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Kitabı oku: «Pfarre und Schule. Erster Band.», sayfa 4

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Fünftes Kapitel.
Der alte Jäger

Indessen war Hennig, aus dessen innerstem Herzensschacht das Gespräch mit dem Diaconus wohl auch manch trüben Gedanken zu Tage gefördert haben mochte, ebenfalls aus dem Dorf heraus und durch den Wald geschlendert. Ihn trieb es, allein zu sein, denn das was ihm auf dem Herzen lag war zu schwer, zu freudlos als daß er es mit dem armen Mann, der schon für sich ein so tüchtiges Bündel zu tragen hatte, hätte theilen mögen. Es wurde Mittag, und er wußte, daß sie daheim auf ihn mit dem Essen warteten, aber er konnte sich jetzt nicht gleich wieder unter Menschen setzen, jetzt nicht gleich wieder über alltägliche Dinge plaudern oder »wichtige Schulberichte« mit anhören, wo ihm das ganze Leben so schal und nichtig vorkam, daß er sich ordentlich nach freier Luft und nach stillen grünen Waldesbäumen sehnte. Denen konnte er sein Leid klagen, ohne von ihnen verhöhnt zu werden, ja die nickten wohl auch mitleidig dazu mit dem Kopfe und schienen in ihrem stillen geheimnißvollen Rauschen mit ihm trauern, mit ihm zu dulden.

Es war etwa drei Uhr Nachmittags, als er erst wieder an die Rückkehr dachte; lange schon hatte er den Fuhrweg verlassen und die Biegung einer Waldwiese beibehalten, die sich wohl eine gute Stunde Weges lang am Bergeshang hinzog und erst oben wieder durch einen schmalen Fußpfad mit der Straße zusammen hing, die auch die beiden Mädchen eingeschlagen hatten, und die sonst nur gewöhnlich benutzt wurde, um die oben auf dem Bergeskamm gehauenen Stämme hinunter nach der Thalmühle zu schaffen.

Anstatt aber gleich den kleineren Pfad einzuschlagen, wandte er sich ein wenig links drei hohen Eichen zu, die hier stolz aufragend über die niederen düsteren Fichtenstämme emporschauten. Dort quoll aus dem weichen lauschigen Moos ein klarer Quell hervor, und rieselte mit leisem Murmeln durch die weiche, torfige Rasendecke hin in das Thal hinab, wo er sich – anstatt bedächtig, wie es der größere und verständigere Bach that, an der Abdachung hin zu gleiten und unten, in der weidenumgürteten Schlucht langsam in die Rausche hinaus zu treten – in tollem Muthwillen ordentlich die steilsten und schroffsten Felsenhänge aufzusuchen schien und in jähen kecken Sprüngen, über moosigen Stein und starre Lehmbank weg, wild und sprudelnd und weißen Schaum jubelnd um sich her sprühend, in den unten froh vorbeibrausenden Fluß sprang.

Diese Quelle suchte Hennig auf, denn ihn dürstete, als er aber den Fuß der Eichen erreichte, sah er, wie sich dort eine menschliche Gestalt bewegte; gleich darauf schlug ein Hund an und er erkannte näher tretend, den alten Jäger Holke, der hier beschäftigt war, ein anscheinend erst verendetes Reh aufzubrechen. Sobald der aber die Schritte hinter sich und das Bellen des Hundes hörte, hatte er, rasch auffahrend, nach der Flinte gegriffen, jetzt jedoch, als er sah wer es war, lehnte er diese wieder an den Baum, und fuhr, sich nur halb nach Hennig umwendend, in seiner Arbeit fort.

»Halloh Schulmeister« rief er dabei und stieß, um den Schlund des Rehes einzuknüpfen, den Genickfänger neben sich in eine der moosbewachsenen Eichenwurzeln – »was zum Blitz und Hagel treibt Euch denn zur Schulzeit mitten in den Wald hinein? es ist Euch doch nicht irgend ein Junge entlaufen, den Ihr wieder suchen wollt? Das ist schwere Arbeit ohne Spurschnee!«

»Guten Tag, Förster« sagte Hennig und ließ sich langsam zwischen diesem und der Quelle, aber dicht neben der letzteren nieder; er war durch das lange einsame Umherstreifen wieder ruhig, ja fast heiter geworden, und freute sich den alten Mann hier gefunden zu haben, den sie alle im Dorfe lieb hatten und der, wenn auch ein Bischen derb, ja oftmals grob in seinem Wesen, doch treu und aufrichtig war, und Niemandem etwas in den Weg legte oder zu Leide that – »man sieht es daß Ihr schon lange aus der Schule seid, Ihr müßtet sonst wissen, daß die Sonnabende frei sind, und an ihnen keine Schule gehalten wird.«

