Kitabı oku: «Was für ein Leben!», sayfa 2
Was Scagliarini noch auszeichnete, waren seine sehr kleinen Füße, aber solche Plattfüße, dass er nur winzige Schritte machen konnte, wobei er sich auf die Fersen stützte und hin und her wackelte. Bordignoni sagte: »Scagliarini, haben sie dir die Pfoten zugehobelt?« Der andere ging weiter, ohne auf ihn zu achten, seinem wurstigen Stil gemäß; und die Emotionen für die Frauen, bei denen unser dicker Freund gluckste, interessierten ihn nicht. Die beiden hatten sich nicht viel zu sagen; jeder weidete nach seinem eigenen Kopf, ohne den anderen um Erlaubnis zu fragen. Aber wenn Bordignoni Scagliarini beim Billardspielen zusah, musste er bei dessen sicheren Stößen ehrlich ausrufen: »Leckmichdoch, Scagliarini, du bist wirklich der Mann mit dem goldenen Arm!«
Wir gingen oft in den Billardsaal, um Scagliarini beim Trainieren zuzusehen, wo er den Billardstock mit Kreide bestrich, während er, immer sehr konzentriert, die Kugeln nicht aus den Augen ließ. Er dachte nur an Gerade, Bandenstöße, Effetstöße, Zugbälle und Laufbälle, und wenn ein Freund kam, grüßte er ihn gar nicht. Später wurde er Meister im Kegelbillard – Goriziana – und es kamen auch Leute aus anderen Sälen, um ihn spielen zu sehen. Ich selber verspürte etwas wie einen Rausch, wenn die Kugeln über das grüne Tuch rollten, die kleine weiße dahin und dorthin geschlagen wurde und alles ablief, als wäre es seit eh und je vom Spiel des Schicksals bestimmt. Ich sehe Scagliarini wieder in dem Augenblick, in dem er zum Queuestoß ansetzt, dann höre ich den Klang der zusammenstoßenden Kugeln: >Tock!< Eine Welt klingt nach in diesem Tock. Der rauchige Saal, die Kreise von Wölkchen rund um die Köpfe, die grünen Lampen, die ihr Licht über die Billardtische werfen. Galgenvögel sind hier unterwegs mit Narben, scheelem Blick, mit Uniformen wie Bandenbosse. Warum ich aber beim Kegelbillardspiel an das Spiel des Schicksals denken musste, das weiß ich nicht zu sagen.
An unserer Schule genoss Scagliarini ein gewisses Ansehen als ein Mann, der nie mit der Wimper zuckt, aber die Mädchen betrachteten ihn als einen Tunichtgut, weil er beim Rauchen die Zigarette im Mundwinkel stecken hatte und sie nicht anschaute. Er hat tatsächlich nie eine Frau angeschaut. Aber wenn er manchmal am Morgen mit dem Taxi in die Schule kam, nachdem er eine ganze Nacht gepokert hatte und mit dem Gehabe eines hartgesottenen Rüpels aus dem Taxi ausstieg, waren doch manche Mädchen von seiner Persönlichkeit beeindruckt. Ich erinnere mich an eine namens Bonvicini, eine kleine Mollige, die bei den Nonnen aufgewachsen war; und wenn sich die Mitschüler um Scagliarini drängten, um zu erfahren, ob er gewonnen hatte, dann schaffte es die Bonvicini immer, ihm ein Heft mit den Mathematikhausaufgaben zu geben. Scagliarini nahm das Heft, ohne sich zu bedanken, seinem wurstigen Stil gemäß, und sie zog sich in einem so elektrisierten Zustand zurück, dass sich ihr sämtliche Härchen auf den Armen aufstellten. Ich würde gern noch was von der Bonvicini wissen, die in der Schule sehr gut war, beinahe so gut wie die Veratti. Wer weiß, wie es ihr im Leben ergangen ist? Sie wird geheiratet haben, die Bonvicini, es heiraten ja alle.
Bordignoni erwartete eines Abends Pucci schon an der Straßenecke, vor Aufregung zitternd wegen einer Idee, die in seinem Kopf aufgeblitzt war, während er einem Motor das Öl wechselte. »Jetzt pass auf, Pucci. Du kennst doch die Bernigotti, die Englischlehrerin? Also, bei der kommen wir zum Ziel, du wirst sehen!« Sein Kumpan schaute ihn an, in Erwartung weiterer Nachrichten, aber ohne jegliche Neugier wie gewöhnlich. »Hör zu, Pucci. Wir gehen zu ihr nach Haus, wir fragen, ob sie uns Englischstunden gibt und zahlen im voraus. Verstanden? Du wirst sehen, das klappt. Dann ziehen wir sie auf ein Bett und springen auf sie drauf.« Pucci hatte nie solche Ideen gehabt, und damals musste er lange nachdenken, um zu verstehen, wozu sie gut sind, denn sie wollten ihm absolut nicht einleuchten.
