Kitabı oku: «Anton und Gerda», sayfa 3

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Abfuhr

Junge Mutter –? Selig betrübte –? Sieh doch diese Kampfbereite, geschlossenen Gesichts, mit kalten Augen! Sieh doch dies Mädchen, gefährlich, wehrhaft gegen den stärksten Mann, wie sie Arne einläßt, auf Anton zeigt: »Da! Wenn Sie mir nicht glauben, schaun Sie ihn an; packen Sie ’n auf und nehmen ihn mit nach Hause.«

»Von Nichtglauben kann nicht die Rede sein, aber –«

»Aber Sie wollten sich mit eigenen Augen überzeugen, und das nennt man eben Nichtglauben.«

»Bitte!« Statt einer Antwort feinfeine Geste, dann: »Also da bist du ja, alter Junge! Kater ausgeschlafen, was?«

Aber der Kranke rührt sich nicht.

Die Wirtin warnt: »Nicht so laut, junger Herr. Eben war der Arzt da, gab ein Schlafmittel. Er ist müde.«

»Der Teufel ist Ihr junger Herr. Ich bin auch müde und muß hier nach dem jungen Hunde rumrasen, um den die Alten schon wimmern. – Josaphat, sei nicht so schlapp, rapple dich auf, komm mit. In deiner Bude kannst du dich langlegen, soviel du willst.«

Lauter: »Josaphat, was sollen die alten Herrschaften denken?«

Aber der Kranke schweigt, sieht wie lächelnd in den tanzenden Lichtstrahl und spricht kein Wort.

»Na –«, und ein Achselzucken. »Was denken Sie sich eigentlich, Beste, was wird –?«

»Von mir aus!«

»Nee, nee, denken Sie nur nicht, daß ich hier einspringe. Schicken Sie man zu seinen Eltern und melden das Strandgut. Ich sage einfach, ich habe ihn nicht gefunden.«

»Dann erfahren die ja von mir, daß Sie ihn gefunden haben.«

»Was –?! Sie würden …?«

»Selbstredend.«

»Nein, hören Sie …«

Als die Kubschen eingriff: »Haben Sie sich doch nicht. Nehmen Sie seinen Vater beiseite und sagen Sie so und so und dies und das. Gott, der ist auch einmal jung gewesen!«

»Der –? Bestimmt nicht. Und wenn, hat er’s lange vergessen. Nein, nein, ausgeschlossen. Etwas Nettes hat sich das Unglückshuhn da eingebrockt …«

Als Gerda näher trat. Leise sagte sie’s, aber den Blick klar in dem seinen, der abirren wollte, aber festgehalten wurde: »Sie gehen jetzt, sage ich Ihnen. Wäre der Jo wach, er schämte sich meiner nicht, er sagte Ihnen die Wahrheit. Wer hat sich denn so? Sie – der wirklich gemein ist, der die gewöhnlichsten Mädchen ins Lokal schleppt, der immer zotet, Sie tun ja wahrhaftig, als fiele die Welt ein, weil das Kerlchen in meinem Bett liegt, und bloß, weil’s Tag ist und die andern davon erfahren könnten. Nein, nun gehen Sie und sagen seinen Eltern Bescheid, daß er hier ist. Was Sie ihnen vorlügen, ist mir egal, ich werde Sie nicht verraten. Aber wenn Sie nicht hingehen, dann schicke ich und dann sollen sie hören, wer ihn zu mir gebracht hat und lächerlich machen wollte mit seiner Keuschheit! Und … nun gehen Sie!«

»Aber … bitte … es war doch nicht so … wirklich …«

Jubelnd krähte der Kranke: »So ist es recht, Gerda! Gib es ihm! Gib es ihm tüchtig!«

