Kitabı oku: «Friedrich Gerstäcker: Schiffszimmermann – Walfischfänger – Das Wrack»
Friedrich Gerstäcker
Friedrich Gerstäcker: Schiffszimmermann – Walfischfänger – Das Wrack
Band 162 in der maritimen gelben Buchreihe
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort des Herausgebers
Der Autor Friedrich Gerstäcker
Der Schiffszimmermann
Der Walfischfänger
Das Wrack – Die Windstille
Die Einfahrt
Das Wrack
Der Einsiedler
Eine Entdeckung
Unerwartete Störung
Schluss
Die maritime gelbe Buchreihe
Weitere Informationen
Impressum neobooks
Vorwort des Herausgebers
Vorwort des Herausgebers
Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.
Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.
Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktionen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere.
Hamburg, 2021 Jürgen Ruszkowski
Ruhestands-Arbeitsplatz
Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers
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Der Autor Friedrich Gerstäcker
Der Autor Friedrich Gerstäcker
Geboren am 10. Mai 1816 in Hamburg als Sohn eines Bühnentenors. Er ließ sich zum Kaufmannslehrling ausbilden, danach absolvierte er eine Ausbildung in Landwirtschaft. 1837 wanderte er nach Amerika aus, wo er ein abwechslungsreiches und abenteuerliches Leben als Matrose, Heizer, Jäger, Farmer, Koch, Silberschmied, Holzfäller, Fabrikant und Hotelier führte. 1843 kehrte Gerstäcker nach Deutschland zurück. Er lebte ab 1868 in Dresden und Braunschweig. Gerstäcker starb am 31.05.1872 in Braunschweig.
Gerstäcker war ein Erzähler von außerordentlich spannenden und farbenprächtigen Abenteuerromanen, die jedoch stets belehrende Momente in der Landschafts- und Kulturschilderung beinhalten.
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Der Schiffszimmermann
Der Schiffszimmermann
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Leise wogte die See und warf nur wie spielend ihre durchsichtigen tief blauen, silber beschäumten Wogen gegen die Korallenriffe von Tubuai, der Hauptinsel einer kleinen Gruppe von Eilanden im Stillen Meere, deren Palmen die milde Luft durchrauschten und über deren bis zur höchsten Kuppe bewaldeten Bergen der Himmel sich rein und sonnig spannte.
Am sandigen Korallenstrand spielten, als die Schatten länger wurden und das heiße Taggestirn sich mehr und mehr dem Horizont zuneigte, eine ganze Schar bronzefarbiger munterer Kinder, haschten sich, indem sie über die scharfen Korallenstücke mit den nackten Sohlen hinliefen, als ob ihre Füße mit Leder und Eisen gegen jede Verletzung geschützt wären, oder schaukelten sich an langen, aus Kokosfaser gedrehten und in den Kronen der Palmen befestigten Seilen herüber und hinüber – jetzt weit über das blaugrüne Binnenwasser hinaus, über das die mächtigen Bäume ihre Wipfel neigten, jetzt hinein in das Guiaven- und Orangendickicht, mit keckem Fuß die Gefahr abwehrend, gegen irgendeinen der nahen Stämme geschleudert zu werden.
Die erwachsenen Männer lagen behaglich ausgestreckt im Schatten eines kleinen Orangen- und Bananenhains, dessen Ausläufer wunderlich starrästige Pandanusbäume bildeten, und schauten teils den Spielen der Kinder zu, teils ziemlich gleichgültig nach einem in der Ferne sichtbar gewordenen Segel, das mit der leichten Brise langsam näher kam. – Geschäftiger dagegen waren die Frauen, die hier und da in der durchsichtigen Flut Kokosschalen zu Bechern abschliffen, Kränze und Haarschmuck aus den weißen zarten Fasern der Pfeilwurz wanden, oder auch mit der Angel, bis zum Gürtel im Wasser, zwischen den Korallen standen, ein leckeres Abendmahl von kleinen Fischen zu fangen. Diese wurden dann roh, nur in Kokosmilch und Salzwasser getaucht, und mit der gerösteten oder gedämpften Brotfrucht gegessen.
Früher schallte hier freilich auch das muntere Getön der Tapa-Klöppel durch das schattige Dunkel der Waldung. Die Frauen und Mädchen verfertigten sich damals aus der gegorenen Rinde des Brotfrucht- und Bananenbaumes ihre eigenen Stoffe zu Pareu und Schultertuch; und während ihnen lachend und singend die Arbeit zum Spiel wurde, sammelten sich die jungen Leute um sie her, halfen ihnen den Teig einkneten und ausbreiten, und schnitzten ihnen aus dem harten Holz der Casuarine die Klöppel.
Jetzt ist das freilich vorbei. Zuerst brachten ihnen die Missionare, dann andere anlegende Schiffe, besonders Walfischfänger, buntfarbige Kattune und andere billige Stoffe, die ihnen besser gefielen als die einfache, selbst gefertigte Tapa. Die einzige wirkliche Arbeit, die sie bis dahin gekannt, wurde also beiseite geworfen, und der edle Müßiggang, dem die Natur hier mehr als an irgendeinem anderen Ort der Welt Vorschub leistet, ward ihnen halb lieber als alles andere. Manchen schlimmen Einfluss hatte das allerdings auf sie, aber das Gutmütige, Einfache, Herzliche in ihrem ganzen Wesen konnte es ihnen doch nicht rauben. Froh und fröhlich lebten sie in den sonnigen Tag hinein, und der Gott da oben, der über ihre Heimat das ganze Füllhorn seiner reichen Schätze ausgeschüttet, musste ihnen ja wohl ein lieber Vater sein.
Wenig waren sie dabei mit den Weißen, die sich schon auf den benachbarten Inselgruppen festgesetzt, ja einen Teil derselben sogar gewaltsam in Besitz genommen, in Berührung gekommen. Zwei Missionare siedelten sich allerdings an der Nordseite der Insel an, deren gutmütige Bewohner sie bald ihrem Glauben gewonnen hatten. In wirklich innigem Verkehr mit ihnen lebte aber nur ein einziger Weißer, ein junger, blauäugiger, frohsinniger Schotte, der vor fünf oder sechs Jahren auf einer der Tonga-Inseln einem Walfischfahrer, auf dem er als Zimmermann gefahren, entlaufen war und seinen Weg hierher gefunden hatte. Hier aber fesselte ihn sein Herz. Er verliebte sich in eins von den lieben Gesichtern der jungen Tubuai-Mädchen, die dort zu Dutzenden umherliefen, und da ihm das stille gemütliche Leben dieses, wenn auch von der Welt abgeschiedenen, doch reizenden Platzes ebenfalls gefiel, und die Eltern nicht die geringsten Schwierigkeiten machten, sondern nur eine rechtsgültige Trauung von dem Missionar verlangten, gab er sein unstetes Umhertreiben auf und wurde erstlich ein verheirateter Mann, und dann später ein Familienvater auf Tubuai.
Er selber war zwar nur mit der Schulbildung aufgewachsen, die Knaben in seinen Verhältnissen daheim gewöhnlich erhalten; aber sein Handwerk hatte er tüchtig und brav gelernt, und machte weiter an ein gesellschaftliches Leben keine größeren Ansprüche, als ihm die Insel eben bieten konnte. Unter dem blauen Himmel und den wehenden Palmen dieses kleinen Paradieses und zwischen den guten und einfachen Menschen verlangte er nichts weiter: Denn das häusliche Glück, das er dort gesucht, hatte er ja gefunden. Überdies fesselten ihn an die verlassene Welt keine anderen Familienbande mehr. Seine Eltern daheim waren tot, Geschwister hatte er nie gehabt, und Intaha, sein liebenswürdiges Weib, das ihm zwei Kinder geboren, war ihm alles.
Ehrlich und offen in seinem ganzen Wesen und bei weitem nicht so rau und dem Trunk ergeben, wie es die englischen Seeleute sonst nur zu häufig sind, waren ihm auch die Eingeborenen bald alle freundlich geneigt, und durch seine Geschicklichkeit in manchen für sie höchst wertvollen Kenntnissen wurde er ihnen bald zu einem so nützlichen als gern gesehenen Gefährten.
Tomo, in welchen Namen die Eingeborenen sein Tom Burton bald umgetauft, lag auch heute wieder mit ihnen am Strand und schaute halb träumend, halb sinnend zu dem fernen Segel hinüber, das nur langsam und schwerfällig mit der leichten Brise näher kam. Wohl gingen ihm dabei die früheren Szenen wieder durch den Sinn, die er selber damals an Bord eines Schiffes durchlebt: die schwere böse Arbeit, der ewige Unfrieden mit dem Kapitän, dann seine glückliche Flucht, wo er, fünf Tage an wilden Bananen, so genannten Feis zehrend, auf den Höhen von Hapai zugebracht; dann seine späteren Kreuzfahrten zwischen den schönen Inseln, und nun sein jetziges friedliches Stillleben auf der kleinen Scholle mitten im Weltmeer drin.
„Und wenn du jetzt mit dem Schiffe dort in die Heimat zurückkehren könntest“ – gingen seine Gedanken dabei – „möchtest du fort? Möchtest du Intaha und die Kleinen verlassen, um da draußen wieder unter den kalten, herzlosen Menschen das alte Leben zu beginnen? Nein, bei Gott nicht. Es gibt nichts dort, was mich zurück zu ihnen locken könnte, und es kommt mir manchmal wirklich so vor, als ob ich nur eigentlich aus Versehen im alten Europa geboren wäre, so ganz und völlig gehör ich hierher, wohin mich mein gutes Glück zur rechten Zeit geführt. Da draußen mögen sie sich indessen drängen und treiben, um Geld, nur immer mehr Geld zu verdienen, und das Verdiente dann im wüsten Schlemmen zu verprassen, wie ich es selber früher manchmal getan. Ich will jetzt hier genießen und mich meines Glückes freuen; die Welt – bah – so viel für den ganzen unnützen Lärm, den sie darum machen!“ –
Die Sonne war indessen, ein roter Glutenball, im Meer versunken, und seine Frau, ein blühendes, blumengeschmücktes, junges, lächelndes Weib, kam, das jüngste Kind ihr auf der linken Hüfte reitend – wie die Frauen dort ihren jungen Nachwuchs tragen –, das älteste, einen kleinen, muntern, dreijährigen Burschen, an der Hand, um ihn abzuholen. Der Tau fing schon an nass niederzufallen.
Das Schiff war noch eine ganze Zeit in dem hellen Streifen sichtbar, der im Nordwesten auf dem Horizont lag, und zeichnete jetzt sogar deutlich seine Rahen und Segel ab. Bald jedoch verschwanden die Umrisse desselben in dem Bleigrau des sinkenden Abends, und als der Mond im Osten über die Berge stieg, war es ganz verschwunden.
Die Insulaner interessierten sich aber in der Tat nur für die Schiffe, die wirklich bei ihnen anlegten, was indessen sehr selten geschah. An diese konnten sie dann Früchte, Gemüse, die sie ihr weißer Freund bauen gelehrt, und auch wohl geschlagenes Holz gegen Beile, Tabak, Kattun, Schmuck, Nägel, Spiegel und andere Kleinigkeiten eintauschen. Dass sie dabei nicht zu sehr übervorteilt wurden, überwachte Tomo ebenfalls, und wie er ihnen bei solchen Gelegenheiten als Dolmetscher wertvolle Dienste leistete, war er ihnen auch in dieser Hinsicht unendlich nützlich.
Mühe genug hatte es ihn aber gekostet, die Eingeborenen zu einer wirklich schweren Arbeit zu bringen, wie das Holzhauen in diesem Klima ist, und wenig nützte es dabei, dass er ihnen selber mit gutem Beispiel voranging. Sie setzten sich um ihn her, sahen ihm zu und wollten sich totlachen, wenn ihm der Schweiß in großen Tropfen von der Stirn lief, wurden aber stets sehr ernsthaft, sobald er ihnen selber die Axt in die Hand drückte, und warfen sie auch bald wieder fort. Nur als sie später in die Hände derer, die am fleißigsten gewesen waren, ziemlich reichlichen Gewinn fließen sahen, ließen sie sich eher dazu bewegen mit zuzugreifen. Zureden kostete es indes noch immer.
Solch Holzschlagen war aber trotzdem ein Fest für die fröhlichen Kinder dieser Palmenwelt, die das Freundliche einer Sache stets am leichtesten und schnellsten herausfanden. Dann sammelten sich die Mädchen und Frauen um die Arbeiter, pflückten Blumen und banden Kränze, mit denen sie die Geschicktesten und Fleißigsten krönten, oder lachten auch wohl über die Unbehilflichkeit des einen oder des anderen. Das geschah aber auf so gutmütige, herzliche Weise, dass er nie hätte darüber böse werden können und jetzt schon durch eine Art von Ehrgeiz angetrieben wurde, seine Sache besser zu machen und ebenfalls einen Kranz zu verdienen.
Der nächste Morgen dämmerte eben im Osten, und ein paar der jungen Leute waren früh aufgestanden, um auf den Fischfang hinauszufahren. Deren Ruf weckte aber bald noch mehrere Kameraden, die, als sie erstaunt aus ihren Hütten schauten, das gestern Abend erspähte Schiff klar und deutlich und schon ziemlich nah herankommen sahen. Hätte es nicht die Absicht gehabt bei ihnen anzulaufen, so würde es die Nähe der Korallenriffe, die sich um alle diese Inseln bilden und sie oft auf viele Meilen im Umkreis umschließen, gewiss gemieden haben.
Der Seemann hat von diesen Plätzen noch keine guten Karten, und in der Tat wechseln auch die verborgenen Klippen zu oft, um all die gefährlichen Stellen mit Gewissheit anzugeben, und wenn sie angegeben wären, sich auf sie verlassen zu können. Wenn deshalb Schiffe an einer solchen Insel anlegen wollen, halten die Fahrzeuge darauf zu und kreuzen entweder über Nacht in sicherer Entfernung, das Tageslicht abzuwarten, oder werfen auch wohl Anker, wenn sie sicheren Grund erreichen können.
Das Letztere geschieht freilich nur selten, da die Koralle – jener geheimnisvolle Baum der Südsee, von dem man noch nicht weiß, ob er sein Wachstum sich selbst oder einem darin hausenden Wurm verdankt – fast immer von bedeutender Tiefe jäh und schroff bis an die Oberfläche emporsteigt. Während hier die Woge über das bis zum Wasserrand gehobene Riff hinüberschäumt, findet dicht daneben das Senkblei oft auf fünf- und sechshundert Fuß keinen Grund. An ein Ankern ist natürlich in solcher Tiefe nicht zu denken.
Das fremde Schiff – darüber war kein Zweifel mehr – hatte jedenfalls die Absicht, mit dem Lande in Verbindung zu treten, und eine rege fröhliche Geschäftigkeit kam bald über die eben noch schlaftrunkenen Bewohner des Strandes. Vor allen Dingen weckten sie Tomo, um ihn von dem erfreulichen Ereignis in Kenntnis zu setzen, und gingen dann eifrig daran, teils Kokosnüsse und Bananen, Orangen, Guiaven, Papayas, und wie die hundert Früchte alle heißen, zu pflücken, teils Brotfrüchte abzunehmen und süße Kartoffeln, Yams und Wassermelonen aus den Feldern zu holen. Die Frauen waren ebenso fleißig, mit rasch niedergeworfenen Blättern der Kokospalme auf eine eigene geschickte, aber unendlich einfache Weise Körbe zu flechten. in diesen konnten sie die Früchte weit besser verpacken und an Bord liefern, und hatten dadurch auch eher einen Maßstab für die Masse und den Wert derselben.
Intaha, die Geschickteste und Fleißigste der Insulanerinnen, hatte aus Bambusstreifen und zierlich gefärbten Pfeilwurzfasern allerliebste kleine Körbchen und Taschen gefertigt, um dieselben bei nächster Gelegenheit gegen manche kleine Bequemlichkeit von landenden Weißen einzutauschen. Von Tomo selber standen sechs Klafter Holz aufgestellt, und er hoffte mit seinen Gemüsen, die er gebaut, seinen Früchten, die ihm Gottes Güte wachsen ließ, und seinen Hühnern und Schweinen, die er gezogen, diesmal ein ordentliches kleines Kapital anlegen zu können.
Das Schiff kam indessen immer näher, und als es fast bis dicht an die Riffe aufgekreuzt war, wurde ein Boot ausgesetzt. Dieses, von vier tüchtigen Riemen getrieben, hatte schon die schmale Einfahrt in die Riffe bemerkt und kam jetzt durch das glatte Binnenwasser, das stets zwischen den Riffen und dem festen Lande liegt, rasch herbeigerudert. Und wie drehten die Matrosen, die nun so lange da draußen an Bord Salzfleisch und harten Schiffszwieback gekaut, und nichts gesehen hatten als das weite, weite Meer, beim Anrudern den Kopf so sehnsüchtig bald rechts, bald links über die Schultern, um das Auge einmal wieder an dem saftigen frischen Grün der Bäume zu laben – wieder einmal Frauen und Kinder zu schauen und das Rauschen und Flüstern des Windes im Laub zu hören!
Oh ihr, die ihr auf festem Lande lebt und noch nie aus Sicht des heimischen Bodens gekommen seid, ihr wisst gar nicht, welcher unendliche Zauber für den seemüden Wanderer allein nur in dem kleinen Wörtchen Land verschlossen liegt. Wie leicht sich das unter der Sohle fühlt, wenn es der springende Fuß zum ersten Mal wieder berührt; wie süß die Blumen duften; wie melodisch die Vögel singen; wie wunderbar gefärbt das alles erscheint! Ein eigener Zauber liegt auf solchem fremden Boden. Wenn aber schon der Seemann selbst der unwirtbarsten, rauesten Küste ihre freundliche Seite abzugewinnen weiß, über das kleine dürftige Heideblümchen jubelt, das er zwischen nacktem Felsgestein gefunden, und bunte Muscheln und Kiesel am Strande sucht, um sie zur Erinnerung mit aufs Schiff zu nehmen – wie ist ihm da zu Mute, wenn sein Fuß ein fertig Paradies betritt, wo die Natur das Schönste, was sie irgend bietet, in dem so kleinen engen Raum mit vollen Händen aufgehäuft. Dass die Leute dann oft wie im Taumel umhergehen und, wie die Kinder, gar nicht wissen, nach welchem Genuss sie zuerst langen, welche Frucht sie zuerst pflücken sollen, kann man ihnen wahrlich nicht verdenken.
Wie der Gefangene, der nach langen Jahren schwüler Kerkerhaft zum ersten Mal wieder die freie, von Mauern nicht umschlossene Luft einatmet, den blauen Himmel nicht durch ein Eisenfenster gegittert sieht, so verlassen sie das Schiff auf kurze Zeit, sich das Firmament einmal wieder durch einen Baumwipfel anzusehen und gleich nachher – die lange, mühselige Fahrt aufs Neue zu beginnen.
Dass die Leute dann beim Anblick der wehenden Palmen, süßen Früchte und lieben, freundlichen Gesichter manchmal eine Art von Heimweh bekommen und dem Schiff zu entlaufen suchen, ist allerdings unrecht, denn sie brechen einen eingegangenen Kontrakt – aber erklärlich und menschlich bleibt es immer.
Die Kapitäne wissen das auch, und obgleich schwere Strafen darauf gesetzt sind und die Leute oft den seit Jahren mühsam verdienten Lohn, den der Kapitän für sie in Händen hat, im Stich zu lassen genötigt sind, um nicht wieder mit hinaus auf das öde Meer, um nicht wieder diese Küsten verlassen zu müssen, so trauen sie ihrer Mannschaft doch nimmermehr. Wo sie einmal an solcher Insel anlegen, brauchen sie jede nur mögliche Vorsicht, und diejenigen von den Matrosen, welche nicht das Boot mit rudern, dürfen das Land gar nicht betreten.
Auf solche Art sehen dann die armen Teufel von Matrosen von dem wunderschönen Land, das sie nach langer Fahrt zu betreten hoffen, gewöhnlich unendlich wenig. Vor ihnen rauschen die Palmen und fließt der murmelnde Quell unter fruchtschweren schattigen Zweigen hin – aber nicht für sie. Was hilft es ihnen, dass sie dem Namen nach fremde Länder besuchen? Wie der Gefangene aus dem Fenster seiner Zelle die grünen Felder und die darauf schaffenden freien Menschen erkennen kann, ohne hinaus zu ihnen zu dürfen, so lehnt der Matrose an seinem Bord und schaut sehnsüchtig nach dem wundervollen Schauspiel hinüber, das sich seinen Augen bietet. Er misst vielleicht mit einem verzweifelten Blick die Entfernung zwischen Schiff und Land, das möglicherweise mit Schwimmen zu erreichen, bevor er von dem nachgeschickten Boot wieder eingeholt und zurückgebracht würde, und wendet sich dann seufzend ab, seinen allerdings freiwillig übernommenen Geschäften, die ihn jetzt rettungslos binden, in alter Weise nachzugehen.
Nur wenig mehr Freiheit haben die Ruderer. Allerdings betreten sie den Boden und dürfen sich selber, wenn sie Lust haben, die am Strand wachsenden Früchte pflücken, aus der Quelle trinken und mit den Eingeborenen verkehren, ihnen die Hand drücken und ihren herzlichen Gruß erwidern. Aber ehe sie nur eigentlich recht zur Besinnung kommen können, ist auch die kurze Zeit schon wieder vergangen, der Befehl zum Einschiffen erfolgt, und hinter ihnen liegt wieder auf lange, lange Monde – vielleicht auf Jahre – der schöne Traum von Früchten, Land und Bäumen und den freundlichen lieben Gesichtern guter, harmloser Menschen. Ihre Heimat ist von da aufs Neue das Meer, ihr Geschäft: den schmutzigen, übel riechenden Tran auszukochen und den Elementen ihre Existenz, ihr Leben abzuringen.
Doch daran dachten sie jetzt nicht. Kaum berührte der scharfe Kiel des leichten, die Wogen rasch durchschneidenden Walfischbootes den rauen Korallensand, als sie auch, wie mit einem Schlag, ihre Ruder hineinwarfen und nach allen Seiten hin über Bord sprangen, um das Boot höher hinauf an Land zu ziehen. Fröhlich und geschäftig umringte sie dabei das neugierige, lachende, jubelnde Volk der Eingeborenen, die recht gut wussten, dass sie von solchen anlandenden Booten nichts zu fürchten hatten, wie diese Mannschaft ja auch ebenso sicher in ihrer Mitte war.
* * *
Der Harpunier nun, der jetzt ebenfalls langsam das Boot verließ, überschaute erst forschend und langsam die fremden ihn umgebenden Menschen, um irgendeinen darunter herauszufinden, der vielleicht eine Autorität unter den Übrigen sein könnte, und dann mit diesem seinen beabsichtigten Handel abzuschließen. Da fiel sein Blick auf die Gestalt des weißen Mannes, der eben noch ganz in seiner europäischen, nur aus leichten Stoffen gefertigten Tracht unter dem kühlen Schatten der den Strand umschließenden Bäume sichtbar ward und langsam zum Boot herunterkam.
Auf diesen schritt er, nicht wenig erfreut, jetzt einen sicheren Dolmetscher zu haben, zu, streckte ihm die Hand entgegen, die Tom nahm, und sagte auf Englisch: „Ein Landsmann etwa? Sollte mich verdammt freuen, den hier zwischen dem Kauderwelsch der Burschen zu finden.“
„Ein halber wenigstens – ein Schotte!“, lachte Tom. „Wie geht's Euch? Freue mich, Euch hier auf Tubuai begrüßen zu können.“
Der Seemann drückte die ihm gebotene und noch nicht wieder losgelassene Hand aus Leibeskräften und sprach freundlich:
„Vortrefflich. Und nun können wir auch unsere Geschäfte gleich und rasch miteinander abmachen, denn der Kapitän brennt vor Ungeduld, wieder in See zu gehen. Wir wollen, wie Ihr Euch wohl denken könnt, ein bisschen von allem, und bringen Euch hier dasselbe – könnt Euch dann aussuchen, was Euch am besten behagt. Holz habt Ihr doch wohl keins gehauen?“
„Wie viel braucht Ihr?“
„Ach, wir brauchten schon viel, denn das letzte ist fast verbrannt. Aber der Alte will nicht bleiben, bis welches geschlagen werden kann.“
„Es stehen sechs Klafter gleich dort hinter der Casuarine aufgeschichtet“, sagte Tom. „Wie heißt Euer Schiff?“
„Sechs Klaftern – das ist famos, da werden wir bald handelseinig darüber werden. – Die „LUCY EVANS“ heißt das Fahrzeug.“
„Scheint nicht besonders schnell zu sein“, meinte Tom, der sich noch aus früherer Zeit her genug für die Seefahrt interessierte, um an den Schiffen teilzunehmen, mit denen er in Berührung kam. „Es dauerte gestern lange, bis Ihr heraufkamt.“
„Ein Schnellläufer ist's nicht“, lachte der Harpunier. „Aber 's ist auch kein Wunder, denn wir sind schon halb drei Jahre aus, und das Kupfer hängt uns in Lappen und Fetzen vom Rumpf herunter. Übrigens fängt sie ziemlich glücklich. – Apropos“, unterbrach er sich aber. „Ihr seid selber Seemann gewesen und wisst, dass ich die Verantwortung für meine Leute habe. Es ist hier doch keine Gefahr, dass sie davonlaufen können?“
„Wenn sie Bescheid am Strand wüssten, wär's schon möglich“, sagte Tom mit ebenso leiser Stimme, wie die Frage an ihn gestellt war. „Aber so nicht, denn eine Lagune schneidet hier hinten ein, die sie nicht kreuzen würden; und wenn vermisst, wären sie leicht wieder aufzufangen. Habt keine Angst.“
„Desto besser – aus den Augen werd ich sie nicht lassen. Es ist doch eine verwünschte Geschichte mit dem Auskneifen der Halunken. Seit wir ausgefahren, sind uns schon dreizehn Mann davongelaufen.“
„Dreizehn Mann, das ist viel, da werdet Ihr knapp an Mannschaft sein.“
„Verdammt knapp, obgleich wir ein paar neue von den Sandwich-Inseln dazu genommen haben. Wie wär's hier? Sollten sich nicht ein paar von den Insulanern bewegen lassen, einmal einen Kreuzzug auf Walfische zu versuchen?“
Tom schüttelte lachend den Kopf und sagte:
„Du lieber Gott, das sollte den leichtherzigen und an diesen sonnigen Himmel gewöhnten Burschen wunderlich vorkommen, wenn sie plötzlich zwischen die nordischen Eisberge hinaufgeführt und dort gezwungen würden, Tag und Nacht Tran auszukochen. Sie sind beinahe zu bequem, sich hier im Warmen ihre eigene Brotfrucht zu backen.“
„Oh, das wollten wir ihnen schon angewöhnen!“, erwiderte der Seemann.
„Ja, das glaub ich“, nickte Tom ernst. „Ich möchte ihnen jedoch nicht dazu raten. Aber“, setzte er freundlich hinzu, „macht Euch darüber keine Sorge, Ihr hättet auch schlechte Matrosen an ihnen. Wenn Ihr von hier Tahiti anlauft, glaub ich ziemlich sicher, dass Ihr dort wenigstens Eure Mannschaft vervollständigen könntet. Die Franzosen sollen, wie ich früher einmal gehört habe, ziemlich regelmäßig eine Partie von aufgefangenen armen Teufeln in ihrer Calebouse sitzen haben.“
„Ich glaube, der Alte hat nicht übel Lust dazu“, sagte der Harpunier. „Jetzt aber, vor allen Dingen, zeigt mir erst einmal Euer Holz, und dann seid so gut und lasst von Brotfrüchten, Orangen und Gemüsen, von denen Ihr, wie ich da sehe, einen Vorrat habt, alles zum Verkauf Angebotene dicht zum Boot hinunterschaffen. Ich werde nachher auslegen, was ich an Tauschwaren mitgebracht. In solcher Art kommen wir am schnellsten zu einem Resultat.“
Sich dann an seinen Bootsteuerer wendend, dem er heimlich die Warnung zuflüsterte, während er in das Holz ging, auf die Leute ordentlich Acht zu geben, schritt er mit Tom, der seinen Insulanern ebenfalls die gewünschte Anordnung in ihrer Sprache zurief, nach dem gar nicht weit entfernten Holzplatz. Obgleich hier das geschlagene Holz dem Harpunier sehr behagte, konnte er doch keinen festen Handel mit dem Eigentümer abschließen, da er hierzu nicht einmal genug Waren oder Geld mitgebracht, auch keinen fest bestimmten Auftrag vom Kapitän erhalten hatte.
