Kitabı oku: «Todwald», sayfa 4

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8

Zwei Tage später, am frühen Nachmittag, saß Kerner an seinem Schreibtisch und diktierte gerade einige Briefe. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er das Klopfen fast überhört hätte.

Auf sein »Herein« streckte seine Sekretärin den Kopf durch die Tür. »Herr Kerner, hier ist Frau Rechtsanwältin Helsing-Wiesmann. Sie hätte sie gerne einen Moment gesprochen, falls dies möglich wäre.«

Simon Kerner trat hinter dem Schreibtisch hervor.

»Ja natürlich«, rief er so laut, dass man es auch im Vorzimmer hören konnte, »bitten Sie die Frau Kollegin doch herein.«

Die Sekretärin öffnete die Türe vollends, und die Besucherin trat ein.

»Grüß Gott, Herr Direktor Kerner«, rief die sehr attraktive Mittdreißigerin und streckte ihm die Hand zum Gruß entgegen. Alles an der rothaarigen, sehr gepflegt wirkenden Frau strahlte Dynamik und Energie aus. Entsprechend war auch ihr Händedruck. Ein figurbetontes Kostüm vermittelte dezente Eleganz.

»Bitte keine Förmlichkeiten«, bat Kerner. »Sie trinken eine Tasse Kaffee mit mir?«

»Sehr gerne«, erwiderte Helsing-Wiesmann und setzte sich auf den angebotenen Stuhl am Besprechungstisch. Elegant schlug sie ihre langen Beine übereinander, wobei der Rocksaum ein Paar wohlproportionierte Oberschenkel erahnen ließ. Sie musterte Kerner unverhohlen von Kopf bis Fuß. Kerners Sekretärin verdrehte die Augen, dann verließ sie das Büro. Kerner setzte sich der Anwältin gegenüber und warf ihr dabei einen scannenden Blick zu, der ihr keineswegs entging. Sie war sich ihrer Attraktivität durchaus bewusst und unterstrich diese durch ein gekonntes Make-up. Als sie sich bewegte, entströmte ihrem großzügigen Dekolleté ein dezent anregender Duft, dem sich Kerner nicht ganz entziehen konnte. Er kannte allerdings ihren Ruf. In Kollegenkreisen wurde sie nur das Fallbeil genannt. Wehe dem Gesprächspartner, der sich von ihrem Auftritt betören ließ und unkonzentriert wurde. Kerner wappnete sich entsprechend.

Helsing-Wiesmann war Fachanwältin für Familienrecht mit einer gut gehenden Kanzlei in Aschaffenburg. In dieser Eigenschaft war sie der Schrecken aller betuchten Ehemänner. Sie vertrat fast ausschließlich scheidungswillige Ehefrauen. Jeden Prozess machte sie zu einem Kreuzzug um Unterhalt und Vermögensübertragung zu Gunsten ihrer Mandantinnen. Helsing-Wiesmann handelte getreu dem Motto »Wenn ich mit einem Ehemann fertig bin, dann ist er wirklich fertig«. Das hatte sich unter den scheidungsfreudigen Ehefrauen herumgesprochen und entsprechend war ihr Zulauf.

Helsing-Wiesmann hatte aber noch eine Berufung. Sie war die gewählte Vorsitzende des Rechtsanwaltsvereins im Bezirk. Diese Institution war so etwas wie die Standesvertretung der Rechtsanwälte. Kerner vermutete, dass sie ihn in dieser Eigenschaft sprechen wollte. Er sah diskret auf seine Armbanduhr. Ihm war bekannt, dass seiner Gesprächspartnerin der Ruf einer begnadeten Kommunikatorin vorauseilte. Höflich ausgedrückt. Wenn er Pech hatte, konnte er den Nachmittag abhaken.

