Kitabı oku: «Unter Palmen und Buchen. Dritter Band.», sayfa 5
Sechstes Capitel.
In der Heimath
Eduard von Benner befand sich, so lange er in dem Kreis dieser liebenswürdigen Familie weilte, in einer Art von künstlich hervorgerufener Erregung, die ihn der Vergangenheit wie Zukunft entrückte und seine Augen nur an der erfreulichen Gegenwart schwelgen ließ. Er hatte mit Hedwig und den anderen jungen Mädchen gelacht und ihnen eine Menge Dinge von den australischen Wunderlichkeiten erzählt, von den sonderbaren Eingeborenen, von dem fremdartigen Baum- und Pflanzenwuchs, von den ganzen Eigenthümlichkeiten des Landes, dem die kleine Gesellschaft mit der gespanntesten Aufmerksamkeit lauschte.
Jetzt war der Zauber von ihm genommen. Er ritt wieder mit seinem Schwager den breiten, sonngebrannten Weg hinab, der nach dem nächsten Dorf und Rittergut hinüberführte; aber all die alten peinigenden Gedanken stürmten auf ihn ein und plagten sein Herz mit ihren Zweifeln und Vorwürfen, denn das Geheimniß seiner Ehe lag wie ein Alp auf seiner Seele.
Und weshalb hatte er überhaupt ein Geheimniß daraus gemacht? Weshalb seiner Schwester nicht gleich bei seiner Ankunft die unumwundene, doch nicht mehr zu umgehende Wahrheit gesagt? – Wieder und wieder legte er sich die Frage vor, und immer fehlte ihm die Antwort, weil er sich scheute, sie sich selber zu gestehen – er habe sich seines braven Weibes geschämt. Und mußte es Alexandrine denn nicht erfahren? Mußte er denn nicht einmal das doch thun, gegen das er sich jetzt noch sträubte: ein volles Geständniß seines bisherigen Lebens abzulegen, und verschlimmerte er nicht seine Schuld noch durch Verzögerung? –
Wenn er es nun jetzt gleich that, seinem Schwager Alles mittheilte, was ihn bedrückte, sein Herz frei und leicht machte? Aber er wagte es nicht. So oft ihm das Wort auch schon auf den Lippen lag, er vermochte nicht, es auszusprechen, denn er fürchtete die Vorwürfe des strengen Mannes. – Aber seine Schwester wollte er zur Vertrauten machen, sobald er zurück nach Galaz kam; sie sollte, sie mußte Alles wissen, und ihm dann rathen, was er zu thun habe. Sie war ja auch so gut und lieb und hing an ihm mit ganzer Seele, ihr durfte er sagen was ihn bedrängte, und ihrem Ausspruch wollte er sich dann fügen.
»Bist Du ein wunderlicher Mensch,« sagte da Galaz, der an seiner Seite ritt, »eben noch da drin bei Deinen schönen Zuhörerinnen Feuer und Flamme und gar nicht wegzubringen, daß wir jetzt in der heißen Mittagssonne den Weg reiten müssen, den wir hätten in der Morgenkühle zurücklegen können, und nun auf einmal bleich und in Dich gekehrt, Deinem Pferd die Sporen einsetzend, daß ich kaum Schritt mit Dir halten kann, und auf keine meiner Fragen und Zurufe achtend. Deine Erinnerungen haben Dich wohl so lebhaft in Deine »»Malley- und Salzbusch-Scrubs«« zurückversetzt, daß Du ganz in Gedanken hinter einem eingebildeten Dingoe oder Känguruh hersetzest?«
»Sei mir nicht böse, Rudolph,« sagte Eduard, rasch dabei sein Pferd einzügelnd; »Du hast Recht, ich war wirklich mit meinen Gedanken fern, aber nicht in Australien, wie Du zu glauben scheinst, sondern hier bei Euch. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie wunderbar für mich der rasche Uebergang von jenem trostlos wilden Leben zu diesem mit Genüssen gesättigten ist, und es giebt noch Stunden, wo es mir vorkommt, als ob ich von einem Zauber befangen sei, der nicht wahr und wirklich sein könne und – ich fürchte mich dann ordentlich vor dem Erwachen.«
»Ich glaube Dir's,« sagte Graf Galaz gutmüthig, »ich glaube Dir's – Dein langes einsames Leben dort, dann die fünfmonatliche Seereise auf einem Schiff, wo Du, wie Du uns erzählt, der einzige Passagier gewesen, das Alles mußte dazu dienen Dich von der Welt abzuschließen, Dich ihr zu entfremden; aber davon werden wir Dich hier bald kuriren, das sei versichert. Es wird nicht lange dauern, und Du fühlst Dich wieder so heimisch bei uns, wie bis jetzt unter Deinen ewigen Gumbäumen – Aber da sind wir an Ort und Stelle,« – unterbrach er sich selber – »das hier ist das Vorwerk, das ich Dir zeigen wollte, und nun laß uns Schritt reiten, damit sich die Thiere wieder ein wenig abkühlen; wir sind fast ein wenig zu rasch hierher gejagt.«
Von jetzt an nahm die Gegenwart und die aufgesuchte Oertlichkeit ihre ganze Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch, als daß Eduard noch länger hätte seinen trüben Gedanken nachhängen können; und wahrlich, er suchte ein solches Grübeln nicht, das ihm, je länger es dauerte, je peinlicher wurde. Er wollte vergessen – wenigstens für jetzt. – Was später kommen mußte, kam ja doch.
