Kitabı oku: «Innozenz», sayfa 2

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X

So begann unsere Freundschaft.

Und so begann die vertiefte Auseinandersetzung mit Innozenz’ Gedanken.

Es waren wundervolle Gedanken, die mich in grenzenloses Staunen versetzten.

Einerseits waren es wohlbekannte Gebete, die ich immer und immer wieder lesen durfte; durch die ständige Repetition eine höchst wirkungsvolle Technik, dank der Innozenz geistig ständig in himmlische Sphären transzendierte: »Magnificat anima mea Dominum … magnificat anima mea Dominum … magnificat … magnificat … magnificat … magnificat anima mea Dominum …«

Viele seiner Gedanken waren torusförmig, hatten keinen Anfang und kein Ende, bissen sich gleichsam in den Schwanz. Der Torus schien eine ganz besonders heilige Figur zu sein. Die Tori in Innozenz’ Kopf rotierten, rotierten, rotierten …

Dann waren da die Henochischen Silben, also Silben aus der Sprache, in der Gott mit seinen Engeln kommuniziert; völlig unfassbare Konstruktionen, die mich in ihren Bann zogen; ich konnte sie nicht verstehen, aber sie waren pure Mystik.

Keinen einzigen Schweißtropfen vergoss Innozenz während der Wanderung. Pausen gab es nun regelmäßig; besonders gute Gelegenheiten für Lektüreeinheiten. Zumeist wurden sie auf dem Wipfel eines hohen Baumes abgehalten, inmitten stiller Waldeinsamkeit.

XI

Auf unserem Weg vollbrachte Innozenz ein Wunder nach dem anderen.

Ein Panthertier befreite er von seiner perversen Wollust.

Einen Löwen von seiner unerträglichen Hoffart.

Eine Wölfin von ihrer unfassbaren Habgier.

Einem Luchs war ein gewaltiger Felsbrocken auf seinen Schwanz gefallen; aus eigener Kraft konnte sich das arme Tier nicht aus dieser Falle befreien. Innozenz hob den Stein drei Handbreit in die Luft, allein durch die Kraft seines Herzens, und der Luchs verschwand dankerfüllt im Unterholz. Den Felsen ließ Innozenz danach wieder sacht zu Boden sinken.

Auch einem alten Wildschwein mit düsteren Gedanken konnte Innozenz helfen, ursprünglich gegen den Willen des Keilers; umso dankbarer war er dem heiligen Mann danach, dass er nun wieder lichte Gedanken zu spinnen vermochte. Als Erinnerung an dieses Wunder sollte fortan stets ein goldenes Kreuz über seinem Scheitel schweben.

Und so gab es noch viele, viele Wunder, die Innozenz auf unserem Fußmarsch tat.

Er lud die Würmer und die Vögel zum friedlichen Mahle.

Einer Amsel, die auf seinem Zeigefinger gelandet war und drei himmelblaue Eier auf die Handfläche gelegt hatte, gestattete er, die Eier auszubrüten, und hielt die Hand so lange geöffnet, bis die Vögelchen geschlüpft waren.

Einmal wollte eine Bande von Wegelagerern uns überfallen; Innozenz ließ sein Herz nur ein unhörbares Wort sprechen, und die Strauchdiebe warfen sich vor ihm auf die Erde und bereuten alle ihre Sünden. Alsdann erhoben sie sich und gelobten feierlich, nur noch Gutes zu tun.

XII

Es war tiefste Nacht, als wir Schwamendingen erreichten.

Der Regen peitschte Innozenz ins Gesicht.

In einem Haus brannte noch Licht; »Gasthaus Hirschen« stand auf einem im Sturm schwankenden Holzschild geschrieben.

Durch kniehohen Schlamm bahnte sich Innozenz einen Weg zum benannten Gebäude.

Er stieß die Tür auf; ein niedriger, schummriger Schankraum tat sich vor uns auf; die Bühne für eine ganz eigene Art von Welttheater.

Im flackernden Schein des Herdfeuers zu erkennen: Bauern und Dorfhandwerker mit Nasen groß wie Kartoffeln; leerer Blick; mechanisch einen Becher Wein nach dem anderen in sich hineinschüttend. Den meisten fehlte irgendetwas – ein Finger, eine Hand, ein Arm, ein Bein oder gleich mehrere Finger respektive beide Hände, Arme oder Beine.

