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Kitabı oku: «Soll und Haben», sayfa 58

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Aber wenn er erwacht! Dann wird die Schlauheit verloren sein, mit der sein verstörter Geist wie im Wahnwitz umhergriff nach allen kleinen Bildern und Gedanken, die er in der Finsternis auffinden konnte, um den einen Gedanken zu vermeiden, das eine Gefühl, welches von jetzt ab immer in ihm drückt und preßt. Wenn er aufwacht! Dann wird er schon im Halbschlafe fühlen, wie die Ruhe abzieht, und die Angst, der Jammer werden einziehen in seine Seele, er wird noch im Traume fühlen, wie süß die Bewußtlosigkeit ist und wie furchtbar das Denken, er wird sich sträuben gegen das Erwachen, aber in seinem Sträuben wird ihm der Schmerz immer stärker kommen, immer nagender. Bis er in Verzweiflung die Augen aufreißt und hineinstarrt in die gräßliche Gegenwart, in eine gräßliche Zukunft.

Und wieder wird sein Geist anfangen, die Spukgestalt mit feinen Fäden zu überziehen, und alle möglichen Gründe wird er zusammentragen, sich das Ungeheure unkenntlich zu machen; er wird daran denken, wie alt der Tote war, wie schlecht, wie elend; er wird sich vorzustellen suchen, daß es nur ein Zufall war, der den Tod herbeiführte, ein Schwung seiner Arme, den plötzliche Wut verursacht; welch unglücklicher Zufall es war, daß der Alte mit seinen Füßen nicht festen Grund gefunden! Dann wird ihm plötzlich einfallen, ob er auch sicher sei, und eine heiße Fieberangst wird sein bleiches Gesicht rot färben, der Tritt des Dieners auf der Treppe wird ihm Entsetzen einjagen, das Klirren einer Eisenstange im Hofe wird er für das Getöse der Waffen halten, welche das Gesetz gegen ihn ausschickt. Und wieder wird sein Geist arbeiten, während er verstört im Zimmer auf und ab rennt, er wird jeden Schritt, den er gestern tat, jede Bewegung der Hand und jedes Wort, das er gesprochen, noch einmal durchleben und wird bei jedem einzelnen, das geschehen ist, zu beweisen suchen, daß es unmöglich entdeckt werden kann. Niemand hat ihn gesehen, niemand gehört; der traurige alte Mann, halb verrückt, wie er war, hat sich selbst den Hut über die Augen gezogen und hat sich selbst ersäuft.

So wird er auch von dieser Seite um die Gestalt des alten Mannes seine Fäden ziehen. Und immer fühlt er die furchtbare Last, bis er endlich, erschöpft von dem innern Kampfe, sich hinausstürzt aus seiner Wohnung, in seine Geschäfte, unter die Menschen, voll Sehnsucht, etwas zu finden, was ihn vergessen macht. Wer ihn auf der Straße ansieht, der wird ihn quälen; wenn er einen Beamten der Polizei erblickt, muß er schnell in ein Haus treten, um seinen Schreck vor den spähenden Augen zu verbergen. Wo er Menschen findet, die er kennt, wird er sich in den dicksten Haufen drängen, er wird überall den Kopf hinhalten, an allem teilnehmen, er wird mehr sprechen und lachen als sonst, aber seine Augen werden unruhig umherirren, und seine Seele wird in beständiger Furcht sein, etwas zu hören von dem Getöteten, und wie die Leute über den plötzlichen Tod desselben denken. Er täuscht seine Bekannten, sie werden ihn vielleicht für besonders aufgeweckt halten, und zuweilen sagt einer: »Der Itzig ist guter Dinge, er hat große Geschäfte gemacht.« Er wird sich an manchen Arm hängen, den er sonst nicht berührt, und wird den Leuten lustige Geschichten erzählen und sie nach Hause begleiten, weil er weiß, daß er nicht allein sein kann. Er wird in die Kaffeehäuser eilen und in die Bierstuben, um Bekannte aufzusuchen, und er wird sich zu ihnen setzen und wird trinken und aufgeregt werden wie sie, weil er weiß, daß er nicht allein sein darf.

