammen Nichts,« brummt der Bandey verdrießlich vor sich hin – »die Malefizkerle die. Wo sie Einem einen Schabernack spielen können thun sie's gewiß. So ein Jäger hat einen Stolz im Kopf, das ist ganz was Erschreckliches, und glaubt, weil er mit dem Stutzen auf'm Buckel, und den Spielhahnfedern am Hut in den Bergen herumsteigen darf, er sei der liebe Herrgott. – Na Euch will ich beforellen!«

Der Haushofmeister suchte den Mann noch einmal von seinen bösen Gedanken abzubringen, aber Bandey's Groll saß zu tief, und ärgerlich über die ganze Welt, ging er heim. Was kümmerten ihn die im Sonnengold leuchtenden Berge, der blaue Himmel und das grüne Thal; daheim lud er die Flinte mit feinem Vogeldunst, und in der Nacht schon begann er seine Wacht, den Uebelthäter zu belauern und – zu strafen.

9.
Die Baumgart-Alm

Wir Menschen sind ein ungenügsam Volk. Wenn es uns gut geht, verlangen wir's besser, und daß das nun einmal in unserer Natur liegt, mag nur ein leidiger Trost sein. Goethe kannte auch die Menschen im Allgemeinen recht gut, und daß er seinen Faust beim Packt mit dem Teufel die Bedingung stellen läßt:

 
»Werd' ich zum Augenblicke sagen
Verweile doch, du bist so schön!
Dann sollst Du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zu Grunde gehn!«
 

ist nur ein Ausspruch dieses ewigen Drängens und Treibens, dieser rastlosen Ungenügsamkeit. Goethe war freilich kein Jäger; er hat nie die Wonne gekannt, nach dem blitzenden Schuß die scheue Gemse auf ihrer sicher geglaubten Höhe zusammenzucken, und prasselnd, klammernd in die Tiefe rollen zu sehn. Ich wenigstens wäre nach solchem Packt meinem Contrahenten schon verschiedene Male verfallen gewesen.

Kein Wunder denn daß es den müssigen Jäger, selbst aus dem reizenden Thal, aus dem freundlichen Schloß fort, und wieder hinauf in die Berge zieht, und wir segnen den Abend, der uns mit freundlichem Nicken und Sonnengruß den Bergstock auf's Neue in die Hand drückt, und unseren Pfad mit seinem schönsten Glanz, mit seinen rosigsten Tinten überstreut. Mir ging es da immer wie Jean Pauls gemüthlichem Schulmeisterlein Wuz, wenn der als Schulknabe noch in die Ferien zog – ich hatte Mitleiden mit allen Menschen die zurückbleiben mußten.

Und diesmal geht es nicht in ein bequemes Pirschhaus hinauf, sondern in den wildesten Theil der Berge, in die sogenannte Delpz, einen rauhen Thalkessel, in dessen Nähe ein Hochleger mit einer ziemlich geräumigen Almhütte liegt. Nur ein kleines Häuschen, etwa von der Größe eines zweischläferigen Schilderhauses, um ein Bett und einen Tisch hinein zu stellen, war dort aufgerichtet.

Die Leckbach aufwärts führt dorthin der wilde Weg, und rauheren Bergstrom giebt es wohl kaum in der Welt, wie jenes Thal. Der innere Kessel nämlich ist fast ganz durch das Abbröckeln und Niederbrechen der hinteren Wand, bei dem die Lawinen redlich mit halfen, vollgeschüttet worden, und riesige Felsblöcke sind von den mächtigen Schneestürzen weit thalab geschleudert, während der ganze Thalboden wie die Hänge, mit entsetzlichem Geröll (von den Bergbewohnern Reißen genannt) bedeckt liegen.

Diese Berghänge sind in steter Bewegung, denn steil und schroff ausgerissen, löst sich fortwährend locker hängendes Gestein, am meisten bei nasser Witterung und Thauwetter, ab von der Wand, und rollt und springt in's Thal nieder. Die Gemsen die dort stehn sind auch an solch Geräusch gewohnt, und achten gar nicht mehr darauf.