Abends weideten die zwei Freunde in der Allee der Umgehungsstraße, wo eine lange Reihe Linden am Bürgersteig entlanglief und das Licht der Straßenlaternen aus dem Halbdunkel hervortreten ließ. Auf der Seite der Stadtmauer waren ganz hinten die Damen, die sich den Männern anboten, die Prostituierten mit ihren Zuhältern, welche die Geschäfte und die Kundschaft überwachten. Auf der anderen Seite glänzten die Lichter der Kneipen im Freien mit vollen Tischchen, Leuten, die zusammen lachten und plauderten. In den dunkleren und menschenleeren Seitenstraßen, dem Weideland von Pucci und Bordignoni, waren Männer, die an einer Mauer versteckte Vorschläge wisperten; überall Liebe in Aussicht, Seelen auf der Suche nach Gesellschaft, Mädchen, die aus dem Fenster spähen, Hunde auf der Suche nach dem anderen Geschlecht, eine miauende Katze, ein Betrunkener, der sich kaum auf den Beinen hält. Die zwei Freunde strichen langsamen Schrittes herum, und hin und wieder kam Bordignoni auf seine fixe Idee zurück: »Also, Pucci, gehen wir zur Bernigotti?« Pucci schwieg, denn er dachte über den Zweck des Unterfangens nach, das ihm vielleicht wegen seiner kriminellen Natur nicht ganz missfiel.
Die Englischlehrerin Bernigotti, eine Frau mit kräftigem Knochenbau und sehr entschiedenem Schritt, war gewöhnlich mit einem Federhütchen und einem Hund an der Leine unterwegs. Beim abendlichen Rundendrehen war sie immer allein mit ihrem Hund und wurde von den Bürgern ein wenig eisig gegrüßt, denn sie gehörte zur Kategorie der sogenannten alten Jungfern. Ihre Haltung war aber so stolz, dass alle sie mit ein wenig Scheu oder auch Verlegenheit ansahen, da es nicht zu den Gepflogenheiten gehörte, das Altejungferntum auf dem Stadtplatz vorzuzeigen. Die schönen Frauen, die dorthin gingen, um sich anschauen zu lassen, zusammen mit den Männern, die sie anschauten, sagten: »Was hat denn die hier verloren, was dreht die hier ihre Runden?« Die ehrbaren Familienoberhäupter nebst jeweiligen Gattinnen hatten alle die größte Lust, ihr Übles nachzureden, doch es fehlte ihnen der Rohstoff. Sie lebte allein, ab und zu fuhr sie weg, kam wieder. Wo fuhr sie hin? Hmm. Hatte sie nicht zufällig weibliche Bekanntschaften, die an etwas Schmutziges denken ließen? Nein, nichts dergleichen. Aber trotzdem musste eine, die so für sich allein lebte, etwas zu verbergen haben, sagten die ehrbaren Familienoberhäupter und die jeweiligen Gattinen zueinander. Oder sie sagten es nicht einmal, denn die Sache verstand sich von selbst.
