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Kitabı oku: «Soll und Haben, Bd. 1 (2)», sayfa 8

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VIII

Noch immer besaß Veitel Itzig seine Schlafstube in der stillen Caravanserei, wo er sich am Tage seiner Ankunft einquartiert hatte. Wenn nach den Behauptungen der Polizei jeder Mensch irgendwo zu Hause sein muß und nach der Ansicht aller verständigen Frauen vorzugsweise da zu Hause ist, wo sein Bett steht, so war Veitel merkwürdig wenig zu Hause. So oft er aus dem Geschäft des Herrn Ehrenthal entschlüpfen konnte, trieb er sich auf den Straßen umher, sah lauersam auf jeden jungen Herrn, welcher ihm geneigt schien, etwas zu kaufen oder zu verkaufen, und wußte aus der Haltung des Vorübergehenden genau zu erkennen, ob derselbe für die Reize eines kleinen Handels empfänglich sei oder nicht. Stets hatte er einige Paradethaler in der Tasche, mit welchen er in anmuthiger Nachlässigkeit so lockend zu klappern verstand, daß nur ein fühlloser Mensch gleichgültig gegen diese Zahlungsfähigkeit sein konnte. Er wußte mit einem einzigen schnellen Blick die geheimsten Fehler eines Rockes oder einer Weste zu erkennen, er hatte für seine Kunden eine bezaubernde Fülle von verbindlichen Redensarten, er sprach aus Grundsatz zu keinem halbwüchsigen Primaner anders, als: »Wenn der gnädige Herr mir allergnädigst erlauben,« er verstand, was ewig für das Höchste in diesem Geschäft gelten wird, seiner Unterthänigkeit einen scurrilen Anstrich zu geben und war Meister darin, die allerabgeschmacktesten Bücklinge zu machen. Er besaß die Wissenschaft, altes Messing durch Katzensilber blendend zu machen und altem Silber den allerhöchsten Glanz zu geben; er war stets bereit, abgelegte schwarze Fracke zu kaufen, – was von allen Eingeweihten als Symptom einer kühnen und waghalsigen Natur betrachtet wird, – er wußte das fasrige Tuch derselben durch einen eigenthümlichen Bürstenstrich mit einem Schein von Neuheit zu überziehen, der gerade lange genug dauerte, um seine Käufer zu verblenden, welche er in armen Schulmeistern, hoch aufgeschossenen Confirmanden und freigesprochenen Lehrlingen zu finden bemüht war. Mit jedem Gange, welchen er für Herrn Ehrenthal that, suchte er einen andern zu seinem eigenen Nutzen zu verbinden und erwarb dadurch schnell eine Kundschaft, welche den Neid graubärtiger Trödler erregte. Er beschränkte sein Geschäft aber nicht auf gebrauchte Gegenstände, obgleich er hierin seine ersten und zahlreichsten Erfolge durchgesetzt hatte. Er wurde Agent von Pferdehändlern, trat in Verbindung mit verschwiegenen Geldverleihern und trieb solchen Ehrenmännern Kunden zu; ja er lieh sein eigenes Geld aus und hatte das ungewöhnliche Zartgefühl, nie mehr als fünfzig vom Hundert zu nehmen; er lieh aber nur auf kurze Fristen und nahm am Zahlungstermin statt des baaren Geldes mit großer Bereitwilligkeit jede Art von verkäuflichen Dingen zu einer Taxe, welche er als Sachverständiger am besten selbst machte. Dabei hatte er die Tugend, nie zu ermüden, er war den ganzen Tag auf den Beinen, lief um wenige Groschen zehnmal denselben Weg, freute sich wie ein König um einen eroberten Thaler, schüttelte jedes rauhe Wort – und er mußte oft welche hören – ab, wie der Pudel seine Schläge. Er gönnte sich selbst keine Stunde des Genusses, seine einzige Erquickung war, an den Fingern die Geschäfte abzählen, welche er gerade im Gange hatte, und seinen Gewinn berechnen. Es war merkwürdig, wie wenig er brauchte, er aß am Abend ein Stück Brod, welches er zu Mittag aus Ehrenthals Küche in seine Tasche practicirt hatte; ein Glas Dünnbier gönnte er sich im ersten Jahre nur einmal, und zwar an einem heißen Tage, wo er einem Gutsbesitzer behülflich gewesen war, einen Wagen zu verkaufen, und durch eine Thätigkeit von zwei Stunden eben so viel Thaler verdient hatte. Seine Kleider gewährte ihm sein Geschäft. Sommer und Winter ging er deßhalb in schwarzem Frack und den entsprechenden Pantalons; ja er fand es nützlich, über einer schwarzen Sammtweste eine vergoldete Kette zu tragen, und erschien stets als Gentleman unter seines Gleichen, weil er mit Recht behauptete, jeder Geschäftsmann müsse so auftreten, daß sich kein Mensch zu schämen brauche, mit ihm ein Geschäft zu machen. Aus allen diesen Gründen genoß er schon nach Ablauf des ersten Jahres die Freude, seine sechs Ducaten um das Dreißigfache vermehrt zu sehen.

Im Geschäft des Herrn Ehrenthal war er schnell ein unentbehrliches Mitglied geworden, seinem Scharfsinn entging keine Person, kein Pferd, kein Getreidewagen; jedes Gesicht, das er einmal gesehen, erkannte er wieder, jeden Tag wußte er den Courszettel der Börse auswendig, als ob er selbst vereideter Sensal gewesen wäre. Noch bekleidete er die mehr nützliche als erhabene Stelle eines Laufburschen, noch putzte er Bernhards Stiefeln und aß vor der Küchenthür; aber es war ersichtlich, daß ihm ein Schreibepult und ein Lederstuhl in dem kleinen Comtoir, welches Herr Ehrenthal der Form wegen hielt, nicht fehlen würden. Dieser Stuhl war das Ziel seiner Sehnsucht, es war für ihn ein Sitz im Paradiese. Denn noch war er nicht eingeweiht in die Tiefen des Geschäftes, noch wurde er weggeschickt, so oft irgend ein wichtiger Kunde mit Herrn Ehrenthal verhandelte. Sehr bald sah er ein, daß ihm selbst noch Einiges fehle, um dies Glück zu verdienen; er gebrauchte die deutsche Sprache mit vieler Fertigkeit, aber es war ein östlicher Hauch darin, mehr Kehlkopf als höhere Grammatik; er schrieb wohl auch Geschäftsbriefe und Rechnungen, aber es war keine Glätte, kein Strich dabei, die Buchstaben waren so zu sagen widerhaarig, und die Perioden waren löchrig und geflickt; und was vollends die Geheimnisse der Buchhaltung betraf, so war er darin wie ein unschuldiges Kind. Dieser Mangel drückte ihn sehr.

In seiner Herberge war er unterdeß ein angesehener Mann geworden, selbst Löbel Pinkus behandelte ihn mit ungewöhnlicher Vertraulichkeit. Dies schöne Verhältniß verdankte Veitel seinem Scharfblick. Jene Bretterwand in der Gaststube und der hohle Klang des Holzes hatten ihn seit dem Tage seines Einzugs beunruhigt, wochenlang hatte er auf eine Gelegenheit gewartet, seine Untersuchungen fortzusetzen. Endlich an einem Sonnabend schützte er Unwohlsein vor und blieb zu Hause, als der Hauswirth und seine Gäste mit würdigem Schritt nach der Synagoge zogen. Da endlich glückte ihm, einen Ritz in der Hinterwand seines Schrankes zu erweitern und etwas zu erblicken, was ihn auf's Höchste überraschte. Er sah in eine große, schmutzige Stube, welche ganz angefüllt war mit Koffern und Kisten und einem Chaos begehrenswerther Artikel. Herren- und Damenkleider, Betten, Wäsche, Stoffe, bunte Vorhänge lagen in großen Haufen durcheinander, auch metallene Geräthe, ein Crucifix, Kelche, Kronleuchter glänzten in dem Halbdunkel und noch andere lockende Speculationen, welche auch sein scharfes Auge nicht erkennen konnte. Als Aladdin den ersten Schritt in die Zauberhöhle that, gerieth er schwerlich in so große Aufregung, als Junker Itzig bei seiner Entdeckung. Er lief immer wieder zu dem Ritz zurück und starrte in das staubige Dämmerlicht der geheimnißvollen Niederlage, bis die Gäste aus der Synagoge nach Hause kamen. Er behielt die Entdeckung für sich, aber er lag seit dem Tage auf der Lauer, wie das Wiesel vor einem Mauseloch. Einigemal hörte er bei Nacht Geräusch in der geheimnißvollen Stube des Nebenhauses; einmal gelang es ihm, ein Geflüster zu vernehmen, bei welchem die tiefe Stimme des würdigen Pinkus unverkennbar war; einst, als er spät nach Hause kam, sah er am Nachbarhause Fässer, Kisten und Bündel in eine kleine Britschka laden, welche schamhaft mit weißer Leinwand verhüllt war, eine Maßregel, welche schon Sulamith im hohen Liede Salomonis als nützlich empfiehlt, damit man nicht von den Wächtern des Königs in den Weinbergen angehalten werde. In derselben Nacht verschwanden zwei schweigsame Gäste seines Herbergvaters, welche offenbar aus Polen stammten, und kamen nicht wieder. Aus alledem zog er den Schluß, daß sein Wirth eine Art Commissions- und Speditionsgeschäft von allerlei merkwürdigen Waaren hielt, welche er aus guten Gründen lieber am Abend, als bei Tage fortschaffte. – Wie ein Licht ging es unserm Veitel auf. Die Waaren gingen nach dem Osten, wurden über die Grenze geschmuggelt und verbreiteten sich bis tief in das russische Reich, bis an die asiatische Grenze, wo zuletzt der strebsame Kirgise die Hemden und Schnürröcke aufträgt, welche vom deutschen Schneider genäht sind. Alles nach dem Grundsatz, was in Deutschland defect wird, fällt den Russen zu. Veitel benutzte seine Entdeckung mit der Mäßigung eines Geschäftsmannes und machte seinem Hauswirth gerade nur so viel Andeutungen, daß Pinkus sich bewogen fühlte, ihn mit besonderer Rücksicht zu behandeln.

