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Kitabı oku: «Seefahrt ist not!», sayfa 11

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Wie der Fischermann inmitten der vielen Fische kein Stückchen wegwirft, wie er auch die letzte Gräte absaugt, so läßt er keinen Streek aus und fischt tags und nachts, sonntags und alltags.

Was für ein Leben! Störtebekers Backen glühten, seine blauen Augen leuchteten wie die Elbe an Sonnentagen. Sie fischten ja, sie fischten ja! »Junge, Vadder, dat ist wat, dat mokt Spaß«, versicherte er immer wieder und sprach die ganzen zwei Segelstunden von nichts anderem als von dem Streek. Die Seekrankheit war vergessen. Er holte sich ein dickes Stück Schwarzbrot aus dem Schapp und aß es, trank Kaffee dazu und war guter Dinge. In der Weite kurrten mehrere Finkenwärder, aber dicht bei ihnen segelte niemand. Sie hatten das Feld allein.

Wie im Flug verging die Zeit.

»Is so wiet«, sagte Klaus Mewes. »Nu rop jüm man!« Freudig sprang Störtebeker über die Luken, schob die halbgeöffnete Kapp zurück, kletterte die Treppe hinab und grölte so laut er konnte: »Kap Horn un Hein, upstohn! Weut intehn! To, gau! Vadder hett dat seggt!«

»Jo«, brummte Hein Mück, dem ein schöner Traum von seiner Gesine durch die Lappen ging, und grabbelte nach seinen Stiefeln, Kap Horn aber schwang sich auf die Bank und schalt: »Wat is dat egentlich forn Snack von wegen upstohn, Klaus Störtebeker? Du meenst woll, du büst hier bin Buern, wat? Weest du nich, dat an Bord allens utsungen warrn mutt? Paß mol op, so heet dat:

 
›Reis ut, Quarteer, is mien Verlangen,
reis ut, quarteer, in Gottes Nom!
De een von jo salt Ror verfangen,
reis ut, Quarteer, de Wacht is don,
acht Glosen sünd slon!
Reis ut, Quarteer, in Gottes Nom!‹«
 

»Junge, dat is jo en ganzen Gesang«, rief Störtebeker, »den kank ne beholen!« Dann rüttelte er Hein, der auf der Bank wieder eingedusselt war: »Schall ik irst mitten Pütz Woter kommen? Hebb ik di ne seggt, du schullst upstohn?«

»Du kriegst gliek een annen Blackputt, wat van hier no Amsterdam flügst«, drohte der Junge mürrisch und erhob sich.

Störtebeker wich nicht vom Fleck, bis sie fertig waren. Als sie alle drei an Deck kamen, hatte sein Vater den Ewer schon in den Wind schießen lassen, die Fock war gefallen und die Möwen flogen schon wieder über den Masten.

Sie legten die Leine um die Winsch und hievten. Es ging noch schwerer als vorher, so daß Störtebeker rief, da säßen gewiß hundert Stiege Schollen drin. Ihr Seefischer, die ihr ihn auslacht: Erwehrtet ihr euch der Gedanken an große Fänge, an reiche Schätze, wenn ihr die Kurre einzogt? Wenn‘s auch vorher nur Tang und Schlick und Steine gewesen waren, was ihr zutage gehoben hattet: Kam nicht bei jedem Streek die Hoffnung wieder, daß es auch einmal etwas anderes sein könnte? Der Bauer, der Gerste gesät hat, weiß, daß er nichts anderes ernten kann. Aber der Fischer, der nicht sät (Sehet die Fischer an: Sie säen nicht und ernten doch, hatte Pastor Evers gepredigt), für den ein anderer die Saat bestellt, der unbekannte, geheimnisvolle Äcker und Felder beharkt: Was kann der alles ernten? Störtebekers Gold liegt immer noch auf dem Grund der See. Ein Fischer wird es einmal finden, heißt es. Diese Hoffnung auf Großes, Unsichtbares, die sich bei jedem Streek erneuert, ist es, die auch dem armseligsten Fischerewer vor allen anderen Schiffen etwas vorausgibt. Und sie ist es, die Fischer werben wird, solange die See nicht zugeschüttet ist.

Klaus Mewes mußte Hein Mück und seinem Jungen das Abstoppen für eine Weile überlassen, denn ohne seine Bärenkraft ließ die Winsch sich diesmal nicht drehen. Endlich konnte der Kurrbaum festgemacht werden. Diesmal riß Störtebeker schon kräftig mit an der Kurre, denn er wußte jetzt, worauf es ankam, und kümmerte sich wenig darum, daß er naß wurde. Sogar Seemann half: Er biß sich an den Maschen fest und zerrte unter großem Geknurr.

Als das Steerttau losgeknotet war, donnerte ein so schwerer Stein auf das Deck, daß der Ewer erdröhnte. Das war der vermeintliche reiche Segen! Zum Glück waren aber auch noch Schollen in der Kurre. Sie wanderten in den Bünn. Der große Felsen blieb einstweilen an Deck liegen. Klaus Mewes wollte ihn hier nicht über Bord werfen, sondern gedachte ihn an einer Stelle sacken zu lassen, wo nicht gefischt wurde, wo er also keinem Fischer mehr beschwerlich und keinen Kurren mehr gefährlich werden konnte. Störtebeker schrubbte ihn ab und setzte sich darauf, als die Sonne ihn getrocknet hatte.

Kap Horn übernahm die nächste Wache. Störtebeker, der noch nicht wieder schlafen konnte, blieb bei ihm und half ihm beim Zusammenbinden und Aufhängen der Scharben, die der Wind nun trocknen mußte. Der alte Janmaat freute sich, daß der Junge so viel von ihm hielt, und erzählte ihm Geschichten von der großen Fahrt, die noch all seine Gedanken füllte wie der Wind die Segel, und die er nicht vergessen konnte: Geschichten von Albatrossen und Eisbergen, von Schiffbrüchen und Piraten, von Schinesen und Negern, von Haifischen und schneebedeckten Bergen, von dem Fliegenden Holländer, von der Linie und dem Sargassomeer bei Westindien, in dem kein Schiff von der Stelle kommen konnte. Auch die berühmte Aalgeschichte von Hans Fink erzählte er ihm. Die war so: Als Hans auf großen Schiffen fuhr, bekam seine Bark einst zwischen Kapstadt und Singapur ein Leck in den Boden. Sie wollten es dichten und konnten nicht, denn das Wasser sprudelte immer stärker. Da riefen sie Hans Fink, den Zimmermann, daß er es dicht mache. Als Hans aber angelaufen kam und gerade anfangen wollte zu arbeiten – in die Hände hatte er schon dreimal gespuckt —, wat meent ji woll: Mit einem Mal taucht ein großer, dicker, fetter Aal vom Grund der See auf, steckt den Kopf durch das Loch und bleibt drin sitzen. Hans Fink holt ruhig sein Knief aus der Tasche, das mit der knöchernen Schale, das er noch heute hat, schneidet dem Aal Kopf und Schwanz ab und läßt sich vom Smutje Hamburger Aalsuppe davon kochen. Und das Schiff ist dicht und macht nicht einen Tropfen Wasser mehr, so daß sie glücklich in Singapur ankommen, weil Hans Fink so schlau gewesen war.

Gotts den Dünner – was für eine Geschichte. »Minsch, wat kannt angohn«, rief Störtebeker verdutzt, »wie grot is dat Leck denn wesen?«

»Och, so as mien Arm dick is!«

»Son dicke Ool gifft ober nee!«

Kap Horn ließ sich nicht aus dem Kurs bringen. Es wäre eben ein Seeaal gewesen!

»Veel Pund schull de woll wogen hebben?«

»Dor mutt ik um legen, Störtebeker. Hans Fink meent ober, he kunn em op foftein Pund taxieren!«

Der Junge kam auch jetzt noch nicht über den sonderbaren Fall hinweg und trieb den Knecht zuletzt in die Enge mit der Frage: »Jä, nu segg mi ober mol: Wat hett he denn den Stert afsneen kregen? De seet doch bugenburds?«

Da saß Kap Horn mit seinem Aal fest und wand sich selbst wie ein Aal, er suchte beim Kompaß und bei den Segeln Rat, ohne ihn zu finden. Zuletzt rettete er sich durch einen Hasenseitensprung, indem er tiefsinnig erklärte: »Dor heff ik Hans noch nich no frogt! Wenn ik em annen Diek drop, will ik ober noch mol mit em über den Krom snacken.«

Noch viel mehr Geschichten erzählte er, während sie stetig fischten: von Jan Wurts kleinem Haus, das so klein war, daß viele darüber fielen und viele es für einen Maulwurfshügel hielten. Einmal erlebte Jan Wurt eine dreitägige Sonnenfinsternis, weil Hannis Loop, der beim Lohen war, sein Großsegel aus Versehen darüber gebreitet hatte. Ein andermal steckte der große Karsten Külper es im Vorbeigehen in die Jackentasche, und als er nachher bei Madam auf Musik war, zog er es heraus und stellte es auf den Tisch zwischen die Groggläser und Bierseidel mit den Worten: »Kiekt, Junggäst, wat ik annen Feekstreek funnen hebb!« Seine Macker, die Seefischer, aber lasen das Schild an der Tür:

Jan Wurt Elbfischer und sagten, da hätte er schön was gemacht: Das sei Jan Wurts Haus. Und ehe der große Fischermann noch recht begriff, was er angerichtet hatte, ging die Tür des kleinen Hauses auf, und Jan guckte heraus. Die Groggläser und den Saal sehen und einen großen Lärm machen, war eins bei ihm. Alle Tänzer kamen aus dem Takt, die Musikanten konnten nicht weiterspielen, eine so gewaltige Lunge hatte der kleine Mann, so konnte er grölen und schelten! Der große Karsten wurde immer kleiner und wäre am liebsten unter den Tisch gekrochen, es half ihm aber nichts: er mußte das Haus wieder hintragen, wo er es hergenommen hatte, und am anderen, hellichten Tag mußte er den Deich entlang und Abbitte vor Jan Wurt tun. Alle Leute lachten ihn aus.

Als des Erzählens ein Ende war, machte Kap Horn dem Jungen aus umgedrehten kleinen Rochen die sonderbaren Seeaffen zurecht und lehrte ihn den Kompaß nach der Weise:

 
West zum Norden, Westnordwest,
unsre Freundschaft stehet fest;
Süd zum Osten, Südsüdost,
deine Liebe ist mein Trost!
 

Nur spielen wollte er nicht, denn er behauptete, mit der Harmonika mache er die Fische bange. Dafür aber bastelte er ihm eine Angel für Makrelen und Katzenhaie, beschwerte sie mit dem Lot und fierte sie achteraus. Es war nur schade, daß nie etwas angebissen hatte, sooft sie Störtebeker auch heraufzog.

Schon strichen einzelne Möwen über den Ewer hin, als wenn sie sagen wollten. Man to, wi sünd all hungrig!

Da sang Störtebeker zum Einziehen, und die Arbeit begann wieder. Dieser Streek brachte nur fünf Stiege. Sie segelten deshalb westlicher, bevor sie wieder aussetzten. Hein Mück kam an die Reihe. Störtebeker aber leistete auch ihm Gesellschaft, weil er noch nicht müde war, er ließ sich von ihm im Steuern unterrichten und steuerte allein, als Hein sich als Koch betätigen, die Klöße rollen und die Kartoffeln zu Pott bringen mußte. Das war etwas für ihn: allein an Deck zu sein und allein zu steuern. Wie paßte er auf, daß kein Segel zu klappern anfing, daß sie immer voll standen, daß er nicht aus dem gegebenen Kurs kam, wie suchte er die See ab, daß er keine Havarei machte! Sein Vater hätte ihn sehen müssen!

Als Hein wieder die Wache übernahm, sprachen sie über Ostermoonen und Binsenschiffe, über Hechtschnarren, Jimpenfischen, Kaninchenzucht und andere Dinge vom Deich, sie einigten sich über die fischreichsten Gräben und beschwörten Karkmeß, Weihnachten und Fastelabend herauf, die drei großen Feste, die nun bald kamen.

Dieser Streek brachte gute zwanzig Stiege Schollen, als sie aber nach dem Mittagessen – gekochte Rochen gab es, etwas Köstliches – an Deck gingen, um die Kurre wieder auszusetzen, da war der Wind schlafen gegangen und der Ewer steuerte nicht mehr; da mußten sie das Fischen aufgeben. Stundenlang dümpelte der Ewer auf der starken Dünung hin und her wie in schweren Träumen, die Gaffeln knarrten, und die Schoten schlugen mit den Blöcken.

Das war die schlechteste Zeit für die Fischerleute. Selbst Klaus Mewes machte ein verdrießliches Gesicht. Wie unsinnig schlug das herrenlose Ruder hin und her, willen- und machtlos war der Ewer der Meeresdünung und der Seeströmung ausgeliefert, die mit ihm spielten wie Löwen mit der Maus. Störtebeker wunderte sich sehr über diese unruhige See und diesen tanzenden, rollenden Ewer bei so totenstiller Luft.

