Kitabı oku: «NICHT WIEDER ROSA MOOS», sayfa 2

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3. Kapitel

Es war bisher nicht auszumachen, zu welchem Drosselmann das ein wenig magersüchtig und ziemlich gleichgültig wirkende Drosselweibchen gehört, um das es bei den beiden kämpfenden Drosselmännchen in unserem Garten geht, und das wohl in der dichten Kirschlorbeerhecke brüten will. Es erscheint nur, um zu fressen, ohne den seltsamen Rivalen auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Ich kann mir vorstellen, was die Drosselin dazu sagen und ihre Entscheidung vielleicht gern noch einmal überdenken würde, käme ihr die Natur mit dem Drang zur Fortpflanzung nicht dazwischen. „Die Flucht. Er kann es kaum erwarten, der schwarze Drosselmann, es gibt den Tanz im Garten, der ist im Frühling dran. Da geht es um ein Weibchen, so scheu und kaum zu sehen, verliebt ist er in Scheibchen, kann ihr nicht widerstehen. Für sie, da wird er bauen, ein Nest am Gartenteich, und dafür Zweiglein klauen und rosa Moos, ganz weich. Und jeden Nebenbuhler, den schlägt er in die Flucht, denn er ist doch viel cooler, das Balzen, eine Sucht. Das Weibchen noch allein, versteckt im Blätterdach, wie wird es diesmal sein, denkt oft darüber nach. Nicht wieder rosa Moos und bitte nicht am Teich und nichts aus ihrem Schoß, nicht wieder alles gleich! Und dann beginnt der Tanz, der Drosselmann holt auf, er echauffiert den Wanst, ist trotzdem prima drauf. Die Drosselfrau, sehr klug, schaut zu und ist entspannt, denn jetzt ist sie am Zug und hat es in der Hand, wann, wie, weshalb, warum und ob und überhaupt, er macht sich für sie krumm, weil er an Liebe glaubt. Auch sie ist überzeugt, es gibt den Herzensraub, hat sich ihm oft gebeugt, macht sich jetzt aus dem Staub! Und er ist ahnungslos, der Tanz bauscht sein Gefieder, Held denkt an rosa Moos, doch sie, sie kommt nicht wieder“. Und ich habe wirkungsvoll dekoriert, um mein Schlafgemach gemütlich zu machen. Auf einem der dicken Querbalken sitzt mit nacktem Po und kurzem Hemdchen ein Engel, der ungefähr so groß ist, wie ein hockendes Kaninchen aus einer Kleintierzucht. Vor einigen Jahren hat mich der Engel in einem Drogeriemarkt regelrecht überrascht und mich von meinem eigentlichen Vorhaben, Zitronensäure zu kaufen, abgelenkt. Ich war total überrumpelt, weil ich ihn dort nicht erwartet hatte. Er verzauberte mich und ohne lange zu überlegen, wurde ich mit sicherem Griff seiner habhaft und habe ihn gekauft. Glücklich über diese Errungenschaft, blieb ich ohne Zitronensäure, ohne mich deswegen zu ärgern. Zu groß war mein Glück über das himmlische, geflügelte Wesen. Um den Engel oben auf dem Balken zu platzieren, war die Trittleiter aus dem kleinen Kabuff im Keller nötig. Die Tür zu dem Kabuff steht immer einen Spalt weit offen. Das erledigt eine altrosa, metallicfarbene Flasche Brut Dargent, die ich mit Sand gefüllt habe, damit sie genug Gewicht hat und sich nicht so ohne weiteres beiseite schieben lässt. Ich weiß nicht mehr, zu welchem Anlass wir uns den perlenden Inhalt gegönnt haben. Es war wohl nicht so wichtig, denn sonst hätte ich es nicht vergessen. Es kann auch sein, dass es keinen besonderen Grund gab, und wir haben ihn getrunken, weil er da war. Vielleicht war er ein Geschenk, ein Mitbringsel von Freunden.

Der Engel befindet sich in einer ganz enormen Schieflage, wenn er keinen Balken oder keine Schrank-, Tisch- oder Bordkante unter sich hat. Ein vermeintlicher Schutzengel in Schieflage, das war ein sehr befremdliches Gefühl für mich. Was soll das werden? Aber ich habe ihn mir mit diesem Wissen ins Haus geholt und so hängt eins der dicken Beinchen über den Rand des Balkens, damit er aus seiner unwürdigen Situation und Position herauskommt.