Nach einem thatenreichen Tage schritt Veitel nachdenkend in seine Herberge zurück und betrat mit dem üblichen Gruß die Gaststube. Er setzte sich still in eine Ecke und suchte in seinen Gedanken nach einem Schriftgelehrten, welcher geeignet war, ihn in die Geheimnisse eines guten Styls und der Buchführung einzuweihen, gegen möglichst geringes Honorar, ja vielleicht gegen einen schwarzen Frack, den er durchaus nicht los werden konnte, weil die Schöße desselben – er hatte einem riesigen Leichenbitter gehört – bis auf den Boden hingen, wie die Aeste einer Trauerweide. Als Veitel nach fruchtlosem Ueberlegen aufsah, erblickte er am Tische einen fremden Gast, welcher eine Feder in der Hand hielt und diese zuweilen in ein Tintenfaß tauchte; der Mann sprach leise mit einem Händler und beugte sich von Zeit zu Zeit auf das Papier, wahrscheinlich um die Beschlüsse der geheimen Unterhaltung zu verewigen. Veitel sah sich den Schreiber ahnungsvoll an. Es war klar, daß die Großväter dieses Mannes nicht unter Moses durch das rothe Meer gezogen waren. Der Herr war stark und klein, er hatte eine röthliche aufgeregte Nase und ein rundes ältliches Gesicht, verworrenes Haar und eine alte Stahlbrille, die er zuweilen an den Ohren festdrückte, weil es ihr trotz ihrer langen Dienstzeit ganz unmöglich war, auf der Stumpfnase Schluß zu gewinnen. Veitel bemerkte, daß dieser Mann mit der Brille einen ungewöhnlich schlechten Rock anhatte und zuweilen aus einer Zinndose schnupfte, wobei er jedesmal den Händler mit einem eigenthümlichen Schielblick ansah, mit einer Art von inquisitorischem Blinzeln, welches seinem Gesicht einen gutmüthigen Ausdruck geben sollte, dies aber nicht that. Offenbar war der Mann ein Schriftgelehrter, und Veitel beschloß, abzuwarten, ob er an ihn kommen könne. Endlich war die Verhandlung geschlossen, der Händler empfing ein Papier und legte dafür ein Geldstück, vor Veitels Adleraugen ein Achtgroschenstück, auf den Tisch, welches von dem Herrn mit der Brille nachlässig in die Tasche des Beinkleides versenkt wurde. Der Händler entfernte sich, der Fremde blieb, wie es schien, in gemüthlicher Stimmung sitzen und goß sich aus einer kleinen Flasche Branntwein den letzten Rest in das Glas. Veitel trat auf ihn zu, der kleine Herr blickte mißtrauisch auf, aber als er die verbindliche Stellung Veitels sah, fuhr ein vertrauliches Lächeln über sein rothes Gesicht, und eine scharfe Stimme sprach: »Nur näher, mein junger Freund, Sie wollen mich consultiren, ich stehe zu Diensten.«

Veitel begann zögernd: »Wenn der Herr bekannt ist am Orte, so wollte ich ihn wohl ersuchen um etwas.«

»Immer heraus, mein Sohn,« ermunterte der Andere, indem er sein Glas austrank und Veitel mit seinem gutmüthigen Blick ansah.

»Ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht Jemand wüßten, der gegen eine billige Vergütung einem Manne von meiner Bekanntschaft Unterricht geben würde im Schreiben und in den Aufsätzen, wie man sie braucht zum Geschäft.«

»So?« frug der schäbige Herr, »wie man sie braucht zum Geschäft? – und dieser Mann von Ihrer Bekanntschaft sind Sie selbst, mein Sohn?«

»Was soll ich daraus machen ein Geheimniß?« antwortete Veitel aufrichtig, »ja, ich bin es selbst; aber ich bin noch ein Anfänger und bin nicht im Stande, mehr zu geben als wenig.«

»Wer wenig giebt, erhält wenig, mein Lieber – wie war doch der Name?« frug der Alte gleichgültig dazwischen und drehte die Dose.