Erst gegen Dunkelwerden kehrten sie nach Haus zurück, aber auch hier fand sich keine Gelegenheit ungestört mit der Schwester sprechen zu können, denn es war Besuch angekommen, der einige Tage blieb und ein ruhiges Beisammensein unmöglich machte. Er konnte nicht einmal die Abreise desselben erwarten, denn er mußte jetzt selber wieder auf einige Zeit in die Residenz, um seine Geldangelegenheiten mit dem dortigen Banquier zu ordnen und ihm seine Namensunterschrift zu geben.
Von der Residenz aus aber schrieb er einen langen Brief nach Hause an sein Weib – schrieb ihr, daß er noch aufgehalten werde und nicht so rasch zurückkehren könne, als er geglaubt, und schickte ihr in Wechseln auf Adelaide eine nicht unbedeutende Summe Geld, damit sie sich indessen dort jede Bequemlichkeit verschaffen könne, die ihr bis dahin gefehlt. Auch für Becher wies er das ihm zur Reise geborgte Geld an, und fühlte dadurch sein Herz erleichtert – war er doch vor der Hand, soweit er dies vermochte – seinen Verpflichtungen nachgekommen.
In der Residenz wurde er länger aufgehalten, als er gedacht – so viele alte Freunde fand er ja dort, und mit ein oder dem Anderen erst zufällig zusammengetroffen, konnte und durfte er doch auch die Uebrigen nicht vernachlässigen – man hätte es ihm mit Recht übel genommen. Außerdem mußte er sich auch vollkommen neu equipiren. Mit seiner Toilette war es noch immer ziemlich schlecht bestellt, denn nach seiner Ankunft hatte er sich doch nur eben das Nothwendigste angeschafft. Das Alles nahm Zeit weg, und die Zeit flog hier in Europa so entsetzlich rasch; er wußte oft selber nicht, wo so ein Tag geblieben.
Endlich kehrte er nach Galaz zurück, aber die Gastlichkeit der Insassen schien kein ruhiges Leben, wenigstens in der Sommerzeit, zu gestatten. Er fand den alten Comthur mit Hedwig und zweien ihrer jüngeren Schwestern zum Besuch dort, und wurde mit Jubel von der kleinen Gesellschaft empfangen.
Und wie lieb und gut war Hedwig gegen ihn – wie lernte er hier in diesen wenigen Tagen ihr stilles Wirken kennen und schätzen. – Und wie talentvoll war sie dabei – was für reizende Skizzen hatte sie in der kurzen Zeit gemalt, und welche zum Herzen sprechenden Melodieen entlockte sie den Tasten, wie seelenvoll klang ihre Stimme, wenn sie dazu sang. Eduard saß dann stumm und regungslos in einer Ecke des Zimmers, und lauschte wie fernem Orgelklang den lieben Tönen – so weich – so weh war ihm dabei ums Herz, und ankämpfen mußte er gegen sich, um die aufsteigenden Thränen zu bezwingen.
Was es war, das ihn so bewegte? er mochte sich selber keine Rechenschaft darüber geben – er wußte es nicht, aber während es sein Herz mit süßer Wehmuth füllte, überkam ihn eine Angst dabei – eine Angst vor sich selber, die ihm die kalten Tropfen auf die Stirn preßte. Er mußte endlich aufstehen und das Zimmer verlassen, weil er sich zu verrathen fürchtete, und Alexandrine nur, die ihn schweigend beobachtet hatte, folgte ihm mit ihrem Blick.
Liebte er Hedwig? – Sie wünschte und hoffte es, denn erst dann durfte sie fest darauf rechnen, den ruhelosen Geist für immer in ihre Nähe zu bannen. – Aber weshalb dann diese Unruhe, dieser augenscheinliche Schmerz in seinen Zügen. Sie wußte, daß er nicht verzagt war – nie im Leben! Nagte ein anderer Gram an seinem Herzen?
Hedwig hatte den Kopf gewandt, als er das Zimmer verließ und ihm nachgesehen. Und mitten im Gesang ging er fort. Sie endete ihr Lied und sagte lachend:
»Deinen Bruder, Alexandrine, habe ich hinausgesungen.«
»Aber ich glaube,« sagte die Gräfin, »es kann nur schmeichelhaft für Dich sein, denn er schien mir tief ergriffen.«
»Du brave Schwester Du,« lachte das junge Mädchen, »wie wacker Du seine Parthie nimmst – aber ich werde nachher ein Kreuzverhör anstellen und sehen, ob er die nämlichen Entlastungsgründe – wie Großpapa sagt – vorbringen wird, die seine Vertheidigerin aufgestellt hat.«
Alexandrine bat sie jetzt, ein munteres Lied zu singen, und das junge Mädchen willfahrte gern, neigte ihr ganzes Wesen doch auch viel mehr dem Heiteren, als Ernsten und Schwermüthigen zu. Sie sang einige reizende österreichische Lieder, deren Dialekt sie vollständig mächtig war, und lächelte dabei still vor sich hin, als sich die Thür wieder leise öffnete und Eduard zu seinem verlassenen Sitz zurückglitt. Er hatte sich unbemerkt geglaubt und dabei nicht beachtet, daß ein großer, unfern von dem Instrument stehender Spiegel, jede seiner Bewegungen der nur zu aufmerksamen Sängerin verrieth.
Als sie endlich schloß und von ihrem Sitz aufstand, kam auch Eduard mit den übrigen herbei, um ihr seinen Dank auszusprechen.
»Nun, Herr von Benner,« sagte sie und bemühte sich vergebens dabei ernsthaft zu bleiben, – »was hat Ihnen nun besser gefallen, mein schwermüthiges elegisches Lied vorher oder die heiteren Melodieen jetzt?«
»Mein gnädiges Fräulein,« erwiderte Eduard, dem nicht entgehen konnte, daß Muthwillen hinter der Frage lauerte – »glauben Sie mir auf mein Wort, daß ich noch nicht lange genug wieder im Vaterlande bin, um mich einem solchen Genuß unbefangen hinzugeben. Alte wehmüthige Erinnerungen tauchen mit den lange – o so ewig lange nicht gehörten lieben Klängen zugleich in meinem Herzen auf – Reminiscenzen aus einer vergangenen – verlorenen Zeit und ich weiß dann selber nicht, ob ich aufjubeln – ob ich trauern soll.«
»Und siehst Du, Hedwig, daß ich Recht gehabt?« rief Alexandrine, indem sie mit Herzlichkeit des Bruders Hand ergriff.
»Und haben Sie sich das erst draußen überlegt?« lächelte aber diese, nicht gewillt ihn so leicht durchschlüpfen zu lassen.
»Zürnen Sie mir nicht, mein gnädiges Fräulein,« bat da der junge Mann, »wollte ich Ihnen die Ursache meiner Bewegung sagen, Sie würden mich vielleicht nicht einmal verstehen.«
»Sie können auch grob werden,« neckte das junge Mädchen.
»Danken Sie Gott, daß Sie es nicht verstehen können,« lautete aber die ernste Antwort. »Das Verständniß ist mit schwerem Leid erkauft und theuer – entsetzlich theuer, denn wir zahlen es gewöhnlich mit den besten Jahren unseres Lebens.«
Hedwig erschrak ordentlich vor dem düstern Ausdruck in seinen Zügen und lenkte freundlich ein.
»Aber Herr von Benner, ich habe Sie ja nicht böse machen wollen; zürnen Sie nicht meinem tollen Muthwillen, der Sie vielleicht verletzte, wo – er nur ein wenig necken sollte –«
»Mein liebes gnädiges Fräulein,« erwiederte Benner, »glauben Sie um Gottes Willen nicht, daß Jemand Ihnen zürnen könnte –«
»Also auch zu schmeicheln verstehen Sie? – Sie sind vielseitig.«
»Nein,« sagte Eduard treuherzig, »das habe ich glücklicherweise, mit mancher anderen unnützen Eigenschaft, da draußen in der Welt abgeschliffen – ich kann nicht heucheln und wie ich mich gebe bin ich.«
»Wollte Gott, alle Menschen könnten das von sich sagen,« seufzte Hedwig – »es wäre besser auf der Welt.«
Alexandrine hatte ihren Bruder, während er sprach, still und schweigend beobachtet, jetzt da die Unterhaltung eine zu ernste Wendung zu nehmen schien, trat sie an's Instrument und fiel rasch in eine muntere Weise ein, die bald alle trüben und schwermüthigen Gedanken zerstreuen mußte. Hedwig jubelte auch gleich wieder auf, und in wenigen Minuten hatte sie den bösen Geist beschworen, der die Fröhlichkeit des kleinen Kreises stören wollte. – Aber im eigenen Herzen war es der Schwester trotzdem nicht so leicht zu Muthe, denn Eduards ganzes Benehmen verrieth, daß ihm irgend etwas – was es auch sei, die Seele drücke – und weshalb gestand er ihr das nicht? War es wirklich erwachende Liebe für das junge, reizende Mädchen – aber weshalb da dieser kummervolle, schmerzliche Zug um den Mund? War das eine Quelle der Sorge und hätte es nicht eher das Gegentheil, eine Quelle der Freude und des erwachenden Glückes sein müssen?
Die jungen Damen blieben noch bis spät in die Nacht bei ihnen, und Alexandrine beschloß ihren Bruder an diesem Abend scharf und heimlich zu beobachten, ob sie etwas weiteres an ihm entdecken könne, wo nicht aber, ihn morgen direct zu fragen, was ihm fehle, denn fehlen mußte ihm etwas, und ihm ihre Hülfe anzubieten. Sie war ja so glücklich ihn wieder zu haben, und konnte ihn da nicht traurig sehen, wo gerade Alles zusammentraf, um ihn mit dem früher verlorenen Leben wieder auszusöhnen.
Durch die heiteren Weisen angeregt, schien er auch wirklich seinen trüben Gedanken entzogen zu sein, und als sich nach Tisch die kleine Gesellschaft noch auf der Terrasse versammelte, wurde er sogar heiter und gesprächig.
Es war auch ein lauschiges Plätzchen zum Erzählen, diese Terrasse in der Blüthenzeit des Jahres. Breit und geräumig, mit feinem Kies bestreut, umzog sie eine niedere steinerne Balustrade, auf den Pfeilern mit Vasen bestellt, in denen breitblättrige stachliche Aloepflanzen üppig wucherten. In der Mitte derselben war ein Bassin von weißem Marmor angebracht, aus dem ein kleiner Springbrunnen emporstieg, gerade hoch genug, um durch sein leises melodisches Plätschern die Stille zu unterbrechen, und doch das Gespräch nicht zu stören. Auf den Marmortischen brannten Windlichter in hohen geschliffenen Gläsern und warfen ihren matten Schein auf die umhergepflanzten Blüthenbüsche, während von dem mit eisernen Stäben umzogenen Portal des Gartensalons blühendes Jelängerjelieber niederhing, die Luft mit seinem Wohlgeruch erfüllte und zahlreiche große, prächtig farbige Nachtfalter anzog, die darum her und oft über die Lichter surrten.
Und weit da draußen lag der Park mit seinen duftenden Wiesen und seinem breiten Wasserspiegel des Teichs, in den der Mond sein Licht niederstrahlte, und auf dem noch silberblitzende Schwäne herüber und hinüber zogen, während ein leiser Luftzug über die paradiesisch schöne Gegend strich.
Unten im Park schlug eine Nachtigall und die kleine Gesellschaft war aufgestanden und an die Terrasse getreten, um den lieben Tönen zu lauschen – jetzt schwieg sie, und lautlos schauten sie Alle in die stille herrliche Nacht hinaus.
»Und ist es auch so schön bei Ihnen in Australien, Herr von Benner?« sagte da Hedwig, die an seiner Seite stand – mit leiser Stimme – »haben Sie auch dort solche Nächte, einen solchen Himmel, solche Scenerie?«
»Nein, mein Fräulein,« erwiederte Benner bewegt – »für den Australier vielleicht, aber nicht für uns, deren Seele noch am deutschen Boden hängt. – Es giebt doch nur eine Heimath, und wo die ein solches Paradies umschließt, wer kann es dem Menschenherzen da verdenken, wenn es an ihr mit allen Fasern hängt.«
»So sehnen Sie sich nicht dorthin zurück?«
Eduard schwieg – die Frage traf ihn tief ins Mark, denn Alles was den Menschen an dies Leben bindet: Weib und Kind lag ihm dort, und hätte ihn mit allen Banden der Seele zurückziehen müssen.
