Kitabı oku: «Anna Knabe - ein "ausgefallenes" Leben», sayfa 2
Am nächsten Morgen wurde mit Weckruf eines Trompeters die ganze Truppe um 5 Uhr geweckt, denn was in diesen Tagen bis 10 Uhr nicht erledigt ist, muss bis zum Nachmittag warten oder gar bis zum nächsten Tag. Die Sonne bestimmt den Ablauf. Die Kompanieführer, die in den nächsten Tagen zum Abrücken bestimmt waren, suchten sich aus den Personalakten und Gesprächen die Leute aus. Hermann war als Ulan und Reiter sofort einem Leutnant aufgefallen, der sich mit seinen Reitern auf den Weg zum Waterberg machen sollte, um in der Abteilung Daimling Unterstützung für die sich nach Nord-Ost verlegende Front aufzuklären. Anna erhielt in dieser Zeit bis 1908 nur einen Brief, den ein kurzer Aufenthalt in der Etappe ermöglicht hatte. Wie selbstverständlich waren die Worte beim Abschied, sich treu zu sein, von beiden Seiten einem Schwur ähnlich gehalten worden. Das Jahr 1908 wurde das Jahr mit dem aus heutiger Sicht zweifelhaftem Sieg über den Sieg des Hererovolkes. Hermann war hochdekoriert mit mehreren Orden, darunter das EK1, aus der Schutztruppe ehrenvoll entlassen worden. Bei meiner Nachfrage 50 Jahre später, erklärte mir meine Großmutter Anna, dass er bei einem Spähtrupp-Unternehmen auf einen versprengten Haufen von Schutztrupplern und Marineinfanteristen stieß, die vor Durst kaum noch vorwärtskamen, sich aber immer bergab instinktiv einem verseuchten Wasserloch näherten, in dem Leichen und Tierkadaver moderten. Hier zu Trinken hätte den sicheren Tod bedeutet. Hermann, als Führer dieser Reitergruppe, ordnete an, alle mitgeführten Wasservorräte und den Proviant so zu begrenzen, dass die zurückbleibenden Reiter und die dem Verdursten nahe seienden Kameraden vier Tage durchhalten konnten. Er wolle in dieser Zeit dafür geradestehen, gefüllte Trinkwasserfässer heranzubringen. Drei Reiter wies er als Wachposten Plätze dicht am in der Sonne stinkenden Wasser zu, um durch Karabinerschüsse durchdrehende Kameraden daran zu hindern, sich dem Pfuhl zu nähern. Am dritten Abend erschien Hermann, mit einem Trupp Reiter, die jeder noch einmal ein oder zwei Pferde mit sich führten, um gefüllte Wasserschläuche heranzuführen. In der Nachhut einen Tag später, kam dann ein Ochsenwagen mit Fässern voller Trinkwasser und es soll sogar genug zum ersehnten Waschen gewesen sein.
Überraschend kamen im Frühjahr in Neuwegersleben zwei Briefe an: Einer ging an Knabes, darin teilte Hermann mit, dass er nunmehr aus der Schutztruppe ausgeschieden ist. Eine Pause wollte er dazu nutzen, einen Heimaturlaub anzutreten. Er möchte in dieser Zeit Anna die Gelegenheit geben, zu überlegen mit ihm nach Südwestafrika zu gehen. Es war ihm aufgrund seiner Militärzeit und Kenntnis der englischen Sprache angeboten worden, sofort als Zollsekretär in den Hafenstädten Swakopmund oder Lüderitzbucht angestellt zu werden. (Seine Mitgliedschaft im Kriegerverein war hier wohl nicht von Nachteil.) Anna erhielt einen Brief ähnlichen Inhalts, nur dass dieser schon konkrete Angaben über seine Vorstellungen über ihre bevorstehende Hochzeit enthielt. Die Schiffspassage stand fest, die Nähe zur Familie Knabe machte Anna Ohk die Wartezeit erheblich leichter. Für die feierfreudigen Knabes war klar, wenn Hermann zurückkommt und Anna heiratete, würde ein Jungbulle geschlachtet und im Gasthaus mit dem Schützenverein gefeiert werden. Um Unwägbarkeiten der damaligen Übersee-Schifffahrt aus dem Wege zu gehen, hatte Hermann seine voraussichtliche Ankunft in Deutschland nicht mitgeteilt. So bemühte er sich, als das Passagierschiff Cuxhaven Richtung Hamburg passiert hatte, ein Telegramm über seine Ankunft Richtung Neuwegersleben abzusetzen. Dies wurde nur einige Stunden vor dem Eintreffen Hermanns übermittelt, sodass Anna mit dem zukünftigen Schwiegervater, nach Studium der Fahrpläne der Eisenbahn, ihn mit dem Zerbster Wagen von Oschersleben abholen konnte. So lang vier Jahre auch waren, beim Wiedersehen waren alle Worte überflüssig, um nicht sofort wieder Gleichklang im Gefühl füreinander zu finden.