An der Decke über dem Feuer baumelnd: Würste; mit Schweinsinnereien gefüllte Monstrositäten, die einen entsetzlichen Gestank verströmten. In Frankreich sind sie als Andouilletten bekannt und berüchtigt.

Trümmlige – wie man in diesen Breitengraden sagt – Schalmeienklänge verseuchten die Atmosphäre zusätzlich; Urheber war ein fahrender Spielmann, offensichtlich ein blutiger Anfänger.

Hinter dem Tresen stand ein plumper, schnauzbärtiger Hüne in einem blutbespritzten weißen Unterhemd; schwer schnaufend traktierte er den vor sich liegenden Kadaver einer Sau mit einem Hackbeil.

Wie alle im Raum Anwesenden ignorierte auch er uns komplett.

Dieser Fleischgeruch in der Luft – nicht auszuhalten!

Ja – das hier war das Reich des Fleisches. Mich schauderte.

Innozenz setzte sich ungerührt an einen Tisch.

Aus dem Nichts erschien ein junges Weibsbild mit bis zu den Waden reichenden feuerroten Locken. Was Innozenz zu konsumieren wünsche? – Die Spezialität des Hauses, erwiderte dieser.

Die Spezialität des Hauses: selbstredend Würste aus Schweinedarm und -magen. Alternativ: Hörnli mit Ghacktem und Auberginenmus.

Innozenz wählte Variante zwei; die er dann schnell mir zuschob, als sie ihm von der Rothaarigen serviert worden war – menschliche Nahrung brauchte er keine. Ich hockte unter dem Tisch und schlang die kleinen, gebogenen Makkaroni gierig hinunter, denn ich hatte schon lange nichts mehr zu futtern gehabt. Natürlich achtete ich penibel darauf, dass meine Seiten keine Flecken davontrugen.

XIII

Nachdem ich fertig gespeist hatte, sah ich mich etwas genauer im Raum um; Innozenz schien an derlei kein Interesse zu verspüren und saß nur abwesend auf seinem Stuhl.

Links der Theke führte eine Treppe in den oberen Stock; dort befanden sich drei Gästezimmer. Eine Tür rechts davon führte in ein Hinterzimmer, in das sich in regelmäßigen Abständen Bauern verzogen. Nach einigen Minuten rhythmischen Stöhnens kam der Betreffende wieder heraus, und ein Neuer ging rein. Der Wirt betrieb offenbar nicht nur ein Gasthaus, sondern auch ein Bordell.

In einem besonders dunklen Winkel, an einem separierten Ecktisch sitzend, machte ich drei Gestalten aus: einen Pfarrer, einen Narren und einen … grünen Dämon! Ja, das war ganz klar ein Dämon, kein Zweifel!

Die drei frönten dem Kartenspiel.

Der Narr, eine abstoßende Kreatur mit Hasenscharte, Segelohren und Buckel, trug ein Kostüm aus notdürftig zusammengenähten Flicken in freudlosen Brauntönen und eine dreizipflige Narrenkappe mit Schellen; die linke Schelle war abgerissen.

Der Pfarrer war der Inbegriff eines Magenkranken; ausgemergelt, gelbgesichtig, schmallippig; spärliches dünnes Haar klebte matt an seinem Schädel.

Der Dämon – und es handelte sich um nichts anderes, das hätte ich beschwören können! – nannte spitze grüne Hörnchen, smaragdgrün funkelnde Schlitzaugen und eine gespaltene grüne Zunge sein Eigen.

Ich wollte mich näher zu ihrem Tisch schleichen, um mitzuhören, worum sich ihre Gespräche drehten, da flog die Tür auf und ein tätowierter Menschenfresser mit einer Walharpune und einem halben Dutzend Schrumpfköpfen schaute herein. Letztere wollte er feilbieten; es fand sich aber kein Interessent, und so trollte sich der Südseeinsulaner grummelnd wieder.

Die Gespräche der Kartenspieler, die mir im Folgenden zu Gehör kommen sollten, versuche ich, so präzis wie möglich wiederzugeben.

