Kitabı oku: «Strafrecht Besonderer Teil», sayfa 16
2. Umfang der Hilfspflicht
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Die Verpflichtung zur Hilfe, die durch das Vorliegen des Unglücksfalls usw. ausgelöst wird und deren Nichtleistung den Tatbestand ausmacht, findet objektive Grenzen in ihrer Erforderlichkeit und Zumutbarkeit.[27]
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a) Die Hilfeleistung muss erforderlich sein, d.h. – nach ex-ante-Beurteilung eines verständigen Beobachters –[28] eine Chance zur Schadensabwehr oder -begrenzung bieten.[29] Einem Verunglückten muss nur dann keine Hilfe geleistet werden, wenn diese von vornherein offensichtlich nutzlos wäre.[30]
Merke:
Besteht sichere Aussicht auf sofortige anderweitige ebenso geeignete Hilfe, entfällt daher die Pflicht zur Hilfeleistung.
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Es kommt nicht darauf an, ob die Hilfe Erfolg hat oder haben kann.[31] Schmerzlindernde Hilfe muss auch bei unabwendbarem Tod geleistet werden. Allerdings ist Sinnloses nicht erforderlich, beispielsweise bei bereits eingetretenem oder sofort eintretendem Tod des Hilfsbedürftigen.[32] Die Hilfe muss rechtzeitig, in der Regel sofort oder möglichst schnell, erfolgen[33] und wirksam sein, d.h. bestmöglich.[34] Besonderen Anforderungen unterliegen Ärzte, deren bessere Sachkenntnis Art und Umfang ihrer Hilfe maßgeblich bestimmen kann.[35]
Beispiel:
Arzt A passiert eine Verkehrsunfallstelle. Mehrere Passanten stehen um den erkennbar schwerverletzten B herum. A fährt weiter. Der hinter A fahrende Notar C hält ebenfalls nicht an. Tatsächlich verblutet B bis zum Eintreffen des Notarztwagens an der Unfallstelle, weil die unerfahrenen Ersthelfer seine Blutung nicht sachgerecht abbinden. – Während für C die Erforderlichkeit der Hilfeleistung in Ermangelung besonderen Könnens insoweit abzulehnen ist, gilt für A etwas Anderes. Es bestand aus der Sicht eines verständigen Beobachters keine sichere Aussicht auf anderweitige ebenso geeignete Hilfe, wie sie A aufgrund seiner beruflichen Kenntnisse hätte leisten können.
Vertiefungshinweis:
Umstritten ist, ob eine Hilfeleistung erforderlich ist, wenn der in Gefahr Geratene diese ablehnt. Kann er über das gefährdete Rechtsgut verfügen, ist eine Verpflichtung zur Hilfeleistung mit der zutreffenden Ansicht zu verneinen (vgl. auch den Streitstand unter Rn. 5 ff.).[36] Dies gilt auch dann, wenn der Suizident Rettungsbemühungen vor der Einnahme eines todbringenden Mittels ausdrücklich und unmissverständlich untersagt hat.[37]
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b) Die Zumutbarkeit der erforderlichen Hilfe ist ebenfalls objektives Tatbestandsmerkmal.[38] Dieses bestimmt sich nach einer objektiven Gesamtabwägung, in die namentlich die Gefährdung des Hilfsbedürftigen, eine eventuelle Gefährdung des zur Hilfe Verpflichteten, seine Beziehung zum Bedürftigen, seine Lage zum Unglücksort, seine Verwicklung in das Unglück und alle sonst bedeutsamen Faktoren einzubeziehen sind.[39]
Beispiele:
A macht eine Bergwanderung. Er trifft auf B, der nur unzureichend ausgerüstet unterwegs ist. A erkennt, dass B Erfrierungen erleiden wird, wenn er ihm nicht seine Handschuhe überlässt. Wegen der eisigen Temperaturen fürchtet er allerdings, ohne Handschuhe selbst Schaden zu nehmen und behält sie deswegen für sich. – Die Überlassung der Handschuhe war A nicht zumutbar.
Auch Bergwanderer C trifft auf den sich immer noch in der misslichen Lage befindlichen B. C hat noch ein zweites Paar Handschuhe in seinem Rucksack, will dieses aber B nicht geben, weil er wegen dessen blutenden Handverletzungen befürchtet, dass seine teuren Handschuhe „ruiniert“ werden. – Auch wenn man in Rechnung stellt, dass B sein Unglück eigenverantwortlich verursacht hat, wäre C die Übergabe seiner Handschuhe zumutbar gewesen.
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Die Zumutbarkeit entfällt regelmäßig nicht allein deshalb, weil der Hilfspflichtige sich durch die Hilfe der Gefahr der eigenen Strafverfolgung aussetzt.[40] Jedenfalls dann, wenn der Täter das Unglück fahrlässig,[41] durch Notwehr[42] oder gar vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführt hat, entfällt die Zumutbarkeit nicht.[43] Jedoch kann die Gefahr, einen Angehörigen durch die Hilfeleistung der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen, die Zumutbarkeit entfallen lassen.[44] Letztlich ist dies aber stets aufgrund einer Gesamtabwägung für den Einzelfall zu entscheiden.
II. Subjektiver Tatbestand
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Zumindest bedingter Vorsatz ist erforderlich.[45] Bezüglich der Zumutbarkeit der Hilfeleistung reicht die Kenntnis der sie begründenden Umstände aus. Meint also ein Hilfspflichtiger aus tatsächlichen Gründen irrig, die Hilfe sei für ihn unzumutbar, so liegt ein Tatbestandsirrtum (§ 16) vor.
Beispiel:
C hat im Fall Rn. 13 vergessen, dass er ein zweites Paar Handschuhe dabei hat. – Irrtum über ein Merkmal des objektiven Tatbestands und daher keine Strafbarkeit nach § 323c Abs. 1.
C. Täterschaft und Teilnahme, Versuch sowie Konkurrenzen
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Für Täterschaft und Teilnahme gelten die allgemeinen Regeln (§§ 25 ff), denen freilich nicht durchweg dieselbe praktische Bedeutung zukommen wird.[46]
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Der Versuch ist nicht strafbar. Die Tat ist nach der Rechtsprechung bereits vollendet, wenn der Täter die erste Möglichkeit zur Hilfeleistung ungenutzt lässt.[47] Der Rechtsprechung folgend, will eine Ansicht in der Literatur wegen des sehr frühen Vollendungszeitpunkts die Vorschriften zur tätigen Reue analog anwenden,[48] was aber eine planwidrige Regelungslücke voraussetzen würde, an der es fehlt.[49]
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Ist der Unglücksfall durch ein Delikt des Hilfspflichtigen herbeigeführt worden, so verdrängt dieses den subsidiären § 323c.[50] Bleibt indes unaufklärbar, ob der Täter an der Straftat, die den Unglücksfall herbeigeführt hat, beteiligt war, kann er wegen unterlassener Hilfeleistung bestraft werden.[51] Dies gilt auch dann, wenn dem Verletzten noch ein vom Vorsatz des Täters nicht umfasster weiterer Schaden droht.[52] Die §§ 138 und 221 gehen als spezieller vor.[53] Tateinheit (§ 52) kommt oft mit § 142 und § 315b in Betracht.
Vertiefungshinweis:
Hingegen kann § 323c Abs. 2 mit einer Vortat in Tateinheit (§ 52) stehen, da die Rechtsgüter des Hilfsbedürftigen einem weiteren Angriff ausgesetzt werden, der sich zudem gegen eine hilfeleistende Person richtet.
D. Kontrollfragen
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1. | Was unterscheidet § 323c Abs. 1 von einem unechten Unterlassungsdelikt? → Rn. 1 |
2. | Kommt ein Selbsttötungsversuch als „Unglücksfall“ i.S. des § 323c in Betracht? → Rn. 5 ff. |
3. | Nach welchem Maßstab beurteilt sich, ob die Hilfe erforderlich ist? → Rn. 11 |
4. | Muss die Hilfeleistung Aussicht auf Erfolg haben? → Rn. 12 |
Aufbauschema (§ 323c Abs. 1)
1. | Tatbestand a) Objektiver Tatbestand (1) Unglücksfall, gemeine Gefahr oder Not (2) Unterlassen der erforderlichen und zumutbaren Hilfe b) Subjektiver Tatbestand – Vorsatz |
2. | Rechtswidrigkeit |
3. | Schuld |
Empfehlungen zur vertiefenden Lektüre:
Leitentscheidungen: BGHSt – GS – 6, 147 – „Selbsttötungsfall“; BGHSt 11, 135 – „Ehefraufall“; BGHSt 14, 213 – „Fahrerfluchtfall“; BGHSt 17, 166 – „Arztfall“; BGHSt 32, 367 – „Wittig-Fall“; BGHSt 39, 164 – „Brandstiftungsfall“
Aufsätze: Geppert, Die unterlassene Hilfeleistung, Jura 2005, 39; Kargl, Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c). Zum Verhältnis von Recht und Moral, GA 1994, 247; Lenk, Die Strafbarkeit des „Gaffers“ gem. § 323c II StGB, JuS 2018, 229; Seelmann, „Unterlassene Hilfeleistung“ – oder Was darf Strafrecht?, JuS 1995, 281; Scheffler, Zur Strafbarkeit von Gaffern, NJW 1995, 232; Schmitt, Der Arzt und sein lebensmüder Patient, JZ 1984, 866
Übungsfallliteratur: Eidam, Klausur – Strafrecht: Sprühaktion mit Folgen, JA 2010, 601; Freund, Der praktische Fall – Strafrecht: Spritztour mit dem ultra krassem 3er BMW, JuS 2001, 475; Lindheim/Uhl, Hausarbeit – Strafrecht: Familiäre Tragödie, JA 2009, 783
Anmerkungen
[1]
Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 1057; a.A. Joecks/Jäger § 323c Rn. 1.
[2]
BGH NJW 2002, 1356, 1357; Urteil vom 28. Januar 2021 – 3 StR 279/20; Lackner/Kühl § 323c Rn. 1; Geilen Jura 1983, 78.
[3]
Joecks/Jäger § 323c Rn. 3 f.; Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 1057.
[4]
Aufgrund des 52. StrÄG vom 23. Mai 2017 (BGBl. I 2017, S. 1226).
[5]
Lenk JuS 2018, 229.
[6]
Lenk JuS 2018, 229, 231 f.
[7]
BGHSt 3, 65, 66; Lackner/Kühl § 323c Rn. 2; Geilen Jura 1983, 78, 79.
[8]
S. etwa BGH StV 2020, 373.
[9]
BGHSt – GS – 6, 147, 152 – „Selbsttötungsfall“.
[10]
SK/Stein § 323c Rn. 9 ff.; Joecks/Jäger § 323c Rn. 6.
[11]
BGHSt – GS – 6, 147, 152 – „Selbsttötungsfall“.
[12]
BGHSt 11, 135.
[13]
BGHSt 3, 65.
[14]
BGHSt 17, 166 – „Arztfall“; OLG Düsseldorf NJW 1995, 799; Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 1059.
[15]
Lackner/Kühl § 323c Rn. 2.
[16]
BGHR StGB § 323c Unglücksfall 1; BGH Beschluss vom 8. August 2001 – 2 StR 124/01.
[17]
Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 1059.
[18]
BGHSt – GS – 6, 147, 152 – „Selbsttötungsfall“; Lackner/Kühl § 323c Rn. 2; differenzierend Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 1059; a.A. Otto § 67 Rn. 4; Seelmann JuS 1995, 284: Sachschäden sind nicht erfasst.
[19]
BGHSt – GS – 6, 147, 148 – „Selbsttötungsfall“; 32, 367, 375 – „Wittig-Fall“; 64, 121, 133; 64, 135, 145.
[20]
Maurach/Schroeder/Maiwald BT, § 55 Rn. 15; Geppert Jura 2005, 39, 44.
[21]
Lackner/Kühl § 323c Rn. 2; Schönke/Schröder/Hecker § 323c Rn. 8; Geilen JZ 1974, 145.
[22]
Vgl. hierzu BGHSt 32, 367, 376 – „Wittig-Fall“.
[23]
Ausführlich zur Problematik Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 131 ff.
[24]
Lackner/Kühl § 323c Rn. 2; Joecks/Jäger § 323c Rn. 10; Geppert Jura 2005, 42.
[25]
Ausführlich MüKo3/Freund § 323c Rn. 29 ff.; Rudolphi NStZ 1991, 238.
[26]
Lackner/Kühl § 323c Rn. 3; Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 1058.
[27]
Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 1060.
[28]
BGHSt 17, 166, 169 – „Arztfall“; BGH Urteil vom 1. September 2020 – 1 StR 373/19; Lackner/Kühl § 323c Rn. 5; Geppert Jura 2005, 39, 42.
[29]
Lackner/Kühl § 323c Rn. 5.
[30]
BGHR StGB § 323c Konkurrenzen 1; BGH NStZ 2000, 414.
[31]
BGH NStZ 1985, 409, 410; 2000, 414; Urteil vom 1. September 2020 – 1 StR 373/19; Ranft JZ 1987, 914.
[32]
BGHSt 14, 213, 216 – „Fahrerfluchtfall“; 32, 367, 381 – „Wittig-Fall“; BGHR StGB § 323c Konkurrenzen 1; BGH NStZ 2000, 414; Urteil vom 1. September 2020 – 1 StR 373/19; Lackner/Kühl § 323c Rn. 5; vgl. auch BGH NStZ 2008, 276, 277.
[33]
BGHSt 14, 213, 216 – „Fahrerfluchtfall“.
[34]
BGHSt 21, 50, 54.
[35]
BGHSt 2, 296; Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 1062.
[36]
BGH bei Holtz MDR 1983, 279; Joecks/Jäger § 323c Rn. 25; Lackner/Kühl § 323c Rn. 5; a.A. BGHSt – GS – 6, 147 – „Selbsttötungsfall“; 32, 367, 376 – „Wittig-Fall“.
[37]
BGHSt 64, 121, 134; 64, 135, 145, jeweils m. Anm. Sowada NStZ 2019, 670 (allerdings wird eine Hilfe jeweils als unzumutbar angesehen).
[38]
BGHSt 17, 166, 170 – „Arztfall“; Schönke/Schröder/Hecker § 323c Rn. 18, 26; SK/Stein § 323c Rn. 32; Geilen Jura 1983, 138, 145.
[39]
BGHSt 11, 135, 136 f. – „Ehefraufall“, wobei als Maßstab auf das „allgemeine Sittengesetz“ abgestellt wird; Lackner/Kühl § 323c Rn. 7; Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 1063.
[40]
BGHSt 11, 135; 39, 164, 165; Joecks/Jäger § 323c Rn. 33 ff.; a.A. Rengier BT II, § 42 Rn. 15.
[41]
Seelmann JuS 1995, 281, 286.
[42]
BGH NStZ 1985, 501; Lackner/Kühl § 323c Rn. 7; Geppert Jura 2005, 39, 46.
[43]
BGHSt 39, 164, 165 – „Brandstiftungsfall“.
[44]
BGHSt 11, 135; a.A. SK/Stein § 323c Rn. 36.
[45]
BGHSt 5, 125, 126; Lackner/Kühl § 323c Rn. 9.
[46]
Vgl. LK12/Popp § 323c Rn. 139 ff.
[47]
Vgl. BGHSt 14, 213, 217 – „Fahrerfluchtfall“; 21, 55; 38, 356, 360; a.A. Geilen Jura 1983, 147: Vollendung erst mit endgültigem Versäumen der Rettungsmöglichkeit; differenzierend Joecks/Jäger § 323c Rn. 20: Vollendung, wenn sich die Verzögerung negativ für das Opfer auswirkt.
[48]
Lackner/Kühl § 323c Rn. 11; MüKo3/Freund § 323c Rn. 122; Schönke/Schröder/Hecker § 323c Rn. 26.
[49]
Vgl. BGHSt 14, 213, 217 – „Fahrerfluchtfall“.
[50]
BGHSt 3, 65, 68.
[51]
BGHSt 39, 164, 166 – „Brandstiftungsfall“; BGH NJW 2002, 1356; vgl. auch NStZ 2009, 286.
[52]
BGHSt 14, 282, 284 f.; BGHR StGB § 323c Konkurrenzen 1.
[53]
Ebenso für § 138 Schönke/Schröder/Hecker § 323c Rn. 29.
Teil I: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit › Kapitel 3. Freiheitsberaubung, Nötigung und Hausfriedensbruch
Kapitel 3. Freiheitsberaubung, Nötigung und Hausfriedensbruch
1
Allein oder vorrangig die Freiheit der Person schützen die im Achtzehnten Abschnitt des StGB zusammengefassten Tatbestände, allerdings nicht allgemein, sondern jeweils spezielle Ausprägungen (vgl. § 11 Rn. 1, § 12 Rn. 1 und § 13 Rn. 1). In der Praxis und Ausbildung sind hiervon insbesondere die Nötigung (§ 240), die Freiheitsberaubung (§ 239), der erpresserische Menschenraub und die Geiselnahme (§§ 239a, 239b) von Bedeutung. Zu den Freiheitsdelikten zählt – trotz seiner systematischen Stellung an der Spitze des die Straftaten gegen die öffentliche Ordnung zusammenfassenden Siebten Abschnitts des StGB – auch der Hausfriedensbruch (§ 123).[1]
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2
Allen Vorschriften ist gemeinsam, dass sie ein Handeln gegen den Willen des Verletzten voraussetzen, so dass nach zutreffender h.M. bereits der Tatbestand entfällt, wenn der Betroffene einverstanden ist (sog. tatbestandsausschließendes Einverständnis (vgl. § 11 Rn. 15, § 12 Rn. 29 und § 13 Rn. 10 ff.).
Anmerkungen
[1]
Geppert Jura 1998, 378.
Teil I: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit › Kapitel 3. Freiheitsberaubung, Nötigung und Hausfriedensbruch › § 11. Freiheitsberaubung (§ 239)
§ 11. Freiheitsberaubung (§ 239)
Inhaltsverzeichnis
A. Grundlagen
B. Tatbestand
C. Täterschaft und Teilnahme, Begehung durch Unterlassen, Versuch sowie Konkurrenzen
D. Kontrollfragen
A. Grundlagen
1
§ 239 schützt die potentielle Fortbewegungsfreiheit, d.h. die Freiheit des Einzelnen, nach Belieben den jeweiligen Aufenthaltsort verlassen zu können.[1] Es kommt deshalb nicht darauf an, dass der Wille aktuell betätigt wird. Hingegen schützt § 239 weder die Freiheit, einen bestimmten Ort aufzusuchen, noch diejenige, an einem bestimmten Ort zu bleiben.[2]
Merke:
§ 239 schützt allein die Möglichkeit, sich vom Aufenthaltsort wegbewegen zu können.[3]
B. Tatbestand
Grundstruktur des Tatbestands | ||
Objektiver Tatbestand | Subjektiver Tatbestand | |
Tatobjekt | Tathandlung | Vorsatz (Rn. 15) |
Ein anderer Mensch (Rn. 2 ff.) | Einsperren oder auf andere Weise der Freiheit berauben (Rn. 9 ff.) |
I. Objektiver Tatbestand
1. Tatobjekt
2
Als Tatobjekt kommt grundsätzlich jeder Mensch in Betracht, der über die natürliche Fähigkeit verfügt, willkürlich seinen Aufenthaltsort zu verlassen.[4] Hierfür ist es unerheblich, ob dieser für sein Verhalten verantwortlich ist und ob er seinen Aufenthaltsort nur mit Hilfe anderer oder mit technischen Hilfsmitteln verlassen kann.[5]
Beispiele:
Menschen mit geistigen oder körperlichen Einschränkungen; Beinamputierte; stark Sehbehinderte; nicht hingegen Säuglinge, denen die Fähigkeit zur willkürlichen Fortbewegung (noch) fehlt[6]
Beachte:
Umstritten ist es, in welchem Umfang die potentielle Fortbewegungsfreiheit geschützt ist.[7]
3
a) Ein Teil des Schrifttums erachtet die potentielle Fortbewegungsfreiheit nur dann als schutzwürdig, wenn sich der Betroffene der Tatsache bewusst ist, seinen Aufenthaltsort nicht verlassen zu können, unabhängig davon, ob er dies tatsächlich will.[8]
Beispiel:
A verschließt für eine Stunde die Tür der Institutsbibliothek. Der dort anwesende B bemerkt dies, arbeitet aber trotzdem weiter.
4
b) Die Gegenposition der h.M. gewährt der potentiellen Fortbewegungsfreiheit einen umfassenden Schutz. Es ist danach gerade nicht erforderlich, dass der Betroffene die Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit wahrnimmt, so dass jeder Mensch, der tatsächlich zur Fortbewegung fähig ist (vgl. Rn. 2), als taugliches Tatobjekt in Betracht kommt.[9]
Beispiel:
Im obigen Beispiel (vgl. Rn. 3) bemerkt B das Abschließen der Tür nicht, weil er die ganze Zeit konzentriert forscht.
5
c) Eine vermittelnde Position scheidet Personen, bei denen die Möglichkeit der Willensbildung und -betätigung aktuell ausgeschlossen ist, als taugliche Objekte einer Freiheitsberaubung aus .[10] Daher können z.B. Schlafende und Bewusstlose nicht ihrer Fortbewegungsfreiheit beraubt werden. Dies gilt ebenfalls für Personen, die in den Zustand der Hypnose versetzt worden sind, weil sie kein eigenes Wachbewusstsein mehr haben.[11]
Beispiel:
Einbrecher A schließt den schlafenden Wohnungsinhaber B ein, damit seine Tat möglichst lange unentdeckt bleibt. Noch bevor B aufwacht, öffnet seine nachts heimkehrende Ehefrau die Schlafzimmertür.
6
d) Der letztgenannten Auffassung ist zu folgen, denn allein sie findet eine Stütze im Gesetz. Für sie sprechen weiter folgende Argumente:
7
– | § 239 Abs. 1 enthält im Gegensatz zu früheren Fassungen die Worte „des Gebrauchs der persönlichen“ (Freiheit) nicht mehr, so dass der Tatbestand keine Beschränkung auf die Beeinträchtigung eines aktuell betätigten Fortbewegungswillens erfordert. |
8
– | Wegen der in § 239 Abs. 2 vorgesehenen Versuchsstrafbarkeit kann vom Tatbestand nicht allein die potentielle Fortbewegungsfreiheit geschützt sein. Anderenfalls kommen für den Versuchstatbestand nur solche Handlungen in Betracht, die unter keinen Umständen zur Vollendung hätten führen können, während erfolgstaugliche Handlungen diesen regelmäßig bereits vollenden, es sei denn, sie schlagen im konkreten Fall jeweils fehl. |
Hinweis:
Grund für die extensive Auslegung des Tatbestands war vor allem das Bestreben, den Bereich des nach früherer Rechtslage straflosen Versuchs durch eine Vorverlagerung des Vollendungszeitpunkts einzuschränken. Dies ist nach der Einführung des § 239 Abs. 2 durch das 6. StrRG nicht mehr erforderlich.