»Das ist eine neuere Mode,« brummte der Alte, »zu meiner Zeit waren nur die Nachmittage frei, in den Vormittagen quälten sich aber die Lehrer auch ein Bischen mit den Bälgern, und ließen sie nicht den ganzen lieben ausgeschlagenen Tag den Eltern über dem Hals.«

»Die paar Vormittagsstunden« erwiederte ihm lächelnd der Lehrer, »die wir am Sonnabend Morgen gewinnen, geben wir reichlich in der Woche zu, wo wir mehr Unterrichtsstunden halten, als uns das Gesetz eigentlich für den ganzen Zeitraum der Woche vorschreibt. – Doch wenn habt Ihr denn das Reh geschossen, es scheint noch ganz frisch und es hat doch, seitdem ich hier in der Nähe bin, nicht ein einziges Mal geknallt.«

»Werd' es wohl mit Baumwolle oder Hanfleinen geschossen haben,« brummte der Jäger – »das knallt nicht und macht auch keinen Rauch – ist eine kostbare Erfindung – ich wollte daß die verdammten Stubenhocker in der Stadt, die derlei Geschichten ausbrüten, sich und ihren nichtswürdigen Krimskram bis in die Mitte nächster Woche hineinsprengten, nachher würde die liebe Seele wohl einmal auf eine Weile Ruhe haben.«

»Halloh Förster, Ihr seid ja entsetzlich böse und brummig heute, was ist denn vorgefallen? – wieder einmal Streit mit dem Pastor gehabt? –«

»Der Pastor soll zu – Grase gehn, wie's mir d'ran liegt«, knurrte der Jäger, »hab' ihn Gott sei Dank seit acht Tagen gar nicht zu Gesicht gekriegt. So lange wir so weit auseinander wohnen, sind wir uns auch recht herzlich grün; hm –«

»Ihr seid merkwürdig übler Laune heute« sagte Hennig und richtete sich von der Quelle, an der er eben getrunken wieder auf – »ist denn irgend etwas geschehn, was Euch geärgert hat?«

»Aergern?« wiederholte der Jäger und drückte mit geschickter und starker Hand die feste Klinge in das Schloß des Rehes, »da soll sich auch Einer nicht dabei ärgern, wenn er in der Jahreszeit eine Rikke aufbrechen muß, die ein paar Wochen später das schönste junge Kalb in den Wald gesetzt hätte, das einmal tüchtiges Gehörn getragen. Geärgert? – Das Herz im Leibe drehte sich Einem bei solcher Arbeit um, und man möchte sich wahrhaftig lieber wünschen unter Kannibalen, als unter einer solchen verdammten Aasjägerrace zu leben, die das Kind im Mutterleibe nicht verschonen. Wer in der Jahreszeit nach einer Rikke schießen kann, der schlägt auch seinen eigenen Bruder um acht alte Groschen todt.«

»Also Ihr habt das Reh nicht geschossen?« frug Hennig, der wenig oder gar Nichts von der Jagd verstand, ruhig.

»Wer? – ich?« – schrie der alte Mann, und warf dem Lehrer einen ingrimmig wilden Blick zu, sich plötzlich aber besinnend, daß der da, der eben die Frage an ihn gerichtet, seinem eigenen Ausdruck nach »ein Stück Wild kaum von einer Windmühle zu unterscheiden vermochte,« warf er seufzend das Gescheide mit dem jungen Kalbe bei Seite, hob das jetzt fertig ausgeworfene Reh an die Quelle, wo er es mit dem klaren Wasser derselben rein auswusch, und sagte dann, nachher seine eigenen Hände und den Genickfänger ebenfalls darin abspülend.

»Man darf's Euch nicht so übel nehmen, Ihr verstehts nicht besser. Das laßt Euch aber gesagt sein, und es wäre gut Ihr prügeltet das jetzt schon Eueren Jungen ein, wenn's die Flegel auch später wieder vergessen – daß es Sünde und Mord ist überhaupt eine Rikke, besonders aber noch dazu im Frühjahr, zu schießen. Verstanden?«

»Eine Rikke ist das Weibchen vom Rehbock?« frug der Schulmeister den Jäger.

