Kitabı oku: «Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band», sayfa 4
Capitel 3.
Der wandernde Krämer
Warm und freundlich schien die Sonne nieder auf die weiten grünen Prairieen von Illinois, die sich in ungeheueren Flächen, nur hie und da von einem dunklen Streifen hoher Eichen unterbrochen, nach Nord und Süd, nach Ost und Westen dehnten. Wie eine wogende See stand dabei das hohe, üppige Gras in der frischen Westbrise, die darüber hinstrich, und lichte, rasch über die Oberfläche laufende Wellen bildete, täuschend ähnlich einer ruhigen See, über die ein leiser Passat die leicht gekräußten, eben nur sich hebenden Wogen zieht.
Wie Inseln darin, um die Täuschung noch größer zu machen, lagen einzelne kleine Farmen weit zerstreut, deren Maisfelder gleichfalls wogten und dem Wind sich neigten, und das grüne Wasser darstellen konnten in der Nähe des Landes, während die Prairieen schon eine dunklere, gelblichere Färbung angenommen. Daraus vor aber ragten die kleinen grauen Dächer der Blockhäuser, mit ihren blauen dünnen Rauchstreifen, die weit über die Fläche zogen; Felsen gleich, an denen sich die Brandung brach, während in den Wogen der Prairieen selber zahlreiche Heerden, nur mit Kopf und Rücken oft aus dem schwellenden Gras herausreichend, das seine Wellen an ihnen vorübertrieb, herumschwammen, oder die breiten gutmüthigen Köpfe witternd und schnüffelnd der frischen Luft entgegenhielten.
Aber kein Fahrzeug strich auf dem weiten wasserähnlichen Grasspiegel einher; vergebens suchte das Auge nach einem lichten Segel, die Täuschung nicht größer zu machen, sondern mehr fast zur Bestätigung, daß dieß nicht Land- und Pflanzenwuchs, sondern wirklich schiffbares, wogendes Wasser sei.
»Ein Kahn!« von den grünen Wellen getragen schwimmt, einen dunklen Streifen hinter sich herziehend, ein schmaler dunkler Kahn dahin, und ein einzelner Ruderer sitzt darin, still und regungslos sein Forttreiben Wind und Strömung überlassend. Mit Gewalt muß sich das Auge zuletzt zwingen in dem kleinen Kahn und Ruderer Mann und Pferd zu erkennen, die langsam einem schmalen, sich durch die Prairie ziehenden Wege folgen, und gerade auf die nächste, von einem kleinen Feld begrenzte Blockhütte zuhalten.
Der Reiter aber war ein alter Bekannter von uns, Georg Donner, der, langsam seinen Weg verfolgend, die kleine Hütte endlich erreichte, und dort seinem Pferde kurze Rast zu gönnen beschloß. Die ganze Umgebung des Hauses ließ ihn auch auf Landsleute als Eigenthümer schließen, und den Zügel seines klugen wackeren Thiers abstreifend, band er ihm die Vorderfüße, nach Landesart zusammen, und ließ es sich sein Futter auf der weiten Wiese selber suchen. Da ging die Thür der Hütte auf, und ein junges, rothwangiges, kräftiges und auch recht hübsches Mädchen von etwa achtzehn Jahren trat auf die Schwelle, den Fremden neugierig betrachtend.
»Grüß Euch Gott, Kind,« rief ihr dieser freundlich entgegen, »kann man ein Glas Milch hier bekommen? – es ist warm heute und das Wasser in der Prairie schmeckt schlecht.«
»Recht gern und so viel Ihr wollt – grüß Euch Gott,« sagte das Mädchen, rasch in das Haus zurückgehend und bald mit einem großen, bis zum Rand gefüllten Blechmaas voll Milch wiederkehrend. »Ihr seid wohl von weit her unterwegs?« frug sie dann, als Georg das Gefäß dankend an die Lippen hob, und einen langen durstigen Zug daraus that.
»Ich komme von Wisconsin herunter, wo ich ein Jahr mich aufgehalten,« sagte der junge Mann.
