Kitabı oku: «Ymirs Rolle», sayfa 5

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Das etwas weh tat, konnte Logi nicht allzu sehr schrecken, aber tagelang im Bett bleiben zu müssen wie ein kleines Kind - was Schlimmeres konnte er sich überhaupt nicht vorstellen. Also passte er wie ein Luchs auf, um dieser Schande zu entgehen.

„Logi,“ sagte Grima, „ein Mann sollte nicht nur wissen, dass man aus Gerste Bier brauen, sondern auch Brot backen kann. Und welche Kräuter in die Suppe kommen, gegen üble Krankheiten helfen und mit welchen die Stoffe gefärbt werden. Wenn du sie verwechselst, schwirren dir blaue, gelbe und rote Farben im Kopf herum, weil du dich vergiftet hast. Oder du sitzt drei Tage lang auf der Grube, weil du in die Suppe das Öl vom Wunderbaum, das Rizinus gemischt hast. Und dem Hemd, das zu eigentlich färben wolltest,“ fügte sie lachend hinzu, „entströmt ein beißender Geruch, weil du Zwiebeln statt Färberdisteln ins Wasser getan hast. Niemand will dann in deiner Nähe sein, nicht mal mehr deine besten Freunde wollen dann noch mit dir kämpfen, weil ihnen die Tränen in die Augen steigen und die Nasen tropfen.“

Das saß genauso wie die Drohung mit dem tagelangen Aufenthalt im Bett. Also streifte Logi mit Grima über die Felder und durch die Wälder, und schließlich auch durch ihre Schatzkammer, wie sie den halb unterirdisch gelegenen, dunklen und gut belüfteten Vorratskeller nannte. An Holzgestellen hingen Wurzeln und Büschel von Pflanzen, die Grima das ganze Jahr über sammelte. In Tonschalen bewahrte sie zu Pulver zerstoßenes Gestein und Heilerde auf, und in den Weidenkörben lagen Rinden und Kernholz, die ausgekocht ein gutes Farbbad ergeben. Einige ihrer Schätze hatte sie auch im Tausch gegen fertige Salben und bunt gefärbte Stoffe von Händlern erworben, die damit durch viele Länder und über Flüsse und Meere gereist waren. Fast alle Kräuter hatten einen unverwechselbaren Geruch, so dass Logi bald jedes mit geschlossenen Augen zu benennen wußte.

Als Logi etwa 6 Jahre alt war, sagte Skadi zu ihm: „Du kannst nun mit den Fischen schwimmen und tauchen, es wird Zeit, dass du auch lernst, sie zu angeln.“

Er suchte einen geschmeidig wippenden Zweig, befestigte eine Schnur und knotete einen Haken daran.

„Wir fangen mit den kleinen grünen Heringen an. Wenn du größer wirst, werden auch die Fische größer: Lachse, Dorsch und Heilbutt. Eines Tages, wenn du richtig stark bist, und ich es hoffentlich noch bin, werden wir auf Robbenjagd gehen.“

„Und wie groß und stark muß ich werden, damit wir einen Wal fangen können?“ fragte Logi eifrig und dachte dabei an die Ungetüme, die er am Strand hatte liegen sehen.

Skadis Gesicht verfinsterte sich: „Treib keinen Spaß mit sowas. Einen Wal fangen! Wie stellst du dir das vor, mit dem Netz wie einen Schmetterling? Diese Ungetüme zerschmettern mit einem einzigen Schlag ihrer Schwanzflosse dein Schiff. In Zorn geraten, peitschen sie das Meer und wirbeln es auf … schlimmer als jeder Sturm es kann. Wenn sie ihr Maul aufreißen, verschlucken sie dich wie ein Frosch die Fliege. Nein, nicht mit mir! Auf Wale gehen nur die, die nichts anderes tun, als ihr Leben lang Wale zu jagen. Für alle anderen ist es viel zu gefährlich.“

Das hätte Skadi lieber nicht sagen sollen. Etwas, was eigentlich viel zu gefährlich war um es auszuführen, war genau das, was Logi schon lange gesucht hatte.

Kein Wort sagte er zu seinem Großvater, aber er fasste einen Entschluß. Er, Logi, würde sich an Bord eines Walfängers schleichen und verstecken. Er würde sich erst dann zeigen, wenn sie weit draußen auf dem Meer wären, viel zu weit um ihn zurückzubringen. Ja, dem Wal ins Auge sehen, das würde seine erste Heldentat! Und viele, viele würden folgen. Logis Herz pochte laut vor Begeisterung – was für ein herrliches Abenteuer. Zu seiner größten Enttäuschung verpasste er jedoch das Auslaufen der Boote in diesem Jahr, denn als sie im kalten Morgengrau die Ruder durchs Wasser zogen, lag Logi zusammengerollt und friedlich schlafend unter warmen Fellen in seinem Bett.

