Kitabı oku: «Der Herzog», sayfa 4
„Ja“, antwortete ich schnell. „ich darf anfügen, daß es mir auch nie unklar gewesen ist.“
Plötzlich war er beruhigt: „Dann ist es ja gut. Darum möchte ich aber auch in aller Zukunft gebeten haben.“
Er wollte den Salon, in dem sich die Szene abgespielt hatte, eben verlassen, da drehte er sich unter der Türe noch einmal um und warnte mich mit wackelndem Zeigefinger: „Übrigens, der Rüschchen- und Bändchenschnickschnack hört jetzt auf. Das einzig Französische in unserer Familie ist Seine Kaiserliche Hoheit. Der macht mir wenigstens Freude.“
Den speziellen Anlass zur Freude hat uns Graf Dietrichstein nicht hinterlassen. ‚Kaiserliche Hoheit’ war gerade sechs Jahre alt, die Beziehung, der Joseph Moritz’ Tagebuch später fast ausschließlich gewidmet ist, hat noch nicht begonnen, wenn sich auch Voraus - Spuren jetzt schon finden. Es ist allerdings hinterher immer verführerisch, in Kenntnis des Endes rückschauend so manches zur Spur zu erklären, was möglicherweise noch gar keine war. Jedenfalls sind die paar Notizen im Tagebuch, die zum Thema ‚Napoleons Sohn’ aufzufinden waren noch in keiner Weise Hinweise, wenn man sie auch später doch als solche identifizieren könnte. Aber hier offenbart sich die Zweifelhaftigkeit historisch hergestellter Zusammenhänge, die ja immer rückschauend und somit viel gescheiter sind, als es die, die es erlebt haben, jemals sein hatten können. Rückschauend weiß man dann immer das, was man, zur besseren Bewältigung der Situation, besser vorher gewusst hätte. Aber in der Kluft zwischen Hinterher-Besser-Wissen und Vorher-Nicht-Gewußt-Haben, aber vielleicht Vorher-Wissen-Hätte-Sollen liegt wohl das, was man Geschichtsschreibung nennt.
Aber zitieren wir doch die vermeintlichen Spuren. Da findet sich inmitten einer belanglosen Alltagsschilderung über ein Missgeschick, das eine Köchin des Hauses mit einem Kuchen gehabt hatte, ein den Tag abschließender Hinweis.
Vater lobte den Mehlspeisenkoch seines Zöglings über die Maßen, was Mama in gelinde Scham trieb, da sie wahrscheinlich annahm, daß Vater das nur deshalb tat, um die blamable Sache mit der Mehlspeis’ in unserer Küche, vielmehr in der von meiner Mutter geleiteten Küche, nur ja nicht gleich wieder auf sich beruhen zu lassen.
„Aber wir werden ja selbst Gelegenheit haben, das bald zu kosten“, kündigte er an.
„Warum denn?“ und „Wann denn?“, waren die Fragen, die wir ihm jetzt stellten.
„Heute in einer Woche, ja, genau heute in einer Woche.“
Dieser exakte Hinweis des Vaters erlaubt uns, das Datum der Notiz ganz genau festzulegen, es ist der 13. März 1817.
„Heute in einer Woche hat seine Kaiserliche Hoheit seinen sechsten Geburtstag. Und ich habe die Ehre, meine Familie mitbringen zu dürfen.“
„Zur Feier?“, fragten alle ungläubig; wir wußten doch, daß diese Feier auf allerhöchster Ebene stattzufinden hatte, zumal ja eben doch eine Kaiserliche Hoheit Geburtstag feierte; das war eine Feier wie bei einem Erzherzog; und da waren wir auch nie geladen.
„Nein, nein“, lächelte Vater milde, „zur Feier erscheinen nur wir.“
„Wir?“, riefen alle wieder entzückt.
Vater setzt eine tadelnde Miene auf: „Ihr spielt eine schlechte Posse mit mir! Wir, das sind wir, seine Erzieher.“
„Aha“, ging es in der Runde.
Irgendjemand aber erlaubte sich doch zu fragen, ich glaube, es war Mutter: „Und wir?“
Leises Gekicher war die Folge, das jedoch von Vater mit einem Rundumblick beruhigt wurde.
„Zum Kaffee, am Nachmittag“, erlöste er endlich gnädig die Fragerunde.
„Der Kleine trinkt Kaffee?“, fragte Mutter erstaunt.