Ihn richtig hinzusetzen, das war bei seiner Erschaffung schließlich auch so geplant. Engel und Balken erscheinen bei Nacht in demselben Grau. Bei Tageslicht in Wollweiß. Das geflügelte Himmelswesen pustet in ein sehr einfaches Musikinstrument aus Blech in Richtung Dachspitze. Ich glaube, man nennt so ein Ding auch Tröte. Es besteht aus einem langen, dünnen Rohr, in das kräftig hinein geblasen wird und an dessen Ende ein Trichter einen Ton hinausschleudert, den ich mir kaum vorstellen kann. Der Engel hält das Instrument mit beiden Händen umklammert, an seine geschürzten Lippen. Ich könnte es ihm sogar wegnehmen. Mach ich aber nicht, weil es dann aussehen würde, als wenn er mit seinen Fäustchen einen Trichter bildet und etwas in den Himmel brüllt. Das machen Engel nicht. Oder dass er mit seinem Atem versucht, seine kalten Hände zu wärmen. Ein verfälschter Eindruck würde entstehen, denn Engel frieren nicht. Unter ihm ist der Rauchmelder fest an den Balken geschraubt, der seine Pflicht nicht vergisst und in regelmäßigen Abständen für eine halbe Sekunde ein Lämpchen rot aufleuchten lässt. Nachts ist es gut zu sehen. Dann weiß ich, dass die Batterie noch nicht ausgewechselt werden muss. Der Engel sitzt sozusagen auf einem ungewöhnlichen Vulkan, der aufschreit, wenn es woanders raucht.

Zitronensäure löst im Handumdrehen und gründlich Kalkablagerungen. Dann brauche ich keine Chemie. Im Nachhinein ist es doch ärgerlich, dass ich wegen des Engels vergessen habe, welche zu kaufen. Das Zimmer ist rechteckig. Mein Bett steht nicht an der graden Wand, sondern macht seitlich unter der Schräge vom Giebel aus mit den Beinen am Fußende einen großen Schritt in den Raum. An den Enden vom Kopf- und Fußteil steht je eine etwa siebzig Zentimeter hohe, armdicke Säule, auf der eine Kugel, so groß wie eine geballte Faust den Abschluss bildet. Ich wollte das Bett aufgemotzt und deshalb sind die Kugeln aus hellgrauem Marmor. Es hat ein wunderschönes, geschnitztes Kopfteil.

Es ist die Rede davon, dass es wieder Bettwanzen geben soll. Das sind Plagegeister. Nächtliche Blutsauger am Menschen. Die verstecken sich tagsüber in Ritzen und hinter Tapeten und legen dort ihre Eier ab. Das kann ich zu meinem Glück noch nicht bestätigen.

An der graden Wand rechts von meinem Bett, hängt ein großer Spiegel in einem aufwendigen Rahmen, in den ich von meinem Bett aus hinein und durch das Fenster der Gaube, das sich in ihm spiegelt, nach draußen sehen kann. Das habe ich ganz bewusst so gewählt. Neben dem Bett steht ein Nachttisch. Das Wort irritiert, denn Tisch ist völlig falsch. Und auch Nacht stimmt nur teilweise, denn er steht auch am Tag dort. Es gibt auch Stehtische. Stehen Tische nicht immer? Aber Ausziehtische ziehen sich auch nicht aus. Ich mag derartige Wortspielereien. Manchmal bricht es mir das Genick, wenn diese Leidenschaft nicht auf Gleichgesinnte trifft. Aber dann passt es eben nicht.

Das Wort Nachttopf ist auch nicht korrekt. Solche Gefäße gibt es nur noch in einigen Antiquitätenläden als Dekoration fürs Badezimmer zur Aufbewahrung von Seifen oder als Übertopf für Alpenveilchen, die auch wieder modern sind. Aber wenn ich damit jetzt nicht aufhöre, ufert es aus. Aber eins noch. Ein Ameisenhaufen ist kein Haufen Ameisen, die es da zwar zuhauf gibt, aber es ist ein perfekt ausgeklügeltes, unterirdisches Tunnelsystem, von dem wir nur die Spitze sehen. Es geht aber ziemlich tief in die Erde. Manchmal sogar zwei Meter. Eine bessere Bezeichnung ist Ameisennest. Und nun doch noch eins. Mein Nachttisch ist auch kein Schränkchen, denn man nennt so ein Kleinmöbel auch Nachtschrank. Auch hier Irritation bei mir. Aber jetzt belasse ich es bei Nachttisch. Auf ihm liegen die Utensilien, die ich vor dem Einschlafen brauche. Es gibt selbstverständlich einen Wecker. Handteller groß, weiß und rund, der mit einer Batterie die Zeiger in Bewegung hält. Daneben liegt ein Kugelschreiber. Ein wahres Schmuckstück. Er glitzert überaus festlich im Licht der kleinen Nachttischlampe mit dem wunderschönen Blütenschirm aus weißem Glas. Fürs Glitzern sorgen in seiner Transparenz eine Menge kleiner Swarowskikristalle. Ein Gebrauchsgegenstand ist er trotzdem für mich. Inzwischen hat er jedoch seinen Geist aufgegeben, das heißt, die Miene ist leer. Ich habe noch nicht herausgefunden oder besser gesagt, mich auch noch nicht darum gekümmert, wie sie ausgewechselt wird und wo ich Ersatz bekommen kann. Außerdem hat auch jedes Buch, in dem ich mich schläfrig lese, auf dem Nachttisch den Platz in unmittelbarer Nähe zu mir.

In dem Glas mit den Mini-Gewürzgurken schwimmen nur noch zwei von den kleinen, krummen Dingern. Die Senfkörner, Zwiebel- und Chilistückchen sind eindeutig in der Überzahl. Die Gurken halten sich aber noch eine Weile in dem Sud, der noch so klar ist, wie ein Bergbach. Das Glas steht aber nicht auf meinem Nachttisch, sondern im Kühlschrank. Dazu habe ich mir eine Geschichte ausgedacht, die unbedingt erzählt werden muss. Es handelt sich um das verlorene Glück eines Zwiebelringes. Die Gurke auf dem Tellerrand, die diesen Zustand grässlich fand, erinnert sich an jedem Tag, als sie im Glas in „Sauer“ lag. Sie war ein wohl gewachsnes Ding, verlobt mit einem Zwiebelring. Der gab sein „delikates“ Wissen, an sie auf einem Senfkornkissen, das auf dem Glasgrund, wie ein Bett, gut abgeschirmt vom Etikett, zwar keinen Blick von außen ließ, was aber überhaupt nicht hieß, dass niemand, was sie taten, sah, denn über sich die Gurkenschar, erfreute sich im Gurkenglas, am Zwiebelring und Gurkenspaß. Doch damit war es nun vorbei, ein Messer teilte sie entzwei, die Gabel spießte sie dann auf, so nahm das Schicksal seinen Lauf. Zwar fingen Zähne an zu funkeln, doch Gurke sah nichts mehr im Dunkeln. Sie wurde schnell und fest gepackt, sehr grob zerbissen und zerhackt, sie ließ sich von der Zunge heben und durfte noch am Gaumen kleben. Es gab dann keinen Weg zurück, der Zwiebelring verlor sein Glück.

An der geraden Wand lehnt ein hohes, schmales, verschnörkeltes Regal, über das ich später noch berichten werde. Daneben stehen zwei weitere Schränkchen, die durch einen hohen, ovalen Spiegel, zwar einen halben Meter voneinander getrennt, aber durch ein Brett, ziemlich weit unten, in das er eingelassen ist und unter dem es unter einem Bord noch zwei Schubladen gibt, fest miteinander verbunden sind. Ich hoffe, dass ich dieses weiße, besondere Möbel verständlich genug beschrieben habe. Es könnte aus dem 19ten Jahrhundert sein. Der Spiegel zeigt mich in ganzer Größe, wenn ich vor ihm stehe und hat bereits einige Altersflecken, die mich aber nicht weiter stören.

Lachsschnitten mit Haut habe ich immer falsch gebraten. Zuerst die Hautseite. Warum, weiß ich nicht, ich fand es wohl irgendwie richtig. Seit einiger Zeit weiß ich, dass die Haut zuletzt gebraten wird, damit sie kross bleibt und nicht in dem flüssigen Fett wieder aufweicht, wenn ich dann erst die Seite ohne Haut brate. Ist doch klar! Labbrig ist sie so ein richtiger Hautlappen, wie zum Implantieren und drückt den Appetit auf Null. Es gibt Lachs auch ohne Haut.

4. Kapitel

Neben der Tür, durch die es auf den Flur geht, befindet sich ein hoher Nachtschrank aus Weichholz unter Farbe. Er ist größer als normale Nachtschränke und die Bezeichnung kann ich tolerieren. Nun kommt wieder meine Fantasie ins Spiel.

Ich stelle mir eine Idylle weit draußen auf dem Land vor. Goldgelbe Kornfelder bis zum Horizont. Dazwischen Knicks aus Weißdornhecken und wildem Flieder, in denen Rotkehlchen nisten. Uralte, knorrige Eichen oder Kastanien, die ein altes Bauernhaus mit einem tief heruntergezogenen, moosbedeckten Reetdach unter ihre Fittiche nehmen.