Oben im Baumgarten-Joch liegt die Almhütte, und selbst der Name »Baumgarten« klingt hier wie Schmeichelei, denn es wächst kein einziger Baum dort bei den Hütten, während nur von Osten her der aus dem Thal heraufdrängende Wald bis in die Nähe reicht. Der Nacken des Jochs und der benachbarten Hänge ist aber mit gutem, nahrhaftem Gras bedeckt, und nach der Delpz hinüber läuft die Lanne bis zum höchsten schroffen Rand.

Das ist überhaupt eine Eigenthümlichkeit dieser Gebirge daß sie an ihrer Nord- und Südseite einen durchaus verschiedenen Charakter zeigen. In der gewöhnlichen Bergregion und bis etwa zu 4500 Fuß tritt dieser allerdings noch nicht so augenscheinlich hervor; wie sich aber die Gebirge über diese Höhe aufstrecken, nimmt die Nordseite, während an der Südseite die Graslannen fast ununterbrochen bis zum Gipfel laufen, ihren wilden trotzigen Charakter an. Fast bei all diesen Bergen besteht der Nordhang aus schroffen, meist senkrechten Wänden die grau und starr emporragend der ganzen Landschaft etwas unbeschreiblich Großartiges, Kühnes geben, das sich aber, sowie man das Auge nach Süden wendet, ganz verliert.

Allmählig steigt man deshalb auch an der Südseite dieser meisten Berge, ohne weitere Schwierigkeit als hie und da eine etwas steile Lanne, empor, und sieht sich plötzlich, sowie man den höchsten Gipfel erreicht, an einem oben scharf abgebrochenen furchtbaren Abgrund, der jäh unter den Füßen wegsinkt, und an vielen Bergen nicht einmal von der Gemse begangen werden kann.

So steigt zum Beispiel die Carwendelwand, wie die Nordseite des Carwendelgebirgs mit Recht genannt wird, so steil und glatt empor, daß keine Gemse dort hinüber kann, und meilenweit thalab oder aufwärts wandern müßte, ehe sie einen schmalen Paß fände, der an einer oder der anderen Stelle, meist durch nieder gebrochenes Gestein begünstigt, ein Aufklimmen möglich machte – aber wir kommen dort noch hin.

Wir haben jetzt das Baumgarten-Joch betreten, und schreiten noch kurze Strecke den Hang hinab, wo die niederen flachen Almhütten, Schildkröten nicht unähnlich, auf dem Bauche liegen. Der Boden ist hier merkwürdig vom Vieh mishandelt worden, das sehr thörichter Weise immer wieder in seine eigenen Fußtapfen tritt, und die Wiese dadurch in eine künstliche Sammlung von Schlammlöchern und Grasknollen verwandelt. Im Dunkeln ist es kaum möglich über solche Stellen fortzukommen, ohne Hals und Beine, wenn auch nicht zu brechen, doch jedenfalls zu riskiren. Unterwegs war übrigens kein Wild zu sehn, da die Jäger und Lastträger etwa eine Stunde früher (Einige davon überholten wir noch unterwegs) hier eingetroffen waren. Nur dicht an der Alm angekommen, sahen wir die Jäger unter der Thür der großen Hütte stehn, und mit ihren »Bergspectiven« nach dem grasigen Rand des Delpzkessels hinaufschauen, wo sich sechs oder acht Gemsen, unbekümmert um die sich unten bewegenden Menschlein ästen. Sie waren jedenfalls Leute da unten an der Alm gewöhnt, und wußten recht gut daß ihnen die Delpz, sowie sie nur irgend Jemand gegen sich ankommen spürten, jeder Zeit einen sicheren Rückzug bot.

Die Baumgarten-Alm ist ebenfalls ein Hochleger der Sennen, und diese Art Hütten werden hier in den Alpen in Hoch-, Mittel- und Unterleger eingetheilt. In die Unterleger, die am tiefsten unten am Berg liegen, ziehen die Sennen im Frühjahr, oder Anfangs Sommer, sobald der Schnee dort gewichen ist, während die höher liegenden Strecken dem Vieh noch nicht zugänglich sind. Wie der Schnee schwindet, rücken ihm die Hirten nach, und nehmen dann im Mittelleger ihre Wohnung, bis sie im hohen Sommer mit ihren Heerden die oberen Alpen beziehen, und sich dann, freilich nur für kurze Zeit, im Oberleger einquartieren können. Der eintretende Winter oder Herbst treibt sie wieder hinab, und Anfang Oktober verlassen sie die Alpen ganz, in die tiefer gelegenen Thäler, meist nach Lenggries, Tölz und die dortige Umgegend zurückzukehren. Die meisten dieser Hirten die jene Almen pachten, sind bairische Unterthanen.

Beim Hinuntersteigen ist es indeß schon fast ganz dunkel geworden. Oben am Hang sah es freilich so aus, als ob die Hütten dicht darunter lägen, und doch, wie lange braucht man jetzt sie zu erreichen. Und die verzweifelten Grasknollen! sie sind kaum noch zu erkennen, stauchen aber den Körper bei jedem Fehltritt. Ja, es wird Nacht – nur auf den höchsten Jochen liegt noch das Dämmerlicht des scheidenden Tages.

Der Platz selber sah auch wild und abenteuerlich genug aus. Fünf oder sechs zu den verschiedensten Zwecken benutzte Almhütten lagen bunt zerstreut, die Ecken nach jeder Richtung durch einander kehrend, an dem nackten Hügelhang, und kein einziger Baum versprach gegen den Wind Schutz, für die Sonne Schatten. Der Boden selber zwischen den einzelnen, aus rohen Stämmen roh aufgerichteten Gebäuden, war von dem Vieh zu einem sanften Brei getreten, und hatte nur oberflächlich Zeit bekommen wieder abzutrocknen. Die eingedrückten Klauenspuren machten ihn dabei rauh und holperig, während er zugleich eine gewisse ängstliche Elasticität bewahrte.

Hell leuchtete indeß das Feuer aus dem inneren Raum der größten Hütte, die einem, aus Versehn platt gedrückten gewöhnlichen hölzernen Wohnhaus nicht unähnlich war. Etwa dreißig Fuß lang und zwanzig breit begann das mit Steinen reichlich beschwerte Schindeldach schon etwa sieben Fuß vom Boden, und hob sich in der Mitte höchstens bis zwölf Fuß hoch. – Wie aber sah es da im Innern aus.

Wenn noch vor ein paar Monaten, vielleicht vor Wochen, stille Hirten ihren Käse und »Schmarren« hier gekocht und hölzerne Löffel und andere friedliche Werkzeuge der Butter- und Käsebereitung auf den Querbalken der Hütte gelegen, so hatte diese jetzt dafür ein ganz anderes Aussehn gewonnen, und sich sehr zu ihrem Vortheil verändert.

Statt der schläfrigen Sennerinnen, die damals ihre Blechpfanne auf den Kohlen herumgestoßen haben mochten, wirthschaftete jetzt der Koch in schneeweißer Jacke, Mütze und Schürze zwischen dem, so gut als möglich untergebrachten Vorrath und Geschirr. Die friedlichen Hirten hatten rüstigen bärtigen Jägern Platz gemacht, und auf den Querbalken lag eine wackere Reihe von vierzehn bis sechzehn Stück Doppelbüchsen und Büchsflinten drohend ausgestreckt.

Das Eigenthümlichste in dem weiten, sonst eben nicht eleganten Raum waren aber zwei mächtige Feuerplätze, rechts und links von der Thür in den nächsten Ecken, und die Feuerstellen nur durch aufgesetzte Steine von der rohen Balkenwand, etwa drei Fuß hoch getrennt, während die Flammen lustig gegen die schon glänzend schwarz gebrannten, und wie glasirten Balken aufloderten.