Mag sein, dass die Geschichte von der alleinlebenden Frau in Bordignonis Hirn die Idee des Ansturms auf die Bernigotti hatte aufblitzen lassen, sie war eine vollbusige Frau, die einen gewissen Eindruck auf ihn machte. Aber wie hatte er sich den Annäherungsversuch vorgestellt? Nach seiner Meinung brauchten sie nur zu ihr nach Hause gehen, klingeln und sagen, sie wollten Englischstunden nehmen. Alles kommt jetzt aus meiner Feder, was an jenem fernen Abend los war, während die zwei Kumpane in der Allee der Umgehungsstraße herumgrasten. Sie gingen an einem Tanzlokal vorbei, wo sich die Männer stauten, die sich die Frauen ansahen, und von Frauen, die sich von den Männern ansehen ließen. Aus dem Tanzlokal kam eine so lasche Musik heraus, aber so lasch, dass man melancholisch wurde. In der Zwischenzeit sahen sich draußen die Männer und die Frauen an, ohne sich zu bewegen, mit langen Gesichtern, es war die alte Geschichte der Paarungen, der Ausschau nach Liebe, der Seelen auf der Suche nach Gesellschaft wie die in der Nacht herumstreunenden Hunde. Hier kehrte Bordignoni wieder zu seinem abenteuerlichen Vorschlag zurück: »Hör zu, Pucci. Wir gehen zur Bernigotti, wir tun so, als würden wir sie zum Spaß kitzeln, dann legen wir sie aufs Bett und genießen.«
Dieser Vorschlag muss Pucci fast überhaupt nicht kriminell vorgekommen sein. Er hörte nämlich nicht mehr auf seinen Kumpan, sondern machte es auch jetzt wie die Katzen, wenn sie wegschauen, um nicht gestört zu werden; und er schaute den Autos nach, die am Ende der Allee verschwanden und den Effekt der Schlusslichter hinter sich ließen, was auf den Gemütszustand des nächtlichen Wanderers eine gute Wirkung ausübte. Ich glaube, allmählich erwachte in ihm die Idee einer Übereinstimmung zwischen den Gelüsten der Augen und den Gelüsten der Füße und zwischen der Bewegung der Füße und dem Leben auf den Straßen je nach der Tageszeit; eigentlich der Eindruck, es gebe ein Innen und ein Außen, die irgendwie zusammenhingen, wer weiß wie. Aber an dem Abend muss Bordignoni unter einer Straßenlaterne verstanden haben, dass er als gewaltiger Junge, der seine Träume hatte, allein geblieben war: »Ach, Pucci, du hast mich wirklich enttäuscht!« So endete ihre Freundschaft, weil er sich gesagt haben muss, dass er einen aufgeweckteren Kumpanen brauchte, um sich in gewisse Abenteuer zu stürzen; und von da an haben sich die beiden nicht mehr getroffen, und Pucci ging danach allein auf die Weide.
Bordignoni hatte nie Glück bei den Frauen. Es heißt, eines Tages habe er sich in eine Kneipenkellnerin, eine gewisse Rossana, verliebt, die in der Kneipe dem städtischen Schlachthaus gegenüber arbeitete. Die gefiel ihm irrsinnig, weil auch sie dick war, aber auf andere Weise als er: sie hatte dicke Hüften, einen dicken Busen, dicke Arme und vielleicht auch dicke Beine unter ihrem langen Rock. Sie trug einen so weiten und so langen Rock, dass Bordignoni davon träumte, darunter zu schlüpfen wie in ein Zelt. Außerdem trug sie einen Angorapullover, der etwas Weiches und Flaumiges ausstrahlte, und ein Tuch um den Hals, mit dem sie sehr fein aussah. Vor allem das Halstuch hatte es Bordignoni angetan, es machte ihn schwindlig und er fand es von solcher Feinheit, dass ihn die Idee einer nie empfundenen Süßigkeit überkam.
Im Grunde war er so verliebt in die Kneipenkellnerin Rossana, dass er sie immer anschauen wollte, und wenn er einen Freund traf, wollte er immer von ihr sprechen, und wenn er frei hatte, ging er jede halbe Stunde in die Kneipe und sagte: »Einen Kaffee!« Die Mechanikerwerkstätte, wo er arbeitete, war weit weg von der Kneipe, also konnte er sie nur abends sehen. Aber in der Zeit des Sommerurlaubs weihte Bordignoni jede Minute der Kneipenkellnerin Rossana: ihrem Gesicht, ihrem Halstuch, ihrem Rock, den Erhebungen ihres Busens, ihren schneeweißen Armen, die er immerzu sehen wollte. Ab Anfang August ging er von morgens früh um sieben in die Kneipe dem Schlachthaus gegenüber und sagte: »Einen Kaffee!« Und hob die Augenlider so hoch er konnte, damit ihm nichts von ihr, von ihrer Kleidung, ihrem Zauber entging. Dann kehrte er um, verließ die Kneipe und spazierte zwanzig Minuten, allerhöchstens eine halbe Stunde am Doro-Kanal entlang; und ging wieder hinein und verlangte noch einen Kaffee. Ich weiß nicht, ob sie ihn je gefragt hat, warum er so viel Kaffee trinke, oder ob sie ihn je darauf hingewiesen hat, dass ihm das schaden könnte.
Tatsache ist, dass Bordignoni im Lauf weniger Tage ein flimmerndes Herzklopfen bekam. Schon war er bis über die Ohren verliebt und dazu noch der viele Kaffee, daraus wurde ein Herzkasperl, so dass er auf der Stelle ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Ärzte sprachen von Infarktverdacht und behielten ihn eine Zeitlang zur Beobachtung. Als er aus dem Krankenhaus kam, war er wie umgewandelt, ein anderer Mensch, nicht mehr ganz so gewaltig. Die Liebe hatte an ihm gezehrt und ihn verwandelt. Ja, du träumst und träumst, sie wiederzusehen, als ob du die Böschung des Fegefeuers hochklettern würdest, wo dich ganz oben deine Liebste erwartet.
Welche Veränderungen, welche Erwartung im Bett des Krankensaals, wo er die ganze Nacht keine Ruhe fand! Er versuchte jeden Moment ihr einen Brief zu schreiben, um ihr von dem Tamtam in seinem Herzen zu erzählen. Doch er fühlte sich zu schlecht im Schreiben, Bordignoni wusste nie, wann ein Doppelkonsonant kam, also verzichtete er auf den Brief. Und an dem Tag, an dem er freigelassen wurde, rannte er, obwohl man ihm gesagt hatte, er dürfe sich nicht anstrengen, in einem irrsinnigen Tempo vom Krankenhaus zur Kneipe, ungefähr vier Kilometer Asphalt. Am Ende ging ihm der Atem aus, die Milz war am Platzen, er hatte das Gefühl, er würde ohnmächtig auf den Boden fallen, und er blieb eine halbe Stunde auf den Bürgersteig sitzen, um wieder zu sich zu kommen, die Augen auf die Glastür gerichtet, hinter der die geliebte Rossana war.
Aber die Kneipenkellnerin Rossana war nicht mehr da, sie arbeitete gar nicht mehr als Kneipenkellnerin. Sie hatte einen Verkäufer von Schädlingsbekämpfungsmitteln, einen gewissen Fregatti geheiratet, ich kannte ihn, ein magerer Typ, schon in der Jugend mit Glatze, beinahe zu ernst und zurückhaltend. Und die Kunden der Kneipe und viele Arbeiter des städtischen Schlachthofs waren zur Hochzeit eingeladen worden, es war ein schönes Fest, das im Zirkel der Anarchisten im Viertel Fantuzzi gefeiert wurde. Aber Bordignoni war nicht eingeladen worden, weil er im Krankenhaus war und nicht einmal im Kopf der schönen Rossana präsent. Danach soll er sich mit den Pfaffen angefreundet haben und in die Kirche gegangen sein und sogar eine Pilgerfahrt zur Muttergottes von Lourdes unternommen haben. Und dann: Wer weiß, was ihm dann noch passiert ist? Bei ihm hat nie etwas geklappt, er wusste nicht, wie er seine Gelüste befriedigen sollte, die Begierden des irrsinnigen Körpers, die Qualen des Fleisches auf der Suche nach einem anderen Fleisch, um sich mit ihm zu vereinigen und nicht immer als Ungepaarter auf der Welt zu sein.
Noch eine kleine Anekdote, bevor ich schließe. Nachdem Bordignoni mit Pucci gebrochen hatte, ging er abends in Richtung Allee der Umgehungsstraße, wo die Damen des Trottoirs auf Kunden warteten: »Wie geht’s, junger Mann? Ein bisschen kühl heute abend, was?« Es waren mitteilsame Frauen, die gern über ihr Leben und über ihr Unglück redeten. Eine jammerte wegen ihrer Krampfadern: »Immer stehen, wissen Sie, die ganze Nacht! Ich müsste zum Arzt gehen, aber ich hab keine Zeit.« Eine andere sprach immer von ihrer Tochter: »Ich arbeite für sie, sie soll nicht in der Gosse bleiben, ich will, dass sie bei den Klosterfrauen in die Schule geht, meine liebe Mimmina!« Eine andere sagte, sie müsse sich an der Galle operieren lassen, habe aber noch nicht genügend Geld zusammengespart. In der Zwischenzeit hielten die Kunden im Auto das Trottoir entlang und protestierten: »He da, sollen wir heute leer ausgehen?« Die Frauen: »Momentchen! Wir reden gerade! So eine Hast!«
Eine angenehme Gesellschaft, die Damen auf dem Trottoir unter den Bäumen der Umgehungsstraße, immer herzlich, lächelnd, zum Scherzen aufgelegt. Insbesondere eine junge Hinkende, die mit ihren Wahnsinnssprüchen alle zum Lachen brachte. Aber sie wurden strengstens von ihren Beschützern bewacht, das waren magere, leichenblasse Typen im grauen Anzug mit Nadelstreifen, mit Galgengesichtern von Annodazumal, zum Kotzen. Kloakengeschmeiß, Saftsäcke von Mackern, zahnlose Brabbler teilten manchmal saftige Ohrfeigen aus, denn sie wollten nicht, dass in der Hurerei langsam gearbeitet wurde. Klatsch, klatsch! Allein ihre Visagen, wenn man die nur anschaute, ließen einem jede Liebeslust vergehen. Aber noch dazu hatten wir, wie auch unser Freund Bordignoni, kein Auto, und es war ziemlich unangenehm, es stehend an eine Mauer gelehnt zu treiben. »Da hinten in den Anlagen ist eine Höhle, wenn es Ihnen so recht ist.«