»Es ist eine merkwürdige Thatsache mit uns armen Sterblichen,« sagte er endlich, »daß wir einen Platz, auf dem wir lange gelebt – ob es uns dort gut gegangen – ob wir Leid oder Weh erfahren – lieb gewinnen, und mit Wehmuth von ihm scheiden. Ja den Gefangenen sogar soll ein solches Gefühl ergreifen, wenn er aus seiner Zelle scheidet, aus der er sich lange, lange Jahre mit blutendem Herzen herausgesehnt. Wird ihm aber die Freiheit endlich, und darf er den Schauplatz seines Jammers verlassen, so erfüllt ihn ein Gefühl der Wehmuth, von den Mauern jetzt für immer Abschied zu nehmen, die so oft seine Seufzer und Thränen gesehen.«
»So war Ihnen Australien ein Gefängniß?« sagte das junge Mädchen mit tiefem Gefühl – »o bitte, erzählen Sie uns einmal, wie Sie die letzte Zeit dort gelebt, was Sie gethan und getrieben, wer mit Ihnen verkehrt und was Sie ertragen. Für uns, die wir Sie jetzt kennen, ist das ja Alles, selbst die größte Kleinigkeit von Interesse.«
»Auch uns hast Du eigentlich noch Nichts von Deinem dortigen Leben erzählt,« bat jetzt auch Alexandrine – »von den Menschen dort wohl, den wilden und zahmen, von den Pflanzen und Thieren – aber nie von Dir selber. Du bist hier unter lauter Freunden, lege einmal eine offene Beichte ab.«
Alles drang jetzt in ihn, seine Schicksale zu erzählen – aber so heiter und unbefangen Eduard auch vorher wieder geplaudert hatte, jetzt zog er sich scheu in sich selbst zurück. Er gab ausweichende Antworten – er sei dazu nicht in der rechten Stimmung – es wäre auch zu einförmig, um die Gesellschaft zu unterhalten – kurz er wich aus, und da man fühlte, daß er es nicht gern that, hatte man Takt genug, nicht weiter in ihn zu dringen.
Das Gespräch drehte sich jetzt um alltägliche Gegenstände, und erst gegen elf Uhr fuhr der Wagen des alten Herrn vor, der die Familie zurück auf ihr Schloß brachte.
Siebentes Capitel.
Das Geständniß
Eduard von Benner hatte eine schlaflose Nacht; er fühlte, daß er so nicht länger fortleben, daß er nicht länger das Geheimniß seiner Ehe gegen seine Schwester, gegen seinen Schwager wahren könne und dürfe. Ihnen wenigstens mußte er gestehen, was ihm auf der Seele lastete, was ihm die Heimath, das Glück, das ihn hier umgab, zu einem täglichen Vorwurf machte, und ihn zuletzt doch noch zwingen würde, nach jenem entsetzlichen Land zurückzukehren. Oder hätte er wagen dürfen seine Frau, seine Schwiegereltern, die Schuhmachersleute in diese Kreise einzuführen? – Es war nicht möglich, das sah er vollkommen ein, und was anders blieb ihm übrig als sein verfehltes Leben nun auch durchzuführen, wie er es selber sich gestaltet hatte – was konnte er thun, um diesem Zwitterdasein entzogen, von ihm befreit zu werden?
Oh, wohl fielen ihm jetzt die Warnungen seines früheren Freundes Krowsky ein, der ihn so oft und dringend abgemahnt, den Schritt zu thun – wohl bereute er jetzt bitter, ihm damals nicht gefolgt zu sein und hartköpfig auf seiner tollköpfigen Idee beharrt zu haben – es war zu spät – der Würfel gefallen und er mußte das Unvermeidliche jetzt tragen und – elend sein.
Elend? er wagte nicht dem Gedanken zu folgen, wenn er an sein liebes, braves Weib da draußen dachte – wie treu sie an ihm hing, wie ihre ganze reine, unschuldige Seele nur ihm gehörte, nur für ihn sorgte und mühte, und er? worüber grübelte – worüber sann er? Er barg das Antlitz in den Händen, so erfaßte ihn ein Gefühl von Scham und Reue und dennoch – dennoch fehlte ihm die Kraft sich aufzuraffen, und das zu thun, was ihm sein Gefühl für Recht gebot – was er thun mußte, wenn er sich nicht selbst verachten sollte.
Ermüdet vom vielen Denken schlief er endlich ein, aber der nächste Morgen brachte ihm keine Linderung, ja vermehrte nur das Qualvolle seines Zustandes, weil es ihn der Entscheidung näher brachte. Er fühlte aber auch – heute Morgen mit kaltem Blute sowohl, wie gestern Abend in der Aufregung, in welche ihn Hedwigs Gegenwart versetzt, – daß er mit seiner Schwester offen sprechen müsse. In welchem Licht wäre er ihr sonst später erschienen, wenn sie – was auf die Länge der Zeit unvermeidlich blieb – das Verhältniß doch erfuhr, in dem er stand.
Es wurde ihm entsetzlich schwer zu dem Entschluß zu gelangen, aber er sah auch keine Möglichkeit, ihm länger auszuweichen, und mit dem fast ebenso unbehaglichen Gefühl des Zwangs, zog er sich endlich an und ging zum Frühstückstisch hinüber.
