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Kitabı oku: «Die Ahnen», sayfa 124

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Draußen im Hofe und Garten tummelten sich lustig die Husaren, bereiteten ihre Mahlzeit, rauchten und schwatzten. Hinter den Gebäuden des Hofes standen die erbeuteten Geschütze und Wagen, bewacht von freiwilligen Jägern; in einer Abteilung der Scheune lagerten die Offiziere und einige Freiwillige, auch sie gehoben durch den gelungenen Fang. Es wurde dunkel, und Hans ließ bereits durch die Burschen der Offiziere die Streu auf der Tenne breiten zum Nachtlager für die Herren. Da stellte sich der alte Franzose nahe zum Bett des Obersten und begann leise: »Ich bringe eine Meldung, Herr Oberst.« Dieser wandte ihm das düstere Antlitz zu. »Der Feuerwerker hat heut, während die feindlichen Husaren von seinen Leuten unterhalten wurden, heimlich ein Faß Sprengpulver in die Scheune gegenüber geschafft und unter Erbsenstroh versteckt. Vom Faß hat er die Zündschnur gelegt und längs dem Stall mit Stroh bedeckt bis an dieses Haus gezogen. Er ist Savoyarde und fühlt Rachsucht, weil ihn die Husaren verwundet und durch Schläge übel zugerichtet haben. In der Nacht, wenn die Scheune mit Feinden gefüllt ist, will er sprengen, er hofft, die Wache zu betrügen. Das Pulverfaß steht neben dem Lager der Offiziere, die Stoppine läuft hier hinter dem Haus herum bis zu der Kammer nebenan, wo der Savoyarde wegen seiner Wunde einquartiert ist. Ich sagte ihm, er dürfe es nicht tun ohne Ihre Genehmigung. Sobald der Herr Oberst an die Wand pocht, zündet er an.« In den Augen des Obersten flammte ein grelles Licht auf, als er fragte: »Wo liegt der Arzt aus jener Stadt?«

»Bei den Offizieren in der Scheune.«

»Warum hat es der Tropf nicht getan, ohne Meldung davon zu machen?« murmelte der Kranke.

»Mein Oberst, der Doktor hat Ihr Leben gerettet«, versetzte der Alte.

»Er hat mir gestohlen, was das Glück meiner Zukunft werden soll; er hat sich eingedrängt zwischen mich und eine andere, einer von uns beiden muß von dannen.«

»Wenn das sein muß,« fuhr der Alte fort, »so pflegt mein Oberst das Pulver in der Pistole zu gebrauchen, aber nicht im Faß.«

»Im Kriege trifft der Tod mit jeder Waffe.«

»Aber Oberst Dessalle gebraucht nicht jede.«

»Sie haben Ihre Meldung getan, Wachtmeister; ich werde das Zeichen geben.« Der Alte rückte sich steif zusammen und salutierte militärisch.

Die Sonne war untergegangen und das Abenddunkel erfüllte die Räume des Hauses. Der Rittmeister kam in die Wohnstube und befahl Licht zu bringen; da der helle Schein auch die anderen Offiziere herbeizog, rief der Pole in den Hof hinaus: »Komm zu uns, Bruder Doktor, es ist Wein hier aus Franken.« Der Freiwillige erschien und saß mit den andern am Tisch nieder.

Der Rittmeister trug ein Glas zu dem Diener. »Trink, alter Vater, da dein Herr nicht kann, und sei lustig; heut mir und morgen dir, so heißt es bei uns Husaren.« Der Alte dankte und stellte das Glas unberührt neben sich. »Dieses Glas aber bringe ich dir, Bruder Doktor,« fuhr der Rittmeister fort, »heut bist du als mein Freiwilliger geritten und ich habe mich über dich gefreut. Bei uns Polen ist eine Rede: Jedermann schlägt nach seinem Großvater, – ich denke, deiner war auch Soldat.«

»Nur eine Stunde seines Lebens«, antwortete der Doktor lachend. »Er war ungewöhnlich hoch gewachsen, deshalb wollte ihn der Vater Friedrichs des Großen in sein Potsdamer Regiment stecken und hatte ihn schon einkleiden lassen. Doch besann der König sich anders und gab ihm eine Pfarre. Der Großvater hielt sich noch im hohen Greisenalter gerade aufgerichtet wie ein Gardist, ich habe eine dunkle Erinnerung an ihn und an sein schönes weißes Haar, wie er mir einst die Hand auf den Kopf legte.«