Einer schlief einen Stremel, der andere lag auf den Luken, der dritte lief an Deck auf und ab: Sie wußten die Zeit nicht hinzubringen, so jäh waren sie aus der schönen Fischerei gerissen worden. Wie guckten sie nach dem Himmel, wie sehnten sie Wind herbei! Klaus Mewes schüttelte das Wetterglas, als wenn darin die Brise säße. Zuletzt schleppte er die angefangene Kurre an Deck, denn drinnen war es heiß, und knüttete in großer Ungeduld. Und Kap Horn spielte wieder Segelmacher, diesmal aber auf den Luken. Hein Mück kochte Störtebeker einige Taschen, die dieser unter den Flügelschlägen und dem Gekreisch der Seemöwen aufklopfte und verzehrte.

»Kratz man mol annen Mast, denn kummt Wind«, rief Kap Horn, aber Störtebeker lachte ihn aus und sagte, das sollte er seine Großmutter man tun lassen. Dagegen hielt er scharfen Ausguck nach Windwolken an der Kimmung.

Es kam aber kein Wind durch. Die See wurde allmählich ruhiger. Gegen Abend sichtete Störtebeker drei Torpedoboote nicht weit vom Ewer; mit einem Mal erhob er großen Lärm, rief das ganze Schiffsvolk auf und sagte: Eins von den Torpedobooten, den schwarzen Schiffen, sei eben umgekippt und untergegangen. Da wurde er aber gewaltig ausgelacht, denn was er für Torpedoboote gehalten hatte, das waren Tümmler, die träge auf dem Wasser trieben und mitunter heisterkopf schossen und untertauchten. Von ihnen tauchten allmählich immer mehr auf, mitunter erschien auch der Kopf eines Seehundes. Ließ sich aber einmal einer einfallen zu schreien, dann mußte man Seemann sehen, wie er aus seinem Handschuhberg stob und bellend und knurrend am Setzbord wütete! Störtebeker sagte, er könnte sich darüber totlachen.

Es blieb die ganze Nacht still – erst gegen Morgen kräuselte sich die Dünung. Da konnte zur allgemeinen Freude wieder gefischt werden.

So trieben sie den Schollenfang noch vier Tage bei wechselnden Winden, oft von Stillen heimgesucht, und kamen immer östlicher, bis Langeoog hinauf. Dort sprach Klaus Mewes das erlösende Wort: »Utscheiden!« Sie hatten zweihundertfünfzig Stiege, der ganze Bünn saß voller Schollen, sie hatten die Reise!

Nach der Elbe ging es aber nicht, des weiten Weges wegen, sondern nach der Weser. Störtebeker sollte es bestimmen. Er war natürlich für die Weser, denn dort gab es etwas für ihn zu sehen. Und dann: An der Weser wohnte keine Mutter, die ihn möglicherweise wieder von Bord holte, wohl aber an der Elbe.

Überhaupt die Elbe und der Deich, was gingen sie ihn noch an? Er dachte kaum noch daran, so weit weg lag das alles, seit er mitfischte. Vergessen waren Krähe und Kaninchen, und die Bungen konnten sich ruhig mit Spinnweben bedecken. Er fragte nicht mehr danach, so sehr war er in der Seefischerei und in der Seefahrt aufgegangen.

Mit gefierten Schoten segelten sie nach der Weser. Da bekam Störtebeker zum erstenmal das Wunder der Nordsee zu sehen, den zwei Jahre zuvor errichteten Rotesand-Feuerturm, den mitten im Meer stehenden, rot-weißen Riesenpilz, dessen Feuer ihm schon manchmal gezeigt worden war. Kap Horn meinte, der würde wohl ebenso spurlos im Meer verschwinden wie sein Vorgänger, weil er auf Sand gebaut sei und nicht auf Felsen wie der Turm von Eddystone. Aber Klaus Mewes sagte: Einerlei. Bremen hätte da sein Meisterstück geschaffen. Störtebeker wunderte sich am meisten über das Rettungsboot, das dort haushoch über dem Wasser hing. Und daß dort oben zwei Leute wohnten und schliefen.

Sie kamen nachts in der Geeste an und verhökerten am anderen Morgen ihre Schollen. Sie wurden sie auch zu gängigen Preisen los, denn sie waren nur zu fünft, und das war für Bremerhaven und Geestemünde nicht viel, zumal Klaus Mewes, der hier an der Unterweser bekannt war, den Geestendorfer Ausrufer Konrad mobil machte, der mit seiner Glocke und mit seiner rostigen, durchdringenden Stimme die abgelegenen Straßen abklopfen mußte. Sie nahmen etwas Proviant ein, vor allem Schiffskeks, nach dem Störtebeker ein großes Verlangen hatte, dann Büffelfleisch und Zucker aus dem Freilager, und gingen am Abend schon wieder hinaus. Der Neß bekam nur eine Postanweisung über zweihundert Mark und einen kurzen Brief, den Klaus bei Kinau in der Achterdönß schrieb, während Störtebeker sich von Marta und Mieze, den Töchtern des Fischerwirts, denen der kleine Fischerjunge sehr gefiel, im Billardspiel unterrichten ließ.

