Kitabı oku: «Null»

Yazı tipi:


Gine Cornelia Pedersen

Null

Roman

Aus dem Norwegischen von Andreas Donat



Inhalt

Kapitel 0

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10


Ich bin zehn Jahre alt

Ich absorbiere alles

Ich habe keine Filter

Ich glaube, Gott hört es, wenn ich bete

Ich habe drei Menschen tot gesehen, zwei alte und einen jungen

Ich weine nachts und fühle, dass ich ganz allein bin und niemand mich retten kann

Ich habe Mitleid mit Mama und Papa

Ich begreife, dass das Konzept Zuhause niemals existiert hat

Ich denke, wenn ich groß bin und selbst bestimmen kann, wird das Glück perfekt sein

Ich glaube, ich werde ewig leben, und denke gleichzeitig fast jeden Tag an den Tod

Ich halte in allen Disney-Filmen zu den Bösen, sage es aber niemandem

Ich mache mit meiner Schwester Dinge, die auf soziopathische Tendenzen hinweisen

Ich finde, hundert Kronen sind ein Vermögen

Ich habe zwei Mal heimlich geraucht

Ich bekomme einen kleinen Bruder

Ich zerkratze ein Auto mit einem Stein

Ich habe fünf Jungs geküsst

Ich will Schauspielerin oder Popstar werden, wenn ich groß bin

Ich habe drei Fantasiefreunde

Ich spiele Barbie, wenn niemand zusieht

Ich kann krass lang Fahrrad fahren, ohne müde zu werden

Ich glaube an die ewige Liebe zwischen zwei Menschen

Ich finde, Pamela Anderson ist schön

Das Leben wird gut

Eines Tages wird alles gut

Eines Tages

Wenn ich groß bin

Wird alles gut

Ich werde auf einer Bühne stehen

Ein Scheinwerfer wird nur auf mich gerichtet sein

Alle werden sehen, dass ich schön bin, talentiert und begabt für dies und das

Ich werde einen Preis gewinnen

Ich muss einen Preis gewinnen

Ich schaue die Oscar-Verleihung an und weine

Ich lese bei Oma Klatschblätter

Ich schneide Fotos von gut aussehenden Frauen und Männern mit schönen Frisuren und dünnen Körpern aus und klebe sie in Bücher

Schließlich habe ich zehn solche Bücher, die ich mir anschauen kann

Ich stehe jeden Tag mehrere Stunden vor dem Spiegel und übe, mich zu freuen, wenn ich den Preis entgegennehme

Übe, fotografiert zu werden

Ich halte eine Rede:

„Thank you! Thank all of you. But there is one special person I would like to thank. I couldn’t have done this without you, my husband Leonardo DiCaprio! I love you! Forever!“

Ich esse Grapefruit zum Frühstück

Cindy Crawford tut das, um abzunehmen, sagt sie

Ich finde Grapefruits cool, auch wenn sie scheiße schmecken

Ich lasse mich von absolut allem beeinflussen

Ich brauche Unterhaltung

Ich brenne innerlich

Ich frage mich, wann jemand sehen wird, dass ich innerlich brenne

Ich habe so viel zu bieten

Keiner sieht, wie viel ich zu bieten habe

Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich entdeckt werde

Ich will einen Nasenring haben

Ich steche mir mit einem Zirkel ein Loch in die Nase und schiebe eine Sicherheitsnadel durch

Papa wird stinksauer, als er es sieht

Ich nehme die Sicherheitsnadel raus

Ich schminke mir die Augen schwarz und werde allmählich wütend

Ich frage mich, wann jemand sehen wird, dass ich wütend bin

Ich bin wütend

Ich lese alles über Satan

Ich schreibe Satan auf jede Seite meines Oh Boy-Hausaufgabenhefts

Es lebe Satan, schreibe ich

In Satan We Trust

Ich schäme mich dafür, dass ich jemals Fotos aus Klatschblättern ausgeschnitten und in ganze zehn Bücher eingeklebt habe

Ich verbrenne sie in einer einsamen Zeremonie

Die Zeremonie markiert den Beginn einer neuen Zeit

Ich habe keine Ahnung, was die neue Zeit bringen wird

Die davor ist einfach vorbei

Gott, oder meinetwegen Satan, weiß, was danach kommt

Ich schlucke schwer, als mir klar wird, dass das Bild von Leonardo auf meinem Nachttisch wegmuss