»Veitel Itzig heiße ich.«

»Also lieber Itzig,« fuhr der Alte fort, »guter Unterricht kostet gutes Geld. Und was treiben Sie für ein Geschäft?« forschte er mit väterlicher Miene weiter.

»Ich bin im Comtoir bei Hirsch Ehrenthal,« erklärte Veitel mit Selbstgefühl.

Der Fremde wurde aufmerksam. »Herr Ehrenthal ist ein reicher Mann, ein kluger Mann, ich habe seiner Zeit viel mit ihm zu thun gehabt, er hat eine schöne Gesetzkenntniß. Wenn Sie den Geschäftsstyl erlernen wollen und bei Herrn Ehrenthal sind,« fuhr er überlegend fort, »vielleicht kann da Rath werden. Welches Honorar würden Sie zahlen, wenn sich Jemand fände?«

Veitel fand es gewissenlos, etwas zu bieten, er bemerkte zurückhaltend: »Ich weiß doch noch nicht, was er fordern wird für solchen Unterricht.«

»So will ich's Euch gerade heraussagen,« erklärte der Herr mit der Brille. »Ich selbst könnte Euch vielleicht den Unterricht geben, vielleicht auch nicht; man giebt solche Anweisung nicht Jedem, ich müßte mich erst näher nach Euch erkundigen. Wenn ich Euch aber den Gefallen thue, so will ich Euch den Unterricht ertheilen in Erwägung, daß Ihr ein Anfänger seid, in Erwägung, daß Ihr arm seid, und in Erwägung, daß ich jetzt gerade einige freie Zeit habe und aufgelegt bin, mehr Theorie als Praxis zu treiben, wenn Ihr mir funfzig Thaler zahlt; fünfundzwanzig Thaler vor der ersten Lection und fünfundzwanzig Thaler in einem Schuldschein, den ich selbst Euch schreiben werde, binnen vier Wochen.«

»Funfzig Thaler!« rief Veitel entsetzt und sank wie vom Schlag gerührt auf einen Schemel, »funfzig Thaler!« wiederholten mechanisch seine Lippen, als das Räderwerk seines Geistes bereits in's Stocken gerathen war.

»Ist Euch das zu viel,« frug der Herr mit der Brille in scharfem Ton, »so laßt Euch sagen, junger Itzig: Erstens, daß ich mit keinem Gelbschnabel handle, zweitens, daß ich meine Hülfe Andern noch nie so billig gegönnt habe, und drittens, daß ich mich den Teufel mit Euch befassen würde, wenn ich nicht große Lust hätte, einige Wochen in dieser Stube zu verweilen.«

»Funfzig Thalerstücke!« rief Itzig außer sich, »ich habe geglaubt, es würde nicht kosten mehr als zwei, drei Thaler, wenn ich noch vielleicht wollte zugeben eine Weste und ein Paar gute Stiefeln.« Der alte Herr fuhr heftig nach seiner Brille – »und einen Hut, der noch ist wie neu,« fügte Veitel schnell hinzu, weil er einen Sturm herannahen sah und bemerkt hatte, daß der Hut auf dem Tische sehr schadhaft war.

»Scher' dich zum Henker, du Dummkopf,« fuhr ihn der Alte mit einer Ueberlegenheit an, welche Veitel nur von jungen Herren mit großen dänischen Doggen zu ertragen gewohnt war. »Suche dir einen Schulmeister bei der Armenschule.«

»So ist der Herr kein Schreiber?« frug Itzig gedrückt, aber beharrlich.

»Nein, du Narr,« brummte der Alte. »Wie konnte ich denken, daß der Ehrenthal in seinem Geschäft einen solchen Strohkopf hat,« fügte er in lautem Monologe hinzu. »Er hält mich für einen Schreiblehrer.«

»Was sind Sie denn sonst?« frug Itzig gekränkt.

»Etwas, das dich nichts angeht,« sprach der fremde Herr entschieden, stand mit einem durchbohrenden Blick auf den armen Veitel von seinem Platz auf und begab sich auf den Söller des Hauses. Dort drückte er sich in eine Ecke, wo er aussah wie ein Kleiderbündel, zog ein Actenstück aus der großen Rocktasche und las eifrig darin.

Veitel stand noch einen Augenblick verdutzt in dem einsamen Zimmer und faßte endlich den Entschluß, sich bei Pinkus Auskunft über den fremden Mann zu holen. Er trat unter einem Vorwande in den Branntweinladen und frug den Wirth mit möglichster Unbefangenheit nach Namen und Geschäft des kleinen Herrn.