»Ja!« sagte der Forstmann, und warf einen halb spöttischen, halb mürrischen Blick nach dem Frager – »die Sie'n.«

»Aber wer hat denn die Rikke geschossen?« fuhr Jener, sich überall umschauend, fort, »sind etwa Wilddiebe hier im Holz?«

»Wilddiebe?« wiederholte der alte Jäger mit vieler Bitterkeit, »Wilddiebe? nein bei Gott, der Name ist noch viel zu ehrlich, und klingt zu rechtschaffen für solch nichtsnützige miserable Bande. Ich habe auch gewilddiebt zu meiner Zeit, und ich kenne ganz respektabele Leute, die ebenfalls Wilddiebe sind – wenn ich auch nicht etwa den Schuften das Wort reden will, die heimlicher Weise und bei Nacht und Nebel auf's Revier kommen, und Einem die paar Rehe, die noch dastehen, über den Haufen legen, daß man nicht einmal Schießgeld davon bekommt, die aber, die solch ein armes Geschöpf und zu solcher Zeit mit dünnem lumpigen Hühnerschrot waidewund schießen, oder vielmehr bloß im Wald herum liegen und nach allem plaffen, was rauch ist, und bei denen es nachher heißt, ›krieg ich's so ist's gut; und krieg ich's nicht, so hab' ich nichts verloren,‹ das ist eine gottverfluchte Mörderbande, die man bei den Beinen aufhängen sollte, daß sie nur einmal erfährt, wie es thut, wenn man rothes warmes Blut im Herzen hat.«

»Es scheint als ob das ungesetzliche Schießen jetzt überhaupt hier Ueberhand nehme« sagte Hennig; »die Leute benutzen die im Lande herrschende Aufregung und denken gerade in dieser Zeit am allerleichtesten ungestraft davon zu kommen.«

»Ungestraft? – nun ich wünsche mir nur, daß ich einen von den vermaledeiten Aasjägern einmal zum Schuß bekomme, ob der nachher davon reden wird, daß er ungestraft im Frühjahr eine Rikke angeflickt hätte, daß das arme Geschöpf helle Tage lang mit dem zerschossenen Kalb im Walde herumächzen muß.«

»Wenn die Leute aber nun das Recht dazu bekommen, Förster?« frug der Schullehrer – »wir leben jetzt in einer gewaltigen Zeit, wo der lang Unterdrückte endlich das Haupt erhebt und zu fühlen anfängt, daß er auch ein Mensch ist wie der, der ihm bis dahin die Ferse im eigenen Nacken gehalten; ja wenn sie sich das Recht wirklich nehmen, auf ihrem eigenen Lande jagen zu dürfen, was, ihnen zu verwehren auch, meiner Ansicht nach, eine reine Ungerechtigkeit ist, wie dann? wie wirds nachher mit der Jagd aussehen?«

»Unsinn!« knurrte der alte Jäger und schlug sich rasch wieder Feuer an, was er, während der Schulmeister mit dem eben Gesagten eine Masse höchst fataler Bilder vor ihm heraufbeschworen, indessen eingestellt hatte – »Unsinn – fragt doch lieber wie's im Monde aussehn wird, wenn die Erde einmal aus Versehen zusammenfällt. Ein Recht, hochbeschlagene arme Geschöpfe Gottes krank zu schießen? Ein Mord bliebe das, ob die verdammten Tintenklekser in der Stadt auch ganze Schreibstuben voll Bände und Akten darüber schmierten. – Und dann das Schießen nachher; ei wenn sie Jedem verstatteten auf seinem eigenen Grund und Boden zu schießen – hahahaha – dann möchts nachher schön im Lande aussehen. Wer sollte denn da noch riskiren auf die Landstraße, oder überhaupt in den Busch zu gehn? Wäre man wohl seines Lebens sicher, und könnte einem nicht hinter jeder Hecke so ein blinder Bauer eine Ladung Schrot in den Pelz schicken? Und was würde nachher aus dem Wild, wer sollte denn da schonen, heh, wenn man Nichts wie Grenze hat; und ein Huhn ließe sich ja fast gar nicht mehr auf eignem Lande schießen, das wäre immer und ewig über anderer Leute Feld. Auch – Unsinn, ich habe wohl davon gehört, daß sie in Berlin und Wien, oder wie die Städte heißen, Revolution gemacht und das unterste zu oberst gekehrt haben sollen, und daß jetzt besonders der Bauer und Handwerkerstand an die Reihe kommt, sein Fett oben abzuschöpfen, aber die Jagd frei, ne Schulmeister, da haben sie Euch was aufgebunden, damit wird's Nichts – hoffentlich Nichts, so lange wenigstens diese alten Knochen noch im Walde herumlaufen. Wenn die erst einmal unter der Erde liegen – nun dann meinetwegen, dann mag mein Fritz sehen wie er anders durch die Welt kömmt, mit der Jagd ist's ja auch ohnedieß schon, selbst wenn sie keine Jagdfreiheit geben, vorbei.«