Sein Schwager und seine Schwester erwarteten ihn schon; die Kinder frühstückten immer mit ihrer Bonne zeitiger im Garten – und Alexandrine sah dem Bruder auf den ersten Blick an, daß ihn etwas bedrücke oder daß er sich vielleicht leidend fühle. Seine Züge hatten einen überwachten Ausdruck – die Augen lagen ihm tief in den Höhlen, auch seine Wangen waren auffallend bleich. Bei dem Frühstück blieb er ziemlich einsilbig; auf die Frage, ob ihm etwas fehle, gab er eine ausweichende Antwort – etwas Kopfschmerzen, Nichts weiter. Die Schwester ließ es dabei bewenden. Graf Galaz erzählte ihm von einem Paar prächtigen Pferden, die ihm heute Morgen zugeschickt worden und die sie nachher probiren wollten. Eduard hatte den Wunsch geäußert, ein Gespann zu kaufen – er ging ziemlich theilnahmlos darauf ein.
Die Diener kamen herein, und trugen das Frühstücksgeschirr hinaus. Die Drei waren allein.
»Nun, hast Du jetzt Lust, Eduard,« sagte der Graf, »so will ich anspannen lassen. Der Himmel ist heute umzogen und ein prächtiger Tag zum Fahren.«
»Eduard,« sagte da Alexandrine herzlich und ergriff seinen Arm – »Dir liegt etwas auf der Seele – was es auch sei – Wende Dich nicht ab, und denke daß Du keine treueren Freunde auf der Welt hast, als uns – Schütte Dein Herz aus; sag uns, was Dich drückt, und sei versichert, daß Du von uns die innigste, aufrichtigste Theilnahme, und wenn nöthig auch Hülfe und Beistand zu gewärtigen hast.«
»Es ist wahr, Eduard,« bestätigte auch der Graf, »etwas muß in Dir nicht richtig sein. Entweder liegt Dir irgend eine Krankheit in den Knochen – Du hast Dich vielleicht noch nicht wieder genug acclimatisirt, und dafür habe ich es bis jetzt gehalten, oder – Alexandrine hat Recht und irgend eine Sorge, ein Kummer nagt Dir am Herzen. Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie gern ich Dir helfen möchte – wenn Du überhaupt Hülfe brauchst. Aber drückt Dir wirklich etwas die Seele, dann auch herunter damit, daß Du uns wieder ein freundliches, unbekümmertes Gesicht zeigst. Es thut mir weh, Dich so zu sehen.«
Benner saß, den Arm auf den Tisch gestützt, mit niedergeschlagenen Augen da. Er hatte ja zu ihnen reden, ihnen Alles gestehen wollen was ihn quälte, jetzt aber, da der Augenblick nahte, fehlte ihm wieder der Muth, denn er wußte ja nur zu gut wie der Theil der Gesellschaft, zu welchem die Seinigen gehörten, in dem sie lebten und wirkten, seine Stellung beurtheilen würde. Aber er konnte auch nicht mehr zurück – schon durch sein halbverlegenes Schweigen hatte er eingestanden, daß wirklich nicht Alles mit ihm sei wie es solle, daß ihn irgend etwas peinige –; Schweigen hieß jetzt den ihm liebsten Menschen das Vertrauen weigern, und sich plötzlich gewaltsam emporraffend, sagte er scheu:
»Ja, Alexandrine – ja, Rudolph, Ihr habt Recht – ich hatte in der That bis jetzt vor Euch ein Geheimniß – und daß ich es hielt mag Euch beweisen, wie ich selber das Drückende meiner Lage fühle. Aber es soll nicht länger so zwischen uns sein, und dann rathet mir was ich thun – wie ich handeln soll.«
»Mein guter Eduard!«
»Hört mich. – In Australien, abgeschnitten von Allem an dem bis jetzt mein Herz hing, freundlos, freudlos, allein und verlassen und auf meiner Hände Arbeit angewiesen, mit meinem Vater entzweit, also auch jede Rückkehr nach Europa verlegt und unmöglich gemacht, trieben mich Trotz und Verzweiflung zu einem Schritt, der mich für immer an Australien fesseln sollte – ich heirathete.«
»Du bist vermählt?« rief Alexandrine erstaunt, fast erschreckt aus.
»Vermählt – ja,« sagte Eduard bitter und leise vor sich hin, »mit der Tochter eines Schuhmachers, die, als ich sie kennen lernte, bei einem deutschen Apotheker – in Diensten stand –«
Alexandrine erwiederte kein Wort – sie war todtenbleich geworden, und ihre Gestalt zitterte – sie mußte sich auf den Stuhl niedersetzen, neben dem sie stand.