XIV

PFARRER: Wisst ihr, wie die Welt entstanden ist? Gott hat sich mit einem Luntenschlossrevolver das Gehirn weggepustet, und aus dem Glibber, der in alle Richtungen gespritzt ist, sind Himmel und Erde und der ganze Rest entstanden, rein zufällig natürlich, ha ha ha. Prost! (Stürzt einen Becher Wein hinunter und rülpst)

DÄMON: Gott existiert nur, wenn ich es will.

NARR: Gott existiert noch gar nicht! Denn Gott ist erst im Werden begriffen! Der Mensch ist das Höchste – und er wird noch viel höher, wird Gott werden! Ich spreche selbstverständlich nur von einem kleinen Teil der Menschheit. Doch dieser wird zu allem fähig sein. Dieser Menschentypus muss alles Menschliche opfern, um mehr zu werden als ein Mensch. Durch Manipulation, Heraufbeschwören von religiösen und politischen Konflikten, Kriegen et cetera. Via die durch die Konflikte der Untermenschen freigesetzte Energie speist der Gott-Mensch seine Programmierung hin zum allerhöchsten Selbst und darüber hinaus. Der Gott-Mensch wird sein Hirn in synthetische, nanometerkleine Strukturen umwandeln und unsterblich werden, sein künstliches Bewusstsein ins All schicken, mit einer Geschwindigkeit, die jene des Lichts übertrifft, und wird andere Planeten besiedeln, die sein eigenes Gehirn sind …

PFARRER: (Fällt dem Narren ins Wort) Was für eine Grütze! Der Mensch ist das Niederste! Er ist Abfall! Er ist Dreck! Pro Minute verliert er 40’000 Hautzellen. Im Laufe seines Lebens verliert er 3000 Kilogramm Haut. Ein Mensch, der 60 Kilogramm wiegt, hat sich bis zum Zeitpunkt seines Todes also quasi 50 Mal vervielfältigt, und das nur aus Hautzellen! Und der Rest? Auch nicht viel schöner. Wisst ihr, wie viele Flüssigkeiten im Menschen wirken? 88! Und diese 88 lassen sich wiederum in 888 Arten unterteilen. So gibt es nur schon vom Speichel 24 verschiedene Arten. Dazu kommen 7 verschiedene Arten Kammerwasser, 18 Arten Smegma, 52 Arten Ohrenschmalz, je 22 Arten Urin, Gallensaft und Eiter, 44 Arten Schweiß, 21 Arten Gelenkschmiere, 66 unterschiedliche Arten von Vaginalsekreten … Das weiß ich alles von unserem Dorfmedicus. Lasst mich eine Zeile eines piktavienischen Dichters zitieren: »Cette gorge est comme une tombe ouverte / Celle langue n’est bonne qu’à tromper.« Sehr zum Wohl! (Rülpst und stürzt einen Becher Wein hinunter)

DÄMON: (Rülpst)

Nach dem den Dialog abschließenden Rülpser des Dämons spielte dieser triumphierend eine Karte aus – die Saturn-Karte, wie ich später erfahren sollte – und gewann das Spiel.

Dann wandte er seinen Kopf langsam in meine Richtung und streckte mir grinsend seine Zunge heraus.

XV

Von Panik ergriffen wetzte ich zurück zu Innozenz.

»Meister! Meister!«, rapportierte ich ihm aufgeregt. »Ihr glaubt nicht, was ich gerade gesehen und gehört habe! Dort drüben sitzt ein Dä… ein Dädä… ein Dä…«

»Ich weiß, mein geliebtes schneeweißes Buch«, las ich in Innozenz. »Ich habe von hier aus alles mitbekommen. Beruhige dich. Diese drei Witzfiguren können uns und unserer Mission nichts anhaben. Bemerkenswert ist einzig, mit welchen Spielkarten sie sich verlustieren. Ist dir das aufgefallen? Es handelt sich um das sogenannte Sola-Busca-Tarot, fabriziert im Auftrag des alten Adelsgeschlechts derer von Este; de facto ist es ein Grimoire für die dunklen Eliten. Die einzelnen Karten enthalten äußerst grausame Motive: Kleinkinder werden geopfert, abgeschlagene Köpfe mit Lanzen durchbohrt, Sexualmagie wird zelebriert, der Mönch Ipeo wird vom Teufel besessen … Die höchste Karte, die XXI, ist die Karte des gnadenlosen Gottes Kronos, auch bekannt als Ba’al Hammon, Moloch und Saturn, den man hinter dem vordergründig abgebildeten Nabuchodenasor erkennen kann. Sie übertrumpft alle anderen. Doch lass uns jetzt um eine Unterkunft für die Nacht besorgt sein.«