Der alte Mann war ganz schwermüthig geworden, und zog, finster dabei vor sich nieder schauend, die dichten blauen Wolken aus dem kleinen unbeschlagenen Maserkopf.

»Und was wollt Ihr mit dem Reh da jetzt anfangen?« frug Hennig, als der Jäger endlich mit einem plötzlichen Ruck seinen Genickfänger in die Scheide zurückstieß, die Jagdtasche umwarf, die Mütze fester in die Stirn drückte, und nach der neben ihm lehnenden Doppelflinte griff, »werden sie's hier nicht stehlen?«

»Ich werd's ihnen vertreiben;« brummte der Alte, »nein wahrlich, anvertrauen möcht ich's der Bande keinen Augenblick, denn die Schufte wissen gar prächtig, daß ein Rehrücken gut schmeckt, und daß es sich wohl der Mühe lohnte ihn nach Hause zu tragen; aber mein Fritz ist schon nach den Holzschlägern gegangen, die unten im ›Buchentrog‹ die Stöcke ausroden, einer von denen mag das Reh in's ›Stadtviertel‹ tragen, dort wollten sie gern Wild haben, die wissen's auch nicht besser, und ich bin froh wenn ich von dem armen Ding da gar nichts weiter mehr zu sehn bekomme.«

»So geht Ihr also jetzt mit mir nach Horneck zurück?« frug Hennig. –

»Habe Nichts dawider« lautete die Antwort »mit meiner Runde bin ich durch, und – zu schießen giebts auch Nichts mehr im Wald heute, da mag ich eben so gut heimtraben.«

Und damit warf er noch einen halb mitleidigen, halb mürrischen Blick auf das zerwirkte Reh zurück, hing sich die Flinte über die Schulter, und schritt rasch, und von Hennig gefolgt, auf dem schmalen Fußwege hin, der sie der breiteren Straße zuführte. Noch waren sie nicht lange gegangen, als sie diese auch erreichten, und nun langsamer, um die milde Luft besser genießen zu können, die ihnen warm und labend aus Süden her entgegenströmte, ihren Weg dem noch etwa eine gute Stunde entfernten Horneck zu fortsetzten.

»Wie still das hier zwischen den Bäumen,« sagte Hennig endlich, als sie eine ganze Zeit lang schweigend neben einander hingeschritten waren; »es rührt und regt sich Nichts, und wenn nicht manchmal ein Holzhehr oder eine alte Krähe ihre rauhen Laute durch den Wald schickten, so sollte man glauben, der ganze Forst sei ausgestorben. Ich weiß, früher, als ich noch in der Stadt auf der Schule war, da glaubte ich immer, wo Wald sei, da müsse es auch Hirsche und wilde Thiere geben, und in dem kleinen Hölzchen dicht an der Stadt, durch das wir Sonntags Nachmittags immer nach Weinhausen zu spazieren gingen, sah ich mich, sobald wir in den dunkeln Schatten traten, eben so regelmäßig nach irgend einer reißenden Bestie um, und war dann sehr bestürzt, wenn ich ›nicht einmal einen Hirsch‹ zu sehen bekam.«

»Die Zeiten sind vorbei,« sagte der Jäger traurig, und mit einem tiefen Seufzer, »ja vor zwanzig und fünf und zwanzig Jahren, wo Schwarz- und Edelwild hier in jeder Schlucht seine Fährten eindrückte, wo in der Brunftzeit die alten Zwölf- und Sechzehenender wie besessen herumliefen, und ich schon in meinem sechzehnten Jahre mit eigener Hand drei Hauptschweine erschossen hatte, ja da war es noch eine Freude, ein Waidmann zu sein, damals war der Jägerstand auch noch geehrt, und mit Horn, mit Meute und Büchse zog man zur fröhlichen Lust in den Wald. Jetzt – ist der Name Jäger fast nur noch zum Hohne geworden; eine Flinte auf der Schulter und Blei darin, gerade stark genug, Sperlinge zu schießen, hat man weiter auf der Gotteswelt Nichts zu thun, als auf die Holzschläger zu passen, und den Holzdieben allenfalls aufzulauern; vor Wilddieben braucht man sich beinah nicht einmal mehr zu fürchten, denn die Zeit ist gar nicht mehr fern, wo man Hirsche auf der Messe, und Rebhühner zahm in Käfichen zeigen wird.«