»Jetzt wißt Ihr Alles,« fuhr er dann leise fort – »mein Weib ist gegenwärtig mit unserem Kind bei ihren Eltern in Tanunda und erwartet mit Sehnsucht meine Rückkehr nach Australien. – Meine dort übernommene Pflicht zwingt mich, dahin zurückzukehren, denn – ich darf Euch hier keine Schande machen.«
»Oh Eduard, Eduard, hast Du denn gar nicht mehr an uns gedacht?« klagte da seine Schwester; »mußtest Du Dich denn mit Gewalt von Allem losreißen, was Dir noch lieb und theuer war auf der Welt – hatten wir das um Dich verdient?«
»Es ist zu spät darüber jetzt zu klagen,« sagte ihr Bruder finster – »was ich mir aufgebürdet, muß ich tragen, und wie es mein Herz auch hier nach Deutschland ziehen und hier halten mag, mein selbstgeschaffenes Schicksal zwingt mich in jenen fernen Welttheil zurück.«
Graf Galaz hatte in der ganzen Zeit kein Wort gesprochen. Er stand mit der Schulter an den Pfeiler der Gartenthür gelehnt, die Arme untergeschlagen, die Augen, so lange Eduard sprach, fest und forschend auf diesen geheftet. Jetzt schaute er still und überlegend vor sich nieder.
»Und ist das Dein fester Wille?« sagte er endlich leise.
»Was Anderes soll ich – kann ich thun?«
»Laß uns Zeit zum Ueberlegen Eduard,« erwiederte da der Graf ruhig, »denn die Sache ist in der That zu wichtig, um über's Knie gebrochen zu werden. – Ich will es mir indessen überdenken – ich will mit Deiner Schwester darüber reden, ich – muß mir selber erst klar darüber werden, denn ich kann Dir gestehen, Du hast uns überrascht – ich war auf etwas Derartiges nicht vorbereitet.«
Eduard wollte etwas erwiedern, aber er vermochte es nicht. Er ging auf Graf Galaz zu und drückte ihm die Hand, küßte seine Schwester und verließ dann rasch das Zimmer. Draußen befahl er sein Pferd zu satteln, und ritt gleich darauf hinaus in den Wald.
Auch Galaz blieb nicht daheim – er ließ sich die neu gebrachten Pferde einschirren, und ging indessen, während Alexandrine auf dem Sopha saß und still weinte, mit raschen Schritten im Saale auf und ab – aber keins von ihnen sprach ein Wort. Erst als der Diener meldete es sei vorgefahren, und dann wieder die Thür schloß, trat er zu seiner Gattin und sagte herzlich:
»Sorge Dich nicht, Alexandrine; es kann noch Alles gut werden – lasse mir nur Zeit zum überlegen – Dein Bruder ist in treuen Händen, sei versichert.«
»Mein guter Rudolph, oh, der arme, arme Eduard!«
»Banne die trüben Gedanken, Schatz, ich bin bis um 12 Uhr wieder zurück; bis dahin wird auch Eduard vielleicht da sein, und wir halten dann Familienrath.«
»Und was denkst Du, daß er möglicher Weise thun kann?«
»Noch weiß ich Nichts, Kind – gar Nichts. Der Kopf wirbelt mir nur von dem Gehörten; das muß erst klar werden und sich sichten; alles Andere findet sich ja dann leicht. Leb wohl indessen, und laß mich wieder ein freundliches Gesicht sehen, wenn ich zurück komme.«
Ein freundliches Gesicht – Du großer Gott, der armen Frau war das Herz recht voll und schwer, als sie ihr Gatte verlassen hatte, denn wohl sorgte sie sich um den Bruder, den sie so – wenigstens für sie in Deutschland – verloren glaubte. – Und was konnte ihr Gatte dabei thun? – Das Band lösen, das ihn dort fesselte? – Scheidung? – aber was hatte das arme Weib verbrochen, die vielleicht mit aller Liebe an ihm hing. – Der Kopf schmerzte sie vom vielen Sinnen, und sie mußte sich gewaltsam aufraffen. Sie wollte sich beschäftigen – sie wollte lesen – es ging Alles nicht – an was konnte sie anders denken, als an das, was jetzt ihr ganzes Herz erfüllte. Erst in der Musik fand sie zuletzt eine Erleichterung, um die langen, langen Stunden hinzuweilen, die noch zwischen jetzt und der Entscheidung lagen.
Um ein Uhr kehrte Graf Galaz zurück, gleich nach ihm, fast mit ihm zugleich, Eduard. Er sah bleich und angegriffen aus und drückte, als er in's Zimmer trat, seiner Schwester bewegt die Hand.
