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Kitabı oku: «Ein einfaltig Herz», sayfa 3

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Kapitel 3

Wenn sie an der Kirchentüre das Knie gebeugt hatte, schritt sie durch das hohe Schiff im Gang zwischen den Sitzreihen, öffnete Frau Aubains Bank, setzte sich hin und ließ den Blick umherschweifen.

Die Chorstühle rechts waren voller Knaben, die links voller Mädchen. Der Pfarrer stand am Pult. Auf einem Fenster der Apsis schwebte der Heilige Geist über der Jungfrau; auf einem andern kniete sie vor dem Jesuskind, und hinter dem Sakramentshäuschen stand der Erzengel Michael im Kampfe mit dem Drachen, in Holz geschnitzt.

Der Geistliche erzählte erst aus der Biblischen Geschichte. Sie glaubte das Paradies zu schauen, die Sündflut, den Turm zu Babel, brennende Städte, sterbende Völker, umgestürzte Götterbilder, und von diesem Gesicht verblieb ihr Ehrfurcht vor dem Allerhöchsten und Furcht vor seinem Zorn. Dann hörte sie unter Tränen die Leidensgeschichte an. Warum hatte man ihn gekreuzigt, ihn, der die Kinder liebkoste, das Volk speiste, die Blinden heilte und in seiner Demut mitten unter den Armen, auf der Streu eines Stalles, hatte geboren werden wollen? Die Aussaat, die Ernte, das Keltern, alle diese vertrauten Verrichtungen, von denen das Evangelium spricht, fanden sich auch in ihrem Dasein. Das Auge Gottes hatte darauf geruht und sie seitdem geheiligt. Und zärtlicher denn je liebte sie fortan die Lämmer aus Liebe zum Lamme Gottes und die Tauben um des Heiligen Geistes willen.

Es fiel ihr schwer, sich ihn leibhaft vorzustellen; denn er war nicht nur ein Vogel, sondern auch ein Feuer und zu andern Malen ein Windeshauch. Vielleicht war es sein Licht, das nachts am Rande des Moors flackert; sein Atem, der die Wolken treibt; seine Stimme, die in der Glocken Klang erschallt. Und sie verharrte in Andacht und genoß die Kühle der Mauern und die Stille der Kirche.

Von den Dogmen begriff sie nichts, gab sich auch gar keine Mühe, etwas zu verstehn. Der Pfarrer predigte. Die Kinder sagten her. Schließlich schlief sie ein und fuhr erst jäh auf, wenn die Holzschuhe der weggehenden Kinder auf den Fliesen klapperten.

Auf diese Weise, vom Anhören, lernte sie den Katechismus, denn sie selber hatte als Kind keinen religiösen Unterricht erhalten. Nun aber machte sie alle die frommen Dinge nach, die Virginia tat, fastete wie sie, ging zur Beichte mit ihr. Zu Fronleichnam richteten sie zusammen eine Station her.

Virginias erste Kommunion brachte sie schon lange zuvor um alle Ruhe. Die Schuhe, der Rosenkranz, das Gebetbuch, die Handschuhe bereiteten ihr Sorgen. Und sie zitterte, als sie der Mutter das junge Mädchen ankleiden half.

Während der ganzen Messe war sie beklommen. Herr Bourais verdeckte ihr eine Seite des Chors; aber geradeaus vor ihr stand die Schar der Jungfrauen mit ihren weißen Kränzen über den lang herabhängenden Schleiern. Das sah wie ein Schneefeld aus; und sie erkannte von weitem die liebe Kleine an dem zierlicheren Hals und an der andächtigen Haltung. Das Glöckchen bimmelte. Die Köpfe neigten sich. Es ward ganz still. Dann rauschte die Orgel, und die Sänger und die Gemeinde stimmten das »Agnus Dei« an. Dann traten die Knaben der Reihe nach vor, und nach ihnen standen die Mädchen auf. Schritt vor Schritt, mit gefalteten Händen, zogen sie vor den über und über erleuchteten Altar, knieten auf der ersten Stufe nieder, empfingen eins nach dem andern die Hostie und kamen in derselben Reihenfolge zu ihren Betstühlen zurück. Als Virginia daran kam, beugte sich Felicitas vor, um sie zu sehen; und kraft der Phantasie, die wahre Liebe dem Menschen verleiht, kam es ihr vor, als sei sie selber das Kind dort. Sein Leib wurde der ihre; sie trug sein Kleid; sein Herz schlug in ihrer Brust. Und als es die Lippen öffnete, mußte sie die Augen schließen und wäre beinahe ohnmächtig geworden.

Am nächsten Morgen erschien sie zu früher Stunde in der Sakristei, damit der Herr Pfarrer auch ihr das Abendmahl reiche. Sie empfing es andächtig, empfand aber nicht jene Wonnen wie am Tage zuvor.

Frau Aubain wollte ihre Tochter nach jeder Richtung hin ausbilden lassen, und da ihr Guyot weder das Englische beibringen noch ihr Musikstunden geben konnte, so beschloß sie, sie zu den Ursulinerinnen nach Honfleur zu geben.

Das Mädchen wandte nichts dagegen ein. Felicitas seufzte; sie fand die gnädige Frau gefühllos. Später meinte sie, ihre Herrin habe vielleicht doch recht. Dergleichen ging über ihre Begriffe.

Eines Tages endlich hielt ein alter Kremser vor der Tür; und heraus stieg eine Nonne, die das gnädige Fräulein abzuholen kam. Felicitas hob das Gepäck auf das Wagenverdeck, trug dem Kutscher verschiedenes auf und packte sechs Töpfe mit eingemachten Früchten, ein Dutzend Birnen und einen Veilchenstrauß in den Sitzkasten.

Im letzten Augenblick begann Virginia heftig zu schluchzen. Sie umarmte die Mutter; und die küßte sie auf die Stirn und sagte mehrmals:

»Geh nun! Mut! Mut!«

Der Tritt wurde aufgeklappt; der Wagen fuhr ab.

Hinterher hatte Frau Aubain einen Ohnmachtsanfall, und am Abend kamen alle ihre Freunde, die Familie Lormeau, Frau Lechaptois, die Fräuleins Rochefeuille, Herr von Houppeville und Bourais, um sie zu trösten.

Die Trennung von ihrer Tochter war ihr anfangs sehr schmerzlich. Aber dreimal in der Woche kam ein Brief; und an den andern Tagen schrieb sie ihr, wandelte im Garten auf und ab, las ein wenig und füllte so die Leere der Stunden.

Aus Gewohnheit ging Felicitas am Morgen in Virginias Stube und starrte die Wände an. Es war ihr gräßlich, daß sie ihr nicht mehr das Haar zu kämmen, die Schuhe zu schnüren, sie zu Bett zu bringen hatte, und daß sie nicht mehr beständig ihr reizendes Gesicht sah, sie nicht mehr an der Hand hielt wie ehedem, wenn sie zusammen ausgingen. Um nicht müßig zu sein, versuchte sie zu klöppeln. Ihre Finger waren zu schwer und zerrissen das Garn. Sie taugte zu nichts mehr, hatte den Schlaf verloren; sie hatte, wie sie sich ausdrückte, einen »Knacks« bekommen.

Um sich zu »zerstreuen«, bat sie um die Erlaubnis, daß ihr Neffe Viktor sie besuchen dürfe.

Am Sonntag nach der Messe kam er, mit roten Backen, die Brust bloß, umweht vom Duft der Felder, durch die er gewandert war. Sofort deckte sie für ihn. Sie frühstückten, einander gegenübersitzend, und während sie selber möglichst wenig aß, um die Mehrausgabe wieder einzubringen, stopfte sie ihn dermaßen voll, daß er zuletzt einschlief. Beim ersten Schlag des Vesperläutens weckte sie ihn, bürstete ihm die Hosen, knüpfte ihm die Halsbinde und ging mit ihm, in einer Art Mutterstolz auf seinen Arm gestützt, zur Kirche.

Seine Eltern gaben ihm stets den Auftrag mit, ihr etwas abzuknöpfen, etwa ein Päckchen Zucker, oder Seife, Schnaps, manchmal sogar Geld. Er brachte seine Leibwäsche zum Ausbessern, und Felicitas besorgte diese Arbeit, froh darüber, daß ihn dies zum Wiederkommen veranlagte.

Im August nahm ihn sein Vater auf die Küstenfahrt mit.

Es waren gerade Ferien. Die Ankunft der Kinder tröstete sie. Aber Paul war launisch, und Virginia durfte nicht mehr geduzt werden, was ihrem Verkehr Zwang antat, eine Schranke zwischen sie setzte.

Viktor fuhr nacheinander nach Morlaix, nach Dünkirchen und nach Brighton. Jedesmal, wenn er zurückkam, brachte er ihr ein Geschenk mit: das erstemal ein Muschelkästchen, das zweitemal eine Kaffeetasse, das drittemal einen großen Pfefferkuchenmann. Er wurde hübsch, war gut gewachsen, bekam einen Anflug von Schnurrbart, hatte treuherzige offene Augen und trug ein Lederhütchen, das er wie ein Lotse im Nacken sitzen hatte. Er erzählte ihr ergötzliche Geschichten, die von seemännischen Ausdrücken wimmelten.

An einem Montag, am 12. Juli 1819 (sie vergaß das Datum ihr Lebelang nicht), teilte ihr Viktor mit, daß er für eine lange Fahrt geheuert sei und in der übernächsten Nacht mit dem Paketboot von Honfleur nach Le Havre zu seinem Schoner abgehen werde, der demnächst seine Reise antrete. Er werde etwa zwei Jahre ausbleiben.

Daß sie ihn so lange nicht sehen sollte, versetzte Felicitas in großen Kummer. Um ihm ein letztes Lebewohl zu sagen, zog sie am Mittwoch abend, nachdem die gnädige Frau gegessen hatte, ihre Überschuhe an und lief die drei Meilen von Pont-l'Évêque nach Honfleur.

Am Kalvarienberg wandte sie sich statt nach links nach rechts, verirrte sich in den Lagerplätzen und mußte umkehren. Leute, die sie fragte, sagten, sie solle sich beeilen. Sie ging rund um den Hafen mit seinen vielen Schiffen; stolperte über Taue. Dann senkte sich der Boden. Lichter schimmerten kunterbunt durcheinander; und als sie Pferde am Himmel hängen sah, glaubte sie verrückt geworden zu sein.

Am Rande des Hafendammes wieherten auch welche, erschreckt durch die See. Ein Kran hob sie in die Höhe und ließ sie in ein Schiff hinab, wo sich zwischen Obstweinfässern, Käsekörben, Getreidesäcken Fahrgäste drängten. Man hörte Hühner gackern. Der Kapitän fluchte; und ein Schiffsjunge lehnte am Ankerbalken, die Ellbogen aufgestützt, unbekümmert um all das. Felicitas, die ihn nicht gleich erkannt hatte, rief: »Viktor!« Er hob den Kopf; sie stürzte nach ihm hin – und im selben Augenblick ward die Brücke weggezogen.

Das Paketboot wurde von Frauen, die dabei sangen, aus dem Hafen getreidelt. Seine Rippen krachten; die schweren Wogen peitschten seinen Bug. Das Segel hatte sich gedreht. Man sah niemanden mehr… . Auf dem mondsilbrigen Meere schwamm ein schwarzer Fleck, der immer blasser ward, immer tiefer tauchte und schließlich verschwand.

Als Felicitas wieder am Kreuzberg vorüberkam, kam es ihr in den Sinn, ihn, den sie am meisten auf der Welt liebte, den lieben Gott anzuflehen. Lange stand sie da und betete, das Gesicht in Tränen gebadet, den Blick in den Wolken. Die Stadt schlief. Zollwächter wandelten auf und ab; und ohne Unterlaß, brausend wie ein Wildbach, stürzte das Wasser aus den Löchern der Schleusen. Es schlug zwei Uhr.

Das Sprechzimmer bei den Nonnen wurde vor Tagesanbruch nicht geöffnet. Ein längeres Ausbleiben wäre der gnädigen Frau sicherlich nicht recht, und so machte sie sich auf den Heimweg, trotz aller Sehnsucht, ihren Liebling zu umarmen. Die Mägde im Gasthofe standen eben auf, als sie in Pont-l'Évêque ankam.

Der arme Junge sollte also monatelang auf den Wellen treiben! Seine früheren Fahrten hatten sie nicht in Besorgnis versetzt. Aus England und der Bretagne kam man wieder; aber Amerika, die Kolonien, die Antillen, das lag in verlorenen Regionen am anderen Ende der Welt.

Fortan dachte Felicitas immer nur an ihren Neffen. Brannte die Sonne, so meinte sie, der Durst müsse ihn quälen; witterte es, so fürchtete sie, der Blitz könne ihn erschlagen. Wenn sie hörte, wie der Wind im Schornstein heulte und die Schiefer vom Dache losriß, sah sie ihn im selben Unwetter, hoch auf einem zerbrochenen Maste, ganz hintenübergestreckt, vom Gischt überflutet; oder er wurde – eine Erinnerung an das Geographiebuch mit den Kupferstichen! – von den Wilden gefressen, im Walde von Affen verschleppt, oder er verschmachtete an ödem Gestade. Aber niemals sprach sie von ihren Kümmernissen.

Frau Aubain hatte andre Sorgen: um ihre Tochter.

Die guten Schwestern fanden, sie sei lieb und gut, aber zart. Die geringste Erregung schadete ihr. Das Klavierspiel mußte sie aufgeben.

Die Mutter bekam vom Kloster regelmäßig Bericht. Als eines Morgens der Briefträger nicht gekommen war, geriet sie in Unruhe. Sie ging in der Großen Stube hin und her, immer von ihrem Großvaterstuhle bis zum Fenster. Es war unbegreiflich. Seit vier Tagen keine Nachricht!

Um sie durch Beispiel zu trösten, sagte Felicitas:

»Ich, gnädige Frau, ich habe nun sechs Monate keine!«

»Von wem denn? … «

Leise erwiderte die Magd:

»Nu … von meinem Neffen!«

»Ach, dein Neffe!«

Frau Aubain zuckte mit den Achseln und begann von neuem auf und ab zu gehen; was soviel heißen sollte wie: »Was schert mich der? An den denke ich gar nicht! Ein Schiffsjunge! Ein Strolch! Große Sache! Meine Tochter dagegen … Bedenke doch!«

Felicitas war an Roheit gewöhnt, aber das empörte sie. Und doch vergaß sie es wieder.

Es schien ihr ganz natürlich, daß man wegen der Kleinen den Kopf verlor.

Die beiden Kinder waren ihr gleich wert; mit beiden fühlte sie sich durch Herzensbande verbunden; beider Schicksal war auch das ihre.

Der Apotheker teilte ihr mit, daß Viktors Schiff in der Havanna angekommen sei. Er hatte die Nachricht in einer Zeitung gelesen.

Wegen der Zigarren stellte sie sich die Havanna als ein Land vor, wo man nichts tat als rauchen; und so dachte sie sich ihren Viktor in einer Tabakwolke unter Negern lustwandeln. Konnte man von dort im »Notfalle« auf dem Landwege zurück? Und wie weit war das von Pont l'Évêque? Um dies zu erfahren, wandte sie sich an Herrn Bourais.

Der holte seinen Atlas hervor, begann ihr zunächst den Begriff der Längengrade beizubringen, und wie er Felicitas höchlichst verdutzt sah, lächelte er fein schulmeisterlich. Schließlich zeigte er mit seinem Bleistift innerhalb der Umrisse eines länglichen Flecks auf einen schwarzen, kaum erkennbaren Punkt und sagte: »Da ist's!« Sie beugte sich über die Karte. Der angetuschte Wirrwarr von Strichen ermüdete ihre Augen, ohne ihr etwas zu sagen, und als Bourais sie fragte, was sie eigentlich möchte, bat sie ihn, er solle ihr das Haus zeigen, wo Viktor wohne. Bourais erhob die Arme, nieste und brach in ein Riesengelächter aus. Derartige Einfalt erregte seine Heiterkeit, während Felicitas nicht verstand, warum er lachte. Sie hatte vielleicht gar erwartet, das Bild ihres Neffen gezeigt zu bekommen. So beschränkt war ihr Verstand!

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06 aralık 2019
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