»Mir hat niemand den Kopf gesegnet«, sagte der Rittmeister ernster als er sonst zu sein pflegte. »Den Großvater hieben die Konföderierten mit ihren Säbeln zu Tode, und den Vater erschossen die Franzosen, während er in österreichischen Diensten stand, beide habe ich nicht gekannt. Da zog meine Mutter ins Preußische, als ich noch ganz winzig war. Dort sah ich als kleines Kindel zuerst einen Husaren und sagte meiner Mutter sogleich, ich wollte auch einer werden. Solange ich denken kann, habe ich kein anderes Vaterhaus als das Regiment, und keinen andern Segen auf dem Kopf, als den Segen, welchen der Herrgott einem ehrlichen Husaren gibt.« Er stieß das Glas auf den Tisch. »Schenke den Rest ein, Bruder, morgen reiten wir, bevor die Sonne aufgeht, und jetzt pascholl nach unserem Nachtquartier in der Scheune.«

Die Preußen verließen die Stube, es wurde allmählich still, auch draußen verhallte der Lärm. Der Sergeant stellte sich an das Bett des Obersten und beugte sich über ihn, der Kranke schlief. Erstaunt lauschte der andere auf die Atemzüge und harrte längere Zeit, es regte sich nichts. Kopfschüttelnd nahm er das Wassergefäß und ging in den Hof.

Als um diese Zeit der Doktor noch einmal aus der Scheune zum Brunnen kam, sah er in der Finsternis an der Seite eine Gestalt am Boden kauern. Als er herantrat, erkannte er den alten Franzosen. »Was tun Sie hier, mein Braver?« fragte er verwundert. Der Alte erhob sich.

»Ich habe eine Kugel für mich gefunden«, entgegnete er grüßend und schritt dem Hause zu. In der Kammer neigte er sich wieder über das Angesicht seines Obersten. Dieser lag unverändert. Der Sergeant saß neben dem Lager nieder, griff nach dem Glase, das ihm der Preuße dargeboten hatte, und trank es aus.

Alles war still, die Sterne stiegen zur Höhe und gingen nieder, die erste Morgenröte stieg herauf. Hans trat aus der Scheune und blies Reveille, auch der Oberst erhob sich in seinem Bett. »Ich werde mich zu Arrest und Kriegsgericht melden, sobald der Herr Oberst den Säbel wieder hat«, sagte der Sergeant finster.

»Was meinst du, Alter?«

»Ich habe gestern abend gegen Befehl die Zündschnur durchschnitten und die Leitung unterbrochen.«

»Ich weiß es, mein Vater; ich wußte, daß du es tun würdest, als du hinausgingst, denn ich schlief nicht.«

Mit demselben strengen Ernst meldete der Sergeant weiter: »Ebenso habe ich gestern gegen den Befehl dem Feuerwerker gemeldet, daß der Herr Oberst oder ich ihm künftig einmal einen Schuß durch das Hirn jagen würden, wenn er sich untersteht, ohne mündlichen Befehl des Herrn Obersten die Stoppine anzuzünden.«

»Es ist gut«, versetzte der Oberst und streckte ihm die Hand hin. »Komm, mein Vater, setze dich zu mir; mir bleibt auf Erden niemand als du.« Er sank auf sein Lager zurück. So blieben beide schweigend, bis der Pole, zum Aufbruch bereit, in die Kammer kam.

»Die alte Rechnung ist noch nicht ganz ausgeglichen, obgleich wir einander gehauen haben«, begann der Pole; »auch ich bin gewohnt, Ehrenschulden zu bezahlen. Sie haben mir damals meine Husaren freigelassen. Wollen Sie mir Parole geben für sich und Ihren Begleiter, daß Sie in diesem Feldzuge nicht mehr gegen uns dienen, so gebrauche ich das Recht, welches ich als Kommandeur eines Streifkorps habe, und lasse Sie sogleich frei abreisen, wohin Sie wollen.«

»Es ist dafür gesorgt, daß mir die Parole nicht schwer wird«, entgegnete der Oberst, nach seinem Fuß weisend, und gab das Gelöbnis. Der Rittmeister rief in den Hof und übergab dem Alten Pallasch und Säbel.

»Da wir Artigkeiten austauschen,« begann jetzt der Franzose nicht ohne Selbstüberwindung, »so lassen Sie sich als meinen Dank mitteilen, daß in der Scheune neben Ihrem Nachtlager ein Faß Pulver steht; die Leitung, welche dazu bestimmt war, Sie auffliegen zu machen, hat mein Sergeant gestern abend unterbrochen, um Sie vor einer lästigen Störung Ihrer Ruhe zu bewahren. Wenn Sie diese Tat, die er ohne Befehl, nur als Soldat von Ehre getan, für dankenswert halten, so können Sie ihn dadurch verbinden, daß Sie von einer Untersuchung gegen den Anstifter absehen, damit die Redlichkeit meines Alten gegen den Feind nicht einem seiner Kameraden den Hals kostet.«

»Ich weiß Ihnen nicht besser zu danken, Wachtmeister,« versetzte der Rittmeister, »als daß ich den Kerl zur Stelle loslasse, da ich eine solche Bremse nicht mit mir fortnehmen will.«

»Noch um eine Gunst wage ich zu bitten,« fuhr der Oberst fort; »ich möchte so schnell als möglich diesen Ort verlassen, ohne sonst jemanden zu sehen, und ersuche Sie um einen Wagen für mich und meinen Begleiter.«

»Der Beamte des Vorwerks soll sogleich anspannen«, entgegnete der Pole. »Stoßen wir wieder zusammen, so tue ich nicht den ersten Hieb.«

»Auch ich nicht«, sagte der Franzose. Beide grüßten einander mit der Hand und schieden.

Als der Doktor kurz darauf in die Stube trat, war Oberst Dessalle mit seinem Vertrauten verschwunden. »Wohin ist er gereist?« fragte der Doktor den Rittmeister.

»Südwärts nach der nächsten Stadt«, versetzte der Pole. »Er wird uns das Geschäft nicht stören; wir wechseln die Straße. Die Geschütze muß ich aber sprengen. Das Pulver dazu steht neben unsrer Schlafstelle.«

Oberst Dessalle war verschwunden. Der Doktor hatte im Winter und während des nächsten Feldzuges im Frühjahr oft Gelegenheit, bei französischen Offizieren nach ihm zu fragen. Viele kannten ihn und mancher gab Nachricht über ihn bis zu dem Tage seiner Gefangenschaft; wo er seitdem geblieben, wußte niemand zu sagen.

12. Zum Frieden

Die Freiwilligen sind fort, die Mannschaft der Linie ist ausgehoben, auch die Landwehr hat Weib und Kind verlassen und ist in das Feld gerückt, und der Kreisstadt fehlt die junge Kraft, welche sich im ersten Frühjahr zornig gegen den Feind erhob. Aber wehrlos ist die Bürgerschaft nicht, denn die gesamte mannhafte Bevölkerung schreitet in Waffen von der Art, wie sie einst von den alten Hünen getragen wurden, und exerziert draußen auf dem Anger. Jeder trägt eine Pike, die Waffe ist schwer, ihre Eisenspitze lang und scharf, der Schaft ein starker Pfahl, und es ist kein Kinderspiel, sie zu führen, mit ihr auszufallen, in gerader Richtung vorwärts zu stoßen oder sie gar in der Luft zu schwenken, um den feindlichen Säbel, den der Pikenmann in Gedanken vor sich sieht, zur Seite zu schleudern, daß er weit über den Anger bis dahin fliegt, wo die Gänse der Vorstädter friedlich den kurzen Rasen berupfen. Wer aber Herr über solche Waffe geworden ist, der bekommt eine feste Zuneigung zu ihr und Vertrauen zu seiner eigenen kriegerischen Tüchtigkeit. Man kann sich denken, daß Beblow den gesamten Landsturm der Stadt befehligt, sowohl die leichte Kompanie seiner Bürgerschützen, die mit ihren Stutzen den Feind aus der Ferne vernichten, als auch die eigentlichen Stürmer, welche dem Feinde, wenn er doch noch stehen bleibt, dicht auf den Leib rücken, und mit Kraft in diesen hineinstoßen. Und wenn der riesige Hauptmann vor seinem Bataillon hinauszieht, des Beispiels wegen selbst mit einem Spieß bewaffnet, der einem Hebebaume gleicht, so erhält der Bürger bei seinem Anblick einen Löwenmut; hinter ihm drein marschieren sie alle, die noch feste Glieder haben, Schilling führt einen Zug und Hutzel einen anderen, und dieser läßt sich auf den Rat seiner Hausfrau den Schnurrbart stehen. Die Stadt ist in ein Heerlager verwandelt, nur der Herr Einnehmer hält sich zurück. Doch auch er sieht vom Stadtwall bewundernd den Übungen zu.

Bald kommen die Tage, wo der Provinz eine starke Heeresmacht nötig wäre, denn noch einmal dringt der böse Kaiser in das Land, auch die Kreisstadt ist in Gefahr, von den Franzosen besetzt zu werden. Beblow mit einem Dutzend Kameraden wäre imstande, als lebendige Dornhecke das Stadttor den Franzosen zu verschließen, jedoch die Mehrzahl seiner Mitbürger erhebt verständigen Einwand, und mancher birgt während dieser Tage die Pike auf dem Oberboden. Sobald aber der Feind den Rücken wendet, sind sie alle wieder auf dem Anger versammelt und fallen trotzig hinter ihm aus. Und einer von ihnen, welcher nicht arm an klugen Gedanken ist, stemmt seine Pike auf den Boden, sieht bewundernd zu dem Eisen der Spitze auf und sagt zu Herrn Köhler: »Es ist die beste Waffe der Welt. Aber sie verlangt einen ruhigen Feind.«

»Sie haben recht,« entgegnet der Einnehmer, »dies ist für uns Bürger die beste von allen Waffen, denn wenn Sie sich täglich eine Stunde wie Helden damit gemüht haben, so sind Sie daran gemahnt, daß das Vaterland jetzt von jedem das Äußerste fordert, arbeiten die übrige Zeit unverdrossen in der Werkstatt für Lieferungen ohne Ende, bei denen die Bezahlung ausbleibt, und essen ohne Murren das schwarze Brot, welches uns jetzt gebacken wird. Ohne die Pike würde der arme Bürger die schwere Zeit nicht ertragen.«

In jenen Tagen, wo das feindliche Heer noch einmal in das Land flutete, bestand der Senior darauf, sein liebes Kind vor der Gefahr in einer Stadt zu bewahren. Da schrieb Henriette an Minchen Buskow, kam zur Kreisstadt und zog zu dem Fräulein in das leere Dachstübchen. Der Aufenthalt Henriettens verlängerte sich bis zum Herbst und das Pfarrkind wurde eine wertvolle Gehilfin in der Schule und bei den Sammlungen für das Vaterland. Am Nachmittag fand man beide auf dem Stadtwall, neben ihnen schritten der Einnehmer und der junge Doktor, und so oft die vier sich recht eifrig unterhielten, war die Rede fast immer von solchen, die draußen im Felde lagen. Henriette hatte die Freude, die Nachrichten von Siegen, welche jetzt schnell aufeinander folgten, und andere stille Botschaften, welche durch die Feldpost kamen, gemeinsam mit den Vertrauten des geliebten Mannes zu genießen. Und wenn die wackeren Mädchen des Abends zusammen in der Dachwohnung für die draußen arbeiteten, dann war auch Minchen überglücklich, daß sie der neuen Freundin als Wirtin gegenüber saß; denn dieses Amt hatte sie in ihrem Leben noch niemals gehabt und sie fühlte sich stolz, wenn sie vor dem erfahrenen Gast auch ihre Tüchtigkeit in der Wirtschaft beweisen konnte. Da die Frau Pastorin durch regelmäßige Sendungen aus Hof und Küche dafür sorgte, daß die Einquartierung der Städterin nicht beschwerlich wurde, so lebten die Mädchen miteinander in behaglichem kleinem Haushalt wie zwei Vögel auf einem Fruchtbaume.

Die große Schlacht bei Leipzig war geschlagen, die Bürger dankten dem lieben Gott in der Kirche dafür und stellten am Abende Lichter an die Fenster. Eine fromme Freude erhob das ganze Volk, nicht reich an Worten, aber so gewaltig, daß in ihr alle Sorge um die unsichere Zukunft des Vaterlandes und alle Erinnerung an die gehäuften Leiden der vergangenen Jahre untergingen.

Als die Straßen wieder frei wurden und die Post regelmäßig Briefe vom Heere beförderte, da erhielt Henriette an einem düsteren Tage des Novembers zwei Briefe; den ersten von dem Geliebten, worin er ihr sein Zusammentreffen mit dem Franzosen berichtete, und den zweiten von ihrem Vater, Einlage war ein an sie adressiertes Billett von einer Hand, die sie wohl kannte und die ihr jetzt ein Grausen verursachte. Sie riß das Schreiben auf, ihr Ring mit dem Vergißmeinnicht lag darin, und der Brief enthielt in französischer Sprache nur die Worte: Leben Sie wohl für immer, schöne Henriette!

Da glitt sie von ihrem Stuhle auf die Knie und hob die Arme gen Himmel: »Vater des Erbarmens, ich danke dir.« Dann eilte sie zum Tisch, schrieb in einen Brief die Worte: »Ich habe den Ring, Geliebter, ich bin frei«, und legte die Zeilen des Franzosen ein.

