Kitabı oku: «Pfarre und Schule. Erster Band.», sayfa 6
Und schimpfend warf er die schwere Thüre in's Schloß.
Hell und freundlich schienen die liebenden funkelnden Sterne auf die stille Erde nieder; in den Zweigen und Aesten des alten Baumes rauschte und flüsterte es geheimnißvoll und das Käuzchen, das mit geräuschlosem Flügelschlag über die Häuser strich, setzte sich auf das nächste Dach und rief sein wehmüthiges unheimliches »Komm mit – komm mit.« – Unbeweglich aber lehnte an dem knorrig rauhen Stamm das einsame Mädchen, fest und schweigend hafteten an den fernen glänzenden Himmelskörpern ihre feuchten Blicke, und erst als vom düsteren Thurm drüben die Glocke Mitternacht schlug, schlich sie durch die Thüre, die ihr der Vater offen gelassen zu ihrem kalten harten Lager hinauf, unter das Dach der Schenke.
Siebentes Kapitel.
Die Pfarre
Als Fräulein Anna Schütte sah, wie der Fremde nach Sophiens Arme griff, und sich nur einen Augenblick unbeachtet wußte, ja auch schon dann vielleicht, als sie den ersten panischen Schrecken überwunden hatte, daß ein wild aussehender Mensch aus dem stillen Holz, wie ein Blitz aus heiterem, sonnenklaren Himmel auf sie herniederfahren konnte, floh sie in flüchtigen Sätzen die Straße entlang, und erfüllte mit ihrem Geschrei den friedlichen Waldesdom. Selbst der Heher schwieg, bestürzt vor den gellenden Tönen, und dachte erst später daran, sie wie das übrige Vogelgeschrei, mit spottendem Flügelschlag nachzuäffen; die übrigen Waldvögel aber mieden scheu den Platz, wo ihrer Ansicht nach, etwas Entsetzliches passirt sein mußte. Sie wäre auch sehr wahrscheinlich eben in solcher Art bis in das Dorf hineingerannt, hätte sie nicht glücklicher Weise gerade am Ausgange des Waldes einen Ackerknecht getroffen, dem sie ohne weiteres um den Hals flog, und nun hier so zu weinen und jammern anfing und solche gräßliche Geschichten von Mördern und Räubern erzählte, die dicht hinter ihr wären, daß es dem armen Teufel selber ganz angst und bange wurde, und er nicht recht wußte, was er am Meisten zu fürchten habe, die nahenden Räuber, oder den Zustand der fremden Dame, der ihm schon anfing mehr als bedenklich zu erscheinen.
Der Bursche war übrigens unter solchen Umständen eben so wenig von der Stelle zu bringen; denn im Walde hatte er nach der erhaltenen Beschreibung gar Nichts weiter zu suchen, und zu Hause, von woher er erst kam, wollte er auch nicht gleich wieder. Fräulein Schütte schien jedoch ebenfalls nun, da sie zum Glück einen Beschützer gefunden, fest entschlossen, keinen Schritt weiter allein zu thun, und so trafen sie noch Hennig und Sophie, als sie aus dem Walde auf das freie Feld traten.
Sophien schien es lieb zu sein, die Freundin noch hier zu finden, sie eilte gleich auf sie zu, ergriff ihren Arm, und versprach ihr, sie zu Hause zu geleiten, bat sie aber auch zugleich, von dem Vorgefallenen im Dorfe Nichts zu erzählen, da solche Sachen immer gleich verschlimmert und dem »armen Flüchtling,« der sie im Walde angeredet, vielleicht gar wieder die entsetzlichsten Absichten untergelegt würden.
Davon wollte nun freilich Fräulein Schütte im Anfang Nichts hören, ließ sich jedoch zuletzt überreden, und bat nur Sophien, als sie endlich zu Hause angelangt war, wenigstens so lange bei ihr zu bleiben, bis die Mutter, die irgend einen Besuch gemacht hatte, zurückkehre, »denn wenn sie jetzt, und mit Dunkelwerden allein im Zimmer sitzen solle, fürchte sie sich zu Tode.«
Das sagte ihr Sophie gern zu, denn sie selbst mochte nicht gerade jetzt gleich, und in der Aufregung, in der sie sich befand, nach Hause zurückkehren.