Um das Feuer rechts sammelt sich jetzt die Schaar der Jäger und Träger, die kurzen Pfeifenstummel im Mund, erzählend und lachend und die Vorgänge der letzten Tage besprechend, während an dem Feuer links die Jagdgesellschaft Platz nimmt. Aber einzelne der Jäger drücken sich auch mit seitwärts an dies Feuer an. – Sie wissen schon wie freundlich man mit ihnen ist, und lauschen gar zu gern dem was dort gesprochen wird, und sie oft weit hinweg aus ihren Bergen führt.

Und merkwürdige Gestalten sieht man dabei, von denen der Leser erst die wenigsten kennt.

Weinseisen heißt einer von ihnen, ein Bursche in den besten Jahren noch, wenn auch schon mit mancher Falte in Wange und Stirn. Ihm fehlt ein Auge – aber Niemand weiß das, denn eine ziemlich breite, nach innen gekrümmte Locke hat er so trefflich über das fehlende hinüber gezogen, daß es die Lücke auch nicht auf einen Moment sichtbar werden läßt. Er gilt dabei als Einer der besten Jäger im Revier, und ist still und schweigsam; vermißt auch das eine Auge nicht, denn das andere ist so scharf, als ob es einem Jochgeier gehörte.

Ein anderer ist Michel, unstreitig der hübscheste von allen; ein junger Bursch von sechsundzwanzig Jahren, mit einem gar so offenen ehrlichen und guten Gesicht, und so treuen blauen Augen, denen das freundliche Lächeln prächtig steht. Ein guter Jäger und kecker Steiger wie Alle, hat er eine besondere Vorliebe, einen besonderen Blick für Blumen, und vom Edelweiß, das oben in den schroffen Nordwänden der steinigen Gebirge steht, bis zum blau und rothen Vergißmeinnicht das an den Bächen der hochgelegenen und geschützten Thäler keimt, sucht und findet er die einzelnen Blüthen, die der einbrechende Herbst bis dahin noch verschont. War sein Weg den Tag über noch so rauh und wild, prangt sein Hut gewiß, kehrt er Abends zurück, von einem Blumenflor.

Wie wohl thut es Einem, wenn man sich lang wieder in der civilisirten Welt herumgetrieben, und dort die ausgemergelten, faden, geputzten nur vom Schneider zusammengehaltenen Menschenbilder geschaut hat, auf so kräftige Glieder, in so ehrliche Augen zu blicken.

Die Leute da oben, ob sie fast durchaus in einer Wildniß leben, und wenig mit Menschen zusammen kommen, haben auch gar nichts Aehnliches mit dem Bauer des flachen Landes, und gleichen weit eher den ungezwungenen wilden Gestalten der amerikanischen Backwoodsmen. Der deutsche Bauer ist nur zu oft denen gegenüber die er über sich weiß, scheu, täppisch und unbeholfen, oder gar kriechend; gegen die die ihm gleich stehn und seine Untergebenen, oder gegen Aermere grob und hochfahrend. Der Bergbewohner hat dagegen eine ihm angeborene Natürlichkeit, ja ich möchte sagen Grazie, die sich in allen seinen Bewegungen ausspricht. Er ist nie scheu und verlegen, selbst nicht den Höchsten gegenüber, er ist aber auch nie grob und unverschämt, und sein natürliches Gefühl führt ihn fast stets den richtigen Weg – den Weg eines Mannes der da weiß daß er das leistet in der Welt was man von ihm verlangt – verlangen kann.