Wieder der tadelnde Erzieherblick des Vaters: „Seine Kaiserliche Hoheit lädt zum Kaffee. Die Familien seiner Erzieher. Er selbst wird vermutlich keinen Kaffee trinken.“
Vater dachte angestrengt nach und stellte dann nachdrücklich nickend fest: „Also das wäre mir doch aufgefallen. Nein, nein!“
Damit schien er beruhigt.
Mutter scheint sich auf den Tag zu freuen.
Ich fühle mich in Gegenwart seiner Kaiserlichen Hoheit nicht wohl. Zumal ich es einfach zu drollig finde, daß wir Großen vor diesem Buben die großen Complements machen müssen und er das auch noch huldvoll entgegennimmt. Der Kleine weiß genau, was ihm zusteht, das macht ihn unsympathisch und uns klein. Immerhin gut, daß niemand sieht, wenn wir Standspersonen, die wir von anderen selber Respekt einfordern, plötzlich Kotaus vor einem Kind machen müssen.
Wieder einmal der Hinweis auf den Stand, in dem sich Joseph Moritz sehr stark fühlt. Und wieder das Angerührt-Sein, wenn er gezwungen ist, sich vor anderen, in diesem Fall Höheren, zu beugen.
In dieser Woche vor dem Geburtstagsfest, widmet er ein paar Zeilen der Kaiserlichen Hoheit.
Was ich wohl mit ihm sprechen werd’? Oder, was wird er mit mir sprechen? Ob er wohl weiß, daß seine Mutter in Parma mit einem Bastard trächtig ist? Ob ich ihm das wohl erzählen werd’?
Aber nein, Vater hat nur Themen erlaubt, die Seine Kaiserliche Hoheit selbst, oder er, mein Vater, anschneidet. Sonst wird nichts geredet? Das kann ja heiter werden.
Aber schön wär’s, wenn ich...
Gute Nacht, träum’ süß, Joseph Moritz!
Boshaftigkeit und hin und wieder gute Laune, das lernen wir hier an Joseph Moritz kennenz. Abgesehen davon spricht er hier ein höchst heikles Thema an. Marie Louise, Herzogin von Parma, war zu dem Zeitpunkt schon im 7. Monat schwanger. Am 11. Mai des Jahres 1817 wurde ihr ein Mädchen geboren, das ihr der Graf Neipperg in den Leib gesetzt hatte. Napoleon lebte noch, so konnte Marie Louise ihren Begatter nicht heiraten. Das Mädchen musste getarnt werden als Albertine Montenuovo.
Es ist an sich schwer zu erklären, wieso Joseph Moritz das überhaupt gewusst hat: Er gibt keine Quelle an, schreibt nicht, wo er doch sonst so geschwätzig ist, wer ihm das erzählt hat, aber er weiß es. Es ist auch nicht herauszufinden, wer es noch aller gewusst haben mag. Sicher der Kaiser, sicher Metternich, sicher - denn von denen wusste es ja Metternich - Sedlnitzkys Geheimpolizei; die hatten bestimmt jedes Detail von der Zeugung bis zur Geburt archiviert.
Klar war aber, dass darüber vor der Kaiserlichen Hoheit nicht gesprochen werden durfte. Der Sohn hat die Details über seine Mutter überhaupt erst im März 1829, also zwölf Jahre später, erfahren. Da gab es aber auch schon mehr zu erfahren, denn da waren dann schon mehrere Kinder da. Da hatte Marie Louise auch ihren Neipperg schon geheiratet und da war Neipperg auch schon gestorben.
Später, viel später, wurde Metternich vorgeworfen, er hätte die Mutter des Herzogs von Reichstadt, zur Zeit noch Kaiserliche Hoheit, in die Hände des Grafen Neipperg getrieben. Die Wahrheit aber verhält sich ganz anders. Sicherlich, Marie Louise sollte ein ‚Ehrengeleit’ bekommen, um ihren gefangenen Mann zu vergessen. Juni/Juli 1814 stand die Ernennung dieses Ehrengeleits an. Juni/Juli 1814 bekam Marie Louise beim ‚Frieden von Paris’ den folgenden Passus verpasst:
‚Die Herzogtümer Parma, Piacenza und Guastalla werden der Souveränität Ihrer Kaiserlichen Majestät Marie Louise unterstellt und ihr als Besitz übergeben. Sie gehen auf ihren Sohn und dessen Nachfolger in direkter Linie über. Der Prinz, ihr Sohn, wird ab jetzt den Titel Prinz von Parma, Piacenza und Guastalla führen.’
Vorher aber waren da viele Reisen über Rambouillet, Schweiz, Schönbrunn, Aix le Bains - und dort lernte sie Neipperg kennen.
Metternich hatte den Hauptmann Graf Karaczai als ‚Ehrengeleit’ für Ihre Hoheit, die Herzogin von Parma, vorgeschlagen. Der Kaiser selbst aber ernannte Neipperg. Und vorgeschlagen wurde Neipperg vom Botschafter Schwarzenberg. Das alles konnte nur deshalb ohne Wissen Metternichs passieren, weil er in London weilte. Noch aber war nichts Bedenkliches an der Ernennung Neippergs; der Kaiser soll zunächst erklärt haben: „Gott sei Dank! Ich habe Glück gehabt in der Wahl dieses caballero!“
Wer hätte denn auch vorhersehen können, daß sich die Exkaiserin mit diesem einäugigen Offizier einlassen werde; schließlich war er sechzehn Jahre älter als sie, verheiratet und Familienvater. Neipperg war Feldmarschallleutnant und hatte sich in kriegerischer als auch in diplomatischer Hinsicht durchaus verdienstvoll hervorgetan. So war es fast ein Ehrendienst, als er eingeteilt wurde, der Herzogin von Parma nicht nur Ehrengeleit zu geben, sondern auch ihre Interessen zu vertreten, was im Wiener Kongress Marie Louise durchaus zum Nutzen gereichte. Im Juli 1814 stellte er sich erstmals der Herzogin von Parma vor, in Aix le Bains. Sie schrieb damals noch an Napoleon: ‚Glaube, mein teurer Freund, an meine zärtliche Liebe! Niemand liebt dich so und wird dich je mehr lieben als ich. Ich küsse dich und liebe dich von ganzem Herzen.’
Aber bald hatte sich Ihre Majestät die Erzherzogin, Herzogin von Parma, Piacenza und Guastalla mit ihrem Ehrenkavalier eingelassen. Ihr Schutzengel hatte schon vier Söhne, seine Frau besaß zudem die Höflichkeit, am 23. April 1815 zu verscheiden. Am 27. September 1814, auf der Rückreise von Aix le Bains nach Wien gab Marie Louise sich ihm hin, und zwar im Hotel ‚Zur Goldenen Sonne’ in der Nähe der Tellskapelle am engelsreinen Ufer des Vierwaldstättersees. Das alles wusste bis ins kleinste Detail die Wiener Geheimpolizei. Dort ist zu diesem Fall vermerkt:
‚Wien, 24. Oktober 1814. ...Man kann jetzt feststellen, daß sie (Marie Louise) sich in vollkommener Übereinstimmung und großer Intimität mit Neipperg befindet, der sehr geschickt ausgesucht worden ist...’
Und ‚Wien, 3. Januar 1815. In der Kurierpost von Elba, die über Livorno nach Parma an Marie Louise gelangt ist, macht Napoleon ihr lebhafte Vorwürfe wegen ihrer Unbeständigkeit und ihrer Haltung ihm gegenüber. Er war sehr eifersüchtig auf Neipperg.’
Allerdings, man muss Marie Louise auch ein paar Entschuldigungen zukommen lassen. Eine davon war wohl auch in einem Geheimbericht enthalten und besagte, dass ihr Gatte auf Elba von Frauen umgeben sei. Zeugen hierfür seien der Palastvorsteher Bausset und die Palastdame de Brignole.
Gründlich war sie schon, die Geheimpolizei.
Über genau diesen Themenkreis hatte Joseph Moritz bei seiner Königlichen Hoheit sechstem Geburtstag sprechen wollen? Es war wohl sicher nicht ernst gemeint. Es war das, was wir schon festgestellt haben, eine der seltenen Gelegenheiten, festzustellen, dass Joseph Moritz von Zeit zu Zeit auch guter Laune, ja fast ausgelassener Stimmung gewesen sein mag. Im Tagebuch dokumentiert er sich sonst ja eher elegisch, tragisch, schwermütig, wehleidig, selbstgefällig, selbstmitleidig und nicht recht über den Dingen stehend, mit denen ein junger Mann seiner Zeit halt in Berührung zu kommen hat.
Aber dann war er da, der Tag. Vielmehr er war da gewesen, da wir ja von Joseph Moritz nur erfahren, was gewesen ist.
Aber nun haben wir ja den Geburtstag erreicht, den 20. März 1817.
Sein Mittagmahl hatte mein Vater wie immer in der Küche seiner Kaiserlichen Hoheit eingenommen. Nicht in der Küche, sondern aus der Küche Seiner Kaiserlichen Hoheit. Dann aber war er außerhalb des Stundenplanes ins Palais gekommen und hat im ganzen Haus laut herumschreiend angekündigt, daß wir um halb zwei abfahren würden, weil uns Seine Kaiserliche Hoheit um Punkt zwei Uhr erwarte.