Das fühlt sich völlig falsch an

Er ist der Einzige, der mich wirklich versteht

Ich werde ihn nie vergessen

Ich werde den Traum von uns und den Traum von einem Leben in der Sonne irgendwo begraben

In einem verdammt tiefen Grab

Ich werde wütend

Ich werde die ganze Zeit wütend

Ich verstehe absolut gar nichts

Ich verstehe nicht, was los ist oder wie irgendetwas jemals anders werden kann

Es kribbelt

Ich langweile mich so

Es kribbelt, und alles, was ich vor meinem Fenster sehe, ist ein Feld

Alles, was ich höre, ist eine Fliege, die versucht, durch das geschlossene Fenster nach draußen zu gelangen

Alles, worauf ich warte, ist Abendessen, und Schule

S C H U L E

Ich bin mir selbst überlassen worden

Ich sehne mich nach Papa

Ich weiß noch, wie meine Schwester und ich einmal auf Papas Rücken sitzen durften und Papa Pferd gespielt hat

Er ist auf den Knien gekrabbelt und hat gewiehert

Es war unglaublich

Ich werde es nie vergessen

Ich habe ihm aus einer Wasserschale zu trinken gegeben und ihn mit Äpfeln und Karotten gefüttert

Papa wird immer ein Held sein

Papa hat eine Jeansjacke, er raucht Lucky Strikes und fährt ein gammliges rotes Auto

Er kommt an den Wochenenden

Jedes zweite Wochenende

Wir schauen fern und essen Pizza

Ich will mit nach Oslo

Ich will heim nach Oslo

Oslo ist das Paradies

Oslo ist der Ort, wo alles blüht und nichts langweilig ist und es keine Felder gibt

Nur Rasen, Parks und Asphalt

Ich liebe Oslo

Dort ist das Leben

Ich kriege keine Luft hier

Ich brauche Geräusche oder irgendeinen aufregenden Geruch

Den Geruch eines Straßencafés

Den Geruch von Asphalt, wenn die Sonne draufbrennt

Den Geruch von Salzwasser

Den Klang einer Straßenbahn

Den Klang einer Sirene

Den Klang eines seltsamen Mannes, der betrunken auf der Straße herumgrölt

Hier grölt niemand

Niemand ist seltsam

W A R U MB I NI C HH I E R

Ich langweile mich so sehr, dass ich anfange, Wodka zu trinken

Ich trinke Wodka gemischt mit diversen Limonaden

Ich rauche eine Bong, die ich mir aus einer Flasche gebaut habe

Ich ritze mir die Arme auf

Ich bin jetzt das klassische Beispiel eines frustrierten, unterdrückten Teenagers

Ich weine, wenn ich dicht bin

Die ganze Zeit

Kotze

Und weine

Und mache mit allen rum, die Lust haben

Ich habe Titten bekommen

Die sind größer als die von allen anderen

Ich tape sie mit Klebeband flach

Ich will ganz flach und dünn sein

Ich will einfach richtig dünn sein, ohne ein einziges Gramm überflüssiges Fett

Ich will, dass alles cool ist

Ich gerate immer zwischen zwei Stühle, wenn es um Freunde geht

Die Auswahl ist zu schlecht

Oder ich bin zu schlecht, das schließe ich gar nicht aus

Im Gegenteil, der Gedanke lässt mich nicht los

Der Gedanke erfüllt mich mehr oder weniger die ganze Zeit

Wenn ich irgendwann die Chance kriege, aus diesem Drecksloch rauszukommen, dann fackle ich das ganze Scheißdorf gleich mit ab

Mit allen drin

Außer Oma und Opa und meinen Cousins und Cousinen

Also die Familie generell bleibt verschont, aber alle anderen können einfach sterben

Ich habe keine Lust, mich auf den Kram zu Hause einzu lassen

Mama kann mich mal

Ihr bescheuerter neuer Freund, den sie angeschleppt hat, der mit dem hässlichen Dialekt, kann mich mal

Mein bescheuerter Bruder, der nicht reden kann und nur gurgelt und gefüttert werden muss, kann mich mal

Meine bescheuerte Schwester, die ihr Zimmer aufräumt und ihr ganzes Geld spart, kann mich mal

Sie hat sicher über tausend Kronen in einem Glas

Ich leihe mir was für Zigaretten

Ich habe keine Lust, mich um irgendwas zu kümmern

Mir ist tatsächlich

Alles egal

Auch wenn ich ständig ein schlechtes Gewissen habe, ist es offenbar nicht schlecht genug