»Von Wisconsin; da soll es auch recht gut sein – wir haben viel Freunde drüben, die mit uns über See gekommen sind – wir wollten auch erst dorthin, aber die Schwester wurde hier krank, und da dem Vater die Gegend gefiel, blieben wir da, und ließen die andern weiter ziehn.«
»Und es geht Euch gut hier?«
»Gott sei Dank, ja; wir haben ziemlich billig gekauft, und die Jahre nun, die wir hier sind, recht sparsam gelebt und recht fleißig gearbeitet, und da sieht man doch daß man vorwärts rückt.«
»So kommt Ihr hier besser fort wie in Deutschland?«
»Ei Gott ja, viel besser; lieber Himmel dort fraßen die Steuern, was wir mit Mühe und Noth erzwingen konnten; wir schafften und schafften, daß uns das Blut unter den Nägeln vorkam, aber nur schlimmer wurd' es, nicht besser; wir konnten nicht erschwingen was wir brauchten, und langsam aber sicher ging's bergunter. Hier ist's besser; arbeiten müssen wir freilich auch, beinah so viel wie in Deutschland, aber was wir einnehmen ist unser, wir brauchen Nichts davon abzugeben, haben keine groben Gerichtsleute die uns quälen, und keine Taxen und Steuern, die Einem das Mark aus den Knochen saugen. Auch das Land ist vortrefflich; was man pflanzt gedeiht, und wenn wir nur ein Bischen mehr an einem großen Fluß wohnten, daß wir Alles gleich verkaufen könnten was wir bauen, wär's noch viel besser. Die Leute sagen freilich, daß wir eine Eisenbahn hier vorbeibekommen, nachher wär's schon gut. Wo seid Ihr her, wenn man fragen darf?«
»Aus Waldenhayn.«
»Aus Waldenhayn – Jesus, in unserer Gegend liegt auch ein Waldenhayn, aber s'ist doch wohl nicht das – «
»Und welches ist das?« lächelte der junge Mann.
»Krisheim – und Bachstetten liegt auch nicht weit von dort, der Pfarrer von Bachstetten ist ein Bruder vom Waldenhayner Pfarr.«
»Der Waldenhayner Pfarr' ist mein Vater,« sagte Georg.
»Und Ihr seid in Krisheim gewesen?« frug das Mädchen und hohe freudige Röthe goß sich ihr über Stirn und Schläfe.
»Oft und oft; es sind ja nur höchstens vier Stunden von unserem Ort.«
Das Mädchen sah dem jungen Mann fest und forschend dabei in die Augen, und dann drehte sie sich plötzlich ab, und die hellen klaren Thränen liefen ihr an den Wimpern nieder.
»Ihr hängt wohl noch recht an daheim?« sagte Georg endlich leise und nach langer Pause, »möchtet Ihr wieder zurück?«
»Ich weiß nicht,« flüsterte das Mädchen, immer noch von ihm abgewandt, »ich hatt' es schon beinah vergessen, und seit dem letzten Weihnacht wenig mehr daran gedacht – wenn ich aber den Ort wieder nennen höre, und nun gar wieder Jemanden sehe, der selber dort war, selber eigentlich dorthin gehört, dann – dann fängt's freilich wieder an zu stechen, und – und es kommt mir dann manchmal doch wohl vor, als ob ich das alte, liebe Dorf im Leben nimmer vergessen könnte. – Wenn ich an den Kirchthurm denke und – und was daneben liegt – und an die großen Linden – nur an den Weg der dorthin führt, möcht ich mir die Augen aus dem Kopfe weinen. – Aber der Vater darf's nicht merken,« setzte sie rasch hinzu, »sagt Ihm Nichts wenn er kommt. Es ist ihm gerade so wie uns zu Muthe, ich weiß es wohl, wenn er sich's auch nicht will merken lassen – aber weinen kann er nicht, das geht ihm nicht von der Hand, und da wird er lieber grob, wenn er's auch nicht so böse meint und – wenn man eigentlich weiß warum er's wird, möcht' man ihn nur um so lieber d'rum haben.«
Georg war es, als er das Mädchen so plaudern, und selbst den Dialekt aus seiner eigenen Gegend dabei hörte, ebenfalls recht weich um's Herz geworden; ihm selber klang die Rede wie Glockentöne aus der Heimath, und er hätte den lieben Lauten stundenlang lauschen mögen, so wohl, so weh wurde ihm dabei in der Brust. Von der Fenz herüber tönte da das Knallen einer Peitsche, Stimmen wurden laut und der Bauer, mit seiner andern Tochter, Lisbeth, kam den Weg die Fenz entlang; der Mann hatte frischen Mais aus dem Felde in seinem kleinen Karren geholt, und das Mädchen, wie ein Knabe von etwa dreizehn Jahren, ihm dabei aufladen helfen. Die Leute sahen frisch und wohl aus mit ihren sonnverbrannten aber gesunden Gesichtern, und man merkte es ihnen an, daß sie die Arbeit freute die sie thaten. Sie luden auch den jungen Mann freundlich ein bei ihnen die Nacht zu bleiben und sich und sein Pferd auszuruhen, von dem langen Ritt in der Sonne. Georg aber hatte keine Ruh, es zog ihn nach Indiana hinüber, wo er wenigstens hören wollte wie es denen ging, an denen sein Herz, so weh ihm auch der Mann gethan, den er vor allen Anderen gern geliebt hätte, mit festen – er fürchtete unzerreißbaren Banden hing, und je länger er sich fern gehalten von dem Platz, destomehr drängte und trieb es ihn jetzt, wo seines Pferdes Kopf der Richtung sich wieder zuwandte.