Der Wirt des Hirschen, Zollinger mit Namen, zeigte zu Beginn keine Intention, Innozenz ein Zimmer zur Verfügung zu stellen; jäh änderte er seine Meinung und händigte ihm den Schlüssel für Zimmer Nummer 1 aus; seine anschließende Frage, ob der werte Gast eventuell Interesse daran bekunde, einen saftigen Kadaver mit nach oben zu nehmen, ignorierte Innozenz.

Die Rothaarige führte uns nach oben; sie hieß Brigida und war die Tochter von Zollinger.

XVI

Im Zimmer legte sich Innozenz aufs Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt.

»In diesem Haus gehen Ungeheuerlichkeiten sondergleichen vor«, wandte ich mich an den Heiligen. »Ich spüre es mit jeder Seite meines Körpers. Wollt Ihr nicht unverzüglich Investigationen aufnehmen? Ich habe das starke Gefühl, dass der Schädel des ersten Menschen sich in unmittelbarer Nähe befindet.«

Die Antwort, die ich in ihm las, lautete: »Vergebene Liebesmüh’. Aber mach nur.«

So nahm ich auf eigene Faust Nachforschungen auf.

Leise schlich ich aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Die Schankstube war inzwischen leer, alle Gäste und auch Zollinger und Brigida hatten sich verzogen.

Instinktiv zog es mich in die Küche des Hirschen.

Ein schwarzer Eisenkessel stach mir als Erstes ins Auge; er stand auf drei Füßen, direkt auf dem Boden. Das war kein normaler Kessel zum Kochen, so viel war mir sofort klar. Das war die Brutstätte für unsägliche Abscheulichkeiten. Sie würden hier rausklettern in grässlichster Gestalt und …

Zitternd streckte ich mich, um einen Blick in sein Inneres zu erhaschen, und erschrak: Das Gefäß war bis zum Rand gefüllt mit Erdbrocken, Steinen, Federn, Ästen, Wurzeln, Blättern, Fellfetzen, Haaren, Nägeln … und Splittern eines Schädels!

XVII

Ich raste die Treppe hinauf in unser Zimmer.

»Kommt schnell! Ich muss Euch etwas zeigen!«, keuchte ich.

Innozenz erhob sich ruhig von der Lagerstätte und folgte mir hinunter in die Küche.

»Schaut Euch die Schädelsplitter im Topf an«, sagte ich. »War das der Schädel des ersten Menschen?«

»Nein – die Splitter sind nicht alt, stammen also von einem unlängst Verstorbenen«, las ich in Innozenz.

»Wer hat das fabriziert?«, wollte ich wissen.

»Von der Plumpheit und Brutalität her würde ich sagen: Zollinger. Der Schädel wurde ja richtiggehend zermalmt … Das Ding hier nennt sich Nganga. Der Topf ist eine Art Mikrokosmos, den der Schwarzmagier erschafft und über den er absolute Macht hat. Und wer Macht über den Mikrokosmos hat, beherrscht auch den Makrokosmos. Das hier ist wahrscheinlich Friedhofserde. Und das Teile eines Gehirns. Man füttert den Geist des Kessels mit Substanzen, deren innewohnende Kraft sich auf einen selbst übertragen soll. Wenn ich also gescheiter werden will, füttere ich ihn mit Hirn. Wenn ich stärker werden will, mit Muskeln. Wenn ich mich verjüngen will, mit Blut. Der Magier kann den Geist im Kessel aber auch mit allen möglichen Aufträgen betrauen, die er dann für ihn ausführt. Der Geist soll auch die Kunst beherrschen, Totes wieder zum Leben zu erwecken. Er tut das natürlich nicht gratis, sondern verlangt regelmäßige Opfer … Nsala Malecum! Nein, im Ernst: Mit so etwas Idiotischem sollten wir einfach nicht unsere Zeit verschwenden.«

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