Kitabı oku: «Apartheid in Italien - Fragmente aus dem Apartheid-Italien»

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Die Welt ist aufgeteilt

in diejenigen, die nicht einschlafen können,

weil sie Hunger haben

und in diejenigen, die nicht einschlafen können,

weil sie sich vor denen fürchten,

die Hunger haben.

(Paulo Freire)

Flüchtlinge sind menschliche Abfallprodukte ohne jegliche nützliche Funktion in dem Land, in das sie kommen und in dem sie sich aufhalten und wo sie keine realistische Bleibemöglichkeit vorfinden, um sich in das neue soziale Gefüge zu integrieren; wenn sie mal in der Müllhalde landen, gibt es kein Zurück mehr, wenn nicht in noch entlegenere Orte.

Außerhalb der Flüchtlingslager gelten die Flüchtlinge als Hindernis, ja als Störfaktor; und in diesen Lagern geraten sie in Vergessenheit. Es bleibt nichts mehr übrig als die Mauern, der Stacheldraht, die bewachten Tore und die bewaffneten Wachen.

Zygmunt Bauman

Zuerst ignorieren sie dich. Dann verspotten sie dich. Dann bekämpfen sie dich. Am Ende bist du der Sieger.

M. Gandhi

Die ersten Darstellungen

Aber wer sind diese seltsamen Gestalten mit einzigartigen somatischen Eigenschaften und schwarzer Haut, die an der Sprechanlage klingeln oder stundenlang auf der Straße stehen? Die zu Beginn schwebende Frage beginnt sich gegen Ende der siebziger Jahre in Apulien, insbesondere im Salento, durch-zusetzen. Es sind die Straßenverkäufer, die Teppiche von Tür zu Tür oder in den Straßen der Stadt verkaufen. Sie sträuben sich auch nicht, wenn es um Jobs in der Landwirtschaft oder um Gelegenheitsarbeit geht. Die meisten von ihnen kommen aus Marokko und dem Senegal. Es sind die Zeiten eines zu beschäftigten Italiens. Somit achtet kaum jemand auf diese schlanken Schatten, die sich ganz verängstigt an die Türen eines Landes begeben, das sie für sanftmütig und gastfreundlich halten.

Am Ende des Jahrzehnts gab es fast 150.000 Migranten, die 1979 die Grenze der 200.000 überschritten. In den darauffolgenden Jahren waren es dann um die 300.000. Im Jahre 1981ergab die erste Volkszählung der Ausländer in Italien eine Zahl von 321.000 Einwanderern. Es folgen leichte quantitative Steige-rungen. 1984 wird die Schwelle von 400.000 erreicht. Ein weiterer Anstieg ist drei Jahre später zu verzeichnen, als die Einwanderer, nach der ersten „Legalisierung“ im Jahre 1986, die halbe Million überschreiten.

Unsere DNA spricht seit der Vereinigung Italiens größtenteils von einem Volk und Land von Auswanderern mit etwa 28 Millionen Auswanderern Ende des 19. Jahrhunderts und einem Höhepunkt im Jahre 1913 von fast 900 Tausend Auswan-derungen. Selbst in den 1950er und 1960er Jahren verließen durchschnittlich 300.000 Menschen pro Jahr Italien. Das Auswanderungsphänomen beginnt erst ab den sechziger Jahren zu verblassen. Denn diese sind die Jahre des sogenannten Wirtschaftswunders. In dieser Zeit kommt eine erste Einwande-rungswelle junger philippinischer, kapverdischer, somalischer, eritreischer, peruanischer und argentinischer Frauen nach Italien. Dank der Unterstützung katholischer Netzwerke erbringen diese Frauen in Großstädten private Dienstleistungen (Haushaltshilfe). Aber erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts kommen mehr Einwanderer nach Italien. Diese Jahre werden im kollek-tiven Gedächtnis, aber auch im schwachen zivilen Gewissen der Italiener, der Welt der Politik und der Medien als Jahre der Neugier und Gleichgültigkeit gegenüber der noch wenigen Neuankömmlingen verewigt bleiben. Aber schon gegen Ende der achtziger Jahre wird die Einwanderung als ein Phänomen ausgelegt, das einen Notfall darstellt und öffentlich so dargestellt wird. Die Wissenschaftler widmen dem Thema wenig Aufmerk-samkeit: Die Italiener fokussieren nämlich immer noch auf das Italien der Auswanderer. Aber die Zeiten ändern sich schnell!

Wer sind diese Leute?

1989 wurde im Rahmen einer ersten nationalen Untersuchung des Einwanderungsphänomens die folgende Schlussfolgerung gezogen: Die Mehrheit der Einwanderer beurteilt die Italiener als „gleichgültig, feindselig und rassistisch“. Es handelt sich um eine verlässliche Untersuchung, die an einer Stichprobe von 1.200 Personen durchgeführt wurde. Sie erschüttert die Sittlichkeit der öffentlichen Meinung über die Einwanderer, die zu dem Zeit-punkt schätzungsgemäß ungefähr 1 Million waren. Um die Ergebnisse zu erklären, muss man einen mutigen Schritt zurück-gehen und die Elemente eines aufkommenden, unterschwelligen Rassismus nach italienischem Stil entpuppen. Es handelt sich fast um einen plötzlichen Weckruf, der die Ruhe unserer Träume stören wird. Er wird im Besonderen jene durcheinanderbringen, die davon überzeugt waren, dass das Leben in einer Republik, die aus dem antifaschistischen Widerstand hervorging, ein gültiges Gegenmittel gegen die fremdenfeindliche Abdrift darstellt. Ende der 1980er Jahre zeichnet sich ein trauriger Hintergrund ab. Diese Zeit berichtet von zahlreichen kleinen und großen Episoden von Intoleranz und Gewalt, die sich zum Nachteil der schwarzen Einwanderer auf der gesamten Halbinsel ausbreiten. Diese Episoden werden die Wahrnehmung des tatsächlichen Ausmaßes der italienischen Einwanderung und auch ihre Zukunftsaus-sichten erheblich beeinflussen. Gerade in diesen Jahren kam es in den großen und zivilen italienischen Städten von Verona bis Florenz, von Rimini bis Udine, von Mailand bis Pisa und Turin zu Episoden der Intoleranz, der mehr oder weniger verschleierten Diskriminierung oder gar des offenen Rassismus. In Turin wird sogar eine „Vereinigung gegen die Betäubungsmittel und die illegale Einwanderung aus der Dritten Welt“ gegründet. Die gröbsten und offen xenophoben Akteure ebnen sich ihren Weg und gerinnen wie Klumpen um das Einwanderungsphänomen herum. Es geht hier im Besonderen um Episoden, welche die Straßenverkäufer der Adriaküste betreffen, aber auch um Arbeitsbeziehungen zu verachteten Einwanderern. Es kommt sogar dazu, dass man das Zusammenleben mit Schwarzen als schwierig in Frage stellt. In Palermo wurde im Januar 1989 die junge Somalierin Dacia Valent angegriffen, die später Europapar-lamentarierin der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) wurde. Nur vier Jahre zuvor war ihr erst fünfzehnjähriger Bruder von zwei Schulkameraden, leidenschaftlichen Lesern von Mein Kampf, mit sechzig Stichen hingerichtet worden. Ebenfalls Anfang 1989 wurde in Florenz der junge Somalier Osman Ibrahim zu Tode geprügelt, nachdem er einen Nachtclub verlassen hatte, während in Neapel eine Gruppe von Schlägern einen Äthiopier verletzte. Im reichen Mailand dieser achtziger Jahre ereignet sich ein besonders schwerwiegender Fall von Polizeigewalt gegen den jungen Senegalesen Paap Khouma. Die rassistische Vulgata ver-schont auch die Süditaliener, die sogenannten Terroni, nicht: Am 8. Juli wird der 51-jährige Soldat Achille Catalani in Verona von zwei Veronesern massakriert und zu Tode geprügelt. Seit 1988 - insbesondere nach den von Frankreich und Deutschland einge-führten Einreisebeschränkungen - ist das Phänomen selbst in den Augen derjenigen massiv geworden, die den in Italien stattfin-denden Wandel von einem Auswandererland in ein Land der nur langsamen Wahrnehmung als Gastland zu spät erfassten. Das Abkommen von Schengen zwecks Regelung der Grenzübergänge wird 1985 zwischen Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Holland und Belgien mit restriktiven Maßnahmen unterzeichnet, die schwer gegen die Menschenrechte verstoßen. Im Dezember 1988 gab es 600.000 vom italienischen Innenministerium regi-strierte Einwanderer im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, wobei die Daten aber eine ebenso hohe Zahl illegaler Einwanderer ausblenden. Jede ethnische Gruppe wird ihren Platz in einem genau definierten Landesteil einnehmen: die Nordafrikaner in Sizilien, die Kapverdier, Äthiopier und Somalier in Rom und die Senegalesen in den Industrieballungsgebieten Norditaliens. Und nicht zuletzt die Zentralafrikaner in der Gegend von Neapel. In Italien gibt es 1989 1,2 Millionen Einwanderer.

Der Wendepunkt

Die italienische Apartheid

Dank intensiver Rückgewinnungsprozesse, die das gesamte Sumpfgebiet der Provinz Caserta in der Nähe von Neapel betreffen, gab das Gebiet in diesen Jahren den Anstoß zur Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Tätigkeit und wurde zu einer Drehscheibe der Arbeitskräfte. Die typische Agrarland-schaft der siebziger Jahre erhält ein neues Gesicht. Die reichhaltigen Kulturen von Pfirsichbäumen, die großen Flächen von Gemüse und Zuckerrüben müssen mit dem Mangel von Produktverarbeitungsbetrieben fertig werden, während die Tomatenproduktion (das rote Gold) dank dem Vorhandensein von Fabriken und einem geregelten Markt der Europäischen Wirt-schaftsgemeinschaft eine großartige Ausdehnung erfährt. Die täglichen Arbeitskosten eines marokkanischen, tunesischen oder sudanesischen Arbeiters überschreiten nicht den Betrag von 40 oder 50 Lire! Der Einsatz ist einfach zu verlockend. Der Markt ist sehr wettbewerbsfähig, die italienischen Arbeiter reichen nicht aus und kein junger Neapolitaner träumt davon, solche Ausbeu-tungsbedingungen überhaupt anzunehmen. Afrikanische Einwan-derer werden somit die italienischen Arbeitskräfte vollständig ersetzen. Es kommt zu einem exponentiellen Jahreswachstum, zumal die Tomatenernte in kurzer Zeit, höchstens ein paar Monaten, sehr viele Arbeitskräfte erfordert. Die Nachfrage nach Erntehelfern ist dringend. Die Einwanderer stehen als Lösung parat; die Eigentümer von Zweitwohnungen an der Küste erklären sich sogar bereit, ihre Wohnungen an Afrikaner zu vermieten. Wir befinden uns am Anfang der achtziger Jahre. Mit der Saisonarbeit in der Tomatenernte nimmt die Präsenz schwarzer Arbeiter erheblich zu und erreicht selbst in kleinen Gemeinden Spitzenwerte von vier bis sechstausend Einheiten. Sie wirft somit Fragen über die Stabilität von Dörfern auf, die ein sehr schwarzes soziales Gefüge aufweisen.

Es ist das typische Szenario des rückständigen Süditaliens. Und diese Neuankömmlinge werden genau damit konfrontiert: Abwassersysteme aus dem 19. Jahrhundert, unzureichende Wasserversorgung mit einem „Tropfenzähler“ wenige Stunde am Tag, ohne dass die ersten Stockwerke der Eigentumswohnungen erreicht werden, unzureichende Gehwege, Dienstleistungen und soziale Netzwerke, keine Gesundheitseinrichtungen, völlig unzu-reichende, wenn nicht vollkommen fehlende Straßen, öffentliche Verkehrsmittel und Häuser, welche die Bedürfnisse der Bewoh-ner in keiner Weise erfüllen. Villa Literno ist eine Kleinstadt von zehntausend Einwohnern in der Nähe von Neapel, die von ihren Schulden buchstäblich erdrosselt wurde. Es gibt keine Listen von Steuerzahlern, keine Sportanlagen, Kulturstätten oder Kinos, außer dem üblichen Rotlichtraum für die Projektion von Pornos. Es gibt nur eine mutige Gemeinde mit dem jungen Pfarrer Don Peppe Diana, den die Verbrecher der Camorra, fünf Jahre später, 1994, hinrichteten, um seinen Widerstand zu brechen. Die Politik ist dem Notstand offensichtlich gar nicht gewachsen. Denn zahlreiche Gemeinden wurden über Jahrzehnte schlecht verwaltet. In wenigen Jahren verwandelt sich die Gegend in ein Auslegungsparadigma des wachsenden Einwanderungsphäno-mens. Hier erkennt man auch die Bühne seiner ersten Konflikte und Widersprüche. Auf diese Weise wird Villa Literno zur Landeshauptstadt der schwarzen Erntehelfer, deren Zahl seit dem Sommer 1985 dramatisch zunimmt. Es gibt schon Episoden, die von der Alltagsintoleranz bis zu Diskriminierung und Rassismus reichen. Die Lage verschlechtert sich fortlaufend. Zwischen den Einwanderern und den Bewohnern von Villa Literno kommen die ersten Kommunikationsschwierigkeiten auf. Denn auf den Feldern der Kleinstadt arbeiten Hunderte und im Juli und August (während der sogenannten Tomatensaison) sogar mehr als fünftausend Erntearbeiter. Die Erntehelfer werden in verlassenen Bauernhäusern ohne Wasser, Toiletten und Strom in illegalen Gebäuden unter Beschlagnahme untergebracht. Sie werden in Tierställe einquartiert. Sie leben in den im August geschlossenen Baustellen oder auf der Straße. Wenige Stunden trennen ihren Schlaf vom Beginn der harten Arbeitstage, zusammengekauert zwischen den Blechen der zu verschrottenden Fahrzeuge oder zusammengestürzt zwischen den Kartons auf dem Dorfplatz. Das Ganze ist wie eine Faust ins Auge des zivilen Italiens. Dieser Platz, der sich in der Vorstellungswelt der schwarzen Tagelöhner verankert hat, ist der Rotonda von Villa Literno, der sogenannte Sklavenplatz. So tauften ihn die Medien, die darauf achteten, die Ereignisse übermäßig in Szene zu setzen und sich weniger darum kümmerten, das Phänomen zu verstehen oder Lösungswege zu erarbeiten, um es zu überwinden. Vom Platz bleibt hier sehr wenig übrig. Der vorhandene Raum ist mit Verkehrsschildern belegt, aber der Name, der dieser Kreuzung gegeben wurde, leitet sich davon ab, dass er historisch gesehen der traditionelle Treffpunkt der einheimischen Bauern war. Landwirte aus den Nachbardörfern sind immer hierhergekommen, um dann die Feldarbeit anzutreten. Damals wie heute. Was sich geändert hat, ist ihre Hautfarbe. Die neuen Erntehelfer sprechen in neuen Akzenten und Dialekten, stammen aus anderen geografischen Regionen. Ihre Hauptfarbe ist anders. Hier treffen sich in den frühen Morgenstunden Hunderte von Einwanderern, um sich ihren Arbeitstag zu ergattern. Es ist der Ort, von dem aus wir nachts mit kaputten Lieferwagen mit schwarzen Männern zu den Feldern fahren, die manchmal Stunden entfernt liegen. Das ist der symbolische Ort für den Zustand des afrikanischen Erntehelfers in Süditalien. Er verweist aber auch auf die für eine zivile und fortschrittliche Industriemacht wie Italien unmensch-lichen und inakzeptablen Überlebensbedingungen von Menschen aus Fleisch und Blut, von Gesichtern und Körpern, in denen man Hoffnung, Schmerz, Sehnsucht nach Würde und Respekt, Hoffnung auf ein Leben frei von Elend, Verfolgung im eigenen Land und Diskriminierung in unserem Lande lesen kann. Es ist der Ort, an dem Tausende Einwanderer jahrelang ohne jegliche Garantie, nicht mal die einer Entlohnung, rekrutiert werden. Am Ende des Tages vertraut man der guten Laune der Caporali. Diese bedrohlichen und bewaffneten „Vorarbeiter“, die oft Verbin-dungen zur organisierten Kriminalität pflegen, „genehmigen“ in der Tat die Feldarbeit der Schwarzen.

Hier haben wir es mit extremen Überlebensbedingungen zu, die dazu führen werden, dass Dutzende dieser Erntearbeiten nachts auch in den Nischen des städtischen Friedhofs von Villa Literno Schutz finden. Die Presse erregt scheinheilig das Aufsehen um diese Nachricht. Dieses Aufsehen gibt es aber nicht. Denn die hier herrschenden bestialischen Lebensbedingungen der schwarzen Arbeiter sind allen bekannt, wenn man nur bedenkt, dass viele von ihnen im Sommer auf Pappstücken direkt auf den Bürgersteigen des Platzes übernachten. Der Umstand ruft Ent-setzen hervor, das gute Gewissen der öffentlichen Meinung wird erschüttert. Diese öffentliche Meinung zieht es aber vor, die Realität auszuklammern und diese Faust ins Auge einfach zu übersehen. Die Polizei bestreitet es, aber das Problem besteht. Aber die Episoden der Intoleranz werden kleingeredet, wenn nicht unterschätzt oder sogar geleugnet. Der Fall macht italienweit Schlagzeilen. In der Zwischenzeit gibt es zwischen sechstausend und achttausend Arbeitsmigranten, von denen nur wenige eine Aufenthaltserlaubnis haben. Ein Teil von ihnen, der diese Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat, zieht es vor, seine Reise nach Norditalien fortzusetzen, um Arbeit in Gerbereien, Gießereien und Metallbearbeitungsfabriken zu suchen.

Die schwarzen Toten

In diesem Klima der Annäherung, in dem man einerseits die Medienspekulationen und andererseits die Lähmung der Politik und der sogenannten Zivilgesellschaft erkennt, die sich nur empört, ohne zu handeln, ermordet die Camorra am 4. Dezember 1986 zwei junge Einwanderer in der Nähe von Villa Literno. Die Leichen von Thomas Quaye und Gorge Anang werden im Dorf-zentrum als klare Warnung gefunden. Die mutmaßlichen Täter werden einige Wochen später festgenommen, aber dann aufgrund unzureichender Beweise wieder auf freien Fuß gesetzt. Dieses ist das erste blutige Verbrechen gegen Schwarze. Und es wird nicht das einzige sein. Es folgen noch zahlreiche weitere Verbrechen in einer Gegend, die in den kommenden Jahren von einer weit verbreiteten Straflosigkeit und Illegalität gekennzeichnet sein wird. Es handelt sich um einen Küstenstreifen von siebenund-zwanzig Kilometern, entlang dessen die Abflüsse der Büffelmozzarella-Molkereien das Meer verschmutzen. Das Herz-stück des Verbrechens, der neapolitanischen Camorra, ist mittlerweile zu einem riesigen afrikanischen Wohnheimviertel geworden, das von dem neuen Elend bewohnt wird, das alles kontrolliert: Prostitution, Drogenhandel, Flüchtlinge, illegale Einwanderer und Drogenabhängige. All dies erfolgt in diesem Gewirr identischer Reihenhäuser, die im Sommer von Menschen aus dem Stadtrand von Neapel bewohnt werden. Das Ganze wird von einem großen Kiefernwald verborgen, der anscheinend eigens dafür da ist, um die vor Armut und Leid flüchtende Menschheit einzuhüllen, die an dieser letzten Station einer Karawane der Verdammten ange-langt ist. Der Verfall zwischen den illegalen Badestränden und den verlassenen Häusern ist das Thermometer, mit dem wir die zahlreichen großen, illegalen Gebäude in der Nähe des Strandes messen können. Diese dienten zu Beginn der 1990er Jahre als Aufnahmestelle für die ersten Einwanderer und werden dann auch zu einem sicheren Unterschlupf für Mitglieder der Camorra. Nur acht Monate später, im August 1987, „stürzt“ Fouad Khaimarouni, ein junger Hilfsarbeiter aus Marokko, aus einem im Bau befindlichen Gebäude in Villa Literno, wo er wahrscheinlich nachts zusammen mit anderen Einwanderern Schutz findet. Die Umstände seines Todes werden niemals geklärt. Das Gespenst der Intoleranz flacht wie ein Schatten auf dem kleinen Dorf ab.

Im Juni 1988 gründeten die schwarzen Tagelöhner von Villa Literno und der Nachbarstädte den ersten Embryo der Selbstor-ganisation der Gewerkschaften, die Koordinierungsstelle der afrikanischen Gemeinden. Sie legen eine Zivilklage über die Lebens- und Arbeitsbedingungen mit dem Titel „Bevor es zu spät ist…“ ein. Dieses Signal wird bedauerlicherweise ignoriert:

„Wir Afrikaner möchten bleiben, um zur Zukunft eures Landes beizutragen, um gemeinsam euer und unser Wohlergehen in einer Umgebung des Friedens, der Solidarität, Gleichheit, Freiheit und sozialen Gerechtigkeit aufzubauen.“

Sie fordern die Anwendung des Gesetzes über die Legalisierung von Arbeitsmigranten und berufen sich an dieser Stelle auf die in der italienischen Verfassung verankerte Rechte. In jenen Jahren entdeckte Italien das Phänomen in seiner ganzen Reichweite und Tiefe, verfügte aber nicht über die Mittel, um angemessen einzugreifen. Sie fordern auch Wohnungen und Gesundheits-versorgung. Sie fordern auch die Verwendung einiger stationärer Container, die bei Naturkatastrophen eingesetzt werden sollen. Aber es ändert sich nichts. Die Einschüchterungsepisoden wiederholen sich. Villa Literno schafft es kaum, die Last Tausender junger Arbeiter in einem Gebiet mit 80.000 Einwoh-nern in sieben Gemeinden zu tragen, in denen das öffentliche Gesundheitssystem weder ein Krankenhaus noch eine Notauf-nahme, einen Notruf oder Schularzt bereitstellt. Inmitten des rücksichtslosen Zynismus und des Kriegs der Armen nehmen blinde Spekulationen zu Lasten der Einwanderer zu: vom Verkauf von Betten in verlassenen Landhäusern bis zur improvisierten Dusche durch einen Händler von Villa Literno, der den Preis für Afrikaner zwischen Juli und August verdoppeln wird. Aber es verfestigen sich auch rassistische Einstellungen, wie die Gewohnheit der Barkeeper, die Afrikaner aus Angst vor der Übertragung von Krankheiten mit Getränken in Plastikbechern zu versorgen oder ihnen den Zugang zu bestimmten Lokalen zu verwehren. Die Intoleranz verwandelt sich in blinde Demütigung. Aber auch in Spaß. Es verbreitet sich das Kegelspiel. Hier macht sich die Gewohnheit breit, auf der Straße mit Autos, die mit höchster Geschwindigkeit rasen, auf Schwarze zu zielen. Viele landen im Krankenhaus. In diesem Klima wurde der junge tansanische Arbeiter Juma Iddi Bayar am 30. September 1988 getötet. Den Ermittlern zufolge habe es sich in seinem Fall um eine Warnung an andere Einwanderer gehandelt. Möglicherweise ging es um die missbräuchliche Nutzung verlassener Gebäude von Personen, die mit der Camorra in Verbindung stehen. Der Sommer 1989 steht vor der Tür. Für die Tomate wird eine Ernte von außergewöhnlichen Ausmaßen angekündigt. Der Druck der Afrikaner ist sehr stark. Sie sind weniger als fünftausend. Auch die Presse spielt eine Rolle in den Ereignissen in Villa Literno, vor allem, wenn es darum geht, Alarm zu schlagen und nach der Medienshow zu suchen, um ein paar Tageszeitungen mehr zu verkaufen oder die Hörerquote um ein paar Punkte zu erhöhen. Auf die Durchführung ernsthafter Ermittlungen wird verzichtet. Auf diese Weise macht sich die Presse mitschuldig am Klima der Intoleranz. Um sich einen Eindruck von den Medienberichten zu verschaffen, braucht man nur an die Berichte der Journalisten zu denken, welche die schwachen Stimmen der Denunziation eines vom italienischen Staat verlassenen Territoriums über Jahre überhörten. Hierzu liest man pseudojournalistische Berichte, die triviale und gleichzeitig instrumentelle Fragen enthalten, die an die Frauen von Villa Literno gerichtet sind, die sich auf dem Rotonda-Platz, dem sogenannten Sklavenplatz, aufhalten:

„… Aber würden Sie denn Ihrer Tochter erlauben, einen Einwanderer zu heiraten…?“!

Wo der Einwanderer doch das Paradigma des armen Christus, des Arbeiters ist, der zwischen den Kartons, in den schmutzigen Bauernhäusern auf dem Land oder auf dem Sklavenplatz ohne Toiletten, Strom, Wasser… übernachtet! Die gesamte Angele-genheit ist eine hässliche Episode für den italienischen Journalismus, der keine Bereitschaft zeigt, Recherchen über diese verkommenen Gebiete einzuleiten, die vollkommen außerhalb der Legalität leben und wo sämtliche soziale Dienstleistungen fehlen. Ganze Dörfer werden regelrecht von der Camorra einge-nommen. Hier spielen die Jungs mit Pistolen, mit denen sie auf Verkehrsschilder schießen. Hier kann man um 20 Uhr nicht durch die Straßen gehen, ohne Opfer eines Raubüberfalls zu werden, von dem viele Jungs sogar prahlen. Die kleine Gemeinde ist isoliert. Viele Zeitungen werden den Vorfall als rassistisch bezeichnen, aber diese Vereinfachung wird nicht dazu beitragen, das Phänomen und die Dynamik in Villa Literno zu verstehen. Sie wird nur die Heuchelei einer nationalen öffentlichen Meinung unterstützen, die ein zurückgebliebenes Dorf in Süditalien in einem alles in allem solidarischen Italien darstellt. Wo bleiben Tausende junge Tagelöhner aus Afrika? Offiziell gibt es sie ja gar nicht! Am 6. April 1989 wurde Ben Alì Hassen, aufgrund des verzögerten Eintreffens der Polizei, in einem Freizeitclub in einem Dorf in der Nähe von Villa Literno, das von der Camorra kontrolliert wird, massakriert. Das Motiv wird niemals geklärt.

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