Und wenn er am Abend spät nach Hause kommt, ermüdet bis zum Umsinken, erschlafft und abgearbeitet von dem furchtbaren Kampfe, dann fühlt er sich leichter, er hat durchgesetzt, das, was in ihm ist, undeutlich zu machen, und er findet ein trübes Behagen an der Mattigkeit und der Bewußtlosigkeit und erwartet den Schlaf als das einzige Glück, was er auf Erden noch hat. Und wieder wird er einschlafen, und wenn er am nächsten Morgen erwacht, werden alle Spinnweben zerrissen sein, und von neuem wird die furchtbare Arbeit beginnen. So soll es gehen einen Tag, viele Tage, immer, solange er lebt. Nicht mehr lebt er wie andere Menschen, sein Dasein ist fortan ein Kampf, ein gräßlicher Kampf gegen einen Leichnam, ein Kampf, den niemand sieht und der doch allein seinen Geist beschäftigt. Was er tut in seinem Geschäft, in Gesellschaft mit Lebenden, ist nur Schein, eine Lüge. Wenn er lacht und wenn er andern die Hand schüttelt und wenn er auf Pfänder leiht und fünfzig vom Hundert nimmt, alles ist nur eine Täuschung für andere. Er weiß, daß er ausgeschieden ist aus der Gesellschaft der Menschen, daß alles leer und verächtlich ist, was er angreift; nur eines ist es, was ihn beschäftigt, wogegen er arbeitet, weshalb er trinkt und schwatzt und sich unter Menschen herumtreibt, und das eine ist der Leichnam des alten Mannes im Wasser.

5

Außer dem Gips auf Antons Schreibtisch feierten noch andere lebende Wesen des Hauses einen stillen Triumph. Wer dieses Haus und die Menschen darin so von Grund aus kannte, wie zum Beispiel die Tante, der durchschaute die Täuschungen, welche gewisse Leute sich selbst und andern vorspiegelten. Es war möglich, daß Fremde über vieles den Kopf schüttelten, was jetzt in der Familie vorging: die Tante tat das ebensowenig wie die übrigen guten Hausgeister. Daß Anton still, wortkarg, mit bleichen Wangen im Kontor saß und außer am Mittag niemals in der Familie erschien, daß Sabine jetzt in Gegenwart ihres Bruders eine Neigung zum Erröten zeigte, die sie früher nicht gehabt hatte, daß sie stundenlang, ohne ein Wort zu sprechen, bei ihrer Arbeit saß und danach auf einmal durch das Haus fuhr, übermütig wie ein kleines Kätzchen, welches mit einem Zwirnknäuel spielt, und daß endlich der Hausherr selbst immer auf Anton hinsah, mochte dieser sprechen oder schweigen, und dabei von Tag zu Tag heiterer wurde, so daß er gar nicht aufhörte, die Tante zu necken, das alles schien allerdings sehr seltsam; aber wer seit vielen Jahren genau wußte, was diese Menschen am liebsten aßen und was man ihnen alle Monate nur einmal auf den Tisch setzen durfte, ja wer ihre Strümpfe gestrickt hatte und ihre Halskragen eigenhändig stärkte, wie die Tante bei mehreren von diesen dreien tat, der sollte doch wohl hinter ihre Schleichwege kommen. Natürlich kam die Tante dahinter.

Die gute Tante schrieb sich allein das Verdienst zu, daß Anton zurückgekehrt war. Sie hatte dem Kontor den Herrn zurückgeben wollen, der ihr selbst am liebsten war, weiter hinaus hatte sie nicht gedacht, wenigstens hätte sie das in den ersten Tagen nach Antons Rückkehr jedem abgeleugnet. Denn trotz dem rostfarbenen Futter der Überzüge wußte sie auch, daß das Haus, zu dem sie gehörte, ein stolzes Haus war, welches seinen absonderlichen Willen hatte und sehr zart behandelt sein wollte. Und als sie erfuhr, daß der niedergeschlagene Anton nur als Gast bei ihnen bleiben sollte, da wurde selbst sie auf einige Wochen recht zweifelhaft. Bald aber erhielt sie das stille Übergewicht über den Kaufmann und ihre Nichte zurück, denn sie machte Entdeckungen.

Der zweite Stock des Vorderhauses war seit vielen Jahren unbewohnt. Der Kaufmann hatte zur Zeit seiner Eltern mit seiner jungen Frau dort oben gelebt. Als er kurz hintereinander die Eltern, seine Frau und den kleinen Sohn verloren, war er heruntergezogen, und seit der Zeit hatte sein Fuß den oberen Stock nur selten betreten. Graue Jalousien hingen das ganze Jahr vor den Fenstern, Möbel und Bilder waren grau überhangen. Ein verzaubertes Schloß Dornröschens war der ganze Stock, und unwillkürlich wurde der Tritt der Frauen leiser, wenn sie über den Flur des schlummernden Reiches gehen mußten.

