Kitabı oku: «Innozenz»

Yazı tipi:

Gion Mathias Cavelty

Innozenz

Legende


Gion Mathias Cavelty

Innozenz – Legende

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Wir danken der Stadt Chur, dem Kanton Graubünden und dem Kanton Zürich für die Unterstützung dieses Buches.


Lektorat / Korrektorat: Patrick Schär

Umschlagkonzept: André Gstettenhofer

Umschlagillustration: Adrian Ochsner, nach einer Idee von Gion Mathias Cavelty

1. Auflage 2020

© 2020, lectorbooks & Gion Mathias Cavelty

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-906913-22-3

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Im Anfang war das Wort.

Doch das Wort war eine Lüge.

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Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Kapitel XXVI

Kapitel XXVII

Kapitel XXVIII

Kapitel XXIX

Kapitel XXX

Kapitel XXXI

Kapitel XXXII

Kapitel XXXIII

Kapitel XXXIV

Kapitel XXXV

Kapitel XXXVI

Kapitel XXXVII

Kapitel XXXVIII

Kapitel XXXIX

Kapitel XL

Kapitel XLI

Kapitel XLII

Kapitel XLIII

Kapitel XLIV

Kapitel XLV

Kapitel XLVI

Kapitel XLVII

Kapitel XLVIII

Kapitel XLIX

Kapitel L

Kapitel LI

Kapitel LII

Kapitel LIII

Kapitel LIV

Kapitel LV

Kapitel LVI

Kapitel LVII

Kapitel LVIII

Kapitel LIX

Kapitel LX

Kapitel LXI

Kapitel LXII

Kapitel LXIII

Kapitel LXIV

Kapitel LXV

Kapitel LXVI

Kapitel LXVII

Kapitel LXVIII

Kapitel LXIX

Kapitel LXX

Kapitel LXXI

ZUM AUTOR

I

Kaum sehen wir, lügen wir.

Kaum hören wir, lügen wir.

Kaum riechen wir, lügen wir.

Kaum schmecken wir, lügen wir.

Kaum fühlen wir, lügen wir.

Kaum denken wir, lügen wir.

Kaum sprechen wir, lügen wir.

Kaum schreiben wir, lügen wir.

Kaum lesen wir, lügen wir.

II

Ich bin das Buch, das Dich liest.

In mir steht kein einziges Wort.

Meine Seiten sind weiß wie das weißeste Weiß.

Vor Dir habe ich schon in vielen anderen Köpfen gelesen.

Dabei war der Kopf, der mich am meisten beschäftigte, jener von Innozenz de Innozentis.

Wer dieser Innozenz de Innozentis war? Nun: Man kann ihm nur näherkommen, wenn man sich vergegenwärtigt, was er NICHT war.

Er wurde nicht dann und dann geboren.

Er brauchte keine Luft zum Atmen.

Er brauchte nichts zu essen.

Er brauchte nichts zu trinken.

Er brauchte nicht zu schlafen.

Er brauchte seinen ganzen Körper nicht.

Nichts Weltliches brauchte er.

Sagen wir also: Er war die reine Unschuld. Er war ein Heiliger.

III

Die Bekanntschaft von Innozenz machte ich im päpstlichen Schlafzimmer zu Rom.

Wie ich nach Rom gekommen war? Als schnöde Einlieferung ins Archivum Secretum Apostolicum Vaticanum durch einen beschränkten lombardischen Monsignore. Das konnte man mit mir natürlich nicht machen! Denn ich bin das ursprüngliche, jungfräuliche Buch; niemand hat mich je besudelt, niemand meine Seiten mit eitlem, ödem, niederträchtigem Geschreibsel befleckt.

Ich bin dann abgehauen aus dem elenden Geheimarchiv und nach einem ausgedehnten Streifzug durch den Apostolischen Palast schließlich im erwähnten Schlafgemach gelandet.

Von meinem Versteck hinter einem lammledernen Inquisitorenköfferchen aus hatte ich eine ausgezeichnete Sicht auf alles, was sich im prunkvollen Raum abspielte.