„Kennt er denn schon die Uhr?“, fragte meine Mutter verwundert.
Mein Vater war an Sarkasmus nicht mehr zu überbieten: „Nein, aber er kann bis zwei zählen!“
Aber Mutter ließ nicht locker: „Bis zwei?“
„Vier Schläge zur vollen Stunde...“, hier stockte Vater plötzlich, blickte Mutter böse an, die irgendwelche Bildchen auf dem Kaminsims herumschob; dann aber vollendete er großzügig: „Also gut, bis vier!“
Gleich aber schimpfte er wieder: „Keine Mißverständnisse! Der Kaffee ist um ZWEI!“
Mutter schüttelte den Kopf: „Ich bin ja neugierig!“
Vater stellte fest: „Ich auch!“, um anschließend gleich zu fragen: „Aber warum Sie, Frau Mutter?“
„Ob er wirklich Kaffee trinkt, der Kleine!“
„Der Kleine reicht der Frau Mutter immerhin fast bis zu den Schultern!“
Diese Bemerkung hatte mich neugierig gemacht. So ein großer Bube also?
Nun gut, wir fuhren hin. Fünf Minuten vor zwei standen wir im Vorzimmer. Dann schlug, wie es mein Vater angekündigt hatte, eine Uhr am Kaminsims vier Mal zur vollen Stunde, dann zweimal. Sogleich nach dem zweiten Schlag öffnete sich die Türe zu den Gemächern Seiner Kaiserlichen Hoheit. Er kam so prompt heraus, daß ich fast annehmen mußte, er ist hinter der Türe gestanden. Mutter blickte Vater kurz an, wie um ihm mitzuteilen: ‚Siehst du, er kennt wirklich die Uhr!’ Vater aber sah entzückt dem formvollendeten Auftritt seines kindischen Zöglings zu. Wahrscheinlich hatten sie das für solche Gelegenheiten eingeübt und Vater prüfte jetzt den Buben. Der Bub benahm sich auch, wie bei einer Prüfung.
Er ging schnurstracks auf meinen Vater zu, reichte ihm die Hand, verbeugte sich leicht, während mein Vater ein großes Complement machte, und sagte: „Mein verehrter Lehrer, willkommen an diesem Tag.“
Dann wandte er sich Mutter zu, die ihrerseits den tiefen Knicks machte, und sagte: „Es muß doch ein schöner Tag sein, wenn mein Lehrer seine angetraute Gemahlin uns einmal nicht vorenthält!“
‚Uns einmal nicht vorenthält’, Gott, wie geschraubt, dachte ich für mich. Da war er aber auch schon bei mir. Ich machte mein großes Complement, während er sagte: „Welch ein trefflicher Sohn muß das sein bei einem so trefflichen Vater.“
Jetzt wandte er sich meinem entzückt zuhörenden Vater zu: „Verzeih er mir, Graf, wenn heute einmal Wir die Noten ausgeben.“
Mein Vater nickte mit ziemlich blödem Blick und verbeugte sich errötend, während sich der Bub wieder zu mir wandte: „Ist er zu ihm auch so streng? Wir müssen reden, er muß mir ein paar Gedanken geben, wie ich der Strenge des Herrn Grafen ein wenig zu entrinnen vermag!“
Damit wandte er sich von mir ab und begrüßte nun ebenso wortereich die anderen - die Collins und die Forestis und so weiter. Ich mag sie nicht alle aufzählen.
Immer wenn Seine Kaiserliche Hoheit bei jemandem vorbei war, bekam der ein winziges Schälchen Kaffee gereicht. Mutter vermißte sogleich den Kuchen, worauf ihr Vater zuknurrte, daß sie sich zuhause sattessen könne. Das hier sei ein hehrer Anlaß und keine Freßveranstaltung.
Da bemerkte der Vater, daß Seine Kaiserliche Hoheit ihn benötigte und rannte stracks hin. Ich stand in einer Ecke. Seine Kaiserliche Hoheit – der lange Titel macht mich beim Schreiben direkt nerviös - konnte ich nicht sehen, er war inmitten vieler Leute. Mein Vater aber war wie die Boje in dem Gewoge; ich nahm an, daß dort, wo ich meines Vaters ansichtig wurde, SKH nicht weit sein konnte.
Ich hatte meinen Kaffee recht schnell ausgetrunken und stand mit der leeren Tasse da. Einer der jungen Kannenhalter sah das, zwinkerte mir zu und deutete mit den Augen auf seine Kanne, dann blickte er deutlich auf meine Tasse. Ich nickte. Jetzt wurde er verlegen; offensichtlich durfte er ohne ausdrücklichen Befehl seinen Platz nicht verlassen: Er drückte also totale Hilflosigkeit in seinem hübschen Gesichte aus, was zur Folge hatte, daß ich zu ihm hinging, er mir einschenkte, sofort wieder die vorige Haltung annahm und so tat, als wäre nichts gewesen: Ich hauchte ein leises „Danke“, er aber schüttelte ängstlich fast unmerklich den Kopf, als wollte er mir sagen, daß ich sofort wieder vergessen möge, was soeben geschehen war.
Plötzlich stand meine Frau Mutter neben mir und sagte zu jemandem: „Da, er hat noch den ganzen Kaffee in der Tasse. Immer läßt er ihn kalt werden!“
„Er dampft aber noch“, sagte da eine jugendliche Stimme, die mich herumriß.
Es war SKH. Er lächelte: „Hat er sich nachschenken lassen?“
Ich blickte erschrocken den jungen Kannenträger an, der seinerseits blickte starr vor sich hin.
„Ach, vom Jakob“, sagte da der Bub. „Der Jakob ist mein Bester und mein Liebster. Von ihm krieg' ich immer noch was, wenn’s schon nicht mehr erlaubt ist...“, da hielt er erschrocken inne, blickte meine Mutter an und flehte: „Das darf die Frau Mutter jetzt aber nicht ihrem Herrn Gemahl erzählen, denn das ist gegen seine Ordnung!“
Mutter beteuerte: „Aber wie wird’ ich denn! Außerdem, ich kenne meinen Mann.“
„Eben“, nickte SKH, „der bekommt alles aus einem heraus. Ach was! Ich BEFEHLE ihr, über das soeben Gehörte zu schweigen.“
Dann zeigte er spaßhaft auf mich: „Und er haftet mir dafür, daß die Geschichte verschwiegen bleibt, gell?“
Damit mischte er sich, uns in tiefer Verbeugung hinterlassend, wieder in die Menge, dort nun wieder bei den anderen Verbeugungen erzeugend. Das ist es, was ich von dem Geburtstagsfest zu berichten weiß.
Mir fallen die Augen zu. Aber ich habe es ausführlich beschreiben wollen. Beim Gehen habe ich noch den Blick Jakobs gesucht, er aber hat weggeschaut. So weggeschaut, daß ich genau weiß, daß er genau weiß, daß ich hingeschaut habe.
Das war also der erste längere Bericht, den wir von Joseph Moritz, den Herzog von Reichstadt betreffend, haben. Findet der Leser die angekündigten Spuren? Sicher, Seine Kaiserliche Hoheit hat mit dem Joseph Moritz länger gesprochen als mit anderen; er hat mit ihm gescherzt, er hat eine Art Vertraulichkeit mit ihm aufkommen lassen; er hat bemerkt, dass Joseph Moritz sich von ‚seinem liebsten’ Diener hat nachschenken lassen. Andrerseits aber scheint eben jener Jakob auf Joseph Moritz mehr Eindruck gemacht zu haben, als Seine Majestät, Napoleon II.
Den Bericht hat uns Joseph Moritz noch am selben Abend gegeben.
Schon die nächste Eintragung, sie wird wohl an einem der zwei folgenden Tage geschrieben worden sein - wie so oft, undatiert - schildert uns aber doch einige Gedanken zur Person des Buben.
Habe soeben das Vorige noch einmal gelesen. Also das mit dem Jakob ist wohl wieder so eine Blödheit von mir. So geht’s mir halt oft, daß ich mich schnell in wen verschau’. Der Jakob, ein hübsch’ Gesicht, ein schneller Eindruck, und schon wieder vergessen.
Aus den späteren Eintragungen allerdings geht hervor, dass just dieser Jakob der Mitwisser gewesen sein muss, der das heimliche Ein und Aus des Joseph Moritz beim Herzog zu bewerkstelligen geholfen hat. Es ist jenes Kürzel ***, das Joseph Moritz später geheimnistuend verwendet und das anders nicht zu deuten ist, als mit dem besagten Jakob.
Für jetzt aber hat Joseph Moritz vor, diesen Jakob zu vergessen. Er hat sich wieder in ‚wen verschaut’, schreibt er. Trotz der späteren Fixierung auf den Herzog ‚verschaut' sich Joseph Moritz immer wieder. Man denke nur daran, dass wir jetzt schon zwei kennen gelernt haben, den Schneider Hans und jetzt den Jakob. Und wir werden noch andere kennen lernen.
Nicht so schnell vergessen werd’ ich aber doch den Buben, diese unbegreifliche Majestät. Sechs Jahre alt und macht unsereinem eine Konversation vor, die von einer Gewandtheit zeugt, daß man vor Neid erblassen möcht’. Ist es wirklich die Majestät in so einem Buben? Aber das kann sich doch nicht in einer Generation aufbauen. Schließlich ist der Vater doch irgendwo am Misthaufen aufgewachsen; jedenfalls ist bei ihm von Adel weit und breit nichts. Gut, die Mutter des Buben ist eine Habsburgerin, der Großvater unser Kaiser. Aber was ist es wirklich, was ihn so gewandt macht? Das Habsburgische oder das Napoleonische? Da es unheimlich ist, wird es wohl das Napoleonische sein, das aus dem Buben spricht. Wie er meiner Mutter befohlen hat, und mich für die Einhaltung des Befehles haften läßt, das war, wenn auch im Scherz, von einem gekommen, der Befehle zu geben weiß und diese auch zu formulieren im Stande ist. Der Bub macht mich glatt klein. Da spielen die zehn Jahre, die ich älter bin, keine Rolle. Überhaupt keine Rolle.
Wie kommt das? Denn nicht der Stand ist es, nein, die Person, die dahinter steht. Die drinnen steht. Der Bub muß sich auf keinen Stand berufen, der ist es. Der ist es einfach. Der Bub.
Entweder ist mein Vater ein hervorragender Lehrer oder ein schlechter Vater.
Wieder ist es der Stand, der dem Joseph Moritz zu schaffen macht. Dieses Problem kennen wir schon an ihm. Bemerkenswert ist hier jedoch, dass er Probleme damit hat, einen Stand über sich, der nicht Metternich heißt und der nicht der Kaiser selbst ist, annehmen zu müssen; aber nicht, weil der höhere Stand des anderen ihm das gebietet. Das auch. Sicherlich musste er Napoleon II. auch von Standes wegen akzeptieren. Was ihn aber störte war, dass er ihn annehmen musste, weil die Person, weil der ‚Bub’ ihn dazu gezwungen hat. Das war nicht Stand als verbrieftes und vererbtes Privileg, auf das man sich notfalls berufen kann, sondern Stand als Eigenschaft, als Teil der Persönlichkeit, als Basis der Persönlichkeit an sich. Und das bei einem Buben, der zehn Jahre jünger war als Joseph Moritz.
Findet der Leser hier Spuren? Sicher, Joseph Moritz hat sich mit Seiner Kaiserlichen Hoheit länger beschäftigt als bisher mit einem anderen Menschen.
Joseph Moritz ist ein höchst sensibler junger Mann. Und Seine Kaiserliche Hoheit ist sechs Jahre alt. Spuren mögen hier vielleicht beginnen, weil Napoleon II., der junge Adler, wie er auch genannt wurde, in Joseph Moritz Eindrücke hinterlassen hat, die ihm immer wieder ins Gedächtnis kommen werden, wenn vom ‚jungen Adler’ die Rede sein wird. Joseph Moritz wird in Zukunft etwas empfinden, wenn die Rede auf Napoleons Sohn kommt. Vielleicht beginnen hier wirklich die Spuren?
In der Folge, zumindest in diesem Jahr, begegnen wir allerdings Napoleon II. kaum mehr. Joseph Moritz scheint ein ruhiges Leben zu führen, keine wesentlichen Probleme werden da geschildert. So widmet er sich mit Hingabe dem ihn umgebenden Alltag.
Gestern war ich auf der neu eröffneten Bastei.
Mitte des Jahres waren die Basteien mit Bäumen bepflanzt und zur Promenade freigegeben worden.
„Jetzt ist Wien endgültig keine Festung mehr“, sagte mein Vater. Er ist übrigens sehr ungehalten darüber, daß man zu den Eröffnungsfeierlichkeiten seinen Zögling auch in der Öffentlichkeit gezeigt hat.
„Warum denn eigentlich?“, fragte ich.
Vater antwortete mir, als ob er mit einem Blöden redete: „Weil sein Vater im Jahr 1809 mit dem Umbau begonnen hat.“
„Umbau?“, fragte da Mutter erstaunt, „sprengen hat er die Befestigungsanlagen lassen...“
„Und damit den Grundstein für den endgültigen Abbruch gelegt“, fiel ihr Vater barsch ins Wort.
Vater läßt noch immer über Napoleon nichts kommen. Nicht, weil er ihn so sehr verehrt, sondern weil er der Vater seines Zöglings ist. Dennoch aber schimpfte er: „Geschmacklos, den Buben, nur weil sein Vater die Hand im Spiele hat, immer hervorzuzerren!“
Kein Wort des Kommentars von Joseph Moritz. Die von seinem Vater kritisierte Geschmacklosigkeit vollzieht er nicht nach.
Noch einmal begegnet uns in diesem Jahr der junge Napoleon. Joseph Moritz machte sich seine Notizen zu den Ereignissen des 18. Oktober.
Heute ist der Jahrestag der Schlacht von Leipzig.
Am 18. Oktober 1813 wurde Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig besiegt. An der Schlacht waren auch die Österreicher unter dem Feldmarschall Schwarzenberg beteiligt.
Im großen Saal des Invalidenhauses haben sie zwei mordsmäßige Gemälde von Johann Peter Krafft ausgestellt. Die Bilder zeigen recht deutlich Szenen aus den Schlachten bei Leipzig und Aspern.
Der Kaiser hat vorbeigeschaut Schlag neun am Vormittag. Vater hat dort sein müssen, hat mich darum mitgenommen.
Vater hat dort sein müssen, weil sie dem Napoleon II. auch die Bilder gezeigt haben. Er hat wieder fürchterlich geknurrt, mein Vater, warum sie dem Buben das immer antun. Sein Vater lebt schließlich noch in St. Helena und sie zeigen grausliche Bilder, wo der Vater so recht als Metzger dargestellt ist. Und das zeigen sie dem Buben.
Ich habe weniger die Bilder angeschaut, als das Gesicht des Buben, wie er sich die Bilder angeschaut hat. Ich hab’ leider nicht können hören, was sie ihm erklärt haben, sie haben es ihm ganz nahe am Ohr erklärt. Ich habe nur gesehen, daß der Bub recht blaß war und mit großen Augen immer gerade dorthin geschaut hat, wo sein Vater abgebildet war. Das hab’ ich sehen können, wenn ich im Geiste einen Strich von seinem Blick auf die Bilder gezogen habe.
Da hat mein Vater schon recht, er ist arm, der Bub. Mitten in den Erzherzögen drinnen, die sich furchtbar aufgeputzt hervortun wollten. Der Kaiser hat dann den Buben an der Hand genommen, ihm auch was gesagt, der Bub hat genickt, zum Kaiser aufgeschaut, als wollte er danke sagen; vielleicht hat er ihm auch gedankt. Sie sind nämlich gleich darauf gegangen.
Wär’ ich an des Buben Stelle gewesen, ich hätt’ wahrscheinlich geweint. Aber der Bub hat mit großen Augen geschaut; ich habe den Eindruck gehabt, er hat fest geatmet und ein paar mal Tränen aus seinen Augen weggeblinzelt. .
Nein, ich möcht der Bub nicht sein; mit all seiner Kaiserlichen Hoheit und dem ganzen Brimborium darum herum. Ich möcht’ er nicht sein!
Die ersten Zeichen von Anteilnahme. Ansonsten aber ist auch diese Beschreibung kaum den historisch so gerne zitierten Spuren zuzuordnen, da es einfach eine Regung des Mitleides mit einem Kind war, dessen Mutter fern ist, dessen Vater gefangen ist, als wäre er der Teufel selber, der von der Gunst eines gütigen Großvaters lebt und der von geschmacklosen Höflingen immer wieder mit seinem Vater als ‚Antichrist unserer Tage’ konfrontiert wird.
Die Beurteilung ‚geschmacklos’ steht uns durchaus zu; denn schon wenige Tage später, am 1. November 1817 kam Vater Dietrichstein mit einer so epochalen Neuigkeit nach Hause, dass Joseph Moritz sie sofort notierte.
Einmal, es ist eh selten genug, ist der Vater heute frohgemut aus dem Dienst nach Hause gekommen. Er hat uns auch sogleich alle zusammengerufen und uns dann sehr glücklich, herablassend und wohlwollend verkündet: „Heute zum Allerheiligentag hat Seine Majestät der Kaiser verfügt und uns alle wissen lassen, daß man Seine Kaiserliche Hoheit Napoleon II. fürderhin mit allen Arten von Zusammentreffen mit seinem Vater fernhalten muß. MUSS, hat er gesagt, nicht MÖGE oder SOLLE. MUSS, das ist ein Befehl, auf den ich mich berufen kann und der keine Eventualitäten zulassen tut. Wir wollen heute Abend allen Heiligen danken für diese wunderbare Gnade!“
Ich hätte meinem Vater sagen können, daß mir diese Verfügung des Kaisers nicht unerwartet kommt. Ich habe noch den Blick in Erinnerung, den der Kaiser und der Bub miteinander tauschten, bevor sie die Krafft-Gemälde im Invalidenhaus verließen. Vor drei Wochen war’s.
KAPITEL 6
Im folgenden Jahr, es ist das Jahr 1818, ergeht sich Joseph Moritz in recht peniblen Schilderungen des Alltages und der besonderen Geschehnisse.
Heute früh, am letzten Jänner, haben sie auf dem Glacis vor dem Neutor die Todesurteile gegen den Räuberhauptmann Grasel und seine zwei Hauptmitangeklagten durch Erhängen vollstreckt. Ich war, gegen das Wissen der meinen, dort und hab’ geglaubt, ich werd’ nicht hinschauen können. Ich hab’ auch nicht können, hab’ aber dennoch die ganze Zeit hingeschaut. Es ist schon ein seltsam’ Gefühl, wenn man da sieht, wie drei Leben ausgelöscht werden. Daß da ein neues, ewiges Leben beginnen soll, davon sieht man nichts und ahnt man nichts. Man sieht nur drei Männer hingehen, aufrecht, männlich und stark. Und dann werden sie weggetragen wie Mehlsäck’, totes Zeug. Es schaut eher so aus, als ob’s da einfach aus wär’. Einfach aus.
Man hat mich als Standsperson nicht erkannt. Es ist bitterkalt heute, darum habe ich mich ganz vermummt in meinen grauen Mantel, den ich so liebe.
Darum habe ich aber auch gehört, wie die Leute gefragt haben: „Wissen möchte’ ich, wer jetzt die 4000 Gulden Belohnung kassiert hat.“
Stimmt, daß sie ausgesetzt waren als Belohnung, davon hat man gehört. Aber wer sie jetzt wirklich gekriegt hat, davon hat man nichts mehr gehört Wird wohl in ärarischen Tümpeln versunken sein, das viele Geld.
Und kein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der das an den Tag gebracht hätte. Welche Zeiten!
Noch ein bemerkenswertes Ereignis verzeichnet Joseph Moritz am 1. März. Wir erwähnen dies hier deshalb, weil wir schon anlässlich der Uraufführung von Grillparzers ‚Ahnfrau’ erfahren durften, dass Joseph Moritz sich in künstlerischen Dingen gegenüber aufgeschlossen ist und sich ein Urteil erlaubt, das zumindest von recht untrüglichem Gefühl zeugt.
Waren heute im ‚Gasthof zum Römischen Kaiser’. Nicht essen, das wäre wohl nicht recht standesgemäß gewesen. Nein, sie haben dort einen Saal, in dem sie Musik aufführen.
„Musik, um die man sich kümmern muß“, meinte mein Vater und forderte mich auf, ihn dorthin zu begleiten.
Längere Zeit wurde nichts Auffälliges musiziert. Das Orchester spielte recht mäßig, es war Musik in Konfektionsausführung, sonst nichts. Ein einziges Stück, das mir auch aufgefallen wäre, wenn mich mein Vater nicht gestoßen hätte, das war von einem gewissen Schubert, Franz, glaube ich.
„Eigentlich ein fabelhafter Liederschreiber “, sagte Vater.
Heute aber haben sie uns eine ‚Ouvertüre im italienischen Stil’ von ihm vorgeführt. Und sie war wirklich flott, diese Ouvertüre, spritzig, voll Italianitá. Vater war recht angetan, das Publikum auch. Der Meister war selber anwesend und mußte drei Hervorrufe entgegennehmen.
Beim Anblick Schuberts fragte ich mich wieder einmal, wo der liebe Gott seine Wunder hintut; da stand ein kleiner, dicker, schwitzender, knollennasiger, kurzsichtiger, rotbackiger, gelbhäutiger Jüngling oben auf dem Podest und machte einen so unappetitlichen Eindruck, daß man meinte, man müsse den Schweiß in seinem Gewande noch meilenweit riechen.
Vater aber dachte anderes: „Wenn der so weitermacht, kann er steinreich werden!“
Auf dem Nachhauseweg in der Kutsche habe ich angefangen, den kleinen Schubert ein wenig zu beneiden. Was für eine jämmerliche menschliche Erscheinung, und was für eine wunderbare Musik. Als wollte da jemand eine Waage ins Gleichgewicht bringen.
