Kitabı oku: «Die verlorene Handschrift», sayfa 4
»Nun, Schatzgräber sind wir nicht,« entgegnete der Professor, »und da wir den Zweck unserer Reise überall als Geheimniß bewahrt haben, so begreifen wir nicht, wie Sie etwas Entstelltes über die Veranlassung unseres Kommens hören konnten.«
»Der Schuster meines Hofverwalters hat ihm die Nachricht mit zwei versohlten Stiefeln zugetragen, er hat Sie im Gasthofe der Stadt gesehen und aus Ihren Fragen Verdacht geschöpft.«
»Er hat mehr Scharfsinn angewandt,« erwiederte der Professor, »als bei unsern harmlosen Fragen nöthig war. Und doch hat er nicht ganz Unrecht gehabt.«
»Also ist etwas daran,« unterbrach der Landwirth finster, »in diesem Fall muß ich die Herren bitten, sich selbst und mich nicht weiter zu bemühen. Ich habe keine Zeit für dergleichen Narrheiten.«
»Vor Allem haben Sie die Güte, uns anzuhören, ehe Sie uns in so kurzer Weise das Gastrecht aufkündigen,« versetzte der Professor ruhig. »Unser Kommen hat keinen andern Zweck, als Ihnen eine Mittheilung zu machen, über deren Werth Sie dann selbst entscheiden mögen. Und nicht nur wir, auch Andere könnten Ihnen einen Vorwurf daraus machen, wenn Sie unser Gesuch ohne Prüfung abweisen. Die Sache geht Sie mehr an als uns.«
»Natürlich,« sagte der Wirth, »diese Redensarten kennt man.«
»Doch nicht ganz,« entgegnete der Professor, »es ist ein Unterschied, wer sie braucht und welchem Zweck sie dienen.«
»Nun denn, in des Teufels Namen, sprechen Sie, aber verständlich,« rief der Landwirth ungeduldig.
»Nicht eher,« fuhr der Professor fort, »als bis Sie sich bereit zeigen, eine ernste Angelegenheit so anzuhören, wie sie verdient. Es ist eine kurze Auseinandersetzung nöthig, und Sie haben uns noch nicht einmal zum Sitzen eingeladen.«
»So nehmen Sie Platz,« versetzte der Landwirth und rückte einen Stuhl.
Der Professor begann: »Durch Zufall habe ich vor kurzem in einem geschriebenen Buche unter andern handschriftlichen Aufzeichnungen der Mönche von Rossau einige Bemerkungen gefunden, welche für die Wissenschaft, der ich diene, möglicherweise wichtig sind.«
»Und welches ist Ihre Wissenschaft,« unterbrach ihn der Landwirth ungerührt.
»Ich bin Philologe.«
»Das bedeutet alte Sprachen?« frug der Landwirth.
»So ist es,« fuhr der Professor fort. »Die Notiz eines Mönches in dem erwähnten Bande meldet, daß um das Jahr 1500 eine werthvolle Handschrift, welche die Geschichtserzählung des Römers Tacitus enthielt, in dem Kloster vorhanden war. Das Werk des berühmten Geschichtschreibers ist uns in einigen andern wohlbekannten Handschriften nur sehr trümmerhaft erhalten, es scheint, daß die damals in dem Kloster vorhandene Handschrift sein Werk vollständiger enthielt. Eine zweite Notiz desselben Buches meldet aus dem April des Jahres 1637, daß damals die letzten Mönche des Klosters in schwerer Kriegszeit Kirchengeräth und die Handschriften des Klosters an einer hohlen und trocknen Stelle des Hauses Bielstein vor den Schweden verborgen haben. – Das sind die Worte, die ich gefunden, weitere Thatsachen habe ich Ihnen nicht mitzutheilen. Die Echtheit der beiden Bemerkungen ist für uns zweifellos, ich habe Ihnen eine Abschrift der betreffenden Stelle mitgebracht, das Original bin ich bereit, Ihrer eigenen Einsicht zu unterwerfen oder der eines sachverständigen Beurtheilers, den Sie wählen wollen. Ich füge nur noch hinzu, daß wir beide, mein Freund und ich, sehr gut wissen, wie ungenügend die Mittheilungen sind, welche wir Ihnen machen, und wie unsicher die Aussicht, daß sich jetzt nach zwei Jahrhunderten noch etwas von dem damals vergrabenen Eigenthum des Klosters vorfinde. Und doch haben wir eine Ferienreise dazu benutzt, Ihnen Nachricht von dieser Entdeckung zu geben, selbst auf die naheliegende Gefahr einer vergeblichen Untersuchung. Wir haben uns aber zu dieser Reise verpflichtet gefühlt. Nicht vorzugsweise um Ihretwillen, obgleich die Handschrift, wenn sie sich fände, von sehr hohem Werth sein würde, sondern zunächst im Interesse der Wissenschaft, denn nach dieser Richtung wäre ein solcher Fund in der That unschätzbar.«