Alle diese Leute hängen dabei mit einer unendlichen Liebe an ihrem hohen Jagdherrn, und die Zeit die der bei ihnen zubringt, ist ihnen nicht eine Zeit der Mühe und Arbeit, trotz den beschwerlichen und gefährlichen Wegen die sie in den Tagen zu durchsteigen haben, sondern mehr wie ein fröhliches Fest auf das sie sich das ganze Jahr schon freuen, und das ihnen, neben der fröhlichen Jagdlust, ja auch Verdienst und Nutzen bringt. Ihr Stolz ist dabei der waidmännische Betrieb der Jagd, das Schonen des edlen Wildes, das ausgenommen, was jährlich in einem so tüchtig besetzten Revier nun einmal abgeschossen werden muß. Und daß der Herr sich dem mit solcher Lust und Liebe hingiebt, und so wacker mit ihnen über die schroffen Pfade, in die steilsten Hänge hineinsteigt, und eben so wenig die dichten ungeleckten Laatschen, wie die bröcklichen Wände scheut, das freut sie vor allem Anderen.

Und wie traulich sitzt es sich an den knisternden Flammen, die selber toll und lustig ihre goldenen sprühenden Funken zum schwarz gebrannten Dach emporwirbeln, und welchen wunderlichen Schein werfen sie auf die bunt darum gruppirten malerischen Gestalten. Es ist gerad kein fürstliches Gemach das uns umgiebt, und die rauhen Stämme die die Wand bilden, der nackte Boden, der etwas wackelige Tannentisch der in der Mitte steht, die wunderlichen »Lehnstühle« selbst am Feuer, die aus halbdurchgebrochenen rund hölzernen Schüsseln bestehn – in denen es sich aber ganz vortrefflich sitzt, – das an die Wand gehangene Tischtuch selbst, den ärgsten Zug mit abzuhalten, der doch noch außerdem Zugang genug hat, ließen vielleicht in Hinsicht der Eleganz Manches zu wünschen übrig, aber – es ist ein ächtes Waidmannslager in den Bergen, und wer daran Lust und Freude findet wie der Herzog, und nicht verweichlicht genug ist gepolsterten Sitz und mit den gewohnten Bequemlichkeiten ausgestattete Umgebung zu vermissen, dem geht das Herz hier auf, und sendet seine knisternden sprühenden Funken hinan in Kopf und Auge, wie die Flamme da.

Das ist dann die Zeit für die Erzählungen und Berichte der Jäger aus den angrenzenden, und zum ganzen Revier noch gehörenden Distrikten, denn nicht der dritte Theil vom ganzen Jagdgrund wird wirklich bejagt.

Wo in den Bergen ein verdächtiger Schuß gehört ist, wird besprochen, und wo die meisten Gemsen stehn; wie es sich mit dem Rothwild stellt, und dem Raubzeug, und ob kein Luchs wieder in den Bergen gespürt worden.

Raubzeug giebt es in der That nur noch sehr wenig im Gebirg, und wohl kann man sagen leider, daß dem so ist, denn wie viel interessanter würde die Jagd dadurch. Ließe sich aber wirklich einmal wieder ein Bär da sehn, da wär' der Teufel auch sicherlich in den Bergen los, denn Alles würde in der ganzen Umgegend aufgeboten werden ihn zu erlegen oder zu vertreiben. Begnügte er sich freilich mit Wild und Gemsen, ließen ihn die Hirten wohl gern in Frieden, aber die alten schwarzpelzigen Burschen setzen es sich in den Kopf auch manchmal ein Rind todt zu schlagen, oft aus lauter Uebermuth, oder um sich nach Tisch ein wenig Bewegung zu machen, und das können die Hirten nicht vertragen.

Auch kein Luchs läßt sich mehr in den Bergen sehn, von denen die Schweiz doch noch einige aufzuweisen hat. Nur der Fuchs treibt in ziemlicher Anzahl die hohe Jagd auf Hasel-, Schnee-, Birk- und Steinhühner, lauert dem weißen Alpenhasen auf, wenn er zu Nacht um die verlassenen Sennhütten spazieren geht, und wagt sich auch wohl, wenn ihm die Gelegenheit dazu wird, an ein Gemskitz.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 eylül 2017
Hacim:
170 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain