Kitabı oku: «Inselwelt. Zweiter Band. Australische Skizzen.», sayfa 4
Im Anfang wollte er es nicht anrühren; aber nicht lange konnte er es neben sich liegen sehen. Sein kräftiger und jetzt bis zum Tod erschöpfter Körper forderte Nahrung, und wie er nur einmal den ersten Bissen gekostet, schlang er das Uebrige rasch und gierig hinunter.
Eine volle Stunde mußte Tolmer noch warten, ehe die Seinen von ihrem natürlich erfolglosen Streifzug zurückkehrten. Sie hatten aber dabei ihre übrigen Gefährten getroffen, die eben im Begriff gewesen waren, den Schooner, als den ihnen von Tolmer selber bezeichneten Sammelplatz, wieder aufzusuchen.
Borris war übrigens nicht wenig erstaunt, John Mulligan in Tolmer's Gesellschaft zu finden, und das Unwahrscheinlichste von Allem war ihm, daß sich der Buschrähndscher freiwillig gestellt haben sollte. Tolmer aber erklärte es in Mulligan's Gegenwart, und als er noch die Wunde des Gefangenen hatte sehen lassen und indessen von der nächsten Station ein Pferd für ihn selber herbeigeholt war, denn mit seinem wunden Fuß hätte er die Strecke nicht mehr marschiren können, setzte sich der kleine Zug in Bewegung.
Ein nach Jim Riddle's Hütte geschickter Bote holte indessen den Matrosen von dort ab, brachte aber auch Jim mit, der sich selber überzeugen wollte, ob sein »Freund«, der Buschrähndscher, wirklich in sicherem Gewahrsam sei und ihm keinen unverhofften Besuch mehr abstatten könne. Nur unter dieser Bedingung wollte er länger auf Känguruh-Eiland bleiben.
Gerade der Stelle gegenüber, wo der Schooner, der Polizeimannschaft harrend, vor Anker lag, stieg Tolmer vom Pferde. Sie hatten das Zeichen gegeben, daß das Boot herüber kommen solle, sie abzuholen, und Tolmer, der noch die alten Schüsse in seinem Gewehr stecken hatte, wollte diese herausschießen, es frisch zu laden. Er trat einem dickstämmigen Gumbaum gegenüber – John Mulligan, von vier Polizeileuten bewacht, stand neben ihm – zielte bedächtig und drückte ab. Klapp, versagte das rechte – klapp, das linke Rohr.
Tolmer drehte sich langsam nach John Mulligan um, und Beider Blicke begegneten sich, aber Keiner von ihnen sprach ein Wort. Der Polizeisergeant setzte ruhig frische Zündhütchen auf, drehte sich wieder dem Baume zu und feuerte beide Rohre scharf hintereinander in den alten Gumstamm hinein, daß die Rehposten klappernd darauf schlugen.
Eine Stunde später hatte der Schooner seine sämmtlichen Passagiere an Bord; der Anker wurde gelichtet, und das kleine Fahrzeug segelte mit günstigem Winde nach dem nicht fernen australischen Continent hinüber.
2. Die Flucht
In Lyndock Valley, nördlich von Adelaide, arbeitete ein Gang von Sträflingen in Ketten.
Rechts an der Straße, wenn man dem damals noch wenig begangenen Weg von Adelaide aus folgte, stand ein hoher Pallisadenzaun, fest eingerammt mit scharfen Spitzen und oben noch mit drohend umgeschlagenen Nägeln verwahrt, über den nur hie und da einzelne aus unbehauenen Steinen zusammengesetzte Schornsteine emporragten. Diese gehörten zu gewöhnlichen Rindenhütten, in denen die Deportirten, wenn sie ihr Tagwerk vollbracht und Abends ihr Mahl gekocht und verzehrt hatten, Nachts unter strenger Wacht gehalten wurden, bis sie die Sonne zu neuer Arbeit rief.
Es war das eine Abtheilung von Leuten, die unter verschärfter Strafe stand. Theils hatten sie sich Widersetzlichkeit, theils andere Vergehen zu Schulden kommen lassen, theils waren sie sogar entwichen und wieder eingefangen worden, und die Letzteren besonders büßten ihr Verlangen nach Freiheit durch massive Ketten, an denen sie schwere Kugeln bei jedem Schritt nachschleppen mußten.
Wüstes verwildertes Volk waren die Meisten; in Sünden und Verbrechen aufgewachsen und seit ihrer Strafzeit noch außerdem dem Abschaum der Menschheit beigesellt, in dem sie sich auch nur wohl und behaglich fühlen konnten. Jetzt freilich war der alte Trotz gebrochen und so zügelloser, gotteslästerlicher und obscöner Sprache sie sich auch untereinander bedienen mochten, sobald ihnen Einer der Wächter nahe kam, krochen sie scheu in sich zusammen, und ließen ihren Grimm höchstens an dem harten Erdboden aus, den sie mit Schaufel und Spitzhacke angreifen und ebnen mußten.
Und wahrlich sie wußten, daß sie ihren Wächtern keine Ursache zu Strafe geben durften, denn erbarmungslos wäre die Peitsche auf ihre Rücken herabgekommen, bis ihnen das blutige Fleisch in Streifen niederhing. Wenig genug Rücksicht wurde in jener Zeit schon auf die Deportirten überhaupt genommen, mit was sie sich auch im alten Vaterland vergangen haben mochten. Wehe aber den Unglücklichen, die unter verschärfter Strafe standen, denn diese waren der Willkür ihrer rohen Wächter vollständig preisgegeben und nur in höchst seltenen Fällen drang eine Klage zu höheren Beamten durch, irgend eine ungerecht vollzogene Strafe zu untersuchen.
Solche Strafgänger wurden dabei (und waren es auch eigentlich meist) als zum Tod verurtheilte und nur halb begnadigte Verbrecher betrachtet. Der Tod drohte ihnen noch aus jedem Gewehrlauf der Wachen, die sie umstellten, denn diese hatten ausgedehnte Vollmacht, bei der geringsten verdächtigen Bewegung Eines der Gefangenen, von ihren Feuerwaffen beliebigen Gebrauch zu machen.
Dabei trug fast jedes Vergehen, was sie sich jetzt wieder zu Schulden kommen ließen, verschärfte und doppelt verschärfte Strafen, und auf Widersetzlichkeit gegen die Wächter oder erneute Flucht stand der Tod.
Daß sie aber auch gar nicht an erneute Flucht denken durften, dafür sorgte schon die vortrefflich eingerichtete und bewaffnete Polizeimannschaft, die mit der blanken und scharfgeschliffenen Wehr an der Seite, die mit Ketten beladenen Verbrecher schon im Zaum halten konnten. Nachts blieb dazu der ganze, mit festen Pallisaden eingeschlossene Platz, während die einzelnen Trupps wieder ihre besonderen Wächter hatten, von Militair umstellt und Flucht war von dort mit einem Wort unmöglich.
Unter den Gefangenen befand sich Einer, der sich nicht allein durch seine reinlicher gehaltene Kleidung, sondern auch durch sein ganzes Benehmen vor den Uebrigen auszeichnete.
Es war ein muskulös gebauter kräftiger und breitschultriger Gesell, der sich aber nicht so hatte gehen lassen wie die Uebrigen, und wohl den Stempel der Sünde, doch nicht den der Gemeinheit auf seiner Stirn trug. In seinem ganzen Wesen hatte er überhaupt etwas, das für ihn interessirte, denn es schien fast, als ob er nicht in diese traurige Umgebung, in der er sich befand, gehöre. Möglich vielleicht, daß dazu gerade diese traurige Umgebung die Schuld trug, aus der er sich, so viel dies anging, zurückzog. Man sagt ja: im Lande der Blinden ist der Einäugige König, und es bedurfte hier allerdings nur einer sehr geringen Anstrengung, sich über diese Masse emporzuarbeiten.
Selbst aber durch solche geringe Anstrengung fühlte sich diese Masse beleidigt, die nun einmal Keinem von ihr gestatten wollte, daß er sich aus dem allgemeinen Schlamm erhob. John Mulligan, der durch Tolmers Fürsprache seine Strafe so hatte gemildert erhalten, daß er dieser Abtheilung nur auf ein Jahr eingereiht war, hieß deshalb auch sehr bald gar nicht anders wie »der Gentleman«, oder auch »Gentleman John«, der sich sogar den Haß einer großen Zahl der Gefangenen zuzog, weil er an einem trotz aller Gefahren verabredeten Fluchtversuch nicht Theil nehmen wollte.
Allerdings hatte er damals den Kameraden vorgestellt, daß sie auf solche Art gar nicht entkommen könnten und ihr Loos nur dadurch, ohne das Geringste zu erreichen, verschlimmern würden. Sie nannten ihn dafür einen feigen Patron, der keinen Muth mehr habe, etwas für seine Freiheit zu wagen und fanden noch in derselben Nacht, daß »Gentleman John« vollkommen Recht gehabt.
Ihr Plan wurde nämlich vereitelt ehe sie nur einmal die Ausführung ordentlich begonnen hatten. Drei fielen dabei durch die Schüsse der Wachen, zwei Andere wurden schwer verwundet und diese Beiden, mit einem sechsten, der sich betheiligte, vierzehn Tage später gehangen – als Beispiel den Uebrigen.
So verging wieder ein Monat, und John Mulligan, der nur selten mit irgend Einem seiner Kameraden Verkehr hielt, weil er keinen von ihnen kannte, arbeitete fleißiger wie je, betrug sich dabei bescheiden gegen die Wächter und war, mit einem Worte, das Muster eines Kettengefangenen, den man den Uebrigen fortwährend als Beispiel ausstellte. – Aber hätten sie nur sein Herz sehen, nur die Gedanken lesen können, die Tag und Nacht in seinem Hirne brannten, und ihn fast zur Verzweiflung trieben.
Freiheit! – Freiheit! das war das einzige Gefühl, das ihn noch am Leben hielt, das ihm Herz und Seele erfüllte, und wenn er nicht schon lange einen Versuch gemacht hatte, dies höchste Gut wieder zu erringen, trug die Schuld nur seine Vorsicht und Schlauheit, die nicht zugab, daß er sich in ein nur halbweg unsicheres Unternehmen einließ. Er wußte, welche Strafe seiner diesmal wartete, sobald es mißlang, und selbst der Gefahr durfte er sich nicht aussetzen.
Dadurch übrigens, daß er mit fast allen seinen Mitgefangenen verfeindet war, gewann er sich mehr und mehr das Vertrauen der Aufseher und es geschah jetzt schon gar nicht selten, daß John Mulligan da oder dort die Aufsicht über die Arbeit irgend einer kleinen Abtheilung der Kameraden übergeben wurde. Allerdings trug er deshalb nicht leichter an der Kette und Kugel, und war eben so wie alle Anderen von den scharfgeladenen Gewehren der Wache bedroht, aber es zeigte doch, daß die Wächter sein Bestreben sich gut zu betragen, anerkannten, während es die Mitgefangenen nur noch immer mehr von ihm entfernte.
Natürlich spotteten diese über ihn. »Gentleman John«, hieß es, »wird nächstens eine blaue Jacke mit blanken Knöpfen bekommen, und »lieb Kind« beim Lieutenant werden. Zum Teufel mit dem Schuft, und uns hat er vorgelogen, daß er auf Känguruh-Eiland der Anführer einer ganzen Bande Buschrähndscher gewesen wäre.«
John Mulligan hörte es, und achtete nicht darauf.
Nur ein Einziger von Allen schien sich mit John befreundet zu halten, und das war ein Irländer, dessen brennendrothe Haare ihm den Beinamen Rothkopf verschafft hatten. Ueberhaupt wurde fast keiner der Sträflinge von den Mitgefangenen bei seinem wirklichen Namen genannt, weil sich sonst Niemand aus den ewigen Jacks und Johns und Jims herausgefunden hätte.
Rothkopf aß mit Gentleman John aus einer Schüssel, und so häufig ihn sonst die Peitsche der Wächter, besonders seiner bösen Zunge wegen, getroffen, so war jetzt, seit er mit John Mulligan näher befreundet worden, eine auffallende Besserung bei ihm eingetreten.
Natürlich schrieben die Beamten das einzig und allein dem wohlthätigen Einfluß zu, den John auf ihn ausgeübt, und dieser stieg dadurch nur noch mehr in ihrer Achtung.
Das ging eine Weile so fort, bis der Oberwächter, unter dessen Aufsicht sie bis jetzt gestanden, abberufen wurde, irgend eine andere Stellung auszufüllen. An seiner Statt trat ein Schotte ein, der, von einem andern Gang hierher versetzt, die Ueberzeugung mitbrachte, an Kettengefangenen sei jedes Wort verschwendet, und man thue am Besten, sich, wie bei eingeschirrten Stieren, nur durch die Peitsche mit ihnen zu unterhalten.
John Mulligan oder Gentleman John, wie er jetzt allgemein hieß, arbeitete heute mit Rothkopf zusammen an einem mächtigen Stringybarkbaum, der mitten in dem ausgesteckten Weg stand, und deshalb ausgerodet werden sollte. Sechs oder acht ihrer Kameraden mühten sich ein kleines Stück weiter unten mit Brecheisen ab, einen riesigen Felsblock von der Stelle zu rücken, den sie in der halben Zeit mit Pulver hätten sprengen und aufräumen können.
Um sie her, mit geladenen Gewehren, standen die dazu bestimmten Polizeisoldaten, und der neue Oberwächter, statt des Spazierstocks eine tüchtige Knute von ungegerbtem Leder in der Hand, ging von Gruppe zu Gruppe, um die Lässigen nur durch seine Gegenwart schon zu äußerster Anstrengung anzutreiben.
In diesem Augenblick stand er bei denen, die an dem Stein wühlten, nichts destoweniger den Blick nach allen Seiten werfend.
»Du, John, ich halte es jetzt nicht länger aus. Deinem Zureden nach hab' ich mich gestellt, als ob ich unterduckte, und von Tag zu Tag hast Du mir versprochen, daß wir ausbrechen sollten. Ich habe immer noch auf Dich gewartet, nun ist's aber vorbei, denn mit dem neuen cove als Wächter und Einpeitscher will ich verdammt sein, wenn ich mich länger halten lasse. Sie sollen mich meinetwegen todtschießen oder hängen, wenn die Sache schief geht, aber für jeden gesegneten Tag todtgeschossen und gehangen zu werden, das ist mehr, als Menschennatur ertragen kann.«
»Hast Du Dich unter Deinem Fußring etwas wund gerieben, wie ich Dir's gestern Abend sagte?« frug John vorsichtig.
»Das hab ich, aber was soll das nützen?« lautete die mürrische Gegenfrage. »Zum Henker auch, wenn Du glaubst, daß sie dadurch Mitleid für Einen fühlen, so bist Du verdammt auf dem Holzweg.«
»So wie wir den Baum hier umgeworfen haben,« fuhr aber John ruhig fort, denn der Wächter wandte sich jetzt und kam auf sie zu, »so werden wir oben auf den Hügelkamm geschickt. Dort fang an zu hinken und zu winseln, und thu', als ob Du große Schmerzen hättest; das Weitere überlaß mir. Ich will schon dafür sorgen, daß Dir der Ring abgenommen wird.«
»Aber Deine Kette?« sagte Rothkopf erstaunt – »willst Du nicht mit?«
»Es ist ein Hundeleben im Busch,« knirrschte John vor sich hin, »und ich kenne es leider schon zu gut, aber – den Teufel auch – es ist doch Freiheit, und diesmal sollen sie mich nicht überlisten wie das letze Mal, wo ich ein Esel war und meine Strafe verdiente.«
»Und Du gehst also mit?«
»Mein Ring ist durchgefeilt,« sagte John rasch, »der geringste Schlag mit einem Stein darauf, und ich bin frei.«
»Aber die verfluchten Musketen.«
»Vor denen müssen wir uns schon sichern – aber jetzt still – da kommt unser Aufseher!« und mit wuchtigen Schlägen hieb er die Axt in die ziemlich weichen Wurzeln des schon fast unterminirten und vom Boden losgetrennten Gumbaums ein, daß dieser bis zum Gipfel hinauf erzitterte.
»Ihr trödelt hier auch eine Ewigkeit mit der Stange,« sagte der Aufseher, der eben zu ihnen trat. »Zwei baumstarke Kerle und einen ganzen Vormittag an einem solchen »Schößling« herum zu spielen. Ich glaube, ich habe mit meiner Lederhacke gefehlt, Euch ein wenig dabei zu helfen. Nun – wird's bald?«
»Ay, Ay, Sir,« sagte John demüthig, indem er aus Leibeskräften auf die Wurzeln einschlug. Rothkopf unterstützte ihn dabei nach Kräften, und es dauerte nicht lange, so neigte sich der Wipfel des riesigen Baumes – erst langsam, dann immer schneller, bis er zuletzt mit einem gewaltigen Schlage, seine ganzen Aeste fast dabei in Stücken schmetternd, zu Boden krachte.
»So – nun rasch das Holz aus dem Wege,« befahl der Aufseher, »dann die Zacken noch weggeschlagen; ich werde gleich zwei Andere von unten heraufschicken, die ihn ein paar Mal durchsägen. Kommt Ihr nachher Alle zusammen, so rollt ihn gleich aus der Bahn. Bis Mittag darf keine Spur mehr davon im Wege sein.«
»Ay, ay, Sir,« klang wieder die einzige Antwort der beiden Leute zurück, als Zeichen, daß der Befehl gehört sei und erfüllt werden solle, und der Wächter stand mit einem finsteren Blick, und seine Peitsche wie im Spiel auf- und abschwingend, daneben, als ob es ihm leid sei, daß er bei den beiden Gesellen auch nicht die geringste Ursache zur Strafe hatte; – aber er fand nun einmal Nichts zu strafen, und mußte sich endlich einem andern Trupp zuwenden, der vielleicht lässiger in seiner Arbeit gewesen war.
Rothkopf sah ihm, als er sie verließ, mit einem tückischen Blick nach, und zischte vor sich hin:
»Daß solch eine Spinne von einem Menschen solche Kerle, wie wir sind, prügeln darf! John, den kleinen Finger von meiner linken Hand gäb' ich noch drum, wenn ich dem Burschen vorher, eh' wir abgehen, den Schädel einschlagen dürfte.«
»Du würdest den Hals auch dazu geben müssen,« sagte John trocken.
»Bah, der ist doch verfallen, sobald wir den ersten Versuch machen und erwischt werden,« rief Rothkopf trotzig, »aber was thuts – einmal werden wir doch gehangen, früher oder später, und bis dahin wollen wir das Leben noch genießen.«
»Im Busch?« fragte John kopfschüttelnd.
»Bah, Kamerad,« lachte dieser, »Du denkst immer noch an Deine verbrannte Känguruh-Insel, wo Du Hunger und Kummer leiden mußtest, weil Ihr die Sache eben ungeschickt anfingt. Paß einmal auf, ob ich Dich nicht an eine Stelle bringe, wo wir ein fideles Leben führen können.«
»Im Busch?« wiederholte John noch einmal ungläubig.
»Ja, im Busch,« betätigte der Ire, »aber freilich dürfen wir nicht wie die Einsiedler in einer Rindenhütte hocken, und nur eben ausbrechen, wenn wir am Verhungern sind. Finden wir aber den Stamm der Schwarzen, mit dem ich befreundet bin, dann sollst Du einmal sehen, ob ich Dir etwas vorgelogen habe.«
»Und halten die sich hier in der Nähe auf?«
»Wir sind nicht zehn Miles von ihrem Jagdrevier, und nur erst einmal dort, auch außer aller Gefahr. Mach' also jetzt Anstalt, daß wir die verdammten Eisen von den Beinen bekommen, oder ich begehe einen tollen Streich allein.«
»Still, dort kommen die Säger,« flüsterte John, »nachher beim Essen verabreden wir unsern Plan.«
»Vielleicht gingen die mit?«
»Sie mögen nachkommen, wenn sie Lust haben,« sagte der vorsichtigere John, »zu Viele in einem Geheimniß, haben es noch jedes Mal verdorben, und ich darf mich diesmal nicht der Gefahr aussetzen, entdeckt oder verrathen zu werden.«
»Weil Du so lang den Frommen gespielt?« lachte Rothkopf.
»Allerdings, und die Uebrigen mich deshalb hassen. Holzköpfe, die sie sind, daß sie glauben konnten, John Mulligan wäre im Ernst ein solcher Tropf, vor einem schurkischen Wächter im Staub zu kriechen.«
»Und heute Mittag?«
»Nachher – die da dürfen nichts merken.«
Das Mittagsessen war vorüber – eine einfache aber doch reichliche und auch nahrhafte Mahlzeit für die Leute, die aus in der Asche gebackenem Waizenbrod und Hammelfleisch bestand.
Von solchem Brod oder Damper hatte sich John auch in den letzten Wochen aus abgesparten kleinen Stücken einen Vorrath gebildet, an dem er immer ein paar Tage zehren mochte. Bei seiner Mahlzeit gelang es ihm heute, diese Hülfsration mit Rothkopf zu theilen, daß sie es Beide leichter in ihrer Jacke verbergen konnten.
Während dem Essen, das innerhalb der Pallisaden verzehrt wurde, nahmen die Soldaten allerdings auch ihr Mittagsmahl ein, aber eine Flucht war in der Zeit doch unmöglich, da der einzige Ausgang mit doppelten Wachen besetzt stand. Irgend Einer, der außerdem am hellen Tage hätte versuchen wollen, die Pallisaden zu überklettern, wäre augenblicklich herunter geschossen, oder doch dabei ertappt, und wenigstens halb todt gepeitscht worden. John's Plan lag auch nicht darin, ein solches Wagstück in einer Weise zu unternehmen, wie sie von den Beamten schon vorbedacht und durch Maßregeln verhindert war. Er wußte recht gut, daß ihre Flucht nur durch Ueberraschung gelingen konnte.
Nach dem Essen bildete sich wieder die Colonne, in der sie zu ihrer Arbeit, von Soldaten umgeben, hinaus marschirten. Rothkopf hinkte dabei bedeutend, und stützte sich auf Johns Arm, der ihn führte.
Auch John schien nicht ganz fest auf den Füßen, und hatte sich in das linke Eisen ein paar baumwollene Lappen hineingesteckt, von denen der eine Blut zeigte. Rothkopf hatte sein Bein fest umwunden, und arbeitete sich nur mit großer Schwierigkeit vorwärts, um in der Reihe Schritt zu halten.
Sie wurden, wie es John vorher gewußt, heute Nachmittag auf den Kamm des Hügelrückens geschickt, um hier passende Steine für die Straße loszubrechen. Der Hügelkamm dachte an der Seite, an der die Straße lag, ziemlich steil ab, und die oben gelösten Steine rollten von selber zu Thal. An der andern Seite zog sich ein weniger schräger Abhang in den Busch hinein, der oben mit einzelnen Bäumen, tiefer unten aber mit dichtem Gestrüpp bewachsen war. Auf dem Kamm selber aber, mitten zwischen den Arbeitern, standen die Wachen mit ihren geladenen Gewehren, und wenn die Sträflinge, mit ihren Ketten überhaupt, hätten an Flucht denken können, würden sie die Kugeln der Soldaten bald eingeholt und unschädlich gemacht haben.
»Was zum Teufel hast Du nun wieder?« sagte der Oberaufseher, als er dort oben die verschiedenen Arbeitsplätze angewiesen hatte und zu Rothkopf trat – »was ist mit Deinem Bein?«
»Ich kann nicht mehr, Sir,« stöhnte der Mann – »bis hier herauf hab' ich mich geschleppt, aber jetzt bin ich's nicht mehr im Stande. Das Bein ist entzündet und geschwollen; wie mit Messern sticht's mich bis hier herauf. Wenn Sie mir die Kette nur wollten an das andere legen lassen, vielleicht könnt' ich dann doch noch weiter arbeiten, sonst bin ich nicht einmal im Stande, wieder allein hinunter zu gehen.«
»Das weiß der Henker, was mit Euch Schuften immer los ist,« brummte der Oberaufseher verdrüßlich vor sich hin – »konntest wohl nicht das Maul aufthun, wie wir unten waren, daß Dir der Wundarzt den Schaden nachsah, heh?«
»S'ist weiter nichts, Euer Gnaden, als die Kette drückt ihn auf eine wunde Stelle,« sagte John ehrerbietig – »wenn Sie's erlaubten, wollt' ich ihn bald wieder auf den Füßen haben.«
»Und wir?«
»Machen ihm blos die Kette, wie er's verlangt, an's andere Bein, das hilft jedesmal – wenigstens bis das wieder heil ist. Es sind ja Soldaten genug hier, die es ihm umschließen könnten.«
»Zum Henker auch,« rief der Oberaufseher – »ich glaube, der Bursche drückt sich nur von der Arbeit und spielt den Lahmen. Auf mein Herz, das hilft Dir bei mir Nichts,« und mit den Worten zog er ihm ein paar tüchtige Peitschenhiebe über. Rothkopf krümmte sich unter den Schlägen, und suchte dem Befehl nachzukommen, indem er sich aufrichten wollte, aber es ging nicht. Er vermochte nicht auf den Beinen zu stehen, brach wieder zusammen, und fiel gegen einen Baum, an dem er sich die Stirn blutig riß.
»Wenn Euer Gnaden befehlen,« sagte John demüthig, »so trag ich ihn lieber den Hang hinunter. Mein Bein ist auch wund, aber Einer der Herren Soldaten hilft mir vielleicht. Der arme Teufel hält's so nicht aus.«
»Ich will selber sehen, was an der Wunde ist,« sagte der Oberaufseher trotzig, obgleich ihn der letzte Fall des Gefangenen stutzig gemacht hatte. »Man darf Euch Schuften ja gar nicht mehr glauben, denn Ihr betrügt und hintergeht uns auf jede Weise. Da leg' Dich hin, Rother! – hast Du's gehört, oder soll ich Dich beweglich machen? –«
Rothkopf kroch zu der ihm bezeichneten Stelle, und der Oberaufseher nahm seinen Schlüssel heraus, winkte zweien der Soldaten, die näher heran kamen und neben ihnen stehen blieben, und bog sich dann nieder, den angeblichen Schaden des Gefangenen selber zu untersuchen.
John war ungemein geschäftig, ihn darin zu unterstützen; er schob selber einen Steinblock zurecht, auf dem sich der Herr Oberaufseher bequem niederlassen konnte. Nachdem er Rothkopf dann etwas weiter vor und sein rechtes Bein dabei in die Höhe gehoben hatte, daß der Beamte es bequem erreichen konnte, stemmte er das eigene darunter und stützte sich selber mit dem rechten Arm auf den Boden.
Der Beamte öffnete vorsichtig das Schloß der Kette, und der Gefangene stöhnte und winselte dazu; während aber die Kette oben klirrte, preßte unten John Mulligan in wahrer Todesangst das breite Eisen, das seinen eigenen Knöchel fest und umspannt hielt. Heimlich in der Nacht, seit langen, langen Monden, hatte er mit einem Stückchen Feile, das er sich zu verschaffen gewußt, an diesem Ring gefeilt – oft nur ein oder zwei Striche die ganze Nacht, weil er nicht wagen durfte, die Wächter durch das Geräusch aufmerksam zu machen. Die ausgefeilte Rinne brachte er zuletzt so dünn, als er glaubte, daß sie dem geringsten Druck nachgeben müsse; ja er fürchtete mehr daran zu arbeiten, weil ihm die Kette sonst am Ende einmal vor dem richtigen Moment vom Fuß abfallen konnte. Jetzt nun, im entscheidenden Augenblick, während er den Kameraden mit dem einen Arm angeblich unterstützte, preßte seine andere Hand unten gegen das fast vollkommen durchgefeilte Eisen, daß ihm das Blut unter den Nägeln vorzuspritzen drohte – aber vergebens.
»Na – jetzt pass' auf und halt' ihn fest,« sagte der Beamte, während er das Schloß aufbog und das Eisen von dem Bein des Gefangenen herunter fallen ließ – »wo ist denn nun die schreckliche Wunde? – Aber halt, Kamerad, erst wollen wir Dir den hübschen Ring doch lieber um den andern Knöchel legen, nachher können wir uns den hier mit Muße besehen.«
»Hat Nichts zu sagen, Sir,« stöhnte John – »der läuft nicht davon.«
»Wenn Du um Deine Meinung befragt wirst, magst Du antworten. – Laß das Bein einmal los und heb das andere herauf. Was zum Teufel? – wie siehst Du denn aus? Du hast ja einen Kopf wie ein Krebs so roth – herauf mit dem Bein.«
»Ay, ay, Sir!« rief John, und die Verzweiflung gab ihm Riesenkräfte. – Noch ein Moment, und ihr ganzer Plan war, vielleicht auf immer, vereitelt – doch wie er noch einmal seine Finger über den eisernen Ring preßte, fühlte er, daß sich dieser seinem Griffe bog.
»Nun, wird's bald?« rief der Aufseher.
»Einen Moment, Sir – ich bin mit meinen Ketten hier unten hängen geblieben – mach' es gleich wieder los.«
Er ließ das angeblich wunde Bein Rothkopfs herunter, und während er jetzt auch mit der andern Hand nach seiner Kette faßte, brach der breite Ring unter seinem Griff wie Glas entzwei. Im Nu hatte er ihn gepallt und ausgebogen, wenn auch die scharfe Kante ihm die Finger blutig riß, und der Aufseher, dem diese plötzliche Bewegung nicht entgehen konnte, rief erstaunt aus:
»Alle Wetter, was machst denn Du da, mein Junge.«
»Ich kurire mein Bein, Sir!« lachte in diesem Augenblick John, während Rothkopf mit Blitzesschnelle in die Höhe fuhr.
»Ist es Zeit?« rief dieser.
»Fass' ihn,« lautete die einzige Antwort, und »Verrath,« schrie auch schon in dem Moment der erschreckte Aufseher, »Hülfe! Hülfe!« Und wohl hatte er Grund dazu, denn vier stärkere Arme gab es nicht in den Colonien, wie die waren, die ihn jetzt gefaßt und im Nu auf ihren Rücken geworfen hatten. Rothkopf packte ihn um den Leib, John um die Knie, und während sie, nach früherer Unterredung, den leichten Burschen als Schutz gegen sonst etwa ihnen nachgeschickte Kugeln auf ihren Nacken hoben, sprangen sie dabei in wilden Sätzen den Hang hinab und direkt auf das nächste Dickicht zu.
»Hülfe! Hülfe!« schrie des Aufsehers Stimme, aber die Soldaten durften ihren Posten nicht verlassen, weil sie ja nie wissen konnten, ob das nicht vielleicht dem gemeinschaftlichen Plan der Gefangenen galt, eine allseitige Flucht zu versuchen. Nur ihre Gewehre spannten sie und hoben sie in alter Gewohnheit an den Backen – aber schießen durften sie eben so wenig, wenigstens nach diesen Flüchtigen. Die Kugeln mußten ja fast, wo sie auch einschlugen, den Körper ihres eigenen Befehlshabers treffen.
»Hülfe – Hülfe!« tönte dessen Ruf schon tief von unten herauf, und seine Rechte hatte sich indeß vergebens bemüht, in eine seiner Brusttaschen zu gelangen und die dort steckenden Pistolen herauszubringen. Rothkopf aber litt das nicht; wie in einem Schraubstock schnürte er ihm die Arme zusammen, und als ihm die Büsche jetzt noch ohnedies in's Gesicht schlugen, war er nicht mehr im Stande, sich zur Wehr zu setzen.
Im nächsten Moment hatte ihn aber schon der niederhängende Ast eines alten Gumbaums gefaßt und riß ihn gewaltsam aus den Armen der beiden Entflohenen, während ihm der Sturz einen lauten Schrei auspreßte.
»Hier mag er bleiben,« lachte Rothkopf, »denn durch das Dickicht können wir ihn doch nicht weiter schleppen, aber seine Pistolen wollen wir uns noch ausbitten.«
»Und das Pulverhorn mit den Kugeln nicht zu vergessen,« rief John.
»Nur rasch, denn die Teufel sind uns schon auf den Fersen.«
»In dem Dickicht vergebens,« lachte John, »her mit den Waffen, Canaille.«
»Gnade, Gnade!« flehte der Beamte auf den Knieen und in Todesangst.
»Das ist die Gnade, die Du verdienst,« rief Rothkopf, und in voller Kraft und Wuth, mit der geballten Faust zum Stoß ausholend, warf er den Unglücklichen leblos in das dürre Laub zurück. Im Nu hatten sie ihm dabei den Rock ausgezogen, die Uhr aus der Tasche gerissen, und flohen nun, als sie die Verfolger schon von oben herunter durch die Sträucher brechen hörten, gerade nach unten in den dicksten Busch hinein.
Wohl suchte eine rasch herbeigezogene Hülfstruppe noch an diesem Abend und die nächsten Tage den Wald nach allen Richtungen hin ab. Große Belohnungen wurden dabei von der Regierung ausgesetzt, und Polizeisoldaten wie Militair war Monate lang beschäftigt, diese frechen Flüchtlinge wieder einzubringen – galt es ja doch auch, an ihnen ein Beispiel zu statuiren – doch vergebens. Gentleman John wie Rothkopf waren und blieben verschwunden, und riefen sich nur dann erst wieder in die Erinnerung des Publikums zurück, als ein paar hinter einander verübte freche und kühne Raubanfälle ihre Namen von Neuem auf die Lippen der Buschbewohner und Reisenden brachten.