In meiner Vorstellung ist es etwa fünfzehn Uhr. Außer ein paar Hühnern, die nach Futter scharren oder Flügel schlagend in Staub gehüllt, ein Sandbad nehmen, rührt sich außer dem imposanten Hahn, der seinen Harem bewacht, nichts auf dem Hof. Das riesige, in tiefgrüne Farbe getauchte Scheunentor ist einen Spalt weit geöffnet. Aus dem Dunkel kriecht hin und wieder ein heimeliges Schweinegrunzen. Schwalben haben ihre Nester unter das Dach geklebt oder nisten in der Tenne und fliegen durch den Spalt in dem Tor elegant ein und aus. Sie haben eine Horde Schwälbchen zu füttern. Eine leere Schubkarre steht herum. Man ist auf den Feldern, das Vieh auf den Weiden, der Misthaufen ist riesig, wenn der Hof einem Großbauern gehört. Und es ist windstill und friedlich in der warmen Nachmittagssonne. Mein Nachttisch steht jetzt noch lange nicht bei mir, sondern noch in diesem Bauernhaus in einem dämmrigen, schlecht gelüfteten Schlafzimmer neben einem bedrohlichen, breiten Ehebett aus schwerem Eichenholz und üppig geschnitztem Kopfteil, mit bauschigen Federbetten in weißen Leinenbezügen. Zwei Paradekissen, zwei außerordentlich gelungene Handarbeitsbeweise aus der Aussteuer der stolzen Bauersfrau, mit aufwendigen Lochmustern, Hohlsäumen und gestickten Monogrammen, thronen am Kopfende. Die Wände sind mit einer tristen, hellbraunen, klein bedruckten Blümchentapete beklebt. Über dem Bett hängt ein ovales Bild mit einer Schar graziöser Elfen, die sich bei den Händen halten und in durchsichtigen, bunten Gewändern barbusig und barfüßig im taufeuchten Gras in der Vollmondnacht tanzen. Sie werden von einem gehässig grinsenden Teufelchen, das im Gebüsch kauert, beobachtet. Von der Decke hängt eine schlichte, dreiarmige Lampe aus dunklem Holz. Am Ende eines jeden Arms ist eine milchiggelbe Schale aus Glas, das mit braunen Schlieren durchzogen ist. Die Lampe gibt ein schauriges Licht, wie bei einer vollständigen Sonnenfinsternis.

Die gesamte Einrichtung wird an die Generationen weitervererbt, die in diesem Bett, eine verpflichtende Ehewerkstatt des Paares, das sich dem Zwang gefügt und aus gut gemeinten, vernünftigen und wirtschaftlichen Gründen vor dem Traualtar die Ringe tauschte, gezeugt wurden. Und all diese Nachkommen führen nacheinander verantwortungsvoll den Hof und die Erbfolge weiter, bis niemand mehr das alte Zeug haben will. Bett und Nachtschränke, und ganz sicher gibt es auch eine passende Frisierkommode, die dann als Erinnerung erst einmal auf dem Dachboden untergebracht werden. Irgendwann landen die einzelnen Teile schließlich für’n Appel und n Ei in irgendwelchen Trödelläden. So könnte es gewesen sein. Und vielleicht gibt es den zweiten Nachtschrank ja noch, wenn er inzwischen nicht schon vollkommen verwurmt war, deswegen zertrümmert und verheizt wurde. Dann hat er für kurze Zeit wohlige Wärme gespendet. Lange vorher aber, haben beide Nachtschränke immer wieder die Farbe gewechselt, wenn sie nicht dem Zeitgeist entsprachen und die Harmonie in dem Schlafzimmer der Nachkommen oder später die neuen, fremden Besitzer störten. Die Nachtschränke haben Bäder in ätzenden Laugen hinter sich, um auch die kleinsten, störenden Farbreste aus Poren und Ritzen gründlich zu entfernen. Experten haben sie danach perfekt abgeschliffen, bis es keine Unebenheiten mehr gab und kein Splitter in eine Hand stach, von der sie gut behandelt wurden. Sie waren nicht nur Wachs in den Händen, sie wurden auch gründlich damit eingerieben und mit weichen Lappen auf Hochglanz poliert. Und dann gingen sie weg wie geschnitten Brot als begehrte Weichholzmöbel. Und schließlich, wenn sie erneut den Besitzer wechselten, dem das rohe Holz zu nackt war, bekamen sie einen neuen Farbanstrich, um zu gefallen und geliebt zu werden. Mein Nachtschrank hat eine Schublade und darunter ein Bord und auch noch ein ziemlich hohes Fach. Ich kann mir vorstellen, dass dort der Toiletteneimer untergebracht wurde, der häufig aus Porzellan war und aus triftigem Grund einen Deckel hatte.

Als das Grab meiner Mutter aufgelöst wurde, habe ich von dem riesigen Lebensbaum, der unmittelbar an ihrem Grabstein stand, einige Zweige abgeschnitten und mit nachhause genommen. Da sie nicht verbrannt, sondern beerdigt wurde, bin ich mir sicher oder möchte es sein, dass in dem Baum etwas von ihr in einer anderen Dimension weiterlebt. Die Zweige in den Händen zu halten, war ein sonderbares, aber ein so beruhigendes Gefühl, das kaum zu beschreiben war. Seitdem gibt es den großen, ovalen, schwarzen Rahmen mit dem gewölbten Glas, den ich vor vielen Jahren aus Belgien mitbrachte. In ihn habe ich den kleinen Strauß, der sich nach und nach braun verfärbte, zusammen mit einer Fotografie von meiner Mutter in einem kleinen silbernen Rahmen so arrangiert, dass der Vers, den ich für sie geschrieben habe gut zu lesen ist. Es war mir ein Bedürfnis, sie in der Form zu ehren und ihr dafür zu danken, dass sie mir das Leben geschenkt hat. Und dieses etwa vierzig Zentimeter hohe Bild wird mich stets begleiten und hängt auch in diesem Haus in meinem Zimmer über dem Nachtschrank. Und ich denke, meine Mutter weiß, dass sie nicht vergessen ist.

5. Kapitel

Lüdenscheid liegt im Sauerland, und ich frage mich, was die da wollen. Es muss einen Grund geben, denn die wären doch sonst nie auf die Idee mit Lüdenscheid gekommen. Mir wurde ziemlich aufgeregt und mit einem verschmitzten Lächeln erzählt, dass es eine Überraschung werden soll. Also nehme ich an, dass sie dort jemanden kennen. Ich bin gar nicht dazu gekommen, sie danach zu fragen, weil sie in ihrem Redeschwall von einer Frau unterbrochen wurde, die uns zufällig über den Weg lief. „Wir kennen uns aus dem Landfrauenverein“, wurde ich sofort aufgeklärt. „Mit der möchte ich mich anfreunden, weil die so gut aussieht“, sagte sie. Das ist ja unglaublich, dachte ich und fragte, ob sie Doria Gray kennt. Woraufhin sie fragte, ob der auch hier in der Gegend wohnt und woher ich ihn kenne, sie hätte noch nie von ihm gehört. Da habe ich mir einen Spaß erlaubt und gesagt, dass der den Oskar Wilde sehr gut kennt. Sie zuckte nur mit den Schultern und sagte gelangweilt: „Den kenne ich auch nicht, wir haben wenig Kontakt zu Ausländern, denn das hört sich total Englisch an. Und was ist mit dem?“. Ich zögerte zunächst, doch dann sagte ich: „Ach, es gibt Zitate in dem Roman Das Bildnis des Dorian Gray. Zum Beispiel, ich wähle meine Freunde nach dem guten Aussehen, meine Bekannten nach ihrem guten Charakter und meine Feinde nach ihrem guten Verstand“. „Ach, so, der hat was geschrieben, darum kenne ich den nicht. Ja, das mit dem Verstand, das würde auch noch passen, denn clever ist die auch, ich lade sie einfach mal ein, denn wir kennen uns nur oberflächlich“. Wir waren damals endlich vor meiner Haustür angelangt und ich sagte nur: „Dann bis zum nächsten Mal“.

Aber nun glaube ich, dass die, die überrascht werden sollen, vielleicht Leute von Sylt sind, die sie kennen gelernt hat, als sie mit ihrem Schmusi, so nennt sie ihren Mann, im Urlaub war. Sonne, Strand, Meer und Wein. Man ist ausgelassen, in einer unbedarften, redseligen Stimmung. Und da rutscht einem schon mal so ein Satz heraus wie: „Wenn ihr mal im Sauerland seid, dann kommt doch einfach mal vorbei“. So könnte es gewesen sein, denn sie fahren doch schon jahrelang immer wieder nach Sylt. Ich meine dieses Ehepaar, das ich kenne. Besser gesagt, kenne ich eigentlich nur diese Frau. Sie arbeitet in einem Frisörsalon mit integriertem Nagelstudio im Empfang und wohnt ein paar Straßen weiter in so einem spießigen Sechzigerjahre-Bungalow. Da nützt es auch nichts, wenn sie den gelben Klinker mit einer Kletterhortensie bewachsen lässt, die ewig braucht für ein paar Zentimeter mehr an Größe und Volumen im Jahr, um das zu kaschieren, wofür sie sich mit einem Krisengesicht immer wieder zu entschuldigen versucht. Ich habe Efeu gelobt, aber es hat nichts genützt, die Kletterhortensie bleibt. Wir sind nicht befreundet. Nein, wir gehen lediglich seit einem halben Jahr zusammen zum Yoga und haben gleich am ersten Tag festgestellt, unsere Matten lagen nebeneinander, und wir kamen zwangsläufig ins Gespräch, dass wir denselben Weg haben. Sie läuft quasi an unserem Haus vorbei, klingelt kurz, und ich komme dann sofort heraus. Sie ist ziemlich schwatzhaft, so dass ich meistens diejenige bin, die zuhört. Und dann stelle ich mir vor, wie es sein wird, wenn sie demnächst ins Sauerland fahren. Mal etwas anderes sehen wollen, als immer nur Sylt. Das verstehe ich. Und die Einladung steht ja noch, wie sie erzählte. Sie ist eine ganz Taffe, immer so springlebendig, wirkt manchmal sogar überaus zappelig, was mir manchmal etwas auf die Nerven geht. Aber, sie kann den Gruß an die Sonne perfekt und wackelt dabei kein bisschen. Und sie wird nicht einfach losfahren. Ganz sicherlich wird sie sich gründlich vorbereiten. Wie zum Yogakurs. Auch da war sie zur ersten Stunde gut präpariert, denn sie turnt und entspannt sich auf einer perfekten Unterlage, die sich leicht zusammenrollen lässt und die sie mit einem breiten Gurt über der Schulter tragen kann. Meine trage ich als Rolle umständlich unter dem Arm. Und sie hat eine Designer-Wolldecke und ein Sitzkissen, das nicht die Form verliert, wie meins. Und dazu auch noch den teuersten Yogaanzug, der im Schritt keine Falten wirft. Alles ist perfekt und auch farblich aufeinander abgestimmt. Also wird sie es sich auch nicht nehmen lassen und eine Route für die Reise ausarbeiten, nach der sie sich richten, wenn es in Richtung Sauerland geht, beziehungsweise wenn sie fahren. Mit dem Mercedes in Silbergrau, den sie geleast haben. Sie nehmen immer das neueste Modell. Dann atmet sie tief den strengen Herstellungsgeruch ein, mit dem ein neues Auto die Luft des Innenraumes schwängert. Ganz tief, weil sie diesen Duft liebt, und ich denke nur, wie eklig! Aber es gibt tatsächlich ein Raumspray mit diesem Geruch. Habe ich ihr aber nicht erzählt, weil ich es überflüssig fand.

Eigentlich ist es so, dass ich gar nicht weiß, was ich mit ihr auf dem Hin- und Rückweg zum Yoga und vom Yoga reden soll. Sie ist ziemlich oberflächlich, man könnte auch sagen, dass sie einfach gestrickt ist. Außerdem war sie auf dem Weg zum Yoga kurz vor Weihnachten ziemlich böse auf mich, als sie mir von ihrem Arzt vorschwärmte, der eine wahre Konifere auf seinem Gebiet wäre und ich ihr heftig widersprach, indem ich behauptete, dass das überhaupt nicht sein könne. Doch, doch, sagte sie mit Nachdruck, als ich lachend wiederholte, dass er garantiert keine Konifere wäre. Sie reagierte so empört, dass sie abrupt stehen blieb und mich anstarrte und schimpfte, ich würde ihn nicht kennen, um ihn mies zu machen, und sie könnte ihn mir nur empfehlen, warum ich ihr nicht glaubte und wieso es da etwas zu lachen gäbe. Ich habe mir verkniffen, sie zu kompromittieren, dass sie ihren Arzt, der vielleicht tatsächlich eine Koryphäe auf seinem Gebiet ist, zu einem immergrünen Gehölz degradieren würde und schwieg dann mit ernstem Gesicht.

Und natürlich will sie von der Reise noch andere Eindrücke mitnehmen und viele Fotos machen, die sie sich an Regentagen immer wieder anschaut und in der Vergangenheit hängen bleibt. „Die ist bei ihr immer viel, viel schöner als die Gegenwart“, wie sie mir verriet, weil sie ständig unter Fernweh leidet. Ihr Gatte, ich weigere mich, ihn Schmusi zu nennen, hat nur genickt, als sie ihm davon erzählte, dass sie ins Sauerland fahren würden, und sie meinte etwas verschmitzt, dass er vielleicht nicht glaubt, dass sie tatsächlich Ernst macht mit Lüdenscheid. Und ich stelle mir jetzt vor, dass sie demnächst den großformatigen Bertelsmann Hausatlas aus dem Regal holt, der im Gästezimmer mit allen anderen wichtigen Büchern zur Verfügung steht und sucht in dem umfangreichen Inhaltsverzeichnis unter „L“ nach Lüdenscheid. Sie hat es schnell gefunden und ruft ihrem Gatten trällernd zu: „Lüdenscheid liegt gleich hinter Ludendorf, Seite 122 F 2“. Der Mann schüttelt den Kopf und sagt: „Ludendorf, wo soll das sein? Das wüsste ich doch, aber davon habe ich noch nie gehört. Lüdenscheid liegt in der Nähe von Remscheid und Wuppertal, da haben wir einen Kunden“. Sie hat irgendwann durchblicken lassen, dass ihr Gatte mit Küchengeräten aller Art zu tun hat. Mit Pürierstäben, Bestecken, Sparschälern, Drahtschwämmen aus Edelstahl und mit beschichteten Bratpfannen in allen Größen und Brätern auch aus Edelstahl, und er kommt daher beruflich viel herum und scheint die Gegend gut zu kennen. Aber die Frau zwitschert: „Aber hier steht es doch. Ludendorf! Und Lüdenscheid kommt gleich als nächstes unmittelbar dahinter. Sie schaut in seine Richtung und drückt die Spitze ihres Zeigefingers auf die Stelle des Inhaltsverzeichnisses. „Hier, hier, mein Lieber, hier steht es doch, schwarz auf weiß, ich kann doch lesen“. Der Mann legt genervt die Zeitung beiseite, steht auf, ist mit drei Schritten bei ihr und beugt sich über den aufgeschlagenen Atlas. Sie muss den Kopf zur Seite biegen, damit sie beide über der Seite vom Atlas Platz haben. Der Mann sagt: „Hier, lies, Lüdenscheid ist auf Seite 130-131 E 4, das sind acht Seiten weiter. Er blättert jetzt aber erst einmal die Seite 122 auf und rutscht mit dem Finger auf F 2. „Da ist es doch, Ludendorf, da siehst du es! Ludendorf ist ein Ort direkt am Kurischen Haff und in diesem alten Atlas unter sowjetischer Verwaltung, das war vor dem Krieg noch Ostpreußen“. Er blättert die ersten Seiten im Atlas auf und sagt: „Der Atlas ist von 1960, kein Wunder. Du musst auf die angegebenen Seitenzahlen gucken und dich nicht nach der alphabetischen Reihenfolge richten, meine Güte, das ist doch wohl logisch“. Die Frau beißt sich auf die Unterlippe und wimmert entschuldigend: „Stimmt, wieso habe ich denn nicht, ach, gut, dass ich dich habe, jeder von uns kann etwas. Und weißt du, ich kann uns jetzt mal eine schöne Reiseroute zusammenstellen und nachher gibt es Spiegeleier“. Sie konzentriert sich und findet den Gebirgszug Schneifel und den Zitterwald und beschließt, dass sie zuerst über Arloff in Richtung Köln fahren, sich dann nach rechts schlagen und Rast in Halver machen und dann schwupps, geht es ab ins Sauerland. „Das ist gar nicht so weit, wie ich dachte“, spricht sie zu sich selbst. Penibel schreibt sie alles auf ein DINA5 Papier. „Schade, dass die nicht in Heidelberg wohnen, da waren wir noch nie. Da ist es sicherlich netter als in Lüdenscheid. In Heidelberg haben schon viele Studenten ihr Herz verloren und darüber gibt es doch auch ein Lied“, zwitschert sie und weiß schon, dass sie keine Antwort bekommt. Der Mann antwortet tatsächlich nicht, er liest in der Zeitung. Und die Frau sagt: „Und was hat Lüdenscheid zu bieten, das musst du doch wissen“. Der Mann legt seine Zeitung auf die Knie, sein leerer Blick wandert nach oben zum Gardinenbrett, als er sagt: „In Lünsche, so sagen die Westfalen, hat Graf Zeppelin seine Luftschiffe bauen lassen, viel mehr weiß ich auch nicht. Ja, da gibt es auch noch eine Fußgängerzone mit Läden und einen Italiener, da war ich mal Pizza essen, eine Stadt eben, wie überall mit Kino und Rathaus und so“. Und dann stelle ich mir weiter vor, wie sie an einem sonnigen Morgen aufbrechen mit Butterbroten in Frischhaltefolie, hart gekochten Eiern und einer großen Thermosflasche mit einem Heißgetränk und einer Plastikdose mit Apfelspalten. Alles ordentlich sortiert in der alten, blauen Kühltasche mit Lillifee auf der einen und mit der Eisprinzessin Elsa auf der anderen Seite. Die Frau ist in großer Vorfreude, der Mann lässt sich nichts anmerken, dass er sauer ins Sauerland fährt, weil er das Fußballspiel von Schalke Null Fünf heute Nachmittag nicht im Fernsehen verfolgen kann und konzentriert sich auf die stark befahrene Strecke, auf der an diesem Morgen nur Idioten unterwegs sind, wie er feststellt. Sie fahren durch und machen keine Rast in Halver. Die Frau holt auf der Fahrt eine Klappstulle mit Pfeffermettwurst aus der Frischhaltefolie und reicht sie dem Mann. Bei Apfelspalten winkt er genervt ab. Für sich schält sie ein extrem hart gekochtes Ei. Der Dotter ist olivgrün und krümelig. Zusammen mit dem Dottergelb sieht es so schön aus, dass sie heimlich in Erwägung zieht, sich in den Farben ein Paar Stulpen für den Winter zu stricken. Steif gesessen kommen sie in Lüdenscheid an. Die Adresse stimmt noch. Das Navi hat sie ohne Schwierigkeiten hingeführt. Natürlich ist die Frau jetzt noch viel aufgeregter, als noch vor einer halben Stunde und zieht noch mal ihre Lippen mit dem kussechten, blutroten Lippenstift nach. Sie nehmen die erste Parklücke und gehen den Rest zu Fuß. Ihre Augen suchen die Häuser nach der Hausnummer ab. Und dann stehen sie vor der Tür eines vierstöckigen, altrosa Mietshauses in einer öden Straße. „Hier ist nicht ein Baum“, stellt die Frau mit heruntergezogenen Mundwinkeln fest und schaut skeptisch nach rechts und nach links. „Wie die wohnen, das hätte ich nicht gedacht“, flüstert sie gedehnt und abwertend. „Psscht“, raunt der Mann. Und sie erinnert sich noch ganz genau an die wahnsinnig lustigen und netten Leute in ihrem Urlaub auf Sylt, als wäre es erst gestern gewesen. Die wollten eigentlich am FKK-Strand bleiben, einfach mal so ausprobieren und auch mal nahtlos braun werden, erzählte das Ehepaar ihnen, als sie am Eisstand aufeinander trafen und ins Gespräch kamen. Aber da waren ihnen dann doch zu viele Nackte, die nicht dezent auf ihren Wolldecken blieben, sondern herumhampelten, Rad schlugen, Federball spielten und so, wie sie das unangenehm berührt ausdrückten, als wäre das äußerst unanständig. Na, ja, entschuldigten sie sich, wir sind durchaus nicht prüde, aber wir haben es ja heute wieder hautnah erlebt. Die nehmen keinerlei Rücksicht, und jetzt reicht es! Wir, so unauffällig wie möglich unten auf dem Badelaken und die allesamt Splitterfasernackten schamlos an unserem Strandkorb vorbei oder davor, und wir dann auf Augenhöhe mit ihren Sachen, sie wissen schon, was wir meinen, das erträgt ja kein anständiger Mensch, ohne das einem übel wird und man die Lust verliert. Ab morgen sind wir da jedenfalls weg. Und ER! Jetzt nenne ich ihn auch wenigstens einmal Schmusi, weil es in diese Szenerie so gut passt. Also, ER, nicht ganz so breite Schultern, wie sie es bestimmt gern gehabt hätte und unten schmal wie ein Hering. Jedenfalls kein flotter Hecht. Ich denke mal, er ist Ende fünfzig, mit silbernem Brusthaar auf der von einer halben Woche leicht gebräunten Haut in einer viel zu knappen Badehose, in die er sich gezwängt hatte, die aber von ausgezeichneter Qualität war. Die muss schon verdammt alt gewesen sein, denn da war das Seepferdchen ordentlich von seiner Mutter aufgenäht und überhaupt noch nicht vom vielen Baden und Waschen ausgeblichen, sondern noch ganz deutlich zu erkennen. Auch bei steifer Brise hatte er wahnsinnig gute Laune, nicht wegen des Seepferdchens, sondern überhaupt immer. Sogar, als er an dem einzigen Regentag im Strandkorb nichts als diese alte, knappe Badehose trug, vermasselte ihm das nicht das großartige Gefühl von herrlicher, textiler Befreiung, obwohl er leicht fröstelte. „Meine Frau ist mein Hobby“, flötete er, wenn er auf seinem Frauchen, so nannte er sie zärtlich, großzügig die Sonnenmilch verteilte. Und SIE! So viel gesalbte Haut und so wenig Bikini in frechem grün, und so viel Gold an den Fingern, seit vorigem Tag auch noch mit in Silber gefasstem Bernstein um den Hals und als weiteres Kettchen bis runter ans rechte Fußgelenk. Und so ein spritziges Lächeln, das sie über Mund, Nase, bis rauf über die Wangen und die Stirn schickte, wenn ER nicht nur Lacherfolge bei den Damen einheimste, sondern auch von den Männern Beifall bekam. Dann räkelte sie sich behaglich auf dem kunterbunten Badelaken, stützte sich mit den Ellenbogen auf, sah aus der Sandflohperspektive zu seinen gebräunten und geölten, strammen Waden im Strandkorb und dachte, mit dem über Jahre gewachsenen, sicheren Urgefühl, das ist MEINER!

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