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Kitabı oku: «Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band», sayfa 10

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Nur erst als sich Hedwig, unter den zärtlichen Bemühungen ihres Gatten wieder soweit erholte sprechen zu können, erfuhren sie, daß drei Männer: der Gefangene, ein früherer Reisegefährte Pelz, und ihr heute fortgeschickter Barkeeper, die Räuber gewesen seien. Hopfgarten, der sich indessen mit dem alten Mann beschäftigt hatte, fand in diesem Augenblick die Wunde an seinem Kopfe, und konnte nun keinen Augenblick mehr zweifeln, daß er todt sei.

Die Verwirrung, die jetzt folgte, ist kaum zu beschreiben, Alles schrie und drängte durcheinander, und Meier, mit auf dem Rücken festgeschnürten Ellbogen konnte nur wirklich durch die Constabler vor der Wuth der Bürger geschützt werden, die große Lust hatten, ihn gleich an Ort und Stelle, als warnendes Beispiel aus dem Fenster hinauszuhängen.

Jimmy mußte übrigens, da die wider Erwarten sehr starke Kammerthür verschlossen gewesen, und erst von den zur Hülfe Eilenden durch gemeinsames Dagegenwerfen gesprengt war, jedenfalls mit seinem anderen Kameraden, Pelz, aus dem Fenster in den Hof hinunter entkommen sein, denn aus der Thür hatte er nicht entziehen können. Die Constabler kannten ihn aber, und versprachen dem jungen Hamann ihr Möglichstes zu thun, ihm die Flucht aus der Stadt abzuschneiden, und ihn in den unzähligen Diebeswinkeln, die New-Orleans hat, herauszustöbern.

Der Gebundene sollte jetzt abgeführt werden, und Hopfgarten, die erhaltene Wunde im Oberarm, durch dessen dickes Fleisch das Messer gefahren war, gar nicht achtend, suchte ihn dahin zu bringen, ihm Näheres über den Aufenthalt Henkels, von dem er behauptet, daß er darum wisse, mitzutheilen.

»Geht zum Teufel,« knurrte ihn aber der Gefangene an, »macht mit mir was Ihr wollt, Ihr habt mich einmal, doch verlangt dann nicht auch noch Gefälligkeiten von mir. Vorhin war's Zeit; wenn Sie nicht holzköpfig gewesen wären, wüßten Sie jetzt was Sie wollen; nun könnt Ihr mir aber die Zunge aus dem Halse reißen, ehe ich eine von Eueren Fragen beantworte. Hole Euch Alle der Henker.«

»Der wird Dich zeitig genug bekommen, mein Bursche,« sagte der eine Constabler, ein Deutscher, indem er ihn vor sich her stieß. »Fort mit Dir; was aus Dir herauszukriegen ist, werden wir schon kriegen, hab' keine Furcht; mit solcher Art wissen wir schon umzugehen. Herr Hamann, Sie werden gut thun sich die Zeugen, die Sie brauchen, zu notiren, daß man sie finden kann; der Coroner mit dem Arzt wird wohl auch nicht lange auf sich warten lassen. Einer von unseren Leuten mag indessen noch vor der Hand unten im Haus bleiben, vielleicht ist doch noch etwas von Einem der andern beiden Burschen aufzufinden. Jedenfalls müssen wir uns genau überzeugen, wo die Herren heraufgekommen sind, und mit welcher Hülfe, und ob sie nicht im Haus noch andere Helfershelfer haben.«

Der Gefangene wurde jetzt fortgeführt, der Platz von den Fremden geräumt, und Hamann, der Hopfgarten und Eltrich bat, ihn nur jetzt nicht zu verlassen und bei ihm und seiner Frau zu bleiben, machte dann mit dem rasch herbeigerufenen Arzt, der nachher auch die beiden Freunde zu verbinden hatte, den freilich vergeblichen Versuch, seinen Vater in's Leben zurückzurufen. Der Schlag mit der Schlingkugel, die noch in der Stube auf dem Boden lag, hatte dem alten Mann den Schädel eingeschlagen und augenblicklichen Tod herbeigeführt.

Im Hof, wo die beiden anderen Verbrecher aus dem etwa sechzehn Fuß hohen Fenster hinuntergesprungen sein mußten, war indessen auch nichts weiter zu erkennen. Das Fenster stand offen, und ließ, mit der unten gefundenen goldenen Uhr allerdings keinen Zweifel über die Art der Flucht; obgleich aber der Hof nicht gepflastert, und der Boden ziemlich weich war, hatten doch die seit der Zeit darauf herumgeschwärmten Menschen Alles derart zertreten, daß es sich nicht mehr unterscheiden ließ wohin sich die Beiden gewandt. Das Wahrscheinlichste blieb übrigens, daß sie durch den schmalen Gang auf die Straße geflohen wären, und eine Verfolgung war dorthin nicht mehr möglich. Nur um die nächste Ecke, und die Räuber konnten in dem Menschengedränge der Straße ihren Weg ruhig und unbeachtet fortsetzen.

Der junge Hamann hatte indessen seine arme kleine Frau, deren zarte Glieder der rauhen Behandlung des Buben fast erlegen waren, auf ihr Zimmer gebracht, und sie dort der Pflege von ein paar im Hause wohnenden Frauen, die sich freundlich dazu erboten, übergeben, wonach er wieder zu dem Todtenbette seines Vaters zurückkehrte, und jetzt auch die beiden Freunde bat, ernstlich nach ihren Wunden zu sehn, daß sich dieselben nicht durch Vernachlässigung verschlimmerten. In der Aufregung aber, in der noch Beide waren, dachten sie kaum an die Fleischrisse, ließen sich jedoch von dem Arzt einen Verband darum legen und suchten dann wieder den Sohn über den ihn betroffenen Verlust zu trösten.

Der junge Hamann, mit der ersten wilden und aufreizenden Erregung vorüber, saß, in sich zusammengeknickt, in der kleinen Kammer neben dem Bett, auf dem der Ermordete lag, und starrte mit fest und krampfhaft auf den Knieen zusammengefalteten Händen still und schweigend vor sich nieder.

»Lieber Herr Hamann,« sagte Hopfgarten, freundlich auf ihn zutretend und seine Hand ergreifend, »geben Sie sich Ihrem Schmerze nicht also hin. Es ist ein trauriges Geschick was Sie betroffen hat, aber es war Gottes Wille, ohne den kein Sperling vom Dache fällt. Ich will Sie nicht etwa trösten,« setzte er freundlich und teilnehmend hinzu, »Ihr Schmerz muß sein Recht und seine Zeit haben – ich weiß das gut genug, und gerade die Zeit allein kann ihn lindern, zuletzt heilen – aber man muß ihm auch nicht in dem ersten Moment so ganz die Gewalt über sich lassen, denn gerade dann ist er am gefährlichen, und füllt uns das ohnedieß genug gequälte Herz mit bitterer Angst und Weh zum Überlaufen voll.«

»Mein armer, armer Vater,« stöhnte Franz, »und auf so schmähliche, schändliche Weise um sein Leben zu kommen, das ihm überdieß nur noch in Spannen zugemessen war.« —

»Nun hoffentlich entgehen die Buben der gerechten Strafe nicht,« sagte Eltrich; »der deutsche Constabler hatte alle Hoffnung Ihren sauberen Barkeeper wenigstens abzufangen. Er behauptete die Schlupfwinkel genau zu kennen, die jener frequentirt, und wir haben ihm auf die Seele gebunden, kein Geld zu sparen, den Schurken aufzufinden, ehe er vielleicht im Stande wäre New-Orleans zu verlassen.«

Eine eigen, wunderliches Geräusch schallte in diesem Augenblick durch das stille Zimmer, und Franz fuhr, wie von einem Blitz getroffen, von seinem Stuhle auf.

»Was haben Sie? – was ist?« frug ihn Hopfgarten erstaunt.

»Hörten Sie Nichts?« flüsterte Franz, mit geöffnetem Mund und ausgerecktem Arm, ein regungsloses Bild der gespanntesten Aufmerksamkeit.

»Hörten? – was?« rief Hopfgarten, sich ebenes überall in dem leeren Raume umschauend.

»Es war beinah, als ob Jemand mit den Fingern schnalzte,« sagte Eltrich.

»Das war Jimmy!« schrie aber Franz, wild auffahrend, »ich will nicht selig werden, wenn das nicht das Fingerknacken des Buben war. An die Thüren, Herr von Hopfgarten – um des Heilands Willen an die Thüren – der Bube ist hier noch im Zimmer versteckt!«

»Aber wo?« rief dieser, den jungen Mann erstaunt ansehend.

»Haben Sie dort in dem Kleiderschrank? – haben Sie hier unter dem Bette nachgesehn?«

»Aber ich bitte Sie um Gottes Willen.«

»Er ist hier, ich schwöre es Ihnen zu,« rief aber Franz, »ich kenne das unselige Knacken, durch das sich der Bube jetzt verrathen hat,« und das Licht vom Tisch aufgreifend, hatte er es kaum an die Erde gehalten, unter das Bett zu leuchten, auf dem der Ermordete lag, als auch die klägliche Stimme des dort versteckten, und also ertappten Barkeepers jedem weiteren Zweifel der Männer ein Ende machte.

»Ach mein bester, bester Herr Hamann,« flehte dieser mit winselnder, kläglicher Stimme, »ich bitte Sie doch um tausend und tausend Barmherzigkeits Willen, haben Sie Erbarmen mit einem unglücklichen, verführten, zu Grunde gerichteten Menschen – oh Jesus, oh Jesus, thun Sie mir Nichts – ich will ja vorkommen, ich will ja Alles gestehn, Alles was ich weiß – Alles herausgeben was ich habe – thun Sie mir nur Nichts.«

»Giebt es etwas Erbärmlicheres auf der weiten Welt als diesen Menschen?« rief Franz, das Licht auf den Tisch zurückstellend, und mit zusammengeschlagenen Armen jetzt, wo er seines Opfers gewiß war, ein paar Schritte von dem Bette zurücktretend, dem Elenden Raum zu geben vorzukommen.

»So 'was ist mir aber in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen!« rief Hopfgarten erstaunt aus, »der Mensch verdiente wahrhaftig allein seiner Dummheit wegen begnadigt zu werden.«

»Ach bester Herr, bitten Sie – bitten Sie für mich!« schrie Jimmy, der jetzt rasch vorgekrochen war, sich an das Wort klammernd, indem er gegen Hopfgarten an auf den Knieen fortrutschte, und die Hände verzweifelnd rang. »Ja ich bin zu dumm, ich bin zu entsetzlich dumm, und habe mich ja allein verführen lassen zu dem schlechten, nichtsnutzigen Streich – o Gnade, Gnade, Barmherzigkeit.«

Hopfgarten, ohne alle Antwort, deutete nur auf die Leiche hin, und Jimmy, der mit scheuem Blick der Richtung des Armes folgte, sah kaum die furchtbare Lösung der Bewegung, als er auch mit einem wilden Aufschrei des Entsetzens, »Herr Jesus – mein Herr Jesus,« nach dem Bette zufliegen wollte; Franz aber faßte ihn am Kragen und schleuderte ihn mit unwiderstehlicher Kraft davon ab.

»Zurück von da!« zürnte er dem winselnd Niederbrechenden zu, »feiger, erbärmlicher Mörder – rühre die Leiche nicht an!«

»Ach Herr Hamann, Herr Hamann, ich bin unschuldig, ich bin unschuldig.« schrie aber Jimmy, »ich bin ein Dieb, ein nichtsnutziger, erbärmlicher, gemeiner Dieb, Herr Hamann, aber kein Mörder – bei Allem was mir und Ihnen heilig ist, schwöre ich es Ihnen zu, ich bin unschuldig an dem Blut, ich weiß Nichts davon, ja Pelz und Meier haben es mir hoch und theuer versprechen müssen, kein Blut zu vergießen.«

Hopfgarten, der die Zerknirschung des Burschen zu benutzen wünschte, forderte ihn jetzt auf Alles zu erzählen von Anfang an, wie es gekommen und geschehn, und Jimmy, der mit der Leiche vor sich, eine furchtbare Angst über sich kommen fühlte, beichtete mit gefalteten Händen, und nur von einzelnen Ausrufungen um Erbarmen und Gnade unterbrochen, Alles was er wußte, von dem Augenblick an, wo er sich mit seinen beiden Helfershelfern besprochen, bis wo sie auf der Treppe Hedwig hatten in das Zimmer gehn sehn, und in der Besorgniß, die Zeit nicht zu versäumen, eingebrochen waren. Was in dem Zimmer selber geschehen sei, davon wollte er keine Sylbe wissen, und schwur und winselte wieder, bei Allem was er über und unter der Erde zu schwören fand – und er sprach dießmal die Wahrheit – daß er nur Hals über Kopf gesucht habe Schmuck und Geld, was in dem Secretair gelegen, in seinen Leinwandsack hineinzupacken. Pelz und Meier hätten es übernommen gehabt, die beiden im Zimmer befindlichen Personen indessen ruhig zu halten.

Der junge Hamann bat jetzt Herrn Eltrich um die Gefälligkeit, den Constabler heraufzuholen, indeß sie Beide den Burschen bewachen wollten; Jimmy hörte aber kaum das für ihn furchtbare Wort, als er sich wieder vor Franz auf die Erde warf, seine Knie umfaßte und um Gottes Willen bat, ihn nur dieß eine Mal den Gerichten nicht zu übergeben; er wolle »so 'was« ja in seinem ganzen Leben nicht wieder thun, und Alles herausgeben, was er schon in seinem Koffer habe, ja für Herrn Hamann arbeiten von früh bis spät, um Nichts wie die Kost – nur keinen Constabler. Der junge Mann mußte sich mit Gewalt von dem Burschen frei machen, und Eltrich fing schon fast an Mitleid mit ihm zu fühlen, aber ein Blick auf die Leiche zerstörte das bald wieder, und seinen Hut aufgreifend, verließ er rasch das Zimmer, den verlangten Constabler herbeizubringen, der wenige Minuten später den zitternden, weinenden Jimmy in Empfang nahm, und mit sich fortführte.

Capitel 8.
Die Überraschung

Hopfgarten verbrachte in körperlicher wie geistiger Hinsicht eine peinliche Nacht. Die Wunde, so wenig gefährlich sie auch sein mochte, war doch durch das ganze Fleisch des Oberarmes gedrungen, und schmerzte ihn sehr, und dabei quälte ihn der Gedanke, den der Gefangene in ihm wach gerufen, daß Henkel oder Soldegg, wie der Schuft nun auch hieß, hier in New-Orleans und zwar im Begriff sein solle wieder abzureisen. Zwar stellte er sich selber wieder und wieder vor, daß jenes Versprechen des ertappten Räubers eben nur eine wilde leere Ausflucht gewesen sei, Rettung zu finden vor dem Arm des Gerichts, und daß jener Meier so wenig von Soldeggs Aufenthalt wisse, wie er selber. Und doch auch wieder hatte eben die Möglichkeit der Sache auch etwas Wahrscheinliches, daß derartiges Gesindel, mochte es nun im gesellschaftlichen Leben stehen auf welcher Stufe es wolle, wenn einmal im Verbrechen erst so weit gediehen, auch gegenseitig Kenntniß von einander habe, und die verschiedenen Schlupfwinkel und Wege kenne.

Und wie nun, wenn jener schurkische Soldegg, den zu fassen und unschädlich zu machen, hauptsächlich aber das Band zu lösen, das sein unglückliches Weib noch an ihn fesselte, er allein zum zweiten Mal nach Amerika gekommen, jetzt hier fast in Arms Bereich von ihm war, und ihm vielleicht mit nächstem Morgen wieder hinaus in alle Weite entfloh? – wie dann, wenn jener Meier wirklich recht gehabt, und er nun auf den zahllosen Dampf- und Segelschiffen, Fähren und Booten, die New-Orleans von Tagesanbruch bis in die späte Nacht verließen, umsonst umherrannte den Verbrecher zu finden. Und einmal entschlüpft, konnten dann nicht Jahrelang dazu gehören, bis er wieder zufällig mit ihm zusammentraf? – ja war es nicht sogar möglich, daß der Bursche, müde der Gefahr, in den Staaten doch einmal gefangen zu werden, mit seinem Raube hinüber nach Frankreich oder England, oder hinunter nach Texas oder Mexico ging?

Der Kopf wirbelte ihm von all dem Denken und Sinnen, und als er endlich in einen wilden, unruhigen, fieberhaften Schlummer fiel, quälten ihn tolle Träume noch mehr, als selbst das wachende Nachdenken es gethan. Da fand er den Betrüger, wohin er trat, und überall äffte ihn die, ihm unter den Händen wegschwindende Gestalt; zu Pferd wollte er ihn verfolgen, und der Sattel rutschte ab – das Pferd stürzte, riß sich wieder auf und kam in Moorboden, in dem es stecken blieb; schießen wollte er nach ihm, und sein Gewehr war nicht in Ordnung – der Pfropfen ging nicht in den Lauf hinunter, die Zündhütchen glitten ihm durch die Finger, und als er endlich geladen hatte, versagte das Gewehr; zu Schiff wollte er ihn verfolgen, und das flüchtige Dampfboot brauste und schnaubte hinter dem kleinen Kahn her, in dem sich der Bube zu retten suchte, da plötzlich rannten sie auf eine Sandbank; das Dampfboot saß fest, peitschte vergebens mit seinen Rädern die schäumende Fluth und in weiter Ferne verlor er den Kahn, der den hohnlachenden Verbrecher trug, aus den Augen – zu Wagen war er hinter ihm drein und die Stränge rissen, ein Rad brach, die Pferde stürzten – sie kamen nicht von der Stelle, und vor sich – immer dicht vor sich mußte er das Hohnlachen des Buben hören.

In Schweiß gebadet, und an allen Gliedern wie zerschlagen, wachte er endlich mit Tagesgrauen etwa auf, und verließ, wenngleich ihm der linke Arm arg geschwollen war und sehr weh that, doch augenblicklich sein Lager, wusch sich und zog sich an und schrieb dann, trotz seiner Aufregung und seinen körperlichen Schmerzen, einige Zeilen an den Professor Lobenstein, in denen er ihm seine Rückkunft von Deutschland meldete und ihn bat, sich, wenn er ihm in irgend etwas dienen könne, ohne Rückhalt und vertrauungsvoll an ihn zu wenden. Den Brief übrigens behielt er noch in seiner Brieftasche, erst den heutigen Tag und seinen Erfolg abzuwarten, um seine Adresse sicher angeben zu können.

Die Sonne war indessen aufgegangen und er eilte jetzt, nach rasch eingenommenem Frühstück, an die Dampfbootlandung hinunter, die dort liegenden Boote zu besuchen und ihre Passagiere zu revidiren. Vergebens aber kletterte er an Bord aller der Dampfer, deren Schornsteine rauchten, in Cajüte wie Zwischendeck herum, kein bekanntes Gesicht traf er an, und ob er sich gleich die Mühe nicht verdrießen ließ und sämmtliche Privat-Cajütenthüren, eine nach der anderen, öffnete und hineinsah, fand er doch nicht den Gesuchten.

Ein Paketschiff nach Liverpool lag zum Auslaufen fertig; er ging an Bord – von Soldegg keine Spur, und Ledermann, den er abgeholt, und der den besonderen Auftrag bekommen hatte, die Fährboote zu überwachen, schien eben so erfolglos gesucht zu haben. Meier hatte jedenfalls nur die Lüge rasch ersonnen, seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen.

Um elf Uhr sollte nach Verabredung Ledermann, der von dem Staatsanwalt einen neuen Verhaftsbefehl gegen den Verbrecher bekommen, Hopfgarten wieder an der Dampfbootladung treffen, das Weitere dort zu berathen, und dieser schoß indessen in fieberhafter Aufregung, mit dem schmerzenden Arm in der Binde, hin und her an der Landung, nur erst einmal, und immer vergebens, eine Spur des Gesuchten zu finden.

Über den Strom herüber von »Algier,« dem andern Ufer, kam ein großer Dampfer herüber und legte an der Landung an. Vorn am Boilerdeck trug er wie gewöhnlich ein kleines Schild, das unter dem Namen den Ort seiner Bestimmung und die Stunde der Abfahrt anzeigte. Es war der:

Chikasaw
für Little Rock
Abfahrt zehn Uhr!

Der Chikasaw hatte in Algier Fracht für Arkansas eingenommen und jetzt an der New-Orleans-Landung noch einmal angelegt, etwaige Passagiere für Arkansas, oder die dazwischenliegenden Plätze, die schon durch die Zeitungen darauf aufmerksam gemacht waren, an Bord zu nehmen. Die Glocke läutete dabei, rasche Abfahrt kündend, und der Rauch wirbelte dick und schwarz in die reine klare Luft hinauf.

»Nach Little Rock!« – Hopfgarten gab es ordentlich einen Stich durch's Herz, als er den Namen las. Wenn Soldegg wirklich heute beabsichtigte, New-Orleans zu verlassen, so war Nichts wahrscheinlicher, als daß er wieder nach dem Westen gehen würde. Jedenfalls lag hier die Möglichkeit, ihn zu finden, und sich den Hut tief in die Stirn ziehend, daß an Bord, oben von der Cajüte aus, Niemand sein Gesicht erkennen konnte, schritt er rasch über die schmale Planke an Deck und stieg auf das Boilerdeck hinauf, die dort versammelten Passagiere zu mustern.

Henkel war nicht unter ihnen, aber noch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß er vielleicht eben nur die wirkliche Abfahrt des Bootes erwarten würde, an Bord zu gehn, und Hopfgarten beschloß, jedenfalls, bis die Planken eingezogen würden, in der Cajüte zu bleiben.

Unruhig hier auf- und abgehend, hielt er sich fortwährend in der Nähe des Boilerdecks, von wo aus er einen freien Blick über die Levée und Landung hatte, und besonders die Planke des Bootes selber im Auge behielt, ohne selber auffallend sichtbar zu sein. Es konnte dieses Niemand, ungesehn von ihm, betreten.

Eine Menge Passagiere kamen, als die Glocke zum zweiten Mal läutete, heran; Männer mit Koffern auf den Schultern und Hutschachteln in der Hand, oder Reisesäcken unter dem Arm, Auswanderer von Deutschland, ihre schweren, riesigen, hölzernen, buntbemalten Koffer zu zweien im Schweiß ihres Angesichts, und in der Furcht zurückgelassen zu werden, über die Levée schleifend – die Frauen Kinder auf Rücken und Armen. Auch ein Transport Altenburger Bauern, in ihrer Nationaltracht, schritt herunter zum Boot, sich nach dem fernen Westen einzuschiffen, und die Amerikaner, die fast alle Trachten der Welt zu sehn bekommen, und sich um keine groß bekümmern, blieben stehn, sahen den Leuten nach, und lachten über die wunderliche Kleidung.

Jetzt kam ein ganzer Trupp braun gekleideter Männer, mit breiträndigen Hüten und weißen Halsbinden, von zwei Güterkarren begleitet, die ihr Gepäck führten, die Levée nieder und auf das Boot zu. Es waren jedenfalls Geistliche, und Hopfgarten wandte sich an den neben ihm stehenden Clerk oder Buchhalter des Bootes mit der Frage, ob er wisse, wer die Herren wären, und wohin sie in solcher Menge gingen.

»Ah blos Methodistenprediger,« lachte dieser – »ein ganzer Schwarm, den wir vor acht Tagen von Little Rock mit herunter gebracht haben. Es sind meist Circuit-rider aus dem Westen, die hier zu einer protestantischen Versammlung, wirksame Maasregeln gemeinschaftlich gegen den »Antichrist« zu berathen, wie sie uns selber sagten, heruntergekommen sind, und jetzt wieder auf ihre Posten zurückgehn. Es ist eine Vergnügungsreise für die Herren, zu der sie vorher natürlich eine tüchtige »fromme Sammlung« gemacht haben.«

Die Geistlichen, elf an der Zahl, kamen indeß an Bord und die Boilerdeckstreppe herauf in die Cajüte. Hopfgarten blieb an der Thür stehn, und sah sie einzeln neben sich vorübergehn. Es waren meist ausdruckslose Gesichter, einzelne aber auch mit verschmitzten Augen, und scharfgeschnittenen Zügen; der Deutsche hatte jedoch kein Interesse an ihnen, und wollte seine Aufmerksamkeit eben wieder der Levée zuwenden, als Einer der Geistlichen ihn mit einem langsamen, salbungsvollen Kopfnicken grüßte, und an ihm vorbei die Cajüte betrat.

Hopfgarten sah ihn überrascht und verwundert an; der Mann trug allerdings einen sehr anständigen, braunen, langen Rock von feinem Tuch, eine schneeweiße Halsbinde, blank gewichste Stiefeln und einen breiträndigen, schwarzen Filzhut, wie die Anderen, aber das Gesicht war nicht zu verkennen, und, wenn einmal gesehn, nicht wieder zu vergessen.

»Herr Maulbeere!« rief Hopfgarten, in diesem Augenblick selbst Henkel vergessend, »träume ich denn oder wach ich – sind Sie es, oder sind Sie es nicht?«

»Mein lieber Herr von Hopfgarten,« sagte der Angeredete, dem wirklich Verblüfften, mit einem milden Lächeln in dem glatt rasirten Gesicht, die Hand reichend und feierlich schüttelnd, »es ist mir ein ungemein wohlthuendes Gefühl, Sie nach so langer Trennung wieder einmal begrüßen zu können – ich habe in meinen Gebeten manches Mal recht freundlich Ihrer gedacht.«

Hopfgarten blinzte mit den Augen, trat sich auf den Fuß und suchte sich im Anfang wirklich erst ordentlich gewaltsam davon zu überzeugen, daß er nicht träume, und mit wachenden Augen den schmutzigen Scheerenschleifer Maulbeere, den Schnapsprediger von der Haidschnucke, solcher Art ausgekrochen und als Schmetterling – als Braunes Ordensband – der Gedanke kam ihm unwillkürlich – in der sonnigen Luft herumflattern zu sehn. Aber Maulbeere lebte und athmete, that auch Nichts, das Erstaunen des vor ihm Stehenden zu beseitigen, sondern schien sich eher an dessen Überraschung zu weiden.

»Aber wie, um Gottes Willen, kommen Sie in diesen Rock, in diese Gesellschaft?« rief er endlich, jede weitere Höflichkeit bei Seite setzend, aus – »ja, wenn mir Jemand des Himmels Einsturz – «

»Spotten Sie nicht, oder profaniren Sie nicht eine so heilige, ernste Sache« – unterbrach ihn aber Maulbeere schnell und fast ängstlich. »Daß der Herr da oben« – und er warf einen frommen Blick nach der Decke hinauf, »Wunder thut, brauche ich Ihnen, als gebildetem Mann, nicht zu sagen. Sein Geist hat mich erleuchtet – Sein Hauch den Teufel ausgeblasen, der in mir lebte und thätig war – der Herr hat Gräuel an den verkehrten Herzen, und Wohlgefallen an den Frommen – der Gottlose ist wie ein Wetter, das überhingeht, und nicht mehr ist, der Gerechte aber bestehet ewiglich – der Mund des Gerechten bringt Weisheit, aber das Maul des Verkehrten wird ausgerottet – rühme Dich nicht des folgenden Tages, denn Du weißt nicht, was heute sich begeben mag.«

»Aber wie ist es möglich gewesen, in der kurzen Zeit eine solche Verwandlung – «

»Der Herr ist Allen gnädig,« sagte Maulbeere, mit einem zweiten frommen Blick die Hände faltend, »und erbarmet sich aller seiner Werke – des Herrn Geist stieg auf seinen Knecht nieder in der Nacht des Unglaubens, da Alles finster war, und siehe da, ein feines Lämplein wurde aufgestellt in dem Tummelplatz des Satans, und sein helles, goldenes Licht trieb die Sünde aus dem gereinigten Gefäß!«

Hopfgarten schüttelte immer noch, wie seinen Sinnen nicht recht trauend, den Kopf. Die Gestalt vor ihm aber hatte Fleisch und Bein, und der braune Rock so wenig, wie die schneeweiße, reine Binde ließen sich wegleugnen.

Die übrigen Geistlichen hatten sich indeß in der Cajüte versammelt, ein paar Minuten leise mitsammen geflüstert, und Einer von ihnen kam jetzt wieder der Thüre zu, wo die Beiden standen und sagte mit einem milden, lächelnden Blick:

»Der Bruder Mulberry wird freundlich von uns aufgefordert, an einem stillen Dank, dem Höchsten für die glückliche Beendigung unserer frommen Sendung zu bringen, Theil zu nehmen.«

Maulbeere neigte langsam sein Haupt, und sich dann wieder zu Hopfgarten wendend, sagte er:

»Wir haben wohl das Vergnügen, mit Ihnen zusammen die Reise nach Little Rock zu machen?«

»Nein, bester Herr Maulbeere, das thut mir wahrhaftig leid,« erwiederte dieser – »ich bin nur an Bord gekommen, Jemand zu suchen.«

»Das schmerzt mich in der That,« sagte Maulbeere, indem er in die Tasche griff und ein kleines Paket Bücher und eine Visitenkarte herausnahm – »sollten Sie aber später einmal wieder in unser wildes, westliches Land kommen, so wird es mich herzlich freuen, zu sehn, daß es Ihnen gut geht – diese Karte hier enthält meine Adresse – und mich glücklich machen, zu hören, daß auch Sie den wahren Frieden in Gott gefunden, und die Bahn des Heils betretend, den breiten, ebenen Weg verlassen haben, der hinab zu Sünde und Verdammniß führt. Gott sei mit Ihnen – er erleuchte Sie – er neige sein Antlitz über Sie, und gebe Ihnen seinen Frieden – Amen!«

Und mit einer halb segnenden, halb grüßenden Handbewegung gegen Herrn von Hopfgarten, der Bücher und Karte fast unbewußt in der Hand behielt, und dann ebenso in die Tasche steckte, drehte er sich langsam von ihm ab, und schritt seinen Gefährten am andern Ende der Cajüte zu.

Ein neuer Trupp Fremder zog in diesem Augenblick die Aufmerksamkeit unseres Freundes auf sich, die Glocke läutete dabei zum dritten Male, und das Boot machte Anstalt zur Abfahrt. Nirgends aber ließ sich eine Gestalt erkennen, die der des Gesuchten auch nur im Entferntesten geglichen hätte, obgleich Hopfgarten vollkommen darauf vorbereitet war, das Gesicht Soldeggs durch Bart oder Brille vielleicht so viel als möglich unkenntlich gemacht zu sehn. Mit dem Chikasaw beabsichtigte dieser keinesfalls, den Strom hinaufzugehn, und er mußte zuletzt, als die Planken und Taue eingeholt wurden und die Räder nach rückwärts an zu arbeiten fingen, das Boot in den Strom hinauszuschieben, an Land springen.

Auf seiner Uhr war es jetzt halb elf Uhr, und er ging, die Ankunft Ledermann's hier verabredeter Maßen zu erwarten, indessen ungeduldig an der Levée auf und ab. Seine rechte Hand in die Tasche schiebend, fühlte er dort die vorher in Gedanken eingesteckten, ihm von Maulbeere übergebenen Schriften, und nahm sie heraus, zu sehn, was sie enthielten.

Es waren natürlich Traktätchen. Das eine handelte über die Heiligkeit des Sabbaths und die Gefahr der Sabbathschändung, mit einem abschreckenden Beispiel, wie ein Knabe an einem Sonntag einmal den Fluß befahren hatte und ertrunken war – während Millionen Beispiele, dasselbe Verbrechen jeden Sonntag verübend, glücklich abfuhren und eben so landeten – das andere über die Bibelvertheilung, und die übrigen über das Missionswesen, und dessen dringende Nothwendigkeit; jedes am Schlusse mit einer Bitte um die Unterstützung der frommen Männer, die in die Wildniß, unter wilde Bestien und wildere Menschen zögen, und von Wurzeln und Rinde lebten, das Evangelium zu predigen. Auf der Karte stand:

The Reverend Zachäus Mulberry.

Little Rock. Arks.

Die Karte steckte Hopfgarten zum Andenken ein, die Bücher warf er fort.

Und Ledermann kam noch immer nicht – es war schon fast drei Viertel auf elf, und Hopfgarten ging wie auf Kohlen, in Angst und Ungewißheit, den Strahlen der heißen Sonne ausgesetzt, an der Landung auf und ab.

»Gott der Gerechte, der Herr Baron,« redete ihn da plötzlich eine Stimme an, und als er sich rasch danach umdrehte, stand ein Mann, augenscheinlich ein Israelit, von dessen Gesicht Hopfgarten aber keine Ahnung hatte, in einem dunklen, anständigen Rocke, mit einem kleinen Strohhute auf, vor ihm, und machte ihm eine tiefe Verbeugung; der Mann mußte aber jedenfalls sehn, daß ihn der Herr, den er angeredet hatte, nicht erkannte und er fuhr lächelnd fort:

»Gottes Wunder – hob' ich mich denn gar so sehr verändert, daß so an lieber Herr anen alten Raisegesellschafter sollte vergessen haben. Kennen Sie den Veitel Kochmer nicht mehr?«

»Veitel Kochmer? – nein – «

»Kennt den Veitel Kochmer nicht mehr;« lachte der Alte, mit dem Kopf dabei schüttelnd – »den Mann mit der Holzharmonika, dem Sie an Concertchen zusammengebracht haben an Bord, als an guter und freundlicher Herr.«

»Veitel Kochmer,« rief Hopfgarten, sich jetzt des Namens entsinnend, »ja Euch hätte ich allerdings nicht wieder erkannt – Ihr seht ganz anders aus – tragt den langen Bart nicht mehr und den Kaftan – es geht Euch gut?«

»Gott soll gedankt sein, ja.«

»Und Euer Sohn – «

»Mai Sohn? – wie haißt mai Sohn – « sagte der Mann, ungeduldig den Kopf schüttelnd – »das Jüngelche, was ich bei mer hatte, mit die hibsche Stimme – wenn's ane bessere Lunge und a schlechtere Stimme gehabt hätte, lebt es noch.«

»Ihr habt ihn sich todt singen lassen,« sagte Hopfgarten ernst.

»Ich hab' ihn sich todt singen lassen? – wie haißt? – soll sich die Lunge beim Magen beschweren – der Eine arbeitet mit die Händcher, der Andere mit die Lunge, aber Alle arbeiten mer um ze leben, ze essen un ze trinken, und an Rock auf dem Leib ze haben – hob ich en nich acht Wochen gepflegt, als ob er mai Sohn gewesen wäre, und stirbt er mer nich zuletzt wie zum Possen? – Soll mer Gott helfen, als ich nich hob' Schaden gehabt an dem Jüngelche. – Aber Herr Baron – kennten wir zwei Beide nich a klanes Geschäftche zesammen machen; hob' ich was ganz Extraes von gute Staincher, vor solch einen fürnehmen Herrn, wie der Herr Baron.«

»Ich danke, lieber Kochmer, ich brauche Nichts in der Art,« sagte Hopfgarten, wieder nach seiner Uhr sehend, »kann mich auch augenblicklich gar nicht damit befassen – haben Sie eine Uhr bei sich?«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
27 eylül 2017
Hacim:
230 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain