Kitabı oku: «Südamerika», sayfa 19
Deutlich konnte ich ihnen folgen, als sie in die verschiedenen Biegungen des Schlangen- und Zickzackpfades einlenkten – nicht viel später waren sie oben bei mir, denn der Berg ist nur wenige hundert Fuß hoch, und ich konnte jetzt den schmalen Sarg erkennen, den vier und viere abwechselnden zwei Riemen (Ruder) hängend seiner letzten Ruhestätte zutrugen.
Die Thür des protestantischen Kirchhofs war aber noch verschlossen und ein Midshipman, der die Leiche begleitete, klopfte erst leise, dann immer stärker an die verschlossene Thür. Das Getöse schallte unheimlich durch die stille Nacht, doch trieb es den schläfrigen Todtengräber von seinem Lager auf – er öffnete die Pforte, und die Matrosen betraten den protestantischen Kirchhof, durch den hin sie langsam zur Kapelle schritten, dort ein kurzes Gebet über die Leiche sprachen und dann den Kameraden in sein stilles, schon für ihn bereitetes Kämmerlein ernst und ruhig beisetzten.
Meine Aufmerksamkeit wurde aber hiervon bald abgelenkt, denn von unten herauf vernahm ich ein dumpfes wunderliches Geräusch, und als ich an den Rand des Hügels, vor den Kirchhof trat, sah ich einen langen Zug blitzender Laternen, wohl mehre hundert Stück, und eine Masse sich rasch den Berg herauf bewegender Männer, die unter einem ununterbrochenen monotonen Gemurmel näher kamen. Ich konnte übrigens nur die Worte Santa Maria José verstehen; die Leute hatten schon fast den Athem verloren, als sie die Kuppe des Berges erreichten, und das Gemurmel, wenn es ein Gebet seyn sollte, wurde zum unverständlichen Stöhnen.
Drei Särge folgten sich, mitten in diesem Menschenschwarm und einem wahren Lichtstrom dicht hinter einander, später fand ich aber, daß alle diese Lichter nur einem, und zwar dem zweiten Sarge galten; die andern beiden waren nur Sargkasten und hatten sich zu diesem feierlichen Geleit gewissermaßen eingeschwärzt.
Die Träger schienen ihre Last übrigens ungemein gern loswerden zu wollen, und nicht zu verdenken war’s ihnen, denn der Berg ist steil, und den ersten und dritten Sarg warfen sie auch mehr von den Schultern, als daß sie ihn, endlich die Kirchhofsthüre erreicht, niedersetzten.
Ein Mönch in weißer Kutte trat hier vor die Thür und sprach einen kurzen Segen über die Leichen, wonach sie der geweihten Erde zugelassen werden konnten.
Einer der gewöhnlichsten und ordinärsten Sargkasten war im Zug, jedenfalls seiner kürzeren Entfernung vom Hause wegen, der erste gewesen, dieser mußte aber jetzt, auf einen strengen Wink des Todtengräbers, der recht gut wußte, was sich hier oben unter den Tobten schicke, warten, bis der bessere Sarg voran über die Schwelle getragen worden. Dieser enthielt den Leichnam eines hochgestellten Mannes und kam gleich in die Kapelle, wo er so lange beigesetzt blieb, bis am andern Morgen das Hochamt, oder eine andere Todtenfeier über ihn gehalten werden konnte. Die Bekannten und Freunde dieses Mannes kehrten auch, gleich oben am Hügel, nachdem sie den Sarg nur den Händen des Priesters überliefert hatten, wieder um; die Peons aber, die Diener, welche die Laternen trugen, oder dem Zug sonst, theils aus Anhänglichkeit, theils aus Neugierde gefolgt waren, begleiteten auch die beiden andern Leichen zu dem Ort ihrer Bestimmung – der Kuhle.
Um einen »guten Platz« zu bekommen, war ich schon ein paar Minuten vorangegangen, und hatte meine Stellung am äußersten Rande der Grube genommen, wo ich den nahenden Zug und den Ort selbst vollkommen gut überschauen konnte. O wie still und unheimlich lagen sie da unten in ihrem kalten trostlosen Grab – wie schien der Mond – der liebe reine Mond – so schauerlich auf Moder und Verwesung hernieder, und gab sich vergebene Mühe den entsetzlichen Anblick des geschwärzten Leichnams zu mildern, oder einen Schatten über die sonst unbedeckten und vorragenden Gliedmaßen der hier Begrabenen zu werfen.
Indessen war oben der Segen fertig gesprochen worden, und die Laternen näherten sich der Gruft. Die beiden Sargkasten, der eine mit schwarzem Tuch überspannt, voran, der andere ganz offen, wurden bis dicht zum Rand getragen, und dann von dem ersten die obere Hülle abgenommen.
Ein in ein schwarzes Leichentuch gehüllter Körper lag darin; drei der umstehenden Peons nahmen ihn heraus, zwei andere stiegen an der Leiter die Grube hinab, und bereiteten sich, sie unten in Empfang zu nehmen; es waren Menschen genug da, und sie brauchten die Körper nicht gerade hinunter zu werfen. – Aber wie rücksichtslos die Lebenden da unten auf den Todten herumschritten – wie sie sich gar nicht ein wenig in Acht nahmen, und doch unter ihren Füßen die, Köpfe und Glieder der kaum mit Erde Bedeckten fühlen mußten. Sie schonten gar nichts, selbst nicht die ehrwürdige schwarze Leiche und dort – wahrhaftig, der eine Schuft hatte mit dem einen Fuß gerad’ hineingetreten, und zog ihn jetzt, selber erschreckt, rasch wieder zurück. Sie verdarben mir den ganzen Platz, und stampften auch meine armen kleinen Blumen unerbittlich in den weichen, leichengeschwellten Boden hinein.
Den einen Körper hoben sie jetzt hinunter – er hatte die Arme auf der Brust gekreuzt und war schon starr und steif. Die beiden die unten standen legten ihn ordentlich und lang ausgestreckt dicht an die steile und scharf abgestochene Wand der Grube an und nahmen ihm dann, wie es Gebrauch und Sitte ist, das schwarze Grabtuch von dem bleichen Antlitz. Es war ein edles, bärtiges Gesicht und der Mond schien hell und klar in die stillen, von keinem Schmerz mehr gefurchten bleichen Züge.
Der eine Peon, der oben stand, stieß seine Schaufel in den Boden und wollte mit der ausgehobenen Erde den unten Ausgestreckten bewerfen, der ihm Nächste griff aber seinen Arm und sagte – »erst den Anderen noch« – und in der That stand auch schon der zweite Sarg dicht neben dem ersten, der Deckel wurde abgenommen und wie ich aus einigen Worten meiner Nachbarn verstehen konnte, war es die Leiche eines Mannes, den man in einem der wilden Stadtviertel noch an demselben Abend ermordet gefunden hatte. Der Körper hatte noch seine volle Gelenkigkeit, ja wahrscheinlich auch Wärme und es schien schwierig ihn aus dem Sargkasten zu nehmen, auch faßten bei diesem nur zweie an, und setzten dann die Leiche, daß die Füße über den Rand hinunterhingen, auf die Erde nieder. Die beiden Untenstehenden traten indessen näher hinan, der Eine stemmte sich mit dem rechten Fuß gegen die dort verscharrte Kinderleiche, einen festeren Stand zu bekommen, und der Andere hob die Arme, den Herunterkommenden aufzufangen. Als aber die am Sarg postirten Männer gerade unter die schlaff niederfallenden Arme griffen, fiel der bis dahin über den Kopf der Leiche geschlagene Zipfel des alten Poncho herunter, und wie ein Stich zuckte es mir durch die Seele, als mein Blick dem stieren Glanz in des Todten noch weit geöffneten Augen begegnete. Die bleichen, mit Blut befleckten Züge waren wie in Angst und Zorn verzerrt, und das ungewisse Licht des Mondes verlieh ihnen in dem wechselnden Schatten eines dünnen, über den Berghang streichenden Nebels ein eigenes, entsetzliches Leben. Gleichzeitig glitt der schwere Körper von der so schon losgebröckelten Erde ab und mit vorgestreckten Armen, als ob er sich selber noch vor dem Sturz bewahren wolle, fiel er gegen den, auf so etwas nicht gefaßten und sich rasch unter ihm fortbückenden Peon, nahm dabei einen Theil des Gerippes und alle meine Blumen mit hinunter, und lag im nächsten Augenblick still und regungslos auf dem Kameraden mit den rothen Fußlappen. Die beiden Männer rückten ihn aber rasch wieder zurecht, so daß er dicht neben den zuletzt Hineingebetteten zu liegen kam, und als das geschehen war, stiegen sie wieder nach oben und warfen von dort einige Spaten voll Erde auf die beiden Leichen nieder.