»Ihr kennt ihn nicht?« sprach Pinkus mit ironischem Lächeln, von dem Veitel nicht recht wußte, ob es ihm oder dem Fremden galt. »Nehmt Euch in Acht, daß Ihr diesen Mann nicht mit Schaden kennen lernt. Nach dem Namen fragt ihn selbst, er wird ihn besser wissen als ich.«

»Wenn Sie mir auch kein Vertrauen schenken, so will ich es doch haben zu Ihnen,« antwortete Veitel und erzählte ihm seine Unterredung mit dem Fremden.

»Also er hat Euch Unterricht geben wollen?« sagte Pinkus erstaunt und schüttelte seinen dicken Kopf. »Funfzig Thaler sind viel Geld, aber mancher reiche Mann würde geben hundertmal so viel, wenn er wüßte, was der weiß, das will ich Euch sagen. Uebrigens geht's mich nichts an, ob Ihr was lernt und bei wem,« schloß Pinkus grob und ging zu seinen Liqueurflaschen.

Veitel ging noch verwirrter hinauf, als er herunter gekommen war, und setzte sich wieder grübelnd in seine Ecke, indem er nachdachte, wie man für eine so gewöhnliche Sache, als der Geschäftsstyl ist, so ungewöhnliches Geld fordern könne. Unterdeß war der Wirth heraufgekommen, hatte das Licht auf den Tisch gesetzt und eine einfache Abendkost für den Fremden mitgebracht. Ganz gegen seine Natur war er diesem gegenüber von großer Leutseligkeit, ließ sich von ihm auf den Altan führen und hatte dort im Finstern eine kurze Unterredung, deren Gegenstand, wie Veitel merkte, seine Person war.

Als Pinkus mit dem Fremden wieder in die Stube trat, sagte er zu Veitel: »Dieser Herr wird einige Wochen hier wohnen und will nicht, daß man darüber spricht. Ihr werdet gegen Niemanden sagen, daß er hier ist, wer Euch auch deswegen ausfragen mag.«

»Weiß ich doch gar nicht, wer der Herr ist,« sprach Veitel, »wie kann ich Jemandem sagen, daß er hier wohnt?«

»Sie können sich auf den jungen Menschen verlassen,« bemerkte Pinkus gegen den Fremden, worauf dieser gleichgültig mit dem Kopfe nickte. Der Wirth ließ diesmal das Licht brennend in der Stube zurück und schied mit einem Nachtgruß. Der Herr setzte sich behaglich nieder, aß mit unangenehmem Schmatzen die Abendkost und sah dabei von Zeit zu Zeit auf Veitel, ungefähr wie ein alter Rabe auf das gelbe Küchlein sieht, welches sich mit dem Leichtsinn der Jugend in seine Nähe gewagt hat.

Während der Alte zwinkernd auf seine Beute sah, fuhr dem jungen Itzig plötzlich der Gedanke durch den Kopf, diese geheimnißvolle Person mit den ungeheuren Forderungen ist vielleicht einer von den Auserwählten, ein Besitzer der Recepte, durch welche ein armer Handelsmann unfehlbar Glück, Gold und alle Güter der Erde erwerben kann. Ihm wurde glühend heiß bei dem Gedanken. Zwar sah der Fremde durchaus nicht reich und glücklich aus, aber war es nicht möglich, daß er den alten Rock nur incognito trug, oder daß er übermäßig geizig war, oder daß er selbst aus irgend einem Grunde von den Recepten keinen Gebrauch machen durfte? Vielleicht waren die funfzig Thaler der Preis für das Geheimniß. Veitel hatte jetzt Weltbildung genug, um einzusehen, daß weder durch eine Salbe, noch durch einen Zauberstein solche Wirkungen hervorgebracht werden, sondern daß Wissenschaft dazu nöthig sei. Er merkte, daß es darauf ankomme, schlauer zu sein als andere Leute, und daß solche Schlauheit auch für den Inhaber nicht ohne Bedenken sei; ja es kam ihm allerdings so vor, als ob man durch die Benutzung derselben in Gefahr gerathe, sich dem Satan zu verschreiben. Aber seine Begier, etwas Näheres zu erfahren, war übermächtig. Seine Hände zitterten wie im Fieber, und sein bleiches Gesicht glühte, als er aus seiner Ecke wieder zu dem Fremden trat und mit großem Eifer sagte: »Ich wollte mir noch erlauben eine Frage zu thun an den Herrn. Ich habe gehört, daß man kann lernen die Kunst, wodurch man Glück hat in allen Geschäften, womit man kann machen jede Art von Kauf und Verkauf zu dem besten Preise. Wenn es giebt eine solche Kunst, wie mich hat versichert einer von unsern Leuten, so wollte ich den Herrn nur fragen, ob das dieselbe Wissenschaft ist, die der Herr mich könnte lehren, wenn er wollte.«