Sie hatten jetzt gerade eine der Waldhöhen erreicht, von der sie die Aussicht in eine flache, mit Laubholz bewachsene Abdachung bekamen; auffallend war hier eine niedere breitastige Zwergbuche, die mit sehr starkem Stamme, die Wurzeln fast ganz entblößt von Erdreich, gerade inmitten der Senkung stand, und die knorrigen, aber dafür desto kräftigeren Zweige links und rechts so weit ausstreckte, daß sie den Abhang an beiden Seiten berührte. Hier blieb der Jäger stehen, nahm die Flinte herunter, stützte sich darauf, und schaute eine ganze lange Weile nach der »Delle« hinein, die sich, bald nachher rechts abbiegend, der Rausche zuzog, in die sie, etwas weiter unten, ebenfalls eine Quelle hineinsandte.

Hennig schaute aufmerksam nach derselben Richtung hin, weil er glaubte, der alte Mann bemerke dort irgend ein Stück Wild oder sonst etwas Auffallendes; es ließ sich aber Nichts erkennen, nur die verwachsene Buche streckte die wunderlich geformten Arme wie zornig und trotzig gegen die schlank und stolz auf sie herabschauenden Tannen und Fichten aus.

»Was giebt es denn, was habt Ihr hier: war dort etwas?« frug der Lehrer.

»Ja, – Ihr habt Recht, dort war wirklich etwas,« erwiederte ihm rasch, und sich wieder zum Gehen wendend, der Forstmann, – »aber jetzt ist's vorbei. – Drei und vierzig Jahre sind's nun her, daß ich gerade an der Buche meinen ersten Hirsch schoß – und was für einen capitalen Burschen. Der Schuß war auch die Ursache, daß ich meine Alte, die jetzt lange unter der kühlen Erde schlummert, bekam, denn der Oberförster freute sich unmenschlich über das prachtvolle Geweih, ein ungerader Zweiundzwanzig-Ender. Donnerwetter, das war ein Hirsch, und ich sehe ihn jetzt noch, wie er nach dem Schusse einem Ungewitter gleich durch die Büsche und Zweige rasselte.«

»Ihr hattet Euch an ihn hinangeschlichen,« ermunterte ihn der Lehrer, dem es mehr Freude machte, den alten Mann erzählen zu hören, als daß er sich selbst groß für die Jagd interessirt hätte.

»Hinangeschlichen?« wiederholte der Alte, in der Erinnerung an den schönen Jagdzug schwelgend, »ei ich war damals ein junger gewandter Bursch, aber das Menschenkind hätt' ich sehen mögen, das sich an den alten schlauen Gesellen hätte hinanschleichen mögen; ob der sich gewitzigt zeigte? Das erste, was man von ihm stets zu sehen bekam, war der weiße Spiegel. Nein, Schulmeisterchen, selbst der Oberförster mußte wohl schon mehr als zwanzig Mal dem Stück Wild zu Gefallen gegangen sein, ohne es auch nur ein einziges Mal ordentlich zum Schuß zu bekommen, denn grad hinaufblaffen, wenn sich was Rothes in den Büschen zeigt, wie es die sogenannten Jäger in jetziger Zeit machen, das wollte er auch nicht. Mich wurmte aber die Geschichte, ich konnte nicht schlafen mehr, denn im Wachen wie im Traume sah ich den Hirsch, der mir immer bald auf die eine, bald auf die andere Art entging. Zu der Zeit war ich auch des Revierjägers Tochter gut, der Vater wollte aber von einer Heirath Nichts hören, und meinte nur einmal, aber natürlich auch bloß im Spaß, ich sollte erst versuchen, ob ich nicht den starken Hirsch umlegen könnte, nachher wollten wir wieder davon sprechen.«