Ich hasse mich deshalb nur noch mehr

Und deshalb verdränge ich das bisschen Gewissen, das noch da ist

Was wiederum dazu führt, dass ich wieder etwas tue, das mir ein schlechtes Gewissen macht, das ich dann wieder verdränge, und so weiter und so weiter

Ich habe eine Art Mauer gebaut

Ich habe so was wie eine Entscheidung getroffen

Ich habe eine Hoffnung

Oslo ist Hoffnung

Wenn ich nach Oslo komme, wird es mir besser gehen, und ich werde alles rauslassen, was in mir konstruktiv und gut ist

Dann werde ich mir einen Job besorgen und meiner Schwester das Geld für die Zigaretten zurückzahlen

Ich werde all meinen Träumen folgen Ich werde es wagen, ich selbst zu sein, werde schräg sein und wieder glücklich werden

Bis ich es nach Oslo schaffe, bleibt erst mal alles, wie es ist


Ich bin sechzehn Jahre alt

Ich habe Mama dazu überredet, dass ich von zu Hause ausziehen und auf ein Gymnasium gehen darf

Ich bin glücklich und frei und habe keinen Wesenskern

Habe mir einen Sommerjob in einem Freibad besorgt

Meine Arbeitskleidung sieht absolut lächerlich aus und ist gelb und blau, und man muss ein Baseballcap tragen

Ich verweigere das Cap

Der Chef sagt, entweder das Cap oder der Job

Ich verdiene sechzig Kronen die Stunde

Verkaufe Softeis und muss Pädos in Speedos beobachten

Kleinen Scheißern zuhören, die ihre Mütter nerven, ob sie ein Softeis oder einen Hotdog kriegen

Als Ausgleich für die ungerechten Arbeitsbedingungen stehle ich aus der Kasse

Ich stehle im großen Stil

Fühle mich wie Robin Hood

Stecke mir Scheine in den BH und in die Schuhe

Zu Tausenden

Mit dem Geld kaufe ich Hasch, Bier, Limo, CDs und Bustickets

Gehe nicht ran, wenn mein Freund anruft

Ich fahre nach Tønsberg zu einem Kumpel

Dort treffe ich andere Kiffer

Ich werde nie dicht genug

Rauche alle unter den Tisch

Fahre mit dem Bus woanders hin und kiffe dort weiter

Ich habe beschlossen, auf alles zu scheißen und die ganze Zeit das zu tun, was ich will

Ich mache mit meinem Freund Schluss

Wir sind seit zwei Jahren zusammen, und er findet, es wird langsam Zeit, übers Heiraten nachzudenken

Ich finde, er sollte mal sein Hirn checken lassen

Er wird sauer und schlägt im Auto aufs Armaturenbrett

Ich sage, ich bin zu jung, um mich für ein solches Leben zu entscheiden, und dass wir uns jetzt trennen müssen

Er krümmt sich zusammen

Ich frage, was los ist

Er packt mich am Handgelenk und sagt, dass ich ihn nicht verlassen kann

Dass er ohne mich nicht leben kann

Er fragt, ob wir miteinander sterben wollen

Dem Ganzen ein Ende machen, ein für alle Mal

Ich sage, dass ich noch jung bin, und dass es dumm wäre, jetzt das Handtuch zu werfen

Ich drehe mich weg und will die Autotür aufmachen

Er hält mich am Handgelenk fest

Lässt nicht los

Hält mich fester, zieht mich näher zu sich

„Du kannst jetzt loslassen“, sage ich

Er fährt los

Ich frage ruhig, was er da macht, und sage ihm, er soll mich aussteigen lassen

Er verriegelt die Türen

Schaut geradeaus, mein Handgelenk in der einen Hand und das Lenkrad in der anderen

Fährt in Richtung Hauptstraße

Er fährt hundertfünfzig

Ich versuche, an banale Dinge zu denken

Dass ich nur noch zwei Zigaretten habe, dass ich vor Ladenschluss welche kaufen muss

Dass ich vor dem Schlafengehen duschen muss

Dass ich mir später zu Hause ein paar Leberwurstbrote schmieren werde

Ich werde sterben

Ich nehme das Handy heraus, um Mama anzurufen

Er reißt es mir aus der Hand und wirft es aus dem Fenster

Ich flehe um mein Leben

Schreie, dass ich ihn liebe und dass ich den Rest meines Lebens mit ihm zusammen sein will