»Eduard,« sagte da der Graf, »es bedarf keiner weiteren Vorrede, denn daß uns Beide Dein künftiges Schicksal, seit dem Augenblick wo Du uns Dein Geheimniß entdecktest, ausschließlich beschäftigt hat, versteht sich von selbst. Es bleiben Dir aber nur zwei Wege, das seh' ich ein, und wenn es Dir irgend möglich wäre, würde ich Dir rathen, den einen einzuschlagen, denn natürlich möchten wir Dich doch gern in unserer Nähe behalten.«
»Und der ist?« fragte Eduard leise und scheu.
»Scheidung,« erwiederte ruhig der Graf, »und zwar nicht allein Scheidung Deiner selbst, sondern auch Deiner Frau wegen.«
»Meiner Frau?«
»Allerdings. Du kannst nicht daran denken nach Australien zurück zu gehen. Wie ich Dich jetzt hier kenne, nach Allem was ich von Dir gesehen, würdest Du Dich dort namenlos elend fühlen. Auch die Verbindung selber läge Dir jetzt wie eine Last auf, und hinderte Dich an all Deinen Bewegungen. Früher ja, in Deinem tollköpfigen Sinn, mit dem Vaterland vollständig zu brechen, hast Du das nicht so gefühlt – ja im Gegentheil erweckte vielleicht gerade die Gründung eines eigenen Heerdes, mit einer Frau, die Deine Arbeit theilen mußte – Dein Selbstgefühl, und Du fandest darin einen Ersatz für das Aufgegebene. Jetzt ist das anders. Kehrtest Du jetzt in jene Verhältnisse zurück, so würdest Du Dich elend fühlen und damit Dein armes Weib auch elend machen – und wolltest Du sie herüber kommen lassen – sage Dir selbst, ob Du mit der Verwandtschaft hier bei all unseren Freunden einen Verkehr halten könntest. Jetzt empfängt Dich Alles mit offenen Armen, aber dann – der Stand, die geringe Bildung Deiner Frau würde sich augenblicklich verrathen, und hat sie nur ein klein wenig Gefühl, so müßte sie sich selber unglücklich fühlen, wenn sie sieht, daß sie Dich durch das Zusammenleben mit Dir unglücklich macht.«
»Und der andere Weg?« frug Eduard mit einem tiefen Seufzer.
»Der andere,« sagte der Graf, »ist der, daß Du Deine Frau herüber kommen läßt und mit ihr auf Dein Gut in Schlesien ziehst, um dort, abgeschlossen von der Welt, zu leben. – Dann freilich bist Du für uns verloren, und, einen gelegentlich kurzen Besuch abgerechnet, würden wir wenig von einander zu sehen bekommen. Aber selbst dort bleibst Du dem ausgesetzt, daß sich die benachbarten Gutsherren von Dir zurückziehen – die Männer weniger als die Frauen, denn jeder Stand, mein Freund – wir ändern nun einmal die Welt nicht – hat seinen Stolz, und hält auf seine Rechte.«
»Und sind solche Vorurtheile nicht thöricht? – schlecht?« rief Eduard bewegt aus.
»Sie haben ihre Berechtigung,« erwiederte ruhig der Graf. »Ich selbst halte die Menschenrechte des gemeinen Arbeiters so hoch, als meine eigenen, aber – ich verkehre trotzdem nicht gesellschaftlich mit ihm, weil sein Bildungsgrad dem meinen nicht behagt, weil seine Angewohnheiten und Sitten mir nicht in meinem gewöhnten Leben zusagen – nicht etwa aus dem Grund, weil ich ihn geringer achtete. Erstlich kann ich mich nicht mit ihm über das unterhalten, was mich interessirt, dann raucht er einen sehr schlechten Tabak und spukt in die Stube – lauter Dinge, die mir fatal sind und mir Ekel verursachen. Er gebraucht auch kein Eau de Cologne – obgleich er es manchmal nöthig hätte; kurz, ich fühle mich nicht in seiner Gesellschaft behaglich und ihm geht es mit mir genau so. Glaube auch um Gottes Willen nicht, daß unser Stand allein dieses Vorurtheil hat; bis zu den untersten Schichten der menschlichen Gesellschaft triffst Du das nämliche – »Gleich und gleich gesellt sich gern« ist ein altes vortreffliches Sprichwort und wir müssen dafür büßen, wenn wir es vernachlässigen. Folgst Du also meinem Rath, so setzt Du Dich in Güte mit der Familie auseinander. Du hast die Mittel, sie vollständig und reichlich zu entschädigen, ja ihnen für Sorgen und Noth, die sie vielleicht bis jetzt gehabt, einen Wohlstand zu schaffen. Das bist Du ihnen auch schuldig und wirst nicht knausern.«