Die Körper erzitterten dabei jedesmal wenn das Gewicht der Erde auf sie stürzte und der Mond schien jetzt voll und klar in die beiden Menschenantlitze – bis endlich der Sand die Züge verdeckte. Lange noch konnte ich aber die Stirn des Ermordeten erkennen – wie ein weißer Punkt leuchtete sie aus dem dunkleren Erdreich vor, bis eine Schaufel voll Erde auch dieß verwischte und das letzte sichtbare Zeichen der Hingeschiedenen blieb nur noch etwa die ungefähre Form der Körper unter dem trockenen Sande.
Das Begräbniß war beendet – die Leute stellten die Spaten und Sargkasten wieder in das kleine Eckzimmer des Pavillons und ich selber folgte ihnen dorthin, und trat auf den Balkon hinaus. – Mir war das Ganze wie ein fürchterlicher Traum, der Kopf brannte mir fieberhaft, und ich zitterte an allen Gliedern. Sonst habe ich selber gewiß keine außergewöhnlich schwache Nerven, und dem Tod schon manchmal in’s Auge geschaut, dieß ganze Treiben aber hier, das Beseitigen der Leichen, denn Begraben konnte man das ja doch wahrlich nicht nennen, die entsetzliche Gleichgültigkeit der Leute dabei, ihr Lachen und Erzählen selbst noch in Gegenwart der Todten und das monotone Abplärren der Gebetsformeln, fast wie zum Spott und Hohn der Hingeschiedenen, hatte etwas unbeschreiblich Fürchterliches für mich.
Und wie still und friedlich lag dabei dicht unter mir die freundliche Bai, die ruhig schlummernde Stadt – leise plätschernd schlug in einem weißen, von den Mondesstrahlen mit Silberglanz übergossenen Schaumstreifen die Brandung an den Strand, und von den Schiffen in der Bai, die wie müde Wasservögel auf dem unbewegten Spiegel der See ruhten, blitzte nur hie und da ein einzelnes Nachtlicht herüber, während ein Boot, dasselbe wahrscheinlich das die Leiche des Matrosen zu Lande geschafft, mit regelmäßigen, in den Mondstrahlen jedesmal aufblitzenden Ruderschlägen, zwischen die dunklen Fahrzeuge hineinglitt und in ihrem Schatten verschwand. Die Straßen der tief unter mir liegenden Stadt schimmerten ebenfalls hell und weiß in des Mondes Licht, da und dort bogen einzelne Wanderer, die Rückkehrenden von ihrem Leichengang, in die stillen Straßen ein und verschwanden bald hier bald da, die Plätze und Gassen wieder so öde lassend als vorher – und nur noch der schrille Pfiff der Nachtwächter, oder das einzelne Anschlagen eines Hundes tönte zu mir herauf – und hinter mir?
Unwillkürlich fast zog es mich zu der offenen Gruft zurück – der Kirchhof lag still und öde da, denn die letzten der Männer hatten den unheimlichen Platz verlassen und ich setzte mich leise, als ob ich die da unten Schlummernden zu stören fürchte, auf den ausgeworfenen Erdhaufen nieder, von wo aus ich die Uebersicht über den ganzen Kirchhof hatte.
Ich weiß nicht wie lange ich da gesessen habe – ein so eigenthümliches wildschauerliches Gefühl hielt mir aber Herz und Sinne befangen, daß es mir fast vorkam, als ob ich mit zu denen da unten gehöre und nicht mehr fort von ihnen dürfe, sondern nun Wachthalten müsse auf dem Schreckensplatz.
Der Mond war schon tief auf die Bai hinabgesunken, und nur noch auf die Ueberreste des schmutzigweißen Gerippes in der einen oberen Ecke der Grube fiel sein bleicher Strahl, als ich mich endlich gewaltsam losriß von allen Gedanken und Bildern die mich hier fast wie gebannt hielten mit ihren Geisterarmen. Es konnte auch nicht mehr weit von Morgen seyn, und ich fürchtete schon die Thür verschlossen zu finden. Bei der Leiche des »reichen Mannes« mochten aber wohl noch Messen gelesen werden – es brannte Licht in der Kapelle wie in dem Wohnzimmer des Todtengräbers, und die Thür stand ebenfalls nur eingeklinkt.
Langsam stieg ich in die Stadt hinab und träumte die Nacht ich läge in der Grube, und könnte nicht warm werden bei den kalten Nachbarn und Schlafkameraden.
12. Die Reform und Weiterreise nach Californien
Drei volle Wochen hatte ich jetzt, und nach und nach mit einem gewissen ängstlichen Gefühl, den Telegraphen beobachtet, der mir täglich die Meldung machen sollte daß die Reform in Sicht sey, aber er that es nicht, und telegraphirte er wirklich einmal eine Brigg, so war es fast immer eine englische oder amerikanische, und nie die erwartete; ich bekam zuletzt einen ordentlichen Zorn auf die »falschen Farben.«
Im Leben hatte ich dabei nicht geglaubt, daß ich mich je so nach einer russischen Flagge sehnen würde, und doch war es so, denn viele unserer deutschen Schiffe segelten damals, den Unannehmlichkeiten der dänischen Blokade zu entgehen unter fremden Flaggen, von denen Rußland besonders gefällig gewesen zu seyn scheint, gegen »ein billiges Honorar« deutschen Handelsschiffen Schutz gegen die dänischen Kreuzer zu gewähren.
Es ist schmählich deutsche Thaler bezahlen zu müssen, um Schutz gegen dänische Kreuzer zu haben.
Hier erfuhr ich auch etwas, das mir bis dahin noch fremd gewesen war; Rußland führt nämlich ebenfalls blau roth und weiß, die Tricolore, in seinen Farben, die Streifen lang wie die der holländischen Flagge, nur mit dem weiß oben.
Einen Leidensgefährten bekam ich dabei in einem jungen Bremer, der ebenfalls ein vaterländisches Schiff, nur unter natürlicher Flagge erwartete, und wir beiden wanderten manchen langen Morgen hinaus nach dem Leuchtthurm und schauten weit hin über das stille blaue Meer, den ankommenden Segeln entgegenharrend, bis sie sich entweder als andere Fahrzeuge wie wir sie erhofften, auswiesen, oder fremde Flaggen zeigten – wenn die Sache noch lange gedauert hätte wären wir ein paar wirkliche Toggenburger geworden.
Ich sollte endlich zuerst erlöst werden, obgleich mein Leidensgefährte schon drei Wochen länger gewartet hatte. Am 12. August flatterte die weiß blau und rothe Flagge von der Gaffel einer einlaufenden Brigg herab und ich ließ mich ohne weiteres an Bord fahren, meine neu eingetroffenen Landsleute zu begrüßen, wie mich auch dem Capitän, als neuen Passagier, vorzustellen. Egoistisch aber, wie der Mensch überhaupt ist, vergaß ich von dem Tage an total meinen bisherigen regelmäßigen Begleiter nach dem Leuchtthurm, und ging nicht ein einzigesmal mehr hinaus.
Von Capitän wie Passagieren wurde ich übrigens auf das freundlichste aufgenommen – mir war es fast, als ob ich zu alten Bekannten käme; es ist das ein Liebeszins, den mir die Schriftstellerei abwirft, und wahrlich nicht der schlechteste, denn ich kenne kaum ein wohlthuenderes Gefühl als weit in der Fremde, da wo man Fremde zu finden erwartet, Freunde zu treffen, die uns mit herzlichem Willkomm die Hände bieten.
Auf der Reform sah es übrigens etwas kriegerisch aus; das Verhältniß zwischen Capitän und Passagieren schien nicht ganz so zu seyn wie es eigentlich seyn sollte, und eine Spannung herrschte zwischen beiden Parteien, die auf einer Seereise um so fataler ist, da sich die feindlich Gesinnten nicht ausweichen können, sondern, sie mögen wollen oder nicht, in engster und nächster Verbindung mit einander bleiben müssen.
Die Passagierfahrt ist überhaupt eine gar schwierige Sache und nicht so ganz leicht, wie sich mancher Schiffsrheder und Capitän wohl gern einreden möchte. Ein Capitän kann z. B. ein ganz ausgezeichneter Seemann seyn, sein Geschäft aus dem Grunde verstehen, und unermüdlich seinen Pflichten obliegen, das Schiff macht dadurch eine vortreffliche Reise, er verliert weder Stengen noch Segel, er bringt Fracht und Passagiere in möglichst kurzer Zeit und wohlbehalten an den Ort ihrer Bestimmung, aber – er weiß nicht mit den Passagieren selber umzugehen, er verwechselt diese zu leicht mit der Fracht selber die er führt, und hat leider nur zu oft »zu viel Zeit auf seine Seemannskunde verwandt,« um auch noch außerdem zu wissen wie man eine zusammengewürfelte Masse gebildeter und ungebildeter Leute, wie sie ja doch auf jedem Schiff vorkommen, behandeln muß. Er glaubt sich etwas von seinem Recht und Ansehen zu vergeben, wenn er freundlich mit ihnen ist, läßt sie so viel als möglich fühlen, daß er der Erste an Bord sey und deßhalb unbedingten Gehorsam von ihnen zu fordern habe – ja ist vielleicht unklug genug ihnen das mit dürren Worten zu sagen.
Der Capitän muß allerdings den Oberbefehl eines Schiffes haben und darauf unbeschränkter Herrscher seyn, aber er darf das, will er nicht unnützerweise ein fatales Verhältniß zwischen sich und den Passagieren herbeiführen, nicht selber aussprechen, sondern es muß als eine Sache angesehen werden die sich von selbst versteht, die jeder Vernünftige auch einsehen wird und einsieht, und die sich schon aus dem ganzen Gang des Schiffslebens in den ersten Tagen von selber ergibt.
Der Capitän sollte dagegen aber auch wieder, besonders in der ersten Zeit vorsichtig seyn, wie er sich, ehe er seine Leute etwas genauer kennt, zu viel und zu freundschaftlich, oder vielmehr familiär mit ihnen einläßt. Wird das nachher von diesen gemißbraucht, so vergibt er sich entweder wirklich von der Achtung die er auf seinem Schiffe zu fordern hat, oder er muß der erste seyn, der durch unfreundliche Worte, diejenigen welche er vorher selbst dazu aufgemuntert hat, wieder in die gehörigen Schranken zurückweist. Beides ein paar höchst unangenehme Fälle.
Ueberhaupt haben sich durch die Fortschritte unserer Cultur sowohl, wie durch die bedeutendere Auswanderung, die jetzt in einem ganz anderen Kreis unserer Gesellschaft Verbreitung gefunden, die Anforderungen die an den Führer eines Schiffes gestellt werden geändert, das heißt vergrößert.
In früherer Zeit genügte es, wenn ein Mann, der von der Pike auf gedient hatte, und im strengsten Sinn des Wortes »ein guter Matrose« war, sein Schifffahrtsexamen ordentlich machte; irgend ein Rheder setzte ihn dann auf ein Schiff, gab ihm seine Frachtbriefe und Empfehlungen an ein anderes bestimmtes Haus mit, und wie ein Fuhrmann, der nur darauf zu sehen hat daß seine Ladung vor Wasser und Feuer und überhaupt vor Schaden bewahrt wird, ging er in See, machte seine Reise so schnell und gut er konnte, nahm dort wieder ein was er von dem Haus, an das er adressirt war, bekam, und fuhr heimwärts wie er gekommen war.
Die Auswanderung beschränkte sich in jener Zeit auf den Handwerker und Ackerbauer, die Concurrenz zwischen den Schiffen war unbedeutend, die Verbindung zwischen den Ländern langsam.
Das hat sich jetzt alles geändert.
Erstlich wandert jetzt, wie schon gesagt eine ganz andere Klasse von Menschen aus, mit denen der Capitän in nächste Berührung kommt, und diese verlangt daß der Mann, der bei manchen Reisen nur auf wenige Wochen, bei anderen aber auf viele Monate nicht allein ihr Leben unter seinem Schutz, nein auch ihre ganze Bewirthung und Behandlung in der Gewalt und unter Aufsicht habe, ein gebildeter Mann seyn und findet sie das auf dem einen Schiff, bei dem einen Rheder nicht, so geht sie zu einem anderen.
Gebildete junge Leute fangen jetzt an zur See zu gehen, und wir verdanken dabei viel unserer »deutschen Seemacht« wenn diese auch leider nur als Schattenspiel über die Bühne ging – der Dienst auf einem Kriegsschiff mit Aussicht auf Avancement hatte mehr Verlockendes als das monotone Geschäft eines Kauffahrers, aber diese werden selbst nur zu häufig wieder durch das rohe Betragen der Capitäne, unter denen sie fahren müssen, zurückgeschreckt, welche Herren meist ein förmliches Vorurtheil gegen solche junge Leute haben, was aber auch darin sehr natürlicherweise begründet liegt daß es sie ärgert, wenn ein gewöhnlicher Matrose, ja nicht einmal das, noch ein Schiffsjunge oder leichter Matrose, was Navigation, Berechnungen oder Astronomie betrifft, mehr versteht als sie selber.
Der letzte Capitän mit dem ich fuhr, der von seinem eigenen Rheder, allerdings ungerecht, der gebildetste der Bremer Capitäne genannt wurde, sagte in meiner Gegenwart, wie sich sein Steuermann, ein so dickköpfiger Matrose als je ein Deck gewaschen – beklagte, daß zwei der leichten Matrosen den Augenblick, wie sie ihre »Wacht zur Coje hätten,« über den Büchern säßen, »ja, sie hätten sollen Professors werden.«
Aber noch einen anderen Grund gibt es, der die Rheder zwingen wird sich eine »neue Generation« zu Capitänen heranzuziehen und die wenigen guten, die sie schon haben, besonders warm zu halten.
Dampfschifffahrt, Eisenbahnen, wie außerdem noch die elektro-magnetischen Telegraphen haben einen neuen Umschwung in die Geschäfte gebracht. Früher segelte der Capitän mit seinem Schiff nach dem fremden Hafen, und war es ein gutes Fahrzeug, so machte er eine schnelle Reise und kam eher oder wenigstens so rasch zurück, als andere Nachrichten von dort her eintreffen konnten. Der Rheder gab damals dem Capitän seine Instruktionen mit, und war das Schiff erst einmal in See, so ließ sich daran nichts mehr ändern. Ob sich die Preise in der Heimath für die verschiedenen Produkte indessen so oder so gestalteten, blieb sich gleich, der Auftrag mußte, wie einmal gegeben, auch ausgeführt werden. Jetzt kann ein Schiff nach Indien z. B. schon zwei Monate in See seyn und den Ort seiner Bestimmung fast erreicht haben und doch ist es möglich neue Nachrichten dorthin zu bringen, ehe es Anker geworfen, zugleich erfährt der Schiffer selber von anderen Orten, zwischen denen früher kaum eine Verbindung bestand, Nachrichten über die Preise der nämlichen Produkte, über die sein Rheder noch nichts wissen kann noch erfährt, bis er seine Ladung genommen, und jener wird unendlichen Nutzen daraus ziehen, wenn er selber im Stande ist, in solchem Fall für sich zu handeln, und vortheilhaften Einkauf zu benutzen, anstatt sich an den Buchstaben seines Auftrags zu halten.
Alles das erfordert aber eben mehr als nur einen Matrosen, auch die Kauffahrer haben eine Cadettenschule nöthig, und der Vortheil, der dadurch den Rhedern erwüchse, wird bald augenscheinlich werden.
Doch um wieder auf das Verhältniß der Passagiere mit dem Capitän zurückzukommen, so sind es ebenfalls nur zu häufig auch die ersteren, welche mit einen großen Theil der Schuld tragen. Zu viele nur geben sich, wenn sie besonders als Cajütenpassagiere eingeschrieben sind, den kühnsten Erwartungen einer mit jeder Bequemlichkeit ausgerüsteten Seefahrt hin, und viele scheinen dabei wirklich den Glauben zu haben, daß sie, wenn sie nicht offenbaren Verlust leiden sollen, ihren vollen Passagepreis unterwegs herausessen müssen. Die Passage selbst ist ihnen nichts, »so und so viel haben sie bezahlt, dafür kann der Rheder eine so und so große Quantität, und eine so und so gute Qualität Lebensmittel angeschafft haben, und das muß ihnen werden, sonst sind sie verrathen und verkauft und werden unwürdig und schändlich behandelt.«
Daß sie sich dabei das Leben selber, ganz unnöthigerweise, verbittern, daran denken sie gewöhnlich gar nicht, und doch spielen sie sich dabei den größten Possen. An das Schiffsleben nicht gewohnt, und mit den gedruckten Versprechungen der Rheder in der Tasche, die sie sich nicht etwa so wie sie gemeint waren, sondern wie sie selbst es erwartet, ausgelegt haben, treten sie, sobald sie sich nur im mindesten in ihrem Rechte gekränkt glauben, ungestüm auf, und fordern dabei oft Sachen, die sie nicht einmal zu fordern haben. Ist nun der Capitän ein vernünftiger ruhiger Mann, der sich von vornherein nichts vergeben und Anspruch auf die Achtung der Passagiere hat, so kann er mit ein paar freundlichen Worten und einigen Berichtigungen oder Versprechungen ungemein viel ausrichten. Selbst mit mittelmäßigen Lebensmitteln kann der Capitän, wenn nur eine gute Ordnung eingeführt wurde, und die Passagiere sehen, er thut was in seinen Kräften steht, die Menschen, die er über das Meer führen soll und die in der Zeit Gefahren und Aufenthalt mit ihm theilen, zufrieden stellen – die besten werden ihnen dagegen nicht genügen, wenn ein schroffes Betragen des Capitäns sie dazu nöthigt, sich nur immer und immer wieder unter sich selber auszusprechen. Dort findet sich dann selten jemand, der ihnen genügende Auskunft geben könnte – und wenn er sich wirklich fände, würden sie ihm nicht glauben, und mehr und mehr erbittert wächst der Unmuth, bis er endlich zum unheilbaren Bruche wird.
Die Leute haben dabei gewöhnlich gar keinen Begriff von einer Seefahrt, wissen nicht einmal wie sie sich selber unterwegs benehmen müssen, und wollen dabei noch Capitän und Aufwärtern ihre Pflichten vorschreiben. Nur eine Sache will ich, des Beispiels wegen, erwähnen – das Waschen der Passagiere in der Cajüte (Damen natürlich ausgenommen) wie im Zwischendeck auf Auswandererschiffen, wie das Halten von Nachtgeschirren; wäre ich Capitän, ich würde es unter keiner Bedingung dulden, und lieber zum Waschen eine Vorrichtung am Deck anbringen, es geschieht aber nur zu häufig. Die Passagiere glauben sich auf einem Schiff wie in einem Gasthof einrichten zu können, hetzen den armen, vielleicht im Anfang selbst seekranken Cajütenjungen bald hin bald her, und zwar um Sachen, die sie sich selbst recht gut und ohne ihrer Würde als Cajütenpassagiere etwas zu vergeben, besorgen könnten, und schleppen oder lassen sich das Wasser in die engen Räume ihrer Schlafstellen oder Cajüte hineinschleppen. Die geringste Bewegung des Schiffs verschüttet ihnen jedenfalls, wann sie nicht gar das ganze Becken umstößt, einen Theil der Flüssigkeit, die nun ihrerseits wieder verdunsten muß und die inneren Räume mit einem schlechten Dunst und Schmutz erfüllt. Selbst beim Hinaustragen ließe sich, während das Schiff schwankt, das Uebergießen kaum vermeiden, und nachher sollen ein oder zwei unglückselige Geschöpfe von Stewards oder Aufwärtern, die mit ewigem Hin- und Hergeschick gehetzt werden, nun auch noch im Stande seyn, sich selber zu reinigen, Cajüten und Geschirre sauber und in Ordnung zu halten. Es ist wahr, diese Burschen sehen auf den Passagierschiffen oft genug zum Anekeln aus, und wären im Stande dem hungrigsten Magen das Essen, das sie auftragen, zu verleiden, gewöhnte man sich nicht endlich an sie und ihr schmutziges Geschirr. Das ist aber auch nicht anders möglich, so lange nicht die Passagiere sich die größte Mühe geben, alles das, was sie sich selbst holen, was sie selbst verrichten können, auch wirklich selber zu holen und zu verrichten, und dadurch die paar Aufwärter (denn für jeden Passagier kann nicht gut ein Bedienter gehalten werden), ihren nöthigeren Geschäften nicht mehr zu entziehen.
Allerdings muß man sich dabei, selbst wenn man Cajütenpassagier ist, vieles auf einem Schiff gefallen lassen und ertragen, was man auf dem festen Lande nicht zu ertragen brauchte, dafür ist man aber auch auf Reisen und sollte sich das besonders immer und immer wieder selber vorerzählen. Klug ist es dabei von den Passagieren gehandelt, wenn sie sich mit dem Capitän so gut als möglich stellen – sie brauchen ihm gar nicht zu schmeicheln, sie sollen sich nichts vergeben – ich wäre der letzte, das von ihnen zu verlangen, aber sie dürfen sich auch, unbeschadet ihrer eigenen Würde, in manche Laune, oder das wenigstens was ihnen Laune zu seyn scheint, fügen, manches erbitten, was sie vielleicht ein Recht zu fordern hätten, das schadet gar nichts, sondern stellt sie im Gegentheil auf einen freundschaftlichen Fuß mit dem Capitän an Bord, der, wenn er bösen Willen genug dazu hat, sie chicaniren, ärgern und knapp halten kann so viel er will. Möge mir keiner darauf erwiedern: »das kann und darf er nicht, oder wir machen ihn im nächsten Hafen dafür verantwortlich,« weiß er es klug anzufangen, so kann und darf er alles, und die Passagiere sind es dann stets, die darunter leiden müssen.
Die Consuln in fremden Hafenplätzen haben dabei keineswegs, wie viele irrthümlich glauben, eine entscheidend richterliche, sondern nur eine vermittelnde Stimme. Ueber den Proviant und Wasservorrath des Schiffs haben sie allerdings ein gewichtiges Wort zu sprechen, sie können nach vorgebrachten Klagen deßhalb die Vorräthe untersuchen lassen und den Capitän nöthigen, das den Passagieren gesetzlich Versprochene zu halten, sonstige Klagen aber gehören, besonders wenn sie ernsterer Natur sind, vor die wirklichen Gerichte der verschiedenen Länder, und wer noch nicht weiß was es mit »wirklichen Gerichten« in irgend einem Theil der Welt für eine Bewandtniß hat, der kann, das auf Kosten seiner Zeit und seines Geldbeutels in jeder fremden Hafenstadt, am bequemsten aber (wenn das überhaupt bequem ist) im eigenen Vaterland erfahren.
Nein am vernünftigsten ist es jede Streitigkeit gleich von vorn herein so viel als möglich zu vermeiden, und thun das die Passagiere, so werden sie mit nur geringer Erfahrung bald einsehen, daß sie sich selber am besten dabei gestanden haben.
Als ich die Reform damals betrat, waren denn auch sämmtliche Parteien an Bord – Passagiere wie Capitän, Feuer und Flamme. Die Passagiere auf Deck erklärten mir daß sie mit dem Capitän nicht weiter gingen, er stehe ihnen nach dem Leben und lasse sie halb verhungern, und der Capitän in der Cajüte versicherte mich dasselbe. Sein Leben sey, wie er fest behauptete, bedroht worden, und selbst seine Matrosen weigerten sich weiter mitzugehen, wenn die Rädelsführer nicht erst beseitigt wären.
Es war ordentlich komisch die schrecklichen Geschichten der beiden Parteien zu hören, doch zweifelte ich nicht im geringsten daß sich das in Valparaiso schon Alles reguliren würde, und hütete mich, weder bei der einen noch der anderen Partei etwas d’rein zu reden.
Die Reform hatte eine ziemlich glückliche Reise um Cap Horn gemacht, überhaupt ist diese Reise, die als das Schreckbild einer Winterfahrt wohl schon manchen armen Reisenden wochenlang vorher geängstigt hat, wenn er an all das Eis, all den Schnee, all die furchtbaren Stürme und Wellen dachte die dort seiner warteten, in letzter Zeit von sehr vielen Schiffen, und zwar glücklich zurückgelegt worden. Zur Beruhigung manches Reiselustigen, dem vielleicht nur noch vor dieser bösen Tour graut, will ich deßhalb das, was ich darüber von vielen Passagieren und Capitänen gehört, mittheilen; es mag vielleicht dazu dienen hie und da eine irrige Meinung zu berichtigen.
Sehr viele Seefahrer behaupten, daß die Sommerfahrt für eine Reise von Osten nach Westen, um Cap Horn herum, die bessere sey, andere dagegen nehmen die Monate Mai und Juni aus in denen, wenn es auch sehr kalt zu dieser Zeit in so hoher südlicher Breite ist, die östlichen Winde doch vorherrschen und gutes klares Wetter eine rasche glückliche Fahrt aus dem atlantischen in den stillen Ocean sollen erwarten lassen.
Gerade jetzt sind mehre Schiffe hier eingelaufen die in den letzten Monaten Cap Horn ungemein rasch und glücklich umsegelten. So hatte die Reform eine Reise von 42 Tagen von Rio de Janeiro bis Valparaiso; eine norwegische Barke kam in 31 Tagen von Buenos Ayres hier an, und eine englische Barke hat ebenfalls nur 34 Tage dazu gebraucht. Der Talisman ist in 42 Tagen von Rio herumgekommen, und noch viele andere Fahrzeuge hatten ungemein schnelle und gute Reisen. Nichtsdestoweniger hängt aber dennoch, wie bei jeder Seefahrt, so viel von Schiff und Capitän als auch von Glück dabei ab, denn zwei gleichschnell segelnde Schiffe können zufällig in zwei verschiedene Windströmungen gerathen, so daß das eine, welches gerade den günstigen Strom getroffen, seine Reise ruhig und schnell fortsetzt, während das andere zurückgehalten, vielleicht noch von einem Sturm überholt und ganz aus seinem Cours herausgebracht wird. So kam hier kurze Zeit vor der Reform eine oldenburgische Brigg an, die nicht weniger als 104 Tage von Rio Janeiro gebraucht hatte. Auch durch die Magellanstraße hat kürzlich ein Hamburger Schiff, die Athene, die Reise versucht, aber freilich durch eine entsetzlich lange und beschwerliche Fahrt schwer dafür büßen müssen. In der Magellanstraße herrschen nämlich meistens Windstillen, und bei ungünstigem Wind gestattet wieder das schmale Fahrwasser keinen hinlänglichen Seeraum, so daß die Schiffe dann jedesmal vor Anker gehen, und dadurch viel schöne und kostbare Zeit vergeuden müssen.