Kitabı oku: «Unter Palmen und Buchen. Dritter Band.», sayfa 14
Neuntes Capitel.
Weshalb man nie eine Gartenthür offen lassen soll
Die Kirmeß war vorbei, und am Freitag Morgen geleitete Hans seine Braut wieder, mit der vollen Musik, nach Wetzlau hinüber. Am nächsten Sonntag zur Nachkirmeß war aber Lieschen unwohl geworden und konnte nicht nach Dreiberg kommen. Sie hatte spät am Sonnabend Abend noch einen Boten hinüber gesandt, damit die Musik nicht umsonst käme, um sie abzuholen.
Hans fühlte sich unbehaglich darüber, denn er wußte recht gut, daß ihn die Dreiberger Burschen auslachen würden, wenn ihn seine Platzjungfer im Stich ließ. Und war sie auch so ernstlich krank? – das wäre ja noch viel schlimmer gewesen. Am Ende war sie nur ein wenig böse auf ihn, des letzten Abends im Wirthshause wegen. Trug er denn aber die Schuld? Der Fremde hatte ja mit den anderen Burschen Streit bekommen, und er bei der ganzen Sache keine Hand angelegt, ja, dem Stadtherrn nicht einmal ein böses Wort gesagt. – Und was ging sie auch überhaupt der Laffe an, daß sie ihm seinetwegen böse sein konnte – und doch war sie an jenem Abend gar nicht mehr so freundlich mit ihm gewesen, wie sonst. Die Botschaft von Wetzlau aber konnte er nicht aus dem Kopf bringen und beschloß endlich am nächsten Morgen mit Tagesanbruch selber hinüber zu reiten.
Der Vater war an demselben Tage nochmals in der Stadt gewesen, und es schien fast, als ob er jetzt bald einen Heimathschein, und zwar von hier, erhalten würde. Der alte Barthold hatte nämlich, des ewigen Hin- und Herschreibens müde, drinnen erklärt, daß er seinem Sohn sein Gut in Dreiberg übergeben würde. Dadurch wurde Hans ansässig, und sie konnten ihm dann das Heimathrecht nicht länger versagen. Der Traubenwirth hatte ihn dazu vermocht, ihm dauerte selber die Sache zu lange und er wünschte, daß die Hochzeit recht bald sein könnte, weshalb, sagte er aber dem alten Barthold nicht.
Das war doch wenigstens eine gute Nachricht, die der Hans mit hinüber nach Wetzlau nehmen konnte, und eben schaute am anderen Morgen die Sonne über die östlichen Gebirgshänge herüber, als er auf seinem Braunen in den herrlichen Herbstmorgen hineintrabte. Eigentlich war es noch ein wenig früh für einen Besuch, aber auf dem Lande wird es nicht so genau genommen, und daß Lieschen, wenn nicht ernstlich krank geworden, schon um diese Zeit auf und munter sei, wußte er außerdem.
Zu Pferd brauchte er auch nicht den nichtswürdigen Fahrweg einzuhalten, wenigstens ein kleines Stück vor Wetzlau konnte er abschneiden, wenn es auch verboten war den Pfad zu reiten, weil man damit das Chausseehaus umging. Dadurch kam er gleich hinter dem Wirthshaus in's Dorf, und da er die Gartenpforte offen fand, ritt er hinein, hing den Zügel seines Pferdes über den Ast eines Apfelbaumes – aufhalten durfte er sich doch nicht lange, er mußte ja zurück nach Dreiberg zur Nachkirmeß – und kam durch den Hof in das Haus.