»Bist du wach? Oh, wie geht es dir? Junge, was habe ich für Angst gehabt –!«

»Das ist recht, Josaphat, daß du wieder zu Verstand kommst. Und nun –«

»Sind Sie noch nicht fort? Sind Sie … Da geht er hin. Neugierig bin ich nun doch, ob er zu deinen Alten … Was hast du? Was ist dir, Liebes?«

Der Kranke beugt sich vor, das Hemd klafft, zeigt die kranke bläuliche Haut über der mageren Brust, an den Schläfen kleben die durchschwitzten Haare, Schweiß steht in vielen feinen Tröpfchen auf seiner Stirn, aber langsam und deutlich spricht er: »Falsch hast du mich gerühmt … Auch ich habe mich deiner geschämt, heute Nacht … darum …«

Es ist still. Zeit geht langsam, unerträglich, tropft, tropft unendlich langsam, tropft …

Und die vielen guten Worte, die Gerda nach einer Weile sagen kann, hört er nicht mehr, er singt: »Sie wissen den Teufel, was Freiheit heißt –!«

Kleines Gewitter

Eine Uhr schlägt zwölf, eine Tür fliegt auf, und in ihrem Rahmen zögert die kleine Dicke, sieht scheu um sich, wird vorgestoßen, und ihr nach kommt mit Gesten, gesträubten Bartes, rutschenden Klemmers, voll Schweiß, Professor Färber. »Ich traue meinen Ohren nicht, was mir da der junge Freund meines Sohnes sagt … Und hier … hier …«

Du am Ofen, du, Gerda, siehst die Eltern nicht, siehst nur den Feind, der auf Raub geht. Wie böse wirst du sein? Wann hast du die Verachtung dieser erlernt mit der ganzen, nichts ersparenden Schmerzgierde des jungen Herzens, dich gegen sie gewehrt, als du erkanntest, wie feige sie war und wie unaufrichtig –? Und wann war es, daß du dich mit ihr abfandest –? Damals glaubtest du nun das Recht erworben, gegen alle böse zu sein, dich gegen alle zu behaupten, mit welcher Waffe auch … Und nun, da du einen liebst, liebst, liebst, glaubst du dies Recht noch erweitert? Gegen einen weich sein und alle andern hassen, alle, nicht wahr?

Ah, du bist auf dem Lande groß geworden, in der Gemeinschaft stiller Tiere, stiller Gewächse –: eine Zeit muß in deinem Leben gewesen sein, da du an Güte gegen alle glaubtest. Und so leicht schien sie. Schon die Tiere … o schweige doch! Damals! Damals!

Des Professors Augen sitzen auf Stielen, die Blicke schießen vor, fliehen wie in Angst, an der schlüpfrigen Sünde des Raums hängenzubleiben. Aber die Mutter hat das Kind entdeckt, sie eilt darauf zu, ruft: »Er ist wirklich krank, Altchen! Sieh doch –«

»Ist er krank? So bestraft sich Sünde. Sofort. Gott läßt seiner nicht spotten. – Aber Sie, mein Fräulein, – oder Frau? Ich weiß wirklich nicht –«

»Ich auch nicht.«

»Wie –? Wie –?!«

»Nein!«

»Nein? Was nein –?!«

Ruft die Mutter: »Komm doch, Altchen! Der arme Junge …«

Und frisch angefeuert legt der Vater los: »Armer Junge –? Sei so gut! Mitleid hieße Sünde. Doch Sie … wissen Sie, daß Sie sich der Verführung eines Minderjährigen schuldig gemacht haben? Der Junge ist erst siebzehn Jahr! Ich werde Sie bei der Staatsanwaltschaft anzeigen.«

»Bitte! Wenn es Ihnen Spaß macht. Die Herren, die mit mir kommen, zeigen ja im allgemeinen nicht ihren Taufschein vor.«

»Und Sie da, Frau –«

»Kubsch.«

»Kubsch, also Kubsch … Übrigens ich hatte einen Schüler Kubsch, warten Sie, 1908, Untertertia, faul, phlegmatisch, ständig ut mit dem Indikativ …«