„Logi,“ sagte Gunnar, und in seinen Augen blitzte es lustig, „wenn du mir versprichst, dass du die Augen eines Käuzchens im Dunkeln nicht für einen Waldtroll hältst, und wenn du beim Anblick eines Bären nicht laut schreiend davon rennst, weil er nämlich dann erst recht angreift, dann nehme ich dich mit auf die Jagd.“

Logi hatte Mühe, seinen halb beleidigten, halb verächtlichen Blick zu verbergen. Schweigend packte er sein Bündel: Ein Fell zum Übernachten im Wald, Pfeil und Bogen, Messer, Fladenbrot, gedörrte Fleischstreifen und einen Lederbeutel mit frischem Wasser. Einem Bär begegnete Logi auf seinem allerersten Jagdausflug nicht, aber er sah dessen Spuren im Ufersand eines Flusses – deutliche Abdrücke von Ballen mit Vertiefungen, wo die Zehen saßen, und nagelgroße Löcher, wo der Bär seine Krallen in die Erde gestoßen hatte.

„Welch ein Mordskerl!“ Gunnar schätzte staunend Weite und Tiefe der Abdrücke

„Sowas ist mir noch nie vor den Speer gekommen.“

„Oh bitte, Odin,“ flehte Logi ganz leise, aber sehr eindringlich , „lass mich diesen Bären finden!“

Aber der Bär hatte den Fluss überquert und war längst über alle Berge.

Als sie sich am Nachmittag des zweiten Tages wieder auf den Heimweg machten und Logi leichtfüßig und vergnügt vor Gunnar hersprang, seinen ersten selbsterlegten Hasen auf dem Rücken, fielen Gunnar die Worte des Schamanen ein: „Wenn du wachsen willst, musst du eine Idee haben und sie verfolgen ...“

Vor sich sah Gunnar einen kleinen Jungen, klug und mutig, von strahlend zuversichtlichem Wesen. Er wusste plötzlich, welche Idee er verfolgen würde. Der Schamane hatte prophezeit, dass er, Gunnar, diesem Enkel einmal die Nachfolge anbieten würde.

„Niemandem lieber als ihm,“ dachte Gunnar. „Und darum wird es Zeit, dass er in der Welt herumkommt.“

Er fasste einen Entschluß. „Ich werde ihn, wie ich es mit Thormod und Olav getan habe, zu Ragnar, Njal, Gudrik, Thorleif und Gisle senden, nicht in diesem Jahr, aber bald. Er ist der einzige Enkel, den ich ihnen voller Stolz zur Erziehung schicken kann. Jeder soll ihn ein halbes Jahr bei sich aufnehmen und unterrichten.“

Als Logi 8 Jahre wurde, begann seine Ausbildungszeit an den anderen Fürstenhöfen des Landes. Das war üblich für einen Jungen, der einmal eine Führungsposition übernehmen sollte. Auf diese Weise lernte man sich kennen, die Jungen und die Alten, erkannte Schwächen, Stärken, Veranlagungen der anderen, aber auch die eigenen. Schloss Blutsbrüderschaften fürs Leben oder wurde sich gelegentlich auch mal spinnefeind. Es war eine Zeit des Reifens. Wo immer Logi seine Zeit verbrachte, erntete er nach kurzer Zeit Sympathie und Achtung, denn Logi dachte klug, kämpfte mutig, sprach offen und handelte ehrlich.

Als er nach zweieinhalb Jahren wieder nach Dragensfjell kam, war er kein Kind mehr und dass er ein außergewöhnlicher junger Mann geworden war, das fiel Gunnar besonders deutlich auf, wenn er ihn mit Ingvars Söhnen verglich, an denen er schon lange keine Freude mehr hatte.

„Zimperliche Heulsusen!“ nannte er sie verbittert, wenn er sah, wie sie sich bei jeder Schramme zu ihrer Mutter Gudrun flüchteten.

„Tagediebe!“ schimpfte er ein paar Jahre später, wenn er sie die Stunden mit Würfelspielen vertrödeln sah.

„Wenn sie eine Streitaxt schwingen sollen,“ dachte er, „gefährden sie sich höchstens selber, wohl kaum einen Gegner.“

Wenn sie sich unbeobachtet fühlten, schlugen sie die Hunde, zupften Hühnern und Enten die Federn aus und peitschten die Pferde, bis sie sich, wild vor Schmerzen, aufbäumten und entsetzt durch die weitgeblähten Nüstern schnaubten. Gunnar hatte sie bei all dem beobachtet. Und Ingvar selber, ihr Vater? Der hatte sich vollends zum Gespött des Tales gemacht. Mit glasig verquollenen und geröteten Augen torkelte er umher, meist schon morgens umnebelt von Bier und umweht von einer widerwärtig stinkenden Dunstwolke. Nur manchmal bemerkte er das Gelächter der Leute, nur gelegentlich erkannte er, wie mißraten seine Söhne waren und dass Gunnar seinen Neffen Logi allen vorzog und ihn förderte, wo er nur konnte. Aber Gudrun, seiner Frau, entging von all dem nichts. Neid und Hass stiegen in ihr hoch, brannten schließlich immer heißer. Sie versuchte, Ingvar wachzurütteln und lag ihm ständig in den Ohren: „Du Schwachkopf,“ keifte sie, „hast du vergessen, dass du jetzt der Erbe deines Vaters bist? Thormod ist tot und hat keine Nachkommen hinterlassen. Wenn du schon selber dieses Erbe nicht antreten willst, dann kämpfe wenigstens darum für deinen Ältesten. Gunnar wird nicht ewig leben. Also tu was, vor allem sieh zu, dass dieser Sohn des Schiffbauers uns nicht in die Quere kommt.“

„Was soll ich deiner Meinung nach tun? Logi ist ein guter Junge, du weißt es auch, jeder weiß es. Wie könnten wir daran was ändern? Ach, lass mich in Ruhe damit, du zänkisches Weib,“ lallte er und schlurfte davon.

Mit der Zeit musste Gudrun einsehen, dass ihr Mann keinen Gedanken mehr zu Ende denken, geschweige denn einen Plan entwickeln und ausführen konnte. Sie mußte alleine handeln, und allein fasste sie den Vorsatz, ihrem ältesten Sohn Gunnolf sein rechtmäßiges Erbe zu sichern, die Nachfolge Gunnars nämlich. Des Nachts, wenn sie sich ruhelos in ihrem Bett wälzte, begann sie unheilvolle Pläne zu schmieden.

Eines Morgens, als Logi mit Gunnar ausreiten wollte, entdeckte er mit Entsetzen, dass sein Pferd lahmte. An seinem rechten Vorderbein war eine deutliche Verdickung des Kniegelenkes zu erkennen. Gunnar war so wütend, wie Logi ihn noch nie erlebt hatte. Während er kalte Essigwickel um das Gelenk band, überschüttete er Logi mit Vorwürfen.

„Ich habe dir gesagt, dass ein Zweijähriger noch nicht überanstrengt werden darf. Es kann sein, dass er nun nie mehr ein gutes Reitpferd wird, wenn das Knie nicht richtig ausheilt. Ich hatte dich für verantwortungsbewußter gehalten, es scheint so, als ob ich mich in dir getäuscht habe. Geh mir aus den Augen, du Pferdeschinder.“

Logi schlich tief betrübt und gedemütigt aus dem Stall, er war sich keiner Schuld bewusst, er hatte sein geliebtes Pferd nicht überanstrengt, dessen war er sicher. Aber wie sollte er das beweisen – es lahmte ja doch. Gunnar war nicht weniger betrübt, einmal, weil er so harte Worte gegen Logi sprechen musste, zum anderen, weil er enttäuscht war über dessen offenbaren Ungehorsam. Er hatte ihm eines seiner besten Hengstfohlen geschenkt, weil er überzeugt gewesen war, das es bei diesem Enkel in besten Händen sein würde. Das Knie des jungen Hengstes heilte zwar vollständig, aber ein Schatten war auf Gunnars und Logis Beziehung gefallen. Bedrückt wichen sie einander aus. Logi konnte nichts anderes tun, als sein Pferd noch öfter zu striegeln, noch mehr zu schonen und noch vorsichtiger auszubilden. Gunnar sah es wohl und allmählich wich der Groll und die Enttäuschung aus seinem Herzen.

Die alljährlichen Sommerwettkämpfe standen bevor und Logi sollte zum ersten Mal in der Gruppe der jungen Männer mitmachen, denn er war in diesem Frühjahr 11 Jahre alt geworden. Nicht nur Gunnar hegte große Erwartungen, auch Logi fieberte dem Ereignis entgegen. Obwohl er sich mit seinem Großvater wieder gut verstand, so fühlte er doch immer noch Scham über das ihm vorgeworfene Versagen und war fest entschlossen, bei allen Wettkämpfen gut abzuschneiden, sich vielleicht sogar als Gesamtsieger das Schwert zu verdienen, das als Preis ausgesetzt war.

In der Nacht vor den Spielen wachte Logi mit Krämpfen im Magen auf. Er rannte zur Grube und würgte in schmerzhaften Zuckungen seinen Mageninhalt heraus. Mit zitternden Knien und kaltem Schweiß auf der Stirn schlich er zurück in sein Bett und versuchte, wieder einzuschlafen. Aber die Krämpfe kamen wieder, nicht mehr so schlimm wie beim ersten Mal, aber doch so stark, dass er keine Ruhe mehr fand und am nächsten Morgen blaß, übernächtigt und schlapp auf dem abgesteckten Wettkampfplatz erschien.

Eine Menge Volk hatte sich dort eingefunden, denn es gab kaum eine Familie, die nicht einen oder mehrere Söhne zum Wettkampf gemeldet hatte. In einer langen Reihe standen Tische, hochbeladen mit Würsten, Speck und Schinken, mit Broten und süßem Backwerk, mit frischem

Wasser und Bier in Krügen. Alles gestiftet von Gunnar, ihrem großzügigen Anführer. Es war ein aufgeregtes, fröhliches Treiben.

Auch Grima und Skadi, Embla und Ymir waren unter den Zuschauern. Gleich neben ihnen hatten sich Gudrun und Ingvar, sowie Leif mit seiner Familie im Gras niedergelassen. Embla hatte Logi an diesem Morgen noch gar nicht gesehen und vermutete, dass ihn die Ungeduld schon so früh hinausgetrieben hatte. Die Gruppe der jungen Männer, alle zwischen 10 und 14 Jahren, versammelte sich nun in der Mitte des Platzes und Gunnar, der mit lautem Jubel begrüßt wurde, schritt zu seinem erhöhten Sitz. Er war nicht nur interessierter Zuschauer, sondern auch oberster Schiedsrichter. Er suchte unter den vor ihm Stehenden seinen Enkel. Als er ihn endlich entdeckt hatte, erschrak er zutiefst. Was war mit Logi geschehen, warum war er so bleich, warum hatte er tiefdunkle Ringe unter den Augen, warum dieser gequälte Ausdruck auf seinem Gesicht? Nur mit Mühe gelang es Gunnar, sich auf die wenigen Begrüßungsworte zu konzentrieren und war froh, als er auch den letzten Satz ohne Stocken hervorgebracht hatte: „Möge der Beste unter euch gewinnen … ich werde ihm gern diesen Preis überreichen!“

Er hob das Schwert aus Leifs Werkstatt hoch empor, so dass die Klinge im Sonnenlicht aufblitzte.

Der erste Wettkampf begann. Jeder der Teilnehmer hatte einen eigenen Speer mit einem besonderen Kennzeichen, so dass man den Besitzer desjenigen, der am weitesten geflogen war und vor allen anderen in der Erde steckte, leicht erkennen konnte. Als Logi an die Reihe kam, wurde es still, alle Augen wanderten abwechselnd zu Gunnar und zu seinem Enkel, dem man durchaus den Sieg zutraute, obwohl er zu den jüngsten Teilnehmern zählte. Embla hatte sich in all den Jahren viel Mühe gegeben, ihm die richtige Haltung bei den verschiedenen sportlichen Disziplinen beizubringen – Logi hätte keinen besseren Lehrmeister finden können als seine Mutter und hatte zudem ihren Ehrgeiz geerbt. Aber als er nun vortrat, erstarrte Embla. Kraftlos hob er den Speer mit leicht angewinkeltem Arm in eine waagerechte Position. Es gelang ihm

nicht, ihn ruhig zu halten, die Speerspitze drohte immer wieder, nach vorne zu kippen. Dann nahm er Anlauf, und mit einer verzweifelten Anstrengung drückte er den Speer in die Luft. Anstatt mit einem feinen Vibrieren des Schaftes in die Höhe zu steigen, begann er heftig zu trudeln und landete nach kurzem Flug flach auf der Erde. Erstaunen und Bedauern mischten sich in dem Aufschrei, der durch die Zuschauermenge ging. Nur Gudrun schaute auf den Boden - keiner sollte den Triumpf in ihren Augen entdecken.

Logi krümmte sich und lief vom Platz. Als er wiederkam, hatte schon der zweite Wettkampf begonnen. In einem eng begrenzten Kreis standen sich zwei Jungen gegenüber, um miteinander zu ringen. Wer seinen Gegner aus dem Kreis drängen oder ihn gar auf den Rücken werfen konnte, war der Sieger und kam eine Runde weiter. Der Verlierer schied aus. Logi hatte zunächst Glück. Ohne große Mühe warf er Leifs Sohn Magnus, seinen gleichaltrigen Vetter, aus dem Ring. Aber bereits der nächste Gegner kostete ihn soviel Kraft, dass er schweißnaß war, als er ihn endlich zu Fall gebracht und auf den Rücken gedreht hatte. An seinem dritten Gegner scheiterte Logi.

Es wurde nicht besser bei den nächsten Übungen: Beim Steinstoßen nicht und auch beim Weitspringen – Logi landete jedesmal auf einem der letzten Plätze. Den Abschluss bildete ein Rennen, dreimal um den Kampfplatz herum. Logi wusste, dass nichts ihn einem Sieg näherbringen konnte, aber er wollte trotzdem nicht aufgeben. Seine Beine bewegten sich fast automatisch. Durch einen Nebel von Schmerzen und Übelkeit sah er einen Jungen nach dem anderen an ihm vorbeiziehen. Dann spürte er plötzlich einen stechenden Schmerz und sah den grinsenden Gunnolf neben sich. Logi stolperte, fing sich wieder und eine unbändige Wut packte ihn, denn Olavs und Gudruns Ältester hatte ihm hart in den Knöchel getreten. Sein Gesicht spannte sich an und er zog an ihm vorbei, dann an dem nächsten und übernächsten Läufer. Logi hätte brüllen können – stattdessen spürte er, wie seine Knie weich wurden und unkontrollierbar unter ihm nachgaben. Es war ihm, als wenn alle Säfte aus seinem Körper herausfließen würden und nur noch eine leere, schlaffe Hülle übrigbliebe, die in sich zusammenfiel. Wie aus weiter Ferne hörte er den Schrei seiner Mutter und als sich Ymir über ihn beugte und ihn in seine Arme nahm, sah er ihn ohne Farben, nur in Grautönen. Logi schloss die Augen, fühlte sich für eine Weile durchgerüttelt und –geschüttelt, dann war Ruhe und Frieden, Wärme und Dunkelheit.

Gunnar saß wie versteinert. Es war auch seine Niederlage, seine Blamage, er empfand es jedenfalls so. Logi hatte Angst gezeigt vor einem unbedeutenden Wettkampf. Er hatte gekniffen, er hatte versagt, er war ein Schwächling! Er war fertig mit ihm. Freudlos drückte er dem Sieger das Schwert in die Hand und verließ danach das Fest. Niemanden wollte er mehr sehen für heute, nur noch allein sein mit seinem Grimm im Herzen. Er schwang sich auf sein Pferd, ohne Sattel, ohne Zaumzeug, hielt sich an der Mähne fest und galoppierte durch die Schlucht in den Wald. Auf einer Lichtung stieg er ab und setzte sich auf einen Baumstumpf. Die Arme auf die Knie gestützt und den Kopf vergraben in seinen Händen saß er lange da und haderte mit dem Schicksal. Und weil er Logi so sehr geliebt hatte, schmerzte es doppelt.

„Wie mir scheint, brauchst du mich schon wieder,“ hörte er plötzlich eine bekannte Stimme hinter sich.

„Soll ich etwa wieder tagelang zu dir ziehen?“ fragte Gunnar und lächelte gequält.

„Nein,“ antwortete der Schamane und setzte sich zu ihm, „was ich dir diesmal zu sagen habe, dauert nicht so lange. Warum bist du Logi böse, wo du doch allen Grund hättest, dir selber Vorwürfe zu machen.“

„Was soll das nun wieder heißen, was hätte ich mir vorzuwerfen,“ fragte Gunnar erstaunt.

„Kleinmut und Blindheit.“

Als Gunnar schwieg und ihn nur fragend ansah, fuhr der Schamane fort: „Blindheit deswegen, weil du nicht siehst, was an deinem Hof vorgeht, und deshalb hinter deinem Rücken schlimme Ränkespiele stattfinden können. Kleinmut, weil du an deinem Enkel so schnell zweifelst. Du wolltest ihm doch ein Freund sein. Hast du ihn angehört, sich verteidigen lassen? Hast du ihm in die Augen gesehen? Nein, du hast ihn einfach verurteilt … ein schöner Freund bist du, ganz und gar unwürdig, denn Logi ist nicht ungehorsam, nicht dumm oder gar feige.“

Gunnar starrte auf den Boden. Nach einer Weile sagte er: „Was du mir sagen willst ist, daß mit Logi ein böses Spiel getrieben worden ist, von jemandem, der an meinem Hof lebt, ist es so?“

„Ja,“ antwortete der Schamane, „gebrauch deinen Verstand. Hat Logi jemals vorher Feigheit, Ungehorsam oder Dummheit gezeigt? Nein, warum dann jetzt auf einmal, hat dich das nicht stutzig gemacht?“

„Ich war so wütend, so enttäuscht ... wer sollte Logi was antun wollen?“

„Hast du nicht mit Logi so deine besonderen Pläne? Durchkreuzt du nicht damit die Pläne eines anderen?“ Der Schamane sah Gunnar herausfordernd an.

„Du meinst doch wohl nicht Ingvar, diesen Säufer und Faulpelz? Der ist froh, wenn ich ihn sich selber und seinen Bierkrügen überlasse. Ingvar hat keinen Ehrgeiz.“

„Aber Gudrun, seine Frau hat ihn! Mit freundlichem Getue hat sie dich getäuscht. Sie hat Logis Pferd verletzt. Sie hat sich in den Stall geschlichen und ihm auf den Vorderlauf geschlagen mit einem Holzscheit. Ein Wunder, dass das Gelenk dabei nicht gebrochen wurde. Sie hat Logi gestern, am Abend vor dem Wettkampf, Gift ins Brot gemischt. Hier Logi, hat sie mit erheuchelter Freundlichkeit gesagt, noch ganz warm aus dem Backofen, riech nur, wie es duftet, ich habe ein paar neue Gewürze ausprobiert. Stell sie zur Rede und sage ihr, dass Logi nicht alles Brot gegessen habe, dass er den Rest an die Hühner verfüttert habe, und die lägen jetzt tot vor Ymirs Haus. Nimm dir ihren Sohn Gunnolf vor, der gestern am Wettkampf teilgenommen hat und Logi in den Knöchel getreten hat beim letzten Rennen. Wenn du ein bißchen Druck machst, wird er zugeben, dass seine Mutter ihn dazu angestiftet hat, denn Gunnolf hat einen schwachen Charakter, er ist leicht verführbar, aber auch leicht einzuschüchtern.“

Gunnar hatte genug gehört. Er sprang erregt auf und wusste nicht, ob er lachen oder toben sollte. Logi war unschuldig – wie schäbig hatte er ihn behandelt, der Schamane hatte völlig recht. Blind und kleinmütig war er gewesen. Aber er würde alles wieder gutmachen und Gudrun strafen für ihre Bosheit.

„Ich muss sofort zurück,“ sagte er und ging zu seinem Pferd, „wie kann ich dir nur danken … du ahnst nicht, welch eine Freude du mir gemacht hast.“

Aber er bekam keine Antwort, denn der Schamane war nicht mehr da.

Am nächsten Tag ging es Logi schon wieder viel besser und als er erfuhr, wie sich alles zugetragen hatte, war er genauso glücklich darüber wie Gunnar. Das Band zwischen ihnen wurde nach dieser harten Zerreißprobe fester und herzlicher denn je. Gudrun erwartete eine große Schande: Sie wurde ohne ihre Kinder an den elterlichen Hof zurückgeschickt und Gunnar machte ihr keinerlei Hoffnung, dass sie jemals wieder zurückkehren durfte.

Als im darauffolgenden Sommer die Wettkämpfe der jungen Männer stattfanden, durfte Logi aus der Hand Gunnars das Siegerschwert in Empfang nehmen, denn kein anderer hatte so glänzende Leistungen gezeigt wie er.

Und noch eine große Freude gab es in diesem Jahr. Als die ersten Herbstnebel am Morgen die Luft empfindlich abkühlten, tauchten im Fjord drei Handelsschiffe auf. Durch die Dunstschleier leuchtete das Rot ihrer Rahsegel und Gunnar erkannte das Zeichen in ihrer Mitte: zwei Berge und ein Baum, um den sich ein Drachen wand. Er strengte seine Augen an, um das Gesicht des Mannes zu erkennen, der stolz und hochaufgerichtet auf der Brücke stand, obwohl er wusste, dass es Olav war. So lange hatte er ihn nicht mehr gesehen. In all den Jahren hatte er nur wenige Auskünfte von durchreisenden Kaufleuten erhalten: Dass Olav wieder regen Handel betreibe „im Süden, im Osten und im Westen … bis an die Grenzen der Welt“, wie einer es blumig ausgemalt hatte, wahrscheinlich um Gunnar zu schmeicheln. Aber nun konnte er sich mit eigenen Augen von der Richtigkeit dieser Aussagen überzeugen.

Olav war in prächtige Gewänder gehüllt, so fein gewebt, so kostbar bestickt und in so leuchtenden Farben, wie sie niemand im Tal jemals gesehen hatte. Die Nachricht von seiner Ankunft hatte sich schnell herumgesprochen und eine Menge Volk strömte zum Ufer, um Olav zu begrüßen und seinen Reichtum zu bewundern. Olav umarmte seinen Vater lange. Dann stellte er ihm seine Frau vor. Das Erstaunen über ihre Erscheinung hätte nicht größer sein können.

„Sie ist bestimmt eine Prinzessin aus einer anderen Welt,“ dachte Logi, der neben seinem Großvater stand. Bis über beide Ohren wurde er rot, als Malani ihn freundlich anlächelte. Noch nie hatte Logi so schwarze, fast blauschimmernde Haare gesehen, noch nie eine olivfarbene Haut und so dunkle, schön geschwungene Augen. Verwirrt fragte er sich, ob man wohl mit solchen Augen genauso gut sehen konnte wie mit hellblauen, es schien ihm fast unmöglich. Logi beschloß jedenfalls auf der Stelle, Kaufmann zu werden. Dann würde er herausfinden, wo auf der Welt so schöne Mädchen lebten und sich auch eines mitbringen, genau wie sein Onkel Olav.

Olav machte aber gar kein Geheimnis daraus, wie und wo er Malani begegnet war. Als am Abend in der Halle das Feuer brannte, erzählte er seine Erlebnisse von dem Zeitpunkt an, wo er von Ragnar, wie versprochen, als Belohnung für eine erfolgreiche Handelsfahrt mit hohem Gewinn, ein Boot bekommen hatte. In ganz bescheidenem Ausmaß begann er wieder eigene Geschäfte abzuschließen. Am Anfang waren es reine Tauschgeschäfte mit Waren von geringfügigem Wert. Aber Olav verstand es, den Gewinn stetig zu steigern und immer weiter nach Süden vorzudringen. Er wollte unbedingt in den sehr einträglichen Gewürzhandel einsteigen. Über Meere und Flüsse, und über den Umweg durch das weite Land der Rusen gelangte er schließlich in die „Große Stadt“, wie alle Leute Byzanz nannten, eine Handelsmetropole, wie er sie nie zuvor gesehen hatte.

Händler aus aller Welt boten ihre Waren an oder schlossen sich zu Karawanen zusammen, weil nicht nur die Gewässer von Piraten unsicher gemacht wurden, sondern auch zu Lande Räuberbanden den einzeln Reisenden auflauerten, sie ausplünderten und nicht selten töteten.

Olav hielt Augen und Ohren offen, er lernte die Sprache des Landes, machte sich mit den Sitten und Gebräuchen vertraut, knüpfte Verbindungen und begründete so allmählich seinen Wohlstand und sein Ansehen. Nach langem Suchen fand er sogar seine Brüder Hugi und Frodi, die nun in seinen Diensten standen und während seiner Abwesenheit sein Haus und seine Güter bewachten. An das angenehm warme Klima und die lockere, luxuriöse Lebensart hatten die beiden sich schnell gewöhnt, und deshalb ließen sie Gunnar herzliche Grüße ausrichten und ihm ein langes Leben wünschen, aber heimkehren wollten sie nicht mehr.

Eines Tages war Olav auf die Idee gekommen, dass man ja auch eine Karawane mit Schiffen bilden konnte. Genau wie bei den Landreisen taten sich nun seefahrende Kaufleute zusammen, ließen die mit kostbarer Fracht beladenen Schiffe von Kriegsschiffen begleiten und überquerten so unbehelligt die Meere. Um nach Ugarit, einem der wichtigsten Handelsplätze in Kleinasien zu gelangen, musste Olav von Byzanz aus einen Landkopf umsegeln, ähnlich wie in seiner Heimat, wenn man nach Dänemark, England oder ins Land der Sachsen wollte. Dann vorbei an der Insel Zypern. Ugarit war ein Platz, an dem die Waren umgeschlagen wurden, die das meiste Geld einbrachten: Edelsteine, Gewürze, Seidenstoffe, getrocknete Rosinen, Datteln und Feigen, süße Weine, Duftwasser und andere Kostbarkeiten vor allem aus Indien und China, die Olav nun in der Halle seines Vaters ausbreiten ließ. Aus Indien kamen aber nicht nur die Gewürznelken, Pfeffer, Zimt und Ingwer, sondern auch seine Frau Malani. Sie war keine Prinzessin, wie Logi geglaubt hatte, sie war die Tochter eines gerissenen Händlers, der zwar die Hochzeitsfeier bezahlt und der Braut eine ordentliche Mitgift geschenkt hatte, der aber auch von Olav Brautgaben forderte, die letztendlich seine eigenen Ausgaben mehr als deckten.

Olav blieb mit seinem Gefolge den Winter über im Tal. Malani wurde in dicke Pelze gehüllt, damit sie die ungewohnte Kälte ertragen konnte und ihr Schlafgemach wurde mit Teppichen ausgelegt und von vielen Kerzen erhellt, damit sie das gewohnte Sonnenlicht nicht allzu sehr vermißte. Logi hielt sich oft in der Nähe ihres Fensters auf, wenn Malani mit heller, klarer Stimme sang und dazu auf einem fremdartigen Instrument spielte.

„Schöner als die Vögel im Wald,“ dachte Logi, verzaubert von den lieblichen Klängen.

Embla und Grima bewunderten Malanis Geschick, auf Seidentüchern, die sie in einen Holzrahmen spannte, Blumen und feinste Ornamente zu sticken. Sie kämmten ihre glänzenden schwarzen Haare und steckten sie hoch, wie es bei ihnen Brauch war, und wunderten sich darüber, dass Malani über ihr blondes und rotes Haar in Entzücken geriet, als wenn es etwas Besonderes wäre.

Olav wurde nie müde, spannende Geschichten zu erzählen – er hatte einen schier unerschöpflichen Vorrat davon, und die Abende in diesem Winter waren dadurch alles andere als langweilig. Logi konnte stundenlang zuhören und dabei auf süßen Rosinen und Datteln kauen. Und wenn er dann zwischen Decken und Fellen zusammengerollt in seinem Bett lag, träumte er von prächtigen Palästen, hohen Türmen und geschäftigen Städten in fernen Ländern. Mehr beiläufig hatte Olav einmal erwähnt, dass man China oder Indien oder eins der anderen östlichen Länder eigentlich erreichen müsste, wenn man auf dem Nordmeer immer nach Westen segeln würde. Einige hätten es schon versucht, aber bisher vergeblich.

„Wenn das je einer schafft,“ sagte er, „an’s Ende dieses Meeres zu gelangen, seinen Ungeheuern, seinen Stürmen und Strömungen zu entkommen, sein Ruhm würde durch alle Länder gehen und sein Reichtum würde unermesslich.“

Immer wieder hörte Logi im Halbschlaf diese Worte Olavs und sie prägten sich fest in sein Gedächtnis ein. Als Malani im nächsten Frühjahr von ihm Abschied nahm, wusste er, dass er sie vielleicht nie wiedersehen würde und es tat ihm weh. Sie war zwar viel älter als er, aber einen ganzen, langen Winter lang war er unsterblich verliebt in sie gewesen.

Gunnar war auch betrübt über Olavs Abreise, aber vor allem war er stolz darauf, dass drei seiner Söhne ihr Glück in der Fremde gemacht hatten. In dieser milden Stimmung gab er Ingvars Drängen nach und ließ Gudrun wieder an den Hof kommen. Seit ihrer Abwesenheit hatte Ingvar aus lauter Kummer mehr getrunken denn je und Gunnar hoffte, ihn bald wieder glücklicher zu sehen. Er dachte nun auch wieder öfter an Harald und Ottar, die er seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen und nur von Durchreisenden gehört hatte, dass sie ihr Ziel, sich im Land der Kelten und Angelsachsen niederzulassen, zwar erreicht hatten, jedoch nicht wagten, ihre Besitztümer zu verlassen, um ihn zu besuchen. Zu groß war die Gefahr, dass ihre Familien zu Schaden kommen und ihr Land geraubt werden könnte.

Ingjöld war hoch in den Norden gesegelt und hatte dort viele Inseln entdeckt, die unbewohnt oder von kleineren Gruppen besiedelt waren. Weiter im Westen war er dann auf die größte unter ihnen gestoßen: Eisland. Er liebte die einsame Lage im Nordmeer und je länger er dort verweilte, desto sicherer war er, dass die Insel dem Land seiner Träume sehr ähnlich war. Weitab von jedem hektischen Getriebe lebten die Menschen hier still und freundlich im Umgang miteinander. Es gab Knechte und Mägde, aber keine Unfreien. Es gab Reiche und Ärmere, aber keine Unzufriedenen, niemand nutzte den anderen aus, niemand fühlte sich ausgenutzt. Es gab einen König, der für sein Volk lebte und arbeitete und nicht umgekehrt. Hin und wieder kehrte Ingjöld heim nach Drachenbergen, bei gutem Wetter eine Reise von vier bis fünf Tagen, an den kleineren Inseln vorbei in gerader östlicher Linie. Von Mal zu Mal verstanden sich Vater und Sohn besser, es gab kaum noch Reibereien, ihre Unstimmigkeiten waren einer gewissen gegenseitigen Toleranz gewichen. Als Ingjöld das letztemal bei Gunnar war, hatte er Aasa dabei, seine junge Frau und Tochter von König Germind von Eisland. Danach waren seine Besuche abgebrochen und Gunnar wartete seither vergeblich auf ihn.

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