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Erstes Kapitel
DAS ERSTE GEHEIMNIS:
Die verlorene Art des Betens
„Dieselbe Macht, die sowohl unvorstellbare Pracht
wie auch unvorstellbares Grauen hervorgebracht hat,
wohnt in unserem Inneren
und wird all unsere Befehle befolgen.“
- Heilige Katharina von Siena
„ES GIBT ETWAS „DA DRAUSSEN“. AUSSERHALB UNSERER ALLTAGSWAHRNEHMUNG GIBT ES EINE EXISTENZ ODER MACHT, DIE ZUGLEICH MYSTERIÖS UND TRÖSTLICH IST. WIR SPRECHEN ÜBER SIE, WIR SPÜREN SIE. WIR GLAUBEN AN SIE UND BETEN ZU IHR, VIELLEICHT SOGAR OHNE ZU VERSTEHEN, WAS GENAU SIE IST!
Alte Traditionen gaben ihr die unterschiedlichsten Namen, von „Netz der Schöpfung“ bis hin zu „Geist Gottes“, und wussten, dass diese Wesenheit existiert. Und sie konnten sie auch in ihrem Leben anwenden. In der Sprache ihrer Zeit hinterließen sie ihren Nachkommen genaue Anweisungen, die besagen, wie man diese unsichtbare Kraft einsetzt, um seinen Körper und seine Beziehungen zu heilen und Frieden in die Welt zu bringen. Heute wissen wir, dass alle drei Anliegen in der „verlorenen“ Art des Betens vereint sind.
Im Gegensatz zu traditionellen Gebeten, derer wir uns in der Vergangenheit bedient haben, bedient sich diese Gebetstechnik jedoch keiner Worte. Ihre Wurzel ist die stille Sprache menschlichen Gefühls. Sie fordert uns auf, tiefe Dankbarkeit zu empfinden, so, als ob unsere Gebete schon erhört worden wären. Durch diese Qualität des Fühlens, so glaubten unsere Ahnen, erhalten wir direkten Zugriff auf die Kraft der Schöpfung, den Geist Gottes.
Im 20. Jahrhundert hat die moderne Wissenschaft den Geist Gottes nun offenbar als ein Energiefeld wiederentdeckt, das sich von jeder anderen Energieform unterscheidet. Es scheint immer und überall präsent zu sein und seit Anbeginn der Zeit existiert zu haben. Max Planck, der Vater der Quantenphysik, behauptete, dass das Vorhandensein dieses Feldes nahelegt, dass eine hohe Form von Intelligenz für unsere physische Welt verantwortlich ist. „Wir vermuten einen bewussten und intelligenten Geist hinter dieser Kraft“, sagt er und erklärt mit einfachen Worten, dass dieser Geist die Matrix einer jeden Existenz ist. Zeitgenössische Studien, die ihn als Feld der Einheit bezeichnen, zeigen, dass Plancks Matrix tatsächlich Intelligenz besitzt. Es ist genau, wie die Alten sagten: Das Feld reagiert auf menschliche Gefühle!
Unabhängig davon, wie wir es bezeichnen oder wie Wissenschaft und Religion es definieren, steht fest, dass „da draußen“ etwas ist – eine Kraft, ein Feld, eine Existenz – ein großer Magnet, der uns permanent zueinander hinzieht und mit einer höheren Macht verbindet. Da wir wissen, dass diese Kraft existiert, wäre es sinnvoll, mit ihr auf eine Weise zu kommunizieren, die für unser Leben wichtig und nützlich ist. Letztlich müssen wir auch erkennen, dass dieselbe Kraft, die unsere tiefsten Verletzungen heilt und Frieden zwischen den Völkern schafft, auch den Schlüssel zu unserem Überleben als Spezies bereithält.
Bei dem im Jahr 2000 durchgeführten weltweiten Zensus soll es sich um die geschichtlich bislang genaueste Erhebung von Bevölkerungsdaten handeln. Zu den umfassenden Angaben, die diese Erhebung über unsere weltweite Familie enthüllt, gehört das beinahe universelle Gefühl der Menschen, dass wir zu einem bestimmten Zweck hier sind - und dass wir nicht alleine sind. Mehr als 95 Prozent der Weltbevölkerung glauben an die Existenz einer höheren Macht. Über die Hälfte davon nennt diese Macht „Gott“. Die Frage ist also weniger, ob es „da draußen“ etwas gibt, sondern viel eher, was dieses „Etwas“ für unser Leben bedeuten könnte. Wie können wir mit dieser höheren Macht sprechen, an die so viele von uns glauben?
Dieselben Kulturen, die vor tausenden von Jahren die Geheimnisse der Natur beschrieben, beantworteten auch diese Frage. Wie zu erwarten war, ist die Sprache, die uns mit Gott verbindet, in einem Erleben zu finden, das allen Menschen gemein ist, nämlich dem Erleben unserer Gefühle und Emotionen. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Qualität eines bestimmten Gefühls in unserem Herzen lenken, wenden wir tatsächlich die Art des Betens an, die nach der Veröffentlichung der Bibel durch die Christliche Kirche im 4. Jahrhundert größtenteils in Vergessenheit geraten ist. Um Gefühl als Gebetssprache verwenden zu können, müssen wir lediglich verstehen, wie Beten funktioniert. An den abgelegensten und verborgensten heiligen Orten, die es noch auf der Erde gibt, und insbesondere dort, wo die Einflüsse der modernen Zivilisation am geringsten sind, findet man einige der am besten erhaltenen Beispiele, wie man mit der Wesenheit spricht, an deren Existenz 95 Prozent der Menschen glauben.
Fühlen ist Beten
Alles, was ich eben gehört hatte, brachte mich sehr durcheinander. Die Kälte des Steinbodens, auf dem ich kniete, drang durch die zwei feuchten Schichten der Kleidung, die ich an diesem Morgen trug. Jeder Tag im tibetischen Hochland ist zugleich Sommer und Winter – Sommer in der Wärme der Sonne in dieser großen Höhe und Winter, wenn sich die Sonne hinter den zerklüfteten Gipfeln des Himalaja oder hinter den hohen Mauern des Tempels, die mich umgaben, zurückzog. Es fühlte sich an, als sei nichts zwischen meiner Haut und den alten Steinen auf dem Boden unter mir, und dennoch konnte ich nicht fortgehen. Das hier war der Grund, weswegen ich zwanzig andere Menschen eingeladen hatte, mich auf eine Reise zu begleiten, die uns um die halbe Welt führte. An diesem Tag befanden wir uns an einer der abgelegensten, einsamsten, großartigsten und heiligsten Stätten alten Wissens, die es noch auf dieser Welt gibt: den Klöstern des tibetanischen Hochlandes.
14 Tage lang hatten wir uns körperlich an eine Höhe von über 4800 Meter akklimatisiert. Wir hatten einen eisigen Fluss in handgefertigten Holzkähnen überquert und uns über den Mundschutz hinweg gegenseitig beäugt, den wir während der stundenlangen Fahrt als Filter gegen den Staub trugen, der durch die Bodenbretter des uralten chinesischen Busses einströmte. Obwohl der Bus aussah, als wäre er ebenso alt wie die Tempel, versicherte mir der Dolmetscher, dass dies nicht der Fall sei. Wir hielten uns an den Sitzen fest, sogar aneinander, und wurden in dieser abenteuerlichen Fahrt über halb fortgerissene Brücken und eine fahrbahnlose Wüste von oben bis unten durchgeschüttelt, und das nur, um zum richtigen Zeitpunkt an diesem besonderen Ort zu sein. Ich dachte mir: „Heute geht es nicht darum, dass es uns warm ist. Heute ist der Tag der Antworten.“
Ich lenkte meine gesamte Aufmerksamkeit auf die Augen des schönen, alterslos wirkenden Mannes, der im Lotussitz vor mir saß. Er war der Abt des Klosters. Über unseren Dolmetscher hatte ich ihm dieselbe Frage gestellt wie allen Mönchen und Nonnen, die wir auf unserer Pilgerreise trafen: „Wenn ihr betet, was tut ihr dabei? Wenn wir euch über 14 oder 16 Stunden tönen und chanten hören, dann sehen wir zwar auch die Glocken, die Klangschalen, die Gongs, die Glockenspiele, die Mudren und Mantren, aber was geschieht da in eurem Inneren?“
Während der Dolmetscher mir die Antwort des Abtes übermittelte, durchflutete ein kraftvolles Gefühl meinen Körper, und ich wusste, dass dies der Grund war, aus dem wir an diesen Ort gekommen waren. „Du hast unser Gebete nie gesehen“, antwortete er, „weil ein Gebet niemals gesehen werden kann.“ Der Abt schob sich die schwere Wollrobe zwischen seinen Beinen zurecht und fuhr fort. „Was ihr gesehen habt, ist nur das, was wir tun, um das Gefühl in unseren Körpern zu erzeugen. Fühlen ist Beten!“ Die Klarheit dieser Antwort brachte mich ins Wanken. Die Worte des Abts gaben die Gedanken wieder, die von alten gnostischen und christlichen Traditionen vor über 2.000 Jahren niedergeschrieben worden waren.
In frühen Übersetzungen des Johannesevangeliums (beispielsweise in Kapitel 16, Vers 24) werden wir aufgefordert, unsere Gebete dadurch zu verstärken, dass wir ein Gefühl in uns entstehen lassen, als ob unsere Wünsche bereits wahr geworden wären, genauso wie es auch der Abt beschrieb: „Bittet ohne hintergründige Motive und seid umgeben von eurer Antwort.“ Damit unsere Gebete erhört werden, müssen wir die Zweifel transzendieren, die häufig das positive Wesen unserer Wünsche begleiten. Durch die Worte Jesu, die in der Nag-Hammadi-Bibliothek als Aufzeichnung eines kurzen Diskurses über die Überwindung solcher Polaritäten zu finden sind, werden wir darin bestärkt, diese Polaritäten zu überwinden, uns vor den Berg zu stellen und zu sagen: „Berg, weiche zurück!“ Dann wird der Berg auch zurückweichen.²
Wenn dieses alte Wissen über einen so unendlich langen Zeitraum Bestand gehabt hat, muss es auch für uns anwendbar sein, selbst in der heutigen Zeit! Sowohl der Abt als auch die Pergamentrollen beschreiben mit fast denselben Worten eine Art des Betens, die in der westlichen Welt überwiegend in Vergessenheit geraten ist.
Heilige Lektionen aus der Vergangenheit
Das Beten gehört möglicherweise zu den ältesten und mystischsten Erfahrungen des Menschen – und auch zu den persönlichsten. Sogar bevor das Wort „Gebet“ in den spirituellen Praktiken auftauchte, wurden bereits in den frühen Aufzeichnungen der christlichen und gnostischen Traditionen Worte wie „Kommunion“ zur Beschreibung unserer Fähigkeit, mit den unsichtbaren Mächten des Universums zu sprechen, verwendet. Beten ist für jeden eine einzigartige und individuelle Erfahrung. Schätzungen zufolge gibt es fast ebenso viele Arten des Betens wie betende Menschen!
Gebetsforscher unserer Zeit haben vier übergeordnete Kategorien von Gebeten festgelegt, von denen man annimmt, dass sie sämtliche Arten des Betens umfassen: 1) Umgangssprachliche oder formlose Gebete, 2) Bittende Gebete, 3) Rituelle Gebete, 4) Meditative Gebete.³ Die Reihenfolge dieser Aufzählung ist willkürlich. Die Forscher gehen davon aus, dass wir uns beim Beten einer dieser vier Gebetsarten oder einer Kombination daraus bedienen.
So gut diese These sein mag, und so gut jede dieser Gebetsarten zu funktionieren scheint, gab es dennoch schon immer eine andere Art des Betens, die sich nicht in die oben erwähnte Liste eingliedern lässt. Diese fünfte Art des Betens, die „verlorene Art“, ist eine Gebetsart, die rein auf Fühlen basiert. Grundlage dieser Art des Betens ist nicht wie oftmals die Hilflosigkeit, die uns veranlasst, eine höhere Macht um Beistand zu bitten, sondern der Ansatzpunkt dieser Gebetsart ist unsere Fähigkeit, mit der Macht zu kommunizieren, an die 95 Prozent der Menschheit glauben. Darüber hinaus sind wir hierbei selbst aktiv am gewünschten Ergebnis beteiligt.
Diese Art des Betens bedarf keiner Worte, keiner speziellen Haltung der Hände, keines sonstigen körperlichen Ausdrucks, sondern einzig eines klaren und kraftvollen Gefühls, als ob unsere Gebete bereits erhört worden wären. Durch diese nicht greifbare „Sprache“ sind wir beteiligt an der Heilung unseres Körpers, an der Fülle, die unseren Freunden und unserer Familie zuteil wird, sowie auch am Frieden unter den Völkern.
Manchmal sehen wir Hinweise auf diese Art des Betens, mitunter ohne zu erkennen, was uns da gezeigt wird. Im amerikanischen Südwesten beispielsweise wurden alte steinerne Konstruktionen von ihren Erbauern in der Wüste als „Kapellen“ errichtet: heilige Orte, an denen man beten und sein Wissen mit anderen teilen konnte. Diese absolut kreisförmigen Gebilde, manche davon tief in der Erde, waren als „Kivas“ bekannt. An den Wänden mancher Kivas findet man eingravierte und eingemeißelte Hinweise darauf, wie die verlorene Art des Betens in den Traditionen der Ureinwohner praktiziert wurde. In einigen wieder aufgebauten Kivas in der Gegend von Four Corners finden sich Überreste des Lehmputzes, der die Steinkonstruktion vor langer Zeit bedeckt hatte. In den irdenen Putz eingraviert sind noch schwach die Bilder von Regenwolken und Blitzen über üppigen Maisfeldern zu erkennen. Anderenorts zeigen die Wandbilder Umrisse von Tieren, die wie Elche und Hirsche anmuten, die in großer Vielzahl in den Tälern lebten. Auf diese Weise zeichneten die frühen Künstler das Geheimnis der verlorenen Art des Betens auf.
An den Orten, an denen gebetet wurde, umgaben sich die Menschen während des Betens mit Bildern der Dinge, die sie erleben und erfahren wollten! Ähnlich den Darstellungen von Wundern und Wiederauferstehung, die wir heute in Kirchen oder Tempeln sehen, inspirierten die Bilder die Betenden mit dem Gefühl, dass ihre Gebete erhört worden waren. Für sie war Beten ein Ganzkörpererleben, in das alle Sinne einbezogen waren.
„Regen beten“
Jegliche Unsicherheit, die ich dahingehend hatte, wie dieses Prinzip funktioniert, wurden an einem Tag in den frühen 1990er Jahren beseitigt. Es war während einer extremen Dürreperiode im Wüstenhochland des nördlichen New Mexico, als mich mein indianischer Freund David (Name geändert) zu einem uralten Steinkreis mitnahm, um „Regen zu beten“. Nachdem wir uns an einem vereinbarten Ort getroffen hatten, folgte ich ihm auf der frühmorgendlichen Wanderung durch ein Tal, in dem über 40.000 ha wilder Salbei wuchsen. Nach einem mehrstündigen Marsch gelangten wir an einen Ort, an dem David schon häufig gewesen war und den er sehr gut kannte. Dort befand sich ein Kreis aus Steinen, die in perfekten geometrischen Linien und Pfeilen angeordnet waren, genau so, wie ihr Schöpfer sie vor langer Zeit gelegt hatte.
„Was ist das für ein Ort?“ fragte ich.
„Das ist der Grund, aus dem wir gekommen sind“, sagte David und strahlte. „Dieser Steinkreis ist ein Medizinrad, das hier existiert, seit sich mein Volk erinnern kann“ fuhr er fort. „Das Rad selbst besitzt keine Kraft. Es dient als Ort der Sammlung für denjenigen, der das Gebet praktiziert. Du kannst es dir als eine Straßenkarte vorstellen – eine Karte zwischen dem Menschen und den Kräften dieser Welt.“ Meine nächsten Fragen vorausahnend, beschrieb David, wie ihm die Legende dieser Landkarte in seiner frühen Kindheit gelehrt worden war.
„Heute“, sagte er, „werde ich einen alten Weg beschreiten, der zu anderen Welten führt. Von diesen Welten aus werde ich das tun, wozu wir hierher gekommen sind. Heute beten wir Regen.“
Auf das, was dann kam, war ich nicht vorbereitet. Ich beobachtete genau, wie David seine Schuhe auszog, seine nackten Füße vorsichtig in den Kreis stellte und zunächst die vier Himmelsrichtungen und all seine Vorfahren ehrte. Langsam faltete er seine Hände in einer betenden Geste vor seinem Gesicht, schloss die Augen und verharrte völlig regungslos. Trotz der Mittagshitze in der Wüste verlangsamte sich sein Atem und war kaum noch wahrnehmbar.
Nach nur wenigen Augenblicken nahm er einen tiefen Atemzug, öffnete die Augen, um mich anzusehen, und sagte: „Lass uns gehen. Unsere Arbeit hier ist getan.“
Ich hatte erwartet, einen Tanz zu sehen, ihn zumindest aber ein wenig chanten zu hören, und war überrascht, wie schnell sein Gebet angefangen und geendet hatte. „Was, jetzt schon?“, fragte ich. „Ich dachte, du würdest für Regen beten.“
Davids Antwort wurde zur Schlüsselaussage, die so vielen Menschen helfen sollte, diese Art des Betens zu verstehen. Als er sich auf den Boden setzte, um sich die Schuhe zu binden, sah er zu mir auf und lächelte. „Nein“, antwortete er. „Ich sagte, ich würde Regen beten. Wenn ich für Regen gebetet hätte, könnte mein Gebet nie in Erfüllung gehen.“ Später erklärte mir David, was er damit gemeint hatte.
Er erzählte, wie die Ältesten aus seinem Dorf ihn in die Geheimnisse des Betens eingeweiht hatten, als er noch ein Junge war: „Wenn wir darum bitten, dass etwas geschehen soll, geben wir den Dingen Macht, an denen es uns mangelt. Gebete für die Heilung stärken die Krankheit, Gebete für den Regen die Dürre. Indem wir ständig um das bitten, was wir haben möchten, geben wir ausschließlich den Dingen, die wir ursprünglich ändern wollten, mehr Macht.“
Ich denke oft an Davids Worte und an ihre Bedeutung für unser heutiges Leben. Wenn wir beispielsweise für den Weltfrieden beten und gleichzeitig furchtbar wütend sind auf die Menschen, die Kriege verursachen, oder auch auf den Krieg selbst, können wir unbeabsichtigt genau die Bedingungen fördern, die zum Gegenteil von Frieden führen! Ich frage mich häufig, welche Rolle Millionen gut gemeinter Gebete für Frieden täglich auf einem Planeten, der sich zur Hälfte im Kriegszustand befindet, spielen. Und wie eine kleine Veränderung der Perspektive diese Rolle verändern könnte.
Ich sah David an und fragte: „Wenn du nicht für Regen gebetet hast, was hast du dann getan?“
„Das ist ganz einfach“, antwortete er. „Ich begann zu fühlen, wie sich Regen anfühlt. Ich habe das Gefühl von Regen auf meinem Körper wahrgenommen und wie es sich anfühlt, mit nackten Füßen im Schlamm unseres Dorfplatzes zu stehen, weil es so stark geregnet hat. Ich sog den Geruch von Regen auf den irdenen Hauswänden unseres Dorfes ein und erlebte das Gefühl, durch Felder zu gehen, wo mir der Mais aufgrund des vielen Regens bis zur Brust reichte.“
Davids Erklärung war absolut nachvollziehbar. Er setzte all seine Sinne ein: die verborgene Kraft der Gedanken, Gefühle und Emotionen, die uns von allen anderen Lebensformen unterscheiden, und zusätzlich den Geruchs-, Gesichts-, Geschmacks- und Tastsinn, die uns mit der übrigen Welt verbinden. Auf diese Weise bediente er sich der kraftvollen alten Sprache, die mit der Natur „kommuniziert“. Der nächste Teil seiner Erklärungen sprach meinen wissenschaftlichen Verstand an, berührte mein Herz und stand in völligem Einklang mit meinem Wesen.
Er beschrieb, wie Gefühle von tiefer Dankbarkeit dieses Gebet vollenden, so wie das „Amen“ das christliche Gebet. David hob außerdem hervor, dass er nicht dafür dankt, was er erschaffen hat, sondern große Dankbarkeit empfindet für die Möglichkeit, am Schöpfungsprozess beteiligt zu sein. „Durch unseren Dank ehren wir alle Möglichkeiten und bringen gleichzeitig das Erwünschte in die Welt.“
Die Forschung hat gezeigt, dass genau diese Haltung von tiefer Dankbarkeit die Ausschüttung lebensbejahender Hormone in unserem Körper bewirkt und unser Immunsystem stärkt. Durch den Quanteneffekt werden eben diese chemischen Veränderungen in uns durch den Kanal dieser geheimnisvollen Substanz, die unsere gesamte Schöpfung verbindet, nach außen getragen. Mit einfachen Worten hatte mir David diese hoch entwickelte innere Technik einer alten Tradition als unsere verlorene Art des Betens dargelegt!
Wenn du es nicht schon getan hast, lade ich dich dazu ein, diese Art des Betens selbst anzuwenden. Denk an etwas, das du in deinem Leben haben willst, egal, was es ist. Es kann die Heilung einer Krankheit sein, deiner eigenen oder der eines anderen Menschen, Wohlstand für deine Familie oder die Begegnung mit deinem idealen Lebenspartner. Egal, woran du denkst, bitte nicht darum, dass es sich in deinem Leben verwirklichen soll, sondern fühl dich so, als sei es schon geschehen. Atme tief und spüre die Fülle, die sich bei der Realisierung deines Gebets in deinem Leben verwirklicht, bis ins kleinste Detail und mit all deinen Sinnen.
Fühle dann die Dankbarkeit für das, was dein Leben ausmacht, nachdem das Gebet erhört wurde. Bemerke
die Leichtigkeit und Befreiung, die sich durch deinen Dank einstellen, so völlig anders als die Sehnsucht und das Verlangen, die du empfindest, wenn du um Hilfe bittest! Der feine Unterschied zwischen Leichtigkeit und Sehnsucht ist die Kraft, die Bitten und Erhalten voneinander unterscheidet.
Durch den Geist Gottes träumen
Eine zunehmende Anzahl von Entdeckungen belegt inzwischen eine bis vor kurzem unerkannte Energieform, die erklären könnte, weshalb Gebete wie das von David wirken. Das feinstoffliche Energiefeld funktioniert anders als die Arten von Energie, die wir normalerweise messen können. Obwohl es weder ganz elektrisch noch ganz magnetisch ist, so sind diese vertrauten Kräfte doch Teil des einheitlichen Feldes, das die gesamte Schöpfung zu nähren scheint. Weil das Gewahrsein dieses Feldes relativ neu ist, müssen sich die Wissenschaftler erst noch auf einen einheitlichen Namen dafür einigen. In wissenschaftlichen Abhandlungen und Büchern findet man Bezeichnungen wie „Quantenhologramm“, „Denkapparat der Natur“, „Geist Gottes“ oder einfach nur „das Feld“. Unabhängig davon, wie wir sie nennen, scheint diese Energie die lebendige Leinwand zu sein, auf der die Ereignisse unseres Lebens festgehalten sind!
Zur besseren Visualisierung dieses Feldes beschreiben es die Wissenschaftler oft als dicht gewobenes Netz, aus dem die grundlegende Struktur der Schöpfung besteht, buchstäblich das Netz des Geistes Gottes. Ich persönlich stelle mir das Feld am liebsten als etwas Feinstoffliches vor, das im Nichts existiert. Wenn wir den Raum zwischen uns selbst und einem anderen Menschen oder etwas anderem betrachten und denken, er sei leer, befindet sich dort das Feld. Ob wir uns nun den Raum zwischen einem Atomkern und der ersten Kreisbahn eines Elektrons im Atommodell vorstellen oder die riesigen Entfernungen zwischen Sternen und Galaxien, die uns leer vorkommen – die Größe des Raumes spielt dabei keine Rolle. Das Feld existiert im Nichts.
Der seit kurzem vorhandene Nachweis der Feldexistenz vereint nun spirituelle Weisheit und wissenschaftliche Erkenntnis. Man geht beispielsweise davon aus, dass die Alten das Feld für das Paradies hielten. Es ist der Ort, an den die Seele nach dem Tod geht, der Ort, an dem wir im Schlaf träumen, und die Heimat unseres Bewusstseins.
Die Existenz eines Energiefeldes, das die gesamte Schöpfung verbindet, verändert die Einstellung der Wissenschaft zu unserer Welt. Aus den Ergebnissen des berühmten Experiments von Michelson und Morley4, das im Jahre 1887 durchgeführt wurde, zogen Wissenschaftler den Schluss, dass die Ereignisse in der Welt in keiner Beziehung zueinander stehen. Demnach hätten die Handlungen eines Menschen in einem Teil der Welt keinerlei Auswirkung auf Menschen in einem anderen Teil der Welt. Wir aber wissen, dass das keineswegs so ist! Durch das energetische Netz, das unsere gesamte Welt durchdringt, sind wir alle auf eine Art miteinander verbunden, die wir gerade erst anfangen zu verstehen.
Der Spiegel, der nicht lügt
Die alten Kulturen glauben nicht nur, dass alles miteinander verbunden ist, sondern auch, dass das Feld eine Spiegelung für uns ist, ein äußerer Spiegel unserer inneren Erfahrungen. Als pulsierender, schimmernder, lebendiger Stoff dient uns das Feld als eine Art Feedbackmechanismus. Durch ihn spiegelt uns die Schöpfung unsere verborgensten Gefühle und Gedanken in Gestalt unserer Beziehungen, unserer Berufe und unserer Gesundheit wider. Der Spiegel zeigt uns unsere wahren Überzeugungen – und nicht das, was wir gern sehen würden!
Um mir die Funktionsweise dieses Spiegels besser vorstellen zu können, denke ich manchmal an das „lebendige“ Wasser im Science-Fiction-Film „Abyss – Abgrund des Todes“.
Die Mannschaft eines auf den Meeresgrund gesunkenen U-Boots begegnet einer mysteriösen Lebensform. (Ich werde mich kurzfassen, um nicht vorauszugreifen, falls du den Film noch nicht gesehen hast.) Die körperlose Energie des außerirdisch anmutenden Wesens muss sich über etwas Körperliches zum Ausdruck bringen und benutzt daher das, was im Ozean im Überfluss vorhanden ist: Meereswasser. In der Form eines intelligenten und scheinbar endlosen Wasserstrahls findet sie einen Weg in das Boot und strömt durch die Gänge bis zu dem einen Raum, in dem sich die Mannschaft zusammengedrängt hat.
Und hier kommt der Spiegel ins Spiel: Als die wässrige Lebensform sich aufrichtet und das eine Ende des Wasserstrahls der Mannschaft auf Augenhöhe gegenübersteht, geschieht etwas Bemerkenswertes. Jedes Mal, wenn ein Mitglied der Mannschaft das Ende dieses Strahls ansieht, spiegelt dieser das Gesicht dieser Person genauso wider, wie es in diesem Moment erscheint. Wenn das Gesicht lächelt, lächelt auch der Strahl. Wenn das Gesicht lacht, spiegelt sich das Lachen im Wasser wider. Der Strahl wertet in keinster Weise, was ihm gezeigt wird, und er versucht nicht, es zu verstärken oder zu verändern. Er reflektiert der jeweiligen Person, die ihm gegenübersteht, nur, wie sie in diesem Moment ist.
Das Feld des Geistes Gottes scheint auf genau dieselbe Weise zu funktionieren, es reflektiert jedoch nicht nur das, was wir in unserem Inneren sind, sondern auch die Art und Weise, wie wir uns im Außen darstellen.
„Fühlen ist Beten“, hatte der tibetische Abt gesagt, genau so, wie es in den Lehren der großen indianischen Weisen und in der christlichen und jüdischen Tradition beschrieben wird.
„Wie kraftvoll“, dachte ich. „Wie schön! Wie einfach!“ Fühlen ist die Sprache, die der Geist Gottes versteht. Fühlen war die Sprache, derer sich David bedient hatte, um Regen in die Wüste zu bringen. Weil es auf so direkte und einfache Weise funktioniert, wird klar, weshalb wir vielleicht dachten, dieses Prinzip könne komplizierter sein, als es in Wirklichkeit ist. Und dadurch wird auch klar, wie es fast vollständig in Vergessenheit geraten konnte.
Das Bewusstsein ist Schöpfer!
Das Feld spiegelt das Wesen unserer Gefühle als Erfahrungen in unserem Leben wider. 2500 Jahre alte Texte beschreiben dieses Wissen sehr ausführlich in einer alten Sprache, und es wird deutlich, dass es deutlich älter ist, als Papier, auf dem es geschrieben steht. Im Friedensevangelium der Essener beispielsweise steht: „Meine Kinder, wisst ihr nicht, dass die Erde und alles, was auf ihr wohnt, nur ein Abglanz des Himmlischen Reiches ist?“5 So wie sich Kreise bilden, wenn ein Stein ins Wasser geworfen wird, erschaffen auch unsere zum Teil unbewussten Gedanken, Gefühle und Glaubenssätze jene „Störungen“ im Feld, die dann unseren Lebensplan mitgestalten.
Die Kraft dieses Prinzips wird leicht unterschätzt, weil man sie kaum mit Worten beschreiben kann. Ohne wissenschaftliche Fachbegriffe erklären die Alten auf einfache Weise, wie die alltäglichen Ereignisse unseres Lebens mit der Qualität unserer Gefühle verknüpft sind. Die Botschaft dieses tiefen und alten Wissens ist klar und unmissverständlich: Die Verantwortung für unsere Gesundheit oder den Frieden liegt in unseren Händen, sie wird weder „Glück“ noch „Pech“ überlassen.
Die Vorstellung eines allgegenwärtigen intelligenten Feldes ist zwar nicht neu, wird aber durch die moderne Physik zu einem ernstzunehmenden Konzept und erhält dadurch einen höheren Stellenwert und eine breitere Akzeptanz. Die vielleicht beste Beschreibung, welche die moderne Physik über die Energie, die die gesamte Schöpfung verbindet, abgegeben hat, stammt von Dr. John Wheeler, einem berühmten Physiker der Princeton University und Zeitgenossen Albert Einsteins. Ich erinnere mich an ein Interview mit Wheeler, das er nach seiner Genesung von einer schweren Krankheit gegeben und das ich im Jahr 2002 gelesen hatte. Als er gefragt wurde, in welche Richtung sich seine Arbeit nun entwickeln würde, antwortete er, dass er die Krankheit und seine Genesung als eine Gelegenheit betrachte. Sie war der Katalysator, der ihn dazu brachte, sich auf die einzige Frage zu konzentrieren, die er bis dahin umgangen hatte. „Um welche Frage handelt es sich?“, wollte der Interviewer wissen. Wheeler antwortete, dass er vorhabe, sein Leben der Erklärung der Beziehung zwischen dem Bewusstsein und dem Universum zu widmen.
In der Welt der traditionellen Physik reicht allein diese Aussage aus, um die Grundlage einer anerkannten Theorie zu erschüttern und dafür zu sorgen, dass die Väter moderner Lehrbücher sich im Grab umdrehen! Üblicherweise wird der Begriff „Bewusstsein“ nicht in einem Atemzug mit dem Gefüge des Universums genannt.
Wheeler ließ es aber nicht dabei bewenden. In den darauffolgenden Jahren führte er seine Theorien weiter aus und stellte fest, dass Bewusstsein mehr ist als ein Nebenerzeugnis des Universums. Er erklärt, dass wir in einem Universum „mit Eigenbeteiligung“ leben. „Wir sind Teil eines Universums, das sich in einem stetigen Entwicklungsprozess befindet“, sagt er. „Wir sind Puzzleteilchen in einem Universum, das sich selbst beobachtet und selbst erbaut.“ Die Schlussfolgerungen aus Wheelers Aussagen sind enorm. Er greift in der Sprache der Wissenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts auf, was uralte Traditionen vor Jahrtausenden schon wussten: Das Bewusstsein ist Schöpfer!
Wenn wir in der Leere des Universums oder in der Quantenwelt des Atoms nach Grenzen suchen, erschaffen wir allein schon durch unseren Blick darauf etwas Sichtbares. Die bloße Erwartung unseres Bewusstseins, etwas zu sehen – das Gefühl, dass es dort etwas zu sehen gibt –, das ist der schöpferische Akt.
Gehen wir nun einen Schritt über die Ausführung Wheelers, eines der anerkanntesten Wissenschaftler des zwanzigsten (und nun auch des einundzwanzigsten) Jahrhunderts hinaus.
Die alten Schriften erweitern unsere Vorstellung, dass wir unsere Realität selbst erschaffen, um ein weiteres, oft übersehenes Detail. Sie erklären, dass es die Betrachtungsweise ist, die festlegt, was das Bewusstsein kreiert. Mit anderen Worten, wenn wir unseren Körper oder die Welt durch die Linse von Getrenntheit, Wut, Schmerz oder Hass betrachten, wird der Quantenspiegel diese Qualitäten in unserem Leben wiedergeben – in Form von Ärger mit unserer Familie, körperlicher Krankheit oder Krieg zwischen den Völkern. Wenn Fühlen das Gebet ist, wovon sowohl David als auch der Abt überzeugt sind, verwehren wir uns genau die Früchte, die wir uns erhofft hatten, wenn wir darum beten, dass etwas geschieht, und gleichzeitig das Gefühl in uns zulassen, dass es genau an diesem Etwas in unserem Leben mangelt.
Wenn wir aber unser Leben aus der Perspektive von Einheit, Dankbarkeit, Weisheit und Liebe betrachten können, werden diese Qualitäten das Ergebnis sein, das wir in Form liebevoller und sich gegenseitig unterstützender Familien und Gemeinschaften und von friedvollem Miteinander der Völker erleben. Stell dir nur einmal die Möglichkeiten vor …
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