»Lieber Herr Kerner, ich freue mich, Sie wieder einmal zu sehen. Wie geht es Ihnen?« Ohne ihm die Möglichkeit einer Antwort zu geben, fuhr sie fort: »Ich nehme an, über mangelnde Beschäftigung können Sie nicht klagen. Wie mir meine Kollegen aus Ihrem Gerichtsbezirk berichten, greifen Sie ja unter den bösen Buben in Main-Spessart ordentlich durch. Recht so, kann ich da nur sagen, recht so.« Während sie sprach, flogen ihre Augen durch das Büro und musterten jeden einzelnen Einrichtungsgegenstand.

Kerner nutzte die Chance einer Atempause. »Freut mich auch, Frau Helsing-Wiesmann, Sie wieder einmal zu sehen. Sie werden von Jahr zu Jahr jünger!«

»Sie Schmeichler«, gab sie mit einem koketten Augenaufschlag zurück.

In diesem Augenblick klopfte es und die Sekretärin kam mit einem Tablett herein. Kerner bedankte sich bei seiner Mitarbeiterin und übernahm es selbst, seinem Gast den Kaffee zu servieren. Seine Sekretärin warf der Rechtsanwältin einen schrägen Seitenblick zu, dann verließ sie das Büro. »Was kann ich denn für Sie tun?«, kam Kerner langsam auf den Punkt, während er seinen Kaffee umrührte.

»Die Leiterin der Kanzlei des Kollegen Werner Schnitter hat sich an mich gewandt. Er ist offenbar seit mehreren Tagen nicht mehr im Büro erschienen und man ist dort ziemlich ratlos. Wie man mir sagte, ist auch bei Ihnen ein Strafprozess wegen der Abwesenheit des Kollegen geplatzt?«

»Das ist richtig«, gab Kerner zurück. »Ich habe den Prozess vertagt und mich dann nicht weiter um die Angelegenheit gekümmert. Werner Schnitter und ich sind ganz gut bekannt. Wir besuchen beide denselben Fitnessclub. Übermorgen hätten wir wieder Training.«

Helsing-Wiesmann stellte ihre Tasse ab. »Der Kollege Schnitter ist ein sehr zuverlässiger Mann und ein unentschuldigtes Fernbleiben von einem Gerichtstermin ist in der Tat befremdlich und bei ihm eigentlich nicht vorstellbar. Ich wollte Sie nur davon in Kenntnis setzen, dass der Rechtsanwaltsverein bei der Polizei eine Vermisstenanzeige einreichen wird, nachdem der Kollege offenbar allein stehend ist und auch keine Angehörigen bekannt sind. Wir werden einen Kollegen aus Lohr bitten, bis zur Klärung der Angelegenheit die Vertretung des Kollegen Schnitter zu übernehmen. Seine Mandanten müssen ja weiterhin betreut werden.« Sie trank ihre Kaffeetasse leer und lehnte dankend ab, als ihr Kerner nachschenken wollte. »Ich habe noch in der Familienabteilung Ihres Hauses zu tun«, erklärte sie und erhob sich. »Dort wartet noch ein untreuer Ehemann mit seinem Anwalt, der denkt, er könne für wenig Unterhalt seine lästige Ehefrau gegen ein jüngeres Modell eintauschen. Da werde ich noch ein wenig die Daumenschrauben anziehen müssen … und in der Causa Schnitter bleiben wir in Verbindung. Sollte es etwas Neues geben, lassen Sie es mich wissen. Ich fand unser Gespräch ausgesprochen anregend.« Sie lächelte Kerner mit einem kaum merklichen Augenzwinkern zu und verließ energischen Schrittes das Dienstzimmer.