»Jetzt war's nun gar mit mir aus, sobald ich mich niederlegte, und die Augen zumachte, stand er vor mir, und äugte nach mir herüber, und dann hatt' ich nie die Büchse geladen, oder konnte die Kugel nicht in den Lauf kriegen, oder das Pflaster hing mit anderen zusammen, oder der Ladestock saß fest, kurz, es haperte beim Laden, und legte ich endlich an, und drückte ab, so konnte ich mich fest darauf verlassen, daß mir das Pulver von der Pfanne brannte, und der Hirsch stolz und ruhig davon zog. Ich härmte mich so ab, daß ich ganz mager und elend wurde; das Essen und Trinken schmeckte mir sogar nicht mehr, und ich beschloß endlich, es koste was es wolle, und sollte ich acht Tage nicht mehr zu Hause kommen, den Hirsch zu schießen.«

»So lange war ich ihm übrigens in den Fährten herumgekrochen, daß ich endlich ziemlich genau wußte, wie und zu welcher Tages- und Nachtzeit er auf den verschiedenen Stellen herüber und hinüberwechselte. So hatte ich auch erspürt, daß er unten an der Schlucht gerade etwa hundert Schritte weiter oben, als wo sich der Bach über die Steine hinweg jäh in die Rausche stürzte, jede Nacht über den Bach hinüber wechselte, und am Bergeshang langsam hinschritt. Das Holz war aber dort viel zu dicht und schattig, um mir auch nur ein erträgliches Büchsenlicht zu gönnen, trotzdem beschloß ich, wenigstens einen Versuch zu machen, und ging eines Abends, es war im August, und eine wundervolle mondhelle Nacht, hier auf der Bergkuppe hin, wo damals noch nicht einmal ein Fußpfad, vielweniger ein Fahrweg hinlief, bis ich gerade an die Schlucht kam, an der wir da oben stehen blieben. In dieser wollte ich mich hinunterpürschen, denn weiter unten, wo der Mond gerade durch das lichte Stangenholz schien, war es eher möglich, daß ich Licht genug auf's Korn bekam, um eines sichern Schusse gewiß zu sein. Langsam und geräuschlos schlich ich dann mich auf dem moosigen Boden bis gerade an jene alte Buche hin, die damals schon eben so stark und knorrig da stand, wie an dem heutigen Tag, und wollte just um sie herumbiegen, als ich – Hennig ich schwörs Euch zu, das Blut kocht mir noch heute in den Adern, wenn ich an den Augenblick zurückdenke, – langsame, schwere aber gemessene Tritte höre. Das Herz fing mir an zu schlagen, als ob's ihm zu eng in der Brust würde, und es sich aus Leibeskräften hinaus in's Freie arbeiten wollte, und ich bekam das wirkliche reguläre Hirschfieber dermaßen, daß mir alle Glieder am Leibe flogen und zitterten.

So stand ich wohl zwei volle Minuten und horchte, konnte aber gar Nichts mehr hören, denn meine eigenen Knochen schlugen so an einander, bis ich auf einmal in dem matten Mondenscheine, und kaum zwanzig Schritte von mir entfernt, die Büsche sich bewegen sah, und heraustrat – will ich mein Leben trocken Brod und Salz essen, wenn's nicht wahr ist – eben der Zwei und zwanzig-Ender, und stellte sich breit und schußgerecht, und so ruhig vor mich hin, als ob ich gar nicht in der Welt wäre, oder nur ein Blasrohr statt einer guten, scharfgeladenen Kugelbüchse in der Hand hielte.«

»Natürlich hatte ich das Rohr schon unwillkührlich und fast in demselben Augenblicke gehoben, wo ich die ersten Schritten im vorjährigen gelben Laub vernahm, aber hin und her flog die Mündung über die helle, vom Mondeslicht beschienene Gestalt, nicht möglich war es mir, den Lauf auch nur eine Secunde lang ruhig zu halten. – Ich mußte wieder absetzen, denn ich fühlte, ich hätte jedenfalls vorbei geschossen. Der Hirsch aber windete hoch gegen den Luftzug hin, der glücklicher Weise gerade aus der Schlucht heranwehte, streckte dann ganz behaglich erst den rechten, und dann den linken Hinterlauf, neigte ein paar mal den schönen Kopf, als ob er mir ordentlich zeigen wollte, ›sieh einmal, was für ein Geweih, was für Stangen ich habe!‹ und zog dann ganz vertraut, kaum funfzehn Schritte entfernt vor mir vorüber.«

»Jetzt aber hielt ich's auch nicht länger aus; hinter der Buche suchte ich mir an einer Stelle des lichten Firmamentes das Korn, kam mit dem Lauf der Büchse rasch herunter, und drückte in demselben Augenblicke ab, als der Hirsch, der vielleicht einen Schein von dem im Mondenlicht blitzenden Rohr erhalten, scheu und schreckend den Kopf emporwarf. Gott sei Dank, der Schuß versagte nicht, wie er mir hundertmal im Traume versagt hatte, und gleich nach dem Knall der Büchse brach der gewaltige Platzhirsch wie ein Ungewitter durch die dünnen Stangen, und rasselte die Schlucht hinunter, daß es eine Lust und Wonne war.«

»Aber Ihr kriegtet ihn?«

»Ich denke,« lachte der alte Jäger, und bließ dichte freudige Wolken aus dem kurzen Pfeifenstummel; »keine hundert funfzig Schritt war er mehr gegangen, und ich brauchte auch nicht einmal nach dem Anschuß zu suchen, einen Spektakel machte er, wie er so in den Stangen lag, und verendend mit den Läufen um sich herhieb, daß man's auf eine halbe Stunde weit hätte hören können. Nun wie gesagt, an dem Abend – alle Hagel!« unterbrach er sich plötzlich, und deutete nach vorn, denn die Biegung der Straße hatte sie gerade zu Zeugen einer eben so merkwürdigen, als ihre Gegenwart anscheinend erfordernden Scene gemacht.

In kaum hundert Schritten Entfernung nämlich, und mitten auf dem, hier gerade von dichten Büschen eng umschlossenen Fahrwege, stand eine Gruppe von drei Menschen, bei deren Anblick Hennig das Blut in den Adern stockte. Es waren zwei Damen, und vor ihnen, den Rücken den beiden Männern zugedreht, die Rechte auf einen starken Knittel gestützt, die Linke – aus welchem Grunde, konnten sie von dort nicht erkennen – gegen die Frauen ausgestreckt, ein etwas abenteuerlich aussehender Mann.

Da stieß die eine Dame plötzlich einen gellenden Schrei aus, und der Hülfslehrer, der in der ersten Ueberraschung wie an seine Stelle gebannt gewesen war, flog jetzt mit dem angstvollen, aber doch nur halblauten Ruf »Sophie!« und rasend schnellen Sätzen dem Orte zu, an dem der Fremde eben im Begriff schien, der Pastors Tochter Arm zu ergreifen, während Fräulein Schütte, ihre bisherige Begleiterin, mit wildem Hülfgekreische dem Dorfe zustob.

Auch der Jäger suchte jetzt so schnell als möglich an den Burschen, der, wie er nicht anders glauben konnte, wehrlose Frauenzimmer auf offener Straße anfiel, hinan zu kommen, und riß dabei die Flinte von der Schulter und in Anschlag. Hatte aber der Fremde Hennigs Ausruf, oder die lauten Schritte gehört, er wandte den Kopf, und erkannte kaum die herabstürmenden Männer, als er auch schon, nur noch einen Blick auf das zitternde Mädchen werfend, blitzesschnell zur Seite und in die nächsten Büsche sprang. In dem Moment blitzte es aus des Jägers Rohr, und während der Schuß noch durch die Waldeswipfel dröhnte, fing auch der junge Mann schon die, durch Angst und Aufregung betäubt niedersinkende Jungfrau in seinen Armen auf.

»Mamsell!« schrie jetzt der Jäger hinter der, in wilder Angst ausstreichenden Dame her, deren Eile der Schuß noch beflügelt zu haben schien – »Mam–sell! – wir sind's ja!« – doch umsonst, ihr eigenes Schreien ließ sie auch schon nicht das des anderen hören, und sie war bald in den Windungen des Pfades den Blicken der Männer entschwunden.

»Ei so lauf Du und der Henker« brummte der alte Waidmann ärgerlich hinter ihr drein, »Donnerwetter, hat das Frauenzimmer eine Courage; na, das sollte meine Tochter sein.«

Hennig befand sich aber indessen in Todesangst, denn noch immer gab die bleiche Jungfrau in seinen Armen kein Zeichen des Lebens von sich, und lag starr und regungslos auf seinem Knie; er rieb ihr die Schläfe und das Innere der Hand, und die Stirn und den Arm – Alles umsonst, es war, als ob er eine Todte umschlossen hielt. –

»Förster, um Gotteswillen helft mir hier!« rief er endlich, und schaute sich in aller Herzensangst nach diesem um, »was sucht Ihr denn dort? – laßt das doch sein, und steht mir hier bei.«