Der Landwirth hatte aufmerksam zugehört, das Papier, welches der Professor vor ihn auf den Tisch legte, ließ er unberührt. Jetzt begann er: »Daß Sie mich nicht täuschen wollen und daß Sie die Wahrheit nach allen Seiten mit guter Meinung sprechen, sehe ich ein. Ihre Auseinandersetzung ist mir verständlich. Ihr Latein vermag ich nicht zu lesen; und das ist auch nicht nöthig, denn was die Thatsachen betrifft, so glaube ich Ihnen. Aber,« fuhr er lächelnd fort, »die Herren Gelehrten haben in der Ferne eines nicht gewußt, daß dieses Haus das Unglück hat, in der ganzen Gegend für den Ort zu gelten, an welchem alte Mönche ihre Schätze vermauert haben.«
»Das war uns allerdings nicht unbekannt,« fiel der Doctor ein, »und es konnte uns die Bedeutung der schriftlichen Notizen nicht verringern.«
»Da waren Sie in großem Irrthum. Es liegt doch auf der Hand, daß ein solches Gerücht, welches durch mehre Menschenalter in einer Gegend geglaubt wird, fortwährend abergläubische und gewinnsüchtige Personen in Bewegung gesetzt hat, diese vermeinten Schätze aufzuspüren. Wie können Sie annehmen, daß Sie die ersten sind, welche auf den Gedanken kommen, nachzusuchen? Dies ist ein altes festes Haus, aber es würde fester sein, wenn es nicht vom Keller bis unter das Dach Spuren zeigte, daß man in früherer Zeit Löcher hineingeschlagen und die Schäden nachlässig ausgebessert hat. Erst vor wenigen Jahren habe ich Kosten und Mühe gehabt, einen neuen Dachbalken einzuziehen, weil Dach und Decke sich senkte, und die Untersuchung ergab, daß gewissenlose Menschen ein Stück des Balkens ausgesägt hatten, jedenfalls um in einen Winkel des Daches hineinzugreifen. Und ich sage Ihnen geradeheraus, wenn mir etwas das alte Haus verleidet, in dem ich seit zwanzig Jahren Glück und Unglück erfahren habe, so ist es dies widerwärtige Gerücht. Gerade jetzt wird in der Stadt die Untersuchung gegen einen Schatzgräber geführt, der Narren durch das Vorgeben betrogen hat, er könne aus diesem Berge einen Schatz beschwören. Noch wird seinen Mitschuldigen nachgespürt. Ihren Fragen in der Stadt haben Sie zuzuschreiben, daß die Leute dort, welche viel von dem Betruge reden, Sie für Helfer des eingezogenen Gauners gehalten haben. Daher auch mein rauher Gruß. Ich mache Ihnen deshalb meine Entschuldigung.«
»Und Sie wollen sich nicht dazu verstehen,« frug der Professor unzufrieden, »unsere Mittheilung zu weiterer Nachforschung zu benützen?«
»Nein,« versetzte der Landwirth, »ich will mich nicht selbst zum Narren machen. Wenn Ihr Buch nichts weiter meldet, als was Sie mir gesagt haben, so dient diese Nachricht zu gar nichts. Haben die Mönche hierherum irgend etwas versteckt, so ist Hundert gegen Eins zu wetten, sie haben es in ruhiger Zeit selbst wieder herausgeholt. Wäre aber gegen alle Wahrscheinlichkeit das Versteckte damals an seiner Stelle geblieben – es sind seitdem einige hundert Jahre vergangen –, so hätten es längst andere hungrige Leute herausgegraben. Das sind, verzeihen Sie mir, Ammengeschichten, nur gut für Spinnstuben. Ich habe einen Widerwillen gegen solches Gelüst, das an den Mauern wühlt. Der Landwirth soll im Acker schaufeln und nicht in seinem Hause. Unter Gottes Sonne liegen seine Schätze.«
Dem Professor wallte das Blut über die kalte Art des Mannes, er bezwang mit Mühe den ausbrechenden Zorn, indem er an das Fenster trat und einem Haufen Sperlinge zusah, die heftig gegeneinander schrien. Endlich begann er, sich umwendend: »Ihre Weigerung ist ein Recht des Hauseigenthümers. Wenn Sie darauf bestehen, so werden wir Sie allerdings mit dem Bedauern verlassen, daß Sie die mögliche Bedeutung unserer Mittheilung nicht zu würdigen wissen. Ich habe diese Begegnung nicht vermieden, obgleich mir wohlbekannt war, wie zufällig die Eindrücke sind, welche bei einer ersten Unterredung mit Fremden den Entschluß bestimmen. Sie würden vielleicht mehr Rücksicht auf unsre Nachricht genommen haben, wenn sie Ihnen durch Vermittlung Ihrer Regierung zugleich mit der Forderung, genaue Nachsuchung anzustellen, zugegangen wäre.«
»Reut Sie, daß Sie diesen Weg nicht eingeschlagen haben?« frug lächelnd der Landwirth.
»Offen gesagt, nein. Ich habe in solcher Angelegenheit kein Vertrauen zu einem Beamtenprotokoll.«
»Ich auch nicht,« versetzte der Landwirth trocken. »Wir stehen unter einem kleinen Landesherrn, aber er ist fern, wir sind von fremdem Gebiet umschlossen. Bei Hofe habe ich nichts zu thun, es vergehen Jahre, ehe ich nach unsrer Residenz komme; die Regierung plagt uns nicht übermäßig und in meinem Bezirk leite ich die Polizei. Wenn meine Regierung Ihren Wünschen Wichtigkeit beilegte, so würde sie wahrscheinlich von mir einen Bericht einfordern, und das würde mir einen Bogen Papier und eine Stunde Schreiberei kosten. Vielleicht, wenn Sie laut zu trommeln verstehen, sendet sie mir auch eine Commission in das Haus. Die meldet sich bei mir zum Mittagsessen und ich führe sie nach Tisch in die Keller, sie pocht der Form wegen ein wenig an die Wände und ich lasse unterdeß einige Flaschen aufkorken. Zuletzt wird schnell ein Papier beschrieben und die Sache ist wieder abgemacht. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie diesen Weg nicht eingeschlagen haben; im übrigen vertrete ich mein Hausrecht auch gegen den Landesherrn.«
»Es ist, so scheint mir, vergeblich, zu Ihnen von dem Werth zu sprechen, den die Handschrift haben würde,« warf der Professor ihm finster entgegen.
»Es wäre verlorene Mühe,« sagte der Landwirth. »Ob eine solche Seltenheit, auch wenn sie in meinem Eigenthume zu Tage käme, für mich selbst einen wesentlichen Werth hätte, ist fraglich. Und den Werth für Ihre Wissenschaft kenne ich nur aus Ihrer Versicherung. Aber für mich und für Sie rühre ich keinen Finger, weil ich nicht glaube, daß ein solcher Schatz auf meinem Eigenthum verborgen ist, und weil ich nicht den Willen habe, um etwas Unwahrscheinliches ein Opfer zu bringen. Dies, Herr Professor, ist meine Antwort.«
Der Professor trat wieder schweigend an das Fenster. Fritz, der sich in stiller Empörung zurückgehalten hatte, empfand, daß es Zeit war, dieser Unterredung ein Ende zu machen, er erhob sich zum Aufbruch: »Und Sie haben uns wirklich Ihre letzte Meinung gesagt?«
»Ich bedaure, Ihnen keinen andern Bescheid geben zu können,« versetzte der Landwirth und sah mit einer Art Mitleid auf die beiden Fremden. »Es thut mir in der That leid, daß Sie den Umweg zu mir gemacht haben. Verlangen Sie meine Wirthschaft zu sehen, jede Thür soll Ihnen geöffnet sein. Die Mauern meines Hauses öffne ich Niemandem. Ich bin übrigens bereit, Ihre Mittheilung als Geheimniß zu bewahren, um so lieber, da dies auch in meinem Interesse liegt.«
»Ihre Weigerung, irgendwelche Nachforschungen auf Ihrem Eigenthume anzustellen, macht ein ferneres Geheimhalten dieser Nachricht unnöthig,« entgegnete der Doctor, »meinem Freunde bleibt jetzt nichts übrig, als seine Entdeckung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu berichten, er hat dann seine Pflicht gethan, vielleicht daß Andere Ihnen gegenüber glücklicher sind als wir.«
Der Landwirth fuhr auf. »Donnerwetter, Herr, sind Sie des Teufels? Sie wollen die Geschichte in der Zeitung Ihren Collegen erzählen? Wahrscheinlich werden diese ebenso denken wie Sie.«
»Zuverlässig werden Hunderte die Sache genau so ansehen wie wir, und Ihre Weigerung ebenso verurtheilen wie wir,« rief der Doctor.
»Herr, wie Sie mich beurtheilen, ist mir ganz gleichgültig, ich muß Sie bitten, mich so schwarz zu schildern, als Ihre Wahrheitsliebe irgend zuläßt,« rief der Landwirth unwillig. »Aber ich sehe voraus, daß das alles nichts helfen wird. Verwünscht seien die Mönche und ihr Schatz! Jetzt habe ich jeden Sonntag und jede Stunde Ihrer Ferien einen Besuch wie den Ihren zu erwarten, fremde Gesichter mit Brillen und Regenschirmen, welche den Anspruch erheben, unter das Holzgestell meines Milchkellers zu kriechen und in der Schlafstube meiner Kinder an der Decke herumzuklettern. Zum Teufel mit diesem Tacitus!«
Der Professor ergriff seinen Hut: »Wir empfehlen uns Ihnen,« und ging nach der Thür.
»Halt, meine Herren,« rief der Wirth unruhig, »nicht so schnell. Lieber will ich noch mit Ihnen beiden zu thun haben, als mit einer unablässigen Wallfahrt Ihrer Collegen. Weilen Sie noch einen Augenblick, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie selbst sollen durch mein Haus gehen, Sie mögen den alten Bau vom Boden bis zum Keller untersuchen. Es ist eine harte Zumuthung für mich und meine Hausgenossen, ich will das Opfer bringen. Finden Sie eine Stelle, die Ihnen Verdacht einflößt, so reden wir darüber. Dagegen versprechen Sie mir, daß Sie gegen meine Hausleute von dem Zweck Ihres Hierseins schweigen. Meine Arbeiter sind ohnedies aufgeregt; wenn Sie dem unseligen Gerücht neue Nahrung geben, so kann ich nicht dafür stehen, daß nicht meine eigenen Leute auf den Einfall kommen, mir an einer Ecke des Hauses die Grundmauer durchzustoßen. Mein Haus ist Ihnen den ganzen Tag geöffnet, so lange sind Sie meine Gäste. Dann aber, wenn Sie mündlich oder schriftlich über die Sache reden, fordere ich den Zusatz, es sei von Ihnen das Mögliche geschehen, mein Haus durchsucht, aber nichts gefunden worden. Wollen Sie diesen Vertrag mit mir eingehen?«
Der Doctor sah zweifelnd auf den Professor, ob der Stolz des Freundes sich solcher Bedingung beugen werde. Wider Erwarten flog ein Strahl von Freude über das Antlitz des Gelehrten, und er erwiederte artig: »Sie haben uns in einem Punkt mißverstanden. Nicht wir beanspruchen die verborgene Handschrift aus Ihrem Eigenthum herauszuholen, sondern wir sind nur gekommen, um Sie selbst für den Versuch zu gewinnen. Daß wir in einem fremden Hause, unbekannt mit den Räumen und ungeübt in dieser Art Nachforschung, nichts finden werden, ist uns sehr deutlich. Wenn wir dennoch die lächerliche Lage, in welche Sie uns versetzen, nicht vermeiden und Ihr Anerbieten annehmen, so thun wir dies nur in der Hoffnung, daß uns in den Stunden unseres Hierseins gelingen wird, Ihnen selbst ein größeres Interesse an dem möglichen Funde beizubringen.«
Der Landwirth bewegte abweisend das Haupt auf den hohen Schultern. »Ich habe nur das Interesse, die Sache so schnell als möglich in Vergessenheit zu bringen. Sie mögen thun, was Sie für Pflicht halten. – Meine Geschäfte verhindern mich, Sie zu begleiten, ich übergebe Sie meiner Tochter.«
Er öffnete die Thür des Nebenzimmers und rief: »Ilse!«
»Hier, Vater,« antwortete eine klangvolle Altstimme. Der Landwirth ging in das Nebenzimmer. »Komm hervor, Ilse, ich habe heut einen besondern Auftrag für dich. Da drin sind zwei fremde Herren von einer Universität. Sie suchen ein Buch, das vor alten Zeiten in unserm Hause versteckt sein soll. Führe sie durch das Haus, schließ ihnen alle Räume auf.«
»Aber Vater –« unterbrach ihn die Tochter.