Wieder alleine, stieß er vernehmlich die Luft aus. Diese Frau hatte eine bemerkenswerte Präsenz. Seine Gedanken wandten sich Schnitter zu. Hoffentlich steckte nichts Ernstes hinter seinem Verschwinden. Als Strafverteidiger hatte er beruflich immer wieder mit Mandanten zu tun, die mit einer überdurchschnittlichen Gewaltbereitschaft ausgestattet waren. Kerner hoffte zwar, dass seine Überlegungen überzogen waren, aber als ehemaliger Oberstaatsanwalt war er es gewohnt, keine Option von vornherein auszuschließen. Kerner setzte sich an seinen Schreibtisch und griff zum Diktiergerät. Er würde die Angelegenheit zum Anlass nehmen, wieder einmal mit Eberhard Brunner zu telefonieren. Seit ihrem letzten Kontakt waren bestimmt zwei Wochen vergangen. Als Leiter der Mordkommission würde der Freund als Erster davon erfahren, falls Schnitter einer Gewalttat zum Opfer gefallen war.

9

Kurz nach dreiundzwanzig Uhr verließ Kerner mit Steffi die Hohe Kemenate, den historischen Lesesaal der Stadtbücherei Karlstadt. Beide hatten die Lesung eines bekannten unterfränkischen Mundartautors besucht. Diese Veranstaltung, die mit einer Weinprobe verknüpft war, hatte ihnen viel Spaß bereitet und sie konnten wieder einmal herzhaft lachen.

»Wir gehen viel zu selten zu solchen kulturellen Veranstaltungen«, stellt Steffi fest und hakte sich bei Kerner unter. »Herzhaftes Lachen ist gut fürs Gemüt.«

Kerner gab ihr Recht. So konnte man wenigstens für ein paar Stunden abschalten. Wenig später saßen sie in einem Taxi, da Kerner seinen Defender heute wegen der Weinprobe in der Garage gelassen hatte.

Wenig später näherten sie sich auf der B 26 der Abzweigung nach Gambach.

»Was ist denn das?«, wunderte sich Kerner, als sie sich einem schnell heller werdenden Lichtschein näherten.

»Da brennt was«, stellte der Taxifahrer fest und wurde langsamer. Tatsächlich stand direkt neben dem Bahndamm ein heftig brennender Kastenwagen.

»Fahren Sie dran vorbei und dann halten Sie bitte dort vorne rechts, da ist eine Parkbucht«, bat Kerner.

»Um Gottes willen, ich glaube, da sitzt noch jemand drin«, rief Steffi entsetzt, als sie das Fahrzeug passierten.

»Scheiße! Sieht wirklich so aus!«, stellte der Fahrer erschrocken fest.

Kerner hatte mittlerweile schon sein Handy gezückt, rief die Notrufzentrale in Würzburg an und meldete das Feuer.

Der zuständige Koordinator alarmierte sofort die freiwillige Feuerwehr von Gemünden am Main sowie Polizei, Notarzt und Rettungswagen.

Als das Taxi hielt, wandte sich Kerner dem Taxifahrer zu, der wie gelähmt hinter dem Steuer sitzen blieb.

»Haben Sie denn keinen Feuerlöscher im Wagen?«, schrie er ihn an. »Wir können doch nicht einfach so zusehen, wie dort ein Mensch verbrennt!«

»Dem hilft keiner mehr«, entgegnete der Taxifahrer und wies auf die mittlerweile hochschlagenden Flammen. »Wahrscheinlich geht jeden Moment der Tank hoch.«

Während Kerner noch mit dem Fahrer herumdiskutierte, der schließlich zugab, keinen Feuerlöscher im Auto zu haben, näherte sich schon aus Richtung Gemünden Sirenengeheul. Die Reaktionszeit der Feuerwehr Gemünden war extrem kurz. Mittlerweile schlugen die dichten orangegelben Flammen so hoch, dass die Blätter an den unteren Ästen einer in der Nähe stehende Buche verkohlten.

Kurz nach Eintreffen der Feuerwehr näherte sich ein Streifenwagen. Die Beamten forderten angesichts der Situation vor Ort Verstärkung an und richteten eine Umleitung des Verkehrs über Gambach ein. Zum Glück fuhren um diese Uhrzeit nur wenige Fahrzeuge auf der Strecke. Notarzt und Rettungswagen, die nur Minuten später eintrafen, parkten in respektvollem Abstand, um die Feuerwehr nicht zu behindern.

Simon Kerner sprach kurz mit dem Streifenführer. Der notierte sich die Angaben und erklärte, sie an die Kripo weitergeben zu wollen. Nachdem Kerner nichts mehr beitragen konnte, bat er den Taxifahrer, weiterzufahren. Bis nach Partenstein war es im Wagen sehr still. Sie dachten an den Menschen, der in dieser Feuerhölle offenbar elend umgekommen war.

Als die Verstärkung der Polizei aus Karlstadt eintraf, erstickte die gerade die letzten Flammen unter einem Teppich aus Löschschaum, der wie Schnee die ganze Fahrbahn rund um die Brandstelle bedeckte. Da das gelöschte Fahrzeug eine immense Hitze abstrahlte, konnte man sich ihm nur auf Distanz nähern. Der Notarzt, der eigentlich die Aufgabe gehabt hätte, den Tod der eingeschlossenen Person amtlich festzustellen, erklärte, dies würde jetzt in die Zuständigkeit der Rechtsmedizin fallen. Danach rückten er und der Rettungswagen wieder ab. Für sie gab es hier nichts mehr zu tun.

Wegen der Leiche im Wagen wurde der KDD, der Kriminaldauerdienst, in Würzburg verständigt. Zufälligerweise hatte Eberhard Brunner Dienst. Dem Leiter der Mordkommission fiel am Fahrzeugwrack sofort das Fehlen der Nummernschilder auf. Mittlerweile war der Wagen abgekühlt. Auf Wunsch der Beamten des KDD brachen die Feuerwehrleute die verglühte Fahrertür mit einer hydraulischen Zange auf, um an die Leiche heranzukommen. Die Beamten der Spurensicherung, die man an ihren weißen Overalls erkannte, stellten sogenannte Leuchtgiraffen auf, die das Fahrzeug und die nähere Umgebung taghell ausleuchteten. Eine Polizeistreife war vor Ort geblieben und regelte soweit erforderlich den Verkehr.

»Hast du die Rechtsmedizin verständigt?«, fragte Brunner Kriminalhauptkommissar Reuther, einen Kollegen vom KDD. Der nickte.

»Karaokleos hat sich über meinen Anruf zu dieser Stunde sehr gefreut. Er kam gerade von einer Familienfeier.«

»Kann ich mir gut vorstellen«, erwiderte Brunner, dabei zog er sich Gummihandschuhe über und näherte sich der Leiche. Der beißende Geruch verkohlten Fleisches stieg ihm in die Nase. Die Innenverkleidung des Wagens und die Polster der Sitze waren durch das Feuer total verbrannt. Übrig geblieben waren nur Metallskelette. Die durch die Hitzeentwicklung geschrumpfte Leiche saß angelehnt an den Metallstreben des Rückenteils des Fahrersitzes. Der Kopf war nach vorne auf die Reste des Lenkrads gesunken, die Hände lagen im Schoß. Brunner gab dem Polizeifotografen einen Wink und der schoss einige Bilder von der Auffindesituation. Aufgrund des hohen Verbrennungsgrades war nicht feststellbar, ob es sich bei der Leiche um eine Frau oder einen Mann handelte. Dies würde man erst bei der Obduktion feststellen können.

»Ein schrecklicher Tod, so bei lebendigem Leib zu verbrennen«, stellte Reuther fest, der neben Brunner getreten war.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Mensch entweder schon tot war, als das Feuer ausbrach, oder zumindest stark betäubt. Sieh dir diese geradezu entspannte Haltung an. Jeder Mensch, der bei Bewusstsein einem solchen Feuer ausgesetzt wird, würde Panik bekommen und versuchen, irgendwie aus dem Fahrzeug herauszukommen. Dafür gibt es hier aber keinerlei Anzeichen.«

»Stimmt«, gab Reuther Brunner Recht. »Auch die fehlenden Nummernschilder deuten darauf hin, dass wir es mit einer Straftat zu tun haben.«

»Ich denke, davon kann man ausgehen.« Brunner winkte den Leiter der Spurensicherung zu sich. »Wir werden die Leiche so nicht bergen können. Organisieren Sie bitte einen Transporter, der das gesamte Fahrzeug in die KTU transportiert. Dr. Karaokleos wird dort mit seinen Untersuchungen beginnen müssen und dann Anordnungen treffen, wie der Tote am besten zu bergen ist.«

»Was muss ich?«, ertönte eine laute Stimme aus dem Hintergrund. Brunner hatte gar nicht bemerkt, dass mittlerweile der Rechtsmediziner eingetroffen war.

»Hallo Doc«, begrüßte Brunner den Mediziner, der neben den Kommissar getreten war und die Leiche kritisch musterte. Er hatte sich bereits Gummihandschuhe übergezogen.

»Da ist wirklich nicht mehr viel übrig«, brummelte Karaokleos, während er eine Taschenlampe aus seiner Jacke zog und sich ins Wageninnere beugte, um die Leiche genau betrachten zu können. So verharrte er einen Moment, ohne etwas zu berühren, während sich der Lichtstrahl Stück für Stück über den Toten bewegte. Plötzlich streckte er den Arm nach hinten aus, wackelte auffordernd mit dem Zeigefinger und rief: »Eine lange Pinzette bitte!«

Einer der Spurensicherer reichte dem Mediziner das gewünschte Werkzeug, der daraufhin vorsichtig nach etwas im Bodenraum des Fahrzeugs fischte.

»Na, wer sagt’s denn«, brummte er kurz darauf zufrieden, zog sich aus dem Wageninneren zurück und hielt mit der Pinzette ein auf den ersten Blick nicht erkennbares Etwas in die Höhe, das sich auf den zweiten Blick als ovales Metallteil entpuppte, das von der Hitze deformiert war.

»Was ist das?«, wollte Brunner wissen und betrachtete das graue Metallstück.

»Ich würde sagen, dass es sich hierbei um eine spezielle Gürtelschließe handelt. Soweit ich weiß, kommen die aus Amerika und werden Buckle genannt. Sie werden mit einem Dorn in das Loch im Ledergürtel eingehakt. Ich selbst besitze auch so ein Teil.« Er drehte das Metallstück und es war tatsächlich eine Art Haken erkennbar. »Die Schließe lag auf dem Fahrzeugboden direkt unter der Leiche. Wahrscheinlich ist sie während des Feuers, als der Gürtel verbrannte, zwischen den Beinen des Toten durch das Skelett des Sitzes hindurch auf den Boden gefallen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei der Leiche also um einen Mann.«

»Wie kann das sein, dass sie noch erhalten ist? Bei der Hitze des Feuers?«, wollte Brunner wissen.

Der Beamte der Spurensicherung, der dem Rechtsmediziner die Pinzette gereicht hatte, nahm diese entgegen und betrachtete das Beweisstück genauer.

»Dem Gewicht nach hat diese Schließe vermutlich einen hohen Eisenanteil. Wahrscheinlich war die Hitze am Boden des Fahrzeugs nicht so hoch wie weiter oben im Innenraum. So wurde sie nur verformt. Eisen hat einen sehr hohen Schmelzpunkt, der liegt meines Wissens ungefähr bei 1500 Grad Celsius.« Er zog eine Plastiktüte aus der Tasche seines Overalls und tütete das Fundstück ein.

Dr. Karaokleos war mittlerweile um das Fahrzeug herumgegangen und suchte mit der Taschenlampe durch die geborstene Seitenscheibe hindurch die Leiche von der anderen Seite her ab. Schließlich kam er zu Brunner zurück.

»Ich schätze, der Mann war zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Feuers zumindest nicht mehr bewegungsfähig, wenn nicht schon tot. So wie er dasitzt, hat er offenbar keinerlei Versuch unternommen, sich zu befreien.«

»Dies ist auch meine Vermutung«, erwiderte Brunner.

Dr. Karaokleos wandte sich vom Fahrzeug ab. »Ich denke, ich habe für jetzt genug gesehen. Ich bin gespannt, ob die Spezialisten meinen Verdacht bestätigen, dass hier ein Brandbeschleuniger zum Einsatz gekommen ist. Das Fahrzeug ist ziemlich gleichmäßig verbrannt, was ich bei anderen Fahrzeugbränden so nicht beobachten konnte.«

Er sprach den Leiter der Spurensicherer an. »Achten Sie bitte sorgfältig darauf, dass beim Transport die Lage der Leiche nicht verändert wird.« Der Beamte sagte das zu.

»Gut, dann werde ich wieder gehen«, erklärte der Rechtsmediziner. »Bei diesem schwierigen Fall wird es etwas dauern, bis Sie von mir ein Gutachten bekommen.« Er gab Brunner die Hand und ging zu seinem Wagen. Der Kriminalkommissar sah den sich entfernenden Rücklichtern nach.

Der Chef der Spurensicherung betrachtete nachdenklich das Wrack. »Auf jeden Fall war dies hier kein Unfall. Das Fahrzeug ist offenbar mit nichts kollidiert. Und kein Auto beginnt einfach so zu brennen. Da hat jemand nachgeholfen. Aber das werden die weiteren Untersuchungen ergeben.« Er zog sein Telefon heraus. Es musste ein Kranwagen organisiert werden, der das Fahrzeug mitsamt Leiche in die KTU, die Kriminaltechnische Untersuchungsabteilung, brachte.

Brunner betrachtete nachdenklich die Männer der Spurensicherung bei der Arbeit. Er war sich ziemlich sicher, dass sie so gut wie keine verwertbaren Humanspuren finden würden. Das Feuer hatte sicher alles vernichtet. Dies war nach dem unbekannten Torsofund die zweite Leiche, deren Identität nur schwer feststellbar sein dürfte.

10

Die stechenden Augen des vierschrötigen Mannes in dem fensterlosen, nur mit Neonlampen erhellten Büro, musterten die beiden Typen, die in lässiger Haltung vor seinem Schreibtisch standen, mit durchdringendem Blick. John Hale und seine Männer waren die Gruppe fürs Grobe. Die spurlose Entsorgung des Abfalls, der in ihrem Geschäft immer wieder anfiel, war ein wesentlicher Bestandteil des reibungslosen Ablaufs.

»Ihr habt den Auftrag ordnungsgemäß erledigt und ihn ausgezahlt?«

Die beiden nickten unisono.

»Irgendwelche Schwierigkeiten bei der Übergabe des Pakets?«

»Alles in Ordnung, Chef«, gab Konrad, der Ältere des Duos, Auskunft. Er hatte einen deutlich hörbaren schwäbischen Akzent.

Hale rollte ein kleines Stück mit dem Bürostuhl zurück und öffnete eine Schublade seines Schreibtisches. Er nahm zwei Umschläge heraus und drückte jedem der beiden einen in die Hand.

»Ihr könnt jetzt gehen. Wahrscheinlich gibt es morgen oder übermorgen wieder eine Lieferung abzuholen. Lasst also eure Handys eingeschaltet.«

»Alles klar«, gab der Schwabe, offenbar der Wortführer der beiden, zurück. Er legte zwei Finger in einem angedeuteten militärischen Gruß an die Stirn und wandte sich zur Tür. Sein schweigsamer Kollege folgte ihm.

Hale sah ihnen nach. Er war ein harter Bursche, der beim Geschäft keinerlei Skrupel kannte. Dennoch erzeugten diese zwei Kerle bei ihm bei jeder Begegnung einen leisen Schauer. Sie erledigten für die Organisation die Drecksarbeit. Dabei kannten sie keine Grenzen und schon gar kein Erbarmen.

Er hatte sie vor eineinhalb Jahren angeheuert, als der Bedarf entstand, derartige Dienste zu organisieren. Ihre Vita hatte ihn überzeugt. Beide hatten reichlich Erfahrungen als Kämpfer in Syrien und im Irak gemacht. Dort hatten sie als Söldner getötet, hingerichtet und vergewaltigt. Ohne religiöse oder politische Motivation, nur für Geld. Ihm war klar, dass sie auch ihn ohne jegliche Bedenken töten würden, wenn ihnen jemand ein entsprechend lukratives Angebot unterbreiten würde. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintreten würde, war aber nicht sehr hoch, denn er bezahlte sie fürstlich. Er erhob sich leicht und zog die durchgeladene Pistole unter seinem Oberschenkel hervor, die er dort griffbereit verborgen hatte. Für alle Eventualitäten! Nachdem er sie gesichert hatte, legte er sie in die Schublade seines Schreibtisches zurück.

Konrad und Thorsten, wie der Schweigsame hieß, bewegten sich über den ebenfalls fensterlosen, mit Neonlampen erhellten Gang im Kellergeschoss des Gebäudes. Die Wände bestanden aus grauem, unverputzten Beton. An der Decke liefen Bündel von Versorgungsleitungen. Über ein Ventilationsrohr wurde Frischluft zugeführt. Eine metallene Seitentür öffnete einen Zugang zur Tiefgarage. Im hinteren Bereich stand ein schwarzer VW Touareg, den der Schwabe mit der Fernbedienung entriegelte.

Einen Augenblick später verließen sie das Gebäude. Ein unbefestigter Forstweg brachte sie zu einer durch den Wald führenden Asphaltstraße. Dort öffneten sie die Fenster und ließen frische Luft in das Fahrzeuginnere. Die beiden waren mit ihrem derzeitigen Job und der daraus resultierenden Einnahmesituation ausgesprochen zufrieden. Er bot kreativen Männern mit ihren Fähigkeiten verschiedene Möglichkeiten, ihre Einnahmen aus unterschiedlichen Quellen zu speisen. Für jede beseitigte Leiche gab es eine Prämie, mit der sie auch den Dienstleister bezahlten, der die endgültige Beseitigung erledigte. Hin und wieder entsorgten sie auch mal selbst eine Leiche in der freien Natur.

So eine spektakuläre Aktion wie die Verbrennung der einen Toten in einem gestohlenen Auto würden sie zukünftig sein lassen. Das erregte zu viel Aufmerksamkeit in den Medien. Sie wussten, dass sie damit ein Risiko eingingen, aber das beunruhigte sie nicht sonderlich. Sie waren ein gefährliches Leben gewohnt und würden ohne Skrupel jeden beseitigen, der sich ihnen in den Weg stellte.

Wenig später betraten sie ihre gemeinsame Wohnung am Rande der Lohrer Innenstadt, eine Dachterrassenwohnung auf einem der höheren Neubauhäuser in der Nähe des Mains. Für den Vermieter waren sie ein schwules Pärchen, das sich diese extravagante Penthousewohnung leisten konnte. Sie ließen die Menschen in der Umgebung in diesem Glauben. In den Augen ihrer Nachbarn waren sie zwei vermögende Männer, die man mit ihrer vermuteten sexuellen Ausrichtung tolerierte. Dies nicht zuletzt deswegen, weil sie freundliche, angenehme Zeitgenossen waren und in den Augen der Öffentlichkeit ein unauffälliges Leben führten.

Niemand in der Nachbarschaft hatte von ihrem Doppelleben eine Ahnung. Ihre durchaus heterogenen sexuellen Neigungen befriedigten sie in weiblicher Gesellschaft in entsprechenden Etablissements in Frankfurt. Innerhalb der Wohnung hatte jeder der beiden ein eigenes großes Zimmer. Diese waren militärisch spartanisch eingerichtet. Jeder hatte einen gepackten Einsatzrucksack in der Ecke stehen, der alles enthielt, was sie bei einer schnellen Flucht benötigten.

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