Am nächsten Tage nahm Henriette von Minchen Abschied, um nach Haus zurückzukehren. Daheim fiel sie den Eltern um den Hals und bekannte ihnen in der ersten Stunde, wie lieb sie den Doktor habe; als die Mutter zärtlich klagte: »Du böses Kind, wie lange hast du uns das verborgen« – antwortete Henriette leise: »Vater und Mutter hatten die Verlobung mit dem Franzosen anerkannt, wie durfte die Tochter sie zu Mitwissern einer stillen Liebe machen, so lange der andere ihren Ring trug?«

Noch war die Zeit des Harrens nicht vorüber, aber es waren Monate froher Erwartung, welche den Schritt beflügelt und die Wange rötet; Henriette flog wieder geschäftig durch Haus und Hof, und wie der Senior zum erstenmal aus der Küche, wo die Tochter mit Susanne verhandelte, das sorglose Lachen hörte, welches er durch viele Jahre nicht vernommen, da blickte er auf von Luthers Buch über die babylonische Gefängnus der Kirche und lächelte ebenfalls. Des Abends saß er vergnügt in seinem Lehnstuhl, während die Tochter auf dem alten Klavier seine Lieder vorsang, vom Knaben mit dem Röslein und ein neueres, von einem verwundeten Krieger, der die Leute bittet, ihn vom Wagen zu heben.

Die nächste Freude bereitete ein Brief an den Vater, worin der Doktor um Henriettens Hand warb. Der Senior antwortete umgehend mit bewegtem Gemüte.

Es wurde wieder Winter und die weißen Flocken tanzten nicht nur draußen in Garten und Feld, auch in der großen Vorratsstube des Pfarrhauses, denn die Frau Pastorin schüttete die Flaumfedern in Betten, welche zur Ausstattung für ihre Tochter bestimmt waren, und Henriette saß am Schreibtisch und schrieb lange, glückliche Briefe an ihren Bräutigam. Sie hatte seinetwegen ein gutes Vertrauen, er war nicht mehr den Gefahren des Feldes ausgesetzt, sondern nur denen seines Berufes. Denn er hatte von seinem Major Urlaub erhalten und war in den großen Lazaretten tätig, welche bei Mainz für die Verwundeten errichtet wurden.

Als aber die Frühlingssonne schien und wieder die ersten Schneeglöckchen blühten, da flog die Nachricht von neuen Siegen in Frankreich durch das Land, vom Sturz des Kaisers, vom Einmarsch in Paris und dem lang ersehnten Frieden. Susanne fegte das Haus, und die glückliche Braut wand mit Bärbels Hilfe Fichtenkränze und hing sie über die Türen. Der Doktor hatte ihr geschrieben, wann er kommen würde, und sie stand auf der alten Schanze und blickte stundenlang hinaus nach dem Wege. Weit hinten auf der Straße zog etwas Dunkles heran, näher und näher, sie konnte den Lauf der Pferde erkennen, endlich eine Männergestalt, sie sah, wie der Geliebte die Hand nach dem Pfarrhause erhob, und erspähte die Züge seines Antlitzes. Heftiger pochte ihr Herz, sie flog ihm entgegen und hielt ihn lachend und weinend in ihren Armen.

Hand in Hand gingen sie miteinander dem Hause zu; die Seligkeit dieser Stunde war so groß, daß sie beiden die Lippen schloß, und doch zitterte in leisem Nachklang das Weh vergangener Zeit in ihren Seelen nach. Als sie in die Nähe des Ringwalls kamen, sah der Doktor die Dornen der alten Wustung ausgerodet und den ansehnlichen Platz, der dadurch gewonnen war, mit jungen Obstbäumen bepflanzt; ein Karren und Werkzeug lehnten an dem Brunnenrand. »Du kommst gerade zurecht, den Geist des Brunnens zum letzten Male zu schauen. Der Vater hat durchgesetzt, daß der Quell verschüttet wird, damit der Aberglaube aufhöre. Harre einen Augenblick, Geliebter, auch ich will etwas versenken.« Sie eilte in das Haus und brachte den Goldreif mit dem Vergißmeinnicht. »Der leichte Ring hat uns beiden das Leben schwer gemacht, ich kann ihn nicht ansehen, ohne traurig zu werden.« Sie beugten sich über die Brüstung und sahen in die tiefe gemauerte Röhre hinab, Henriette hob die Hand und warf den Ring hinunter. An dem Aufschlag und den helleren Kreisen auf der Oberfläche erkannten sie das Wasser in der schwarzen Tiefe. »Es soll nichts mehr hineinstürzen«, rief das Mädchen und zog ihn mit sich fort.

»Jetzt führe ich,« sagte der Doktor, »wir suchen den vierblättrigen Klee.«

»Ich suche das Glück nicht mehr, ich halte es fest an der Hand.« Sie stiegen hinab in den Kessel des Ringwalles, und als sie da unten standen, war es gerade wie vor Jahren; rings um sie die hohe Brustwehr, über ihnen der Himmel wie eine blaue Glocke. »Hier fing‘s an«, sagte er und küßte sie, sie aber legte sich still an seine Brust, umschlang seinen Hals mit den Armen, und wie er sich zu ihr beugte, fühlte er ihre Tränen an seiner Wange.

Acht Jahre seit der ersten Begegnung, acht Jahre treuer Liebe und bitteren Leides! In dem harmlosen frohen Sinn der Jugend schlossen sich die Herzen gegeneinander auf, jetzt war es ein geprüfter Mann und ein gereiftes Weib, welche sich miteinander verbanden. Unter unablässiger Entsagung war ihre erste blühende Jugend vergangen. Und nicht ihnen allein, ihrem ganzen Geschlecht war dieser Zeitraum ein banges, trauriges, ödes Harren gewesen, viele, die einander liebgehabt wie diese beiden, hatten sich in der harten Not und in dem freudelosen Sehnen nach besseren Tagen nicht gefreit, und vielen war der beste Trost gewesen, daß sie miteinander vereinigt werden sollten, wenn über ihr Heimatland die Sonne glücklicher Tage aufgehe. Nicht jeder, der so gehofft, schaute den Tag, mancher lag still in blutgetränkter Erde. Und wenn die Enkel derer, die den Frieden erlebten, von dieser Zeit lesen in Büchern und Briefen der Vorfahren, so fühlen sie noch heut den Schmerz in sich nachzucken wie damals die Lebenden.

In der alten Dorfkirche vor dem Altare, an welchem Henriette schon einmal neben dem Geliebten gestanden hatte, wurden beide verbunden, Minchen war Brautjungfer, der Einnehmer und der junge Doktor führten die Braut, und dahinter schritten Bärbel und Liesel mit ihren Männern. Als die Neuvermählten aus der Kirche kamen, lag das helle Sonnenlicht über der Erde, die Finken schlugen und die kleinen Zaunkönige zwitscherten in den Zweigen und suchten eine Stelle, wo sie ihr Nest bauen konnten.

Dem Einnehmer verursachte der neue Haushalt, welchen der Freund einrichtete, geheime Gedanken, die er jedermann verschwieg.

Als aber auch den Frauen, welche sich in der Zeit der Erhebung um das Vaterland verdient gemacht, durch ein Ordenszeichen ehrenvolle Anerkennung zuteil wurde, und als die Kammerherrin den Orden erhielt, wurde Herr Köhler sehr unwillig und sagte: »Was als Hexe am Blocksberg herumquirlt, das wird vorgezogen, an das arme Minchen aber hat keiner gedacht!« Er nahm die Bürste, glättete seinen Hut noch sorgfältiger als sonst, ging nachdenkend auf und ab, bürstete wieder und brummte dazu: »Jetzt muß ein Ende gemacht werden.« Endlich setzte er den Hut entschlossen auf und wandelte in seinem besten Rocke nach dem Stadtwall, wo er zu dieser Stunde gewöhnlich dem Fräulein begegnete, wenn sie aus ihrer Schule heimging. Er grüßte artig und fragte, ob sie Nachricht von ihrem verwundeten Bruder habe.

»Er hat geschrieben, aber er fürchtet, Invalide zu bleiben; es ist sehr traurig, Herr Einnehmer.«

»Er hat als braver Soldat seine Gesundheit hingegeben, um dem Vaterland zu dienen«, tröstete Herr Köhler. »Das ist der beste Ruhm, den er gewinnen konnte. Der Staat wird jetzt für ihn sorgen, er wird Postmeister oder Salzfaktor. Sie aber, liebes Fräulein, was denken Sie zu tun?«

»Wenn er mich brauchen kann, gehe ich zu ihm,« sagte Minchen, »die Wohnung hier wird mir zu groß.«

»So tauschen Sie mit einer andern«, riet der Einnehmer. »Bitte setzen Sie sich auf diese neue Bank, die der Magistrat endlich nach vielen Mahnungen für müde Spaziergänger hingestellt hat. Sagen Sie mir einmal aufrichtig: Was halten Sie von mir?«

»Nur Gutes, Herr Einnehmer,« rief Minchen, freundlich zu ihm aufsehend, »ich denke, wir kennen einander.«

»Ein wenig,« sagte Herr Köhler, »aber ich weiß recht wohl, daß ich in der Stadt für einen kratzbürstigen und unbequemen Mann gelte, mit dem nicht gut Kirschen essen ist.«

»Dumme Leute!« rief das Fräulein eifrig, »Sie müssen sich nichts daraus machen.«

»Ich tu‘s auch nicht,« versetzte der Einnehmer, »wenn Sie es nicht glauben. Was aber halten Sie von meinem Alter? Mitteljahre, näher an fünfzig als an dreißig?« Minchen sah ihn groß an. »Und wie gefällt Ihnen mein Äußeres? Denn zuletzt ist es einer Frau nicht zu verdenken, wenn sie einen hübschen Ehemann lieber hat als einen häßlichen.« Minchens Wangen röteten sich, sie schlug die Augen nieder und zupfte ein wenig an ihrem Kleide. »Kurz und gut!« fuhr Herr Köhler fort, »gefalle ich Ihnen?« Das Fräulein sah ihn nicht an, aber sie nickte unmerklich mit dem Kopfe.

»Nun, da haben wir‘s«, rief der Einnehmer siegreich und setzte sich neben sie. »Könnten Sie sich also entschließen, meine Frau zu werden?« Minchen antwortete nicht, aber ihre kleine Hand zitterte. »Bekümmern Sie sich nur nicht,« bat er besorgt, »es ist ja kein Muß, es ist nur Ihr freier Wille. Wenn Sie mir so gut sind, daß Sie mich heiraten können, brauchen Sie nur Ja zu sagen; das Nein würde der Freundschaft nicht schaden.«

Da nickte das Fräulein wieder ein wenig und sprach leise: »Ich kann‘s, Herr Einnehmer.« Und sie schlug die Augen auf und sah ihn so warm und treuherzig an, daß dem festen Manne vor Freuden das Herz hüpfte; er drückte ihre Hand fest in die seine.

»Zu allem übrigen,« rief er, »ist der Stadtwall nicht nötig; kommen Sie, Herzensminchen, hängen Sie sich aber an meinen Arm, wir gehen sogleich zu Ihrer Wirtin, denn diese Frau soll Zeuge sein von unserer Verlobung.« Sie gingen miteinander durch das Tor.

Das Sonnenlicht lag auf den Straßen, die Wände der Häuser glänzten lustig in Gelb, Rosa und Weiß, die Leute grüßten, die Hündlein wedelten; und der Einnehmer schritt stolz, seine Gefährtin am Arm und nahm, jedermann zulächelnd, mit der freien Hand den Hut ab.

Als sie zu dem Hause kamen, bat der Einnehmer Frau Beblow, ihn und das Fräulein in die Dachwohnung zu begleiten. Erstaunt über das festliche Aussehen der beiden folgte die Hausfrau. Oben begann Herr Köhler vor dem Pastellbilde eine Rede: »Verehrte Frau! Der Bruder dieses Fräuleins ist abwesend und ebenso mein Freund, der Doktor, den ich heut gern an meiner Seite hätte, da sind Sie uns die nächste. Sie haben seit Jahren Ihrer Mieterin eine Teilnahme und ein so freundliches Herz bewiesen, daß ich Sie immer mit aufrichtiger Hochachtung und Dankbarkeit betrachtet habe. Heut wünschen wir beide, Minchen und ich, miteinander verlobt zu werden, und wir bitten, daß Sie das übernehmen und uns die Ringe anstecken.«

»Lieber Herr Einnehmer!« rief die überraschte Frau Beblow und schlug vor Freude die Hände zusammen.

Herr Köhler griff in seine Westentasche. »Hierin, geliebtes Minchen, sind die Trauringe Ihrer lieben Eltern. Ich habe sie nach Ihrem Willen damals zur Hauptstadt gesandt und dort vor dem Einschmelzen zurückgekauft; ich schlage vor, daß dies unsere Verlobungsringe werden. Nehmen Sie die Ringe, Frau Beblow, und vertreten Sie heut die Stelle einer Anverwandten bei mir und meiner lieben Braut.«

Als die erste Bewegung, an welcher Frau Beblow sich stark beteiligte, überwunden war, begann Minchen kleinlaut: »Aber Herr Einnehmer —«

»Du und du,« rief dieser lustig, »einmal muß das doch anfangen.« Das Fräulein aber fuhr traurig fort: »Wo ist Minchens Ausstattung?« – und stellte mit einem Zucken der Hand den Hausrat der Stube vor.

»Die Wäsche liegt bereits im Schranke, Frau Einnehmerin,« antwortete der glückliche Bräutigam: »Du hast die ganzen Jahre daran genäht, ohne es zu wissen.«

Als der Friede verkündet ward, rüstete sich die Stadt noch einmal zu einer großen Festfeier. Alles, was nur menschenmöglich ist, wurde ausgesonnen, um die Freude zu erweisen. Der Trommler schlug in der Morgendämmerung Wirbel, Steinmetz blies vom Turme, und die Bürgerschützen bildeten Spalier, in welchem die Schulkinder mit Kränzen auf dem Haupt, der Magistrat und die Stadtverordneten zum Gotteshaus schritten. Der Gottesdienst war sehr feierlich mit Musik vom Orgelchor und mit Posaunen, und sobald die Predigt begann, schoß der Zieler auf dem Kirchhofe mit den Böllern, bis diese so heiß wurden, daß sie nichts mehr vertrugen. So oft die Schüsse zwischen die Predigt krachten, fuhren die Frauen zusammen, aber jedermann wußte, daß am Ende eines solchen Krieges auch der Triumph gewaltig sein mußte. Nach der Kirche gab es ein großes Festessen für alle Seßhaften mit vielen Gesundheiten. Das war notwendig, es war heimische Sitte, es war seit der Urzeit so gehalten worden. Sobald eine allgemeine Freude den Städtern die Seele erhob, fühlten sie als ehrliche Deutsche auch die Verpflichtung, dem armen Gesellen, ihrem Leibe, etwas Gutes anzutun. Abends folgte die Illumination; alles war erleuchtet, selbst der Kranz des Ratsturmes, jedes Fenster wenigstens mit vier Lichtern, niemand wollte in der Stube bleiben, um auf die Gardinen acht zu geben, alle trieben auf der Straße umher und freuten sich über ihre Lichter und über die der Nachbarn. Sogar Transparente kamen zum Vorschein. Ein sehr geschätzter Bürger, der kürzlich Ratsmann geworden war, hatte ein schönes Gemälde an seiner Haustür befestigt; darauf ein großer Stiefel, über welchem ein Engel schwebte, mit der Unterschrift: Feste Stiefel, reines Herz, so marschiert man himmelwärts. Er selbst stand vor seiner Tür und sah mit Genuß auf das Werk, und als ein alter Kunde ihn begrüßte, sagte er gewichtig: »Ich wollte diesmal nichts von König und Vaterland, denn daran denkt man alle Tage, sondern ich wollte auf das hindeuten, was uns auch im Frieden am meisten nottut.« Nachdem aber die Lichter ausgelöscht waren, ging alle Welt zu Tanze. Auch das war damals so und es darf nicht geleugnet werden: Wenn die Leute sich recht froh fühlten, fingen sie an zu tanzen. Den großen Ball im Gasthofe eröffnete der Landrat mit der jungen Frau Bürgermeisterin, die noch verschämt ihre neue Würde ertrug. Darauf folgte der Herr Bürgermeister mit Frau Beblow. Und wer kam als Dritter? Seht doch, der Herr Einnehmer! – und mit wem tanzte er? Mit Minchen von Buskow, seiner lieben Braut, sehr zierlich und zart. Darüber freuten sich die Leute am meisten. Hinterdrein tanzte alles, jung und alt! Schilling mit einem neuen roten Sacktuch, das ihm aus der Tasche guckte. Hauptperson aber und Ordner des Festes war der junge Doktor, ein lieber Mann, der aus Freundschaft für seinen Vetter immer herbeikam, wenn er gebraucht wurde und nie unnütze Worte machte, sondern still im Hintergrunde auf und ab ging; er galt aber bei allen Leuten für gescheit und tüchtig, wurde auch später Geheimer Medizinalrat, war aber kein König, sondern hieß mit Namen Bürger. Heut tanzte er mit vielen jungen Damen, aber am liebsten mit einem schlanken Fräulein, das einen Lilienkranz im Haare trug, wie eine Feenkönigin, es war die Schwester des Gutsbesitzers, welcher als Kamerad des Vetters vor Jahren heimlich gerüstet hatte.

Gerade als die Festfreude ihren Gipfel erreichte, öffnete sich die Flügeltür und Doktor König mit seiner jungen Frau kamen herzu. Sie erschienen spät, denn sie hatten nach Henriettens Wunsch am Morgen die Feier in der Dorfkirche begangen. Als die beiden die Schwelle des Saals überschritten, trat der Bürgermeister in die Mitte und winkte, Steinmetz blies Tusch und die ganze Gesellschaft rief dem jungen Ehepaar das Hoch entgegen.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
2320 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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