Der Junge sei gesund und munter, hieß es in dem Brief, den der Seefischer schrieb. Er sei nur einen Tag seekrank gewesen, nun wisse er schon nichts mehr davon, er habe große Lust zu der Fischerei und sei immer vergnügt, Heimweh kenne er nicht. Er ließe schön grüßen. Heute abend gingen sie wieder hinaus und kämen bald mit Schollen nach der Elbe. Störtebeker ließe ihr noch sagen, sie solle die Krähe und die Kaninchen nicht vergessen.

Den Gruß und die Viehfrage hatte Klaus sich aus den Fingern gesogen, denn Störtebeker hatte jetzt ganz andere Dinge im Kopf. Er wollte Bremerhaven sehen, das große Denkmal und die Schinesen auf den weißen Lloyddampfern, aber dazu war diesmal keine Zeit. Sie mußten an Bord und nach See.

Nach neun Tagen lagen sie wieder mit Schollen an der Kaje zu Geestemünde. Da wehte es zwei Tage, und nun bekam Störtebeker alles zu sehen, was er sehen wollte.

Elfter Stremel

 
Roland der Ries‘ am Rathaus zu Bremen,
Kämpfer einst Karls in der Schlacht;
Roland der Ries‘ am Rathaus zu Bremen,
Jetzo wie einst noch steht er und wacht!
 

H. F. 125, Laertes, Unterscheidungssignal R. T. F. B., 28 Registertonnen groß, geführt vom Schiffer Klaus Mewes, lag zu Bremen-Stadt an der Schlachte mit lebendigen Schollen. Das trübe gelbe Wasser der Weser gurgelte um seinen Bug, und die Giebel der hohen Speicher blickten überlegen auf ihn herab, denn sie standen schon zweihundert Jahre und hatten Güter aller Zonen unter ihren Dächern. Auf der Kaje standen die Bremer Jungen und lachten über den kleinen Stintmajor, wie sie Störtebeker nannten. Als sie sich aber einfallen ließen, mit Steinen nach ihm zu werfen, da rief er: »Ji verdreihten Zigarrenmokers!« (das hatte er von Kap Horn aufgeschnappt), zog seine Seestiefel aus und ging ihnen mit der Handspake und mit Seemann zu Leibe, bis sie die Flucht ergriffen.

Die Bremer Bürgerfrauen, Fischweiber, Köchinnen und Arbeitsleute waren minder stolz als die alten Speicher und minder feindselig als die Jugend. Sie kamen mit Körben und Netzen, mit Taschen und Eimern, besahen die Fische und kauften und kauften. Klaus Mewes, der auch die Bremer zu nehmen wußte, war den Fang bald los, zumal er ganz allein an der Schlachte lag. Der verrufene schiefe Weg nach Bremen hielt die anderen Ewer fern.

Um die letzten Stiege stritten sie förmlich. Ein Kampf um die Schollen entbrannte, dem Klaus Mewes lachend und mit seiner vollen Tasche klirrend zusah, bis er sagte: »Nu is de Putt ut: Hein Mück, deck de Luken to!« Dann zählte er mit Störtebeker die vielen Groschen, Marken und Taler. Es war wieder eine gute Reise, die die vielen Wind- und Stillentage, die dahinter lagen, vergessen ließ.

Nach Mittag machten Klaus Mewes der Große und der Kleine und Kap Horn sich landfein und zeigten einander Bremen. Zunächst steuerten sie wie alle Fremden den Markt an und besahen den gewaltigen Dom, die graue Börse, den vergoldeten Schütting, das gründachige, verwitterte Rathaus und das hohe, steife Standbild, die Rolandssäule. Störtebeker gefiel von all diesen Bauwerken eigentlich nur der Dom mit den beiden hohen Türmen. Das Rathaus war ihm viel zu alt und zu voller Grünspan; das könnten sie auch mal abschrubben, meinte er vorwurfsvoll. Der Roland aber war ihm nicht bunt genug und machte ein zu dummes Gesicht: als wenn er nicht bis fünf zählen könne, lachte er.

Er verstummte aber, als sie dann am Denkmal des Heidenbekehrers Wilhadi vorbei in den halbdunkeln, riesengroßen Dom traten, mit den leuchtenden Glasmalereien und der reichen Pracht der Wände, die dem nordischen Gotteshaus etwas Südlich-Katholisches gaben; denn da gingen sie unhörbar auf weichen Teppichen, und alles war so still und feierlich, wie es an dem Morgen gewesen war, als sie hinter Langeoog gelegen hatten und das Läuten der Glocken zu hören gewesen war. »Hier in Bremen hett de lebe Gott dat doch beter as in Finkwarder«, flüsterte er seinem Vater zu, der leise lachen mußte.

Sie besahen den Bleikeller unter dem Dom, in dem keine Leichen verwesen und die Särge reihenweise stehen. Schwedische Gräfinnen, englische Majore, bremische Bürger lagen da gelb und lederartig in offenen Steinsärgen, und die Ecken waren mit Totenschädeln ausgefüllt. Um die fortwirkende Kraft des Gewölbes zu beweisen, hingen auch frische Ratten, Hühner und anderes Getier an den Pfeilern. Die trockene Luft des Raumes benahm den Seefischern fast den Atem, weshalb sie sich dort nicht lange aufhielten.

Als sie wieder vor dem Dom standen, sagte Kap Horn, er könne den bösen Geschmack nicht wieder loswerden. »De mütt dolspeult warrn«, sagte Klaus. »Lot uns man eenen genehmigen! Kumm, de Rotskiller is jo bi de Hand!«

»Rotskiller? Büst nich klok, Klaus? Dat is bloß wat for de Groten, for Reeders und Käppens, dor gifft bloß Wien, Minsch!« rief Janmaat, aber Klaus Mewes nahm ihn am Arm und bugsierte ihn in den von Hauff und Heine besungenen Bremer Ratskeller hinein.

»Een van de Groten bün ik ok«, sagte er stolz. »Ik bün Reeder und Käppen, un Wien mag ik ok, un op de scheune Reis kann sowieso een up stohn! Kumm, Störtebeker!«

Da gingen die drei getrost in den Ratskeller hinunter, setzten sich mitten zwischen die Pfeiler und besahen die Hausgelegenheit.

»Finkwarder Fischermann kann allerwärts to Anker gohn«, lachte Klaus. »Büst ok bang, Störtebeker?«

»Ne, bang bün ik ne, Vadder.«

Mißtrauisch kam einer der Kellner näher, denn diese Jan vom Moor konnten wohl nur versehentlich die Treppe heruntergefallen sein, die wollten gewiß zu Heini Holtentüffel und bei dem eine kleine Lage trinken. Als Klaus Mewes, der es merkte, ihn groß und frei ansah und mit lauter Stimme zwei Flaschen Rheinwein zu einem Taler den Buddel und ein Glas süßen Weins für den Jungen bestellte, da nickte er aber höflich und brachte das Verlangte.

Es schien allgemein aufzufallen, daß der Finkenwärder so laut und plattdeutsch sprach, denn an allen Tischen drehten sich die bedächtigen, geruhsamen Bremer nach ihnen um. Aber Klaus Mewes ließ sich dadurch in keiner Weise stören. Er rief den Kellner, und sie ließen sich durch alle Räume führen. Sie sahen die Rose an der Decke, die ein italienischer Maler gemalt hatte, weil er seine Zeche nicht bezahlen konnte. Sie sahen Fässer, die so groß waren wie ein kleines Haus, sie kamen durch den Apostelkeller, in dem zwölf nach den Jüngern benannte Fässer lagen, von denen der Judas sauer war, sie hörten von Wein, von dem jeder Tropfen dreitausend Mark kostete.

Endlich hievten sie den Draggen und stiegen wieder ans Tageslicht. Die Bremer Stadtmusikanten, die Störtebeker noch durchaus sehen wollte, waren nicht auszumachen, so gingen sie durch die Langenstraße an dem schnörkelgesegneten Essighaus vorüber zum Ewer zurück.

Nicht so gut lief die Fahrt ab, die Hein Mück abends unternahm. Er konnte das Bremer Bier so wenig vertragen, daß er allerhand Havareien machte und schließlich von einem Schutzmann an Bord gebracht werden mußte. Als er auch da sich nicht geben wollte, goß Klaus Mewes ihm einfach eine Pütz Weserwasser über den Kopf, um den großen Brand zu löschen.

Keine Luft von keiner Seite…

Dwars von Spiekeroog, aber ohne Sicht von Land, steht der Ewer totenstill auf dem spiegelglatten Meer. Drei Tage haben sie schon keinen Wind mehr gehabt; zwei Tage hat die Dünung geknarrt und gelärmt, nun am dritten Tag ist das Meer so glatt geworden, wie es selten vorkommt. Drei Tage schon ruht die Fischerei, hängt die Kurre am Mast, ist das Ruder mitschiffs festgestroppt. Die Sonne brennt steil auf das Deck nieder, das so heiß ist, daß sie Schollen darauf braten könnten und daß das Pech in den Nähten weich wird. Von den Wanten leckt der Teer.

Plackendotstill ist es, wie Störtebeker, der Munterste an Bord, immer wieder versichert. Ein Brett, das er ins Wasser geworfen hat, um die Strömung zu erkunden, bleibt stundenlang neben dem Ewer liegen. Das große Schiff ist tot, und tot ist die See. Nicht einmal eine Möwe läßt sich sehen.

Seemann liegt im Schatten auf einem Stück Segeltuch und schnappt nach Luft. Kap Horn hockt auf der Diele neben dem Wasserfaß und liest in einem Buch, das ihm der Bremerhavener Seemannspastor mitgegeben hat, bis er dabei einschläft. Hein Mück hat das beste Teil erwählt: Er hat sich ausgezogen und steht nun nackt im Bünn, bis an den Hals im Seewasser.

Dem Schiffer gehen sie weit aus dem Weg, denn er ist wie ein gereizter Löwe, und es ist nicht gut anbinden mit ihm. Er kann nicht fischen – das sagt alles.

Er weiß nicht mehr, was er tun soll. Lesen? Son Schiet! Knütten? Son Snarrkrom! Fischen will er, Schollen greifen, kurren, segeln, kreuzen, denn sie müssen nun endlich mal nach Hause. Erst war ihm der Wind dazwischengekommen, der sie hinter Wangerooge gejagt hatte, dann war der Fang schlecht gewesen, drei magere Schollen im Streek! Und nun kam ihm noch die Stille in die Quere! Unruhig stand er vor dem Wetterglas und starrte es an, als wenn es an allem schuld wäre mit seiner ewigen deutsch-englischen Predigt: Sehr schön – very dry. Klaus Mewes konnte es nur als ›sehr schlecht – verdreiht‹ lesen.

Dann ging er wieder an Deck und spähte zum Himmel, als wolle er Löcher hineingucken. Dabei hörte er das Plätschern im Bünn. Erst wollte er Hein die Leviten lesen, daß der die paar Schollen im Bünn noch tot trat, dann aber dachte er: Dat mokst du ok! Und er zog sich auf der Achterplicht aus, setzte seinen alten Kameruner ab, rannte in Berserkerwut über Deck zum Steven, setzte vom Vorderpoller ab und sprang mit Hurra in die blaue See, tauchte tief unter und kam prustend wie ein Seehund wieder an die Oberfläche.

»Kiek mol ober, Kap Horn«, rief Hein Mück. »Ik gläuf, Klaus hetten Sünnenstich kregen!«

Der Knecht klappte das Buch zu und lief an Deck: Da schwamm sein Schiffer kräftig ausholend wohl zwanzig Faden vor dem Ewer und lachte und rief: »So ist mooi, Kap Horn!«

Seemann aber stand mit den Vorderfüßen auf dem Setzbord und bellte, und Störtebeker sagte in einem fort, er wolle auch mal schwimmen.

»Lot di man nich vonne Haifisch opfreten un krieg man keen Ramm inne Been«, warnte der Knecht, steckte eine Leine an den Rettungsring und warf ihn über Bord. Auch fierte er einen Riemen längsseit, damit der Schwimmer einen Halt hätte, wenn er dessen bedurfte. Schließlich setzte er mit Heins Hilfe noch den Kahn ins Wasser, stieg hinein und wriggte in die Nähe seines Schiffers, denn das Schwimmen in offener See, ohne Schwimmweste und Leine, war ihm ein Greuel und ein Frevel. Wie der Bauer sich niemals auf die Erde setzen sollte, so sollte der Fischer niemals in der See schwimmen.

Dennoch freute er sich über den rüstigen Schwimmer.

Mit einem Mal erhob Seemann ein zorniges Geknurre und Gescharre, und als der Knecht sich umdrehte, sah er Störtebeker nackt an Bord laufen und den widerstrebenden Hund zum Setzbord schleppen. »Störtebeker, wat mokst du?« rief er. »Klaus, kiek mol den Jungen!«

»Wenn se all swümmt, schallst du ok swümmen, un wennt mitten Dübel togeiht«, grölte Störtebeker und warf den winselnden Seemann kopfheister in die See. Dann nahm er einen Anlauf und sprang mit Hurra hinterher.

»Minschenkinners noch mol! Nu wollt se jo woll al versupen«, rief Kap Horn, als auch noch Hein Mück über das Schwert kletterte.

»Nimm Seemann man wohr, för Störtebeker will ik woll uppassen«, rief Klaus Mewes und schwamm an die Seite seines Jungen, der entrüstet sagte: »Du meenst woll, ik kann ne swümmen, Kap Horn, wat? As son Woterrott, kann ik di seggen! Kiek mol! Ik kann ok all duken: Paß up!«

Und weg war er, um prustend wieder aufzutauchen. »Junge, dat do ik ne wedder! Dat Woter is jo sult, dor hebb ik gorne an dacht! I, wat bitter!«

Klaus Mewes lachte vor Freude über seinen Jungen und hielt sich in seiner Nähe auf, um ihm beizuspringen, wenn seine Kräfte nachlassen sollten. Kap Horn aber zog den zappelnden Seemann in den Kahn und bewachte die drei kühnen Schwimmer und den großen, regungslosen Ewer, der wie tot auf dem Wasser lag.

So vertraute Klaus Mewes seiner Kraft und schwamm mit seinem Jungen in der See, als wäre es am Finkenwärder Bollwerk und nicht zwischen Spiekeroog und Helgoland auf zwanzig Faden Wassertiefe.

Wenn Gesa das gesehen hätte!

Als die Sonne untergegangen war und die Hitze etwas nachließ, saßen sie allemann auf Deck. Dort aßen sie auch Abendbrot, denn in der Kombüse war es nicht auszuhalten. Dann schliefen sie in alten Segeln auf den Bänken und auf der Diele. Kap Horn ging die Wache.

Gegen Morgen stieg unter der englischen Küste ein Gewitter aus der See und fegte dunkel und drohend heran. Mit ungeheurer Schnelligkeit verbreitete es sich über den sternklaren Himmel, furchtbar knallte der Donner, und die ganze Wolke saß voll von Blitzen. Aber Klaus Mewes und seine Gesellen begrüßten das Wetter mit Freude, denn nun mußte ja auch Wind kommen und sie erlösen.

Als die ersten großen Tropfen fielen, holten sie die Segel nieder und gingen hinunter, denn bei einem Gewitter an Deck sein ist der gefährlichen Nähe der Masten wegen nicht gut. Sausend harfte der Wind auf den Wanten, der Regen prasselte auf das Deck, die Masten dröhnten, der Ewer zitterte, die Lampe schwankte, die See kam allmählich in leise Bewegung. Geruhsam saßen oder lagen die Seefischer unter Deck und horchten. Als das Gewitter halb vorüber war, zogen sie die Ölröcke an und setzten Segel. Und im blauen Schein der letzten Blitze fierten sie die Kurre über Bord, denn nun hatten sie wieder Wind genug.

Ships that pass in the night…

Tiefdunkel, samtschwarz ist der Nachthimmel. Die Sterne funkeln um so heller um den Schleier der Milchstraße. Wie tanzt der Orion, wie blitzt die Wega, wie leuchten die Zwillinge, wie strahlt der Himmelswagen, wie gleißt der Aldebaran! Die Weltwiese hat sich aufgetan, die gewaltige Wisch, die mit abertausend weißen und bunten Blumen bewachsen ist und auf der Myriaden von Tautropfen glitzern.

Die riesenhaften, schwarzen Segel des Fischerewers aber sind wie gewaltige dunkle Kühe, die auf der großen Wiese in den Blumen grasen. Ruhig und bedächtig grasen sie und fressen sich langsam weiter.

Klaus Störtebeker steht bei seinem Vater am Ruder. Gesprochen wird in solchen Nächten nicht viel.

Eine Kühlung, eine leichte, westliche Brise, wandert über die See und gibt den Segeln die Kraft, die Kurre zu ziehen. Rot, grün und gelb spielen die Fischerlichter auf der Dünung. Die Kielfurche leuchtet, als ginge es durch Silber. Wo die Kurrleine ins Wasser taucht, gleißt sie wie ein diamantenbesetztes Zepter. Leise knarren die Gaffeln oben am Mast, und wie im Traum reißt der Klüver, der Jager, das kühnste aller Segel, an seiner Schot; über der Besan aber weht die dunkle Flagge im Nachtwind. Seemann schläft im Nachthaus neben dem Kompaß, und Klaus Mewes geht nach Schifferart auf dem Achterdeck hin und her, die Hände in den Taschen, während Störtebeker das Ruder mit einem Tau regiert, denn Steuern hat er längst gelernt.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
280 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain