Kitabı oku: «Das Innere des Landes», sayfa 3
Wieso wird um diese Gegend so ein Hype gemacht? Ich begreife das nicht.
Ja, ein Tamtam. Die Landschaft hat sich zur Mode, zur Marke entwickelt. Es trieft vor lauter Klischees. Es hat mit der Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Identität, nach dem Besonderen und Originellen zu tun. Und gerade hier wird das in besonderem Maße zelebriert. Sie wissen doch, wir sind alle so zerrissen, in jeder Hinsicht. Aber es gibt natürlich mehrere derartige Gegenden, die an ihren eigenen Klischees ersticken, besser, vielleicht wegen der Seen, darin ersaufen.
Allerdings gibt es hier tatsächlich viel Eigensinniges, viele Spinner und Eigenbrötler, einen verbreiteten Widerstand gegen die unhinterfragte Übernahme alles Neuen, einen beinahe unschuldigen Konservativismus, einen Stolz auf das besondere Eigene, auch wenn es manchmal lächerlich wirkt.
Diese Gegend ist für mich eine gemeinsame Erfindung aus Einheimischen und Zugewanderten, die sie zu Tode lieben. Eine merkwürdige Mischung aus bürgerlicher Urbanität und wüster Ländlichkeit, aus spielerischer Landromantik und grauenhaftem Traditionalismus.
Oh, oh, oh.
Lachen Sie nicht. Ich bin ja selber so eine Mischung. Oder egal: Lachen Sie doch einfach!
Der Fund
John entrümpelt das Haus. Zumindest beginnt er damit, aber mit dem ungewissen Gefühl, dass es kein rasches Ende finden wird. Es wird länger dauern, als er zu Beginn gedacht hatte. Vor allem, weil es vieles, beinahe zu vieles, zu finden gibt. Er sortiert vermutlich Wertvolles, er macht eine Liste, er stellt Dinge von besonders erscheinender Qualität zusammen, darunter alte Möbel, Tische, Kredenzen, Stühle, Geschirr. Aber wohin damit? Will er das behalten? Wie soll er das transportieren? Was davon möchte oder soll er veräußern? Und wie? John verspürt einen Anflug von Überforderung.
Als Letztes ist die hintere Hütte am oberen Rand der Wiese dran. Wo sich dahinter ein Weg gabelt, der linke geht hinunter in das Dorf, der rechte hinauf in den Wald, wo weitere Holzhütten stehen, schon seit sehr langer Zeit, wie ihm scheint. Allerdings ist die stark verwitterte Hütte versperrt, eine Rostschicht überzieht das sperrige Schloss. Als er sich umdreht, werden ihm der besondere Platz und der Ausblick bewusst. Über der Wiese, die sich zum Haus hinunter erstreckt, tut sich eine Kulisse aus Wald, Bergen und See auf, die sich für John zu einem visuellen Gesamtkunstwerk vereinigt. Ein erster Friede überkommt ihn, ebenso erreicht ihn eine leichte Unruhe.
Liegen Schönheit und Unheil so nah beisammen?
John weiß nicht, wo der Schlüssel ist. Die früheren Mieter hatten ihm davon nichts gesagt, außer, dass sie die obere Hütte nie benutzt hätten, ebenso wenig wie die Werkstatt. Bis er dann doch etwas findet, ganz hinten im finsteren Eck des Vorhauses, ein dunkles, schmales Brett, auf dem mehrere Schlüssel an der Wand hängen. Bis er alle probiert und tatsächlich, klick, das Schloss sich öffnet. Die verzogene Türe lässt sich nur mit Gewalt aufschieben. Eine Hütte, in der offensichtlich schon sehr lange niemand mehr gewesen war. Im Eingangsbereich räumt er vorsichtig Spinnennetze und Geräte beiseite, im hinteren Bereich liegen mehrere Bretter und Balken übereinandergestapelt, gutes Holz, verstaubt. Kann er das brauchen? Braucht es jemand?
Als der Handwerker tags darauf wiederkommt, bittet John ihn, brauchbares Holz für Sanierungszwecke zur Seite zu legen, für welche Zwecke auch immer, obwohl, es fallen ihm gerade keine ein. Der Handwerker hatte ihm bei seiner ersten Besichtigung geraten, verwendbare Materialien zu sichten, trockenes Bauholz sei ja nach wie vor verwertbar, vor allem auch Altholz sei gefragt. Als John ihm schließlich die hintere Holzhütte zeigt, weist dieser darauf hin, wie alt sie schon sei, gerade auch das Fassadenholz könne man gut verwenden. Altholz, so der Handwerker, sonnenverbrannt oder grau, vom Wetter gezeichnet, fein aufgeschnitten, das mögen die Gäste, die Hoteliers, das schafft Ambiente in ihren Unterkünften, Bars oder in einer Sauna. Außerdem, stellt er noch fest, als er durch das Fenster späht, sehe er gutes Bauholz, Bretter und Kantholz.