Papst Abundius lag in seinem Bett, in das er sich auf Anraten seiner Ärzte zurückgezogen hatte; im Vatikan kursierte seit einigen Tagen eine Magen-Darm-Grippe. Ein hermelingefütterter Camauro bedeckte seinen Kopf.

Heiliggeistweiß leuchtete die Sonne ins acht Meter hohe Gemach. Durch ein geöffnetes Fenster wehte der Hymnus »Veni Creator Spiritus« herein, den ein Kastratenchor in der Sixtinischen Kapelle gerade zum Besten gab. Auf einem Nachttisch dampfte ein Blumenkohlsüppchen vor sich hin; der Papst war bekannt dafür, ausschließlich weiße Speisen zu sich zu nehmen.

IV

Ein dreifaches Pochen an die Doppelflügeltür verkündete Innozenz’ Ankunft. Er war aus der Abgeschiedenheit seines Klosters am hintersten Ende eines unwegsamen Vogesentals in die Ewige Stadt gekommen; die Ordenstracht der Odilianer kleidete ihn. Sie war so weiß, dass sie den Alabaster, aus dem Wände, Decke und Boden des Schlafzimmers bestanden, in den Schatten stellte.

Sich auf die heilige Odilia berufend, die blind zur Welt gekommen war, wussten die Odilianer genau, dass auf die Augen kein Verlass ist – ja, dass die Augen nur allzu leicht zu Spielbällen des Teufels werden können – und man nur mit einem unbefleckten Herzen gut zu sehen vermag. Wie heißt es doch im bekanntesten Odilia-Gebet:

»O Odilia, selige Jungfrau!

Verleihe, dass wir nach Deinem Beispiele

Unsere Augen abwenden vom eitlen Wahn der Welt

Und das Augenlicht, das Dir

der Vater allen Lichtes geschenkt,

Nicht missbrauchen zur Augenlust.

Amen.«

Tatsächlich verlieh Gott Odilia im Alter von zwölf Jahren bei ihrer Taufe das Augenlicht; dabei wollte sie gar nicht sehen können. Genauso wenig wie hören, riechen, schmecken oder fühlen. Denn selbstredend können nicht nur die Augen, sondern auch die Ohren, die Nase, der Mund und der ganze Rest im Handumdrehen zu Instrumenten des Satans werden.

V

Cubicularius Guazzo führte Innozenz herein.

Innozenz kniete vor dem Bett nieder und küsste den anulus piscatoris, der am Ringfinger der behandschuhten Rechten des Papstes prangte.

»Heiliger Vater, hier bin ich«, sagte Innozenz mit gesenktem Haupt.

»Innozenz, filius meus«, lächelte der Mann im Bett sanft.

»Ihr fühlt Euch unwohl?«, erkundigte sich Innozenz.

»Ein ganz leichtes Zwicken im Magen, nichts Schlimmes«, entgegnete der Papst. »So höre denn: Ich habe dich zu mir rufen lassen, weil mir viel Gutes zu Ohren gekommen ist über dich. Die Zahl an Wundern, die du vollbracht hast, soll Legion sein.«

»Das zu behaupten, wäre übertrieben«, erwiderte Innozenz demütig.

»Du sollst levitieren können«, begann der Papst aufzuzählen.

»Das zu behaupten, wäre wirklich übertrieben«, insistierte Innozenz.

»Du sollst an mehreren Orten zur gleichen Zeit sein können.«

»Man übertreibt.«

»Du sollst mehrfach die schlechten Zähne von Gläubigen geheilt haben. Die Löcher darin sollen über Nacht mit Gold gefüllt gewesen sein.«

»Man übertreibt ganz gewaltig.«

»Durch eine sanfte Wundertat sollst du dein Kloster von Mäusen befreit haben. Dir soll die Muttergottes erschienen sein und dich mit einem Tropfen Milch aus ihrer Brust gelabt haben. Du sollst während einer Messe eine Hostie in einen zuckenden Herzmuskel verwandelt haben, der komplett aus lebenden Zellen bestanden haben soll.«

»Was soll ich dazu bloß sagen, Heiliger Vater?«

»Und auch als Verfolger von Ketzern sollst du erstaunliche Erfolge zu verbuchen haben. Ist es exempli gratia nicht so, dass du die abscheuliche Sekte der Drei- und der Fünfnagler zum Verschwinden gebracht hast, und zwar nur durch die Kraft deines reinen Herzens?«

Damit meinte Abundius jene Sekten, die propagierten, Jesus Christus sei nicht mit vier Nägeln ans Kreuz geschlagen worden, sondern mit deren drei respektive fünf.

VI

Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der Papst fort:

»Ebenso sollst du die Rechtsseitler beseitigt haben, die behaupteten, Jesus sei am Kreuz mit der Lanze in die rechte und nicht in die linke Seite gestochen worden. Den perfiden Patripassianisten, die sich zu propagieren erdreisteten, Gottvater höchstselbst habe am Kreuz gelitten und sei daran gestorben, sollst du genauso den Garaus gemacht haben wie den abscheulichen Adamiten, die die Wiederherstellung der Unschuld vor dem Sündenfall dadurch zu erreichen versuchten, dass sie splitternackt herumspazierten.«

Beim Aussprechen des Wortes »Adamiten« nahm das sowieso schon recht grüne Gesicht des Pontifex Maximus einen noch grüneren Farbton an.

Nach einer kurzen Würgeattacke flüsterte der Papst eindringlich:

»Innozenz, ich wünsche dich mit einer schwierigen Mission zu betrauen. Es geht um einen Fall von aller schlimmster Ketzerei. Sie trägt sich zu im Dorfe Schwamendingen, zugehörig dem Bistum Konstanz. Es soll dort ein Sektiererbund sein Unwesen treiben, der in seiner Schlechtigkeit alles übertrifft, was mir je an Schilderungen von Schlechtigkeit zugetragen wurde. Im Zentrum seiner blasphemischen Rituale soll nichts anderes als der Schädel des ersten Menschen stehen. Vergegenwärtige dir das, Innozenz: der Schädel des ersten Menschen! Der Schädel des Menschen, der das Abbild des Allerhöchsten war! Das Abbild unseres Vaters im Himmel! Du musst nach Schwamendingen, die Gotteslästerer identifizieren und vernichten und den Schädel hierherbringen.«

Es folgte eine längere Würgeattacke; schließlich fand Abundius die Kraft, Innozenz zuzuraunen:

»Mach dich unverzüglich auf den Weg, mein Sohn. Dein Herz ist das einzige Mittel, das gegen die Düsternis anzukommen vermag. Die Bluthunde aus dem Orden der Dominikaner, die ich sonst auf solche Fälle ansetze, wären chancenlos. Geh inkognito. Tarne dich als ein durch die Lande ziehender Käferforscher. Sag, du wollest hinter die letzten Geheimnisse des Breitrüsslers kommen. Nimm trotzdem das Inquisitorenköfferchen mit, lediglich als Symbol, das dich an deinen Auftrag erinnern soll. Du brauchst das ganze Folterzeug nicht. Und jetzt: Nimm meinen Segen und geh! Benedicat te omnipotens Deus, Pater et Filius et Spiritus Sanctus.«

»Amen«, hauchte Innozenz.

VII

Hier die Liste mit den imaginären, sich rein theoretisch im Inquisitorenkoffer befindenden Folterinstrumenten:

*1 zweizackige Ketzergabel

*1 vierzackige Ketzergabel

*1 Zungenausreißer

*1 Daumenschraube

*1 Schädelschraube

*1 Halsring mit 7 Eisendornen

*1 Alligatorschere

*1 Brustaufreißer

*1 Würgeschraube

*1 gespickter Hase

*1 Mundbirne

*1 Kiefersperre

*1 avilanische Spinne

*1 valencianische Halsgeige

*1 andalusischer Hund

*10 Fingernagelpflöcke

*10 Fußnagelpflöcke

*2 Fußschrauben

*2 galicische Stiefel

*2 Knieschrauben

*1 kastilischer Kitzler

*1 Zwangsgürtel

*1 valladolidischer Kniebrecher

*1 Anusspreizer

*1 Hodenquetsche

*1 Penisgrill

*1 torquemadascher Ausdärmer

VIII

Innozenz tauschte seine fein gewebte Kutte gegen ein Gewand aus grobem grauem Tuch. Es verfügte über eine Kapuze und eine Einstecktasche auf Höhe der linken Brust. Dort hinein kroch ich in einem günstigen Moment unbemerkt; hier würde ich seinem Herzen ganz nah sein.

Ja – dieses Herz zog mich unwiderstehlich an. Es und ich, wir waren gleich. Wir waren Brüder. Und ich wollte nie mehr getrennt von ihm sein.

Innozenz’ Herz war das ursprüngliche Herz, wie ich das ursprüngliche Buch war.

Es pulsierte für alle Welt unsichtbar in einem gar köstlichen Behältnis, ähnlich einem Kokon aus göttlichem Licht, das nichts anderes war als ein Dom der absoluten Unbesudeltheit. Seine Kuppel wurde von drei lodernden Flammen gekrönt. Ein dreifaches Alpha und ein einfaches Omega umkreisten den Sitz der Uridee des reinen Herzens satellitengleich. Lichtintarsien schienen auf und verschwanden wieder; unendliche Variationen von Akanthusblattmotiven, Rosen- und Lorbeerbändern, Kelchen mit Hostien, Tauben mit Olivenzweigen im Schnabel; alles aus Licht. Gestützt wurde der Kokon durch die 144 Säulen der Tugend, bestehend ebenfalls aus Licht.

Ja, genau so las ich es; genau so musste es sein!

Falls mich Innozenz irgendwann entdecken würde, würde ich mich ihm demütig als Inquisitoren-Notizbuch anbieten, im uneingeschränkten Vertrauen, dass er mich nicht verstoßen würde.

IX

Mit dem Inquisitorenköfferchen – offiziell: Käferforscherköfferchen – in der linken und einem Käferfangnetz in der rechten Hand machte sich Innozenz auf den Weg nach Schwamendingen. Sein Schritt war federnd und flott.

Keinem Menschen, keinem Tier und keiner Pflanze fügte er Schaden zu, auch keinem Stein.

So ging das volle vierundzwanzig Stunden lang, bis ich es nicht mehr aushielt. Im Gegensatz zu Innozenz, den der Fußmarsch nicht die geringste Kraft kostete – ja, der dadurch sogar noch erquickt wurde –, setzten mir die Strapazen des abenteuerlichen Unterfangens zunehmend zu. Ich brauchte dringend eine Pause, um frische Luft zu schnappen und mich ein bisschen zu lockern, denn in der Brusttasche war ich schon recht eingeengt.

»Meister«, wandte ich mich an Innozenz, »seid so gut und legt mal einen Halt ein, mir zuliebe, dem Büchlein mit den blütenweißen Blättern, das Eurem Herzen so nahesteht.«

»Was für eine Überraschung«, las ich in ihm seine Antwort. »Ein Lebenszeichen von meinem blinden Passagier. Komm getrost heraus, ich werde keine Eselsohren in deine Seiten machen.«

Ich kletterte aus der Tasche und schwang mich auf seine Schulter.

»Ihr wusstet, dass ich mich bei Euch eingeschmuggelt habe?«, fragte ich erstaunt.

»Schon die ganze Zeit. Wusstest du nicht, dass ich es wusste? Was bist denn du für ein Leser?«

»Ich habe ja erst gerade angefangen, in Euch zu schmökern«, verteidigte ich mich beschämt. »Über die Einführung bin ich noch gar nicht hinaus. Bis ich mich richtig in Euch eingelesen habe, braucht es noch eine Weile. Jeder Kopf ist anders, jeden Kopf muss man anders nehmen. Das erfordert eine gewisse Einarbeitungszeit.«

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