Der Alte schob den Teller von sich und sah mit außerordentlichem Augenzwinkern auf den Burschen. »Du bist der merkwürdigste Mensch, der mir in praxi vorgekommen. Du bist entweder sehr dumm, oder der abgefeimteste Schauspieler, den ich je gesehen habe.«

»Nein, ich bin nur dumm, aber ich möchte werden klug,« sagte Veitel Itzig.

»Ein merkwürdiger Kerl,« bemerkte der alte Herr rücksichtslos und rückte an seiner Brille, um Veitel genau anzusehen, dem bei dem kalten Glanz der Brillengläser sehr unheimlich wurde. Nach langer Prüfung sprach der Alte, indem er eine Gönnermiene annahm: »Was du Kunst nennst, mein Sohn, ist weiter nichts, als die Gesetzkenntniß und die Weisheit, das Gesetz zum eignen Vortheil zu benutzen. Wer das versteht, der wird auf Erden ein großer Mann; es hindert ihn nichts daran, denn er kann nicht gehangen werden.« Bei diesen Worten lachte der Alte in einer Weise, die selbst unserm Veitel einen bänglichen Eindruck machte, obgleich dieser auf die mechanischen Bewegungen der Gesichtsmuskeln sonst nicht viel gab.

»Diese Kunst, mit den Gesetzen umzugehen,« fuhr der kleine Herr fort, »ist nicht leicht zu lernen, mein Sohn, es gehört lange Uebung dazu und ein anschlägiger Kopf und Entschlossenheit im richtigen Augenblick und vor Allem das, was die Gelehrten Charakter nennen.« Dabei lächelte er wieder.

Veitel merkte, daß er bei einem wichtigen Punkt seines Lebens angelangt sei, er fuhr mit der Hand in die Jacke nach seiner alten Brieftasche und hielt sie einen Augenblick in der bebenden Hand. Was in diesem Moment durch seine arme Seele fuhr, – und es war nur ein Moment – das waren wilde und schmerzhafte Empfindungen. Schnell wie Blitze zuckten sie durcheinander. Er dachte in diesem Augenblick an seine alte Mutter in Ostrau, ein ehrliches Weib, wie sie ihre goldene Kette verkauft hatte, um ihm die sechs Ducaten in die Ledertasche zu nähen; er sah sie vor sich, wie sie ihn beim Abschiede mit Thränen gebenscht hatte und zu ihm gesagt: »Veitel, es ist eine arge Welt, verdiene dir ehrlich dein Brod, Veitel!« – Er sah seinen grauen Vater vor sich auf dem Todtenbett liegen, wie ihm der weiße Bart herunterhing über den magern Leib – und tief holte er Athem. Auch an die funfzig Thaler dachte er, wie viel Mühe es ihm gekostet hatte, sie im Schacher zu erwerben, wie oft er darum gelaufen war, wie oft man ihn geschmäht, ja als Ueberlästigen mit Schlägen bedroht hatte. Als ihm der letzte Gedanke durch die Seele flog, riß er heftig die Brieftasche aus der Jacke, warf sie auf den Tisch, setzte die geballte Faust darauf und rief mit blitzenden Augen: »Hier ist Geld!« – und während er das aussprach, fieberhaft erregt, in leidenschaftlicher Hast, selbst in diesem Augenblick, fühlte er deutlich, daß er daran sei, etwas Böses zu thun, und er fühlte, wie eine Last sich unsichtbar auf seine Brust senkte. Aber er war entschlossen. Schwerlich hatten die jungen Herren, welche den zudringlichen Judenknaben die Treppe herunterwiesen, daran gedacht, daß ihre höhnenden Worte in der armen verwilderten Menschenseele einen Dämon erwecken würden, der ihnen selbst in spätern Jahren Elend und Verderben heraufbeschwören sollte.

Nach einigen Stunden war das Licht tief herabgebrannt und bei dem rothen Schein saß in dem wüsten Raume noch immer Veitel mit offenem Munde, glänzenden Augen und gerötheten Wangen dem Vortrage des alten Mannes lauschend. Und der Alte sprach doch über Dinge, von denen zu hören den meisten Sterblichen sehr langweilig ist, über gewöhnliche Schuldverschreibungen.