Jetzt kam die Tante vom Boden herab. Aus dem endlosen Kriege mit Pix hatte sie nur noch einen kleinen Raum für das Trocknen der Wäsche gerettet. Sie dachte eben daran, daß die bürgerliche Stellung den Menschen doch sehr verändert, denn Balbus, der Nachfolger von Pix, auf dessen bescheidenes Wesen sie große Hoffnungen gesetzt hatte, erwies sich in seinem neuen Amte ebenso geneigt zu Übergriffen wie seine Vorgänger. Wieder fand sie einen Haufen Zigarrenkisten außerhalb der drei Kammern aufgestellt, welche Pix gewalttätig in ihr Gebiet hineingebaut hatte, und eben war sie im Begriff, Herrn Balbus deshalb eine Kriegserklärung zu machen. Da sah sie mit Schrecken eine Zimmertür des zweiten Stocks weit geöffnet. Sie dachte einen Augenblick an Diebe und wollte gerade Hilfe schreien, als ihr der verständige Gedanke kam, die auffallende Erscheinung vorher zu untersuchen. Sie schlich sich leise in die verhangenen Zimmer. Aber sie kam in Gefahr, aus Verwunderung zu versteinern, als sie ihren Neffen selbst ganz allein in der Wohnung sah. Er, der seit dem Tode seiner Frau so ungern in diesen Räumen gewesen war, stand jetzt in dem Zimmer, in welchem die Verstorbene gewohnt hatte. Mit gefalteten Händen, in tiefen Gedanken, stand der Mann da und sah auf ein Bild, welches seine Frau als Braut darstellte, im weißen Atlaskleide, den Myrtenkranz in dem Haar. Die Tante konnte sich nicht enthalten, mitfühlend zu seufzen. Überrascht wandte sich der Kaufmann um. »Ich will das Bild in meine Stube herunternehmen«, sagte er weich.

»Aber du hast ja das andere Bild von Marie darin, und dieses hat dich immer verstimmt«, rief die Tante.

»Die Jahre machen ruhiger«, erwiderte der Kaufmann, »und hierher wird doch mit der Zeit ein anderes kommen.«

Die Augen der Tante glänzten wie Leuchtkugeln, als sie fragte: »Ein anderes?«

»Es war nur so ein Gedanke«, sagte der Kaufmann ausweichend und schritt mit musterndem Blick durch die Reihe der Zimmer. Stolz und mit innerem Achselzucken ging die Tante hinter ihm her. Diese Leute mochten sich verstellen, soviel sie wollten, es half ihnen nichts mehr. Und der vorsichtigen Sabine ging es nicht besser.

Anton hatte am Mittag schweigsam neben der Tante gesessen. Als er seinen Stuhl rückte und sich erhob, sah die Tante, daß Sabinens Auge mit leidenschaftlicher Sorge auf seinem bleichen Gesicht ruhte und sich mit Tränen füllte. Nachdem er das Zimmer verlassen, stand auch Sabine auf und trat an das Fenster, welches in den Hof führte. Die Tante zog sich in ihre Nähe und spähte hinter der Gardine durch. Sabine blickte mit großer Spannung in den Hof, plötzlich lächelte sie und sah ganz verklärt aus. Behutsam schlich die Tante näher und sah ebenfalls in den Hof hinab. Dort aber war gar nichts zu schauen als Anton, der ihnen den Rücken zukehrte und den Pluto liebkoste. Er gab dem Hund einige Semmelbrocken, und Pluto bellte um ihn herum und sprang lustig nach seinem Rock.

›Oho‹, dachte die Tante, ›der Pluto ist’s nicht, über den sie in einem Atem weint und lacht.‹

Und kurz darauf, als einmal der Neffe die Tür des Damenzimmers öffnete, sah die Tante im Vorsaal einen Mann mit einem großen Paket stehen. Ihr scharfer Blick erkannte den Ausgeher der großen Schnittwarenhandlung. Der Kaufmann rief seine Schwester in die Nebenstube, die Tante horchte. Zuerst sprach der Neffe, dann Sabine, aber ganz leise, dann hörte die Tante ein Gemurmel, welches große Ähnlichkeit mit unterdrücktem Schluchzen hatte. Was dieses Mädchen weinerlich wird, dachte sie verwundert. Sie war gerade im Begriff, in das Zimmer einzudringen, als die Geschwister ihr entgegentreten. Sabine hing im Arm ihres Bruders, ihre Wangen und ihre Augen waren stark gerötet, und doch sah sie glücklich und sehr verschämt aus. Als die Tante nach einer längeren Pause, wie sie der Anstand nötig machte, in das Nebenzimmer ging, um etwas zu suchen, fand sie das große Paket auf einem Stuhl liegen. Sie stieß zufällig mit der Hand daran, und da das Papier nicht zugebunden war, ging es natürlich auseinander, und sie erblickte prachtvolle Möbelstoffe und unten noch eine andere Erfindung, die so heftig auf die Nerven wirkte, daß auch sie sich hinsetzen und auf der Stelle einige Tränen vergießen mußte. Es war die weiße Robe vom schwersten Stoff, welche das Weib nur einmal in seinem Leben, an einem feierlichen Tage voll Andacht und frohen Schauers zu tragen pflegt.