An dem nämlichen Abend beendete, ungestört und nicht behindert durch Singen oder Rufen, Feodor Strohwisch ein humoristisches Gedicht, – es war früher einmal ein altes Liebesgedicht gewesen, das er in süßer schwärmerischer Stunde gemacht, und er hatte es heute zu einem launig politischen Epos umgeändert – es blieb nichts zu wünschen übrig, viermal hinter einander las er es sich mit immer wachsendem Beifall selbst laut vor, und sprang endlich in aller Freude auf, schritt rasch zu dem ihn erstaunt anschauenden Haubenkopfe hin, streichelte ihm die zinnoberrothen Backen, und nannte ihn »sein liebes, frommes, schweigsames Mädchen.«
In der Dämmerung war es indessen, daß durch den kleinen Obstgarten, der dicht hinter der Pfarrerwohnung lag, und hier zugleich die Grenze des Dorfes nach dem Walde zu bildete, eine menschliche Gestalt aus dichtem Gestrüpp und Dornenwerk hervorkroch, und an der Hecke hin und von dieser gedeckt der kleinen hölzernen Thüre zu schlich, die hinaus auf einen schmalen Pfad führte, der den steilen, mit Obstbäumen bepflanzten Hügel hinab, und durch das Dorf, dem Flusse zu lief. Dort aber kaum angelangt und schon mit der Hand auf dem Thürdrücker, zuckte er plötzlich von jähem Schreck berührt, zusammen, denn dicht über sich, so nahe, daß er den Sprecher hätte mit der Hand erreichen können, hörte er eine Stimme, die ihm nur zu deutlich die Gefahr verrieth, in der er sich befand.
»Du, Kahle«, sagte Einer der dort Stehenden, »der kann hier gar nich 'nein sin, sonst werd' er ja doch nicht in den Diarndern stecken bleiben – der is widder in's Hulz zurück, un mer stehn hier umsunst, un han Maulaffen feel.«
»Schweig still,« brummte der Andere dagegen mit unwilliger, aber leiser und unterdrückter Stimme, – »in den Graben is er nein, un wär't Ihr mir gefulgt, so hätten mer'n jetzt; nu aber kennen mer de halbe Nacht hier schtehn, un erwischen en doch nich. Na, Fritze muß gleich mit den Angeren kummen, un nachher laassen mer den Hund nein – der find't en!«
»Wenn er aber nu drüben 'nausfährt?« frug die andere Stimme besorgt.
»Haste keene Angst nich,« sagte Kahle mit leisem, heiserem Lachen, »davor is gesurgt, 'raus kommt er hier nich, wenn er nich beim Paster nein fährt, und da is de Thire verschlossen. Doch bis jetzt ruhig – 's is wohl noch hälle, in den Bischern drinn kennte er aber doch so nahe 'ran kriechen, daß er Eenen heren kennte, und nachens wärsch Essig.«
Der Flüchtling lag zitternd unter die Hecke gedrückt, und schaute verzweifelnd nach einem Ausweg auf Rettung umher. Kam die gedrohte Verstärkung mit dem Hunde, so war er verloren, und hier, von allen Seiten umstellt, – es blieb ihm kein anderer Ausweg, als die Pfarre, dort hinein mußte er.
Ein dichter Holunderbusch, der schon fast vollständig seine Blätter getrieben hatte, machte es ihm möglich, unentdeckt wieder die Mitte des Gartens zu gewinnen, und von hier aus kroch er in einer Vertiefung, einer Art trockenem Graben, der dazu diente, das an der Hausthür ausgegossene schmutzige Wasser, wie auch den vom Dache niederträufenden Regen in die Schlucht hinab zu führen, bis dicht zum Haus hinan. Vorsichtig hob er sich empor und ergriff die Klinke. – Die Dämmerung wurde glücklicher Weise immer dichter, und gerade dieser Theil des Hauses lag in tiefem Schatten. – Aber wehe. – Die Thür war wirklich verschlossen, und den Berg herauf – er horchte mit klopfendem Herzen den nahenden Tönen – kamen Menschen, und Hundegebell tönte dazwischen.
»Tod und Teufel!« murmelte er vor sich hin, »und so unbewaffnet diesen Bauerlümmeln in die Hände zu fallen – versuche ich's aber durchzubrechen nach dem Walde hin, so schießen sie mir wie einem tollen Hunde auf den Leib, – trag' ich denn nicht selbst jetzt die Schrote von dem Schuft in der Haut, und hat nicht nachher schon wieder Einer der blutdürstigen Hallunken auf mich angelegt? Und geradezu herausgehen und mich ergeben? – das wäre ein verdammt gewagtes Ding – weiß der Böse, wie auch all' die Sachen so ganz auf einmal gegen mich aufgetaucht sind. Ja, wäre mit dem Volke hier etwas zu machen, da ließe sich der Geschichte leicht eine andere Wendung –«
Er erschrak, denn dicht neben ihm wurden inwendig im Pastorshause Schritte laut, der Schlüssel drehte sich im Schloß, und Wahlert behielt nur noch eben genug Zeit, hinter ein paar, dort gerade neben der Thür lehnende Breter zu treten, als sich diese öffnete, und die Magd mit einem großen Kübel voll Wasser heraustrat, etwa zwanzig Schritte weit nach dem Graben zu ging, in welchem er eben heraufgekrochen, und das Wasser dort hinein ausgoß. Eine solche Gelegenheit kam nicht wieder, Wahlert glitt unter den Bretern hin, in's Haus hinein, und die knarrenden Stufen hinauf in den ersten Stock. Hier sah er noch eine kleine Treppe, über deren dritter Stufe ebenfalls eine kleine Thür befindlich war – jedenfalls ging die auf den Boden, sie war auf, und er sprang hinein.
»Alle Wetter,« murmelte er aber, und prallte daraus zurück – »das ist ja ein Zimmer –« durch den matten Lichtstrahl, der noch durch's Fenster fiel, konnte er den weißen Ueberzug eines Bettes und über den einen Stuhl hängende Frauenkleider erkennen.
Er wollte das Gemach rasch wieder schließen, und sein Heil wo anders suchen, da hörte er auf der Treppe Schritte, der Strahl eines Lichtes fiel herauf, und es blieb ihm nun gar keine andere Wahl, als geradezu wieder zurück zu springen, und die Thüre hinter sich zu zu ziehen; er mußte auf günstigeren Zeitpunkt warten, ein sichereres Versteck zu suchen.
Es war die Magd, die mit einem großen Kübel Wasser in den Händen, und das Licht in den einen Finger geklemmt, die Treppe langsam heraufstieg. Vor der Kammer, in welcher Wahlert stak, blieb sie stehen, hob den Kübel auf die Stufen, schob ihn dicht an die Thür, stellte das Licht daneben, und ging dann wieder hinunter, noch mehr Apparate zu ihrem Scheuerfeste zu holen.
Wahlert versuchte jetzt, die Thür wieder zu öffnen, um über den Gang hinüber wo möglich die Bodentreppe auszuspähen, aber – fest und unweichbar stand das schwere Wassergefäß davor, nicht einmal einen Zoll breit konnte er seinen Kerker lüften, und sollte er Gewalt brauchen? – Das ging auch nicht, dann warf er den bis zum Rand gefüllten Kübel gerade zu die Stufen hinab, und das Gepolter, und die in's Haus niederströmende Flut mußte ihm die Verfolger auf den Hals hetzen. Er behielt aber auch nicht einmal lange Zeit zum Ueberlegen, das Mädchen kam bald wieder zurück, und blieb nun oben auf dem Gange, den sie gleich darauf mit Scheuerbesen und Tüchern wacker in Angriff nahm.
Wie sollte das enden, wer wohnte überhaupt in dem Zimmer? Wahlert warf sich, den Kopf sinnend in die hohle Hand gestützt, auf einen der ihm nächsten Stühle, und überdachte seine Lage – die Möglichkeit seines Entkommens, – bedachte die Gefahr, der er ausgesetzt war, wenn er wirklich gerade jetzt, wo noch den Gerichten, wenigstens hier im Lande, nicht alle Macht genommen worden, in ihre Hände fiele. Auch die Erlebnisse ging er in seinem stillen Brüten durch.
Den, nach ihm ausgesandten Häschern glücklich entgangen, stand ihm jetzt die Welt offen – er konnte fliehen, konnte vielleicht die französische Grenze erreichen – aber was sollte er nachher dort? – Womit seine Existenz sichern, was überhaupt dort wirken, schaffen, nützen? – Nein, hier in Deutschland lag sein Ziel – Deutschland forderte von ihm seine Thätigkeit.
Das alte System, was sich lange Jahre hindurch, den Völkern zum Trotz und Hohn auf ihrem Nacken behauptet, war durch die jetzige Revolution nicht gestürzt, nein, nur kaum erst erschüttert worden, und nun galt es, daß die Männer der Freiheit Hand an's Werk legten, das schmachvolle Joch gänzlich darnieder zu schmettern und den neuen Tempel der Volkssouveränetät in herrlicher Schöne aus seinen Trümmern emporsteigen zu lassen. Und war er nicht vor tausend Anderen der Mann, der im heiligen Kampf vorangehen mußte, den Unschlüssigen? War ihm nicht die Gabe der Rede verliehen? Hatte er nicht seit dem 18. März schon zweimal das Volk zu wildem stürmischen Enthusiasmus erregt, und war es beide Male etwa nicht den »Bayonetten« gelungen, die überreif aufschwellende Knospe der Freiheit zurück zu halten und zu bewältigen? Fluch der alten Disciplin, die dem Soldaten noch wie Blei in den Gliedern lag, und ihn nicht wollte begreifen lassen, wie auch er ja nur eines Bürgers Sohn selbst wieder zum Bürger würde, wenn er den Rock auszöge, der ihm im Kampfe gegen seine Brüder nicht mehr ehre, sondern schände.
Der Zeitpunkt war jetzt erschienen, wo die letzte Hand an das große Werk gelegt werden mußte, wenn es nicht – wie das Jahr 1830 geschehen war, als ein bloßes Possenspiel endigen sollte – der Zeitpunkt war erschienen, wo es galt, das ganze ungeheure Gewicht der Volksherrschaft den Privilegien der Fürsten und des Adels gegenüber in die Schaale zu werfen, und Fluch dem knechtischen Volke dann, wenn es nicht mit ihm jubelte, daß der Schrei – ein Todesröcheln der Tyrannei – durch alle deutschen Gauen drang – »es lebe die deutsche Republik!«
Doch hier mußte er erst einen Halt unter dem Volke gewinnen, die Masse war noch zu roh, und ein energisches Auftreten von ihrer Seite, ohne vorherige wirkliche Veranlassung kaum zu hoffen – was konnte aber von hier aus auch geschehen, sie zu begeistern? – Gar Nichts, in die Residenz zurück mußte er vor allen Dingen, die Katastrophe des gewaltigen Werkes selber mit zu leiten, und nur ein Mann lebte hier im Orte, der ihm dazu behülflich sein konnte – der Doctor Levi, ein alter Bekannter von ihm, und ein Charakter, der ihm zum Werkzeug dienen konnte, seine edleren Pläne auszuführen. – Wie aber war er im Stande, dessen Haus erstlich heraus zu bekommen, und wenn das wirklich geschehen, es unentdeckt zu erreichen? – Wo wohnte der Doctor, und befand er sich gegenwärtig wirklich in Horneck? – Tod und Teufel! – der Gedanke war Wermuth und Galle in die kühne Seele dessen, der sich hier für die Freiheit eben des Volkes aufopferte, das ihn wie einen Verbrecher verfolgte, wo er sich nur öffentlich zeigte, mit Kerker und Eisen bedrohte, und wie auf ein wildes reißendes Thier nach ihm schoß. Aber fort mit dem Gedanken, das Volk war nicht schlecht, nur ein Schleier lag noch vor seinen Augen, und mit der Bürgerkrone würde es den bald lohnen, der ihm die Sehkraft wieder gab, und die Waffe in die riesenhafte Rechte drückte.
In wilden, wechselnden Bildern zuckten ihm die Gedanken und Pläne rasch und bunt durch das Hirn, bald aber wurde er wieder, und auf eben nicht tröstliche Weise zur trüben, trostlosen Gegenwart zurückgerissen. Das Mädchen draußen auf dem Gange rückte ihr Scheuerfaß und er fuhr rasch und lauschend von seinem Stuhl empor – noch aber hatte er Nichts zu fürchten – sie war nur zu einem andern Platz gegangen, und begann hier gleich wieder von Neuem.
»Wenn ich nur das Haus dieses Doctor Levi wüßte,« murmelte der Gefangene für sich hin, »was für Folgen aber selbst die einfachste, an einen fremden Menschen gerichtete Frage für mich haben kann, ist mir heute bewiesen worden. – Wie das eine liebe Kind erschrak – daß der Teufel den Jäger hole.« Vorsichtig ließ er sich wieder auf den eben verlassenen Stuhl nieder, und fuhr eben so leise fort – »ich hätte mir's übrigens denken können, daß so schüchterne Dinger Zeter schreien würden, wenn ihnen ein solches dornzerrissenes wild aussehendes Subjekt wie ich jetzt bin, vor die Augen träte; – ich bin, beim Himmel, in einer verzweifelten Lage.«
Ein neues Geräusch vor der Thür mahnte ihn, auf seiner Hut zu sein – der Kübel wurde bewegt. – Er legte das Ohr an das Schlüsselloch – Gott sei Dank, endlich nahm die verwünschte Magd den Kübel von der Thür und trug ihn – ja, sie ging damit fort, er konnte es deutlich an ihrem Gange hören – den Corridor hinunter. Jetzt war ihm auch die Möglichkeit gegeben, diesen gefährlichen Aufenthaltsort zu verlassen, wo er jeden Augenblick entdeckt werden konnte. Nur so lange mußte er warten, bis draußen die verschiedenen Ingredienzien fort und, allem Vermuthen nach, in eine der entfernteren Stuben transportirt waren.
Aber auch draußen vor dem Fenster wurde es laut – das mußten seine Verfolger sein – ob er es wagte, sich dorthin zu schleichen? – ei, wenn er leise ging, konnte ihn unten, falls wirklich Jemand darunter wohnte, doch Niemand hören: auf den Zehen schlich er deshalb bis an das Fenster und schaute aus der dunkeln Stube heraus vorsichtig hinter den Gardinen vor in den Hof hinab, wo, wie er noch recht deutlich erkennen konnte, eine Anzahl von Männern versammelt stand und eifrig mit einander sprachen. Um aber zu hören, über was sie sich unterhielten, hätte er das Fenster öffnen müssen, und das durfte er nicht wagen. Er preßte das Ohr an die Scheibe, aber nur unverständliche Sylben waren es, die zu ihm herauf tönten. Er suchte die Gestalten zu erkennen – Einige trugen Flinten oder Stöcke, er vermochte nicht deutlich zu sehen was – wahrscheinlich das erstere – man deutete auf die Pfarrwohnung – er konnte der Versuchung nicht länger widerstehen, leise, leise schob er den vorgedrehten Fensterriegel zurück und suchte nun den Flügel so geräuschlos als nur möglich zu öffnen; glücklicher Weise knarrte das Holz auch nicht im mindesten; alt und vom Zahn der Zeit schon angegriffen, bewegte es sich weich und ohne Laut aus seinen Fugen und es gelang ihm, das Fenster gerade genug zu öffnen, um Alles zu hören und doch von unten aus nicht gesehen zu werden.
Da wurden plötzlich Stimmen auf dem Vorsaal laut – eine Hand lag auf der Klinke – Wahlert's Herz schlug wie ein Hammerwerk in der Brust, nicht einmal Zeit blieb ihm, das Fenster wieder zu schließen, nur eindrücken konnte er es und dann zurück in die dunkle Ecke neben die Gardinen springen, als sich die Thüre öffnete und eine weibliche Gestalt eintrat. Sie blieb aber auf der Schwelle stehen, legte Hut und Mantel ab, und wollte eben wieder zurücktreten, als der Luftzug auf's Neue den Flügel aufstieß und sie sich rasch danach umwandte.
»Ueber die Mädchen,« murmelte sie, als sie die Thür hinter sich schloß und der Stelle, wo Wahlert fest in dem engen Winkel geschmiegt stand, zuschritt, »ausdrücklich habe ich hier noch heute Morgen gesagt, mein Fenster ja fest zuzumachen, aber Gott bewahre, da ist doch eine wie die – ha!«
Ein laut gellender Schrei des Entsetzens entfuhr ihren Lippen, denn während sie mit der Linken das Fenster schloß, wollte sie mit der Rechten die vorgefallene Gardine zurückschieben, und ihre Hand kam dabei mit der hier versteckten Gestalt des Flüchtlings, die dabei unwillkürlich zusammenzuckte, in Berührung.
»Um Gotteswillen, mein Fräulein, verrathen Sie mich nicht,« rief aber Wahlert, der bei dem helleren Lichte des Fensters das Antlitz der jungen Dame erkannt hatte, und nun wohl vermuthen konnte, wen er vor sich hatte, schnell entschlossen – »ein Wort von ihren Lippen und ich bin ein Kind des Todes!«
»Härr Jäses, Frälen, was geiht's denn do?« rief die Magd in dem Augenblicke draußen auf dem Gange, und kam rasch herbeigeschlurrt – »was hewe Se denn?«
»Ihretwegen bin ich hier und Sie wollen mich dem Henker überliefern?« flüsterte noch einmal der Entdeckte – »mein Leben liegt in Ihrer Hand.«
Sophie sammelte sich mit krampfhafter Anstrengung und schritt auf die Thüre zu, in der jetzt eben die Magd, glücklicher Weise ohne Licht, erschien.
»Ich habe Dich doch gebeten, das Fenster nicht aufzulassen,« sagte sie, ihr entgegentretend.
»Aber Frälen, ich hob' es weeß der Himmel zugadriaht – was hatten Se denn nuar?«
»Das Fenster stand auf, und wie ich es schließen wollte, stieß ich mich in's Auge – es that weh – ich habe wohl geschrien?«
»Als wenn Se am Spieße stiaken,« lachte das Mädchen, »Härr Jeses, ich dachte der Deibel wär' lus – wullen Se Licht hawe?«
»Nein, ich danke Dir, ich komme gleich hinunter; essen sie schon?«
»Se sitzen gerade drim herim, der Härr Pastor is aber noch nich heeme.«
Und das Mädchen nahm ihren Eimer, klappte damit die Treppe hinunter und öffnete die Thüre wieder, um ihn auszugießen.
»Was war denn im Hause?« frug in dem Augenblicke unten vor der Thüre eine Stimme die heraustretende Magd – »wer schrie denn so – ist der Kerl etwa drinn?«
»Megte wissen wie,« lachte das Mädchen, »unser Frälen hat sich blos an'en Kopp geschtußen – na is die schreckhaft – wenn iche jedesmal kreischen wullte, wo ich wo anrenne, nachen's hätt' ich Arbet.«
Sophie, die oben mit klopfendem Herzen in der Thüre stand und den Worten lauschte, konnte nichts weiter verstehen, denn die Redenden traten mehr vor das Haus und gleich darauf wurde auch das Thor wieder geschlossen. Sie drückte ihre eigene Thüre in's Schloß, schob den kleinen Riegel vor, that ein paar Schritte gegen das Fenster und sagte hier mit leiser, aber vor innerer Angst zitternder Stimme:
»Was um Gotteswillen hat Sie unglücklicher Mann in dies Haus getrieben – wie kamen Sie in dies Zimmer, und wer hat sie hereingelassen?«
»Der Zufall und mein gutes Glück ließen mich, unbemerkt von Anderen, die rechte Thüre treffen,« sagte jetzt Wahlert, und trat, durch das Gefährliche seiner Lage gezwungen, eine Nothlüge zu machen, leise auf sie zu – »aber Sie, mein Fräulein, Sie allein waren die Ursache, die mich hierher geführt.«
»Ich? – wie um Gottes Willen – ich?«
»Gehetzt wie ein wildes Thier,« fuhr der Flüchtling mit leiser aber bitterer Stimme fort, »bin ich seit heute Morgen durch Wald und Forst gestreift, und weshalb – weil ich ein freies Wort gesprochen, weil ich dem Volke Glück und Freiheit geben wollte, und nicht darauf achtete, ob ich dabei die Großen der Erde erzürnte. Aus jahrelangem Schlaf ist Deutschland erwacht, die Fesseln der Tyrannei wirft es fort, und wären wir ein einziges Volk, jetzt, jetzt blühte die Zeit, wo wir mit einer Kraftanstrengung die Nacken heben, das Joch brechen könnten, aber während sich in dem einen Staate, in der einen Stadt das Volk in keckem Todesmuthe den Bayonetten entgegenwirft, sieht das Nachbarländchen müßig zu, und wartet, bis auch an seine Grenze die Reihe kommt, und die Fürstenknechte erst in dem einen Gebiete gesiegt haben, um nun auch in dem anderen, falls es dann noch Lust verspüren sollte, sich wirklich zu erheben, die Bande fester schürzen, die Knechtschaft unzerreißbarer machen zu können. Ihr dann, die Ihr der Gewalt kühn die Stirne bietet, werdet verfolgt, gefangen, und hält Euch erst einmal der Kerker umschlossen, o Ihr Armen, dann, wehe, wehe Euch, Ihr seht das Licht nicht wieder.«
»Aber mein Herr –«
»Verzeihung, Fräulein – ich dachte an Deutschland – nicht an mich – so hören Sie denn. – In eine fremde Gegend hierher geschleudert, wo mir Weg und Steg fremd war, wußte ich nicht, an wen ich mich, von Verfolgern umgeben, wenden könne, um die nächste Richtung nach der Grenze zu erfahren – jeder Mann, den ich anredete, konnte ein Feind sein. Da sah ich von meinem Versteck aus Sie vorübergehen – Ihr holdes Angesicht, in dem kein Falsch lag, kein Verrath lauerte, gab mir Muth, ich trat auf Sie zu, wollte mit wenigen Worten ihre Furcht über meinen Anblick beschwichtigen, das Wort der Bitte dann an Sie richten, da – ein sicherer Schütze war es, der das Blei nach mir sandte – doch vielleicht war es gut – es kürzt meine Leiden ab.«
»Großer Gott – Sie sind verwundet?« rief Sophie rasch und erschreckt.
»Lassen Sie das –« sagte Wahlert mit leiser Stimme und ein Gedanke an Rettung zuckte ihm durch das Hirn – »mein Halstuch hat die Blutung gestillt und ich finde vielleicht morgen Jemanden, der mir die Kugel aus der Wunde zieht – ich wollte – ich wollte nur nicht der Gefahr ausgesetzt sein, vielleicht – vielleicht an Blutverlust im Walde liegen zu bleiben – ohne vorher wenigstens bei Ihnen rein dazustehen – die andere Dame schien mich für einen Räuber zu halten, der hülflose Frauen –«
»Heiland der Welt,« bat Sophie in Todesangst – »wie können Sie glauben – ich war – ich wußte –«
»Sophie!« rief in dem Augenblicke eine Stimme von der Treppe herauf – »Sophie!«
Die Jungfrau eilte zitternden Schrittes zur Thüre, öffnete diese und antwortete:
»Ja Mutter – ich komme gleich.« –
»Nein, Kind, machst Du lange,« sagte die Stimme unten, »die Suppe wird ja ganz kalt – der Vater ist auch eben gekommen.«
»Ich komme den Augenblick, Mutter!«
Die Thüre unten ging wieder zu.
»Sie müssen fort – gleich fort,« wandte sich jetzt das arme Mädchen in Todesangst an den Fremden, »aber wohin wollen Sie fliehen, wohin können Sie, verwundet und ohne Beistand.«
»Wenn ein Wundarzt hier im Orte wäre, dem ich mich anvertrauen dürfte,« flüsterte der Flüchtling, »es soll hier ein Doctor Levi in Horneck wohnen.«
»Das war ein glücklicher Gedanke,« rief schnell Sophie, »auch ist der seiner radicalen Gesinnungen wegen bekannt, und wird Sie nicht verrathen!«
»Aber wie find' ich sein Haus – wie verlass' ich diesen Ort, ich bin ja wie ein Wolf, wie ein gehetztes Thier des Waldes umstellt – doch was thut's – was schadet es, hab' ich mich doch jetzt wenigstens in Ihren Augen gerechtfertigt – halten Sie mich doch nicht mehr für schlecht – was kümmert mich's da, wie die Welt von mir denkt, was die Welt jetzt mit mir thut.«
»Bleiben Sie jetzt noch hier oben, bis wir gegessen haben,« sagte Sophie rasch und entschlossen, »ich werde Gelegenheit finden, dem Doctor ein paar Zeilen zu schreiben, später soll er Sie abholen; mit Hülfe von meines Vaters Hut und Mantel wird das möglich sein. Wenn auch Wachen ausstehen, kann man Sie nicht in der Kleidung vermuthen. – Heiliger Gott, mein Vater kommt – wenn er hier einträte. –«
Der schwere Schritt des Pastors wurde auf den knarrenden Stiegen laut – im nächsten Augenblicke klopfte er an der Tochter Zimmer.
»Sophie,« sagte er dabei, »mach' rasch, daß du hinunter kommst. Die Mutter wartet und wird schon ganz ungeduldig – aber – wie ist mir denn – hier – hier ist ja gescheuert – ich will doch nicht hoffen« – er eilte schnellen Schrittes nach seiner weit offen stehenden Stube hinter, und die laut zürnende Stimme verrieth bald, was er dort gefunden haben mußte.
»Nein da hört Alles auf – Sophie – Frau – nun das hat mir noch gefehlt – Sophie – wo ist das Mädchen, Christel, Rose oder Grete, wie heißt sie denn nur eigentlich – Christel.«
»Halten Sie sich ruhig – ich hole Sie bald ab,« flüsterte Sophie, schob den Riegel zurück und glitt rasch aus dem Zimmer, das sie hinter sich wieder verschloß.