Das Licht war verloschen, der kleine Herr hatte die neugefüllte Branntweinflasche geleert und war ermüdet vom langen Sprechen auf seinem Strohsack eingeschlafen, und noch immer saß Veitel auf dem Schemel. Heute dachte er nicht an seine Kunden, nicht an sein gezahltes Geld, sondern er schrieb Schuldscheine an die schwarzen Wände, in denen sich der Aussteller mit vielen Worten zu so wenig als möglich verpflichtete, und schrieb Empfangscheine über geliehenes Geld, in denen er durch unscheinbare Zusätze die Rückzahlung der Summe von seinem Belieben abhängig machte. So saß er lange in bleischwarzer Finsterniß, und große Schweißtropfen rannen von seinen Schläfen. Dann öffnete er die Thür zur hölzernen Galerie, lehnte sich auf das Geländer und sah durch das Dämmerlicht hinunter in das Wasser, welches wie ein riesiger Strom von Tinte vorbeifluthete. Und wieder schrieb er Schuldscheine in die schwarzen Schatten der gegenüberliegenden Häuser und schrieb Quittungen auf die dunkle Wasserfläche, bis sein müder Leib erschöpft zusammenbrach und er in einer Ecke einschlief, das heiße Haupt an die Holzwand gelehnt. In kaltem Zuge fuhr der Nachtwind über das Wasser und unten gurgelte die Fluth klagend an den Holzpfählen und Vorsprüngen der alten Häuser. Was er in die Schatten gezeichnet, das verrückte sich, und was er auf das Wasser geschrieben, das zerrann, und doch hatte seine Seele einen Schuldschein ausgestellt in dieser Nacht, der einst von ihm eingefordert werden sollte mit Zins und Zinseszins. Der Wind heulte, und der Sturm klagte, wilde Mahner an die Schuld, rächende Boten des Gerichts.

Seit dieser Nacht eilte Veitel alle Abende mit schnellem Schritt nach seiner Herberge, der Unterricht im Geschäftsstyl wurde regelmäßig fortgesetzt. Der Herr mit der Brille war ein gründlicher Lehrer, die tiefsten Geheimnisse des Wechselrechts und der Hypothekenordnung waren ihm offenbar, er kannte jeden Schlupfwinkel, welchen das Gesetz dem gewandten Mann offen läßt, er war mit jedem Schleichwege vertraut, auf welchem man eine gesetzliche Verpflichtung umgehen kann. Seine Methode des Unterrichts war vortrefflich. Er ging bei allen auszustellenden Urkunden und bei jeder geschäftlichen Verpflichtung von der gewöhnlichen Form aus, lehrte seinen Schüler die betreffenden Gesetze kennen und machte seine Lehre durch Beispiele deutlich und angenehm. Dann erst gab er bei jedem Gesetz, bei jedem einzelnen Fall, die kleinen Hülfsmittel an, durch welche man gegenüber der Verpflichtung einen freien Standpunkt gewinnen konnte. Jeden Abend nahm Veitel einige kostbare Recepte in seine Brieftasche auf, Formulare zu Documenten, welche zu nichts verpflichteten, und wieder solche, welche zu weit mehr verpflichteten, als sie den Anschein hatten. Zuweilen schrieb der Alte selbst ein solches Kunstwerk vor, und ließ es den Schüler abschreiben, worauf er seine eigene Handschrift sorgfältig am Licht verbrannte. Wenn fremde Gäste in der Herberge waren, zogen sich Lehrer und Schüler in eine Ecke zurück und verhandelten in einem Flüsterton, welcher von den Anwesenden mit vieler Achtung angehört wurde, denn Veitel pflegte dann zu erklären, daß er von dem Herrn Unterricht in der Buchführung und andern nützlichen Dingen erhalte.