Brauchst du die Hütte noch? Was tust du damit? Kann ich das haben? Ich zahl dir was dafür.
John kann sie nicht brauchen, wofür auch, er kann sie ja nicht mitnehmen.
Die Hütte könne er übrigens abreißen und das Altholz verwerten, meint er zum Handwerker.
Kommen Sie herüber, Sie brauchen eine Pause!
Die Frau Gruber hat ihnen zugesehen und ruft nach John. Sie freut sich über den neuen Nachbarn.
Machen Sie eine Pause, setzen Sie sich zu mir herüber. Sie brauchen Ablenkung. Ihr Handwerker kommt schon eine Weile allein zurecht, er ist ohnehin gerade mit dem Fahrzeug weggefahren.
Tatsächlich, denkt John, ich brauche ein wenig Zerstreuung. So lässt er sich bei der Nachbarin schon das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen in den Korbstuhl fallen.
Also gut, lenken Sie mich ab. Erzählen Sie mir etwas. Erzählen Sie mir noch einmal vom Salz des Lebens und Ihren Vorfahren.
Ach ja, das Salz, natürlich ist das heute nicht mehr so bedeutend wie früher, schon längst nicht mehr. Ihre Vorfahren, so erzählt sie, waren mit dem Salzhandel reich geworden. Sie gehörten zu jenen Leuten, so der Familienmythos, die den Salzabbau und die Salinen mitorganisierten. Sie zählten zu den wichtigen Leuten hier. Sie besaßen Häuser und Grundstücke, ein bisschen was ist immer noch übrig.
Sie redet und redet.
Darüber, wie das erste Mal das Salz des Lebens aus diesem Berg geholt wird. Schon in der Bronze- und Eisenzeit, in der römischen Zeit weniger, auch nicht so sehr in der Zeit der Völkerwanderung, als die Salzgewinnung im Alpengebiet weniger Bedeutung hat. Im Frühmittelalter wird Salz jedoch an vielen kleinen Stellen gewonnen. Salzvorkommen ziehen sich durch den nördlichen Alpenbereich, von Tirol bis in die Obersteiermark. Im Laufe des Mittelalters ändert sich dies. Bevölkerung und Wirtschaft entwickeln sich und neue Siedlungen entstehen. Die Ernährung verbessert sich und Salz wird zur Konservierung von Nahrungsmitteln gebraucht. Als die damaligen Landesherren einen Orden für den neuen Salzbergbau ins Land holen. Diese Ordensleute sind Spezialisten, nicht nur für den Weinbau und für Handwerk, sondern auch für die Salzgewinnung. Man hatte sie ins Zentrum des neu entstehenden steirischen Herrschaftsgebietes geholt und ihnen unter anderem ein Abbaurecht am hiesigen Salzberg gestattet. Sie begannen erfolgreich Salz abzubauen. Das war der Beginn des mittelalterlichen Bergbaus in dieser Gegend.
Welcher Orden?
Die Zisterzienser, so die Nachbarin, sie beherrschten das Soleverfahren.