Eine kleine Weile plauderte er noch mit den Leuten; es that ihm wohl hier zufriedene, glückliche Menschen zu sehn, die dem Lande ihr Brod sauer genug abverdienen mußten, die aber die Schultern ernst dagegen stemmten, gegen das Werk, und, wenn auch langsam vorrückten, doch eben sahen, daß sie vorrückten, und sich glücklich dabei fühlten.
»Die gebratenen Tauben fliegen uns hier nicht in den Mund,« sagte der Mann unter Anderem und im Laufe des Gesprächs lächelnd, »wie sie uns manchmal, als wir von Deutschland fortgingen, vorgehalten haben, daß wir so etwas erwarteten; aber wenn wir richtig zugreifen und unsere Knochen nicht schonen, dann können wir uns doch Tauben braten, und haben dann welche, und in Deutschland ging das eben nicht mehr an. Das erste Jahr haben wir uns freilich tüchtig placken müssen, und sind bei anderen Leuten in Dienst gegangen, alle miteinander – es war ein schweres Jahr, aber es ging vorüber, wir lernten auch das Land dabei kennen und die Arbeit, und nun hab' ich das kleine Grundstück hier gekauft. – Ganz ist's freilich noch nicht bezahlt, aber in zwei Jahren hoffentlich ist's mein, und mit dem Vieh was ich indessen ziehe, und das den Werth der Farm erhöht, können wir der Zukunft ruhig und sorgenfrei entgegengehn.«
Der Mann hatte hundert Preußische Thaler mit herübergebracht, und mit dem dazu was er und seine Familie das erste Jahr verdient, den Stamm gelegt, der ihm eine sorgenfreie Existenz geben konnte.
Georg fing sein Pferd endlich wieder ein, band die Hobbeln ab, legte ihm den Zügel wieder an, und ritt nach freundlichem Abschied von den Leuten auf dem ausgeruhten Thiere rascher die etwas staubige Straße entlang, wo er, wie ihm der Hesse gesagt hatte, noch eine andere kleine deutsche Farm erreichen würde, die ebenfalls ziemlich armen, aber braven, fleißigen Deutschen gehörte. Es waren noch zwölf Englische Meilen bis dorthin, und kein Haus lag dazwischen, kein Baum – unabsehbar mit dem wogenden Gras den Horizont begrenzend, dehnte sich die weite Prairie um ihn aus.
Erst unfern dem Haus lief ein kleiner Steppenstrom dem Wabasch zu, an dessen Ufer dichte Büsche von Weiden, Eichen, Erlen, und einzelne Hickorybäume wuchsen, und dem Platz etwas unendlich freundlich Heimliches gaben. Prairiehühner3 gab es dort ebenfalls in Menge; auch Kaninchen und die kleinen Rebhühner Nord-Amerikas – ein Mittelding zwischen Rebhuhn und Wachtel.
Die Ansiedlung, die hier stand, war noch ganz neu, das Land erst kürzlich urbar gemacht, aber mit einer prachtvollen Erndte wehenden Maises, die Blöcke zu der Hütte frisch gehauen, und sogar das von ihnen übrig gebliebene und dort zum Feuer gelassene Holz noch nicht ganz verbrannt. Ebenso bestand die Fenz aus ganz neu gespaltenen Riegeln, und selbst die Hühner, die vor dem Haus herumliefen, die Schweine, die dann und wann einmal einen vergeblichen Versuch machten, irgend wo eine Lücke in der Einfriedigung des Feldes zu entdecken und diesem einen Besuch abzustatten, die beiden Kühe, die zum Melken nach Hause gekommen waren, sahen aus, als ob sie dort noch nicht recht hingehörten, und keinen eigentlich bestimmten Platz hätten zu Aufenthalt und Wohnung. Weit eher hatten sich die Kinder eingerichtet, von denen drei vor dem Hause spielten und sich herumtummelten, und ein junges Mädchen von etwa vierzehn Jahren schien alle Hände voll zu thun zu haben, ihnen zu wehren und auf sie aufzupassen.