»Hm,« brummte der Alte, der indessen, ohne sich um die Ohnmächtige weiter zu bekümmern, die Büsche und das Gras, wo der Flüchtige hineingesprungen war, sehr sorgfältig und aufmerksam betrachtet hatte, – »ich habe nur einmal nach dem Anschuß gesehen, aber keine Spur von Schweiß – doch das schadet Nichts,« fuhr er, sich aufrichtend und zu der Ohnmächtigen tretend fort: »weiter hin werden wir's schon finden, denn einen Keulenschuß hat er, darauf wollte ich wetten – 's war zwar achtzig oder neunzig Schritt und dünner Schnepfenschrot, so weit trägt meine alte Caroline aber doch noch, und das weiß ich – ah – sehen Sie, die Mamsell kommt schon wieder zu sich – hier, reiben Sie ihr einmal den Rum in die Schläfe, das wird ihr gut thun – nichts besser wie Rum bei Ohnmachten, – wenn man besonders noch einen richtigen Schluck davon nehmen kann.«

Das junge Mädchen erholte sich aber wirklich rasch wieder, athmete ein paar Mal recht schwer und tief, und schlug dann die Augen auf. Zuerst sah sie sich ganz erstaunt, ja fast erschreckt um – augenscheinlich hatte sie das ganze Vorhergegangene vergessen, und die Sinne mußten sich erst wieder zu ihrer vollen Thätigkeit sammeln, dann aber mochte ihr doch wohl wieder einfallen, wie sie in diese Lage gekommen, denn ein leichtes Roth färbte ihre bleichen Wangen, und sich rasch, aber unbefangen emporrichtend, sagte sie, während sie dem jungen, wie mit Purpur übergossenen Lehrer die Hand reichte:

»Ich danke Ihnen, lieber Hennig!«

»Der Schuft wollte Hand an Sie legen!« sagte der Jäger, »Gott soll mich holen, wenn das nicht bald noch über den grünen Klee geht, das verfluchte Wildschützenzeug nimmt ja bald Alles an, was Beine hat.«

»Es war kein Wilddieb,« sagte Sophie, und blickte wie scheu nach den Büschen hinüber, so daß der alte Jäger bei dem Gedanken lächelte, sie könne glauben, der käme noch einmal dahin zurück, wo er stände – »er sah wild, verstört und bleich aus – ich weiß nicht einmal, ob er – ob er uns um etwas ansprechen wollte – nur als Anna Schütte so wild aufschrie, ergriff er meinen Arm – was er wollte, weiß ich nicht – aber so viel erinnere ich mich, sein Rock war von Dornen zerrissen, auch sein Gesicht blutig, und er – er glich eher einem unglücklichen, als einem bösen Menschen.«

»Alle Wetter noch einmal!« sagte da der Jäger, »das wird der Kerl gewesen sein, den die Polizeidiener aus der Stadt heute Morgen gehetzt haben; ein paar Holzschläger von mir haben oben an der Waldecke gestanden, und sich die ganze Geschichte mit angesehen, – der ist vom Felde 'rein in die Haidekiefern gefahren, in den jungen Schlag, und wird sich nun wahrscheinlich im Walde herumtreiben. Warte Canaille, solches Wild könnten wir hier gerade brauchen, weiter fehlte uns gar Nichts. Hören Sie Hennig, Sie gehen ja doch wohl mit dem Fräulein zu Hause.«

»Ich glaube kaum, daß ich noch etwas zu fürchten habe,« sagte Sophie.

»Nein, das glaub' ich auch nicht,« lachte der Jäger, der an seine Schrote dachte, »das bleibt sich aber gleich, allein können Sie doch nicht nach Hause zurückkehren, ich aber will gleich mit meinem Fritz und den Holzschlägern den Wald hier einmal absuchen, wahrscheinlich ist er nach dem Weidicht hinunter, in die dicken Büsche, und wenn er da drinn steckt, da finden wir ihn vielleicht, oder treiben ihn jedenfalls in's Dorf.«

Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, warf der Alte das Gewehr, das er indessen wieder geladen hatte, über die Schulter, und schritt rasch den Weg, den er vorher mit Hennig gekommen, zurück. Dieser aber, der sah, wie erschöpft die Jungfrau durch den vorigen Schreck sein mußte, denn sie hielt sich selbst jetzt noch an einer kleinen Buche, neben der sie stand, aufrecht, bot ihr seinen Arm. Sophie zögerte einen Augenblick, nahm ihn dann, und schweigend schritten die beiden dem noch ziemlich entfernten Dorfe zu.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 eylül 2017
Hacim:
210 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain