Kitabı oku: «Großer Bruder sein»

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Großer Bruder sein

Impressum

1. Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

2. Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

3. Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

4. Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

5. Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

Über die Autorin

Gisela Sachs

Großer Bruder sein

Kinderbuch

XOXO Verlag

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-115-3

E-Book-ISBN: 978-3-96752-615-8

Copyright (2020) XOXO Verlag Umschlaggestaltung und Buchsatz:

XOXO Verlag unter Verwendung des Bildes: 110032358 von Fotolia

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Die Erde ist deine Mutter, sie hält dich.

Der Himmel ist dein Vater, er beschützt dich.

Der Wind ist dein Bruder, er singt für dich.

- Verfasser unbekannt

Wir wählen Geschwister nicht aus,

wir bekommen sie geschenkt.

Für Michael,

den besten ‚Großen Bruder’ der Welt.

Großer Bruder zu sein,

ist eine schützende helfende Hand zu geben.

1. Teil

Wie alles begann

1. Kapitel

Die Schulglocke läutet. Christian Schneider springt vom Stuhl auf, reißt seine Arme hoch in die Luft, brüllt

»Schuuuulferieen« und führt einen Indianerfreudentanz auf. Danach fegt er seine Sachen vom Tisch direkt in seinen Schulrucksack: das Zahlenreisebuch, das Matheheft, die Buntstiftbox, das große Holzlineal. Die Klassenkameraden grölen. Der Mathelehrer lacht.

Christians Sitznachbar und bester Freund Davide grinst nur, er kennt den Indianerfreudentanz schon. Christian führt immer Indianerfreudentänze auf, wenn er sich besonders arg freut. Und das ist ziemlich oft. Christian Schneider ist ein fröhliches, temperamentvolles Kind.

Christian und Davide sind nicht nur Sitznachbarn in der Schule, sie sind auch Wohnungsnachbarn. Fast jedenfalls. Sie sind keine Nachbarn, die Tür an Tür oder Haus an Haus wohnen, nein, sie wohnen sozusagen Straße an Straße. Christian Schneider wohnt mit seinem Papa und seiner Mama in der Vogelsangstraße Nummer eins, Davide Romano mit seinen Eltern, den Großeltern, drei älteren Brüdern und zwei jüngeren Schwestern in der Lerchenstraße Nummer sechs.

Die Vogelsangstraße und die Lerchenstraße sind Parallelstraßen. Das hört sich etwas kompliziert an, ist es aber nicht.

»Ein Butterbrotbiss weit entfernt«, meint Christians Mutter. Christian weiß es aber besser. Er hat die Schritte von der Vogelsangstraße Nummer eins bis in die Lerchenstraße Nummer sechs gezählt. Tagelang. Jeden Morgen vor der Schule. Und jeden Mittag nach der Schule. Mit Schuhen. Und ohne Schuhe. Es sind genau 66 Schritte.

Die Brüder von Davide heißen Valentin, Vito und Vincente, die zwei Jahre alten Zwillingsmädchen, Violetta und Valentina. Bei der Familie Romano fangen alle Kindernamen mit V an. Das hatte der Vater Victor so gewollt. Nur bei Davide haben die Eltern eine Ausnahme gemacht. Aber warum das so ist, das weiß niemand.

»Das ist ein Familiengeheimnis«, grinst Vater Victor, wenn er darauf angesprochen wird. Von den Eltern, Geschwistern, Großeltern, Freunden und Verwandten wird Davide liebevoll Davie genannt.

Davides Großeltern wohnen im Erdgeschoss des dreistöckigen Backsteinhauses in der Lerchenstraße Nummer sechs, die junge Familie Romano bewohnt das zweite und dritte Stockwerk. Die Erdgeschossbewohner- großeltern sind die Eltern von Davides deutscher Mama Laura.

Die Eltern von Vater Victor sowie dessen unverheiratete Schwester Maria wohnen im Haus nebenan, direkt über dem Restaurant ‚La Toscana’, welches die Großfamilie Romano schon seit vielen Jahren betreibt, in der Lerchenstraße Nummer sieben.

Christians Mutter Marie und Davides Mutter Laura kennen sich schon seit Kindertagen. Sie waren im gleichen Kindergarten, besuchten dieselbe Grundschule, das gleiche Gymnasium. Und viele Jahre später heirateten sie am selben Tag in derselben Kirche. Aber das mit dem Heiraten und der Kirche war ein Zufall. Laura und Marie hatten sich für ein paar Jahre aus den Augen verloren. Aber das ist eine andere Geschichte.

2. Kapitel

Christian und Davide spielen fast täglich zusammen Fußball, Handball oder Tischtennis. Bei schlechtem Wetter spielen sie gerne Domino, Mensch Ärgere Dich nicht oder Kartenspiele, im Baumhaus, im Garten hinter dem Haus bei den Romanos. Christian möchte auch ein Baumhaus haben. Ein größeres aber als sein Freund Davide. So groß, dass mehrere Kinder darin Platz finden, nicht nur zwei.

»Im nächsten Jahr vielleicht«, meint der Vater zu Christians Bauplänen. Christian möchte nämlich auch noch Stelzen und ein Klettergerüst haben.

»In diesem Jahr werde ich keine Zeit mehr finden, um den Baumeister zu spielen«, stöhnt Christians Vater. Aber Christian weiß, dass das nur gespielt ist. Sein Vater zimmert und schreinert für sein Leben gerne, am liebsten zusammen mit seinem Sohn.

Christian und Davide sind Mitglieder: im Fußballverein der E-Junioren, in der Pfadfindergruppe der Wölflinge, im Taucherklub sowie im Tischtennisverein. Und jeden Sonntagvormittag besuchen die Freunde die Kindermesse in der Jakobskirche am Ende der Vogelsangstraße, gleich neben dem Spielplatz.

Nach der Messe stöbern Christian und Davide meist noch in der Leihbibliothek der Kirchengemeinde. Die Auswahl der Bücher dort ist klein, aber Christian findet immer irgendein Buch, das ihn interessiert.

Manchmal darf Christian nach dem Gottesdienst mit der Familie Romano im Restaurant zu Mittag essen. Das gefällt Christian sehr. Bei den Romanos ist immer was los. Da sitzen immer ganz viele Menschen am Familientisch. Große und kleine, alte und junge. Verwandte, Bekannte und Freunde, bunt durcheinander gewürfelt, aus vielen verschiedenen Ländern. Sie wissen immer viel zu erzählen. Und Christian hört immer gebannt zu.

Am liebsten mag er die Geschichten von Davides Großmutter Felizitas. Sie weiß alles über Italien. Und sie erzählt sehr spannend, auch wenn sie kein ordentliches Deutsch spricht.

Christian mag Davides Großmutter sehr. Und zudem kocht Oma Felizitas die besten Spagetti der Welt. Ihre Tomatensoße riecht nach Urlaub, nach Sonne, nach Meer, und Christian überfuttert sich immer, wenn er bei den Romanos zu Mittag isst.

3. Kapitel

Christian, von der Familie und Freunden Chrissie genannt, hat es eilig. Noch eiliger als an gewöhnlichen letzten Schultagen. Normalerweise läuft er mit Davide zusammen nach Hause. Aber heute nicht. In ein paar Stunden schon wird er mit seinen Eltern in Urlaub fahren. Da kann er nicht lange herumtrödeln und quatschen, wie die Freunde das sonst nach der Schule so tun.

Christian macht sich nicht die Mühe den Reißverschluss seines Schulrucksacks zuzuziehen. Und er nimmt sich auch nicht die Zeit sich von seinen Schulfreunden zu verabschieden, auch nicht vom Mathelehrer, obwohl er ihn sehr mag. Er ruft nur: »Ich geh’ dann mal, Leute«, und stürmt aus dem Klassenzimmer.

Die Sommerschulferienreise wird in diesem Jahr nach Kroatien gehen: zum Schwimmen, Paddeln und Tauchen. Christian und seine Eltern sind ausgesprochene Wasserratten. Die kleine Familie verbringt ihre komplette Freizeit in Wassernähe: an Flüssen und Seen, in Strandbädern und Freibädern.

In den letzten Sommerferien waren sie an der Nordsee, vorletztes Jahr an der Ostsee, die Jahre davor am Bodensee und am Chiemsee. Dieses Jahr soll es zum ersten Mal an einen Badestrand im Ausland gehen. Nach Kroatien. Auf die Insel Krk. Und Christian ist ganz schön aufgeregt. So weit weg von Zuhause war er noch nie. Und er war auch noch nie in einem Land, wo man eine andere Sprache spricht.

Christian hat schon ein paar Worte kroatisch gelernt, von Dario, seinem kroatischen Freund aus der Parallel- klasse. Molim heißt bitte. Und Hvala heißt danke. Da, heißt ja und nein heißt ne. Christian findet es ziemlich einleuchtend, dass nein ne heißt und da ja. Das kann er sich gut merken, das sagt er in der deutschen Sprache auch so. Warum Bok aber hallo und tschüß gleichzeitig heißt, das versteht er nicht.

Dobar dan heißt guten Tag. Und dobar dan geht Christian leicht von den Lippen. Er begrüßt die Menschen in seiner Umgebung schon seit Tagen mit »dobar dan, Frau Wolf. Dobar dan, Frau Wagner. Dobar dan, Frau Mutter. Dobar dan, Herr Vater. Dobar dan, Frau Oma und dobar dan, Herr Opa.« Christians Großeltern finden das sehr lustig. Ihr einziges Enkelkind ist ihr ganzer Stolz.

Die Großeltern, Oma Erna und Opa Wilhelm, wohnen im Nachbardorf. Sie sind die Eltern von Christians Mutter Marie. Christian verbringt viel Zeit bei den Großeltern in dem alten Bauernhaus mit dem großen Garten. Er hat dort sogar ein eigenes Zimmer. Es ist das ehemalige Kinderzimmer seiner Mutter, im zweiten Stock, gleich neben dem Schlafzimmer der Großeltern. Der Opa hatte es für ihn renoviert, als er auf die Welt kam, die Wände von rosarot auf Himmelblau umgestrichen, einen Sternenhimmel an die Zimmerdecke gemalt. Und die Oma hat himmelblaue Vorhänge und Bettwäsche genäht. Himmelblaue Deckchen im Zimmer verteilt.

Himmelblaue Blumentöpfe an die Fensterbank gestellt. Und eine himmelblaue Lampe an die Decke gehängt.

»Kleine Buben mögen himmelblau«, hatte sie dem Opa erklärt.

Mittlerweile hat Christian das Zimmer umgestaltet und die Wände sind mit Postern von Fußballspielern geschmückt. An der Decke hängt eine Fußballspieler- lampe, auf dem Nachtisch steht eine Fußballspielerleuchte und das Bett ziert Fußballbettwäsche. Die Großmutter hat auch diese Bettwäsche genäht, auf ihrer alten Tretnähmaschine, ebenso die Vorhänge mit den aufgestickten Fußbällen.

Christian hat ein riesiges Bücherregal aus Holz, von seinem Vater geschreinert, aber es ist fast voll von Opas Büchern. Christians Opa besitzt viele Bücher und Bildbände über Afrika, Arabien, Australien, Neuseeland, Island, Amerika und Spanien. Auch von der fremden Tierwelt dort. Ebenso Unmengen von Bildbänden über Wasserfälle, Flugzeuge, Schiffe und exotische Tiere. Ein riesiges Regal im Wohnzimmer ist voll davon. Auch das Regal im Flur und das Regal im Schlafzimmer. Der Opa hat seine Bücher überall untergebracht, im ganzen Haus. Aber die allerschönsten Bände stehen bei Christian im Zimmer.

Der Großvater findet es sehr schön, dass sein Enkel so viel Interesse an seinen Büchern zeigt. Oft sitzt er mit Christian auf dem Fußboden und sie blättern gemeinsam in den Bildbänden. So lange, bis der Opa nicht mehr sitzen kann und schimpft. »Das elende Kreuz aber auch.«

Christian schlendert oft mit seinem Großvater durch die Leihbibliothek der nächstgelegenen Stadt und auch durch die Buchhandlungen dort. Die Opa-Bücher-Ausflüge sind immer ganz besondere Tage für Christian. Oft gehen die beiden noch ein Eis essen. Oder eine Pizza. Manchmal auch zum Chinesen, zum Peking Ente essen.

Die Großmutter Erna liest nicht so gerne, nur in der Bibel. Sie sitzt am liebsten im Lehnstuhl unter dem Fenster, mit Blick in den Garten und strickt Socken. Christians Sockenschublade quillt schon über von den Oma-Socken-Geschenken. Es gibt sie immer: an Weihnachten, zu Ostern, zum Geburtstag. Und manchmal auch unter dem Jahr. Immer dann, wenn die Oma ein Sonderangebot an Wolle ergattern konnte. Oma Erna ist sparsam, sie schlägt immer gnadenlos zu bei Wolle- Sonderangeboten.

Christian planscht auch gerne in der Badewanne. Sehr gerne sogar. Er würde stundenlang im warmen Schaum- wasser bleiben, wenn er das dürfte, seine Papierschiffchen schwimmen lassen oder lesen. Am liebsten spannende Abenteuerbücher über Seeräuber und Piraten. Er liest aber auch gerne Bücher über Tiere und Geschichten, die in fremden Ländern spielen. Und er baut für sein Leben gerne Sandburgen. Im Garten in der Vogelsangstraße Nummer eins steht sogar noch sein Sandkasten. Direkt unter dem Walnussbaum hinter dem Haus. Obwohl er dafür eigentlich schon viel zu groß ist, wie seine Oma meint.

Christian liebt Tiere über alles. Am liebsten hätte er einen kleinen Zoo gehabt. Oder einen Bauernhof, so wie sein Opa einen gehabt hatte. Mit Kühen, Rindern, Pferden, Schweinen, Ziegen, Hühnern, Gänsen und Enten. Aber seine Mutter wollte Musikerin werden, keine Bäuerin. Und so hatten die Großeltern dann später beschlossen, den Bauernhofbetrieb einzustellen.

Christian hat drei Hasen: Puschel, Blümchen und Klara. Zwei Kanarienvögel, einen orangefarbenen und einen gelben. Sie heißen Lemon und Orange. Seine Katze, ein grau gestreiftes Tigerchen, hat er auf den Namen Kim getauft. Er wünscht sich einen Hund, einen großen, am liebsten einen Schäferhund. Und der Hund soll Lucky heißen. Aber für einen Hund wäre Christian noch zu klein, meint seine Oma.

»Der Bub ist doch noch nicht einmal zehn.«

»Mal bin ich zu klein und mal bin ich zu groß«, schimpft Christian. »Immer gerade so, wie es der Oma passt.«

4. Kapitel

Die kleine Familie wird mit dem Bus in das Land der Gewässer und der 1000 Inseln reisen. Christians Mutter liebt Busfahrten über alles. Sie genießt es sehr, die Natur zu betrachten, an Wäldern, Wiesen und Feldern vorbei- zufahren, in die Wolken zu schauen und vor sich hinzuträumen. Sie lächelt dann glücklich vor sich hin, vergisst die Welt um sich herum und bemerkt noch nicht einmal, wenn sie angesprochen wird.

Waldundwiesenwolkenguckerträume beschreibt Rainer Schneider diese Zustände. Und diese Waldundwiesen- wolkenguckerträume sind auch der Grund, warum er seiner Ehefrau den Kosenamen Träumerle gegeben hat. Auch Christian ruft seine Mama manchmal Träumerle. Immer dann, wenn er sie besonders gerne mag und mit ihr kuscheln will. Und das ist oft so, fast jeden Tag.

Marie Schneider ist eine zierliche Person, einen Kopf kleiner als ihr Ehemann Rainer. Sie hat lange weizen- blonde Haare, die in der Sonne glänzen wie Gold. Auf ihrer Stirn, den Wangen und der Nasenspitze haben sich ein paar lustige Sommersprossen niedergelassen.

Sie legt die Stirn in Falten, wenn ihr etwas nicht gefällt. Das kommt aber nicht allzu häufig vor, nur wenn Christian die Hausaufgaben nicht ordentlich macht und lieber Fußball gegen die Zimmerwände spielt. Oder er wieder einmal vergisst, die Spülmaschine auszuräumen, wenn er Küchendienst hat.