Heute gab es freilich auch etwas Neues für sie, das die Einförmigkeit ihres Steppenlebens auf erfreuliche Weise unterbrach, denn vor dem Hause hielt ein kleiner Karren, ein sogenannter Pedlar-Wagen, mit allerlei bunten, wunderhübschen Sachen zum Verkauf, und der Mann hatte gesagt, daß er die Nacht da bleiben und jedenfalls warten würde bis Vater und Mutter vom Felde heim kämen, ihnen seine Waaren auszupacken, von denen sie Manches brauchen könnten. Indessen zeigte er ihnen aber allerlei, und gewann ihre Herzen noch überdieß durch ein paar kleine Spielereien, die er ihnen preisgab. Endlich kamen die beiden Leute von ihrer Arbeit zurück, und während die Frau nach den Kühen ging, diese zu melken, trat der Bauer zu dem Pedlar, und reichte ihm die Hand.
»Guten Tag Landsmann – Ihr seid doch ein Deutscher, wie?« —
»Allerdings,« sagte der Pedlar, freundlich den Handdruck erwiedernd, »möcht's nicht verleugnen.«
»Möcht' Euch auch schwer werden,« lachte der Bauer, »Euer Gesichtsschnitt würd' Euch verrathen; nicht wahr Ihr seid von »unsere Leut«, wie wir bei uns zu Lande sagen?«
»Na, wie mer's so nimmt,« lachte Wald, denn es war unser alter Reisegefährte von der Haidschnucke, der hier seine Umstände als Pedlar schon so verbessert hatte, mit einem Güterkarren durch's Land fahren zu können, »wir leben wie die Christen, und handeln wie die Christen – der Mensch kann nicht mehr verlangen.«
»Aber Ihr eßt kein Schweinefleisch,« lachte der Bauer.
»Nu, was wär der mehr d'rum, wenn wir's nicht thäten,« sagte Wald achselzuckend, »aber setzt mich 'mal auf die Probe, besonders wenn Bohnen dabei sind.«
»Na, ein Mann ein Wort,« rief der Bauer, »das sollt Ihr heut' Abend haben, und Eueren Kasten könnt Ihr dann auch auskramen, wenn meine Alte mit Melken fertig ist; die hat schon die ganze Zeit lamentirt, daß sie kein Band und keinen Zwirn und keine Nadeln und Kämme und Gott weiß was hat; es ist in Ewigkeit kein Pedlar hier vorbeigekommen.«
»Glück muß der Mensch haben,« sagte Wald vergnügt, »da komm ich wieder einmal gerade recht, und was die Frau braucht, steckt da Alles im Karren d'rin.«
»Ja, glaub's schon, wenn nur da im Hause drin auch Alles stäk' um damit zu zahlen – na, aber so viel wird schon da sein. Und nun Cathrine, wie ist's mit dem Kranken drin?« wandte er sich dann an das junge Mädchen das, indessen die Eltern im Felde arbeiteten, auf die Kinder hatte Achtung geben müssen.
»Nun es geht wohl nicht gut Vater, er hat viel gestöhnt, ist aber vor einer Stunde etwa eingeschlafen und liegt jetzt ruhig.«
»Habt Ihr Jemand krank in der Familie?« frug Wald, »ich habe kleine Hausmittel bei mir, vielleicht kann ich da helfen.«
»Nein in der Familie nicht, Gott sei Dank,« sagte der Bauer, »aber ein Landsmann, ein Bischen ein verkehrter Kauz, der ein paar Wochen bei mir hier gewohnt, und hier versuchen wollte eine neue Erfindung zu machen, ist dabei gefallen und hat das Bein gebrochen. Da nun kein Arzt in der Umgegend zu haben ist, mußten wir es ihm selber zurechtrücken so gut es gehen wollte, und das, fürcht' ich, wird wohl nicht zum Besten geschehn sein. Wir können den armen Teufel aber nicht so verkommen lassen, und ich will lieber morgen nach Vandalia hinunterreiten und einen Doktor holen; es ist ein Bischen weit dazu, kann aber Nichts helfen.«
»Wie ist denn das gekommen?« frug Wald, »und wo hat er das Bein gebrochen?«
»Wo? – da hinten von dem Baume herunter,« sagte der Bauer, »seht Ihr die einzelne Eiche dort an der Prairie, an der die Balken lehnen? – dort drüben links.«
»Ja aber, was um Gottes Willen hatte er denn da oben zu thun?« frug Wald erstaunt.