Alle im Dorf kannten Hermann und hatten versucht, eine gebührende Heimkehr zu zelebrieren, die er höflich registrierte, aber dankend ablehnte, um nicht erkennen zu lassen, dass seine Vorstellung darin bestand, Anna zu heiraten und nach Deutsch-Südwestafrika „heimzukehren“. Er hatte beim Aufenthalt in Hamburg bei der Woermann-Linie bereits zwei Überfahrten Richtung Afrika reservieren lassen und einen Anspruch auf 10 Kubikmeter Laderaum angemeldet. Das Datum und Schiff musste noch telegraphisch übermittelt werden. Anna war in Gedanken jetzt häufig bei der Ausgestaltung ihrer Hochzeit und gab im Gutshof ihren Abschied bekannt, was mit Bedauern registriert wurde. Dabei hatte sie als Landratte überhaupt keine Vorstellungen, wie das mit dem Schiff funktionieren sollte. Sie hatte doch bei einem Ausflug nach Magdeburg auf der Elbe mal Holzkähne schwimmen sehen, aber aus Eisen so groß, dass sie mit einer Dampfmaschine aus ebenfalls gleichem Material ausgestattet sind, um dann mit Passagieren und Fracht auf den Ozean zu gehen, das wollte sie erst selbst erleben, um es zu glauben.
Ohne die historische Einschätzung zu ahnen, war die Stimmung bei Knabes auf dem Hochzeitstag, dem 4. Oktober 1908, bei bester Laune, aber auch mit Wehmut über den Abschied gefeiert worden. Während einige Gäste noch auf dem Heimweg waren, war beim Tischler schon Hochbetrieb Kisten und Verschläge herzustellen, um Aussteuer samt Möbel des jungen Paares für die Schiffsreise vorzubereiten. Hermann hatte sich bei der Reederei Woermann in Hamburg sachkundig gemacht, wie alles verpackt und beschaffen sein musste, um in Afrika beim Auspacken Freude zu erzeugen. Per Bahnfracht kamen die Kisten pünktlich im Hamburger Hafen an. Ende Oktober 1908 fuhren Hermann Knabe und Frau Anna Knabe geb. Ohk mit einem großen Kabinenkoffer zum Passagier-Kai der Woermann-Linie, um an Bord zu gehen. Dieser war mit einem auffälligem H.K. gekennzeichnet, noch nicht voraussehend, welche Wege, welche Stationen noch auf ihn warteten. Für die beiden waren die ersten Schritte auf dem Deck wie das Betreten einer Kathedrale. Hermann konnte gut erklären, damit war der Weg zur Kabine voller neuer Eindrücke für Anna. Auf dem Passagierdeck gingen alle noch einmal auf die Steuerbordseite an die Reling, eine Kapelle intonierte „Muss i denn zum Städtle hinaus“, was aber gleich von der gewaltigen Schiffssirene übertönt wurde. Hermann scherzte: „Nur du, mein Schatz, bleibst nicht hier.“ Alle winkten den Zurückbleibenden mit Tüchern zum Abschied zu. Mit Aufnehmen der Fahrt wurde die zurückbleibende Heimat immer kleiner, der Horizont in der Ferne aber in jeder Weise größer. So hatten die beiden keine Langeweile, denn Hermann hatte mit konkreten Ansichten, Erfahrungen und Erlebnissen in Südwestafrika für Anna, die Zukunft planende Ehefrau, einiges zu erklären, gedanklich, aber auch einiges gerade zu rücken.
Eine willkommene Abwechslung war der Zwischenaufenthalt auf Teneriffa, bei dem schon Erfahrungen mit der südlichen Hemisphäre gemacht werden konnten. Hermann war interessiert an politischen Ereignissen, so ging er einmal am Tag an der Funker-Kabine vorbei, um letzte Neuigkeiten der ausgehängten, aufbereiteten Nachrichtentelegramme zu lesen. Eine telegraphische Mitteilung zog ihn besonders in Bann: „Bei Erdbewegungen an der Bahn Lüderitzbucht-Ketmannshop sind von einem Bautrupp unter der Leitung des Kolonnenführers Stauch bei der Station Grasplatz erst ein und dann eine Vielzahl von Diamanten gefunden worden. In der Folge hat sich Herr Stauch bereits vom zuständigen Bergamt die Schürfrechte von ca.200 km² rechts und links der Bahnlinie eintragen lassen. Diese Nachricht machte unter den Passagieren schnell die Runde. Abenteurer, die nicht an das Ziel Swakopmund gebunden waren, versuchten sofort beim Zahlmeister ihr Ticket mit Ziel Lüderitzbucht zu verlängern. Hermann hatte seinen Vertrag als Zollassistent in der Tasche und seine preußische Erziehung ließ keinen Moment Leichtsinnigkeit zu, wissend, dass er nun in ein Land zurückkehrt, welches nicht mehr als teuerste Sandkiste des deutschen Reiches verspottet und verachtet werden würde. Die an Bord geänderten Tickets für Lüderitzbucht wurden zurückgenommen, da in Swakopmund im Kontor des Woermann Hauses die Kabinenplätze der aussteigenden Passagiere bereits an wartende Abenteurer verkauft worden waren. Diese wollten nicht die Umstände einer zeitraubenden, umständlichen Bahnfahrt auf sich nehmen. Die telegrafische Nachricht konnte aber erst aufgenommen werden, als sich das Schiff in Reichweite des Funkverkehrs der Reederei Woermann/Swakopmund eintraf. Die Reaktion der Betroffenen an Bord glich schon teilweise der unter „Diamantfieber“ leidenden Bevölkerung von Lüderitzbucht.
Gegen Mittag kam der Horizont mit Swakopmund in Sicht, das nach dem üblichen Morgendunst in der Sonne erstrahlte. Die Häuser, die Hermann vier Jahre zuvor noch während der Bauzeit gesehen hatte, waren nunmehr ihren Zwecken übergeben worden und ergaben die Silhouette einer deutschen Kleinstadt. Nun ließ das Stampfen der Dampfmaschine im Bauch des Schiffes nach, darauf liefen die Anker geräuschvoll auf den Grund des Atlantiks. Vom kleinen Schiffsanleger lösten sich Barkassen, die zu einem am Schiff herabgelassenen Fallreep steuerten, um den passenden Moment der inzwischen zur Ausschiffung bereitstehenden Passagiere zur Übernahme zu nutzen. Wer mal auf Helgoland war, kennt den Moment, wenn vier starke Arme eine Person vom stabilen Zustand eines großen Schiffes in den schwankenden Untergrund einer Barkasse hieven. Der Unterschied ist der, dass es hier um vier Wochen umhegte Passagiere geht, die schlagartig auf die Gegebenheiten der Natur treffen. Der Traum Swakopmunds eine ins Meer ragende Seebrücke zu haben, hält bis heute an (save our jetty).
Nachdem Anna und Hermann von der Landungsbrücke gegangen waren, beobachteten sie die Ausladung der Fracht, die an Ladebäumen des Schiffes aus dem Frachtraum gehievt und ebenfalls in Barkassen an Land gebracht wurde. Die Zusicherung, dass die Fracht im Lagerschuppen der Woermann-Linie untergebracht würde, reichte den beiden aus. Wankende Schiffsplanken scheinbar unter sich habend, liefen sie ihrem neuen Zuhause entgegen. Das Haus entpuppte sich als ein Bau der Besiedlungszeit, der immer dem Zoll zur Verfügung stand, wenn ein Angehöriger des Zolldienstes eingestellt wurde, aber kein Anspruch auf eine gehobene Dienstwohnung zu haben bestand. Das Haus hatte einen gemauerten Unterbau, aber im oberen Bereich war es eine fantasievolle Wellblechkonstruktion. Eine verglaste Veranda und ein Gartenhaus fanden bei Anna in der Fantasie sofort Interesse eine Herberge zum Wohlfühlen zu schaffen.
Das Verhältnis zu den Berufskollegen beim Zoll war sofort gut, war Hermann doch als Seiteneinsteiger mit Abitur, Vergangenheit als Ulan, mit Dienstzeit als Reiter bei der Schutztruppe, dazu mit sehr guten Englischkenntnissen einer erfolgreichen Karriere verdächtig. Die Einladungen der Knabes folgten. Das Anstreichen des Hauses und Hilfeleistungen bei Abholung der Möbel samt Einrichtungsgegenständen vom Hafen, wurden von umsichtigen, dunkelhäutigen Menschen vom Stamme der Ovambos ausgeführt. Diese wurden ebenfalls vom Zollamt bereitgestellt und erledigten zur allseitigen Zufriedenheit ihre Arbeit. Das im Garten stehende Häuschen stellte sich als Unterkunft für einheimische Bedienstete heraus, die auf Empfehlung von Bekannten eingestellt wurden, um sofort ihren Dienst aufzunehmen. Das Miteinander mit den dunkelhäutigen, einheimischen Hilfskräften stellte sich als unkomplizierter heraus, als Annas Vorausahnungen es vermuteten. Gegenseitiger Respekt ließ die große, misslungene Politik des deutschen Kaiserreiches nicht in die Familien hineintragen. Leider gab es auch gegenteilige Fälle.
Im Jahre 1910 hat sich bei Knabes Nachwuchs angekündigt. Es war das erste Mal, dass Anna die Familie in Deutschland vermisste. Die Ratschläge zur Schwangerschaft von älteren, erfahrenen Frauen fielen völlig aus, da es im Umfeld nur junge, frisch verheiratete Ehepaare mit kleinen oder noch keinen Kindern gab. Die im Haushalt beschäftigte Hilfe vom Ovambo-Stamm hatte bereits Kinder, somit konnte sie mit manchem Gespräch der Anna nützlich sein. Die deutsche Sprache hatte sie in der Missionsschule gelernt, denn die Erziehung durch Missionare war in afrikanischen Ländern deutschen Einflusses bereits „vor Kaisers Zeiten“ eingeführt worden. So verging die Zeit mit dem Austausch von vielen gegenseitigen, unterschiedlichen Lebenserfahrungen. Zweimal in der Woche kamen noch zwei Männer, die Arbeiten ums Haus erledigten. Der Tag der Geburt kam näher und Hermann hatte eine Hebamme organisiert. Die Geburt verlief ebenfalls, auch durch das Zutun der Haushaltshilfe, ohne Komplikationen. Es wurde eine Tochter, für die der Name schon feststand. Aus dem Vornamen meiner Großmutter, Anna Sophie Elise, wurde rationell verkürzt Anneliese. Denn Anna litt darunter, dass aus ihrem schönen Namen nur Anna übrig geblieben war. Anneliese war für die nächsten Tage Mittelpunkt der Besucher und allen fiel das verhältnismäßig lange, kastanienrote Haar auf. Hermann war blond und Anna leicht dunkelblond, sodass man sich über die neue Variante freute. Die aufgeschlossene Haushaltsgehilfin mit Ausbildung an der Missionsschule, mied immer mehr das sonst gute Verhältnis zur Hausfrau und verschwand im Gartenhaus, um sich mit den beiden Männern in ihrem Ovambo-Dialekt aufgeregt zu unterhalten. Anna bemerkte dies und versuchte herauszubekommen, was die Leute bewegte, bekam aber keine einleuchtende Antwort. Am Abend kam Hermann vom Dienst und konnte sich auch keinen Reim auf die Geschichte der seltsamen Verhaltensweise machen … Am nächsten Tag nahm er sich die Zeit, um mit dem Personal zu sprechen. Nach Herumdrucksen fasste sich der älteste der drei Ovambos ein Herz und sagte: „Mister, das hättest du nicht zulassen dürfen, dass die Missis einen anderen Mann hat, denn hast du solche Haare wie Anneliese, hat die Missis solche Haare? Also ist es auch nicht vom Mister das Kind.“ Die Bäume der Missionierung mit den zehn Geboten der Christen hatten Früchte getragen. „Du sollst nicht Ehebrechen“, hatte nun bei den Großeltern zurückgeschlagen. Ein langer Versuch der Erklärungen und Rechtfertigungen folgte, um eine Legitimität der Tochter verständlich zu machen. Alles was Hermann zur Vererbungslehre in einfacher Form aus Sicht eines Europäers darstellen konnte, war gesagt. Der überlieferte Satz, der der Auseinandersetzung ein Ende bereitete, war der: „Gut Mister, wenn du glaubst, ein Ovambo glaubt nicht.“
Anneliese wurde im September 1910 geboren, die Taufe in der evangelischen Kirche folgte bald. Die Amtskollegen vom Zoll waren, soweit sie verheiratet waren, mit Frauen eingeladen, die meisten aber waren Junggesellen und warteten auf ihre Freundinnen oder Verlobten, die aus Deutschland nachkommen sollten. Jedenfalls war es ein Vergnügen für Anna einer größeren Gesellschaft wieder eine Feier auszurichten. Ein großes Thema waren die Diamantenfunde in Lüderitzbucht, dem damit verbundenen Wirtschaftswachstum der konkurrierenden Hafenstadt, aber auch dem damit schwindenden Frachtaufkommen in Swakopmund. Hatte doch Lüderitzbucht einen natürlichen, geschützten Hafen, in dessen Bucht bereits Ende des fünfzehnten Jahrhunderts der Portugiese Bartolomeus Diaz bei seinen Erkundungsfahrten geankert hatte und diesen durch das Setzen eines Steinkreuzes besitzanzeigend belegt hatte. In seinen Karten bezeichnete er den Ort als Ankra pequenia (kleiner Hafen). Die aktuelle vorherrschende Meinung war, dass vom Zollamt Swakopmund wohl mehrere Beamte nach Lüderitzbucht versetzt werden würden.
Hermann und Anna hatten die Geburt ihrer Tochter in der Bodezeitung angekündigt, sodass im Umfeld Oschersleben, Neuwegersleben alle Verwandten und Bekannten über Knabes informiert waren. Es spielte auch ein Stolz mit hinein, der den Zuhausegebliebenen mitteilen sollte: „Seht her, wir sind nicht in der Heimat geblieben und schaffen es, ohne die Kirchturmspitze des Dorfes zu sehen, auch in der Ferne.“ Hermann hatte inzwischen innerhalb der internen Schulungen des Zolls den Beamtenstatus als Zollsekretär „2. Klasse“ erreicht. Seine Zuständigkeit blieb nach wie vor die zollamtliche Abwicklung der in englischer Sprache ausgeführten Wareneingangspapiere, für die in großer Zahl anlandenden Schiffe aus England, Südafrika oder anderer ausländischer Staaten. Die überdrehte Wirtschaft aber überhitzte sich in der Diamantenstadt Lüderitzbucht, in der nichts zu teuer war, selbst das Trinkwasser wurde per Schiff aus Kapstadt herangeführt, um den Bedarf der Einwohner zu decken. Gleichzeitig aber entstanden Pläne, eine im großen Stil mit Kohleenergie betriebene Meerwasserentsalzungsanlage zu bauen, aber auch ein Elektrizitätswerk war vorgesehen, um die modernen Techniken der Zeit zu nutzen. Die Fantasie der Inhaber neu gegründeter und erfolgreich arbeitender Diamantgesellschaften schien grenzenlos. Da das Hinterland nur aus dünenreicher Wüste bestand, ist der zu dieser Zeit entstandene Vorort von Lüderitzbucht, Kolmanskoppe, mittlerweile legendär geworden. Versandete Villen, Casinos, Sporthallen und Kegelbahnen, die komplett in Deutschland hergestellt worden sind, verschifft und dann dort aufgebaut worden sind, bleiben bis heute stumme Zeugen der Maßlosigkeit. Eine bereits in Südafrika bestehende Diamantindustrie legte es nahe, dass maschinentechnische Einrichtungen wie Siebe, Waschanlagen, Brecher und Mühlen auch aus Richtung Kapstadt kamen und über den Hafen Lüderitzbucht abgewickelt wurden.
In Swakopmund hatte Hermann Knabe beim personalverantwortlichen Zollvorsteher nachgefragt, ob er für den deutschen Winter 1911/1912 seinen Urlaub mit Frau und mittlerweile einjähriger Tochter bewilligt bekommen würde. Die Gelegenheit war günstig, da die Personalverwaltung ihm ebenfalls eine Mitteilung über seine Versetzung nach Lüderitzbucht anzukündigen hatte. So wurde auf beiden Seiten eingewilligt und aus dem vierwöchigen Aufenthalt über Weihnachten bei Knabes in Neuwegersleben wurde ein Wintermärchen mit großem Auftritt der „Afrikaner“ Hermann, Anna und Anneliese Knabe auf einem Schlitten im Schnee sitzend. In größter Angst befand sich meine Großmutter Anna bei dem Gedanken der Ein- und Ausschiffung. Hierbei lag das Schiff auf Reede im Gewässer des Ozeans vor Swakopmund, um den Müttern mit Kleinkindern nicht den Sprung in das Tenderboot vom herunter gelassenen Fallreep zuzumuten, wurde mit eine Art geflochtener Korbsessel mit nach oben führenden Leinen, die am Haken des bordseitigen Schiffkranes befestigt waren, von Deck aus hochgezogen, um dann in das „sichere“ Tenderboot eingeschwenkt zu werden. Die spätere innige Bindung an ihre Tochter Anneliese, führte Anna auf dieses Ereignis zurück. Sie sah vor Ihren Augen eingebildet das Kind aus ihren Armen rutschen und in den Ozean fallen. Überhaupt hatte Anna bei ihrer Rückfahrt von Deutschland nach Afrika mit einer heftigen, vermeintlichen Seekrankheit zu kämpfen. Übelsein und Bedürfnis nach Ruhe waren jedoch nicht Ursache der Seefahrt. Als die Beschwerden nach Rückkehr in Swakopmund und über Wochen anhielten, brachte ein Arztbesuch Aufklärung. Anna war wieder schwanger. Diese Neuigkeit brachte die Pläne zum Umzug nach Lüderitzbucht in Verzögerung. Hermann fürchtete zusätzliche Belastungen für die Familie. Er konnte bei seiner Dienststelle die Versetzung auf den Herbst 1912 mit Einverständnis der Zollbehörde verschieben. Anna blieb in gewohnter Umgebung und sah der Geburt der 2. Tochter, Gerda, am 27. Juli 1912 in Swakopmund entgegen. Der Umzug nach Lüderitzbucht im Herbst wurde von Hermann vorbereitet, das Weihnachtsfest wurde dort als Überraschung in neuer Umgebung vorgeplant. Das für Familie Knabe vorgesehene Haus lag in der Ringstraße, unmittelbar neben der neu erbauten Schule. Es war eigentlich ein Doppelhaus mit zwei großen offenen Eingängen, die nach oben in einem zur Straße weisenden Giebel mit Rundbögen endeten. Zur Rückseite war eine Veranda mit großen verglasten Fenstern, durch die man die massiven Felsen vom Garten bis zum Verlauf in den Atlantik sehen konnte. Bei einem Blick über die Mauer konnte man den Hafen sehen. In gleicher Blickrichtung sah man den oberen Teil des Woermann Hauses mit seinem aus dem Dach empor geführten Turm. Dieser diente zu der Zeit der großen Segelschiffe dazu, angekündigte Schiffe so früh wie möglich zu erkennen, um die nötigen Arbeiten zum Löschen der Waren im Hafen vorzubereiten. Die Verbesserung von Funkverbindungen auf den moderneren Dampfschiffen machte diese Spähkommunikation später überflüssig. Auf die neue Weise wurden die Listen mit den Namen der Passagiere per Telegraphie schon angekündigt, um bereits vor Ihrer Ankunft in den jeweiligen Hafenstädten durch die Tagespresse veröffentlicht zu werden. Das interessierte die Verwandten und Freunde sowieso, aber auch die Kaufmannschaft war froh, die ein oder andere Person, die noch eine Rechnung offen hatte, wieder im Kreis der Erreichbarkeit zu wissen.
In das Haus in der Ringstraße zogen nun die Knabes ein und machten es sich dort gemütlich. Anna bekam sehr schnell Kontakt zu den Frauen der „Beamtenschaft“. Hermann hatte oft Gelegenheit bei Jagdausflügen der Kameraden des Kriegervereins seine Treffsicherheit im Schießen von Wild vorzuführen. Bald war eine Wand in der Veranda für Geweihe von Antilopen und anderem selbst erlegten Wild vorgesehen und gefüllt, sogar ein Leopardenfell lag zu Füßen der Trophäenwand. Aus den Bekanntschaften meiner Großmutter Anna wurden bald Kaffeekränzchen zum Austausch von Erfahrungen in der Kindererziehung, aber auch die Herkunft aus der deutschen Heimat stammender weiterer Landsleute wurden mit Weitergabe der Adressen neue „Netzwerke“ geknüpft. Denn etwas gab es in Lüderitzbucht so gut wie gar nicht: Opas, Omas, Tanten und Onkel. Das durchschnittliche Alter der Ausgewanderten lag zwischen 20 und 30 Jahren.
Die Mehrzahl waren junge Männer, die sich redlich bemühten, eine Freundin oder Bekannte nach Südwestafrika zu holen, um eine Familie gründen zu können. So wurde die Bindung an Freunde und Bekannte sehr eng. Man ging sonntags an den Strand in kleine Holzveranden und feierte dort gemeinsam mit Gleichgesinnten bis zum Abendrot bei Kaffee und Kuchen, die Herren doch eher bei Whisky-Soda oder Bier den Tag ab. Bei Südwest-Stürmen, die in Lüderitzbucht sehr oft wehen, zogen sich die Familien in ihre Häuser zurück. Und meine Großmutter Anna erzählte mir, dass erst „vorm zu Bett gehen“ die Tagesdecke vom Sand abgeschüttelt wurde.
Der wirtschaftliche Aufstieg der Stadt war rasant. Es wurden Kirche, Logenhaus, Lesehalle, „Kapps Hotel“ sowie eine Anzahl privater Häuser gebaut. Fischerei, Schiffbau und Maschinenbau waren als Beispiele aufstrebender Industrie zu nennen. Die Einweihung des Neubaus der evangelischen Kirche im Jahre 1912 wurde mit einem vom Kaiser gestifteten gotischen Glasfenster unter großer Beteiligung der Bevölkerung gefeiert. Es war eine Zeit, in der sich das Großbürgertum etabliert hatte und sich ein Mittelstand mit zugehörigem Beamtentum bildete und seiner Zufriedenheit Ausdruck verlieh. Von nun an hatte sich die Familie Knabe mit den zur Verfügung stehenden Randbedingungen auf den Verlauf einer buchstäblich „sonnigen“ Zukunft eingerichtet.
Der Sommer des Jahres 1914 war für die deutschen Einwohner in Südwestafrika ohne besondere Vorkommnisse verlaufen, die Nachrichten aus Europa in den Zeitungen hatten bedingt durch die damaligen Techniken immer eine Zeitverzögerung, damit waren diese bei Erscheinen schon abgekühlt. So war die Ermordung des damaligen Kronprinzen von Österreich in Sarajevo zwar als Nachricht angekommen, ein Einfluss auf das Leben in den Kolonien war jedoch noch nicht zu erkennen. Erst als die schnarrende Stimme des Kaisers in Berlin verkündete: „Auf zu den Waffen, so soll denn das Schwert nun entscheiden!“, wurden diese Worte mit Hurra-Rufen in Deutschland begrüßt, ließ aber die in Reserve stehende Schutztruppe in Deutsch-Südwest nur mit Sorgenfalten auf der Stirn, sich in ihre zu eng gewordenen Uniformen hineinzwängen zu müssen. Die Übungsstunden für die Reiter in den Kasernen wurden wieder ernst genommen. Die Schutztruppe hatte zwar in dem ungleichen Kampf gegen das Volk der Herero schmachvoll „gewonnen“, aber die englischen Seestreitmacht mit ihrem großen Seehafen Kapstadt „vor der Haustür“ machte den verantwortlichen Militärs der Schutztruppe allergrößte Sorge. Die natürliche Grenze des Oranje zur Südafrikanischen-Union war bis auf einige Übergangsstellen nicht zu schützen. Die Engländer hatten die Burenkriege einige Jahre zuvor durch Siege beendet, was in der Folge eine starke Militarisierung der Südafrikanischen-Union nach sich zog und das überwältigte Militär der Buren in ihre Reihen einbezog. Die kleinen Reitergruppen der Schutztruppe aus Lüderitzbucht beschränkten sich unter diesen Umständen nur auf weiträumige Aufklärung auf der Landseite. Zur Seeseite wurde seit der Kriegserklärung in Berlin stündlich die Besetzung des Hafens Lüderitzbucht durch englische Schiffe erwartet.
Am 18. September 1914 waren in Lüderitzbucht die englischen Kriegsschiffe kampflos im Hafen eingetroffen. In ihrem Geleit waren auch Zivilschiffe mitgebracht worden. Darunter waren neben Mannschaftstransportern auch Viehtransporter, die unter englischer Kriegsflagge fuhren. Die Stadt war durch Hissen der weißen Flagge kampflos übergeben worden. Die wehrtüchtigen Männer waren im Felde. Die Übergabe der Stadt wurde von einigen Männern aus der Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit getätigt und noch vor Sonnenuntergang waren die englischen Soldaten in Privatquartieren, Turnhalle oder Hotels untergebracht. Die zurückgebliebenen Frauen mit Kindern, die bereits gelistet waren, wurden aufgefordert, sich mit dem nötigsten Gepäck zum Hafen zu begeben, um dort weitere Instruktionen zu erhalten. Wenn man in einzelnen Häusern lebte, sollte man Möbel und allen Hausrat den einquartierten Soldaten überlassen und den Schlüssel übergeben. Alles Jammern und Klagen der Frauen und Kinder half nicht, die militärische Operation sah die Evakuierung der Zivilbevölkerung nach Südafrika vor und ließ keine Alternative zu. England hatte aus den Burenkriegen gelernt, dass die Zerschlagung von Netzwerken, welche durch die Zivilbevölkerung im Hinterland entstanden, nur durch die Verbringung in „concentration camps“ (Konzentrationslager) zu verhindern war. So stand Anna Knabe mit ihren zwei Mädchen, Anneliese 4 Jahre und Gerda 2 Jahre alt und dem großen Kabinenkoffer mit den Initialen H.K. am Hafenkai von Lüderitzbucht, um einer ungewissen Zukunft entgegenzugehen. Ohne eine Front zu sehen, waren die Knabes plötzlich auf zwei verschiedenen Seiten: Hermann an der heimatlichen Schutztruppenfront, Anna mit den 2 Töchtern als Zivilgefangene des Krieges (prisoner of war). Die Fahrt ging nach Kapstadt mit einem englischen Transportschiff, das sowohl Tiere als auch Menschen aufnehmen konnte. Die Verpflegung bestand zumeist aus Selbstverpflegung aus dem großen Kabinenkoffer, den Anna mit allem rechnend gepackt hatte, aber die Wirklichkeit kam schlimmer. Die mir überlieferte Geschichte meiner Großmutter war die, dass das vom englischem Militär geführte Schiff mit den Zivilpersonen unter britischer Kriegsflagge fuhr und es damit bei einer Begegnung mit einem deutschen Kriegsschiff zum Beschuss und damit zur Versenkung hätte kommen können. So ist der Krieg …
In Kapstadt angekommen, zog der Tross von Frauen und Kindern zum Bahnhof. Züge standen bereit, um die Zivilgefangenen aufzunehmen, aber anscheinend waren bei der Belegungsplanung Kinder und Gepäck nicht berücksichtigt worden. Jedenfalls war nach Erreichen der Bahnsteige und dem Einstieg in die Züge nicht mehr das Militär zuständig, sondern die Organisation ging in die Hände des meist burisch stämmigen Zugpersonals über. Jeder rückte soweit es ging zusammen und nutzte die Gepäckstücke als Liegefläche für die Kinder und die Zugbegleiter halfen so gut sie konnten. Der Zug war an den Bahnstationen auf Durchfahrt signalisiert und bei technisch bedingtem Halt auf freier Strecke reichte ein Blick aus dem Abteilfenster, dass ein Fluchtversuch in dieser Gegend, die man Karroo nennt, ohne Aussicht auf Erfolg zum Scheitern verurteilt wäre. So bestand die militärische Zugbegleitung auch nur aus ein paar altgedienten Soldaten, die damit zu tun hatten, ihre Personenlisten mit den fremden deutschen Namen mit dem Istzustand in Übereinstimmung zu bringen. Es war unter den unfreiwilligen Passagieren durchgesickert, dass das Ende der Fahrt Pietermaritzburg in Natal sein würde. Am Rande der Stadt Pietermaritzburg lag noch ein aus der Zeit der Burenkriege stammendes Internierungslager, in dem die aus britisch besetzten Gebieten verschleppte Zivilbevölkerung burischer Familien gefangen gehalten wurden. Aus den im kaiserlichen Deutschland massenhaft verlegten Büchern von den „heldenhaften“ Burenkämpfen gegen England um 1900 wussten viele der nun unfreiwillig Reisenden, von der Existenz solcher „concentration camps“ und die dort herrschende Not aufgrund mangelhafter Ernährung in Begleitung von Krankheiten und Tod. Die Vorausahnungen bestätigten sich nach Halt des Zuges. Der fuhr nicht in den Bahnhof Pietermaritzburg ein, sondern hielt in einer savannenähnlichen Landschaft gekennzeichnet nur durch eine leicht erhöhte Aufschüttung, die das Aussteigen erleichtern sollte. Hier erwartete ein Militäraufgebot der Südafrikanischen-Union die gefangenen Frauen und Kinder, um sie dann zu dem Lager zu führen. Die Gepäckstücke wurden auf Ochsenwagen verladen, die Namen der jeweiligen dazu gehörigen Personen wurden aufgerufen, um den zusammengestellten Treck zu begleiten. Die Frauen liefen so neben den Ochsenwagen mit den Gepäckstücken mit, die so gepackt waren, dass die Kinder obendrauf sitzen konnten. Müde und abgespannt wurde kurz vor Einbruch der Dunkelheit das Barackenlager erreicht. Endlich stand Trinkwasser in ausreichender Menge zur Verfügung. Beim Verladen der Gepäckstücke auf die Ochsenwagen war nach den Namenslisten und des Familienstandes bereits entschieden worden, in welche Baracke man sich einquartieren musste. Es gab Baracken mit großen Schlafsälen, aber auch Baracken mit vielen Einzelkammern, eine sogar mit einer Küche daran. Anna Knabe mit ihren beiden Töchtern 4 und 2 Jahre alt, kam in die „Rote Baracke“ mit der Küche daran und fand das in der Situation entsprechend vorteilhaft. Ob der Name Rote Baracke von den deutschen Insassen stammt oder von den Afrikaans sprechenden Buren von chrote (große) Baracke übernommen wurde, ließ sich nicht aufklären.
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