Das linke Ohr von Marie ist etwas größer als ihr rechtes Ohr. Aber das weiß außer der Familie niemand. Christian droht manchmal, das Geheimnis zu verraten, immer dann, wenn einer der seltenen Fälle eintritt und er von ihr ausgeschimpft wird. Christians Mutter ist eine Frohnatur, sie singt und trällert wie eine Lerche, vom frühen Morgen bis in den späten Abend. Sie ist auch eine begabte Tänzerin. In jungen Jahren hatte sie sogar eine Goldmedaille im Solotanz errungen. Christian ist sehr stolz auf seine schöne Mama.

Marie Schneider hatte sich die Busreise auf die Insel Krk zum 30. Geburtstag gewünscht. Sie mag gerne mit anderen Menschen reisen und die jugoslawische Landschaft hatte sie schon immer interessiert. Die Familie wird viele Ausflüge machen, an verschiedenen Stränden rasten, Bauwerke ansehen, Museen besichtigen, neue Freunde finden vielleicht. Marie Schneider ist eine aufgeschlossene Person. Sie hat Freunde in der ganzen Welt.

Das ganze Jahr über hat Marie Bildbände und Reiseführer von Kroatien studiert. Und auch Christian und sein Vater sind schon sehr gespannt auf das Land und die Menschen dort.

In den letzten Jahren war die Familie mit dem Zug in den Urlaub gefahren.

Die Zugreisen hatten Christian immer gut gefallen, sie waren sehr lustig. Es waren meist Kinder in den Abteilen, mit denen er sich die Zeit vertreiben konnte, einmal sogar zwei Jungs in seinem Alter. Gerne hätte Christian seinen Freund Davide dabei gehabt, aber das geht leider nicht. Seine Erdgeschossgroßmutter hat am Abreisetag Geburtstag. Den Siebzigsten.

5. Kapitel

Christian wäre viel lieber mit dem Auto gereist, weil Kroatien doch sehr weit weg ist und weil er dann mehr Gepäck hätte mitnehmen können. Sein eigenes Boot-Set zum Beispiel. Oder seinen Polizei-Überwachungs-Truck. Auch die Inliner und das Skateboard hätte er gerne mitgenommen. Die Federballschläger. Mehr Bücher.

»Man kann nicht alles haben, Chrissie«, meint sein Vater bei der Diskussion über das Urlaubsgepäck. »Das ist im Leben nun einmal so.«

Christian motzt ein bisschen herum, wie immer, wenn ihm etwas verboten wird, und bringt beleidigt das Skateboard und die Inliner in die Garage zurück. Den heiß ersehnten Polizei-Überwachungs-Truck, den er am Vorabend von den Eltern geschenkt bekommen hatte, schiebt er schweren Herzens wieder unter sein Bett und holt stattdessen seine verstaubten Schwimmflossen hervor.

Er entfernt die Wollmäuse und stopft die Flossen in seinen Rucksack: zu den Badeschlappen, seiner neuen schwarzen Badehose mit den drei weißen Streifen, der Taucherbrille, der Wasserspritzpistole und den restlichen Süßigkeiten vom letzten Osterfest.

In den Rucksack kommen noch: sein geliebtes Kakerlaken-Poker-Spiel, zwei Tischtennisschläger, ein 6er Set gelber Tischtennisbälle, seine sonnengelbe Taschenlampe und zwei seiner unzähligen Piratenbücher. Und ganz unten im Rucksack schlummert Judy, sein zerkuscheltes braunes Plüschäffchen, das nur noch ein Auge hat. Seine Mama hatte ihm Judy zum ersten Geburtstag geschenkt. Und Christian verreist nie ohne Judy. Aber das weiß außer der Familie niemand.

6. Kapitel

Christian joggt die gesamte Strecke von der Schule bis nach Hause, ohne eine Pause einzulegen. Er ist ziemlich erschöpft, als er in der Vogelsangstraße Nummer eins ankommt. Seine Haare sind klatschnass geschwitzt, das Gesicht rot wie eine reife Tomate und er schnauft wie eine alte Dampflok, die mit zehn Waggons einen Berg hinaufkeucht.

Christian nimmt seinen Schulrucksack von den Schultern, zieht ein paar zerknüllte Papiertaschentücher zwischen seinen Büchern hervor und wischt sich die Schweißperlen von der Stirn. Dann fährt er sich mit gespreizten Fingern durch die dunkelblonden Haare und stöhnt: »Durst! Mann oh Mann, was habe ich einen Durst!« Christian sagt es im gleichen Tonfall wie sein Vater, wenn er abends vom Feld heimkommt, was die Mutter immer sehr amüsiert. Die Schneiders sind eine fröhliche Familie.

Im zweiten Stock des Backsteinhauses geht ein Fenster auf. Frau Müller schüttelt ihren Badezimmerläufer aus. Frau Müller schüttelt immer irgendetwas aus irgendeinem ihrer Fenster. Aber in Wirklichkeit putzt sie gar nicht, sie ist nur neugierig, meint Christian.

»Du bist schon da, Chrissie?«, flötet Frau Müller zuckersüß. »Du bist aber früh dran heute, Chrissie!«

»Guten Tag, Frau Müller«, antwortet Christian artig, aber ohne zum Fenster hochzuschauen.

»Du bist doch nicht etwa krank, Chrissie?«

»Deine Haare sind ja ganz nass geschwitzt, Chrissie!«

»Du hast doch nicht etwa Fieber?«

Christian gibt keine Antwort und beachtet Frau Müller auch nicht weiter. Er mag die Mieterin seiner Eltern nicht. Immer hat Frau Müller irgendwelche Fragen an ihn. Und immer ganz viele auf einmal.

»Wo gehst du hin, Chrissie?«

»Wann kommst du wieder, Chrissie?«

»Ist die Kinderkirche schon aus, Chrissie?«

»Du hast doch nicht etwa den Kommunionsunterricht geschwänzt, Chrissie?!«

»Deine Schnürsenkel sind auf, mein Junge!«

»Merkst du das denn nicht?«

»Du wirst darüber stolpern, mein Junge.«

Christian mag es nicht leiden, wenn Frau Müller ‚mein Junge’ zu ihm sagt. Er verspürt dann immer ein unangenehmes Kribbeln im Bauch. Und sein Hals wird eng. Christian wird wütend, wenn Frau Müller ihn so viel fragt.

»Dabei geht es Frau Müller doch gar nichts an, wo ich hingehe und wann ich heimkomme und ob ich spät dran bin oder früh, und ob meine Schnürsenkel offen sind oder nicht«, beschwert sich Christian bei seiner Mutter. »Und zudem bin ich nicht ihr Junge!«

»Sie ist eine alte Frau, Chrissie.

»Na und! Wenn sie alt ist, muss sie mich trotzdem nicht ausfragen.«

»Ach Chrissie. Mit alten Menschen muss man Nachsicht haben.«

Manchmal äfft Christian Frau Müller nach. Er zieht dann die Augenbrauen nach oben, reißt die Augen weit auf, wackelt mit dem Kopf und verstellt seine Stimme so in etwa wie die Hexe bei Hänsel und Gretel, als sie bemerkt hatte, wie die Kinder die Lebkuchen vom Knusperhäuschen gegessen haben.

Christian streckt seinen gekrümmten Zeigefinger hoch in die Luft und krächzt.

»Du bist schon da, Chrissie? Du bist heute aber früh dran, mein Junge.«

»Du hast doch wohl den Kommunionsunterricht nicht geschwänzt, Chrissie.

»Wo gehst du denn hin, Chrissie?«

»Du bist heute aber spät dran, Chrissie!«

»Ist die Kinderkirche schon aus, Chrissie?«

»Was gibt’s denn bei euch heute zum Essen, Chrissie?«

»Es riecht nach Fisch!«

»Deine Schnürsenkel sind ja schon wieder offen. Merkst du das denn nicht? Du wirst darüber stolpern, mein Junge!«

Aber für dieses Verhalten gibt es Fernsehverbot. Und weil Christian sowieso nur einmal in der Woche fernsehen darf, lässt er die Nachäfferei von Frau Müller lieber sein. Vor seinen Eltern jedenfalls. In der Schule und in der Pfadfindergruppe sind Christians Frau-Müller-Vorstellungen aber sehr beliebt. Und auch der Opa muss darüber herzlich lachen.

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