Kitabı oku: «Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band»
Capitel 1
Die Mündung des Mississippi
Die Brise wurde stärker, und die Passagiere hatten bald alles Andere in dem einen Gefühl der Landung vergessen. Das niedere Ufer, an dem sich freilich noch immer keine Berge entdecken ließen, so viel auch die Leute mit bewaffneten und unbewaffneten Augen danach spähten, trat dabei mehr und mehr heraus. Dort ließ sich schon die Einfahrt selbst unterscheiden, wo der gewaltige Mississippi in den Golf von Mexico mündet, und »süßes Wasser« kam ihnen von da wieder aus dem Land ihrer Sehnsucht entgegen – ein Fluß war es, der sie bald mit beiden Armen liebend umfangen sollte, und die See, die weite öde See lag hinter ihnen, wie ein schwerer Traum.
Selbst die Cajütenpassagiere gingen jetzt ernstlich daran ihre Sachen zu packen und sich auf eine baldige Landung vorzubereiten, und die Matrosen waren unter der Leitung des Untersteuermanns emsig damit beschäftigt die beiden, auf der Back liegenden Anker »klar« zu machen, und die große mächtige Kette gliederweis heraufzuheben aus ihrem dunklen Bett, und an Deck auszulegen.
Die meisten der Zwischendeckspassagiere glänzten heute in ihrem Sonntagsstaat, und selbst Steinert und Mehlmeier waren wie buntfarbige Tagfalter aus ihrer, allerdings etwas unscheinbaren und schmutzigen Verpuppung hervorgegangen. Steinert besonders war das Erstaunen der übrigen Passagiere, obgleich sie die Verwandlung hatten Stück für Stück vor sich gehen sehn. Er trug vor allen Dingen ein schneeweißes geplättetes Hemd, das er sich für diesen Moment besonders aufgespart, dann eben solche Hosen mit Strippen, spiegelblank gewichste Stiefeln, eine sehr buntfarbige helle Piquéweste mit rothen Glasknöpfen, einen blauen Frack mit blanken Metallknöpfen, eine sehr dicke blau- und rothseidene Cravatte mit entsprechenden Vatermördern, und einen höchst modernen, sorgfältig gebürsteten Seidenhut auf dem Kopf, den er nur manchmal abnahm, sich in dem darin befindlichen kleinen Spiegel anzusehn, dann die steinbesetzten Hemdknöpfchen ein wenig mehr zurecht rückte, die goldene Uhrkette mit dem großen Carniol als letzte Vollkommenheit etwas weiter herauszog, und schließlich vollständig mit sich zufrieden war.
Die Frauen und Mädchen kicherten mit einander – das Begräbniß war lange vergessen – und manche der Männer amüsirten sich gerade so über ihn, wie sie sich vorher über den improvisirten Handwerksburschen gefreut hatten. Steinert aber schien mit dem blauen Frack auch einen vollkommen neuen Menschen angezogen, und seine frühere Gesellschaft von sich geschüttelt zu haben, denn er sprach, Mehlmeier ausgenommen, mit Niemandem mehr, und ging nur, den Blick oft und ungeduldig nach dem Quarterdeck hinüber werfend, als ob er dort Jemanden suche oder erwarte, mit raschen Schritten den Gangweg zu luvwärts auf und ab. Der Einzige der ihn dabei ärgerte war Maulbeere.
»A la bonheur Herr Steinert« sagte dieser, als er ihm zuerst in solchem Glanz und Schmuck begegnete – »sehre schön – ganz außer ordentlich sehre schön.«
»Lieber Maulbeere lassen Sie mich zufrieden, ich habe Nichts mit Ihnen zu thun« sagte Steinert, und drehte sich von ihm ab.
»Ne wahrhaftig Herr Steinert« sagte aber Maulbeere in höchstem Ernst, und mit beruhigender Handbewegung, »das thut kranken Augen ordentlich wohl Sie nur anzuschauen – und das feine Tuch zum Frack – wie Sammet.«
»Rühren Sie mich nicht an, wenn ich bitten darf« rief aber jetzt der Weinreisende, ernstlich böse gemacht, als der Scheerenschleifer, der heute womöglich noch struppiger und ungewaschener aussah wie je, mit dem Zeige- und dritten Finger der rechten Hand vorsichtig und bewundernd an dem linken Ärmel des ihn eben wieder Passirenden niederstrich.
