Kitabı oku: «Erich Glaubmirnix - Kriminalfälle und Abenteuer heute und im Mittelalter»

Yazı tipi:

Gregor Kästner

ERICH GLAUBMIRNIX

Kriminalfälle und Abenteuer

Heute und im Mittelalter

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2020

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2020) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Covergestaltung: Gregor Kästner

Vorderseite:

oberes Bild: Burg Hanstein

unteres Bild: Personen aus meinem Freundeskreis

Rückseite:

oberes Bild: Bahnhof Heilbad Heiligenstadt

mittleres Bild: Bahnhof Nordhausen

Person aus meinem Freundeskreis

verwendete Fotografien: Gregor Kästner

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Der Tag fing doch so schön an

Ein Überfall im Regionalexpress

Wenn ein Polizeibeamter Urlaub macht

Bodo Glaubmirnix und die Möhrenkönige

Schicksalsschläge

Jäger und Gejagte

Gerechtigkeit?

Bodo Qualmsock

Das siebte Haus

Kilian Glaubmirnix

Maria Dengelhardt

Quellen

Die Polizeiliche Kriminalstatistik besagt: Die Kriminalität ist im Vergleich zum Vorjahr leicht zurückgegangen.

Das ist doch ein gutes Zeichen.

Ich sage: Jedes Kriminalitätsopfer, ob Mann, Frau oder Kind, ist ein Opfer zuviel!

GREGOR KÄSTNER

VORWORT

LIEBE LESERINNEN UND LIEBE LESER,

dieser Roman handelt von einem Polizeibeamten mit Namen Erich Glaubmirnix. Dieser Erich Glaubmirnix setzt sich, genauso wie jeder andere Polizist, für Ordnung und Sicherheit zum Wohle der Menschen ein. Auch wenn er kein Superheld ist, ist er dennoch bereit, da zu helfen, wo seine Hilfe nötig ist. Selbst in Situationen, die verdammt schwer zu ertragen sind, steht er seinen Mann. Er überlegt nicht lange und greift ein. Und wenn am Ende ein Erfolg zu verzeichnen ist, ist das für ihn Belohnung genug. Und sollte es doch mal zu einer Niederlage kommen, ist es für ihn genauso schmerzhaft wie für die Opfer der Straftat.

Und wenn die Zeit gekommen ist und der wohl verdiente Urlaub ansteht, will auch der Polizeibeamte Erich Glaubmirnix einfach nur ein Zivilist sein, die täglichen Sorgen vergessen und sich vom alltäglichen Stress erholen. Aber kann ein Polizeibeamter seinen Beruf einfach so ablegen? Auch wenn es nur für eine kurze Urlaubszeit ist?

Erich Glaubmirnix ist glücklich verheiratet und liebt seine Frau Heidi. Und er ist stolz auf seine zwei Kinder, Kerstin und Wolfgang.

Durch Zufall kommt er in den Besitz eines Buches, welches von den Erlebnissen und Abenteuern seines Vorfahren Bodo Glaubmirnix berichtet. Bodo Glaubmirnix wohnte im mittelalterlichen Heiligenstadt und wollte sich dort ein glückliches Leben aufbauen. Aber es kam anders. Er hatte einen Gegner, der ihm das Glück nicht gönnte. Er hieß Bodo Qualmsock. Es entbrannte im Laufe der Zeit ein Kampf auf Leben und Tod.

Nebenbei erfährt Erich auch, wie seine Vorfahren zu dem Namen Glaubmirnix gekommen sind.

Nun ja, ich will Ihnen hier an dieser Stelle noch nicht zu viel verraten.

Ich habe die Geschichten an einer real existierenden Dienststelle der Bundespolizei in Nordhausen angesiedelt. Es ist jene Dienststelle, an der ich als ehemaliger Polizeibeamter meinen Dienst verrichtet habe. Ich habe dort nach wie vor gute Freunde und ja, ich möchte mich mit diesen Geschichten bei ihnen bedanken. Sie leisten eine hervorragende Arbeit und ich möchte ihnen sagen: „Macht weiter so!“

Weiterhin möchte ich noch betonen, dass die Namen und die hier beschriebenen Geschichten frei erfunden sind. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Sachverhalten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Die mittelalterlichen Abenteuer siedelte ich in meiner Heimat, dem wunderschönen Eichsfeld an.

An dieser Stelle möchte ich mich bei der hilfsbereiten Petra Holzborn und bei der hilfsbereiten Susanne Rieger für die freundliche Unterstützung bei der Fehlersuche bedanken.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen,

Ihr Gregor Kästner

DER TAG FING DOCH SO SCHÖN AN

04:00 Uhr, Bahnhof Nordhausen

Um diese Uhrzeit war es auf dem Bahnhof Nordhausen noch sehr ruhig. Die Beleuchtung in der Vorhalle stand auf „Sparflamme“ und etliche Winkel waren dunkel. Dort nächtigte ab und zu auch mal ein „Durchreisender“, der seinen letzten Zug verpasst hatte. Und wenn man sich um die Uhrzeit vor den Bahnhof stellt, um die Bahnhofsstraße hoch zu schauen, hat man das Gefühl, dass die ganze Stadt noch schläft. Aber das stimmt nicht. Es gab etliche Menschen, die um diese Uhrzeit schon aufgestanden beziehungsweise unterwegs waren. Man musste nur genauer hinschauen, dann sah man sie. Und wenn man seinen Blick nach Osten richtet, stellt man fest, dass sich langsam der Tag ankündigt und die Nacht sich dem Ende neigt. Am dortigen Horizont begann nämlich die Morgendämmerung. Man sah einen dezent schimmernden Streifen, der sich abzeichnete und langsam aber stetig immer heller wurde. Schaute man hingegen in die westliche Richtung, sah man noch den dunklen Sternenhimmel. Aber nur, wenn man den hell leuchtenden Straßenlaternen ausweichen konnte. Und zu dieser Zeit fuhr auf dem Bahnhofsvorplatz ein Kleintransporter vor. Der Kraftfahrer stieg aus, öffnete die hintere Tür seines Fahrzeuges, nahm etliche Bündel mit Zeitschriften heraus, brachte sie in die Vorhalle und legte sie vor dem Zeitschriftenladen ab. Dort begegnete er einem Eisenbahner, der vermutlich Feierabend hatte und wünschte ihm einen „Guten Morgen“. Der Eisenbahner, der nicht damit gerechnet hatte, um diese Uhrzeit angesprochen zu werden, wünschte dem Fahrer ebenfalls einen „Guten Morgen“. Danach gingen beide ihren Weg, so als hätten sie sich nicht getroffen. Der Bahnsteig selbst war hell erleuchtet und ein Güterzug rollte heran. Als der Zug während der Durchfahrt auf Höhe des Bahnsteiges war, wurde es richtig laut und danach war alles wieder ruhig.

Genau in dem Moment näherten sich vom östlichen Ende des Bahnsteiges zwei dunkle Männergestalten. Als sie näher kamen, sah man, dass es Bundespolizisten waren. Die hatten es, dem Schritt nach zu urteilen, sehr eilig. Vermutlich hatten sie noch einen Anruf bekommen und mussten schleunigst los. Die zwei Polizisten gingen bis zum Ende des Bahnsteiges, schauten nach links und rechts und gingen in den Gleisbereich bis zu einer abgestellten Lok. Einer der beiden schnappte sich einen Fotoapparat, ging um die Lok und machte etliche Aufnahmen. Der zweite Beamte hatte ein Heft mit Kugelschreiber in der einen Hand und in der anderen Hand befand sich ein Zollstock. An der Lok wurden durch unbekannte Täter mehrere Graffiti aufgesprüht und sie sollten den Sachverhalt aufnehmen. Nachdem das Wichtigste aufgenommen war, wurde der Standort auch noch nach Farbspuren abgesucht. Denn die Beamten wollten wissen, ob die Lok hier im Bahnhof besprüht wurde oder ob das Graffiti schon älter ist. Da keine weiteren Farbspuren gefunden wurden und die Farbe komplett ausgehärtet war, ging man davon aus, dass der Tatort woanders lag. Das galt es nun zu ermitteln. Somit war der nächste Weg zum Weichenwärter, der eine gewisse Sicht zur abgestellten Lok hatte. Vielleicht hatte der ja was gesehen und konnte Hinweise geben. Wenn nicht, konnte er sich auf jeden Fall beim Fahrdienstleiter erkundigen, wo die Lok herkam. Danach wollten die zwei auf die Dienststelle zurück, einen „Dreizeiler“ in den Computer geben und Feierabend machen.

05:15 Uhr, vor der Dienststelle der Bundespolizei

Der Polizeiobermeister Erich Glaubmirnix fuhr wie immer mit seinem Auto nach Nordhausen zum Dienst und war auch wie immer, pünktlich angekommen. Nun stand er mit seinem Auto vor der Dienststelle, schaltete den Motor ab, schaute auf die Uhr und stellte fest, dass er noch knapp dreißig Minuten Zeit hatte. Nun konnte er sich ein wenig Zeit nehmen und das tat er auch. Immerhin hatte er eine Strecke von knapp über sechzig Kilometer hinter sich. Und wenn man diese Strecke jeden Tag zweimal fährt, schlaucht das auf Dauer. Das ließ sich er sich aber nicht anmerken. Das verbot ihm ganz einfach sein Ehrgefühl. Und da er immer pünktlich sein wollte, fuhr er immer bei Zeiten los. Die Zeiten hatte er sich am Anfang einmal ausgerechnet und seit der Zeit waren sie wie in Stein gemeißelt in seinem Kopf verankert. Im Allgemeinen braucht Erich für die Strecke, je nach Verkehrslage, auch dank der Autobahn, zwischen vierzig und fünfundvierzig Minuten. Heute brauchte er nur fünfunddreißig. Da gab es mal Zeiten, so hatte es ihm sein Kumpel Josef Löwinger, auch als Leo bekannt, erzählt, da waren diese Fahrzeiten ein Traum gewesen. Da brauchte man anderthalb Stunden und mehr für die gleiche Strecke. Zu der Zeit gab es noch keine Autobahn und der ganze Verkehr rollte über die Bundesstraße. Und jede Schranke, die sich auf der Strecke befand, war ausgerechnet dann geschlossen, wenn er mit seinem Auto angefahren kam. Und bei manchen Bahnübergängen musste man halbe Ewigkeiten ausharren bis der Zug endlich angefahren kam, am Bahnsteig anhielt, die Fahrgäste aus- und einstiegen und nachdem alle Türen wieder geschlossen waren, die Fahrt weiterging. Und erst wenn der Zug dann endlich über den Bahnübergang gefahren war, konnten die Schranken geöffnet werden. Und manchmal öffneten sich die Schranken, weil schon wieder ein Gegenzug unterwegs war, nicht. Dann wiederholte sich das Ritual. Nur dieses mal in der Gegenrichtung. Der Zug fuhr ein, hielt an, die Leute stiegen ein und aus … Und wenn der dann endlich abgefahren war, konnte es passieren, dass auf der erstgenannten Fahrtrichtung schon wieder ein Zug unterwegs war. Das war auch die Zeit, als ein großer Teil des Güterverkehrs noch auf den Schienen unterwegs war. Da waren zehn bis zwanzig Minuten Wartezeit keine Seltenheit. Und als Krönung fuhr sein Freund Leo noch mit dem Trabi. Das ist zwar schon lange her, aber Leo hat das sein Leben lang nicht vergessen. Es war für ihn halt eine verrückte Zeit.

Leider ist sein Freund schon im Ruhestand. Erich gönnte es ihm. Er hat viel in seinem Leben durchmachen müssen und dabei einen Großteil seiner Gesundheit geopfert, ohne je ein Dankeschön zu erhalten. Das alles ist nun Geschichte. Es gibt Tage, da vermisste er seinen Freund Leo.

Und bei der kurzen Fahrzeit, die Erich heute früh gebraucht hatte, freute er sich: „Na da bin ich ja wieder gut durchgekommen. Autobahn war leer, was will man mehr. Kein Stress am Morgen, also keine großen Sorgen.“ Bei dem letzten Gedanken huschte ihm ein leichtes Lächeln über die Lippen und der nächste Gedanke war: „Hoffentlich bleibt das auch so!“, und stieg aus.

Da wurde er von hinten angesprochen: „Morgen, Erich! Hast du Feierabend?“

Erich kannte die Stimme, drehte sich um und sagte: „Guten Morgen, Anika, auch wieder zum Dienst? Und ja, Feierabend habe ich auch. Aber erst heute Nachmittag.“

Anika lächelte und sagte: „Ich auch. Hab dich lange nicht gesehen. Warst du etwa krank?“

„Nein, meine Gutste, ich war immer im Dienst. Und mit deinem Spruch kann ich übrigens mithalten. Hab dich auch lange nicht gesehen.“

„Und? Gibt’s bei dir was Neues?“

„Nee, eigentlich nicht. Nur mein Sohn will nicht in die Schule. Du glaubst gar nicht, was ich deswegen schon alles durchgemacht habe. Seitdem der aus dem Kindergarten raus ist, fängt er an zu spinnen.“

„Anika, du sagst immer Kindergarten. Heißt das nicht richtig Kita?“ Kurz darauf bereute Erich seine Frage. Denn er bekam einen Vortrag: „Höre auf mit dem Wort: Kita oder Kindertagesstätte! Wenn ich das harte Wort höre, da geht mir schon wieder die Hutschnur hoch. Das ist ganz einfach nur Beamtendeutsch! Möchte mal wissen, wer das Wort erfunden hat. Der Fröbel, der den Kindergarten ins Leben gerufen hat, würde sich im Grabe nicht nur einmal umdrehen, wenn der das Wort hören könnte. Auf der ganzen Welt sagt man das schöne Wort: ‚Kindergarten‘. Selbst im fernen China wird es verwendet, und hier? Da wo es erfunden wurde? Sagt man Kita! Was soll der Scheiß? Wie soll ich dir das bloß auf die Schnelle erklären? Nimm mal das Wort Kindergarten. Was sagt dir das Wort? Überlege mal. Kinder im Garten. Im Garten fühlt man sich wohl und ist geborgen. Im Garten können glückliche Kinder spielen und in Liebe aufwachsen und da dürfen Kinder noch Kinder sein. Nun ja, genau das will das Wort Kindergarten ausdrücken: ‚Behütet sein und spielend aufwachsen!‘ Und was sagt das harte und lieblose Wort ‚Kita‘ oder ‚Kindertagesstätte‘? Das ist eine Stätte, wo die Kinder am Tag hingebracht oder abgestellt werden und Punkt. Obwohl ich die Arbeit der Kindergärtnerinnen achte und lobe. Ach so, nein, ich meine Erzieherinnen. Heute sind es Erzieherinnen. Sie machen trotzdem eine gute Arbeit. Das drückt aber der Name ‚Kita‘ so nicht aus! Weißt du eigentlich, dass die allererste Kindergärtnerin eine Nordhäuserin war?“

„Nee, das habe ich nicht gewusst. Echt? Wirklich eine Nordhäuserin?“

„Na, da will ich dich mal aufklären. Die allererste Kindergärtnerin auf der ganzen Welt hieß Ida Seele. Man nannte sie auch Fröbels Ida. Die wurde im Jahr 1825 hier in Nordhausen geboren, wurde vom Pädagogen Friedrich Fröbel in Blankenburg ausgebildet und dort begann sie auch mit ihrer Tätigkeit. Dann arbeitete und lehrte sie an verschiedenen Kindergärten und Schulen in Darmstadt, Landsberg an der Warthe und in Berlin. Hoffentlich habe ich keinen Ort vergessen. Danach kam sie nach Nordhausen zurück. Lebte und arbeitete hier bis zu ihrem Tod. Das war, glaube ich, im Jahr 1901. Ich muss mal wieder auf das Denkmal schauen. Ich fahre ja fast täglich dran vorbei. Fröbels Ida wurde auch hier in Nordhausen beigesetzt. Die würde sich übrigens auch im Grabe umdrehen, wenn sie das Wort ‚Kita‘ hören könnte. Ach, verdammt! Ich muss mich wieder abregen. Wo waren wir doch gleich wieder stehengeblieben?“

„Bei deinem Sohn. Der will nicht in die Schule.“

„Ach so, ja, sein bester Freund wurde ein Jahr zurückgestellt und deshalb will meiner auch im Kindergarten bleiben. Was hab ich da bloß mit dem Bengel falsch gemacht? Kannst du mir das mal erklären?“

„Ich? Nein, ja! Das ist garantiert Kinderfreundschaft. Aber bei dem Problem kann ich dir nun wirklich nicht helfen. Das musst du schon alleine hinkriegen. Mach das, was für deinen Sohn das Beste ist. Dann liegst du immer richtig. Und was sagt dein Mann dazu?“

„Gar nichts. Der ist auf Montage und kommt nur ab und zu, zu den Wochenenden, heim. Und meistens ist das immer dann, wenn ich arbeite.“

„Ach Anika, wie ich dich kenne, kriegst du das schon hin.“

„Ja, irgendwann, ja. Ich habe übrigens heute die Touren nach Erfurt und da kriege ich einen Praktikanten mit. Der will vielleicht später mal als Azubi bei der Eisenbahn anfangen. Ach, schon wieder so eine Abkürzung. Ich krieg …! Egal, da komme ich wenigstens mal auf andere Gedanken. Immerhin soll ich dem was von der Eisenbahn erzählen. Ich weiß zwar noch nicht was. Aber mir wird schon was einfallen. Erich, nimm’s mir nicht übel, wenn ich dir jetzt sage, dass ich los muss. Man sieht sich.“

„Ja mach’s gut, Anika. Und viel Spaß mit deinem Praktikanten und lass dir den Tag nicht von dem verderben. Und viel Glück mit deinem Sohn. Irgendwann geht der genauso gerne in die Schule, wie du einst gegangen bist. Glaub es mir.“

„Ich? Gerne in die Schule gegangen? Vergiss es.“

Anika drehte sich um und sah zu, dass sie zum Bahnhof kam.

Und pünktlich zum Dienstbeginn um fünf Uhr fünfundvierzig, war auch Erich in der Dienststelle, meldete sich beim Gruppenleiter und ging zu seinen Kollegen. Der Mehlmann, der schon seit zwanzig Minuten auf der Dienststelle war, hatte zwischenzeitlich die Kaffeemaschine in Gang geschmissen und alle warteten darauf, dass das Getränk fertig wird. Nach weiteren zwei Minuten brodelte und zischte es in der Maschine und das war des ultimative Signal: „Der Kaffee ist durch!“

Jeder schnappte sich seine Tasse und Jutta schenkte ein. Dann unterhielt man sich über dieses und jenes und wartete darauf, dass der Gruppenleiter reinkommt und mit der Einweisung beginnt.

Zwischenzeitlich gingen zwei Beamte aus der Nachtschicht an ihnen vorbei, um die Frühschicht zu begrüßen. Denn sie wollten Feierabend machen und verabschiedeten sich. Martin Schön, der auch Feierabend hatte, wollte noch ein bisschen sticheln und fragte: „Na Erich? Hast ja vor der Dienststelle ganz schön mit der Schaffnerin geflirtet. Hast noch nicht mal mitgekriegt, dass wir direkt an dir vorbeigegangen sind.“

Erich ließ sich nicht aus der Reserve locken und antwortete ganz cool: „Wenn das ein Flirt war, fress ich den Besen! Und ja, ich hab euch gesehen, wie ihr vorbeigerannt seid!“

Martin konnte aber nicht locker lassen und musste noch einen drauf geben: „Ich kann das ja verstehen, dass du dich so aufregst. Ich geb’ dir trotzdem noch ’nen Tipp: Verbrenne dir nicht die Finger an der Frau!“

Erich reagierte nicht mehr und Martin Schön verließ die Dienststelle. Und pünktlich wie immer stand der Gruppenleiter in der Tür, nahm sich seinen Kaffee und setzte sich. Die Einweisung begann: „Guten Morgen, ich hoffe doch, dass ihr alle gut geschlafen habt.“, und ohne eine Antwort abzuwarten erzählte er weiter: „Und zu der heutigen Lage, da kann ich euch beruhigen. In den letzten drei Schichten war nichts polizeilich Relevantes los. Nur die letzte Nachtschicht hatte ein Graffiti. Ich hoffe, dass es heute ebenso ruhig weitergeht. Nun zur Einteilung: Elu, du schnappst dir ein Auto und fährst mit Jutta die Strecke bis nach Arenshausen ab, kontrollierst die Unterwegsbahnhöfe nach Sachbeschädigungen und nehmt, wo möglich, Kontakt mit der Eisenbahn auf. Und meldet euch von unterwegs. Mehlmann, du schnappst dir den Erich, und ihr fahrt eine Zugstreife nach Erfurt und zurück. Wenn ihr in Erfurt seid, geht bitte mal auf die Inspektion. Die haben dort wichtige Dokumente für uns. Die bringt ihr natürlich mit. Und vergesst nicht die Fahndungskontrollen im Zug.“

„Nein, wie könnten wir das nur vergessen? Das geht ja überhaupt nicht. Und wenn wir alles vergessen, die Fahndungskontrollen nicht!“

„Erich, sei nicht so schnippisch. Schaut auf den Fahrplan und dann macht euch auf die Socken.“

Er ging zum Fahrplan und musste feststellen, dass der Zug bereits abgefahren war.

„Na, dann nehmt den nächsten.“

„Zu Befehl! Den nächsten Zug! Ach, da fällt mir gerade ein. Ich hab noch einen wichtigen Sachverhalt zu schreiben. Der Ermittlungsdienst wartet schon darauf.“

„Eeerich …!“

07:30 Uhr, Bahnhof Kleinfurra, Fahrdienstleiterstellwerk „KS“

Der Fahrdienstleiter Robert Schmidt hatte gerade den einfahrenden Triebwagen aus Richtung Sondershausen beobachtet und sah nebenbei seinen ehemaligen Kollegen Ingolf Glöckner. Dieser näherte sich vom Bahnsteig 1 kommend dem Fahrdienstleiterstellwerk „KS“ (Kleinfurra Süd). Er nutzte dabei den nicht öffentlichen Dienstweg. Dieser führte auf direkten Weg vom Bahnsteig zum Stellwerk und der diensthabende Fahrdienstleiter Robert Schmidt sprach ihn verwundert an: „Ingolf, was machst du denn hier? Ich dachte, die haben dich entlassen?“

„Robert, lass mich bitte hoch. Ich muss unbedingt noch mal an meinen Spind. Ich hab da was vergessen.“

„Okay, komm hoch.“

Während der ehemalige Kollege das Stellwerk betrat und die Treppe zum Bedien- oder Dienstraum hoch ging, erfolgte mittels Streckenfernsprecher die Meldung von der Ankunft des Triebwagens an den Fahrdienstleiter im Bahnhof Sondershausen. Danach erfolgte die Vormeldung an den Fahrdienstleiter im Bahnhof Wolkramshausen. Nachdem die nötigen Handlungen (Weichen stellen, Signale bedienen usw.) abgeschlossen waren, hatte Robert Schmidt ein wenig Zeit für seinen ehemaligen Kollegen und begrüßte ihn freundlich: „Na, Ingolf, wie geht es dir?“

„Was willst du hören? Willst du hören, dass es mir gut geht? Wie geht es einem, der seinen Job verloren hat? Ich möchte lieber nicht darüber sprechen. Erzähl mir lieber, wie du dich darüber freust, dass du noch da bist und ich nicht mehr. Du hast deinen Job und es geht dir gut. Du darfst hier weiter machen und ich musste gehen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie gerne ich hier geblieben wäre. Ich hatte hier eine tolle Zeit und nun ist alles vorbei. Es fällt mit richtig schwer, hier wegzugehen.“

„Ingolf, das glaube ich dir. Mir würde das auch schwer fallen. Aber tröste dich, uns wird es auch irgendwann treffen. Spätestens dann, wenn die Strecke modernisiert wird. Danach ist unser Stellwerk auch weg. Und wir natürlich auch.“

„Ach, das glaube ich nicht. Da werden noch Jahrzehnte ins Land gehen bis sich hier mal was tut. Glaub es mir. Du wirst deine Rente hier noch erleben. Ich nicht mehr.“

„Ingolf, soweit kannst du nicht in die Zukunft blicken. Das hier mit dem Stellwerk kann nächstes Jahr schon vorbei sein.“

„Oh, das kann ich. Ich weiß, was die Zukunft bringt.“

„Kannst du nicht. Glaub es mir. Ich hatte es früher auch mal gewagt, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Damals war ich felsenfest davon überzeugt, dass ich recht hatte. Ich will es dir mal kurz erzählen. Es war genau im Jahr 1973. Da bin ich als Lehrling auf diesen Bahnhof gekommen. Für mich war es damals eine schöne Zeit. Da gab es noch den Fahrkartenschalter, den Dienstvorsteher, die Aufsicht, den Bahnhofshelfer und natürlich auch die Bahnhofskneipe. Dort in der Kneipe waren wir innerhalb kürzester Zeit Stammgast. Wir haben da drin gemeinsam gefrühstückt, zu Mittag gegessen und zum Abendbrot waren wir auch dort. Je nachdem, was wir für eine Schicht hatten. Und nach Feierabend haben wir dort unser Bierchen getrunken. Jeder kannte jeden und dazu gehörte natürlich auch der Kneiper, und der kannte uns auch. Der Kneiper hieß übrigens Fazius. Mann, da war noch richtiges Leben auf dem Bahnhof. Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern. Und wenn ich heute dahin schaue …“

„Sprich es nicht aus.“

„Hast recht, ich erzähle weiter. Also, ab und zu musste ich im Rahmen der Ausbildung auch mal zum Haltepunkt Großfurra und dort, ausgerechnet dort, hatte ich meine Zukunftsvision: Also, in der kalten Jahreszeit musste, wie sollte es auch anders sein, der Warteraum für die Fahrgäste beheizt werden. Und wer war für das Heizen verantwortlich, wenn ein Lehrling da war? Natürlich der Lehrling. Also ich. Zuerst musste ich aus dem Ofen die kalte Asche rauskratzen. Dann wurde sie zur Aschentonne gebracht und danach ging es zum Kohlebunker. Dort wurden zwei Eimer gefüllt und zurückgebracht. Ein Eimer war für den Warteraum und ein Eimer war für den Dienstraum. Danach wurde im Warteraum das Feuer angezündet. Das war ganz einfach. Da wurde mit einer Schippe ein bisschen Glut aus dem Ofen des Dienstraumes herausgeholt und zum Warteraum hinübergetragen. Manchmal war das nicht notwendig, weil noch ein bisschen Glut vom Vortag im Ofen war. Das kam aber immer darauf an, wann und wie viel das letzte Mal aufgelegt wurde. Und dann musste ich darauf achten, dass das Feuer nicht wieder aus geht. Denn die Fahrgäste sollten es ja immer warm haben und durften auf keinen Fall frieren. Und damals hatte ich mir gedacht, dass es die Lehrlinge in der Zukunft auf jeden Fall besser haben werden. Denn spätestens, allerspätestens im Jahr 2000 gibt es dort im Haltepunkt keine Kohlen mehr und der Warteraum wird durch eine elektrische Heizung oder so etwas Ähnliches beheizt. Auf jeden Fall würde dort keiner mehr Kohlen schleppen. Und wie ich schon sagte, ich war damals felsenfest davon überzeugt. Immerhin gab oder gibt es doch den kontinuierlichen Fortschritt. Und das Jahr 2000? Ja, das lag für mich unerreichbar weit in der Zukunft. Und heute? Das Jahr 2000 ist schon lange Geschichte. Und auf dem Haltepunkt Großfurra stehen die Leute, auch bei Regen und Sturm, im Kalten. So kann man sich täuschen. Und Lehrlinge wird der Haltepunkt wohl auch nicht mehr sehen.“

„Aber in einem Punkt hattest du damals doch recht gehabt.“

„In welchem?“

„Dort schleppt keiner mehr Kohlen aus dem Bunker.“

Beide schauten sich an und lachten. „Ja, von dem Standpunkt aus betrachtet lag ich damals wohl doch richtig. Dort schleppt keiner mehr Kohlen. Und wenn ich darüber nachdenke, wie lange das schon her ist. Das ist doch der blanke Wahnsinn.“

So unterhielten sich die beiden über einen längeren Zeitraum. Zwischendurch wurden die Zugfahrten mal vom diensthabenden Fahrdienstleiter Robert Schmidt geleitet und der ehemalige Kollege Ingolf Glöckner durfte unter Aufsicht hier und da auch mal einen Zug ein- und ausfahren lassen. Für Ingolf, so sagte er, war das noch mal ein schönes Erlebnis und das würde er ihm auch nie vergessen. Dann sagte er: „Ich habe noch eine Thermoskanne mit Kaffee im Auto. Hast du was dagegen, wenn ich den hier hoch hole? Der muss ja nicht sinnlos kalt werden.“

„Ingolf, das ist eine gute Idee. Da muss ich mir nicht selber einen brauen.“

Ingolf Glöckner ging zum Auto, welches auf dem Bahnhofsvorplatz stand, und holte die Thermoskanne, schenkte ein und während die Unterhaltung weiterging, tranken beide genüsslich ihren, noch heißen, Kaffee. Dabei nahm man sich sehr viel Zeit, denn sie hatten sich noch allerhand zu erzählen.

Nach fast zwei Stunden verabschiedete sich der ehemalige Kollege, ging zu seinem Auto und fuhr los.

Robert Schmidt schaute hinterher und hatte ein wenig Mitleid mit ihm. Und ja, das mit der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses konnte er auch nicht ändern. Er kannte noch nicht mal den Grund dafür. Ingolf hatte nie darüber gesprochen.

09:20 Uhr Bahnhof Nordhausen, Bahnsteig 3, Regionalexpress RE 16573

Der Zug 16573 (Nordhausen – Erfurt), bestehend aus einer doppelten Triebwageneinheit, stand abfahrbereit am Bahnsteig 3. Die zum Zug gehörige Kundenbetreuerin Anika Bachmann stand vor dem Zug am Bahnsteig und beobachtete eine ältere Dame. Diese hatte beim Einsteigen Schwierigkeiten mit ihrer Reisetasche. Sie ging augenblicklich hin und half ihr beim Tragen. Sie nahm mit ihrem Einverständnis die schwere Reisetasche und sie gingen zusammen in das nächstgelegene Abteil. Die dankbare Frau brauchte sich nur noch auf ihren Platz zu setzen.

Danach stieg Anika wieder aus und wartete vor dem Zug auf die Abfahrtzeit. Neben ihr stand ein Jugendlicher und sie unterhielten sich über dieses und jenes. Es war der ihr zugewiesene Praktikant. Er war sechzehn Jahre alt und sein Name war Knut Hölzel. Er war Schüler in der zehnten Klasse und wollte sich eventuell bei der Eisenbahn bewerben. Und Frau Bachmann, die jetzt die Verantwortung für den Praktikanten hatte, hatte das Herz einer Eisenbahnerin. Und das spürte der Praktikant. Sie gab sich ihm gegenüber besonders viel Mühe und erklärte jeden Schritt, den sie tat, und jede Tätigkeit, die sie gerade machte beziehungsweise noch machen wollte. Augenscheinlich waren dem Praktikanten die Erklärungen jetzt schon zu viel oder er hatte einfach nicht verstanden, was sie da gerade sagte und deshalb nickte er immer nur noch mit sichtlichem Desinteresse. Nachdem Frau Bachmann gesehen hatte, dass der Bahnsteig menschenleer war, stieg sie mit ihrem Praktikanten ein.

09:25 Uhr, Bundespolizeidienststelle

Auf der Bundespolizeidienststelle bereiteten sich gemäß ihrem Auftrag zwei Polizeibeamte auf die angewiesene Zugstreife nach Erfurt vor.

„Erich, wo bist du denn schon wieder? Unser Zug fährt gleich ab. Der wartet nicht! Und auf uns schon gar nicht!“

„Noch fünf Minuten, bin gerade am Spind und suche was.“

„Soll ich schon mal losgehen und den Zug solange für dich festhalten, bis du gefunden hast, was du da suchst?“

Erich schaute auf die Uhr und erschrak: „Ach du liebe Sch…! Mehlmann! Ich komme!“

Innerhalb weniger Sekunden stand der Obermeister Glaubmirnix vor dem Eingang und fragte: „Mehlmann! Wo bleibst du denn? Ich stehe die ganze Zeit in der Tür und warte auf dich!“

„Erich, du kannst mich nicht verarschen!“

Beide lächelten und beeilten sich, zum Zug zu kommen.

09:29 Uhr, Bahnsteig 3

Lothar Büttner, der Triebfahrzeugführer des Zuges 16573, schaute auf die Uhr und wartete darauf, dass das rot leuchtende Ausfahrsignal grün wird und er endlich losfahren kann. Damit die Zeit bis zur Abfahrt schneller verstreicht, schaute er immer mal über den Bahnsteig und beobachtete die Leute beim Einsteigen und nachdem der Minutenzeiger pünktlich um neun Uhr neunundzwanzig auf die vorgegebene Abfahrtzeit sprang, leuchtete auch das Ausfahrsignal grün und die Strecke war für die Zugfahrt freigegeben. Der Triebfahrzeugführer schaute sicherheitshalber noch mal über den Bahnsteig und sah noch zwei Polizeibeamte, die zielstrebig aus der Unterführung hoch kamen und den Bahnsteig entlang, auf den Zug zu hasteten. Also wartete er noch einen kurzen Moment.

Nachdem die Beamten eingestiegen waren, verriegelte er die Türen und der Zug fuhr los. Nun, nachdem der Zug abgefahren war, ging die Kundenbetreuerin mit ihrem Praktikanten vor zum Führerstand und setzte sich. Sie legte nebenbei ihre persönlichen Sachen ab und machte sich für die Fahrausweiskontrolle fertig. Der Praktikant schaute neugierig zum Fenster hinaus und war erstaunt. Solch eine interessante Aussicht hatte er noch nicht gehabt. Er sah die Gleise und verschiedene Weichen vor sich und beobachtete, wie der Zug von einem Gleis über die nächste Weiche fuhr, abbog und auf dem Nachbargleis weiter fuhr. Das konnte er zweimal beobachten. Danach war der Zug auf dem richtigen Streckengleis und nachdem der Zug die letzte Weiche hinter sich gelassen hatte, beschleunigte er bis auf hundert Kilometer pro Stunde. Nun schnappte sich Anika ihren Praktikanten und gemeinsam gingen sie los, um die Fahrausweise auf ihre Gültigkeit zu kontrollieren und nebenbei gingen die Erklärungen weiter: „Sollte jemand ohne Fahrausweis angetroffen werden, so hab ich die Aufgabe, eine Nachlösung auszustellen, und wenn einer nicht bezahlen kann oder nicht bezahlen will, bin ich berechtigt, die Personalien festzustellen und aufzunehmen. Und sollte die Herausgabe der Personalien verweigert werden, kommt die Bundespolizei ins Spiel. Heute haben wir Glück, es sind gerade zwei eingestiegen. Wenn wir die treffen, werde ich sie dir kurz vorstellen und wir können uns ein wenig unterhalten. Ich kenne alle beide. Die sind voll in Ordnung.“