Unten traf er das Hausmädchen, das ihm aber auf seine Frage, wie es Lieschen ginge, antwortete: »Die Jungfer? o, die ist ganz wohl. Sie war vorhin unten und ist eben wieder hinaufgegangen.«
»Also nicht krank, Gott sei Dank!« dachte Hans, als er die Treppe langsam hinanstieg, »und sollte sie mir da wirklich böse sein? ei, das will ich bald sehen, was sie für ein Gesicht macht, wenn sie mich zuerst sieht; ob sie nur so thut, oder ob sie's wirklich ist, und nachher muß der Alte gleich einspannen und sie wieder hinüberfahren lassen. Das wäre eine schöne Nachkirmeß ohne Platzjungfer! Ein Glück nur, daß ich herübergekommen bin!«
Damit hatte er den oberen Theil der Treppe erreicht und betrat eine Art Vorsaal, der in einige Gaststuben führte, dahinter lag eine Vorrathskammer, und links ab durch den Gang kam man in Erlau's Familienwohnung, wo Lieschens Zimmer dicht neben der Schlafkammer der Eltern lag. An der Treppe vorüber führte ein anderer Gang nach dem linken Flügel des Hauses, wo sich die gewöhnlich benutzten Gastzimmer befanden. Die an dieser Seite wurden nur in Ausnahmsfällen benutzt und standen meist leer.
Hier blieb Hans unschlüssig stehen, denn er scheute sich nach Erlau's Wohnzimmer hinüber zu gehen; es war ihm doch noch ein wenig zu früh, und er überlegte sich eben, daß es das Beste sei, wenn er lieber erst von unten das Hausmädchen hinaufschicke und Lieschen sagen lasse, er sei da und müsse sie einen Augenblick sprechen. Als er eben wieder umkehren wollte, hörte er drüben auf dem Gang den festen Schritt eines Mannes. Das war gewiß der Mosje mit dem Schnurrbart, der hinuntergehen wollte, dem mochte er nun gerade hier nicht begegnen, wenn er es vermeiden konnte, und eines der leeren Gastzimmer öffnend, trat er hinein und ließ die Thür angelehnt.
Der Schritt kam aber näher und mußte die Treppe längst passirt haben. Jetzt betrat er den diesseitigen Gang, es war wahrhaftig der alte Bekannte mit dem Schnurrbart; was hatte denn der auf dieser Seite des Hauses zu thun? Er konnte ihn, als er vorüberging, durch die Thürspalte deutlich erkennen, und dann blieb der Mensch auch noch gar dort stehen und ging auf dem kleinen Vorplatz auf und ab. Ob der Laffe nicht überall im Wege war!
Hans ärgerte sich, daß er in das Zimmer getreten war; wenn er es aber jetzt verließ, was mußte der Bursche dann von ihm denken? daß er sich hier versteckt gehalten? Nein, warten mußte er noch eine Weile, bis die Luft rein war. Der Mosje würde doch gewiß keine halbe Stunde da stehen bleiben.
Jetzt wurde die Gangthür geöffnet, er kannte sie am Knarren. Da kam am Ende Lieschen, und der alberne Mensch stand auf dem Vorsaal, und draußen wurde jetzt geflüstert. Hans horchte hoch auf, das konnte doch nicht Lieschen sein? gewiß eines der Dienstmädchen aus dem Hause.
Die Stimmen kamen näher, und dicht vor seiner Thür blieben die Beiden, wer es auch immer war, halten.
»O, geh fort, Otto,« bat jetzt Lieschens Stimme – dem Hans war genau so zu Muthe, als ob ihn Jemand mit einem Messer in's Herz gestochen hätte – »ich habe den Vater schon in seiner Kammer gehört, und wenn er Dich hier mit mir fände, wäre ich unglücklich. Er hat überdies schon Verdacht geschöpft und mir gedroht. Wenn uns nun Jemand hier zusammen sähe!«
»Aber, liebes, herziges Kind,« bat des Fremden Stimme, »ich muß heute in die Stadt, und werde unter vierzehn Tagen nicht zurückkommen. Ich konnte doch nicht fortgehen, ohne Abschied von Dir zu nehmen.«
»Und Du mußt fort?«
»Würde ich gehen, wenn ich nicht müßte? Ach Lieschen, jetzt fühl ich erst wie lieb ich Dich habe, und daß ich nicht ohne Dich leben kann. O mein Gott, wie soll das später werden?«
»Ich weiß es nicht,« seufzte das Mädchen, »aber der Vater gäbe seine Einwilligung nie zu unserer Verbindung, und ich bin jetzt unglücklich für meine ganze Lebenszeit.«
»So bist Du mir wirklich gut?«
»Von ganzer Seele.«
Die Thür, vor der sie standen und sich umfaßt hielten, öffnete sich plötzlich und Hans trat heraus. Er sah leichenblaß aus und schritt, ohne ein Wort zu sagen, langsam und den Blick stier auf Herrn von Secklaub geheftet, auf diesen zu.
»Hans!« stöhnte Lieschen emporschreckend, – er sah sie gar nicht – er wußte wahrscheinlich selber nicht genau was er that, und streckte nur langsam den Arm nach seinem Nebenbuhler aus. Dieser wich scheu einen Schritt zurück, denn der Blick des jungen Mannes kündete nichts Gutes.
»Hans!« rief nochmals Lieschen und warf sich ihm erschreckt entgegen, »was willst Du thun?«
Die Berührung des Mädchens schien ihn sich selber wiederzugeben. Er sah seine Braut starr an, machte sich dann von ihr los, drehte sich ab und stieg, ohne auch nur ein Wort zu sagen, die Treppe wieder hinab. Aber er that das, wie ohne eigenen Willen, als ob er von einer Maschine getrieben würde.
»Haben Sie die Jungfer gefunden?« frug ihn das Hausmädchen unten.
Er nickte nur mit dem Kopfe, schritt durch den Hof und den Garten, machte das Pferd los, stieg wieder auf, und sprengte wenige Minuten später in gestrecktem Galopp in der Richtung nach Dreiberg fort.
Eine Stunde später, und kaum noch einen Büchsenschuß von Dreiberg entfernt, fanden drei junge Bauern, die hinüber zur Nachkirmeß wollten, den Dreiberger Platzburschen besinnungslos auf dem Wege liegen. Er mußte jedenfalls mit dem Pferd gestürzt sein, das noch, etwa hundert Schritt von ihm entfernt, auf einer Kleestoppel weidete, und hatte sich den Kopf an den scharfen Steinen blutig geschlagen.
Die Burschen hatten aber Verstand genug, ihn nicht in solchem Zustande in seiner Eltern Haus zu tragen; die Mutter hätte den Tod vor Schreck davon haben können. Einer von ihnen holte deshalb das Pferd, setzte sich auf und sprengte voraus, um es dem alten Barthold zu melden, und die andern Beiden nahmen den Bewußtlosen in die Arme und trugen ihn dem Dorfe zu.
Eine halbe Stunde darauf lag Hans entkleidet, aber immer noch ohne Besinnung, in seinem Bett, während der Dorfchirurg seine Wunden – er hatte eine an der Stirn und eine über dem linken Schlaf – untersuchte und verband, und um das Bett standen in sprachlosem Jammer Vater und Mutter und die arme Katharine.
Das war eine recht gestörte Nachkirmeß heute in Dreiberg, denn es fehlte dabei ein Platzbursche und zwei Platzjungfern – aber getanzt wurde doch, das Fest mußte ja natürlich abgehalten werden, und wer fehlte, wurde eben durch Andere ersetzt. Was hätte auch eine Kirmeß in ihrem Gange aufhalten können?
Zehntes Kapitel.
Im Bett
Und wie traurig ging es indessen im Hause des alten Barthold zu, denn mit Hans wurde es nicht besser, und als er am zweiten, dritten, ja selbst am vierten Tag noch immer nicht zur Besinnung kam, da war es der Mutter, als ob sie sich selber mit in's Grab legen müsse, wenn sie sehen sollte, wie sie den einzigen Sohn hinaustrügen auf Nimmerwiederkehr.
Auch der Vater ging wie gebrochen umher; der alte Mann schien in den wenigen Tagen um doppelt die Anzahl von Jahren älter geworden zu sein. Er sprach fast mit Niemandem, und die Knechte hatten noch nie mit solchem Eifer ihre Arbeit gethan und nach ihrer Pflicht gesehen, wie in diesen Tagen, denn es war ihnen gar so unheimlich, daß der alte Mann nicht manchmal mit einem, aber immer gut gemeinten Donnerwetter dazwischen fuhr und ihnen auf die Finger sah. Die Einzige, die noch die Arbeit im Hause besorgte, war Katharine; aber wo sie sich eine Minute an ihrer Zeit abmüßigen konnte, saß sie oben am Bett des Kranken und strickte, und wenn sie Niemand sah – denn sie wollte die Eltern nicht noch trauriger machen – fielen ihr die großen schweren Thränen auf ihre Arbeit nieder.
So war der vierte Nachmittag gekommen. Der Vater hatte die ganze Nacht bei dem kranken Sohn gewacht, die Mutter war dann den ganzen Morgen bei ihm gewesen, und jetzt hatte Katharine bei ihm die Wacht. Die Arme hatte wieder eine Weile gestrickt, dann ließ sie die Arbeit in den Schooß sinken, und ihr Blick haftete an den todtbleichen Zügen des Kranken, bis sich ihr endlich von den vielen herausstürzenden Thränen die Augen verdunkelten. Da aber hielt sie sich nicht länger; am Bett fiel sie nieder auf die Kniee, drückte ihre heiße Stirn gegen das Unterbett und rief mit halblauter, von Schmerz und Jammer fast erdrückter Stimme: »O, laß ihn leben, lieber Gott, laß ihn leben! sei barmherzig und nimm ihn nicht seinen armen Eltern, die den Jammer ja nicht ertragen könnten. Wenn aber eines sterben muß, o Du barmherziger Gott, so laß mich es sein. Wie gern, wie gern sterb ich für ihn, und besser, viel besser wäre es ja auch, Du nähmst mich fort, ich werde ja doch mein ganzes Leben elend und verlassen sein.« Und halb an dem Bett niedersinkend, daß sie sich nur noch mit den Händen hielt, schluchzte sie, als ob ihr das Herz brechen müsse.
Während sie betete, hatte der Kranke auf dem Lager langsam die Augen geöffnet und erstaunt aufgesehen. Jetzt schloß er sie wieder; die Betende lag aber noch lange neben dem Bett zusammengebrochen und erhob sich erst, als sie draußen Schritte hörte. Es war der Vater, der in's Zimmer kam, um nach seinem Sohn zu sehen.
Nur einen Blick warf er nach dem Kranken, seufzte tief auf und wandte sich dann gegen das Mädchen, dem noch die hellen Thränen über die Wangen liefen.
»Arme Katharine,« sagte er herzlich, umfaßte sie und küßte ihre Stirn, »thut Dir's denn auch so weh, daß wir den Jungen verlieren sollen? Aber härme Dich nicht so ab, Kind, Du wirst uns ja sonst selber krank. Wir stehen Alle in Gottes Hand, Herz. Er hat ihn uns gegeben; will er ihn wieder nehmen – sein Name sei gelobt.«
Katharine legte sich jetzt an die Brust des Alten, und ihr Schmerz löste sich allmählich in lindernde Thränen auf.
»Geh' jetzt, Schatz,« sagte der Vater leise und richtete sie auf, »die Mutter hat nach Dir verlangt. Ich bleibe bei dem Jungen. Der Chirurg muß auch bald wieder kommen. Sowie er da ist, schick' ihn mir augenblicklich herauf, hörst Du?«
»Ja, Vater,« sagte Katharine, die sich gewaltsam zusammennahm, »ich geh' schon, nur frische Umschläge möcht' ich ihm noch geben, daß es ihm die Wunden wieder ein Bischen kühlt.«
Der Vater nickte still und langsam vor sich hin, und setzte sich dann auf den Stuhl, zu Füßen des Bettes, während Katharine mit vorsichtiger Hand die kalten Umschläge erneuerte und dann leise, als ob sie einen Schlafenden zu stören fürchte, das Zimmer verließ.
Der Vater saß, nachdem die Katharine schon lange hinausgegangen, noch immer so, den Blick auf das bleiche, kalte Antlitz des Sohnes geheftet. Endlich stützte er auf dem Lehnstuhl den Kopf in die rechte Hand und schaute stier und lautlos viele, viele Minuten lang vor sich nieder.
»Vater,« sagte da eine leise Stimme, und wie von einem Schuß getroffen, sprang der alte Mann empor.
»Vater!« Hans sah ihn aus den eingefallenen Augenhöhlen groß an, er lebte. Der Verwundete war zum Bewußtsein zurückgekehrt.
»Junge, Junge!« rief der Alte, und was der Schmerz und Jammer um den Todtgeglaubten nicht vermocht, das erzwang die Freude. Am Bette stürzte er nieder und des Sohnes Hand mit Küssen bedeckend, weinte er wie ein Kind.
Aber nicht lange konnte der starke Mann von solchem Gefühl bewältigt werden, und mit dem Bewußtsein – der Arzt hatte ihn besonders davor gewarnt – den Erwachten nicht zu sehr aufregen zu dürfen, sagte er, mit vor innerer Bewegung fast erstickter Stimme, indem er die Hand des Kranken drückte und streichelte: »Hans, lebst Du wieder, o, das ist brav! das ist brav! Aber lieg' still, mein Junge, rühre und rege Dich nicht. Der Doctor wird gleich da sein, und ich muß jetzt hinunter und es der Mutter sagen – und der Katharine – ich bin gleich wieder da, lieg' nur noch einen Augenblick still, mein Hans, nur einen Augenblick.«
Der alte Mann wußte selber kaum was er that. Die Glieder flogen ihm wie in Fieberfrost, und vor Freude bebend – er fand kaum die Thürklinke, eilte hinaus, um der Mutter die Botschaft zu bringen – »Dein Sohn lebt!«
Wie wär' es möglich den Jubel zu beschreiben, der jetzt das Haus erfüllte, denn der Chirurg hatte ihnen schon gesagt, wenn Hans wieder zum Bewußtsein käme, dann brauchten sie für sein Leben nicht mehr zu fürchten; nur ruhig müßten sie ihn halten. Das wollten sie auch, aber sehen mußten sie ihn erst einmal, nur einen einzigen kleinen Augenblick, und leise, selbst auf den Zehen, schlichen die Mutter und Katharine in die Kammer hinein. Als sie aber dem Blick des Sohnes und Bruders begegneten, der ihnen freundlich zulächelte, da konnten sie sich nicht mehr halten und thaten wie der Vater. Sie stürzten an sein Bett, und bedeckten seine Hand mit Küssen und Thränen. Aber der Alte stand jetzt Wacht.
»Hinaus mit Euch!« rief er in gutmüthigem Zorn, »wollt Ihr den Jungen rebellisch machen, daß er mir wieder ohnmächtig wird? Fort und hinunter, bis der Doctor kommt, ich bleibe so lange bei ihm auf Posten.« Und Mutter und Katharine die wohl wußten, daß der Vater Recht hatte, rissen sich von dem Wiedergeschenkten los, nickten ihm noch in seliger Freude zu und verließen jetzt das Zimmer, um sich unten in ihrer Stube recht von Herzen auszuweinen – doch es waren Freudenthränen.
»Aber Vater,« sagte Hans mit wohl noch sehr matter, indeß vollkommen deutlicher Stimme, »weshalb treibst Du die Mutter und die – die Kathrine hinaus? es fehlt mir ja Nichts mehr, und – ist denn die Kathrine heute nicht zur Kirmeß gegangen?«
»Fehlt Dir Nichts mehr? – so?« sagte der Vater, indem er ihn kopfschüttelnd betrachtete, »und heute zur Kirmeß? Weißt Du denn, welchen Tag wir heute schreiben, und wie lange Du dagelegen hast?«
»Nun? ist's nicht Sonntag? aber wie bin ich denn eigentlich hier in's Bett gekommen? was ist denn vorgefallen?«
»Heute Sonntag? Mittwoch ist heute und noch dazu Mittwoch Abend und der vierte Tag, daß Du hier liegst und keinen Bissen Essen, keinen Tropfen Wasser über die Lippen gebracht hast!«
»Mittwoch? aber wie ist das möglich?«
»Bist Du am Sonntag nicht mit dem Pferde gestürzt? Der Braune hatte ja doch die Spuren am Körper.«
»Mit dem Pferd gestürzt? – ja!« sagte Hans da plötzlich, und sein Antlitz, das sich beim Reden etwas gefärbt hatte, wurde wieder leichenblaß, »als ich von Wetzlau herüberkam. Der Braune stolperte auf dem schlechten Weg – ich glaube, er stürzte auch – aber weiter weiß ich mich auf Nichts zu besinnen.«
»Ja, weil sie Dich nachher für todt hier in's Haus trugen. Und was für Sorge haben wir um Dich gehabt, die Mutter und die Kathrine und Deine Braut!«
»Meine Braut?« sagte der Hans leise.
»Nun gewiß,« sagte der Alte. »Wir mußten ihr doch natürlich gleich die Botschaft hinüberschicken, und als sie am Montag selber mit dem Traubenwirth oben war und Dich hier auf dem Bett wie todt liegen sah, hat sie geweint, als ob ihr das Herz brechen müßte. Jetzt ist sie selber krank und liegt im Bett, aber alle Tage hat sie herübergeschickt, um fragen zu lassen, wie es Dir geht; manchmal zwei Mal an einem Tag. Es soll mir auch gleich ein Bote nach Wetzlau, daß sie sich mit uns freuen können.«
Hans sank wieder auf sein Kopfkissen zurück und schloß die Augen. Der Kopf that ihm noch weh und das Besinnen that ihm auch weh, und doch hätte er in dem Augenblick Gott weiß was darum gegeben, wenn er gewußt hätte, was jetzt wirklich geschehen sei und was er nur geträumt habe. Wie ihm das Alles so wild und toll in seiner Erinnerung durcheinander schwamm – er konnte die einzelnen, verworrenen Bilder gar nicht von einander trennen.
»Hans,« rief der Vater ängstlich, »bist Du wieder krank?«
»Nein, Vater,« sagte der junge Bursche leise, ohne aber die Augen noch zu öffnen, »der Kopf schwindelt mir nur. Laßt mich einmal einen Augenblick ausruhen; es wird gleich wieder besser werden.«
Hans hatte auch nicht zu viel versprochen. Eine solche Natur, wie er, kann wohl einmal geworfen werden, aber sie arbeitet sich auch wieder kräftig nach oben, und Träume und Phantasien können nie lange Gewalt über sie haben. Doch die Augen durfte er nicht dazu geschlossen halten; er mußte sehen, was um ihn her vorging, und wie er wieder in das ängstlich besorgte Gesicht des Vaters schaute, kam ihm die Erinnerung an das Vergangene, an – das wirklich Geschehene, klar und deutlich zurück.
»Wo ist die Kathrine, Vater?« sagte er leise.
»Die Kathrine? unten bei der Mutter. Laß die Frauen nur noch eine Weile gehen, denn die machen Dich sonst nur noch unruhiger, als Du schon bist. Aber ich hab' Dir auch eine gute Kunde zu melden, Hans – eine recht gute Kunde.«
»Eine gute Kunde?«
»Dein Heimathschein ist angekommen. Jetzt ist's auf einmal schnell gegangen. Aber nun mach' auch daß Du wieder auf die Füße kommst. Ich hab Dir das ganze Gut verschrieben, und da mußten sie ihn Dir wohl geben, denn Du bist ja jetzt Landeigenthümer geworden und kannst nun heirathen, wann Du willst. Aber nach Gotha werden wir doch noch müssen, denn die Herren Geistlichen sind zäh und wollen nicht nachgeben.«
»Wo ist denn die Kathrine, Vater?«
»Aber was hast Du nur mit der Kathrine? unten, ich hab' Dir's ja schon vorher gesagt; bei der Mutter.«
Wieder schloß Hans die Augen und schien jetzt wirklich müde geworden zu sein, denn als ihn der Vater wieder anredete, bewegte er nur leise die Hand und öffnete die Augen nicht. Da er aber ruhig und regelmäßig athmete, war der Alte vernünftig genug, ihn nicht weiter zu stören, und zwei volle Stunden blieb er so liegen, während die Frauen ein paar Mal leise das Zimmer betraten, aber immer wieder auf den Zehen hinausschlichen, sobald sie den Schlaf des Kranken bemerkten.
Gegen Abend kam der Chirurg, und als Hans die fremde Stimme hörte, öffnete er die Augen. Er hatte wirklich geschlafen und fühlte sich dadurch merklich gestärkt.
Der Chirurg war außerordentlich zufrieden; der Puls ging ruhig, die Kopfwunden waren nur noch wenig entzündet. Wundfieber hatte er gar nicht gehabt, und mit einiger Ruhe hoffte jener ihn in ein paar Tagen wieder auf den Füßen zu haben.
»In ein paar Tagen?« lächelte Hans, »ich stehe morgen auf, Doctor, die Schrammen am Kopf heilen auch so.«
»Und fallen mir nachher wieder um,« sagte der Chirurg.
»Denke nicht daran,« meinte Hans.
»Nur nicht zu früh,« warnte der Doctor, als er das Haus verließ, »daß wir keinen Rückfall kriegen.«
Mutter und Katharine durften jetzt bei ihm bleiben, und als das junge Mädchen wieder zu seinem Bett trat, nahm er ihre Hand, drückte sie leise und sah ihr so lange in die guten blauen Augen, bis sie den Blick vor ihm zu Boden schlug. Aber eine große Veränderung zum Besseren war mit ihm vorgegangen. Er schien die anfängliche Schwäche schon fast abgeschüttelt zu haben, und die Mutter war ganz glücklich, daß er ihr so aufmerksam zuhörte, als sie ihm Alles erzählte, was indessen in Dreiberg vorgegangen, seit er dagelegen, wenn er auch Katharine immer dabei anschaute.
»Vater,« fragte Hans, nachdem die Frauen zur Bereitung des Abendbrods hinuntergegangen waren und er eine Weile schweigend in seinem Bett gelegen, »habt Ihr nach Wetzlau hinübergeschickt?«
»Ei gewiß,« lautete die Antwort, »der Bote ist auch schon zurück. Er hat aber die Liese nicht selber gesprochen, doch ist sie wieder auf und gesund. Sie lassen Dich Alle herzlich grüßen und Dir Glück wünschen.«
»Vater, ich möchte jetzt nicht gern mehr viel Zeit verlieren, bis ich meinen eigenen Heerd gründe.«
»Aber wohl und gesund mußt Du doch erst wieder sein.«
»In vierzehn Tagen werden kaum noch die Narben zu sehen sein, und so lange braucht's ja doch zu dem Aufgebot,« meinte Hans.
»Hm,« sagte der Vater, »aber da kommt uns wieder die verwünschte Geschichte mit dem Consistorium dazwischen. So rasch geht die Sache nun auf keinen Fall.«
»Ich hab' mir das Alles anders überlegt, Vater,« sagte der Hans ruhig, »wir brauchen das Consistorium gar nicht – ich heirathe die Kathrine.«
»Hans!« rief der Vater und fuhr erschreckt von seinem Stuhl in die Höhe, denn er glaubte im ersten Augenblick, sein Hans sei durch den Sturz im Kopf verwirrt geworden, »um Gottes willen, Junge, was hast Du? was ist mit Dir? Du solltest noch nicht so viel nachdenken, Du solltest hübsch still liegen und Dich ruhig halten.«
Hans, der wohl ahnen mochte was sein Vater fürchtete, lächelte still vor sich hin; endlich sagte er: »Die Kathrine hat mich lieb, ich weiß es. Vorhin hab' ich's gehört, als sie noch glaubte, ich könnte sie nicht hören, und ich bin ihr auch von Herzen gut, und sie paßt besser für mich, für uns Alle, als das Lieschen.«
»Aber der Traubenwirth hat mein Wort, das Lieschen hat Deins. Das geht im Leben nicht und brächte Schand' auf uns Alle,« rief jetzt der Alte, denn der Hans sprach zu vernünftig, als daß er nun nicht hätte merken können, es sei ihm Ernst.
»Wär' Euch die Kathrine zur Schwiegertochter recht, Vater?«
»Was hilft das Fragen, Hans? zerquäl' Dir den Kopf nicht mit derlei Dingen,« mahnte der Vater ab, doch noch immer nicht so ganz beruhigt. Wie kam der Junge jetzt nur auf die Kathrine?
»Bitte, beantwortet mir nur die eine Frage,« bat Hans, »wär' Euch die Kathrine zur Schwiegertochter recht?«
»Wenn Du sie früher gewählt hättest, ich wollt nichts dagegen sagen,« setzte er zögernd hinzu, »aber so –«
»Vater, wollt Ihr mich einen Augenblick ruhig anhören?«
»Du darfst nicht so viel sprechen.«
»Nur ein paar Worte, ich muß es vom Herzen haben, und Ihr müßt morgen ganz früh nach Wetzlau reiten und mit dem Traubenwirth sprechen.«
»Und was ist's?«
Hans lag noch eine Weile still, dann erzählte er dem Vater mit kurzen, einfachen Worten die ganzen Erlebnisse, erst von dem letzten Kirmeßabend, dann von jenem Sonntag-Morgen, was er gehört und was er selber gesehen und der Vater saß dabei und schüttelte nur unablässig mit dem Kopfe. Und dann erzählte Hans weiter, wie er wieder zur Besinnung gekommen sei und wie Katharine an seinem Bett gelegen und gebetet und was sie dabei gesagt habe. Und jetzt nickte der Alte und sagte leise: »Ob ich's mir nicht gedacht – ob ich's mir nicht gedacht!«
»Und soll ich das Lieschen jetzt noch heirathen, Vater? könnt' ich's nach dem, was vorgefallen ist, je wieder recht von Herzen lieb haben? und hat's mir nicht damit selbst mein Wort zurückgegeben?«
Der Alte antwortete nichts, er war aufgestanden, kraute sich den Kopf und ging eine ganze Weile im Zimmer auf und ab. Endlich rief er: »Morgen früh reit' ich zum Traubenwirth hinüber. Gern thu' ich's nicht, aber Recht hast Du. Wenn die Sache denn einmal so steht, mag sich das Lieschen den Stadtmenschen nehmen. In die Stadt paßt es auch besser mit den weiten Röcken, als zu uns in die engen Stuben – und die Kathrine?«
»Sagt ihr noch nichts, Vater,« bat Hans, »ich möchte sie selber darum fragen; auch der Mutter nicht; heute Abend bin ich doch zu schwach. Das viele Reden hat mich angestrengt, vielleicht auch der Hunger; aber da kommt die Mutter mit der Suppe, die wird mir gut thun. Mir ist ordentlich zu Muthe, als ob ich in einem ganzen Jahre nichts gegessen hätte.«