Und sie beginnt John vom Beginn des mittelalterlichen Bergbaus zu erzählen. Wie die Zisterzienser, anstatt Salz mühselig und aufwendig aus dem Berg zu schlagen und herauszuschleppen, Wasser in Stollen einführen. Wie sie das mit Salz gesättigte Wasser aus dem Berg pumpen, über Leitungen zu sogenannten Sudpfannen transportieren. Wie sie die Sole versieden, bis das reine Salz übrig bleibt. Es ist ein Verfahren eines der zu jener Zeit technisch und handwerklich modernsten Orden. Wie sie aus diesem Grund höchstwahrscheinlich der Markgraf ins Land geholt hatte. Und wie ihnen aufgrund ihres Erfolges nachfolgende Landesherren das Abbaurecht wegnehmen und den Salzabbau in Eigenregie übernehmen, die Organisation aber lokal vergeben. Wie die Hallinger, eine mit der Organisation des Salinenwesens beauftragte Gemeinschaft, zu denen die Vorfahren ihrer Familie gehörten – so erzählt man sich halt, lächelt die Gruberin –, erfolgreich arbeiten und zu Reichtum gelangen. Wie deshalb die neuen Landesherren – das waren die Habsburger – sich einzumischen beginnen, ihre Gemeinschaft auflösen und die Salzgewinnung unter ihre direkte Kontrolle bringen. Wie der Handwerker in der Zwischenzeit die obere Hütte ausräumt, während die Gruberin redet und John ihr zuhört. Wie er Bretter und Balken auf seinen Anhänger stapelt und das Holz über die obere Straße herunter zum Vorplatz des Hauses neben dem Schuppen transportiert. Offensichtlich hatte der Großvater, ein gelernter Tischler, die Hütte als Lager- und Trockenraum für Holz verwendet, für Bauholz, Möbelholz und Werkzeugholz. Eine kleine Werkstatt zur Bearbeitung befindet sich, mit Werkbank und Werkzeugen, im unteren Schuppen. Wie der Handwerker beginnt, den Boden der oberen Hütte zu sichten, einen sauberen, trockenen, stabilen Holzboden. Wie er den Boden an jener Stelle nachdenklich betrachtet, wo zwei Bretter gar nicht fixiert, sondern nur eingelegt sind, was ihm aufgefallen war. Wie er die Bretter mit der Sapin heraushebelt und zur Seite legt, einfach aus Neugier, gute, dicke Bretter. Wie er eine Unregelmäßigkeit wahrnimmt und sieht, dass sich unter dem Holzraum Erde befindet, wie überall unter solchen Böden. Wie er die Erde unter dem freigelegten Boden betrachtet, bis er den Eindruck bekommt, dass sie nicht gleichmäßig aussieht, mehr wie auf- und zugegraben. Ein Teil scheint lockerer zu sein als der andere, bildet er sich ein. Wie er in die Erde hineinsticht mit einer Schaufel, nur zur Probe. Bis er auf Widerstand stößt.
Hören Sie mir noch zu?
Ja, ich war nur kurz abgelenkt, bemerkt John in Richtung seines Hauses blickend. Ich muss an das Holz und das Gerümpel denken, der Handwerker schaut sich das gerade an. Er meine, es gäbe durchaus gutes, verwendbares Holz. Er werde es ihm verkaufen.
Genau, das wollte ich Ihnen ja auch noch erzählen, weil wir schon darüber reden, vom Holz!
Ich höre Ihnen schon zu, wendet sich John wieder zur Nachbarin zurück.
Das ist eben das andere, das zu dieser Gegend gehört: das Holz, der Wald, die Holzarbeit, die Holzknechte. Zum Beispiel das Brennholz für die Salinen, über Jahrhunderte. Das war der treibende Motor. Die Gegend ist voller Wälder. Holzarbeit hat eine lange Tradition. Holz für die Salinen, aber auch für die Erzverhüttung. Aber es geht nicht nur um Brennholz, sondern auch um Holz für die Anlagen zur Holztrift. Um Holz für Wagner oder Schmiede. Um Holz für Werkzeuge, um Holz für Bauern, für Gebäude und Geräte, für Zäune. Für alles, was man aus Holz machen konnte und musste, von großen Fässern bis zu Kleingebinden, von Häusern bis hin zu Wägen und Schlitten. Ein hölzernes Zeitalter, wie es heißt, wie überall damals. Als das Salz an Bedeutung verliert und Holz nicht mehr als Brennholz genutzt wird, beginnt man es zu exportieren, mit der Eisenbahn, die gerade gebaut worden ist. Man arbeitet in der Forstwirtschaft, in kaiserlich-königlichen wie in privaten Sägewerken. Bauern betreiben als Nebenverdienst das Winterfuhrwerk, den gefährlichen Holztransport mit Schlitten und Pferden, für lange Zeit.
Heute nicht mehr.
Aber trotzdem. Sehen Sie sich all diese Häuser an. Überall penibel geschlichtete Brennholzscheiterwände. Das strahlt noch die alte Kultur des Holzes aus. Das machen nur Menschen, für die es noch Bedeutung hat.
Das mit dem Holz weiß ich schon, so John, ich hab ja selber eine Scheune voller Scheiter geerbt.
Aber genug vom Holz. Erzählen Sie mir doch einfach die Gegend, wie sie jetzt ist. Ich muss aber bald gehen. Der Handwerker braucht mich.
Und sofort kommt die Gruberin auf den Punkt.
Die Gegend heute? Das sind doch übereinandergelagerte Schichten aus Widersprüchen und Gegensätzen. Zum Beispiel: Hier waren früher fast alle Bauern, logisch. Aber gleichzeitig waren die Bauern auch Arbeiter, Handwerker, Fuhrleute und sonstige Spezialisten. Oder man war einerseits sehr auf sich bezogen und abgeschlossen, andererseits gab es immer Einflüsse von überall her, die man aufgenommen hat. Oder: Einerseits werden der Eigensinn und die Widerständigkeit der Menschen besonders hervorgehoben, andererseits ist man unterwürfig und autoritätsgläubig. Einerseits betont man das Originale, Authentische in Musik, Tracht und Lebensweise, andererseits ist man das Produkt einer Idealisierung von außen, denn ohne Adelige und Bürger mit ihrer Sehnsucht nach dem einfachen Leben oder ohne zugewanderte Lehrer würde es diese Volkskultur, diese Trachten und diese Volkslieder so gar nicht geben.
Was gibt es noch zu erzählen?
Ah ja, ich bin auch ein solches Produkt. Ich bin hier aufgewachsen, aber eigentlich bin ich nicht von hier. Ich bin ländlich und gleichzeitig städtisch. Einerseits lebe ich hier in diesem Holzhaus, aber im Grunde bin ich eine urbane Hexe. Meine Verwandten stammen einerseits von hier, andererseits aus Wien, darum lebe ich auch in einer Zwischenwelt.
Zwischenwelt?
Dann hört John den Handwerker über den Zaun rufen, er sei jetzt so weit fertig, er müsse fahren, er komme demnächst wieder vorbei. Wo er denn die ganze Zeit bleibe, meint dieser, als John zurückkommt und ihm der Handwerker nicht nur von der oberen Hütte, von den schönen Holzbrettern, sondern beiläufig auch von Knochenresten erzählt, auf die er unter zwei lockeren Bodenbrettern gestoßen ist. Merkwürdig, ein totes Tier in der Erde unter dem Boden, aber das komme schon vor. Aber auf alle Fälle müsse er jetzt fahren.
John geht zur Hütte hinauf, sieht sich die Knochenreste an, sammelt sie ein, packt sie in ein Tuch und legt sie auf die Bank vor seinem Haus. Knochen? Er kann sie nicht zuordnen. Welche Knochen? Woher stammen die? Von welchem Tier denn?
Dann beschließt er, einen Spaziergang zu machen.
Als er später einen Förster, dem man ihm empfohlen hatte, wegen seiner Holzrechte anruft, sagt dieser, er habe gerade Zeit, er könne bald vorbeikommen, er sei ohnehin neugierig, denn er habe von ihm bereits gehört.
Er kenne das Haus, beginnt der Förster freimütig, als er mit ihm auf der Bank am Gartentisch sitzt, den John vor dem Eingang aufgestellt hat. Er reicht ihm ein Stamperl vom Schnaps, den er in der Kredenz gefunden hat, noch ein Überbleibsel der Mieter, gar nicht so übel.
Wie ist das eigentlich mit dem Holz im Wald?
Es gibt ein Holzrecht, beginnt der Förster. Du, ich sag einfach Du zu dir, weil ich das zu jedem sage, nicht nur ich, und ich bin ein Gewohnheitstier. Du hast ein Anrecht auf ein Holzdeputat mitgeerbt, viele ältere Häuser haben so etwas, auch deines. Du kannst dein Brennholz jährlich nach Zuweisung durch den Förster selber herausschlagen und verarbeiten. Oder du zahlst einen Bauern oder Holzarbeiter, der das für dich macht. Finde heraus, wie das bisher geregelt war. Es gibt auch Bauholz, es müsste einen Vertrag geben, einen sogenannten Regulierungsvergleich, da steht alles drinnen. Hast du ihn gefunden?
Nein, noch nicht. Wie sieht der aus? Wie heißt das?
Dann erzählt ihm John von den Tierknochen, die er gefunden hat, so nebenbei. Aber er sei sich nicht sicher.
Ob er ihm die zeigen könne?, fragt der Förster.
Hier in der Schachtel, sehen Sie! Siehst Du, korrigiert sich John.
Aber das sind keine Tierknochen, so der Förster. Mit Tierknochen kenn ich mich aus. Aber diese hier, die sehen aus wie menschliche Knochen. Woher er die habe?
Komm mit mir mit, fordert John ihn auf. Er zeigt ihm den Boden mit der aufgelockerten Erde in der oberen Hütte. Der Förster ist überrascht.