Fortan behandelte die Tante ihre Umgebung mit der Sicherheit einer Hausfrau, welche andern verzeiht, wenn sie sich eine Weile närrisch gebärden, weil sie recht gut weiß, daß das letzte Ende von solchem künstlichen Wesen eine starke Bewegung in ihrem eigenen Gebiete sein wird, heftige Arbeit in der Küche, ein langer Speisezettel, großartiges Schlachten von Geflügel und ein vernichtender Angriff auf alle Gefäße mit eingemachten Früchten. Auch sie wurde geheimnisvoll. Alle Tönnchen und Töpfe mit Konfitüren wurden plötzlich einer außerordentlichen Durchsicht unterworfen, und bei der Mittagstafel erschienen zuweilen ausgezeichnete Versuche von neuen Speisen. Die Tante kam an solchen Tagen mit geröteten Wangen aus der Küche und war sehr empfindlich, wenn nicht jedermann das neue Gericht vortrefflich fand, obgleich sie nie verfehlte hinzuzusetzen: »Es ist nur ein vorläufiger Versuch der Köchin.« Und dabei sah sie ihren Neffen und Sabine mit einem schlauen Ausdruck von Überlegenheit an, welcher deutlich sagte. »Ich habe alles erraten«, so daß der Kaufmann die Brauen zusammenziehen und der Tante einen strengen Blick zuwerfen mußte.

Aber der Kaufmann selbst sah in der Regel nicht strenge aus. Sabine und Anton wurden mit jedem Tage stiller und verschlossener, er wurde zusehends heiterer. Er war jetzt gesprächiger als seit Jahren und wurde nicht müde, bei Tische Anton in die Unterhaltung zu ziehen. Er zwang ihn, zu erzählen, und hörte mit Spannung auf jedes Wort, das von Antons Lippen kam. In den ersten Wochen sah er oft prüfend auf Antons Pult, nach kurzer Zeit tat er auch im Geschäft, als wäre sein Verhältnis zu Anton noch das alte. Mit munterm Schritt ging er durch die vorderen Kontore. Noch war im Geschäft viel Flauheit, ihn kümmerte das wenig. Wenn Herr Braun, der Agent, sein belastetes Herz ausschüttete, lachte er dazu und ließ einen kurzen Scherz fallen.

Anton gewahrte diese Veränderung nicht. Wenn er im Kontor arbeitete, saß er einsilbig Herrn Baumann gegenüber und mühte sich, an nichts zu denken als an die Briefe. Die Abende brachte er häufig allein auf seinem Zimmer zu, dann senkte er sein Haupt in die Bücher, welche Fink ihm vermacht hatte, und versuchte, seinen finstern Gedanken zu entrinnen.

Er fand die Handlung nicht so wieder, wie er sie verlassen. Durch viele Jahre war hier alles fest gewesen, jetzt war das Geschäft in unruhiger, schwankender Bewegung. Viele von den alten Verbindungen des Hauses waren abgeschnitten, mehrere neue waren angeknüpft. Er fand neue Agenten, neue Kunden, mehrere neue Artikel und neue Arbeiter.

Auch im Hinterhause war es still geworden. Außer den Würdenträgern des zweiten Kontors, Herrn Liebold und Herrn Purzel, welche niemals aufgeregte Elemente der bürgerlichen Gesellschaft gewesen waren; traf er von seinen nähern Bekannten nur noch den treuen Baumann und Specht; und auch diese dachten daran, das Geschäft zu verlassen. Baumann hatte gleich nach Antons Rückkehr dem Prinzipal gestanden, daß er zum nächsten Frühjahr fort müsse, und auch Antons ernstliche Vorstellungen prallten diesmal an dem festen Entschlusse des Missionars ab. »Ich kann den Termin nicht verlängern«, sagte er; »mein ganzes Gewissen schreit dagegen. Ich gehe von hier auf ein Jahr nach London in die Missionsanstalt und von dort, wohin man mich schickt. Ich gestehe, daß ich eine Vorliebe für Afrika habe. Es sind dort einige Könige« – er nannte schwer auszusprechende Namen –, »die ich nicht für ganz schlecht halte. Dort muß mit der Bekehrung etwas zu machen sein. Noch ist bei ihnen eine elende Wirtschaft. Den heidnischen Sklavenhandel hoffe ich ihnen abzugewöhnen. Sie können ihre Leute zu Hause brauchen, um Zuckerrohr zu pflanzen und Reis zu bauen. In ein paar Jahren schicke ich Ihnen über London die ersten Proben von unserm Plantagenbau.«

Und auch Herr Specht kam zu Anton. »Sie haben mir immer gute Freundschaft gezeigt, Wohlfart. Ich möchte Ihre Meinung wissen. Ich soll heiraten, ein ausgezeichnetes Mädchen, sie heißt Fanni und ist eine Nichte von C. Pix.«

»Ei«, sagte Anton, »und lieben Sie die junge Dame?«

»Ja, ich liebe sie«, rief Specht begeistert. »Aber ich soll auch in das Geschäft von Pix treten, wenn ich sie heirate, und deshalb wollte ich Sie fragen. Meine Geliebte hat etwas Vermögen, und Pix meint, das würde am besten in seinem Geschäft angelegt. Nun wissen Sie, Pix ist im Grunde ein guter Kerl, aber ein anderer Kompagnon wäre mir doch lieber.«

»Ich dächte nicht, mein alter Specht«, sagte Anton. »Sie sind ein wenig zu eifrig, und es wird immer gut für Sie sein, einen sichern Kompagnon zu haben. Pix wird Sie zwingen, seinen Willen zu tun, und das wird kein Schade sein, denn Sie werden sich gut dabei stehen.«

»Ja«, sagte Specht, »aber bedenken Sie das Geschäft, welches er gewählt hat. Kein Mensch hätte für möglich gehalten, daß unser Pix sich zu so etwas entschließen könnte.«

»Was hat er denn alles?« fragte Anton.

»Vieles durcheinander«, rief Specht, »was er vorher niemals angesehen hätte; außer Fellen und Häuten jede Art von Pelzwerk, vom Zobel bis zum Maulwurf, und außerdem Filz und dergleichen, ganz nach seiner Natur, alles, was haarig und borstig ist. – Es sind gemeine Artikel darunter, Wohlfart.«

»Seien Sie kein Kind«, versetzte Anton, »heiraten Sie, mein guter Junge, und begeben Sie sich unter die Vormundschaft des Schwagers, es wird Ihr Schade nicht sein.«

Den Tag darauf trat Pix selbst in Antons Zimmer. »Ich habe Ihre Karte gefunden, Wohlfart, und komme, Sie auf Sonntag zum Kaffee einzuladen. Kuba und eine Manila. Sie sollen meine Frau kennenlernen.«

»Und Sie wollen Specht zum Kompagnon nehmen?« fragte Anton lächelnd. »Immer hatten Sie einen großen Widerwillen, sich zu assoziieren.«

»Ich tät’s auch mit keinem andern als mit ihm. Im Vertrauen gesagt, ich bin in einer Schuld gegen den armen Kerl, und ich kann für mein Geschäft die zehntausend brauchen, die er sich erheiratet. Ich habe ein Detailgeschäft mit übernommen, verdammte Kürschnerware, da stecke ich ihn hinein. Das wird ihm Spaß machen. Er kann alle Tage gegen die Weiber artig sein, die in den Laden kommen, und alle Jahre einen neuen Pelz um sie hängen. Er wird dort brauchbarer sein als hier im Kontor.«

»Wie kommt’s, daß Sie gerade dies Geschäft gewählt haben?« fragte Anton.

»Ich mußte«, antwortete Pix, »ich fand noch ein großes Warenlager von meinem Vorgänger vor; in traurigem Zustande, das versichere ich Ihnen; und ich sah mich auf einmal in Gesellschaft von Leuten, welche Hasenfelle und Schweinsborsten für preiswürdig hielten.«

»Das allein hat Sie doch nicht bestimmt«, erwiderte Anton lachend.

»Vielleicht war’s noch etwas anderes«, sagte Pix. »Hier im Orte muß ich bleiben, wegen meiner Frau, und Sie werden einsehen, Anton, daß ich, der ich in diesem Hause Disponent des Provinzialgeschäftes gewesen bin, mich nicht am hiesigen Platz in derselben Branche auftun konnte. Ich kenne das ganze Provinzialgeschäft besser als der Prinzipal, und alle kleinen Kunden kennen mich besser als den Prinzipal. Ich hätte diesem Geschäft geschadet, obgleich meine Mittel kleiner sind; ich hätte leicht gute Geschäfte machen können, aber dies Haus hätte den Schaden gehabt. So mußte ich etwas anderes ergreifen. Ich ging deshalb zu Schröter, sobald ich mich entschlossen hatte, und besprach das mit ihm. Ich werde mit euch nur in einem konkurrieren, und das sind Pferdehaare, und darin werde ich euch totmachen. Ich habe das auch dem Prinzipal gesagt.«

»Das wird die Handlung ertragen«, sagte Anton und schüttelte dem Borstenhändler Pix die Hand.

Aber nicht im Kontor allein, auch unter den Arbeitern an der großen Waage war eine Veränderung eingetreten. Vater Sturm, der treue Freund des Hauses, drohte, die Handlung und diese kleine Erde zu verlassen.

Eine der ersten Fragen Antons nach seiner Rückkehr war die nach Vater Sturm gewesen. Sturm war seit einigen Wochen unpäßlich und verließ das Zimmer nicht. Voll Besorgnis eilte Anton am zweiten Abend nach seiner Ankunft zu der Wohnung des großen Mannes.

Schon auf der Straße hörte er ein merkwürdig tiefes Gesumm, als wenn ein Schwarm Riesenbienen sich in dem rosafarbenen Haus häuslich niedergelassen hätte. Als er in den Flur trat, klang das Summen wie das ferne Gemurr einer Löwenfamilie. Verwundert klopfte er an, niemand antwortete. Als er die Tür geöffnet hatte, mußte er auf der Schwelle anhalten, denn im ersten Augenblick sah er in dem Zimmer nichts als einen grauen undurchdringlichen Rauch, in welchem ein gelber Lichtpunkt mit bleichem Dunstkreis schwebte. Allmählich unterschied er in dem Rauch einige dunkle Globusse, welche um das Licht herum wie Planeten aufgestellt waren, zuweilen bewegte sich, was ein Männerarm sein konnte, aber einem Elefantenbein sehr ähnlich war. Endlich brachte die Zugluft der offenen Tür den Dampf in Bewegung, und ihm gelang, durch die Wolken einzelne Blicke in die Tiefen der Stube zu tun. Nie war eine Menschenwohnung einer Zusammenkunft in einer Zyklopenschenke ähnlicher. An dem Tisch saßen sechs riesige Männer, drei auf der Bank, drei auf Eichenstühlen, alle mit Zigarren im Mund, auf dem Tisch hölzerne Bierkrüge; das dröhnende Brummen war ihre Sprache, die so klang, weil sie leise sprachen, wie sich für eine Krankenstube schickte.

»Ich rieche etwas«, rief endlich eine mächtige Stimme, »ein Mensch muß hier sein, es kommt eine kühle Luft, die Tür steht offen. Wer hier ist, der melde sich!«

»Herr Sturm!« rief Anton von der Schwelle.

Die Globusse gerieten in rotierende Bewegung und verfinsterten das Licht.

»Hört ihr’s«, rief eine Stimme wieder, »ein Mensch ist gekommen.«

»Ja«, erwiderte Anton, »und ein alter Freund dazu.«

»Diese Stimme kenne ich!« rief es hastig hinter dem Tisch hervor.

Anton trat näher an das Licht, die Auflader erhoben sich und riefen laut seinen Namen. Vater Sturm fuhr auf seiner Bank bis auf die äußerste Ecke und hielt Anton beide Hände entgegen. »Daß Sie hier sind, wußte ich schon durch meine Kameraden. Daß Sie gesund zurückgekommen aus diesem Lande, von diesen Sensenmännern und von diesen Schreihälsen, welche ihre Tonne mit Sauerkraut in der Stube stehen haben, dieses ist mir eine angenehme Freude.« Antons Hand ging zuerst in die Hände des alten Sturm über, der sie kräftig drückte und dann wieder zurechtstreichelte, und dann in die Hände der fünf andern Männer und kam wieder heraus, gerötet, aufgelaufen, im Gelenk erschüttert, so daß Anton sie sogleich in die Rocktasche steckte. Während die Auflader einer nach dem andern ihre Begrüßungen mit Anton austauschten, fragte Sturm plötzlich dazwischen: »Wann kommt mein Karl?«

»Haben Sie ihm denn geschrieben, daß er kommen soll?« fragte Anton.

»Geschrieben?« wiederholte Sturm kopfschüttelnd. »Nein, dies habe ich nicht getan, von wegen seiner Stellung als Amtmann darf ich es nicht tun. Denn wenn ich ihm schreibe, komm, so würde er kommen, und wenn eine Million Sensenmänner zwischen ihm und uns aufmarschiert wäre, aber er könnte dort nötig sein bei den Herrschaften. Und deswegen, wenn er nicht von selber kommt, soll er nicht kommen.«

»Er kommt zum Frühjahr«, sagte Anton und sah prüfend auf den Vater.

Der Alte schüttelte wieder den Kopf: »Zum Frühjahr wird er nicht kommen, zu mir nicht; es ist möglich, daß mein kleiner Zwerg dann herkommt, aber zu seinem Vater nicht mehr.« Er setzte den Bierkrug an und tat einen langen Zug, klappte den Deckel zu und räusperte sich kräftig; dann sah er Anton mit einem entschlossenen Blick an und drückte die Faust als Stempel auf den Tisch. »Fünfzig«, sagte er, »noch vierzehn Tage, dann kommt’s.«

Anton legte seinen Arm um die Schulter des Alten und sah fragend den andern ins Gesicht, welche ihre Zigarren in der Hand hielten und vor der Gruppe standen wie ein griechischer Chor in der Tragödie. »Sehen Sie, Herr Wohlfart«, begann der Chorführer, der, als Mensch betrachtet, groß, als Riese kleiner war denn sein Oberster, »das will ich Ihnen erklären. Dieses Mannes Meinung ist, daß er schwächer wird und daß er immer schwächer werden wird und daß in einigen Wochen der Tag kommt, wo wir Auflader eine Zitrone in die Hand nehmen müssen und einen schwarzen Schwanz an unsere Hüte stecken. Solches ist unser Wille nicht.« Alle schüttelten den Kopf und sahen mißbilligend auf ihren Obersten. »Es ist nämlich ein alter Streit zwischen uns und zwischen ihm wegen der fünfzig Jahre. Jetzt will er recht behalten, das ist das Ganze, und unsere Meinung ist, daß er nicht recht hat. Er ist schwächer geworden, dieses ist möglich. Manchmal hat einer mehr Kraft, manchmal weniger. Was braucht der Mann aber deshalb daran zu denken, diesen Platz zu verlassen? Ich will Ihnen sagen, Herr Wohlfart, was es ist, es ist eine Ausschweifung von ihm.«

Alle Riesen bestätigten durch Kopfnicken die Worte des Sprechers.

»Also ist er krank?« fragte Anton besorgt. »Wo sitzt die Krankheit, alter Freund?«

»Es ist hier und dort«, versetzte Sturm, »es schwebt in der Luft, es kommt langsam heran, es nimmt zuerst die Kraft, dann den Atem; von den Beinen fängt’s an, dann steigt es herauf.« Er wies auf seine Füße.

»Wird Ihnen das Aufstehen sauer?« fragte Anton.

»Gerade das ist es«, erwiderte der Riese, »es wird mir sauer, und mit jedem Tag mehr. Und ich sage dir, Wilhelm«, fuhr er gegen den Sprecher fort, »in vierzehn Tagen wird auch das aufhören; dann wird nichts sauer sein als eure Zitronen, und ich hoffe, auch eure Gesichter, ein paar Stunden, bis zum Abend; dann sollt ihr wieder hierherkommen und euch an dieser Stelle niedersetzen. Ich werde dafür sorgen, daß die Kanne hier steht wie heut, dann könnt ihr von dem alten Sturm reden als von einem Kameraden, welcher sich zur Ruhe gelegt hat und der nichts mehr heben wird, was eine Last ist; denn ich denke mir, da, wo wir hinkommen, wird nichts mehr schwer sein.«

»Da hören Sie’s«, sagte Wilhelm bekümmert, »er schweift wieder aus.«

»Was sagt der Arzt zu Ihrer Krankheit?« fragte Anton.

»Ja, der Doktor«, sagte der alte Sturm, »wenn man den fragen wollte, er würde genug sagen; aber man fragt ihn nicht. Es ist, unter uns gesprochen, auf die Ärzte kein Verlaß. Sie können wissen, wie es in manchen Menschen ist, das leugne ich nicht ab; aber wollen sie wissen, wie es in einem von uns ist? Es kann keiner ein Faß heben.«

»Wenn Sie keinen Arzt haben, lieber Herr Sturm, so will ich sogleich anfangen, Ihr Arzt zu sein«, rief Anton, eilte an die Fenster und öffnete alle Flügel. »Wenn das Atmen Ihnen schwer wird, so ist diese dicke Luft Gift für Sie, und wenn Sie an den Füßen leiden, so sollen Sie auch nicht mehr trinken.« Er trug die Bierkanne auf den andern Tisch.

»Ei, ei, ei«, sagte Sturm, dem geschäftigen Anton zusehend, »die Meinung ist gut, aber es nutzt nichts. Etwas Rauch hält warm, und das Bier sind wir einmal gewöhnt. Wenn ich den ganzen Tag allein sitze auf dieser Bank, ohne Arbeit, ohne einen Menschen, so ist es mir eine Freude, wenn meine Kameraden des Abends ihre Bequemlichkeit bei mir haben. Sie reden dann zu mir, und ich höre doch ihre Stimme wie sonst und erfahre etwas vom Geschäft, und wie es in der Welt zugeht.«

»Aber Sie selbst sollen dann wenigstens das Bier meiden und sich vor Tabakrauch hüten«, erwiderte Anton. »Ihr Karl wird Ihnen dasselbe sagen, und da er nicht hier ist, so erlauben Sie mir, seine Stelle zu vertreten.« Er wandte sich zu den andern Aufladern. »Ich will ihm zu beweisen suchen, daß er unrecht hat, lassen Sie mich eine halbe Stunde mit ihm allein.«

Die Riesen entfernten sich, Anton setzte sich dem Kranken gegenüber und sprach über das, was dem Vater am meisten Freude machte, über seinen Sohn.

Sturm vergaß seine finstern Ahnungen und geriet in die glücklichste Stimmung. Endlich sah er Anton mit zugedrückten Augen an und sagte, sich zu ihm herüberlegend, vertraulich: »Neunzehnhundert Taler. Er ist noch einmal hier gewesen.«

»Sie haben ihm doch nichts gegeben?« fragte Anton besorgt.

»Es waren nur hundert Taler«, sagte der Alte entschuldigend. »Er ist jetzt tot, der arme junge Herr, er sah so lustig aus mit seinen Schnüren am Rocke. Solange ein Mensch Sohn ist, muß er nicht sterben, das macht zu großes Herzeleid.«

»Wegen Ihres Geldes habe ich mit Herrn von Fink gesprochen«, sagte Anton, »er wird vermitteln, daß man die Schuld an Sie bezahlt.«

»An den Karl«, verbesserte der Alte, auf seine Kammer sehend. »Und Sie, Herr Wohlfart, werden es übernehmen, meinem Karl das in die Hände zu geben, was dort in dem Kasten ist, wenn ich selber den Kleinen nicht mehr sehen sollte.«

»Wenn Sie diesen Gedanken nicht aufgeben, Sturm«, rief Anton, »so werde ich Ihr Feind, und ich werde von jetzt ab mit größter Härte gegen Sie verfahren. Morgen früh komme ich wieder und bringe Ihnen den Arzt des Herrn Schröter mit.«

»Er mag ein guter Mann sein«, sagte Sturm, »seine Pferde haben sehr gutes Futter, sie sind stark und dick, aber mir kann er doch nicht helfen.«

Am andern Morgen besuchte der Arzt den Patienten.

»Ich kann seinen Zustand noch nicht für gefährlich halten«, sagte er. »Seine Füße sind geschwollen, auch das mag sich wieder geben; aber das untätige, sitzende Leben ist für diesen starken Körper so ungesund, und seine Diät ist so schlecht, daß die schnelle Entwicklung einer gefährlichen Krankheit leider sehr wahrscheinlich ist.«

Anton schrieb das sogleich an Karl und fügte hinzu: »Unter diesen Umständen macht mir der Glaube Deines Vaters, daß er seinen fünfzigsten Geburtstag nicht überleben wird, große Sorge. Am besten wäre, wenn Du selbst um diese Zeit herkommen könntest.«

Seit Anton dies an Karl geschrieben, war längere Zeit vergangen, er hatte indes den Kranken täglich besucht. In dem Befinden Sturms war keine auffallende Änderung eingetreten, aber er hielt hartnäckig an seinem Entschluß fest, den Geburtstag nicht zu überleben. An einem Morgen kam der Bediente in Antons Zimmer und meldete, der Auflader Sturm wünsche ihn dringend zu sprechen.

»Ist er kränker?« fragte Anton erschrocken. »Ich gehe sogleich zu ihm.«

»Er ist selbst mit einem Wagen vor der Tür«, sagte der Diener. Anton eilte vor das Haus. Dort hielt ein Fuhrmannswagen, über das Weidengeflecht waren große Tonnenreifen gespannt und über diese eine weiße Decke gezogen. Ein Zipfel der Leinwand schlug sich zurück, und der Kopf des Vater Sturm fuhr mit einer ungeheuren Pelzmütze heraus. Der Riese blickte auf Anton und die Hausknechte, welche sich um den Wagen drängten, von der Höhe herunter wie der große Knecht Ruprecht auf die erschrockenen Kinder. Aber sein eigenes Gesicht sah sehr bekümmert aus, dem herantretenden Anton hielt er ein Blatt Papier entgegen: »Lesen Sie dieses, Herr Wohlfart. Einen solchen Brief habe ich von meinem armen Karl bekommen. Ich muß sogleich zu ihm. – Auf das Gut hinter Rosmin«, erklärte er dem Kutscher, einem stämmigen Fuhrmann, der neben dem Wagen stand.

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Litres'teki yayın tarihi:
04 aralık 2019
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