Kitabı oku: «Hans im Glück»
Hans im Glück
Impressum
Prolog
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Epilog
Über die Autorin
Gisela Sachs
Hans im Glück
(K)ein Ehemärchen
Roman
XOXO Verlag
Impressum
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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Print-ISBN: 978-3-96752-113-9
E-Book-ISBN: 978-3-96752-613-4
Copyright (2020) XOXO Verlag
Umschlaggestaltung und Buchsatz: XOXO Verlag
Hergestellt in Bremen, Germany (EU)
XOXO Verlag
ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH
Gröpelinger Heerstr. 149
28237 Bremen
Alle Personen und Namen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Gewidmet meinem Mann Hans
Prolog
Es war einmal eine kleine Verkäuferin, der taten nach einem langen Arbeitstag die Füße weh. In dem kleinen Dorf, aus dem sie kam, gab es keine Arbeit für sie, so musste sie jeden Morgen einen weiten Weg über einen dunklen Acker zum Bahnhof bewältigen und mit dem Zug in die nächstgelegene Stadt fahren. Die Zugfahrt dauerte lange, danach musste sie eigentlich mit dem Bus weiter bis zu ihrem Arbeitsplatz fahren. Eine Busfahrkarte konnte sie sich mit ihrem kleinen Gehalt aber nicht leisten, so ging sie jeden Tag etliche Kilometer zu Fuß. Morgens hin zu dem Bioladen, abends zurück zum Bahnhof. Nach langer Zugfahrt war dann wieder der Heimmarsch über den dunklen Acker angesagt. Sie hatte Angst vor der Dunkelheit und träumte sich einfach weg, träumte sich in ein anderes Leben.
Groß und schlank sollte er sein, blonde Haare und blaue Augen sollte er haben, lustig sollte er sein, und viele schöne Kinder sollte er zeugen können. Ein Mann wie
‚Hans im Glück‘ schwebte ihr auf Wolke Sieben entgegen. Zuhause angekommen zog sich das Mädchen die Schuhe aus, rieb ihre schmerzenden Füße, wusch sich, ging zu Bett und träumte weiter von ihrem Traummann …
Bald darauf sollte es sich ergeben, dass das Mädchen an einer neu eröffneten ‚Wienerwald‘-Restaurantkette vorbeilief. Pommes mit Ketchup ja, das liebte sie. Sie kratzte ihre letzten Münzen zusammen, bestellte beim Straßenverkauf eine kleine Tüte davon und aß genüsslich. Roter Ketchup tropfte auf ihr weißes T-Shirt, so ging sie in das Lokal, in der Absicht, sich zu reinigen. Ihr Weg zur Toilette führte sie an einem Tisch vorbei, an dem zwei Männer saßen, aßen und tranken. Verschämt schaute sie zu Boden. Als sie den Blick wieder aufrichtete, sah sie in zwei himmelblaue Augen, versank in ihnen und augenblicklich war es um sie geschehen.
‚Hans im Glück‘ saß da.
»Du hast dich aber schön bekleckert«, sagte ‚Hans im Glück‘ und nach diesem Satz war ihr Schicksal besiegelt. Alsbald trafen sich die kleine Verkäuferin und der blonde Hans mit den himmelblauen Augen fast täglich. Und weil mittlerweile ein anderes Zeitalter angebrochen war, machte die kleine Verkäuferin ihrem ‚Hans im Glück‘ einen Heiratsantrag. Dieser war zwar überrascht, stimmte aber sogleich zu.
Hans und die verträumte Verkäuferin waren ein fröhliches Paar. Hans war genauso lieb und lustig, wie sich das Mädchen ihren Traummann vorgestellt hatte. Er las seiner Frau jeden Wunsch von den Augen ab, brachte das Kunststück fertig, Wünsche zu erfüllen, noch bevor sie ausgesprochen wurden. Jeden Morgen machte er das Frühstück und küsste seine Frau wach. Nach einem Walzer durch die Küche ging er dann seines Weges. Er hatte noch viel vor und arbeitete fleißig an seinen Wünschen.
»Man erreicht alles, wenn man es nur will«, sagte er und er wollte.
Nach getaner Arbeit ging ‚Hans im Glück‘ oft von seinem Wege ab, rannte wegen einer Blume in das Feld hinein, an dem er vorbeilaufen musste. Meist stand weiter hinten im Feld eine noch schönere Blume und Hans rannte dann weiter ins Feld hinein, um diese noch schönere Blume seiner Liebsten mit nach Hause zu bringen. Oft kam es auch vor, dass die junge Ehefrau auf ihren Mann warten musste, sie wusste genau, wo er zu finden war, und zog ihr Essen vom Herd. ‚Hans im Glück‘ und seine Ehefrau schliefen dann im Kornfeld.
‚Hans im Glück‘ und seine Frau bekamen schon im ersten Ehejahr einen wunderschönen Sohn, neun Jahre später eine kleine Prinzessin mit vielen goldenen Ringellocken. Das Leben war jetzt genauso schön, wie es sich die kleine Verkäuferin erträumt hatte.
Die Jahre zogen ins Land und wie so oft kam vieles anders, als man denkt. ‚Hans im Glück‘ wollte plötzlich seinen Goldklumpen gegen eine Gans eintauschen …
1
Silberhochzeit. 25 Jahre verheiratet. Unfassbar. Mein Gatte schenkt mir nebst der obligatorischen Perlenkette, die alle alten Ehefrauen zur Silberhochzeit bekommen, 25 dunkelrote Rosen, schwarz schon fast, Duft verströmend, dornenlos, ein Entspannungsbad mit Rosenöl, sowie einen besonderen Duft, geheimnisvoll in blutrotes Papier verpackt, mit weißer Schleife und Engelchen daran von Douglas.
In einer romantischen Anwandlung hatte ich vor Wochen schon viele Beutel Teelichter vorwiegend beruhigende Düfte wie Lavendel, Vanille und Zimt gekauft und forme mit diesen ein Herz auf unseren Plattenboden im Wohnzimmer – Fliesenserie ‚Landschaftsgrüße Provence‘. Passt. Sieht toll aus. Streichhölzer lege ich daneben, Sekt steht kalt, der Tisch ist festlich gedeckt, vom CD-Player ertönt Kuschelmusik, Räucherstäbchen brennen. Lavendelduft schwebt wie eine leichte Wolke durch das Haus, erinnert an den letzten Urlaub, gaukelt dem geschlossenen Auge Lavendelfelder vor Träume in blau, von der Abendsonne der Provence beleuchtet …
Mein Silberbräutigam, müde und gestresst, vom Geschäft verspätet heimgekehrt, bemerkt mein Kunstwerk nicht, fragt nur, warum es hier so anders rieche, ob ich ein neues Menü ausprobiert hätte, dieses vielleicht angebrannt sei. »Halb so wild«, tröstet er mich, »ich habe sowieso keinen Hunger, mache erst mal etwas Augenpflege«. Das heißt bei ihm, dass er ins Bett geht. Schon vor Vollendung des Satzes ist er auf der dritten Stufe nach oben, die ins Schlafzimmer führt. Mit verständnisvollem Lächeln zünde ich die 25 Teelichter an, öffne die Sektflasche und warte geduldig.
In weiser Voraussicht habe ich die Lichter mit der längsten Brenndauer gewählt. Stundenlang erfreue ich mich alleine an der Pracht. Die duftenden Kerzen hatten ihren Preis, es ist ein teures Vergnügen, da alleine reinzuschauen. Sparsam und praktisch denkend, blase ich das Festival der Düfte schließlich aus, bewahre das Kunstwerk für unsere Tochter auf mein Mann wünschte sich zum zehnten Hochzeitstag eine Tochter, das ist jetzt praktisch. Den Sekt Rosé trinke ich, immer noch ungeküsst, bis zum letzten Tropfen aus. Mein Silberbräutigam schlief durch bis zum nächsten Morgen.
»Was hat dir denn dein Mann zum Jubiläum geschenkt?«, fragen Freunde und Verwandte später nach. Ich: »Eine echte Perlenkette, 25 dunkelrote Rosen, ein Entspannungsbad und ein Parfüm.« Ich verschweige, dass ich diese Geschenke von einem Ehemann mit weidwundem Dackelblick und einem Tag Verspätung überreicht bekam. Freunde, Bekannte und Verwandte sind sich einig:
»Du hast einen so lieben Ehemann, da hast du echt Glück gehabt.« Den Spruch kenne ich schon und bejahe das, strahle, wie von mir erwartet, ganz beglückt, aber erstens mag ich keine Perlen und zweitens waren die ollen Dinger so teuer wie eine neue Couchgarnitur. Diese hätten wir nötig gehabt.
Über das Entspannungsbad mit Rosenöl freue ich mich sehr. Bei jedem Bad hüllt der Duft mein Herz ein und mir wird feierlich zumute. Regelmäßig fällt mir dann mein Trauspruch ein. »Ertraget einander in Liebe und Geduld«, sagte der Pfarrer vor 25 Jahren. Ich kam erst viele Jahre später darauf, was er damit gemeint hatte. Ein Entspannungsbad lässt Geduld üben und geduldiger ertragen. Ich übe oft Geduld, sie will mir nicht so recht gelingen und die Flasche mit dem kostbaren Duft geht zur Neige, bevor ich eine Verbesserung meines Geduldzustands feststellen kann. Geisterhände stellten eine neue Flasche mit der ‚Rose Absolute’ an den Badewannenrand.
Ich will mich an der Vorfreude meines Silberhochzeitstaggeschenks weiden, zögere den Augenblick der Überraschung hinaus, so lange es geht, und erfreue mich vorerst an der Umhüllung des schlanken Flakons, der seinen Platz auf der Badewannenablage gefunden hat. Der Engel auf der Verpackung scheint sich mit mir zu freuen, mir zuzulächeln, wenn ich den Rosenduft des Entspannungsbades laut und sinnlich durch meine Nase ziehe, sich ein wohliger Schleier über meinen Körper verbreitet, sich meine Gesichtszüge glätten, ich seufze, genieße und eine Rose bin.
Wir sind Besitzer eines unbezahlten Reihenhauses und unser Ziel ist es, Besitzer eines bezahlten Reihenhauses zu werden. Als ich rein zufällig bei Douglas vorbeilaufe, sehe ich meinen Badezusatz mit Preisauszeichnung im Schaufenster liegen. Ich lese, was dieser Extrakt aus Rosen kostet, und erschrecke, verlängere die Abstände meiner Bäder, damit unser Haushaltsbudget nicht allzu belastet wird und die Geisterhände ruhen können.
Schritt für Schritt werde ich heute mein Parfüm auspacken.
Gleich nach dem Frühstück werde ich den Engel von dem roten Papier befreien, er darf dann auf meinem Nachttisch ruhen. Nach dem Mittagessen werde ich die weiße Schleife abwickeln, sie bügeln und für weitere Verwendungszwecke aufbewahren.
Nach dem Abendbrot entferne ich dann das rote Papier, nehme den Flakon aus der Packung, schaue, was mein Mann mir zugedacht hat. Ich werde daran riechen, aber erst am Sonntag, drei Tage der Vorfreude werde ich mir nochmals schenken. Der Engel scheint mich fragend anzusehen, als ich in mein Bett steige.
»Du verstehst das nicht«, sage ich zu ihm, »darfst aber dabei sein, wenn der Moment des Genusses seine Blüten zeigt. Versprochen!«
Ein Feuerwerk der Wohlgerüche ist es dann ich rieche die Fauna Indiens, König Somesvara der Dritte steht leibhaftig hinter mir. Jasmin, Koriander, Kiefer, Safran und Gewürznelken umhüllen meine Sinne, ich bin in Ghazipur, unweit der heiligsten Stadt der Hindus. Die Welt wird zum Blütenmeer, ich, die Schönste aller Blumen, fange an zu tanzen, vergesse Zeit und Raum.
Der Beste aller Ehemänner joggt regelmäßig in den Abendstunden, lässt mir vorher fürsorglich Badewasser ein, zündet Kerzen an und sorgt dafür, dass es mir nicht an exklusiven Duftwässerchen mangelt. Nie sind die geheimnisvollen Düfte original verpackt, immer in exklusive Flakons abgefüllt. Wahnsinn. Mit ein paar Überstunden wären diese Mehrausgaben abgedeckt, meint mein lieber Mann.
Mit der Perlenkette um den Hals mache ich mich mit einem duftenden Gruß aus der Küche auf den Weg zum Büro meines Mannes. Er wird Augen machen, ich habe heute nicht gebadet und getanzt, sondern gekocht, mir dabei vorgestellt, wie es sein wird, wenn ich ihn mit Schweinshaxen, Kartoffelklößen und Soße überraschen werde. Die Haxen lasse ich besonders lange schmoren, mein Mann mag es knusprig.
Ich wende die Haxen immer wieder, reibe sie sorgfältig mit Bier ein, bis alles wirklich ganz kross aussieht und die Schwarte goldgelb glänzt. Für die Soße lasse ich Gemüse in einer Pfanne schmoren. Dazu nehme ich das Fett, das von den Haxen auf das Backblech darunter getropft ist. Die Zwiebeln habe ich aus meinem eigenen Garten, ebenso die Karotten.
Schon vor dem Einzug in unser Haus habe ich einen Kräuterund Gemüsegarten angelegt. Bei mir kommt kein Kunst und Wunder, nichts mit Farbstoffen oder Geschmacksverstärkern ins Essen. Mein Mann schätzt diese naturnahe Küche sehr. Die Rezepte habe ich fast alle von seiner Großmutter übernommen. Er verwöhnt mich, so werde ich ihn auch verwöhnen.
Unsere Kanzlei ist heute von 12 – 15 Uhr geschlossen, lese ich, als ich vor dem Büro meines Mannes ankomme. Irritiert fällt mir die Tüte mit dem Essen aus der Hand. Den Überraschungsschmaus werfe ich in den städtischen Abfalleimer, habe mich spontan entschlossen, eine Shoppingtour zu machen. Gemächlich schlendere ich durch die Stadt. Bleibe mal hier stehen, bleibe mal dort stehen. Es gibt viele Sonderangebote, die locken. Ich lande in einer Edelboutique. Ein weißer Kaschmirpullover hat mich in den Laden eintreten lassen. Hier ist alles vom Feinsten, aber leider nicht in meiner Preislage. Schulterzuckend verlasse ich die edle Stätte. Die Verkäuferin schaut mir hinterher. Meinen Abschiedsgruß erwidert sie nicht. Ich werde es bei C&A versuchen, denke ich und laufe die Fußgängerzone entlang.
Unweigerlich führt mein Weg bei Douglas meiner Stammparfümerie vorbei. Als ich das Schaufenster betrachte und meinen Badezusatz erblicke, kann ich mein heute ausgefallenes Bad förmlich riechen. Allein schon die Verpackung reizt meine Sinne, ich will es haben, mein Bad, das mich in Träume versetzen kann, mir höfisches Leben vorgaukelt, mir schöne Diener den Rücken salben lässt. Somesvara ich komme, murmele ich vor mich hin und mache mich auf den Heimweg.
»Hallo, du bist es nicht wirklich?«, werde ich von hinten angesprochen.
»Karin? Du? Wir haben uns ja Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Bist du nicht vor ein paar Jahren nach Stuttgart gezogen?«
»Stimmt«, strahlt sie mich an.
»Was machst du hier in unserer alten Neckarstadt? Hat dich das Heimweh hierher geführt?«
»Nicht wirklich. Ich mache Ehe-Urlaub bei meiner Schwester.«
»Ehe-Urlaub?«
»Hast du Zeit für eine Tasse Kaffee?«
»Eigentlich wollte ich nach Hause, aber passt schon. Versäumen tue ich nicht wirklich etwas. Ich schlage vor, dass wir ins Insel Hotel gehen. Die haben dort einen wunderschönen mediterranen Garten mit Springbrunnen und als Leihgabe der Stadt steht eine Schwimmerin aus Stein auf den Granitfliesen. So etwas gefällt dir doch? Ich habe dich jedenfalls so in Erinnerung, dass du südländisches Flair magst.«
»Das weißt du noch? Ist ja stark. Dein Langzeitgedächtnis habe ich schon immer bewundert.«
Wir laufen Arm in Arm durch die überfüllte Stadt, schnattern dabei wie die Enten, die sich am Neckarufer streiten. Es sieht aus, als würden die Tiere mit Pommes gefüttert. Der kleine Steppke, den ein etwa 15 jährigen Mädchen unwillig an der Hand hinter sich her zerrt, greift immer wieder in eine Tüte. Ein Schnabel Pommes für die Enten, ein Schnabel Pommes für ihn. Wir lachen, als wir das sehen.
»Ich könnte einen Roman darüber schreiben, was bei uns so alles los ist«, erzählt Karin.
»Ohne dass ich mein Haus verlassen muss, kann ich Stoff für 500 Romanseiten zusammen bekommen.«
»So schlimm?«
»Noch schlimmer.«
»Darüber reden wir später ausführlicher.«
»Nehmen wir den Platz neben dem Brunnen?«
»Gerne. Ich liebe das Plätschern solcher Wasserspiele. Zu Hause habe ich auch einen Brunnen. Direkt neben meinem Kräutergarten. Wenn ich in meinem Garten arbeite, den Brunnen plätschern höre, vielleicht ein wenig Vogelgezwitscher dazwischen, dann ist meine kleine Welt in Ordnung. Da kann ich so richtig abschalten.«
»Du hast einen Kräutergarten? Klingt gut. Wahrscheinlich kochst du immer noch mit der gleichen Leidenschaft wie früher bei unserem Hauswirtschaftsunterricht. Das war so etwas. Kannst du dich noch an das verschrobene Fräulein Huber erinnern? Die hatte immer Strickstrümpfe an, trug Birkenstocksandalen dazu und immer den gleichen dunkelblauen Plisee-Rock.«
»Klar doch, die Huber hatte Seltenheitswert, an die werden sich unsere ehemaligen Mitstreiter auch noch erinnern können. Das Schlimmste war, dass wir auch essen mussten, was wir gekocht hatten.«
»Ein schöner Zufall, dass wir uns heute getroffen haben. Jetzt leg mal los und erzähle, was es mit deinem EheUrlaub auf sich hat.«
»Das ist eine lange Geschichte. Hast du Zeit?«
»Ich werde sie mir nehmen.«
»Es war so, dass mein Mann mit unserer Nachbarin ein Techtelmechtel hatte. Ich habe es lange nicht gemerkt. Nie hätte ich von meinem Klaus gedacht, dass er fremdgehen würde. Wenn unsere Nachbarin in ihrem Garten arbeitete, mähte er unseren Rasen. Nachbarliche Kontakte sind nett, sollte man pflegen, habe ich gedacht und unsere Nachbarin zum Kaffee eingeladen. Sie ist Witwe und kinderlos. Besuch bekommt sie seit dem Tod ihres Mannes nur selten.
Normalerweise ergreift mein Mann bei Kaffeekränzchen die Flucht. Kam aber unsere Nachbarin, saß er immer dabei und rührte sich nicht vom Fleck. Man müsse dem Mädchen Hilfe anbieten, hat er gemeint. So zart wie sie ist, wäre sie mit ihrem großen Garten überfordert. Sie sei auch noch so jung mindestens 15 Jahre jünger als ihr verstorbener Mann. Der war 50 Jahre alt, als er starb. Das hatten wir in der Todesanzeige gelesen. Sie habe niemanden, der ihr zur Hand gehen kann, wenn zum Beispiel ein Wasserhahn tropfen würde. Frauen können so etwas doch nicht.
‚Ich würde ihr den Hahn reparieren’, meinte mein Mann. Irgendwann einmal hat dann der Wasserhahn getropft.
Mein Mann fing an, sich jugendlicher zu kleiden. Er wurde über Nacht zum Karatefan. Dreimal in der Woche hatte er Übungsstunden. Dreimal in der Woche geht unsere Nachbarin schwimmen. Ihr Schwimmverein trainiert zur etwa gleichen Zeit wie mein Mann Karate, habe ich gedacht, als sie immer kurz nach ihm ihr Haus verließ. Ihre Kurse hatten ungefähr auch zur selben Zeit Schluss. Sie kamen kurz nacheinander wieder. Mein Mann mähte ständig unseren Rasen, obwohl dieser streichholzkurz war. Immer dann, wenn die Nachbarin in ihrem Garten war, wurde unser Rasen gemäht. Ich habe ihn damit aufgezogen, dass er jetzt alt und komisch werde, daraufhin reagierte er sehr erzürnt.«
»Oh, da hast du aber einiges erlebt. So etwas würde mein Mann nie tun.«
2
Stunden später laufe ich gedankenverloren durch die Stadt.
Viele Leute sind unterwegs, die Cafés sind überfüllt und als ich am beliebtesten Eiscafé der Stadt vorbeilaufe, prangt mir ein Schild mit einer neuen Eissorte ins Auge.
‚Rose Speziale‘. Ein Eis mit Rosenduft, unglaublich. Ich stelle mich in die Menschenschlange, 10 Minuten Wartezeit sind optimistisch gedacht, und lasse meine Augen kreisen.
Kein Sitzplatz weit und breit. Ein Liebespaar löffelt gemeinsam aus einem Becher die neue Eisvariante, sie verdreht verzückt die Augen, schiebt ihm ein Löffelchen der zarten Masse in den Mund, kleckert rote Farbe auf sein blütenweißes Hemd, lacht dabei. Au weia, der Fleck geht nicht mehr raus, schießt es mir durch den Kopf und ich merke erst dann: Es ist mein Mann, der da turtelt! Seine Begleiterin erkenne ich jetzt auch. Das Fräulein packt bei Douglas die Geschenke ein.
Mein Herz schlägt im Dreiviertel-Takt, meine Hormone tanzen Rock `n´ Roll. Schweißgebadet krame ich nach meinem Telefon. In meiner übergroßen Handtasche kann ich selten etwas mit dem ersten Griff finden. Ich halte Slipeinlagen in den Händen, als ich zwischen meinem Deo, meinem Lippenstift und anderen Utensilien endlich mein Mobiltelefon orten kann. Ich stehe mit dem Handy in der Hand da wie angewurzelt, bin zu aufgeregt, um es auf Anhieb bedienen zu können. Befremdete Blicke vorbeilaufender Passanten treffen mich. Ich nehme es nur schemenhaft wahr. Mein Gehirn besteht aus Zuckerwatte.
»Ulla«, sage ich zu meiner Freundin, als ich das Handy in Gang gebracht habe.
»Kannst du mich in der Stadt abholen? Es ist ein Notfall.«
»Heiß heute«, sagt die alte Dame im Rollstuhl neben mir, strahlt mich an und streckt mir ein Papiertaschentuch entgegen. Sie nickt mir freundlich zu und rollt weiter.
Bleiben Sie doch bei mir, hätte ich ihr gerne nachgerufen. Lassen Sie mich nicht alleine, mein Mann geht fremd, sehen Sie, da vorne sitzt er und löffelt Eis mit einem jungen Ding, das glatt als seine Tochter durchgehen könnte. Meine stummen Hilferufe bleiben ungehört. In meinem Kopf schwirren Mücken, auf und ab und immer wieder auf und ab. Da stößt mein Fuß an einen Stein, der sagt
»Klack« und ich falle, bleibe liegen, habe keine Kraft mehr aufzustehen.
»Mein Gott Süße, bist du verletzt?«, fragt meine Freundin erschrocken, als sie mich am Boden zerstört vorfindet. Aus der Bahn geworfen schaue ich die ganze Zeit über nur auf die Steine vor mir und überlege, wo diese wohl herkommen.
Roter Sandstein.
»Ich glaube, sie haben das Heidelberger Schloss damit gebaut«, sage ich.
»Was ist passiert?«, fragt Ulla. Meine Zunge klebt an meinem Gaumen, ist trocken wie die Wüste und ich kann es nicht aussprechen, was mich so elend macht.
Leichenblass sei ich und meine Augen hätten den Ausdruck, als sei der Teufel hinter mir her, meint meine Freundin. »Ich rufe deinen Mann in der Kanzlei an«, sagt sie. Mein entsetzter »Nein«-Schrei ist das Letzte, was ich höre, dann ist Stille um mich. Wie ich nach Hause und in mein Bett gekommen bin, daran erinnere ich mich nicht.
»Felizitas hatte einen Unfall«, erzählt Ulla später unseren Freundinnen aus dem Yogaclub, als sie mich für die nächsten Übungsstunden entschuldigt. Mit Prellungen zu üben, wäre mir wesentlich leichter gefallen, als diesen Herzschmerz zu ertragen. Mein Herz sprang entzwei wie Glas. Die nächsten Tage verbringe ich dem geschwollenen Fuß wegen auf der alten Couch im Wohnzimmer, blättere ab und an in diversen Zeitschriften, bekomme aber nicht wirklich mit, was die Buchstaben erzählen, die vor meinen Augen verschwimmen.
»Kochen brauchst du in nächster Zeit nichts, Schatz«, tröstet mich mein Mann, als er von der Arbeit nach Hause kommt und mir einen Luftkuss am Ohr vorbeihaucht. Ich rieche einen mir unbekannten Duft. Das rosa Poloshirt, das er trägt, ist neu. Er hätte einen ganz dicken Fisch an Land gezogen, erzählt er mir. Er wirkt aufgeregt und streicht sich beim Sprechen mit gespreizten Fingern durch die Haare.
»Ja, ja, ein ganz dicker Fisch. Ich werde Überstunden machen müssen in nächster Zeit. Wenn man so einen fetten Brocken an der Angel hat, muss man sich sehr darum bemühen, das verstehst du doch, Schatz?! Ich muss später noch mal weg.«
Den Fisch kenne ich so dick ist er gar nicht. Ich fühle mich verraten und verkauft.
Mein Mann leistet viele Überstunden, meist kommt er mit den ersten Amselrufen nach Hause. Frau Amsel sitzt täglich zur gleichen Zeit auf dem Giebel des rechten Nachbarhauses und zwitschert. Regelmäßig bekommt sie Antwort aus dem Kirschbaum des linken Reihenhauses.
»Jetzt erst kommt er heim, der Schuft«, gibt Mutter Amsel kund. Die Amsel aus Nachbars Kirschbaum flattert erschreckt auf, als ich aus dem Fenster schaue. Mir ist, als ob ich diesen Schwarzvogelflügelschlag spüren könnte.
Ich höre das empörte Bellen des Nachbarhundes aus dem Reihenhaus von links, der sich bei den vergeblichen Versuchen meines Mannes, die Haustür aufzuschließen, gestört fühlt. Er findet das Schlüsselloch nicht auf Anhieb und flucht leise vor sich hin. Ich schleiche zurück in mein Bett und stelle mich schlafend, doch war diese Vorkehrung umsonst. In dieser Nacht schläf mein Mann in unserem Gästezimmer.
»Ich wollte dich nicht stören, es ist spät geworden«, teilt er mir zur Mittagszeit per Telefon mit.
»Die nächsten Tage wird es wohl nicht anders werden, es könnte sein, dass ich im Büro übernachte«, spricht er nervös weiter. Ich höre jemanden im Hintergrund husten.
»Hat der Fisch sich erkältet?«
Vier Nächte bleibt mein Mann aus. Frau Amsel verkündet wieder seine Ankunft. Wieder bellt empört der Nachbarshund. Ich spähe aus dem Schlafzimmerfenster zu unserem Parkplatz herunter, kann auch ohne Brille erkennen, wie müde und abgeschlafft mein Mann sein muss. Hölzern wie Pinocchio erklimmt er die drei Treppenstufen zu unserer Haustür. Erschrocken lege ich mich in unser Bett und stelle mich schlafend.
Leise legt er sich neben mich und alsbald spüre ich seine kalten Füße an meinen Waden.
Er sei auf Geschäftsreise, stand auf dem Zettel, den ich am nächsten Morgen auf dem Küchentisch finde. Und er wisse nicht, wie lange die Verhandlungen dauern würden. Und anrufen solle ich nicht. Und er habe das Handy nur in Notfällen eingeschaltet. Und, dass er irgendwann mal anrufen werde. Eine leicht verständliche Gebrauchsanweisung.
Aber was ist ein Notfall?
Die nächsten Tage leide ich einsam vor mich hin. Das Mobiltelefon habe ich mir zwischen Bauchnabel und Busen in den Rockbund gesteckt. Ich will keinen Anruf meines Mannes verpassen. Es vibriert nicht, klingelt nicht, bleibt mausetot bis zum siebten Tag. Ich erschrecke, als ich dann die Stimme meines Mannes höre. Aufgeregt wie ein Schulmädchen stottere ich, als ich ihn frage, wann er denn heimkomme.
»Deswegen rufe ich an«, erklärt er.
»Es wird wohl noch ein paar Tage dauern, die Verhandlungspartner sind zäh, die Gespräche fließen träge, es läuft nicht planmäßig.« Das Telefon rauscht und knistert, die Sprache klingt verzerrt und im Hintergrund höre ich ein Hüsteln.
»Der dicke Fisch, was ist mit dem dicken Fisch?«, frage ich ihn.
»An Land gezogen«, höre ich noch. Dann: knister, knister, klack.
Ehe über Bord? Fisch an Land gezogen? Was ist eigentlich los? Was habe ich falsch gemacht? Nun, ich habe zehn Kilo mehr als am Anfang unserer Ehe, vielleicht auch elf, wahrscheinlich sogar zwölf. Auf einer Waage bin ich seit Ewigkeiten nicht mehr gestanden. Ich habe Cellulite an meinen Oberschenkeln und am Po. Meine Beine waren noch nie besonders schön, ich habe keine Storchenbeine wie die Models in den Modeblättern, konnte bisher aber gut damit laufen. Jetzt plagt mich Arthrose in den Zehen und ich laufe in Waldläufer-Schuhen aus dem orthopädischen Fachgeschäft umher. Meine grauen Haare fühlen sich an wie ein Stück Schnur. An beiden Handrücken haben sich unzählige Flecken niedergelassen. Riesengroße in hellbraun, dazwischen kleine Dunkle. Meine Zähne haben Paradontose.
Ich habe Falten im Gesicht und am Hals.
»Mein weißer Schwan«, hast du früher zu mir gesagt und mich auf den Hals geküsst. Dein weißer Schwan zieht sehr einsam dahin ohne dich. Ich zähle die Tage, die Stunden, die Minuten und Sekunden. Endlose Tage werden durch endlose Nächte abgelöst. Träume suchen mich heim, erzählen mir von vergangenen glücklichen Ehe Tagen …
Gerade hat man mich aus dem Kreißsaal geschoben und in ein Zimmer mit zwei anderen Müttern gebracht. Ich habe den Fensterplatz bekommen. Mein kleiner Prinz liegt neben mir und ich staune über seine kleinen Finger, den rötlich goldenen Haarflaum, und vergewissere mich immer wieder von Neuem, dass es wirklich ein Junge ist, staune über das Teil, das später das Leben eines Mannes bestimmen soll. So klein ist das?
Ich zähle die Zehen nach. Ja, wunderbar, es sind fünf. Ich zähle immer wieder nach die Zehen und die Fin-
gerlein, rieche an dem Haarflaum, rieche Baby, nur noch Baby.
Ich bin Mama, welch ein Wunder!
Die Frau neben mir ist Türkin. Es ist ihr fünftes Kind. Sie zeigt mir die Anzahl ihrer Kinder, indem sie die geballte Faust ihrer linken Hand ruckartig in die Luft reißt, ihre fünf Finger spreizt und jeden einzelnen Finger liebevoll drückt, dabei laut und stolz lacht. Ihre Zahnlücken sind deutlich sichtbar, einige Zähne sind mit Gold ausgebessert. Für jedes Kind ein Stück Gold?
Sie spricht kein Deutsch und ich werde es wohl nie erfahren, denke ich. Ihr Mann steht stolz vor dem Bett und strahlt seine »Anne« an.
Anne bekommt viel Besuch von Frauen, die ausnahmslos Kopftücher tragen. Die Frauen sprechen wenig bis gar kein Deutsch, schnattern fröhlich durcheinander, wenn sie täglich mit vollen Tüten in das Krankenzimmer stürmen. Sie erscheinen immer in der gewohnten Fünfergruppe, meist schon morgens nach der Visite. Sie sind sich einig. Eine frisch entbundene Frau hat alle Aufmerksamkeit der Welt verdient. Solidarität, die beeindruckt. Ich kenne bald ihre Namen. Sie heißen Hatice, Ayse, Lative, Nasika und Pinar.
Es könnte sein, dass es ihnen entgangen ist, dass es hier regelmäßig Essen gibt. Wahrscheinlicher scheint es mir aber, dass sie der Krankenhauskost nicht trauen. Die frisch gebackene Mutter soll mit heimischer Kost versorgt werden.
Ich werde von den fürsorglichen Frauen mitversorgt, darf von all ihren Köstlichkeiten der türkischen Küche probieren, bekomme den dazugehörigen Namen gesagt und werde anschließend von der ganzen Meute beobachtet.
Sage ich »oh«, freuen sich alle, lachen und klatschen in die Hände, verziehe ich das Gesicht, wiederholen sie den Namen des Gerichts, lachen noch mehr und klatschen noch lauter in ihre Hände. Verständnis ohne Worte.
Die Solidarität gefällt mir. Als sie mir aber mein Tablett mit meinem Mittagessen wegnehmen, dieses kopfschüttelnd auf den Klinikflur hinaustragen und auf dem bereitgestellten Wagen für Schmutzgeschirr abstellen, wehre ich mich entschieden.
»Ich will mein Schweineschnitzel mit den Spätzle wieder haben!«, rufe ich laut.
Das war das Ende unserer Freundschaft.
Zeitlupengleich öffnet sich später die Tür, die Frauen starren gebannt darauf, vergessen zu kauen und erschrecken sehr, als ein Bärenkopf ins Zimmer schaut. Zuerst lugt ein brauner Kopf mit riesengroßen Knopfaugen, danach eine grüßende Hand, später ein frech wippender Fuß ins Zimmer. Letztendlich ist der Mensch sichtbar, der mit ausgefransten Jeans und Turnschuhen solche Narreteien treibt und den Riesenbären wie eine Trophäe vor sich herschleppt.
»Den habe ich im Spielzeugladen in unserer Straße gekauft. Er stand zu lange im Schaufenster und hat ein paar helle Flecken von der Sonne abbekommen, deshalb konnte ich den Preis runter handeln. Ein echtes Schnäppchen«, sagt mein Mann begeistert, als er mit diesem Riesenvieh an meinem Bett angekommen ist. Meine Müttergenossinnen verziehen ihre Gesichter. Ausnahmslos. Diesmal lache ich.