Wir mussten alles im Dunkeln machen, die Hose aufknöpfen und uns mit einem Arm an die Mauer stützen, um nicht umzufallen, während wir uns auf dem Weg zu den schattigen Stellen unserer Damen vortasteten, die es unter anderem immer eilig hatten, aus Angst vor ihren gewalttätigen Schutzengeln. Jedes Mal war es ein Problem, und wir waren damals noch nicht bewandert in der Führung so geschwinder Geschäfte, die uns von der Natur anbefohlen wurden, die auflodert und ihre Ansprüche geltend macht. Furchtsam ist das Verlangen, das zusammen mit Ängstlichkeit und Unbehagen auftritt. Fremd geht man über die Weiden, auf der Suche nach Futterplätzen, aber wenn die Lüste sprechen könnten, würden sie sagen, wie verlassen die Welt ist. Auf dem Heimweg dachte Bordignoni an die Frauen mit den riesigen Brüsten, die er auf der Straße erspäht hatte, aber die Lockung ihres Zaubers verflüchtigte sich, nachdem er die Funktionen der Natur hinter dem Brunnen der Anlagen erfüllt hatte, wo man in eine Art Höhle vordrang, voller Gestrüpp und Scheiße und dem Abfall vieler Jahreszeiten.
Ein moderner Held
Zoffi war ein sehr fleißiger und wortkarger Junge, der immer seinen Gedanken nachhing. Was mich beeindruckte, war sein Ernst bei allem, was er sagte. Er trug ein einfaches Sakko, ein Hemd ohne Krawatte, zugeknöpft bis oben, und seine Augen waren immer halb geschlossen, wenn er einen ansah. Seine Mutter war das Gegenteil: eine stattliche Frau mit wie vor Hochmut immer erhobenem Kopf, welche die ganze Welt um sich herum zu befehligen schien; sie kam aus einer Familie, in der alle Namen aus der griechischen Mythologie hatten. So war sie Frau Juno, Tochter eines gewissen Saturn, eine gut aussehende Witwe mit Tabakladen in der Nähe der Stadtmauer.
Jetzt taucht in meinem Kopf das Bild eines Begräbnisses auf, mit einem schwarz ausgelegten und von zwei Pferden gezogenen Wagen an der Spitze bewegt es sich auf der Straße zum Friedhof. Hinter dem Wagen sehe ich Zoffi mit seiner Mutter in Trauerkleidung, ihnen folgen andere, die ich im Augenblick nicht erkennen kann. Dann kommen seine Freunde, unter ihnen meine Wenigkeit als Fünfzehnjähriger und seine Schulkameraden Fregatti und Baratteri. Da ist auch Professor Amos, nachlässig gekleidet, der früher an unserem humanistischen Gymnasium unterrichtete und sich jetzt mit uns Schülern herumtrieb. Am Ende des Zugs zeigte sich eine Gruppe anderer Personen, das waren die Freunde von Zoffis Vater, der hier auf den Friedhof gebracht wurde. Dieses Bild gehört also in den fernen Herbst, in dem mein Freund die Schule verließ, weil er sich um den Tabakladen seines verstorbenen Vaters kümmern musste.
An Zoffi kann ich mich gut erinnern, denn ich wollte einen Roman mit einer Gestalt schreiben, zu der er mich anregte, als moderner Held. Er war nämlich nicht wie ich aufs humanistische Gymnasium gegangen, um Latein und Griechisch zu lernen; er hatte eine technische Fachschule besucht, wo man für technische Ideen aufgeschlossen war, und das war ein anderes Paar Stiefel als die humanistischen Studien. Aber mit dem Roman, den ich schreiben wollte, konnte ich nicht vorwärts kommen, weil mir die Inspiration fehlte. Ich hatte das erste Kapitel geschrieben, in dem Zoffi immer an einem Morgen verharrte, an dem er aufwachte und zum Fenster hinausschaute, und dann wusste ich nicht mehr, was ich schreiben sollte. Aber das hat nichts mit seiner Geschichte zu tun, die beginnt, als er die Schule aufgeben musste, weil er sich um den Tabakladen zu kümmern hatte. Plötzlich von früh bis spät Zigaretten zu verkaufen, muss ein harter Schlag für ihn gewesen sein; und deshalb ist er, glaube ich, ein großer Nachdenklicher geworden, der so lange über etwas nachdachte, bis er fand, dass etwas faul daran war.