»Ih nun, er hat eine neue Erfindung gemacht – er hat fliegen wollen, und das ist noch nicht recht gegangen.«
»Fliegen wollen, Gott der Gerechte, ich bin froh daß ich 'nen Karren habe auf dem ich fahren kann – fliegen, und da ist er von oben heruntergestürzt?«
»Wie ein Mehlsack – er hatte sich so ein Gestell gemacht wie ein Drachen etwa, aber ohne Bindfaden unten d'ran,« sagte der Bauer, »woran man sonst so ein Ding hält, daß es nicht wegfliegt; das war aber hier auch nicht nöthig, denn es kam gleich von selber herunter, und ich hätte gern gelacht, wenn's nur dem armen Teufel dabei nicht so schlecht gegangen wäre – es ist auch ein Deutscher.«
»Hm, hm, hm,« sagte Wald, »was es doch für wunderliche Menschen auf der Welt giebt, und macht er da ein Geschäft d'raus?«
»Nein, er ist eigentlich Cigarrenmacher – «
»Er heißt doch nicht Schultze?« rief Wald schnell.
»Schultze heißt er allerdings – am Ende kennt Ihr ihn gar.«
»Du lieber Gott; wenn's der ist den ich meine, sind wir miteinander über See herübergekommen, und er hatte da schon immer so einen kleinen Sparren; wenn's ihm nur nicht gar am Ende im Oberstübchen fehlt. Kann ich ihn einmal sehn?«
»Jetzt schläft er, wie die Cathrine sagt,« meinte der Bauer, »und da er die ganze Zeit über Schmerzen gehabt hat, wird's wohl besser sein wir lassen ihn ruhig liegen, bis er von selber aufwacht.«
»Und wie lange ist's her, daß er das Bein gebrochen?« frug der Pedlar.
»Heute gerade elf Tage,« sagte der Bauer.
»Gerade elf, hm – arme Teufel – hat er denn Geld?«
»Nun ein Bischen was wohl,« meinte der Bauer achselzuckend, »er kam hier durch, und die Gegend gefiel ihm hier für das was er machen wollte, wie er sagte.«
»Er meinte, er könnte hier recht hübsch in der Prairie herumfliegen?«
»Wahrscheinlich so – und er bot mir ein und einen halben Dollar wöchentlich, wenn ich ihn ein paar Monate beköstigen wollte, bis er mit seiner Arbeit fertig wäre. Nu ja, viel zu verdienen war da nicht dabei, aber ein Bischen baar Geld thut auch gut, und da's ein Deutscher war, und sonst ein ordentlicher Mann schien, sagten meine Alte und ich ja. Jetzt liegt er nun freilich da, und wir haben die Sorge und Noth mit ihm, können ihn aber nun auch nicht im Stich lassen, bis er wieder gesund ist und sich selber helfen mag.«
»Das ist brav von Euch gehandelt,« sagte Wald, »hier in dem Amerika weiß man nie wie Einer den Andern braucht; aber da kommt die Frau, nun kann ich meine Sachen auspacken, daß wir noch fertig werden eh' die Sonne unter ist; nachher wird's dunkel im Handumdrehen.«
»Guten Tag miteinander,« sagte die Frau zu dem Pedlar tretend, und ihm die Hand reichend, »na das ist recht daß endlich einmal Einer von Euch sich hierher verliert, wir haben lange darauf gewartet. Was habt Ihr denn da in Euerem Karren drin?«
Wald säumte nicht seine Waaren anzupreisen, und die verschiedenen Kästen und Schubfache herausziehend, legte er den Blicken der jetzt um ihn herdrängenden Familie die Herrlichkeiten offen, die, aus den Städten des Ostens hergeführt, die Herzen in den westlichen Prairieen entzücken sollten.
Viel Geld hatten die Leute nun zwar nicht an derlei Gut zu wenden, Manches aber wurde wirklich nothwendig gebraucht und mußte geschafft werden, und ging der Mann auch einmal in die ziemlich fern liegende Stadt, konnte er's doch nie im Leben so aussuchen wie die Frau, und die Pedlar bleiben deshalb auch immer den Frauen willkommene Gäste.
Eine Anzahl Kleinigkeiten war indessen ausgesucht und bezahlt worden, und obgleich der Pedlar bat, die Frau möchte das Nachtquartier in Abzug bringen, wollte diese doch davon Nichts hören. Sie hätten so Nichts großes zu bieten, und für ein Nachtquartier dürften sie kein Geld nehmen, das ginge nicht an – »aber wie ist mir denn,« setzte sie hinzu, den Pedlar dabei immer schärfer und aufmerksamer ansehend, »ich dächte doch, wir hätten einander schon einmal gesehn?«
»Wär wohl möglich,« lachte Wald, »ich zieh' nun schon ein paar Jahr lang die Kreuz und Queer im Lande herum – hierher bin ich aber doch noch nicht gekommen.«
»Es war auch nicht hier,« sagte die Frau, ihn immer stärker in's Auge fassend, »es war unten noch am Wasser, gleich wie wir ankamen – Jesus, Heinrich, sieh mal, ist das nicht der Mann, der mir den halben Dollar gab, den Kindern Milch dafür zu kaufen?«
»Seid Ihr die Leute, die da unten in New-Orleans an der Levée saßen und kein Brod und keine Arbeit hatten?« frug aber nun Wald seinerseits wirklich erstaunt, »alle Wetter, dann habt Ihr Euch aber tüchtig herausgearbeitet in der kurzen Zeit.«
»Siehst Du's, er ist's,« rief aber die Frau, rasch und herzlich Wald's Hand ergreifend, »wenn nur ein Mensch wüßt' wie ich mich danach gesehnt habe Euch wieder zu sehn, und Euch danken zu können.«
»Ah, papperlapapp,« sagte Wald, abwehrend, »macht kein Aufhebens von der Läpperei – ich wollt' ich hätt' mehr thun können.«
»Ich glaub's Euch,« sagte der Mann jetzt auch, dem Juden die Hand reichend und derb drückend, »Ihr habt das Herz auf dem rechten Fleck, gerade wo's hingehört.«
»Ihr wißt aber gar nicht wie Ihr uns damals geholfen habt,« sagte, mit Thränen in den Augen, die Frau, als sie an die schwere Zeit zurückdachte, »wir anderen hätten uns helfen können, aber das Kleinste schrie nach Milch, und ich hatte keinen Tropfen mehr für das arme Würmchen. Seht jetzt den Jungen an, was für ein kräftiger Bengel das geworden ist; wer weiß ob er sich jetzt dort so herumtummelte, wenn Ihr uns nicht damals beigestanden. Lieber allmächtiger Gott, Du magst mir die Sünde verzeihen, aber ich wäre lieber mit ihm in's Wasser gesprungen wie nicht, so weh, so traurig war mir um's Herz, weil sich so gar Niemand um uns kümmerte, und es allen Menschen eben ganz gleichgültig zu sein schien, ob wir da am Flußufer verdarben oder nicht. Euer Geschenk brachte mir zuerst wieder, mit der Hülfe, Hoffnung in's Herz, und von dem Augenblick auch an schien's beinah, als ob es hätte besser werden sollen.«
»Auf gefundenem Gelde ruht ein Segen,« lächelte Wald.
»Ich glaub's Euch nicht, daß Ihr es gefunden habt,« sagte die Frau, ihn scharf ansehend.
»Und mir hat's seit der Zeit immer schwer auf der Seele gelegen, Geld genommen zu haben, was ich nicht verdient hatte,« sagte der Mann, »es war das erste Mal gewesen, und Gott sei Dank, daß wir jetzt im Stande sind es mit tausend Dank zurückzuzahlen.«
»Wie heißt zurückzahlen,« sagte Wald halb verlegen, halb lachend, »hab' ich's mir doch schon selber wieder geholt – zurückzahlen, was sagen Sie zu dem Mann; hab' mit ihm um sieben Dollar Geschäfte gemacht, und werde den halben nicht dabei haben.«
Wald war in der That auf keine Weise zu bewegen etwas, was er für einen Nebenmenschen gethan, »bezahlt zu nehmen«, und der Bauer mußte ihm jetzt erzählen wie es ihm hier so schnell geglückt. Ohne Mittel auf's gerathewohl hin, und einen Theil seiner Sachen verkaufend nur die Passage zu zahlen, war dieser mit seiner Familie nach Illinois gekommen und hatte da ein kleines Stück Land zuerst gepachtet. Die Erndte, von der er einen Theil abgeben mußte, war trefflich gerathen, und so langsam fortarbeitend hatte er jetzt den kleinen Platz, mit der Zeit ihn in den nächsten Jahren langsam abzuzahlen, käuflich übernommen.
Wie sie noch so zusammen plauderten, und der Bauer nicht müde wurde dem Krämer von den Vorzügen des Landes zu erzählen, kam noch ein Reiter die Straße nieder die zum Hause führte, und hielt neben der Gruppe.
»Hallo Wald! so fleißig und eifrig im Geschäft, hier mitten in der Prairie?« rief diesen da die freundliche Stimme Georg Donners an.
»Herr Donner, wahrhaftig!« sagte aber auch Wald, ihm die Hand auf das Pferd entgegenstreckend, »woher des Wegs?«
»Vom Norden herunter – guten Abend Ihr Leute, wie weit ist's noch bis zum nächsten Haus dahinein zu?«
»Nach der Richtung hin liegt keins,« sagte der Mann, »bis Ihr nicht zum nächsten Waldstreifen kommt, und der ist sieben englische Meilen von hier entfernt. – Dort wohnen Irische, aber eben kein freundliches Volk, und je weniger man mit ihnen verkehrt, desto besser.«
»Ja, ich bäte Euch gern, Leute, ob Ihr mich die Nacht hier behalten wolltet,« sagte Georg, »aber Ihr habt schon Besuch, und in dem Häuschen möcht' ich Euch auch nicht gern beschränken.«
»Das thut Nichts,« sagte die Frau freundlich, »wir müssen uns eben einrichten, und dürfen schon einen Landsmann nicht dicht vor Sonnenuntergang von der Thür weisen.«
»Ja und den schon gar nicht,« rief Wald rasch, »denn erstens ist er ein braver Kerl, und zweitens ein Doktor!«
»Ein Doktor?« riefen die beiden Leute rasch, »ja das wär schon recht!«
»Ist Jemand krank hier bei Euch?« frug Georg.
»Ein Schiffskamerad von uns Beiden, die Nachtigall, Herr Donner, von der Haidschnucke hat das Bein gebrochen, und liegt im Haus drin schon elf Tage ohne ärztliche Hülfe.«
»Aber so steigen Sie doch nur ab,« bat der Mann.
»Du lieber Gott,« sagte Georg, aus dem Sattel springend, und den Zaum über einen Zweig des nächsten Baumes werfend, »da ist's ja doch die höchste Zeit daß irgend etwas für den armen Mann geschieht.«
»Aber er schläft jetzt,« sagte das älteste Kind, »ich habe deshalb die Kleinen aus dem Haus genommen, weil er so lange schon keine ordentliche Ruhe gehabt hat.«
»Ich will ihn nicht stören,« sagte Georg, »nur wenn er wacht geh' ich zu ihm; aber ich möchte ihn wenigstens sehn – liegt er in diesem Haus?«
»Gleich links am Kamin auf dem kleinen Bett.«
Georg schlich auf den Zehen in's Haus, aber wie er nur über die Schwelle trat, hörte ihn der Kranke, drehte den Kopf nach ihm um, und streckte ihm dann rasch und freudig die bleiche abgemagerte, zitternde Hand entgegen.
»Donner, Sie sendet mir Gott selber, und von jetzt glaub' ich an Wunder!« sagte er, und die Stimme klang hohl und matt; »guter Himmel, was habe ich ausgestanden – wie führt Sie denn jetzt mein Schutzgeist her zu mir?«
Georg ließ sich aber auf keine weiteren Erklärungen und Auseinandersetzungen ein, bis er nicht den Bruch untersucht hatte. Viel war dabei schon in der langen Zeit, in der er uneingerichtet gelegen hatte, verloren, und das rechte Schienbein, das bei dem Sturze, wie es schien, schräg abgebrochen, noch ziemlich stark geschwollen. Er gab aber die Hoffnung nicht auf noch Alles gut werden zu sehn, ging vor allen Dingen mit der Axt hinaus an den kleinen Fluß, sich selber die passenden Rindenstücken zu Schienen abzuschlagen, und richtete den Bruch erst ordentlich ein, schiente und band ihn, und stellte dann mit Walds Hülfe, der Manches dazu in seinem Karren mit sich führte, eine Art Schwinge her, in der sie das Bein frei schwebend hängen konnten, was dem Kranken große Erleichterung gab, und ein wieder Verschieben des Knochens verhinderte.
Indessen war es dunkel geworden, der Mann hatte die beiden Pferde seiner Gäste in einen Verschlag gebracht und ihnen dort Mais eingeschüttet, die Frau kochte emsig am Kamin das Abendbrod für ihre gern bewirtheten Gäste, und Schultze mußte nun Georg und Wald, dem er ebenfalls herzlich die Hand geschüttelt, erzählen, wie er zu dem unglückseligen Sturz gekommen. – Georg Donner hatte nämlich noch gar keine Ahnung, was er hier für Unsinn getrieben.
»Wie, um Gottes Willen kamen Sie zu dem Bruch, lieber Schultze,« frug er ihn, als er neben dem Bette saß und seine Hand dabei dem kleinen jetzt überglücklichen Mann, der sich schon der schwärzesten Verzweiflung hingegeben, überließ.
»Der Schwanz war zu kurz, lieber Herr Donner, ich hab' es mir gleich gedacht; aber es hatte wahrhaftig keinen andern Grund, der Schwanz war um dritthalb Fuß zu kurz.«
»Aber von was in aller Welt reden Sie denn?« rief Georg, auf's Äußerste erstaunt.
»Nun von meinem Drachen – ich sage Ihnen Herr Donner, wenn ich den unglückseligen Fall nicht gethan hätte, flög ich jetzt im ganzen Lande umher. Ich habe das Geheimniß gefunden, das uns wieder zu unserer alten verlorenen Eigenschaft verhelfen soll.«
»Aber bester Herr Schultze, was machen Sie für Streiche,« lachte Georg, als ihm ihr Wirth jetzt ebenfalls mit kurzen Worten die ganze Geschichte erklärt hatte, wie sich Herr Schultze mit unendlicher Mühe aus Schilf und Rohrwerk und Seide ein breites Gestell gebaut, dieses dann oben an dem Baum befestigte, und bei einer frischen Brise endlich, wo sich die Fläche von selber an zu heben fing, oben darauf gestiegen wäre und die Seile durchgeschnitten hätte, wonach der Drache, oder wie es sonst heißen möchte, auf der einen Seite übergekippt wäre, Herrn Schultze heruntergeworfen, und sich selber im nächsten Baume wieder gefangen hätte.
»Was ich für Streiche mache, bester Donner?« rief aber Schultze, »ich schlage mein Leben für die Wissenschaft in die Schanze, das mache ich. Meine feste, innige Überzeugung ruht auf dem System, und ich weiß, daß ich es durchsetze; was liegt daran, ob ich später noch einmal ein oder beide Beine breche, ich werde doch in meinem Leben nur noch sehr wenig gehn, denn nicht allein bin ich dahinter gekommen wie die Flugkraft am Besten herzustellen ist, nein ich bin auch im Stande, mein später vervollkommtes Luftschiff in eine höhere oder tiefere Luftschicht zu lenken und es dort zu steuern – was sagen Sie nun, Freundchen?«
»Daß Sie, sobald Ihr Bein wieder geheilt ist, mit diesen Ideen nächstens den Hals brechen werden,« erwiederte Georg achselzuckend; »was aber um des Himmels Willen hat Sie auf diese unglückselige, brodlose Idee gebracht? – was wollen Sie damit bezwecken, was hilft es Ihnen, wenn Sie wirklich eine Strecke durch die Luft fliegen und mit unzerbrochenen, unverrenkten Gliedern wieder auf Gottes Erdboden kommen?«
»Das kann ich Ihnen nicht so auseinandersetzen, mein junger Freund,« sagte aber Schultze, ernst und recht wehmüthig dabei mit dem Kopfe schüttelnd, »das ist das Ziel, die Aufgabe meines Lebens, für die mich Gott eigends geboren und in die Welt gesetzt. Ich fühle das auch in mir, ja was noch mehr ist, ich fühle daß ich es durchsetzen werde, daß ich bestimmt bin, der Menschheit eine neue Ära zu gründen, oder vielmehr unsere jetzige Bahn zu dem alten Punkt zurückzuführen. Die Kraft und Eigenschaft, die wir einst besessen, haben wir nicht verloren, sondern nur auf eine Zeitlang vergessen. Es ist das Ei des Columbus; wenn gefunden, wird die ganze Welt schreien: »ja das ist gar Nichts – wenn wir das so gemacht hätten, hätten wir's auch gekonnt.« Die Sache ist aber die, sie haben's nicht so gemacht, und Schultzes Name, mein lieber Freund, Benjamin Schultze wird unsterblich werden.«
»Wenigstens bald zu den Unsterblichen gehören, wenn Sie in der Art fortfahren,« lächelte Georg. »Ich will eine mögliche Ausführbarkeit der Luftschifffahrt gar nicht etwa bestreiten; es sind in den letzten Jahren andere Sachen möglich gemacht, die wir früher für eben so unmöglich gehalten; aber ich fürchte, lieber Schultze, Sie haben das Zeug nicht dazu etwas derartiges durchzuführen. Ihnen stehen keine bedeutende Mittel zu Gebote, Sie haben auch, so viel ich weiß, keine mechanischen Kenntnisse, Sie in der Ausführung eines solchen Plans zu unterstützen, und der gute Willen genügt dazu nicht. Dieser Sturz sollte Ihnen deshalb eine Warnung sein; Sie kommen dießmal noch hoffentlich mit ein paar Monate Hinken davon – daß es nicht später schlimmer wird.«