»Bitte tausendmal um Entschuldigung« sagte Maulbeere aber in spöttischer Devotion, rasch und erschreckt den Arm zurückziehend – »hatte keine Idee daß es abfärbte. – Und die schöne Uhrkette – ist doch vortrefflich gearbeitet, sieht genau so aus als ob es wirkliches Gold wäre – ja das machen sie jetzt famos.«
Steinert warf den Kopf auf die Seite und ging, dem fatalen Menschen den Platz räumend, auf den anderen Gangweg hinüber, seinen Spatziergang fortzusetzen; Maulbeere aber, ohne sich dadurch irre machen zu lassen, kroch und kletterte auf Händen und Füßen, wie ein großer ungeschlachter Orang Utang dem er in diesem Augenblick merkwürdig ähnlich sah, ebenfalls auf die andere Seite hinüber, glitt dort auf eines der Wasserfässer, wo die Leiche noch vor kaum einer Stunde gelegen hatte und fuhr, als Steinert jetzt wieder an ihm vorüber mußte, ganz unbefangen in seinen drüben begonnenen Bemerkungen fort.
»Strupfen sind freilich unbequem unter den Hosen an Bord – platzen leicht wenn man sich bückt, aber hübsch sehn die Beine damit aus – schade daß Sie etwas eingebogene Knie haben.«
Steinert mußte seinen Spatziergang aufgeben; denn von den übrigen Passagieren sammelten sich schon Manche, die schadenfroh die Bemerkungen des alten Maulbeere mit anhörten, und auch laut darüber lachten.
Auf dem Quarterdeck ging aber der junge Henkel, seine graue Reisemütze fest in die Stirn gezogen, den Rock bis oben hin zugeknöpft, und die rechte Hand vorn in der Brust, die linke auf dem Rücken liegend, allein und mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt auf und ab, und Steinert, der auf ihn gewartet zu haben schien, erstieg mit raschen Schritten den ihm verbotenen Platz.
Gerade in dem Augenblick kam der Capitain von unten aus der Cajüte, sah den Zwischendeckspassagier auf dem geheiligten Boden der Cajüte, und frug ziemlich kurz angebunden den sich zierlich gegen ihn Verbeugenden, ohne den Gruß auch nur mit einem Blick zu erwiedern:
»Wen suchen Sie?«
»Ich habe mit dem Herrn dort etwas von Wichtigkeit zu reden, Herr Capitain« sagte Steinert, den seine gewohnte Zuversichtlichkeit, dem stets ernsten und strengen Capitain gegenüber doch in etwas verließ, noch dazu da er wußte, daß er sich auf verbotenem Grund befand, ungemein artig und zuvorkommend.
»Mit Herrn Henkel?«
»Ja wohl Herr Capitain.«
Henkel hob, als er seinen Namen hörte, rasch den Kopf und fixirte den in der neuen Kleidung nicht gleich Erkannten scharf und mißtrauisch. Der Capitain gab übrigens dem gar so stattlich angezogenen Zwischendeckspassagier, wenn auch nicht gerade mit eben freundlichem Gesichte Raum, und dieser kam jetzt, den Hut in der Hand, auf Henkel zu und sagte verbindlich:
»Herr Henkel, ich habe schon lange nach dem Vergnügen getrachtet Ihre werthe persönliche Bekanntschaft machen zu dürfen – Convenienzen die uns bis jetzt getrennt haben, wissen Sie – hatte auch keine Ahnung dabei daß die Schiffsordnung so streng sei – »D'rum prüfe wer sich ewig bindet« – würde sonst jedenfalls selber Cajütspassage genommen haben. Doch das ist jetzt zu spät, und da wir nun dem Lande der Gleichheit und allgemeinen Freiheit so nahe sind, ja uns eigentlich nach völkerrechtlichen Grundsätzen auf deren Gebiet quasi Ankergrund befinden, habe ich mir die Privatfreiheit genommen – wenn ich Sie nicht störe, heißt das – Ihre Zeit, wenn auch nur für wenige Minuten zu beanspruchen – die Zeit ist kurz die Reu ist lang.«
»Womit kann ich Ihnen dienen?« sagte Henkel mit einer leisen wie zustimmenden Verbeugung – »Sie sehen daß ich jetzt nicht beschäftigt bin – darf ich Ihnen einen Sitz anbieten?«
»Bitte« sagte Steinert, und ließ sich ohne weiteres auf der nächsten Bank nieder, während Henkel vor ihm, an die eiserne Railing gelehnt, stehen blieb. »Was mich hierher treibt zu Ihnen?« fuhr Steinert endlich fort, nachdem er den ungewohnten Hut bald aus der einen in die andere Hand genommen, und immer vergebens gesucht hatte ihn in die richtige Lage zu bringen, bis er ihn endlich neben sich auf die Bank stellte – »ist der Wunsch etwas Gediegenes, Wahres über das Land zu hören, dem wir uns jetzt, von den Flügeln des Windes getragen, nähern; »Eilende Wolken« wissen Sie wohl, »Segler der Lüfte«. Sie kennen es von eigener Anschauung, Sie vor Allen scheinen mir auch, Ihrem ganzen Äußern nach der Mann zu sein, der im Stande ist ein richtiges und allgemeines Urtheil zu fällen, und um das komme ich, Sie zu ersuchen.«
»Und in welchem Fach?« frug Henkel, einen leichten Seufzer dabei unterdrückend, aber sich doch mit einer gewissen Geduld der langweiligen Einleitung fügend; von Hopfgarten war indessen ebenfalls an Deck gekommen, und ging hinter ihnen langsam auf und ab – »für welchen Geschäftszweig wünschen Sie – «
»Erlauben Sie mir« fiel ihm aber Steinert rasch in's Wort, »daß ich Ihnen vorher noch eine kleine Bemerkung vorausschicke, eine Bemerkung die Sie überzeugen mag, wie ich nicht eben in das Blaue hinein einen Plan zur Auswanderung gefaßt, sondern mich ziemlich genau nach Allem erkundigt, und besonders Alles gelesen habe, was je darüber geschrieben worden. Amerika ist ein Land wo Einem die gebratenen Tauben nicht in's Maul fliegen, so viel steht fest, das ist Thatsache, und Sie mögen deshalb versichert sein, daß ich nicht mit extravaganten Erwartungen, unmöglich zu erfüllenden Hoffnungen etc. hinübergehe – ankomme, könnte man jetzt fast sagen. Meine früheren Schicksale können Ihnen gleichgültig sein – »weit in nebelgrauer Ferne, liegt mir das verlass'ne Glück« – es ist vorbei, und ich muß Ihnen jetzt nur vor allen Dingen sagen daß ich Kaufmann bin, und es für vortheilhaft halten würde eine kurze Zeit erst, ehe ich mich selbstständig etablirte, in irgend eine Condition zu treten, sei es auch nur auf zwei oder drei Monat, die Verhältnisse dort vor allen Dingen durch Augenschein genau kennen zu lernen.«
»Conditionen« begann Henkel, als ihm der Weinreisende wieder in die Rede fiel:
»Sind vielleicht nicht so ganz leicht gleich zu bekommen, ja das glaub ich; auch das habe ich schon mehrfach gelesen; aber wissen Sie, ich bin auch zugleich Geschäftsmann, und Ihnen, Herr Henkel, brauche ich nicht zu sagen daß Amerika gerade das Land der wirklichen Geschäftsleute ist – Sie wissen das ja am besten aus eigener Erfahrung. Übrigens stehe ich auch noch mit dem Haus für das ich in Deutschland gereist bin: Schwartz und Pelzer, eines der bedeutendsten Häuser in Frankfurt in selbst intimer Verbindung. Der Mensch muß so viel Eisen als möglich im Feuer haben, wenn er in dieser Welt reussiren will, und ich habe es für zweckmäßig gehalten keine Brücke hinter mir abzubrechen, so lange ich sie mit Bequemlichkeit gangbar halten konnte. Sie werden mir darin Recht geben Herr Henkel. Auch darüber sind Sie vielleicht im Stande mir Auskunft zu ertheilen, verehrter Herr, ob und wiefern ich auf einen Absatz in diesem Geschäft, wenn alle übrigen Stricke rissen, und günstigen Erfolg wohl rechnen könnte.«
»Um deutsche Weine in Amerika zu verkaufen?« frug Henkel.
»Allerdings – freilich kann ich mir denken« fuhr Steinert rasch fort, ohne dem Gefragten Zeit zu einer direkten Antwort zu geben, »daß der amerikanische Markt zu Zeiten mit solchen Vorräthen überfüllt sein mag, denn es werden enorme Massen von Wein auch wohl von anderen Ländern hinübergeschickt, gute Waare hält aber doch, wie ich Ihnen nicht zu sagen brauche, ihren Werth, und wenn die Leute erst einmal merken daß sie prompt und reell bedient werden, dann sind sie gar nicht mehr wegzutreiben aus der Kundschaft; ich habe darüber unendlich viel Erfahrungen gesammelt, in meinem Leben, und Sie sind darin gewiß ganz meiner Meinung. Übrigens habe ich einige vortreffliche Empfehlungen, an sehr bedeutende Häuser in New-Orleans; glauben Sie nicht daß die mit etwas nützen können? – Ich baue nicht etwa zu viel, oder gar einzig und allein darauf,« fuhr er dabei rasch fort, als ob er fürchte daß ihm Herr Henkel die Hoffnung über den Haufen werfen könne, und ehe dieser auch nur im Stande war eine Sylbe darauf zu erwiedern – »selbst ist der Mann und die Empfehlung die man im eigenen Kopfe trägt ist immer die Beste, und man kann sich am Festesten auf sie verlassen, aber jedenfalls sind es doch immer Einführungen in gute Häuser – so zu sagen gestempelte Visitenkarten. Ein Freund von mir hat zum Beispiel eine brillante Parthie, nur durch solch einen einfachen Empfehlungsbrief gemacht, er mußte zwar seine Braut – seine jetzige Frau – entführen und die Eltern waren außer sich darüber – haben die Tochter auch enterbt, aber was wollen Eltern in einem solchen Fall machen, wenn der Priester erst einmal seinen Segen darüber gesprochen hat – dann ist die Geschichte aus, und das Klügste was sie thun können ist, daß sie ebenso thun als ob sie selber damit zufrieden wären. – O zarte Sehnsucht süßes Hoffen; der ersten Liebe goldne Zeit – «
»Aber Sie wünschten, soviel ich verstanden habe, irgend etwas Specielles über Amerika zu erfahren« sagte Henkel, dem das Gespräch mit dem Mann anfing unbequem zu werden.
»Allerdings, mein verehrter Herr Henkel« sagte Steinert, einen flüchtigen Blick in den Hut werfend, ob seine Frisur auch noch nicht durch den Wind gelitten habe – »ich möchte ungemein gern einen Blick in das Verhältniß thun, in dem in Amerika der Commis z. B. zu seinem Principal, und die Geschäftswelt im Allgemeinen zu der politischen Welt, von einem rein menschlichen Standpunkte aus genommen, steht. – Ich muß Ihnen dabei voraus bemerken« setzte er wieder rasch hinzu, als er sah daß Henkel etwas darauf antworten wollte, »daß ich schon von einem dort lebenden Freund einige sehr werthvolle Briefe über Amerika besitze, in denen er mir das dortige Leben flüchtig – mehr allerdings in Anekdoten die in unser Fach schlagen – schildert. Es ist aber Nichts gefährlicher als sich auf einseitige Urtheile, die doch immer hie und da durch ein gewisses Verhältniß bestimmt sein können, zu verlassen, und ich habe mir deshalb besonders die Freiheit genommen Sie aufzusuchen. Glauben Sie übrigens nicht« fuhr er ohne weiteres fort, »daß ich, wie viele meiner Landsleute, den höchsten Werth gerade in jene so oft herausgehobene Gleichheit der Amerikanischen Bürger setze – ich weiß recht gut daß ein allgemeiner Leiter des Geschäftes nicht allein unbedingt nöthig, sondern auch für die Engagirten höchst angenehm und bequem ist; der vernünftige Mann fügt sich dabei leicht in das, was ihm selber als nothwendig erscheint, aber gerade diese Gleichberechtigung des einen Standes selbst der höchsten Aristokratie gegenüber, hat doch auch wieder, wie sich nicht leugnen läßt, etwas sehr Angenehmes und Verlockendes, darf aber natürlich, wie Sie gewiß auch der Meinung sind, unter keinen Umständen gemisbraucht werden.«
»Allerdings« sagte Henkel, der es jetzt aufgegeben hatte irgend etwas Selbständiges zu äußern, und den Mann eben ausreden ließ.
»Das steht also auch fest« sagte Steinert, mit einer verbindlichen Verbeugung für die Anerkennung, »daß eben unser Stand, der uns die freie Bewegung nach allen Seiten läßt, einer der angenehmsten im ganzen weiten Reiche sein müßte, und man, wenn man nicht gerade mit zu großen Erwartungen hinüber geht, ja eigentlich eher auf einzelne kleine Enttäuschungen gefaßt ist, eines ziemlich sicheren Erfolges, natürlich den einzelnen Fähigkeiten entsprechend, auch gewiß sein könne, nicht wahr? – Ich versichere Sie, Herr Henkel, daß es mir eine große Beruhigung gewährt, diese Ansicht auch von Ihnen, der das Land doch durch und durch kennt, vertreten zu sehn, und ich bin Ihnen in der That ungemein verpflichtet, verehrter Herr, für Ihre gütige Bereitwilligkeit, mir darin Auskunft zu geben.«
»Wenn Ihnen das Wenige genügt« sagte Henkel, der trotz seiner sonst ernsten Stimmung doch ein Lächeln nicht verbergen konnte, indem er sich von der Railing, an der er gelehnt, aufrichtete.
»Oh bitte« rief aber Steinert, »guter Rath kommt oft vor guter That, und wer nur ein wenig Auffassungsgabe hat, für den ist ein Wink soviel, wie eine ganze Predigt für einen minder Begabten. Entschuldigen Sie nur daß ich Sie vielleicht indeß von einer angenehmeren Beschäftigung abgehalten habe.«
Er war indessen ebenfalls aufgestanden und, seinen Hut in der Hand, im Begriff das Quarterdeck wieder zu verlassen.
»Ganz und gar nicht« sagte Henkel, froh so billigen Kaufs davongekommen zu sein, setzte aber mit leiser Ironie im Ton, die jedoch an Steinert gänzlich verloren ging, hinzu – »und wenn Sie wieder eine Auskunft wünschen sollten, die ich im Stande wäre Ihnen zu geben, so stehe ich mit Vergnügen zu Diensten.«
»Zu gütig – zu gütig in der That« sagte der Weinreisende, seinen Hut in der Hand herumdrehend, »aber – aber eine Frage möchte ich mir doch noch, und zwar mehr vom particularistischen Standpunkte aus erlauben. Sie sind in New-Orleans ansässig, mein verehrter Herr Henkel?«
»Allerdings.«
»Werden sich dort etabliren?«
» – Ja.«
»Dürfte ich mir in dem Fall erlauben« sagte Herr Steinert, indem er seinen Hut unter den linken Arm drückte und seine Brieftasche aus der linken Brusttasche nahm, »Ihnen unser Haus, in allen Arten von feinen und leichten Rheinweinen, Rheinischen Champagnern und Pfälzer Weinen zu empfehlen – hier die Adresse mit Preiscourant und der Versicherung billiger, rascher und prompter Bedienung.«
»Aber ich weiß nicht ob ich – «
»Bitte« unterbrach ihn Steinert rasch, »ist auch für den Augenblick gar nicht nöthig – für später vielleicht – ist auch nicht etwa des Nutzens wegen, verehrter Herr, nur wirklich der Annehmlichkeit wegen, mit Ihnen in eine angenehme Geschäftsverbindung zu treten. Ich bin auch dabei so von der Solidität unseres Hauses überzeugt, daß ich in diesem Augenblick wirklich nicht weiß Ihnen meine Dankbarkeit auf eine bessere und würdigere Weise dazuthun. 'Werde mir dann schon die Freude machen Sie in New-Orleans wieder aufzusuchen, wozu ich Sie noch ersuchen möchte, mir gefälligst Ihre dortige Adresse zukommen zu lassen.«
»Meine Adresse?« sagte Henkel, den Mann indessen einige Secunden scharf fixirend – »schön – ich werde Ihnen meine Adresse geben. Sie ist für die ersten Tage im St. Charles Hotel – sollte ich da ausgegangen sein, bin ich bei diesem Herrn« – er nahm zugleich eine Karte aus seiner eigenen Brieftasche – »zu erfragen. Es ist nicht unmöglich daß wir ein Geschäft zusammen machen.«
»Sie haben mich zu doppeltem Danke verpflichtet« sagte Steinert, »nun erlauben Sie aber daß ich mich entferne« setzte er dann mit etwas leiserer Stimme und einem Seitenblick auf den, immer noch unfern davon stehenden Capitain hinzu, »denn der alte Seearistokrat dort wird schon ungeduldig über mein langes Hierobensein – eh bien, wir kommen bald an einen Ort, wo das ganze Land ein einziges Quarterdeck ist, und der Unterschied der Stände fällt, bis dahin, mein bester Herr Henkel, habe ich die Ehre mich Ihnen gehorsamst zu empfehlen und zeichne mich indessen als Ihr ergebenster Adalbert Steinert.«
Mit einer halbrunden Verbeugung dabei, die Herrn Henkel in der Mitte, mit Herrn von Hopfgarten und den Capitain an den Flanken zugleich einschloß, verließ er das Quarterdeck und stieg wieder in sein Territorium hinab, wo er aber noch nicht drei Schritte gethan, als er schon wieder von Maulbeere, der ihm hier jedenfalls aufgelauert haben mußte, begrüßt wurde.
»Nun, Herr Steinert, schon Geschäfte gemacht auf Amerikanischem Grund und Boden – das ist recht, die stolzen Burschen, die sich mit uns Zwischendeckspassagieren nicht abgeben wollten, müssen mit saueren Weinen angeschmiert werden; darin liegt Charakter.«
»Herr Maulbeere, ich verbitte mir alle Anzüglichkeiten.«
»Ne wahrhaftig« sagte aber der unverwüstliche Scheerenschleifer, »das geschieht ihnen ganz recht, und ich wünsche den Hochnasen nichts Besseres, als daß sie Ihnen in die Klauen fallen.«
Steinert setzte seinen Hut auf, steckte die rechte Hand vorn in die Brust, und ging, einen verächtlichen Blick auf den Scheerenschleifer schleudernd, nach vorn.
»Nu Gott sei Dank« sagte der Capitain, als der Zwischendeckspassagier das Quarterdeck verlassen hatte, zu Henkel tretend, »der hatte aber ein Maulwerk am Kopf; das ging ja wie geschmiert. Ich glaube der könnte Einen in einem halben Tage todt reden.«
»Die Aufschlüsse die Sie ihm ertheilten, waren in der That werthvoll« lachte aber auch von Hopfgarten, zu den Beiden tretend – »es wunderte mich nur daß Sie ihm Ihre Karte gaben.«
»Um ihn los zu werden« sagte Henkel – »übrigens« setzte er mit einem leichten Lächeln hinzu, »war es nicht meine Karte, sondern eine fremde die ich zufälliger Weise bei mir hatte – er wird mich in New-Orleans nicht geniren.«
»Hahahaha, das ist prächtig« lachte von Hopfgarten, »das ist eine famose Ausflucht; der wird schön schimpfen.«
»Da kommt unser Lootse!« rief in diesem Augenblick der Capitain, der das Glas genommen und ein paar Secunden damit nach dem Land hinübergeschaut hatte, das sich noch immer vor ihnen hinzog und keinen Hügel, kein Landhaus verrathen wollte. Flach und öde zog sich der schmale Streifen am Horizont hin, und nur nach der Richtung, nach welcher der Capitain deutete, ließ sich eine kleine Wolke leichten Qualms erkennen, die zuerst wie über dem flachen Lande lag, und dann, als der Blick der Passagiere fester darauf haftete, sich zu bewegen, und näher zu kommen schien.
Herr von Hopfgarten war indessen rasch in die Cajüte hinab gestiegen, den Damen zu melden daß das Lootsenschiff, wozu in den Mississippimündungen meist Schleppdampfer gebraucht werden, in Sicht käme, und die Zwischendeckspassagiere, die aus dem Leben auf dem Quarterdeck wohl gemerkt hatten daß irgend etwas Außerordentliches vorgehe – wenn sie auch noch nicht herausbekommen konnten was, kletterten wieder in die Wanten und auf alle einigermaßen hohe Stellen an Bord, nach der Richtung hin, wohin die Fernröhre des Capitains und der Cajütspassagiere gerichtet waren, zu entdecken was etwa in Sicht käme.
Über den Dampfer, dessen Rauch sich bald mit bloßen Augen erkennen ließ, sollten sie aber nicht lange in Zweifel bleiben, denn er kam merklich näher. Deutlich ließen sich schon die Umrisse seines oberen Decks, bald sogar einzelne Gestalten an Bord unterscheiden, und die wehende Bremer Flagge an der Gaffel der Haidschnucke wurde jetzt kaum mit dem antwortenden Signal des Lootsen, den Amerikanischen Sternen und Streifen1 begrüßt, als lauter Jubel an Bord des Auswandererschiffes losbrach, und ein donnerndes, wieder und wieder erneutes Hurrah den Farben des neugewonnenen Vaterlands entgegenjauchzte.
Von jetzt an war alles Andere in dem einen Gefühl des endlich erreichten Zieles, für das ihnen der Amerikanische Lootsendampfer volle Bürgschaft leistete, vergessen; Jeder hatte nur Augen und Gedanken für das heranbrausende Dampfschiff, dessen Räder sie jetzt schon über das stille Wasser des Golfes konnten arbeiten hören, dessen einzelne Matrosen sie an Bord erkannten, und wie es sie endlich erreicht, einen engen Kreis um sie beschrieb und an ihrer Seite hinfuhr, und der Amerikanische Capitain, der auf dem Radkasten seines Fahrzeugs mit dem Sprachrohr in der Hand stand, seinen Anruf herüberschrie, da brach sich der Jubel von Neuem Bahn, und der Amerikaner, der sein Sprachrohr erstaunt absetzte, sah ein paar Secunden die Schreier ruhig an, drehte sich dann nach seinem Steuermann um und lachte. Die Matrosen an Bord des Schleppdampfers glaubten aber indessen den Gruß ebenfalls erwiedern zu müssen, und antworteten, während die beiden Fahrzeuge jetzt in etwa hundert Schritt Entfernung neben einander hinliefen, mit drei kräftigen »Hip hip hip hurrahs!« das auf der Haidschnucke wieder sein Echo fand.
Ehe sich das Geschrei legte ließ sich natürlich an ein gegenseitiges Verständniß nicht denken, den ersten Ruhepunkt aber benutzend, setzte der Amerikaner wieder das Rohr an die Lippen, und der, dem Laien zum ersten Mal gewiß unverständliche Seeruf, der durch den wunderlich dröhnenden Schall des metallenen Rohres nur noch verworrener wird, tönte herüber.
»Where do you hail from?«2
Nun hatte aber Steinert, besonders in der letzten Zeit, nicht allein unter seinen näheren Bekannten, sondern auch im Zwischendeck überhaupt, viel mit seiner Kenntniß der Englischen Sprache geprahlt, die ihm dort allerdings von keinem bestritten werden konnte oder wurde. Diesen Anruf hielt er aber für eine allgemeine, an das ganze Schiff gerichtete Höflichkeitsformel, die er nicht glaubte unbenutzt vorübergehn lassen zu dürfen, ohne seine Kenntnisse zu zeigen. Ehe deshalb der eigene Capitain, der jetzt ebenfalls auf seinem Quarterdeck mit der »Sprechtrompete« in der Hand stand, auch nur das Geringste darauf erwiedern konnte, sprang er auf die, an der Railing befestigte Nothspieren, hielt beide Hände trichterförmig an die Lippen, und schrie in höchst mittelmäßigem fremdartigen Englisch:
»Danke Ihnen Herr Capitain – wir sind Alle wohl!«
»Halten Sie's Maul davorne!« brüllte aber Capitain Siebelt auf's Äußerste indignirt, als er einen Zwischendeckspassagier in sein Geschäft hineinfallen hörte, während der Amerikaner erstaunt dorthin sah von woher die unverständliche Stimme tönte, und von wo aus er allerdings keine Antwort erwartet haben konnte.
»Wenn man gefragt wird, Herr Capitain, darf man antworten« rief aber Steinert, der hier in seinem guten Recht zu sein glaubte und sich als freier Amerikanischer Bürger zurückgesetzt und beleidigt fühlte – »übrigens verbitte ich mir alle Anzüglichkeiten.«
»Where do you hail from!« tönte aber des Amerikaners Ruf noch einmal herüber.
»Ich würde mich noch einmal bei ihm bedanken, Herr Steinert« sagte Maulbeere, der seine innige Freude an dem Zwischenfall gehabt, ermunternd; »er wird Sie wahrscheinlich nicht verstanden haben.«
Steinert war aber zu klug Maulbeeres Rath – den er in dem sehr gegründeten Verdacht hatte, sein Bestes eben nicht zu wollen, zu folgen, und Capitain Siebelt konnte die nöthigen Antworten auf diese, wie die späteren Fragen: »wie lange Reise?« – »Alles wohl an Bord?« gehörig beantworten.
Der schnaubende Dampfer hielt jetzt mehr auf sie zu und Matrosen sprangen an Bord der Haidschnucke mit bereit gehaltenen Tauen hin, sie in Wurfs Nähe an Deck des Schleppschiffs zu schleudern, während sie dort rasch aufgefangen und befestigt wurden. Die Zwischendeckspassagiere, die jetzt natürlich überall im Wege standen, stieß man dabei bald hier bald da zur Seite, aber sie ließen sich heute Alles gefallen, war doch das Schiffsleben überhaupt bald überstanden, und das hier nur noch eine kleine, leicht zu ertragende Unbequemlichkeit, für die sie in wenigen Stunden – sie zählten nicht einmal mehr nach Tagen – das ganze Amerikanische Reich entschädigen sollte.
Festgeschnürt an Bord des viel niedrigeren kleinen Dampfers lag jetzt das Segelschiff, das ihnen noch nie so groß erschienen war wie in diesem Augenblick; alle Segel schlugen aber, in ihren Schoten gelöst, an den Raaen, und an den Tauen hingen die Matrosen sie aufzugeyen, während ein Theil schon wie Katzen an den steilen Wanten emporkletterte und an den Raaen hinauslief, die Segel überhaupt vollständig einzuziehn und festzuschnüren auf ihren Hölzern.
Der Wind war indeß, wie die Seeleute sagen, fast vollständig eingeschlafen, und die Hitze schwül und drückend, nichts destoweniger setzte das Schiff mit Hülfe des Dampfers, seine Fahrt weit rascher, als sie die letzten Tage zu segeln gewohnt gewesen waren, fort, und die Küste, oder das wenigstens was sie bis jetzt für festes Land gehalten, rückte ihnen rasch näher. Das aber was ihnen bis dahin eine weite grüne Wiesenfläche geschienen, auf der sie, freilich umsonst, nach grasenden Heerden umhergesucht, zeigte sich jetzt, wie sie es endlich erreichten, als ein weiter trauriger Schilfbruch, dessen dunkelgrüne schlanke Halme aus der, ihnen nun entgegenquillenden schmutziggelben Fluth des mächtigen Mississippi, dessen untere Ufer sie bildeten, herausschauten, und in der starken Strömung zitterten und schwankten.
»Das ist Amerika?« rief da eine der Frauen, die mit vorn auf der Back stand, und deren Blicke bis dahin nur ängstlich und erwartungsvoll an dem näher und näher kommenden Lande gehangen – »lieber Gott, da kann man ja nicht einmal an's Ufer gehn.« Manche der übrigen Passagiere schauten jetzt ebenfalls, mit keineswegs mehr so zuversichtlichen Mienen als sie noch an dem Morgen gezeigt, auf die wüste Fläche von Schilf und Wasser hinaus, die sie schon zur rechten und linken Seite umgab, und, der Aussage des zweiten Steuermanns nach, das Ufer des Mississippi bildete. Es war ein beengendes erdrückendes Gefühl das sie erfaßte – die erste getäuschte Hoffnung in dem neuen Land, das sie sich mit allem Zauber südlicher Zonen, wenn auch heimlich doch nur zu eifrig ausgeschmückt, und das jetzt vor ihren Augen wie ein stehender endloser Sumpf begann.
»Aber wo um Gottes Willen wohnen die Menschen?« riefen Andere aus – »hier kann man ja doch nicht leben in Wasser und Schilf?« —
»Dort sind Häuser – dort hinten – wo? – dort wo der dunkelgrüne Streif hinaufläuft und die Sonne auf das Wasser blitzt; gleich rechts davorn. Ja wahrhaftig – da stehn Häuser – das ist New-Orleans!« riefen und flüsterten zaghafte Stimmen durcheinander und Steinert selbst war auf einmal ungemein kleinlaut geworden, und saß, mit auf den Knieen gefalteten Händen vorn auf dem Bugspriet die ihn umgebende Scenerie schweigend zu betrachten.
»Das New-Orleans? – Unsinn« lachten aber einige der Matrosen, die jene Bemerkung gehört, und schon früher einmal die »Königin des Südens« – wie New-Orleans von den Amerikanern genannt wird, besucht hatten – »das ist hier nur eine der Mündungen des Mississippi und die Häuser dort sind La Balize; das hohe Land aber liegt weiter oben.«
»Weiter oben« das war ein neuer Hoffnungsstrahl in die Nacht des Zweifels, der die armen Auswanderer eben zu erfassen drohte – »weiter oben.« Aber noch immer ließen sich keine Berge erkennen; die öde Fläche schien sich viele viele Meilen weit auszudehnen und der Fluß wälzte trüb und reißend seine schmutzige Fluth an ihnen vorüber.
»Dort liegt ein Schiff – dort noch eins – « ging jetzt der Ruf über Deck, »ha dort oben kommen eine ganze Menge – ich kann die Masten erkennen« zeigten Einzelne den Anderen ihre Entdeckung. Die kamen von oben herab, ja die wußten wie es dort aussah, und mit einer gewissen Ehrfurcht hingen ihre Blicke an den fernen Fahrzeugen, deren Umrisse sie noch nicht einmal deutlich unterscheiden konnten.