In seiner Jugend sah Zoffi draußen die Häuser, Leute auf der Straße, Autos und die Wolken am Himmel; dann gleich jenseits der Stadtmauern sah er andere Straßen, Felder, Bäume, Land. Aber was er durch seine Meditationen verstehen konnte, war Folgendes: dass er nichts zu tun hatte mit dem was er sah, auch nicht mit den Unterhaltungen im Tabakladen oder mit seiner Mutter oder unterwegs in der Stadt. »Ich habe nichts zu tun mit diesem Tabakladen, ich habe nichts zu tun mit den Unterhaltungen dort, ich habe nichts zu tun mit meiner Mutter, ich habe mit nichts etwas zu tun«, das war sein unreifer, aber schon sicherer Gedanke zu diesem Thema. Nicht, weil er es so gewollt hätte, sondern weil es zu seinem Unglück wirklich so war.
Die Entdeckung, dass einer von allem getrennt und in seine Gedanken eingeschlossen ist, die ihn noch mehr trennen, ist allein schon etwas, das einen verblüfft. Aber man füge die Entdeckung hinzu, dass die anderen einkaufen gehen, ihre Geschäfte erledigen, einander den Hof machen, sich lieben, sich verlassen, sich betrügen, sich zerfleischen und sterben, ohne dass es ihnen je in den Sinn käme, von allem Übrigen getrennt zu sein. Ganz zu schweigen von den Rentnern in diesem Stadtviertel, die in seinen Tabakladen zum Quatschen kamen, von früh bis spät über Politik oder über die Fußballspiele unaufhörlich quatschten. Mit denen fühlte er sich so allein, dass er manchmal plötzlich den Laden verlassen und hinausrennen musste, einen Gang in Richtung Stadtmauer zu machen.
Dass er im Vergleich zum Durchschnittsbürger ein zu sensibler Typ war, darüber besteht kein Zweifel. Er war ein unerbittlicher Nachdenker mit immer angespannten Nerven. Das erkannte man daran, weil er, wenn er seinen Mund zusammenzog, dieselben Grimassen machte wie einer, der gerade etwas Bitteres isst. Indem er über die Probleme nachdachte, die ihm durch den Kopf pflügten, fühlte er sich mit seinen Gedanken so allein, dass er hinterher überall etwas Faules sah. Zuerst hatte er eine hübsche, sympathische Freundin, aber eines Tages hatte er angefangen, auch darüber nachzudenken und am Ende war dabei herausgekommen, dass auch zwischen ihnen etwas faul war, denn sie waren einander fremd und taten nur so, als seien sie es nicht, um weiterzumachen: also auch sie heuchlerisch wie viele Verheiratete. Deshalb hatte er sie so weit gebracht, dass sie ihn verließ.
Ich erinnere mich an einige unserer Spaziergänge auf dem Land, wo er bei allem, was er sah, leiden musste. Nehmen wir an, einer sagte zu ihm: »Schau die Natur an, Zoffi! Sagt dir die Natur nichts? Ist sie nicht schön, die Natur?« Dann bekam er am Tag darauf einen füchterlichen Ausschlag mit Pickeln, denn das war sein wunder Punkt: der verlorene Liebreiz der Natur und vieles andere Liebreizende, das für immer verloren war. Doch gab es noch einen anderen Grund, der gesagt werden muss; und dies ist, dass er an eine gewisse Urania, eine Nichte seiner Mutter, dachte, denn er hatte sich in sie verknallt, als er sie mit ihrer schönen Figur, ihren schwarzen Augen und ihrem schwarzen Haar ansah, das ihr in Locken auf die Spitzenbluse fiel. Dann hatte er die Vorstellung, dass er nur mit ihr den Liebreiz der Natur genießen könnte, während es ohne sie keinerlei Sinn hätte. Aber Urania war mit einem Bankangestellten namens Bacchini verheiratet, also unmöglich, sich ihr zu nähern. Je mehr er daran dachte, desto mehr sah er sich von allem anderen getrennt, weil er von Urania getrennt war. Manchmal dachte er in seinem Tabakladen so sehr daran, dass die Kunden zusehen konnten, wie in seinem Gesicht Pickel hervorsprossen, die so groß waren wie Abszesse. Es war das Zeichen seines Martyriums, wie die Wunden von Christus auf den Händen der Heiligen.