Er sagt, genau das wirst du jetzt auch

Ich begreife, dass es zu spät ist

Höre den Motor heulen

Wir fahren am Haus einer Freundin vorbei

In der Küche brennt Licht

Ich kann den Küchentisch sehen, und jemanden beim Abspülbecken

Ich denke an Mama

Ich schreie

Denke, das ist mein Todesschrei

Die Urstimme

Der Ursprung von allem

Das Ende von allem

Bald ist nichts mehr

Kein Geräusch oder Gedanke

Ich kann nicht glauben, dass ich mit dem Geruch von Wunderbaum in der Nase sterben werde

Ich begreife, dass Sterben eine unwirkliche Erfahrung ist

Ich fühle mich bereit

Lasse los

Auch er schreit

Ich sehe die Felswand

Vergrabe mein Gesicht in den Händen

Ich bin fünf und an einem Strand in Brasilien

Ich bin acht und auf einer tieftraurigen Beerdigung

Ich bin zehn und sitze an meinem Geburtstag auf einem Polizeipferd

Ich bin vierzehn und verliere meine Unschuld auf einem Feld

Er tritt auf die Bremse

Das Auto dreht sich

Steht still

Ich habe immer noch mein Gesicht in den Händen

Ich schaue ihn an

Er sitzt einfach da

Legt den Rückwärtsgang ein und wendet

Fährt in ruhigem Tempo zurück

Zündet sich eine Zigarette an

Ich fange an zu lachen

Er entschuldigt sich und sagt, dass er nicht derart die Kontrolle hätte verlieren dürfen

Das Lachen artet aus

Es tut mir im Bauch weh

Er sagt, mein Lachen macht ihn fertig

Das Lachen ist hysterisch

Ich kann nicht aufhören zu lachen

Er hält vor meinem Haus

Sagt, dass er sich jetzt umbringen wird und ich ihn niemals wiedersehen werde

Ich lache noch mehr

Er fängt an, vor und zurück zu wippen

Ich höre auf zu lachen

Nehme ihm den Autoschlüssel weg

Sage, dass er sich nicht umbringen darf und dass er gern mit reinkommen kann

Er kann nicht laufen, sagt er

Ich muss ihn beim Reingehen stützen

Er legt sich in mein Bett und rollt sich zusammen wie ein Embryo

Ich lege mich auf den Boden

Frage, ob bei ihm alles in Ordnung ist

„Monster“, sagt er

Er sagt das Wort Monster eine Stunde lang vor sich hin und wippt dabei

Mit geballten Fäusten

Er tut mir leid

Schließlich lässt er das Wippen und das Monster sein

Er geht, ohne etwas zu sagen

Ich reiße die Bettwäsche runter

Zerschneide sie

Das Leben ergibt keinen Sinn

Das Leben ist kein

Das hier ist verdammt noch mal kein

Ich werde es jetzt rausbringen

Es muss raus

Sollen es doch die anderen haben

Ich will es nicht

Ich will es nicht

Ich habe mich in meinen Kindheitsfreund verliebt, Jorg

Ich habe beschlossen, dass dieser Sommer gut wird

Ich kiffe morgens, mittags, abends und nachts

Habe Jorg gezeigt, wie man Joints rollt und nach dem Rausch süchtig wird

Habe ihm Küssen und Ficken beigebracht

Ich bin so verliebt, dass ich kaum gerade stehen kann

Dass es körperlich wehtut

Es ist warm draußen

Aber wir scheißen auf schönes Wetter

Wir wohnen in seinem Kinderzimmer

Sein Bett ist für einen zwölfjährigen Jungen gemacht

Wir schlafen wie eine Person

Schwitzen wie eine

Atmen wie eine

Lachen, sehen und rauchen wie eine

Manchmal habe ich nachts das Gefühl, dass draußen vor dem Fenster jemand steht und uns ansieht

Wir ziehen die Gardinen zu

Manchmal kriege ich Panikattacken und kann nicht atmen

Dann hält er einfach meinen Kopf in seinem Schoß

Und dann schauen wir einen lustigen Film

Oder japanische Zeichentrickserien

Drehen uns Zigaretten aus den Stummeln im Aschenbecher

Kaufen schlechtes, trockenes Gras und Cola und Tiefkühlpizza

Wir lachen uns darüber kaputt, dass wir Auto fahren

Wir stehen auf Autofahren

Er liest gute Bücher

Wir reden darüber

Er ist gescheiter als ich

Ich lese Bücher, die er mag, um seinen Gedanken näher zu kommen

Ich färbe mir die Haare dunkler

Wir sind einander so nah, dass ich am liebsten von ihm abbeißen möchte

Es ist mir nicht genug, dass er beim Sex in mir drin ist, ich will hinein in ihn

Ich will hinein

Ich weine, als mir klar wird, dass das nicht geht

Die Schule beginnt, wir gehen in dieselbe Klasse

Ich weine immer mehr

Färbe mir die Haare dunkler

Wir schauen jeden Freitagabend Pop Idol

Und dann lachen wir, weil wir wissen, dass wir Verlierer sind

Er umarmt mich

Ich bin immer traurig, egal ob er mich umarmt oder nicht

Die anderen in der Klasse sind Vollidioten

Ich bin stolz, weil Jorg mir gehört

Wir schreien, wir sind unzufrieden

Die anderen gehen uns aus dem Weg, weil wir uns über alles beklagen

Wir lachen und beklagen uns noch mehr

Ich bin wütend, weil er gescheiter ist als ich

Ich wäre auch gern gescheit

Ich wäre gern Autistin

Oder hätte gern ein wirkliches Talent, das meine Existenz irgendwie rechtfertigen würde

Die Mädchen in der Klasse über mir schikanieren mich

Ich bin für sie das Opfer Nummer eins, und sie jagen mich in den Pausen

Jorg sagt, sie sollen mir egal sein

Er wird von einem Råner * zusammengeschlagen, weil er mit einer Skatermütze rumläuft und kifft

Ich habe Angst

Ich wohne bei Jorg und seinem Vater

Wir wohnen auf dem Dachboden

Sein Bett wird enger und enger

Ich bekomme einen Ausschlag im Gesicht und am ganzen Körper

Ich kratze mich blutig

Die Wunden entzünden sich

Mir strömt gelbe Flüssigkeit übers Gesicht

Der Arzt sagt, ich muss mich entspannen

Ich weine jede Nacht, wir weinen beide

Wir weinen, weil wir von Idioten umgeben sind und weil wir nirgendwo hinkönnen

Ich sehne mich danach, zum Idiotenclub zu gehören

Ich sehne mich danach, an erster Stelle zu stehen und geachtet zu werden

Ich träume davon, im Mittelpunkt zu stehen

Dass alle mir applaudieren und über meine Witze lachen

Ich färbe mir die Haare heller und mache beim Schulmusical mit

Ich blamiere mich bis auf die Knochen

Ich sacke immer mehr in mich zusammen

Ich kiffe hinterm Haus und klaue in den Läden in der Nachbarschaft

Ich falle bei der Jahresprüfung durch

Ich falle bei allen Klausuren durch

Ich langweile mich

Ich schwänze, so oft ich kann

Ich habe bizarre sexuelle Fantasien über die männlichen Lehrer

Ich habe bizarre sexuelle Fantasien über viele Leute

Ich gehe während des Unterrichts zur Schulärztin, damit ich nicht am Pult sitzen und mich über die Blondies in der ersten Reihe aufregen muss, die mit weit in die Luft gereckten Händen hin- und herwackeln, als ginge es um ihr Leben

Dann ist die Schule vorbei

Für die Abizeitung will keiner etwas über mich schreiben

Ich muss meinen eigenen Steckbrief verfassen und den anderen Mädchen in der Klasse sagen, dass sie den gern verwenden können, wenn sie wollen

Sie sagen, es ist ihnen gleich

Ich will mit Jorg Schluss machen

Ich ertrage es nicht mehr, eins zu sein

Ich ertrage es nicht mehr, so viel zu verlieren zu haben

Er sagt, dass er mich nicht kapiert und dass er geglaubt hat, wir seien Verbündete

Ich gehe

Hole meine Klamotten aus dem Schrank in seinem Zimmer

Habe mich in ein Mädchen in der Parallelklasse verliebt

Sie ist nicht lesbisch, sagt sie

Ich erkläre ihr, dass sie sehr wohl lesbisch ist, dass ich den Leuten so etwas ansehe

Wir kommen zusammen

Irgendwo in mir drinnen will ich nur Jorg

Ich habe keinen Wesenskern

Ich lebe nur von dem der anderen

Jorg gibt mir irgendwie das Gefühl, selbst einen zu haben

Deshalb will ich, dass er mich hasst

* In Norwegen verbreitete Subkultur von Jugendlichen, die das ziellose Herumfahren mit Autos zu ihren Freizeitinteressen zählen

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