»Aber Mütterchen, was giebt es denn nur?«
»Wer hat dem unglückseligen Geschöpf von einem Mädchen gesagt, daß es meine Stube scheuern soll?« frug hier der gestrenge Herr Pastor und stand, mit dem Lichte in der Hand, dem Hut auf dem Kopfe und den Mantel noch umgehangen, auf der Schwelle seiner Stube – »wer hat der Liese oder Christel oder Grethe, wie sie heißt, aufgetragen, mich hier mit meinen Papieren unter Wasser zu setzen?«
»Ih Du meine Güte, was giebt es denn da oben nur eigentlich, warum kommt Ihr denn heute gar nicht zum Essen?« frug die Frau Pastorin, und ihr Kopf erschien eben hoch genug, um durch das hölzerne Treppengitter hin den Gang entlang sehen zu können. »Was hast Du denn, Scheidler? Du machst ja einen entsetzlichen Spektakel?«
»Wer hat meine Stube scheuern lassen!« frug der Pastor hiergegen in lakonischer Kürze – »wer war der Unglückliche.«
»Deine Stube?« rief die Frau Pastorin erschreckt und kam rasch die Treppe ganz herauf – »ei Du lieber Gott, wenn man seine Augen doch auch nicht allerwegen hat – Rieke – Rieke – wo nur das Wettermädel wieder steckt – Sophie, ruf mir doch einmal die Rieke herauf, sie soll den Augenblick herkommen.« Und mit den Worten nahm sie ihrem Gatten das Licht aus der Hand, und hob dieses, die Stube betretend, aus der ihr ein feuchter warmer Dunst entgegenquoll, hoch empor.
Allerdings hatte aber auch der Pastor Ursache, erzürnt zu sein, und er wurde es erst noch, als er den vollen Umfang der angerichteten Verwirrung vollkommen überschauen konnte.
Die ganze Stube war gescheuert, aber nicht allein die Stube, sondern auch alles Holzwerk, es mochte nun Wasser vertragen oder nicht. Die Bücherbreter standen abgeräumt und naß, und auf den Stühlen, auf dem Ofen, auf Bett und Sopha lagen die Bücher, sorgfältig aber wild zusammengeschichtet über einander. Ja selbst der einfache Schreibtisch war der Scheuerwüthigen nicht entgangen, die Papiere, deren sie doch allein Anschein nach nicht sämmtlich Herr werden konnte, staken rücksichtslos in die oberen Fächer hineingestopft, oder flogen jetzt, da in diesem Augenblicke das Mädchen gerade unten mit einer neuen Tracht Wasser in's Haus kam, durch den Zug der geöffneten Thüre getrieben, von Bett und Sopha aus zerstreut in der nassen Stube herum. Kein Blatt, kein Buch, kein Stuhl lag oder stand an seinem alten gewohnten Platze, und der Raum glich eher jedem andern Zimmer, als dem stillen Studierstübchen eines fleißigen Pastors am Sonnabend Abend, wo er sich erst recht sorgsam auf die morgen zu haltende Rede vorbereiten sollte.
Der Pastor schritt rasch auf seinen Schreibtisch zu, sah sich hier mit ängstlich forschenden Blicken überall um, und wandte sich dann in stummer sprachloser Verzweiflung gegen die Thüre, wo eben die zankende Stimme seiner Frau laut und das bestürzte dummverdutzte rothbreite Antlitz der Magd sichtbar wurde.
»Wo hat Sie die Papiere hingethan, die auf meinem Schreibtische lagen, Christel? – rede Sie, Sie unglückseliges Geschöpf!«
Die Magd sah, nicht wissend ob sie oder Jemand anderes mit dem »Christel« gemeint sei, ängstlich von Einem zum Anderen, erwiederte aber gar Nichts –
»Rieke heißt sie,« fiel die Frau Pastorin, gegen ihren Eheherrn gewandt, ein, »wo hast Du die Papiere hingethan, Rieke, und wer hat Dir überhaupt gesagt, daß Du hier im Zimmer scheuern solltest?«
»Härr Jeses,« klagte das Mädchen, »das muß mer nur wissen, aber de Schtube sach so erschrecklich aus, un der Schnupptaback drinne, un die Flecken un die Papierschnitzeln –«
»Wo sind die Papierschnitzeln, Grethe« – rief jetzt der Pastor, immer mehr sich ereifernd und vergebens bemüht, den Namen des heute erst angezogenen Mädchens zu behalten, »wer hat Ihr gesagt, daß Sie Ihre Fäuste an meine Papiere legen soll.«
»Nu, wo sollen se sin,« brummte die Magd, »ufgereimt han ich se, das versteht sich doch? – Die sin Se los – de großen Stücken han ich in den Korb da gästeckt, wu schonst mehr Papier dringe stock, und die kleenen Schnitzelchen liegen im Ofen – ich han's Feier mit angemacht, daß es schnell dreige wären sülle.«
Der Pastor fuhr erschreckt nach dem Ofen, aber das Gräßliche war wirklich schon geschehen, es glimmte dort von dünnen Holzscheiten genährt ein kleines gemüthliches Feuer, und die leichte graue Papierasche, die ihm entgegenflog, bestätigte jedes Wort, was das Mädchen gesprochen.