Der Freund, der Zoffi am meisten bedeutete, war Professor Amos, der damals schon so um die fünfzig war. Dicklich, in ausgebeulten, alten Kleidern, immer eine angesteckte Zigarette zwischen den Lippen, hatte er früher an unserem Gymnasium Philosophie unterrichtet, dann war er als unwürdiger Säufer weggejagt worden. Er schwankte nicht wie gewöhnlich die Betrunkenen, sondern hatte durch sein andauerndes Trinken immer ein unsinniges Lächeln auf den Lippen. Dieses Lächeln ging Hand in Hand mit seiner Sucht, über alles komische Kommentare abzugeben, über die man aber fast nie lachen musste und die den Leuten auf die Nerven gingen, vor allem in den Gasthäusern, in die er, in festgelegter Reihenfolge, etwas trinken ging. Außerdem hatte Amos noch die Sucht, in seine Reden deutsche Wörter einfließen zu lassen, wie >natürlich<, >jawohl< oder auch >ach so<. Diese Wörter störten die Leute in den Wirtschaften.
Zoffis Tabakladen lag auf der Strecke der Orte, wo er zum Trinken haltmachte; und auch bei Zoffi hielt er an, um Zigaretten zu kaufen und den Diskussionen mit den Rentnern zuzuhören oder mit einigen Hausfrauen aus dem Viertel zu plaudern, die ihn sympathisch fanden. Er wurde von allen mit Zeichen des Respekts angesprochen: »Wie geht’s, Herr Professor?« Worauf er regelmäßig mit seinem unsinnigen Lächeln und auf Deutsch antwortete: »Wunderbar!« Zoffi erklärte ihm die Überlegungen, die sich in seinem Kopf zusammendrängten, und Amos gab ihm immer Recht: »Natürlich!« Nicht ein einziges Mal wurde gesehen, dass er jemandem Unrecht gegeben hätte, auch wenn nicht klar war, ob er es zum Spaß machte oder aus anderen Gründen. Die Rentner verstörten seine sonderbaren Antworten, aber er nahm niemanden auf den Arm, das kann ich versichern. Nur dass seine Späße, einerseits wegen seiner Vergangenheit als Philosophieprofessor und andererseits, weil er immer einen Kleinen sitzen hatte, nie zu volkstümlichen Preisen waren.
Der Tabakladen war ein kahler, grauer Raum im Kutschenviertel. An der Tür stand TABAK, aber auf anderen Schildern war zu lesen ÖL, PASTA oder auch KONSERVEN, denn als Zoffis Vater den Laden gekauft hatte, war es eine Gemischtwarenhandlung, und nachher hatte niemand daran gedacht, die alten Schilder abzunehmen. Zoffi verbrachte die Tage, indem er mit den alten Rentnern, Zigarrenrauchern, aus der Umgebung diskutierte, die vormittags und nachmittags dort zusammenkamen, um ihre Zeit als Rentner zu verbringen. Manchmal kam auch ich nachmittags hin, zusammen mit Fregatti und Barattieri; und wir standen herum und hörten uns die Argumentationen unseres Freundes mit den Rentnern an, die vor Mühe seufzten, weil sie seinen Reden folgen wollten.
Die gewohnte Prozedur war folgende: Kaum sprach jemand im Tabakladen eine Idee aus, dachte Zoffi sofort auf seine Weise darüber nach, was ihn dazu führte, etwas Faules oder eine gewaltige Falschheit der Menschen und der Welt daran zu finden. Die Rentner protestierten: »Aber Ihnen passt schon gar nichts! Ist es denn möglich, dass auf der Welt alles falsch ist?« Und Zoffi sagte: »Wenn Sie sich’s gut überlegen, werden Sie sehen, dass ich Recht habe.« Der Logik folgend hatte er nämlich nie Unrecht; seine Schlussfolgerungen waren so logisch, dass sie einen verblüfften, und am Schluss musste man ihm Recht geben. Aber den alten Rentnern fiel es schwer zuzugeben, dass es das Faule wirklich gab, das er überall fand. Also nehmen wir an, vor dem Tabakladen ging eine Frau vorbei, die ihre Hüften auf eine Weise schwang, dass die Augen der Rentner wach wurden, dann versuchten sie diese letzte Karte auszuspielen: »Na, Zoffi, was sagen Sie dazu? Hören wir! Hören wir, was er sich dazu überlegt hat!«
Das Interesse der Rentner für die Frauen wurde manchmal peinlich, besonders wenn Zoffis Mutter, Frau Juno, beim Tabakladen vorbeikam. Die unternehmungslustige Witwe mit blond gefärbtem Haar reckte beim Gehen den Kopf in die Höhe und rückte die Schultern weit nach hinten, so dass die Brust weit nach vorne stand. Am ganzen Körper war sie kräftig und trug so hohe Absätze, dass sie einen Schwung in die Senkrechte bekam, und ihre Röcke waren so eng, dass sie eine umgekehrte Kegelfigur bildeten. Von der Höhe ihrer Absätze aus schaute Frau Juno alle von oben herab an wie eine, die niemanden braucht, wobei sie unter anderem sehr stolz auf ihre Figur war. Das konnte man gut erkennen, wenn sie beim Tabakladen vorbeikam, hoch erhobenen Hauptes, entschiedenen, aber auch federnden Schritts, was eine komplexe Bewegung ihrer rückwärtigen Körperteile hervorrief.
Ihr Sohn hielt sie keine Sekunde lang aus; sowie er sie in den Tabakladen kommen sah, verzog sich sein Mund zu einer leidenden Grimasse. Aber sein größtes Leid war dies: dass, sobald seine Mutter im Laden erschien, die Augen der alten Rentner vor Erregung glänzten. Doch wagten es diese Augen kein bisschen, auf den Hintern der Frau Juno zu gleiten, den sie im Vorbeigehen mit starken Bewegungen schwenkte, als wollte sie den Rentnern etwas Gutes antun. In solchen Augenblicken hätte ihr Sohn aus dem Tabakladen und vom Erdboden verschwinden mögen, weil er sah, dass selbst an diesen alten Zigarrenrauchern etwas Falsches und Zwielichtiges war. Wenn auf dem Bürgersteig eine die Hüften schwingende Frau vorbeiging, waren sie immer mit ihren Glossen zur Hand: »Zoffi, haben Sie das gesehen? Na? Was sagen Sie jetzt?« Aber wenn seine Mutter vorbeiging, die ihren Hintern mehr als alle anderen schwenkte, verfielen sie in ein absolutes Schweigen, ein so peinliches Schweigen, das enthüllte, wie faul die Lage war.
Das Kutschenviertel gehörte zu den am schlimmsten heruntergekommenen der Stadt, die großen Wohnblöcke waren baufällig und von streitenden Mietern bewohnt. Früher einmal war es das Viertel der Ställe und Gasthöfe gewesen, wo die von den Straßen jenseits der Alpen kommenden Reisenden haltmachten. Mit dem Untergang der Kutschen hatte es sich in ein Ruinenviertel verwandelt, und in den dreißiger Jahren des Jahrhunderts war es mit vielstöckigen Wohnblöcken für Massen zahlreicher Familien neu entstanden. Einzelhändler, Makler, Handelsreisende, städtische oder in Handelsbüros Angestellte waren hierhergezogen; aber die, die ihr Glück gemacht hatten, waren bald in ein Viertel mit einem besseren Ruf und weniger Trümmern umgezogen. Geblieben waren nur die, welche nie ihr Glück gemacht hatten und welche die Hausbesitzer schlecht behandeln konnten. So war es am Ende zu einem Viertel geworden, das vor allem von Wäscherinnen und Rentnern in bescheidenen Verhältnissen bevölkert war.
Viele dieser Rentner kamen in Zoffis Tabakladen zusammen, um über Politik zu quatschen oder über Fußball, um über die Mannschaften und die Spieler ohne Unterlass zu quasseln. Aber mit einem Auge für den weiblichen Durchgangsverkehr auf dem Bürgersteig, der ihnen Erregungsschauer über den Rücken jagte, ohne dass sie den Zoll dafür bezahlten. Indessen rauchten sie ihre Zigarren und füllten den Tabakladen mit Rauchschwaden, so dass Zoffi wie ein Gespenst hinter der Theke verschwand. Auch er tat, was er konnte, damit es bald Abend wurde, aber manchmal hielt er es nicht mehr aus, ihr Gequassel im Laden anzuhören, dann bat er sie, eventuelle Kunden zu versorgen und lief weg, um bei der Stadtmauer ein paar Schritte zu gehen. Und so geschah es, dass er eines Tages auf der Straße der Urania begegnete, die er im Kopf hatte: »Wie geht’s?« – »Danke, gut« usw.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.