Ich kann dir nur raten: Geh zur Polizei! Und rühr vorher nichts mehr an.
Kannst du mitkommen?
Der Förster nickt. John packt die Knochenreste zusammen und sie fahren zum nächsten Polizeiposten.
Ich bin Eigentümer eines Hauses vor dem Waldrand, stellt sich John vor, aufgeregt und verunsichert. Ich bin auf Besuch hier. Ich bin ein Enkel der Familie, der das Haus gehört, ich habe das Haus von meinen Eltern geerbt. Es wurde bisher vermietet, beim Haus ist einiges zu reparieren, eventuell verkaufe ich es auch.
Der Polizist schaut stutzig und grantig, dann versucht er, Ordnung in Johns Gerede zu bringen.
Wo ist das? Welches Haus? Das Haus? Also Ihnen gehört das. Ich hab gehört, dass es einer Frau gehört, die in den 1950er Jahren ausgewandert ist.
John hat das Gefühl, dass er rasch auf den Punkt kommen muss.
Aber das ist es eigentlich nicht, warum ich gekommen bin. Ich habe unter dem Boden einer Hütte etwas gefunden, dass ich Ihnen zeigen möchte.
Er deutet auf die Schachtel mit den Knochen, die er auf den Tisch gestellt hat.
Es handelt sich um menschliche Knochen, betont John.
Die beiden Polizisten betrachten die Schachtel und den Inhalt.
Sind Sie sicher, dass das menschliche Knochen sind?
Ja, sagt der Förster.
Wie? Menschliche Knochen? Wie findet man so etwas, auf dem Friedhof?
Nein, unter dem Holzboden einer Hütte von mir. Warum wird jemand unter einem Holzboden einer Hütte begraben? Ist das normal?
Das gibt es eigentlich nicht, dass so etwas unter einem Holzboden vergraben liegt.
Deshalb bin ich ja gekommen, weil es das eigentlich nicht gibt.
Wie können Sie das beurteilen?
Ich bin kein Experte, daher komme ich ja zu Ihnen.
Die beiden Polizisten werfen sich ungläubige und skeptische Blick zu. Sie können sich gar nichts vorstellen. Hier im Tal gibt es in der Regel mehr verrückte als normale Geschichten, das wissen sie aufgrund ihrer reichhaltigen Erfahrungen.
Wissen Sie, was uns täglich unterkommt, was uns alles erzählt wird? Wieder so eine verrückte Sache. Aber gut, dann fahren Sie uns voraus, wir schauen uns das an.
Die Polizisten begleiten ihn zur Hütte hinauf. Er zeigt ihnen den Boden und die Stelle. Der Förster wartet an seiner Seite.
John nimmt eine Schaufel und gräbt, bis weitere Knochen zum Vorschein kommen, dann ein Schädel.
Die beiden Polizisten werden nervös.
Hören Sie auf zu graben. Wir haben schon alles gesehen. Rühren Sie nichts mehr an!
Einer beginnt zu telefonieren, der andere holt ein Absperrband aus dem Auto.
Die Nachbarin fragt über den Gartenzaun, ob etwas passiert sei. Sie wundert sich über ihren neuen Nachbarn. Als John so dasteht im Garten vor dem Haus, so verloren, nachdem der Förster noch einen Schnaps mit ihm getrunken hatte, vor lauter Aufregung. Als ob er nicht an diesen Platz gehören würde. Als ob er dort jetzt gar nicht sein möchte, wo er jetzt ist. So sieht er aus.
Ich habe unter dem Boden der oberen Hütte Knochen gefunden.
Sie blickt ihn an.
Das kommt vor. Von welchem Tier denn?
Er starrt vor sich hin.
Es sind menschliche Knochen.
Dann sitzt John mit der Nachbarin in ihrem Garten zusammen, ein wenig aufgewühlt, ein wenig orientierungslos, ein wenig deprimiert.
Können wir übrigens per Du sein? Du kannst auch „Gruberin“ zu mir sagen.
Also, liebe Gruberin, so John: Was hab ich damit zu tun? Hab ich damit etwas zu tun?
Sie beruhigt ihn, fürs Erste, und kümmert sich um Kaffee.
Der Kriminalbeamte und die Spurensicherung, die am nächsten Tag erscheinen, bestätigen, dass es sich um menschliche Knochen handelt und dass es eine gewalttätige Handlung gegeben haben muss. Die Leiche muss hier schon einige Zeit, mindestens mehrere Jahre, gelegen haben. Das Alter und weitere Dinge werden noch geprüft.
Der Beamte nimmt John zur Seite.
Was haben Sie uns zu erzählen?
John weist darauf hin, dass er erst seit wenigen Tagen das erste Mal in seinem Leben hier sei und dass er es war, der diese Reste entdeckt und sie gemeldet hatte. Er habe das Haus geerbt und sei gekommen, um den Verkauf vorzubereiten.
Er merkt, dass ihm der Kriminalbeamte nicht zuhört, dass er ihm nicht glaubt, dass er ihn für verdächtig hält, grundsätzlich, logischerweise, aus professionellen Gründen, ohne böse Absicht, aber doch.
Sind Sie deshalb hergekommen? Wissen Sie was darüber? Was wissen Sie?
Nichts weiß er.
Wer hat dieses Haus eigentlich über die letzten Jahre genutzt?
John sucht einen Zettel mit einer Telefonnummer und einer Adresse aus seiner Tasche und reicht sie dem Kriminalbeamten.
Halten Sie sich zu Ihrer Verfügung, schließt der Kommissar das Gespräch.
Wie lange?
Das könne man jetzt noch nicht sagen.
Am Abend rufen ihn die früheren Mieter an und beschweren sich bei ihm. Sie waren vernommen worden, nach ihrem Geschmack sehr unfreundlich und grob. Natürlich werden sie verdächtigt, aber mit abstrusen Vorwürfen – Ihnen ist schon klar, dass Sie unter Verdacht stehen, oder? Geben Sie gleich zu, was Sie getan haben, wir finden es ohnehin heraus. Wie haben Sie diese Leiche vergraben? Wie sie John am Telefon verzweifelt und wütend mitteilen. Was sie denn getan hätten? Sie hätten doch auf das Haus geachtet. Sie hätten nur das Haupthaus und das vordere Gebäude genutzt, darüber hinaus hätten sie keinen Bedarf gehabt. Dass sie den Rest nicht nutzten, wäre mit der Großmutter so vereinbart gewesen. Die obere Hütte am Waldrand hätten sie nie betreten, die sei ohnehin voll gewesen mit Holz und Gerümpel, wie sie einmal durch das Fenster gesehen hätten. Im Übrigen sei bei ihrer Familie ob dieses Vorfalls jegliches weitere Interesse am Haus erloschen.
Ein paar Tage sind vergangen, als ihm die Gruberin in der Früh über den Gartenzaun den Artikel einer Tageszeitung zeigt: „Geheimnisvolle Leiche aus NS-Zeit. Spektakulärer Gartenfund im Ausseerland“. Bevor er darüber nachdenken kann, was das bedeuten soll und woher die das haben, steht bereits der Kriminalbeamte am Zaun. Er teilt ihm mit, dass es sich aufgrund der gerichtsmedizinischen Untersuchung bei der Leiche um einen jungen Mann gehandelt haben muss. Allerdings sei die Leiche bereits vor langer Zeit begraben worden. Vor rund siebzig Jahren. Das könnte zum Beispiel auch 1945 gewesen sein, meint der Beamte. Da es offensichtlich ist, dass es sich um einen Mordfall handelt, hat die Staatsanwaltschaft ein Verfahren eingeleitet. Nun sind wir mit der Untersuchung betraut. Aber ich sage Ihnen ganz offen: Wir haben keinerlei Anhaltspunkte, mit denen wir irgendetwas anfangen könnten. Welche Spuren gibt es nach 70 Jahren? Welche Zeugen sollen wir vernehmen? Und außerdem: Es war Krieg. Da sind viele Menschen gestorben.
Unter dem Fußboden?
Ich bin kein Historiker, ich kann Ihnen nur sagen, wovon ich gehört habe: Gegen Kriegsende und danach sind Menschen auf der Flucht hier durchgekommen. Es hat auch Racheakte zwischen Gegnern gegeben, viele unaufgeklärt. Manche offenen Rechnungen sind damals beglichen worden, in den Wirrnissen dieser Zeit. Es war ein völliges Chaos, da ist so etwas schon vorgekommen.
In den Wirrnissen?
Ja, dies bedeutet letztlich, so meine Einschätzung, dass aufgrund der Unmöglichkeit, eine derartige Sache aufzuklären, die Sache bald wieder eingestellt wird. Unter uns: Seien Sie doch froh!
Was heißt das für mich? Muss ich mich noch zu Ihrer Verfügung halten? Muss ich wegen dieser Angelegenheit hierbleiben?
Der Kriminalbeamte verneint.
Und was mach ich jetzt? Warum steht das überhaupt in der Zeitung? Woher haben die das? Wie soll ich nun dieses Haus verkaufen, wenn inzwischen ohnehin bereits alle wissen, dass hier eine Leiche gefunden wurde? Ich wollte ein Problem lösen und nicht ein neues in die Welt setzen.
John spricht mit dem Förster, der noch einmal nachgefragt hat und nun bei ihm einen Kaffee trinkt und ihn beruhigt.
Was soll ich tun? Ich finde in der Hütte Reste einer Leiche. Ich melde den Fund. Es gibt eine Untersuchung, dann gibt es Verdächtigungen und Befragungen. Dann passiert nichts mehr. Die Behörden sehen keine Anhaltspunkte, sie werden sich voraussichtlich nicht weiter mit der Angelegenheit befassen. Gibt es für die Polizei gar keinen Fall? Für mich persönlich schon. Doch niemand scheint sich dafür zu interessieren. Fehlt die Leiche niemandem, wird niemand vermisst? Soll ich darüber froh sein oder beunruhigt?
Der Förster beginnt, von seiner Großmutter zu erzählen, es gäbe eine alte Geschichte. Es gäbe Gerüchte. Aber er empfehle ihm, nicht zu sehr darauf zu achten. Damals, so müsse man sich das vorstellen, damals gab es im Dorf Konflikte und politische Gegensätze.
Damals? Welche Gerüchte? Welche Konflikte?
Damals, in den 1930er Jahren und in der NS-Zeit, zwischen Befürwortern und Gegnern des Nationalsozialismus. In den letzten Kriegstagen und danach hat sich das Blatt gewendet. Nun kamen jene in die erste Reihe, die sich nachweislich im Widerstand zum NS-Regime befunden hatten, anerkannt von der US-Militärmacht. Aber es waren auch Leute dabei, die vorher dem Regime gedient hatten und nun mit der neuen Verwaltungsmacht kooperierten. Es gab böses Blut. Widerstandskämpfer? Diese Verräter und wir, die wirklichen Opfer, so sagten viele. Dann gab es Mitglieder der NSDAP und Funktionsträger der NS-Macht, die nie belangt wurden. Ihr Denken, ihre Einstellung bestanden weiter. Sie stellten sich positiv und konstruktiv dar und deckten zu, was sie vorher gewesen waren. Ich hab gehört, dass dein Großvater zu jenen gehörte, die politisch in Opposition gewesen waren, nicht offen, aber viele Jahre vorher schon. Ich will dir nicht zu nahe treten, aber erlaube mir die Frage: Es war doch deine Großmutter, die ein paar Jahre nach dem Krieg ausgewandert ist? Soll sie davon nichts gewusst haben? Was war der Grund für das Verlassen ihrer Heimat? Und der Großvater? Man hat gehört, er habe mit dem Widerstand zu tun gehabt, ein Kommunist, ein möglicher Deserteur, den es halt am Schluss noch erwischt hat, verzeih mir den Ausdruck. Deine Großmutter hat keine gute Nachrede gehabt, sie wurde als Erbschleicherin bezeichnet, sie habe sich ins Haus gehockt.
John sieht ihn irritiert an.
Das ist nicht meine Meinung, sonst säße ich nicht da. Aber so reden manche Leute.
Manche Leute? Wer?
Vergiss es. Ich sage dir: Frag nicht bei jedem nach. Hör nicht auf alles, was irgendwelche Leute sagen. Du wirst nichts Wahres über die Geschichte dieses Hauses und die Leiche erfahren, außer bei ganz wenigen, wenn sie noch leben. Gleichzeitig reden die Leute über dich. Aber sie reden nicht mit dir.
In John steigt Panik auf. Die Wucht seines eigenen Verdachts legt sich auf ihn, auf seine Familie, als der Befund feststeht, wie alt die Leiche gewesen sein muss. Ein Verdacht, der nicht von der Kriminalpolizei kommt, sondern von ihm selbst – und offensichtlich von anderen im Dorf. Er fürchtet sich davor, zu erleben, wie ihn andere verdächtigen und Gerüchte verbreiten. Hat er etwas übersehen? Wieso war seine Großmutter weggegangen? Warum war sie so schweigsam, so distanziert, so zurückhaltend gewesen? Hatten die Großeltern etwas mit der Leiche zu tun? Was hatten sie damit zu tun?
John beginnt mit seinem Nachfragen in dieser Welt der Geheimnisse und vagen Vermutungen mit Verandagesprächen bei der Gruberin. Sie lädt ihn ein, regelmäßig, vielleicht mit Hintergedanken, weil er ihr gefällt. Er geht hin, weil er froh ist, dass er jemanden hat, vielleicht, weil er sie auch interessant findet, irgendwie exotisch-interessant. So beginnt seine Reise durch eine Suppe aus Gerüchten und Geschichten, falschen und wahren, erfundenen und echten. Wenn überhaupt, wird das erst eine Geschichte, weil er eine draus macht, so die Gruberin, sonst wär es in dieser Gegend gar keine. Ob er sich da nicht zu sehr hineinsteigere? Aber die Angelegenheit zählt offenbar zu jenen Geschichten, die irgendwie nicht aufhören, die ständig aus den Gräben steigen und die Landschaft beunruhigen, wovon niemand oder besser manche nichts wissen wollen. Dass diese Angelegenheit ihn ein wenig aus dem Häuschen bringt, das würde ihm wohl niemand übel nehmen, schon gar nicht seine Nachbarin.
Bleib halt da bei uns! Nimm dir Zeit. Komm einfach vorbei, wenn du mich brauchst. Ich zeig dir auch gern die Gegend, die Landschaft und ein bisschen das Salz des Lebens. Ich helfe dir Antworten zu finden, soweit ich dir dabei helfen kann. Wie könnten auch ein paar Freunde treffen, hin und wieder. Das wird dir guttun.
John steckt fest. Oder doch nicht? Ein altes sanierungsbedürftiges Haus ohne Käufer. Mit einer Leiche, die seine Familie für ihn verdächtig macht. Er kann es nicht fassen. Er möchte weglaufen, aber er kann nicht. Oder doch? Er könnte einfach seinen gebuchten Rückflug antreten, der in vier Tagen fällig ist. Was hält ihn hier, in dieser Gegend, mit der er nichts zu tun hat? Er hat doch keine Verpflichtungen. Keine Polizei hält ihn auf. Aber leider ist da schon etwas: Beim Haus beginnen Kosten anzufallen, na gut, er könnte es verfallen lassen, aber Steuern und Abgaben bleiben trotzdem. Er könnte es ignorieren, er ist ja nicht von hier, er könnte sich vielleicht einfach aus dem Staub machen. Der Leichenfund beginnt sich herumzusprechen. Trotzdem wird sich wohl jemand finden, der das Haus kauft, abreißt und etwas völlig Neues hinstellen möchte. Aber soll das überhaupt geschehen, will er das? Die Sache nagt an ihm, wenn er unentschlossen in den See starrt. Und dann fallen ihm noch die unbekannten Verwandten mit Ansprüchen und Forderungen ein, von denen er gar nichts wusste. Aber muss er die überhaupt ernst nehmen?
Am liebsten möchte John die Flucht ergreifen. Aber er merkt, dass er keine Lust darauf hat, nach Hause zu fahren. Er braucht Abstand. Hier in dieser Gegend? Braucht er Abstand, ausgerechnet hier? Er versucht, seine Unruhe zu verscheuchen, seine Kompassnadel scheint wie wild hin und her zu springen, wenn es darum geht, sich zu orientieren.
Was tun?
Gehen und schauen? Er geht und er schaut. Er geht mit seinen neuen Sportschuhen, die ihn drücken, und trägt einen leichten Rucksack. Er geht Wanderwege am See entlang, alle markiert und zusammengeräumt. Er betrachtet die schillernde Oberfläche des Sees, die auf alle Tageszustände, Licht- und Wetterverhältnisse, sogar psychische Zustände ihrer Betrachter zu reagieren scheint. Der See blitzt und blinkt mit seiner sich ständig wandelnden Oberfläche. John geht, inzwischen langsamer und ruhiger, aber offensichtlich nur sein Körper. In seinem Kopf arbeitet es in unverändertem Tempo fort. Er muss sich zur Ruhe bringen, das Wandern tut ihm nicht gut.
Ein paar Tage hintereinander umrundet er diesen See, mit seinen Wäldern, die bis ans Ufer reichen, mit seinen Felsen, die bis ans Ufer stoßen, mit einer Wiese, die den See abschließt, verwunschen, märchenhaft, verwildert und gepflegt zugleich, begrenzt von einer ungeheuren Felswand. Mit Holzhütten und Bootshäusern im Vordergrund und ihrem widersinnigen Schimmer aus Einfachheit und nobler Exklusivität.
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