Was Veitel nach und nach über die Person seines Lehrers erfuhr, Namen und Schicksal, sei hier in Kürze berichtet. Herr Hippus hatte bessere Tage gesehen. Er war einst ein vielgesuchter Rechtsanwalt der Hauptstadt gewesen, der es durchgesetzt hatte, in wenig Jahren eine ausgebreitete Praxis zu erwerben. Bei dem Geschäfte treibenden Publicum einer großen Stadt erhält jeder Advocat sehr bald einen bestimmten Ruf, einen Ruf, welcher eben so unsicher sein mag, als der Ruhm einer Sängerin oder Tänzerin, der aber auch durch eine große Classe von Menschen als anziehender Stoff der Unterhaltung benutzt wird. Bei dieser Classe galt Herr Hippus für sehr gewandt und zuvorkommend im Verkehr mit den Parteien und für den entschiedensten und kühnsten Mann, um ein mißliches Recht in ein gutes Recht zu verwandeln. Im Anfang hatte er so wenig, wie der gewissenhafteste Staatsanwalt, den Trieb, seine Carriere dadurch zu machen, daß er Unrecht in Recht verdrehte. Auch er hatte ein peinliches Gefühl von Unsicherheit, wenn er eine Partei vertrat, deren Sache er für schlecht hielt, er war von den ehrenwerthesten seiner Collegen nur sehr wenig verschieden, er hatte einige kleine Scrupel weniger und trank etwas zu gern guten Rothwein. Diese letzte so löbliche Eigenschaft wurde bald eine Schwäche. Er war ein Mann, der mit Geschmack zu frühstücken wußte, ein Herr von kaustischem Witz und ein vortrefflicher Gesellschafter bei der Tafel. Er hatte einen subtilen Geist, freute sich über geistreiche Paradoxien und liebte es die Haare zu spalten, die er seinen Gegnern ausriß. Mit Hülfe des Rothweins erlangte er die Fertigkeit, viel Geld auszugeben, und gerieth in die Lage, viel einnehmen zu müssen. Die eitle Freude an Spitzfindigkeiten verlockte ihn einigemal, die ganze Energie seines glänzenden Geistes einer schlechten Sache dienstbar zu machen und diese zum Siege zu führen. So erlebte er den Fluch, der häufig Advocaten trifft, welche Glück in verzweifelten Processen gehabt haben, es liefen ihm Alle zu, welche eine schlechte Sache zu vertheidigen hatten. Lange Zeit ärgerte er sich darüber, und es fehlte ihm nur ein klein wenig Kraft, um diese Spitzbubenpraxis, wie er selbst sie nannte, los zu werden; allmälig, ganz allmälig wurde er durch die schlechten Sachen, an denen er sein nicht gemeines Talent geltend zu machen suchte, selbst schlecht. Immer größer wurden seine Bedürfnisse, immer lockender die Verführung, immer kleiner sein Gewissen. So war er schon lange von innen ausgehöhlt und mit Giftstaub gefüllt, wie ein Bovist, von außen sah er noch stattlich und glänzend aus, und oft wurde ihm prophezeit, daß er mit der größten Praxis in der Stadt als einer der reichsten Männer seine Laufbahn beschließen werde. Da begegnete ihm, dem Schlauen, dem Gesetzkundigen das Unglück, daß er in eine Untersuchung gerieth, weil er bei einer Sache, welche nur durch verzweifelte Mittel zu halten war, dem Gesetz eine Blöße gegeben hatte. Er wurde verurtheilt, mit Schimpf cassirt und verschwand als ein gefallener Stern aus dem Kreise seiner Amtsgenossen. Was er noch von Bedenken und Rücksichten gehabt hatte, ging seit der Zeit mit reißender Schnelligkeit verloren. Er hatte in Wirklichkeit wenig Vermögen gesammelt, fast nur schlechte Ansprüche an den Besitz Anderer, verzweifelte Schuldverschreibungen und hoffnungslose Documente, deren Erwerb ihm allerdings sehr wenig gekostet hatte. Die Beitreibung derselben machte er jetzt zur Aufgabe seines Lebens, denn noch immer hatte er das Bedürfniß, viel auszugeben. Deßhalb war er durch mehrere Jahre als ewiger Kläger und Quereler eine den Gerichtshöfen wohlbekannte Person. Was er durch Prozessiren erwarb, vergeudete er mit roher Sinnlichkeit in schlechter Gesellschaft, er wurde ein Trunkenbold, ein lüderlicher Schlemmer. Aber auch diese unsicheren Einnahmen hörten endlich auf, sein Name verschwand allmälig aus den Prozeßacten, und seine Person ward auch in den Restaurationen untergeordneten Ranges nicht mehr gesehen. Aber seine Thätigkeit hörte nicht auf. Er sank zum Besucher von Branntweinstuben und zum Winkelconsulenten herab, der andere Leute zu Prozessen aufstachelte und Schwindlern und Gaunern gute Rathschläge ertheilte. In dieser stillen Thätigkeit verlebte er einige Jahre und stiftete so viel Unheil, als nöthig war, um seinen Grimm gegen nicht gefallene irdische Größen und seinen Durst, der sehr gemeiner Natur wurde, zu befriedigen. Leider glückte ihm noch nicht, ganz aus dem Auge des Gesetzes zu verschwinden. Gerade jetzt wurde ihm wegen unbefugter Praxis nachgestellt, und er fand für nöthig, unter dem Vorwand einer längeren Reise auf einige Zeit unsichtbar zu werden. Deßhalb hatte er sich bei Herrn Pinkus, dessen Kunde und Rechtsbeistand er zuweilen gewesen war, einquartiert und so Muße gewonnen, den jungen Itzig seine Receptirkunst zu lehren.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 eylül 2017
Hacim:
660 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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