„Wisst Ihr was, Freund“, wandte er sich da an den Schotten. „Fahrt in meinem Boot mit an Bord. Ein paar von Euren Insulanern können uns ja in einem ihrer Kanus begleiten, um Euch, falls Ihr nicht handelseinig würdet, wieder mit zurückzunehmen. Ich zweifle aber nicht im Mindesten daran, dass der Alte das Holz nimmt und noch außerdem übermäßig froh ist, es nur zu bekommen. Unter uns gesagt, muss er es entweder hier nehmen oder in nächster Zeit noch eine andere Insel anlaufen, wo es ihm dann kaum so leicht gemacht werden würde, es fertig gespalten und nah am Strand zu finden. Wem gehört es – Euch?“
„Nur zum Teil – etwas gehört den Eingeborenen.“
„Gut, für die schließt Ihr ja doch den Handel ab, und nun kommt mit mir zum Strand zurück, dass ich meine Leute wieder unter den Augen habe.“
„Wollt Ihr nicht erst einmal in meine Hütte treten und Euch dort etwas erfrischen?“, fragte ihn Tom. „Sie ist kaum zweihundert Schritt von hier entfernt. Dort liegt schon die Fenz, die sie und meinen Garten umschließt.“
„Dank Euch, dank Euch“, erwiderte der Seemann. „Guckte gern einmal hinein, aber es geht nicht. Der Boden brennt mir hier, wo ich meine Bootsmannschaft nicht übersehen kann, unter den Füßen. Überhaupt müsst Ihr mir versprechen, das Holz, wenn wir es übernehmen, bis zum offenen Strand zu schaffen, wo es die Eingeborenen meinetwegen abwerfen können. Hier in den Wald darf ich meine Leute nicht lassen, die Verführung wäre zu groß, und sie brennten mir, Gott straf mich! durch.“
„Ihr scheint schlechtes Vertrauen zu ihnen zu haben“, lachte Tom. „Ist denn Euer Kapitän solch ein Seeteufel, oder das Leben an Bord so schlecht?“
„Ih nun, der Alte hat wohl ein bisschen von dem, was Ihr Seeteufel nennt, im Leibe, Ihr werdet das wohl schon kennen. Die Kost an Bord ist übrigens vortrefflich, und überarbeitet werden die Leute ebenfalls nicht. Um fünf Uhr ist alle Abend Feierzeit – ausgenommen natürlich, wir haben einen Fisch längsseits oder Speck an Bord.“
„Nun, das versteht sich von selbst“, sagte Tom. „Aber da sind wir wieder am Strand und dort auch Eure Leute, Ihr könnt Euch also beruhigen.“
„Gott sei Dank“, murmelte der Seemann, als ob er ganz andere Vermutung gehabt hätte, leise vor sich hin.
Der Handel mit den Früchten begann jetzt, der auch schon von den Matrosen durch einzelne Gebärden und Vorzeigen von Stücken Tabak, Messern, Hemden und anderen Dingen, die sie notdürftiger Weise glaubten entbehren zu können, geführt war. Frisches Gemüse und vielleicht etwas Limonensaft bekamen sie schon vom Schiff, um den Skorbut von ihnen fern zu halten, aber Orangen, Ananas und andere saftreiche Früchte mussten sie sich, wenn sie deren unterwegs haben wollten, selber einlegen.
Tom hatte indessen mit dem Häuptling dieses Distrikts, dem der Harpunier vorher auf sein Anraten einige kleine Geschenke gemacht, den Handel über eine gewisse Quantität von jungen Kokosnüssen, Brotfrüchten und Gemüsen etc. abgeschlossen. Die Eingeborenen waren emsig damit beschäftigt, alles zum Strand hinunterzuschaffen, wo es die Matrosen sogleich in Empfang nahmen und in ihr Boot packten.
Intaha war ebenfalls zum Strand gekommen, um dem Gatten, was sie an zum Verkauf gefertigten Arbeiten bereit hatte, hineinzubringen, und der Bootsteuerer, ein junger Amerikaner, handelte ihr hier schon einen kleinen Teil der Sachen ab. Das Übrige ließ Tom in das Schiff legen, um es dem Kapitän wie den übrigen Offizieren anzubieten.
„Ich will mit dem Vater hinausfahren“, sagte sein kleiner Knabe, als er ihn aufhob und küsste und dann seinem Weib die Hand reichte. „Ich will auch das große Kanu da drüben sehen.“
„Das geht nicht, mein Herz“, beruhigte ihn der Vater. „Da drüben bist du nur im Weg und die Mutter ängstigte sich indes um dich.“
„Lass ihn hier“, bat auch die Frau. „Ich wollte, du gingst ebenfalls nicht mit, Tom. Wenn ich dich mit den fremden Männern in solch einem Boot wegfahren sehe, ist mir ‘s doch immer, als ob du nicht wiederkämst und in deine eigene Heimat zurückgingst – und was sollte Intaha dann mit sich und den Kindern beginnen!“