»Thut nichts,« fuhr der Landwirth fort, »es muß sein.« Er trat näher an sie und sprach leiser: »Es sind zwei Gelehrte, sie haben einen Sparren –« er wies nach dem Kopfe. »Was sie sich einbilden, ist verrückt, und ich gebe ihnen nur nach, um in Zukunft Ruhe zu haben. Sei vorsichtig, Ilse, ich kenne die Leute nicht. Ich muß auf’s Vorwerk, dem Hofverwalter will ich sagen, daß er sich in der Nähe des Hauses hält. Sie scheinen mir zwei ehrliche Narren, aber der Teufel mag trauen.«
»Ich fürchte mich nicht, Vater,« erwiederte die Tochter, »das Haus ist voll Menschen, wir werden schon mit ihnen fertig werden.«
»Sorge dafür, daß die Mägde nicht herumstehen, während die Fremden an den Wänden klopfen und messen. Sie sehen mir übrigens nicht aus, als ob sie viel finden würden, wenn auch alle Wände aus Büchern gemauert wären. Aber daß sie irgendwo einschlagen oder die Wand beschädigen, das leidest du nicht.«
»Recht, Vater,« sagte die Tochter. »Bleiben sie über Mittag?«
»Jawohl, dein Dienst geht bis zum Abend. In der Molkerei wird dich die Mamsell vertreten.«
Durch die Thür hörten die Freunde Bruchstücke der Unterredung, sie gingen nach den ersten Worten der Anweisung schnell an das Fenster und sprachen laut miteinander über eine große Strohanhäufung am First der Scheuer, die nach der Behauptung des Doctors ein Storchnest war, während der Professor die Ansicht vertrat, daß Störche nicht auf solchen Höhen nisteten. Dazwischen sagte der Professor leise: »Es ist unbequem, in dieser demüthigen Lage auszudauern. Aber wir vermögen nur durch unser Beharren den Hauswirth zu überzeugen.«
»Vielleicht entdecken wir doch etwas,« antwortete der Doctor. »Ich habe einige Erfahrung in Maurerarbeit, als Knabe fand ich beim Bau unseres Hauses Gelegenheit, schöne Kenntnisse in Statik und Balkenklettern zu erwerben. Gut, daß der Tyrann uns allein läßt. Unterhalte du die Tochter, ich will derweile an den Wänden klopfen.«
Wer jemals einer undeutlichen Spur nachgegangen ist, der weiß, wie schwierig in der Nähe erscheint, was in der Ferne so leicht dünkt. Während zuerst die trügende Göttin Hoffnung alle guten Möglichkeiten mit hellen Farben malt, regt die Arbeit des Suchens selbst jeden Zweifel auf. Die lockenden Bilder verbleichen, Kleinmuth und Ermüdung werfen ihre Schatten. Zuletzt wird pflichtmäßige Ausdauer, was im Anfange ein frisches Wagen war.
4.
Das alte Haus
Der Landwirth trat ein, die Reitgerte in der Hand, hinter ihm die hohe Gestalt vom Friedhof. »Hier meine Tochter Elise, sie wird meine Stelle vertreten.«
Die Freunde verneigten sich. Es war dasselbe schöne Antlitz, aber statt der hohen Rührung lag jetzt eine geschäftliche Würde in ihren Zügen, sie grüßte ruhig und lud die Herren zum Frühstück in das Nebenzimmer. Was sie sprach, waren einfache Worte, aber wieder lauschten die Freunde verwundert auf die tiefen Töne ihrer melodischen Stimme.
»Bevor Sie sich hier umsehen, müssen Sie an meinem Tisch niedersitzen, das ist bei uns Brauch,« sagte der Landwirth in besserer Laune als er bis dahin gezeigt, auch auf ihn übte die Gegenwart der Tochter besänftigenden Einfluß. »Wiedersehen zu Mittag.« Damit ging er zur Thür hinaus.
Die Freunde folgten in den Nebenraum, ein großes Speisezimmer; Stühle standen längs der Wand, in der Mitte eine lange Tafel, an deren oberem Ende drei Plätze gedeckt waren. Das Mädchen setzte sich zwischen die Herren und bot die kalten Speisen. »Als ich Sie auf dem Friedhof sah, dachte ich, daß Sie den Vater besuchen würden, der Tisch wartet schon eine Weile auf Sie.« Die Freunde aßen ein wenig und dankten für mehr.
»Ich bedaure, daß unser Kommen auch Ihre Zeit in Anspruch nehmen soll,« sagte der Professor ernst.
»Meine Aufgabe ist leicht,« antwortete das Mädchen, »ich fürchte, die Ihre wird Ihnen mehr Mühe machen. Das Haus hat viele Stuben, und dann die Kammern und die Verschläge auf dem Boden.«
»Ich habe bereits Ihrem Herrn Vater gesagt,« erwiederte der Professor lächelnd, »daß wir keinen Werth darauf legen, wie Maurer das Gebäude zu untersuchen. Betrachten Sie uns als Neugierige, welche das merkwürdige Haus nur soweit sehen wollen, als es sich sonst einem Gaste öffnet.«
»Das Haus mag wohl für Fremde merkwürdig sein,« sagte Ilse, »uns ist es lieb, denn es ist warm und geräumig. Als der Vater das Gut einige Jahr besaß und zu Kräften gekommen war, hat er meiner seligen Mutter zu Liebe Alles bequem eingerichtet; denn wir brauchen großen Raum, es sind sechs jüngere Geschwister, und es ist ein großes Gut; die Herren von der Wirthschaft essen bei uns, dann der Hauslehrer und die Mamsell und in der Gesindestube auch zwanzig Leute.«
Der Doctor sah seine Nachbarin enttäuscht an. Wo war die Seherin geblieben? Sie sprach verständig und sehr bürgerlich, mit ihr konnte man wohl auskommen. »Da wir nun einmal auf hohle Räume ausgehen,« begann er schlau, »so würden wir uns am liebsten Ihrer Leitung anvertrauen, wenn Sie uns sagen wollten, ob man in der Wand oder auf dem Boden oder irgendwo hier im Hause von Stellen weiß, welche beim Klopfen eine Höhlung verrathen.«
»O, daran fehlt es nicht,« erwiederte Ilse. »Wenn man in meiner Stube an die Hinterwand des kleinen Wandschrankes pocht, so merkt man, daß dahinter ein leerer Raum ist, und dann ist die Steinplatte unter der Treppe und mehre Platten in der Küche und noch viele andere Stellen im Hause. Und bei allen haben die Leute ihre Vermuthung.«
Der Doctor hatte seine Brieftafel herausgezogen und schrieb die verdächtigen Orte nieder.
Die Betrachtung des Hauses begann. Es war ein prachtvolles altes Haus, die Mauer des Unterstocks so dick, daß der Doctor mit gespannten Armen nicht die ganze Tiefe der Fensternischen einfassen konnte. Eifrig übernahm er das Klopfen und Messen der Wände. Die Keller waren zum Theil in den Felsen gesprengt, an einzelnen Stellen ragte das ungeglättete Gestein noch in die Räume und man erkannte, wo die Mauer auf dem Stein gelagert war. Es waren mächtige Gewölbe, die kleinen Fenster in der Höhe durch starke Eisenstäbe geschützt, in alter Zeit bei feindlichem Anlauf eine feste Zuflucht wider Geschosse und Feuer. Und Alles war schön trocken und hohl. Denn das Haus war ganz nach den Ansichten gebaut, welche der Doctor schon früher über alte Gebäude so verständig ausgesprochen hatte: Mauer von außen und von innen, dazwischen Schutt und Steinbrocken. Natürlich klangen die Wände deshalb an vielen Orten hohl wie ein Kürbis. Der Doctor pochte und notirte fleißig, die Knöchel seiner Hand wurden weiß und aufgetrieben, aber die Fülle guter Möglichkeiten machte ihn kleinlaut.
Aus dem Keller traten sie in den Unterstock. In der Küche brodelten große Kessel und Töpfe, und neugierig sahen die arbeitenden Frauen auf das Benehmen der Fremden, denn der Doctor klopfte wieder mit den Absätzen auf den steinernen Fußboden und faßte die geschwärzte Seitenwand des Herdes mit den Händen an. Dahinter kamen Wirthschaftsräume und die Gaststuben. In einer derselben fanden sie eine Frau in Trauerkleidung beschäftigt, die Betten in ein neues Gewand zu hüllen. Es war die Mutter vom Friedhofe. Sie trat an die fremden Herren und bedankte sich, weil sie geholfen hätten, ihrem Kinde die letzte Ehre zu erweisen. Die Freunde sprachen ihr freundlich zu, sie wischte mit der Schürze die Augen und ging wieder an ihre Arbeit.
»Ich bat sie, heut zu Haus zu bleiben,« sagte Ilse, »aber sie wollte nicht. Ihr wäre gut, wenn sie etwas zu schaffen hätte, und wir würden ihre Arbeit brauchen, weil Sie doch zu uns kämen.« Es that den Gelehrten wohl, daß sie wenigstens von den weiblichen Mitgliedern des Hauses als berechtigte Gäste aufgefaßt wurden.
Sie betraten die andere Seite des Unterstocks und betrachteten noch einmal die einfachen Zimmer, die sich zuerst den Ankommenden geöffnet hatten. Dahinter lag das Arbeitszimmer des Gutsherrn, ein kleiner schmuckloser Raum, darin ein Schrank mit Jagdgeräth und Reitzeug, ein Bretergestell für Acten und einige Bücher, über dem Bett Säbel und Pistolen, auf dem Schreibtisch das kleine Modell einer Maschine und Proben von Getreide und Sämerei in kleinen Säckchen; an der Wand aber standen in militärischer Ordnung der riesige Wasserstiefel, der Juchtenstiefel, der Reitstiefel mit Stulpen, an der äußersten Ecke auch Zwerge von Kalbleder, wie sie gewöhnliche Menschen tragen. In dem Nebenzimmer hörten sie eine Männerstimme und kindliche Antworten in regelmäßigem Wechsel. »Das ist die Schulstube,« sagte Ilse lächelnd. Als die Thür geöffnet ward, schwiegen Solo und Chorstimmen, dem Gruß der Eintretenden antwortete aufstehend der Lehrer, ein Seminarist von verständigem Gesicht. Verwundert starrten die Kinder in die unerwartete Störung. An zwei Tischen saßen drei Knaben und drei Mädchen, ein kräftiges blondhaariges Geschlecht. »Das ist Clara, Luise, Riekchen, Hans, Ernst und Franz.« Die vierzehnjährige Clara, fast erwachsen und ein verjüngtes Abbild der Schwester, erhob sich mit einem Knix, Hans, ein derber Bursch von zwölf Jahren, machte den unbedeutenden Versuch eines Bücklings, die andern blieben stramm stehen, sahen unverwandt auf die Fremden und tauchten, nachdem sie einer lästigen Pflicht genügt hatten, wieder auf ihre Plätze nieder. Nur der kleine Franz, ein rothbäckiger Krauskopf von sieben Jahren, blieb in der Pein seiner Aufgabe grimmig sitzen und benutzte die Unterbrechung, um für die nächsten Antworten noch schnell etwas aus seinem Buche einzusammeln. Ilse strich ihm über das Haar und frug den Lehrer: »Wie geht’s heut mit ihm?« – »Er hat gelernt.« – »Es ist zu schwer,« rief Franz erbittert. Der Professor bat den Lehrer, sich nicht stören zu lassen, und die Reise ging weiter: Schlafzimmer der Knaben, Zimmer des Lehrers und wieder Wirthschaftsräume, Plättstube, Kleiderkammer – der Doctor hatte seine Brieftafel bereits eingesteckt.
Sie kehrten in den Hausflur zurück, an der Treppe wies Ilse auf die Steinplatte, der Doctor kniete nieder, versuchte und sagte kleinlaut: »Wieder hohl.« Ilse betrat die Treppe.
»Hier oben wohne ich und die Mädchen.«
»Unsere Neugierde hat vorläufig hier ein Ende,« erwiederte rücksichtsvoll der Professor. »Sie sehen, auch mein Freund verzichtet.«
»Man hat aber von oben eine Aussicht,« sagte die Führerin, »diese wenigstens müssen Sie betrachten.« Sie öffnete eine Thür.
»Dies ist mein Zimmer.« Die Freunde blieben vor der Schwelle stehen. »Kommen Sie herein,« sagte Ilse unbefangen. »Von diesem Fenster sieht man die Straße, auf der Sie zu uns kamen.« Zögernd traten die Zartfühlenden näher. Es war wieder ein bescheidener Raum, nicht einmal ein Sopha darin, die Wände mit blauer Farbe gestrichen, am Fenster ein Nähtisch und einige Blumenstöcke, in einer Ecke das Bett mit weißer Gardine verhüllt.
Die Freunde traten an das Fenster und schauten von der Höhe auf den kleinen Friedhof und die Gipfel der Eichen, auf das Städtchen im Thale und auf die Baumreihe dahinter, welche in gekrümmter Linie bis zu der Höhe lief, wo sich die Aussicht in die Ferne schloß. Der Blick des Professors haftete an der alten Holzkirche. Wie hatten sich in wenig Stunden die Stimmungen geändert! Auf die frohe Erwartung war gefolgt, was beinahe wie Entsagung aussah, und doch wieder auf die Ungeduld eine wohlthuende Ruhe.
»Das ist unser Weg in die Fremde,« wies Ilse, »wir sehen oft nach der Richtung aus, wenn der Vater verreist ist und wir ihn erwarten, oder wenn wir von dem Postboten etwas Gutes hoffen. Und so oft Bruder Franz erzählt, daß er einst in die Welt gehen werde, fort von dem Vater und von uns Geschwistern, dann denkt er sich die Straßen in der Welt immer wie diese aussieht, als einen Fußsteig mit dicken Weidenköpfen.«
»Franz ist der Liebling?« frug der Professor.
»Er ist mein Nesthäkchen, wir verloren die gute Mutter, als er noch die Kindermütze trug. Das arme Kind kennt die Mutter gar nicht, und als er einmal von ihr geträumt hatte, da brachten die andern Kinder heraus, daß er sie im Schlafe mit mir verwechselte, denn sie trug mein Kleid und meinen Strohhut. – Dies ist der Wandschrank,« sagte sie traurig, auf eine Holzthür in der Wand deutend. Die Freunde folgten schweigend, ohne bei dem Schranke anzuhalten. Vor der gegenüberliegenden Stube blieb sie stehen, die Thür öffnend: »Dies war das Zimmer der Mutter, es ist unverändert, wie sie es verließ, nur der Vater bleibt des Sonntags einige Zeit darin.«
»Wir geben nicht zu, daß Sie uns weiter führen,« sagte der Professor. »Ich kann Ihnen nicht sagen, wie peinlich ich unsere Lage Ihnen gegenüber empfinde. Verzeihen Sie uns das unzarte Eintreten in Ihre Häuslichkeit.«
»Wenn Sie das Haus nicht weiter sehen wollen,« erwiederte Ilse mit dankendem Blick, »so geleite ich Sie gern in unsern Garten und durch den Hof. Der Vater wird nicht loben, wenn ich Ihnen etwas vorenthalte.«
Eine Hinterthür des Flurs führte in den Garten; die Beete durch Buchsbaum eingefaßt, waren mit Sommerblumen besetzt, mit den altheimischen Bewohnern unsrer Gärten. Am Hause liefen Weinreben bis unter die Fenster des Oberstocks und die grünen Trauben blickten überall aus dem hellen Laub. Eine lebendige Hecke schied die Blumenbeete vom Gemüsegarten, wo auch der Hopfen an großen Stangen hinaufkletterte. Weiter ab senkte sich ein großer Obstgarten mit frischem Rasengrund einem Seitenthal zu. Es war auch hier nichts Merkwürdiges zu sehen, geradlinig waren die Blumenbeete, in Reihen standen die Obstbäume, der ehrwürdige Buchsbaum und die Hecke waren nach der Schnur geschnitten und ohne Lücken. Die Freunde schauten von Beet und Blumen immer wieder auf das Haus zurück und freuten sich über die braunen Mauern hinter dem saftigen Weinlaub und über die Arbeit des Steinmetzen an den Fenstern und am Giebel.
»Es war zur Zeit unserer Vorfahren ein Haus der Fürsten,« erklärte Ilse, »und sie kamen damals alle Jahre zur Jagd hierher. Jetzt aber ist nur der dunkle Wald dort hinten noch herrschaftlich, dort steht auch noch ein Jagdhaus, und der Oberförster wohnt darin. Und selten kommt unser Fürst in die Gegend. Es ist lange Zeit her, daß wir unsern lieben Landesherrn nicht gesehen haben, und wir leben wie arme Waisen.«
»Gilt er hier im Lande für einen gütigen Herrn?« frug der Professor.
»Wir wissen nicht viel von ihm, aber wir denken uns, daß er gut ist. Vor vielen Jahren, als ich noch Kind war, hat er einmal in unserm Haus gefrühstückt, weil es in Rossau keine Gelegenheit gab. Damals war ich erstaunt, daß er keinen rothen Mantel trug, und er strich mir über den Kopf und gab mir den guten Rath, zu wachsen. Das habe ich seitdem redlich abgemacht. Und es heißt schon, er wird in diesem Jahre wieder zur Jagd kommen. Kehrt er wieder bei uns ein, dann muß das alte Haus seinen besten Staat anthun, und in der Küche gibt’s heiße Wangen.«
Während sie friedlich unter den Obstbäumen dahinschritten, tönte vom Hofe her eine helle Glocke. »Das ist der Ruf zum Essen,« sagte Ilse, »ich führe die Herren zu ihrem Zimmer, das Hausmädchen wird sie abholen.«
Die Freunde fanden in der Gaststube ihre Ledertaschen und wurden kurz darauf durch ein leises Klopfen an der Thür geladen und in das Speisezimmer geführt. Dort wartete ihrer der Gutsherr, ein halbes Dutzend sonnengebräunte Beamte der Wirthschaft, die Mamsell, der Hauslehrer und die Kinder. Als sie eintraten, sprach der Landwirth mit der Tochter in einer Fensternische; wahrscheinlich hatte die Tochter günstig über die Fremden berichtet, denn er kam ihnen mit unumwölkter Miene entgegen und sagte in seiner kurzen Weise: »Nehmen Sie an unserm Tische vorlieb.« Dann stellte er die Fremden den Anwesenden vor, indem er ihre Namen nannte und hinzufügte: »Zwei gelehrte Herren von der Universität.« Jedermann stand hinter seinem Stuhl nach Würde und Alter gereiht, obenan der Wirth, neben ihm Ilse, auf der andern Seite der Professor und der Doctor, dann zu beiden Seiten die Herren von der Wirthschaft, dahinter die Mamsell und die Mädchen, der Lehrer und die Knaben. Der kleine Franz am untern Ende des Tisches trat an seinen Teller, faltete über dem Brot die Hände und sprach eintönig ein kurzes Tischgebet. Darauf rückten zu gleicher Zeit alle Stühle, zwei Mädchen in der Tracht der Landschaft trugen die Speisen. Es war ein einfaches Mittagsmahl, nur zwischen den Fremden stand eine Flasche Wein, die Eingebornen gossen goldbraunes Bier in die Gläser.