»Das war mein Sohn.«

Triumphierend: »Also! Da ist ja alles klar!« Wieder in frischem Feuer: »Sie dulden das in Ihrer Wohnung –? Solche … Aber das ist Kuppelei, und auf Kuppelei steht Zuchthaus. Ich werde Sie …«

»… bei der Staatsanwaltschaft anzeigen.«

Herumfahrend: »Wie –? Wie denn? Sie erlauben sich …? Sie …«

»… werden Sie auch anzeigen.«

»Frech wird das noch! Aber Sie sollen etwas erleben! Ich werde mit Ihnen allen abrechnen. – Alma! Was wird nun? Alma!«

»Herr Professor, ich möchte auch abrechnen. Zwei Flaschen Sekt und eine Nacht habe ich noch bei Ihnen gut.«

»Aber das ist das Ende! Das ist Sodom und Gomorrha! Was fällt Ihnen denn ein! Wissen Sie, wer ich bin?«

»Ich sehe es.«

»Sie … freilich mit solchem Pack sollte man sich gar nicht erst … Alma! Alma!! Warum steht denn der Junge nicht auf? Es ist …«

»Aber er kann doch nicht!«

»Kann nicht? Gibt es nicht. Muß können.« An das Bett tretend, rein väterlich, wenn auch mit angemessner Strenge im Ton: »Anton! Besinne dich, wo du bist. Was hast du getan? Wie konntest du dich so weit vergessen –? Anton!«

Als im Kranken eine Feder einzuschnappen scheint. Er richtet sich halb auf, macht eine große Geste und beginnt schallend: »Ahnst du voll Wonne, was uns am Pippusbogen winkt, während die Sonne …«

Und die Jungenstimme erhebt sich höher, mit geschlossenen Augen liegt er da, die Stirne gefaltet, aber er vollendet: »… Venus, die Fee, um, segnet die Nacht.«

»Nun, wir sind ja sehr fidel heute, junger Freund! – Ah Pardon! Ich bin der Arzt. Wehrfritz.«

»Und ich der Vater … Ich meine: Professor Färber … dies meine Frau …«

»Vom hiesigen Gymnasium?«

»Ich habe die Ehre, dem hiesigen Lehrkörper bereits dreißig Jahre anzugehören. Und wenn ich mich recht erinnere, war auch ein Sohn von Ihnen …«

»Stimmt! So, und jetzt möchten Sie Ihren Knaben natürlich gern nach Haus haben?«

Der Vater flüsternd: »Sie verstehen. Diese Schande. Aber der Junge hört ja nicht, will nicht aufstehen. Scheint vollkommen betrunken. Auch nur so kann ich mir erklären, daß er –«

Wird abgeschnitten: »Jaja. Aufstehn ist natürlich Unsinn. Im Krankenwagen ginge vielleicht … Und, Gerda, sag mal, Mädelchen, hat er immer so gesungen, seit ich da war heute früh?«

Sie lächelt. Plötzlich ist sie eine andere, eine ganz andere wie die Herausfordernde, Freche, Beleidigende von vorhin. Gott, ein Mädelchen ist sie wirklich nun, ein Kind, anschmiegsam, sanft, ein Gewächs und so gut –!

Aber der Vater protestiert: »Krankenwagen? Aber das geht doch nicht, Herr Doktor! Die Leute sammeln sich auf der Straße, und in einer Stunde weiß die halbe Stadt, wo mein Sohn –«

»Bitte!« Und sanft, aus seinem Gottvaterbart zu Gerda: »Und die Temperatur vons Kind?«

»Immer noch vierzig.«

»Aber Sie müssen mich anhören, Herr Doktor. Der Krankenwagen –«

»Ich bin für den Kranken hier, nicht für Sie. Wenn Sie ihn nicht transportieren wollen, lassen Sie ihn hier. Ein drittes gibt es nicht.«

»Aber –«

»Bitte!« Der Riesenarm des Alten fährt durch die Luft, und das Männlein fällt zurück, schnappend, erledigt. Dann aber faucht es: »Ja, dann freilich! Ich verstehe schon.«

Sanft fragt der Arzt: »Was denn? Was verstehen Sie –?«

»Oh, wir wollen nicht davon reden. Aber es ist ja bekannt, nicht wahr?« Und rasch und leise: »Sie reden diese – Dame mit du an?«

»Herr! Was unterstehen Sie sich –! Wie können Sie es wagen, mir mit solchem Guano zu kommen! Nicht der Verdacht ist mir eklig, aber weil es Ihr Verdacht ist, Ihr feiger, schmieriger Zelotenverdacht, darum! Und weil ich Ihnen schon längst einmal meine Meinung sagen wollte, darum!«

»Wissen Sie, wer ich bin! Ich bin der –«

»Ruhe«, brüllt der Alte, »jetzt rede ich und jetzt hören Sie zu! Wer Sie sind, sagen Sie? Ein für Lebenszeit sitzengebliebener Untersekundaner sind Sie! Bis zum Xenophon kommen Sie, bis Bellum Catilinae, Sallust, bis Vergil. Und kommen nie weiter. Da haben Ihre Gedanken, Ihre Ansichten aufgehört und mit fünfundfünfzig sind Sie noch immer fünfzehn! Sehen Sie sich doch im Spiegel! Auch körperlich ein überarbeiteter, blutarmer Jüngling. Nicht einmal einen ordentlichen Bart haben Sie! Und Sie wollen richten! Sie wollen Anspielungen machen! Sie wollen ein Mädel anschmieren, das zehnmal soviel durchgemacht und ertragen hat wie Sie, der durch Standesvorrechte und Denkunvermögen vom ganzen Leben fernblieb?«

»Weil Ihr Sohn sitzengeblieben ist …«

»Ja, weil mein Sohn sitzengeblieben ist! Aber jetzt gehen Sie, denn nun schimpfe ich nur noch, und was Sie hören sollten, haben Sie gehört! Ihnen hilft es freilich nicht, aber mir hat es geholfen, Sie Auskehricht, unnützer, Sie Arschpauker, Sie –«

»Alma, wir gehen! Ich befehle dir …«

»Ab! Und Ihren Sohn lassen Sie durch das Krankenauto holen, sonst bekommen Sie ihn nicht.«

»Alma!«

Aber die Frau fragt den Arzt: »Ist es sehr schlimm?«

»So lange ist es nie sehr schlimm. Pflegen Sie ihn nur gut. Und keine Vorwürfe, keine Ermahnungen. Wahrscheinlich wird er diese ganze Geschichte vergessen haben, wenn er zur Besinnung kommt. Ihr Arzt soll mich anrufen. Empfehle mich, gnädige Frau.«

Und ihr nachschauend: »Auch so eine Pute, der man alles in den Mund schmieren muß. Dumm sind diese Weiber … Na!«

»Wird er wirklich alles vergessen?«

»Wenn ich es doch sage, Gerdakind! Ruhe ist wichtig, nicht? Und Eltern können so nölen, so schrecklich nölen, was? Ich bin selbst Vater. Adieu auch.«

Mutter und Sohn

»Fortschleichen? Feige Flucht? Oh, nur Erdientes wird Verdienst; ich habe Klagen und Abwehr zu ertragen, aber sprechen muß ich, den Eltern sagen, daß ich nicht will. Freilich –«

Anton springt auf, die Decke gleitet zur Erde. »Verdammtes Herz! Es gibt kein freilich. Ich sage es ihnen, sage sofort …« Und wendet sich ängstlich horchend: »Herein! – Ja Mama?«

»Du läufst schon wieder herum, Anton, und der Arzt hat doch gesagt, du sollst dich noch schonen.«

»Verzeih, es geschah in Gedanken. Ich setze mich schon.«

»Ja, und das Denken! Papa hat dir so viele gute Bücher hin gelegt, aber nie liest du darin. Immer sitzt du und grübelst. Und das viele Grübeln ist auch ungesund.«

»Neinnein, natürlich werde ich lesen. Laß sehen –«

»Wart, ich hole sie dir. Bleib doch, ich kann ja so gut –«

»Nein, Mama, wirklich. Du sollst nicht –«

»Hier, Junge. Und dies schenke ich dir. Ich habe es dir gekauft. Es ist eine Sonderausgabe, vom Buch Ruth. Ich weiß ja nicht, ob es noch dein Geschmack –«

»Das Buch Ruth, Mutti –? Nein, höre einmal …«

»Lies es mir zuliebe, Tonerl, ich bitte dich –«

Und plötzlich wirft er den Kopf auf den Tisch – helles Verwundern steigt in ihm auf: was tue ich denn? –, wirft den Kopf auf den Tisch und weint los, laut, schluchzend, wie er als Kind geweint, ein bißchen klagend, ein bißchen wimmernd, mit vielen Vokalen. Weiß das alles, tut’s weiter, fühlt sich erlöst, und schon liegt der Kopf der Mutter neben dem seinen, ihre Haare kitzeln ein wenig, stören ein bißchen, aber nun geht ihr Schluchzen neben dem seinen, sie fühlen nicht, wessen Tränen die Wangen feuchten, die deinen, die meinen: sie weinen.

»Das ist das Leben, Junge, das Leben. Aber es wird wieder gut, glaube mir.«

»Nein … nein …«

Und steht plötzlich. Noch laufen die Tränen über sein Gesicht, das böse ist. »Geh, geh, sage ich dir. Nicht so. Ich will nicht weinen. Ich darf nicht – so mit dir weinen.«

»Was hast du? Bist du böse auf mich?«

»Nein, nicht auf dich. Auf mich. Geh, ich bitte dich.«

»So weit wären wir also nun: Heuchler. Mit der Mutter geweint, die an Reue glaubt! Und grade beschlossen, zu ihnen zu gehen und zu sagen –!«

»Und doch! Doch! Ich bin ehrlich gewesen, als ich beschloß, ehrlich, als ich weinte. Nein, nicht aus Reue geweint. Sondern weil ich weiß, daß ich ihr Schmerzen mache, größere noch, nun, wenn ich von ihnen gehe zu jener und all dieses lasse, alles …

Mach es dir klar, Anton, alles! Keine Bücher mehr und gestorben für die, mit denen du aufwuchst. Ein Dasein wie Kinofilm, Außendinge nur, und was dem blöden Erleben allein Sinn gibt, ist die Liebe, an die wir glauben müssen. Freilich …

Wie das winkt! Wie sie lockt, jene kleine Wartende dort hinten; das Gefühl, ein Menschenantlitz ganz zu eigen zu haben, sich fortschenken, ewig und immer empfangen … Und das Gefühl, dies kommt einmal und nie, nie wieder …«

»Aber warum stehe ich hier? Denke tausendmal Durchdachtes? Warum spreche ich nicht mit den Eltern und eile fort zu ihr, die wartet? Warum nicht? Ist nicht alles beschlossen –?«

»Ah, beschlossen wohl, aber noch wartet das Herz, zögert, hofft immer noch, Äußerstes bliebe erspart, wartet … O ich kann nicht! Ich will und kann nicht! Ich wage nicht. Und es wird zu spät sein, bald schon zu spät … und ich warte …«

»Hier ist dein Frühstück, Tonerl. Iß das Ei nur gleich; es wird grade sein, wie du’s magst.«

»Danke schön, Mutti. Und was macht Papa?«

»Er läßt grüßen. Ach, er hat so viel Ärger mit der neuen Klasse!«

»So? Aber ich denke, da ist doch Kunkel drin und Beggerow und Peuß –«

»Grade der Peuß, der ist der Schlimmste! Treibt sich am hellen Tage mit Mädchen rum. Papa hat ihn selber gesehen. Und –«

»Glaubst du, Mama, daß es viel Zweck hat, wenn du mir so was erzählst?«

»O sei nicht böse, Jung. Nein, natürlich. Ich habe vergessen … Sieh nur, wie schön heute die Sonne scheint. Bald kannst du nun auch wieder –«

»Ja, ja, schon gut! Laß nur. Aber … das muß ich sagen, tun braucht ihr nicht so, als sei ich ein Schwerkranker. Als Gesunder habe ich das getan! Als Gesunder! Und das Beste war es und das Schönste –. Und daß ihr da so duckerich herumschleicht, mit Getu und halben Worten, das ist gemein von euch! Das ist …«

»Aber setz dich doch, Tonerl! Setz dich hin. Siehst du, nun hat es dich wieder, nun weinst du schon wieder. Wie dumm von mir, dich so aufzuregen! So, die Decke schön über die Knie. Es zieht immer noch kalt herein. Papa wird schön schelten, wenn er hört, was ich da angerichtet habe! Hast du auch ein Taschentuch! Warte, ich hole ein frisches, dies ist nicht mehr gut. Ja, sehr krank bist du gewesen, das wirkt nach. Lange. Aber dann auf einmal bist du wieder froh, dann ist es der Lebensmut …«.

»Ja, laß schon, Mama. Und du hast gehört, was ich gesagt habe: das Beste und Schönste … Übrigens ist es ein Ekel, davon zu reden. Dann wird alles Kitsch.«

»Ein schlechtes Mädchen ist das gewesen. Ein ganz schlechtes!«

»Ja … ja …«

»Und Papa hat sich auch nach ihr erkundigt: soviel Liebhaber wie die … verführt hat sie dich!«

»Bitte, Mama.«

»Und auch der Arzt da – aber das weißt du nicht mehr, da warst du zu krank –, das war ein Kerl, wie gemein der geredet hat –«

»Doch, ich erinnere mich; einen langen Gottvaterbart, nicht?«

»Der mit seinen grauen Zotteln … und der Kellner in dem Lokal, den hält sie aus … und mit dem andern Mädchen da, einer Rothaarigen … man kann es ja gar nicht sagen; daß es so etwas gibt …! Immer heißt es, wir haben eine Polizei, aber für solche …«

»Willst du nicht lieber von etwas anderm reden?«

»Aber sagen mußte ich dir es doch einmal, Tonerl, es drückte mir das Herz ab, daß mein reiner Junge mit so einer …«

»Also …«

»Und wenn du nicht krank gewesen wärst …, aber so etwas wittern die sofort … und dann sind sie hinterher wie die …«

»Ich lese jetzt, Mama.«

»Das ist recht. Und bitte, Tonerl, lies jetzt in der Bibel, es sieht gut aus …«

»Warum soll es gut aussehen?«

»Und es tut dir auch gut. Es kommt nämlich Besuch.«

»Aber ich will keinen Besuch!«

»Doch, dieser freut dich gewiß. Onkel Otto kommt nämlich. Auf der Durchreise –«

»Onkel Otto? Und so ganz zufällig –?«

»Ja, denke dir. In Berlin ist Missionsversammlung, und weil der Umweg über Rostock ja nur klein ist …«

»Auf der Durchreise –?«

»Ja, und da will er dir zuliebe … er möchte gern mit dir sprechen –«

»Mama, das hättet ihr euch nun wirklich schenken können.«

»Nein, ich weiß, du wirst dich freuen. Und Papa war auch so dafür.«

»Übrigens ist es egal. Tut, was ihr wollt. Raus kommt doch nichts dabei. – Ich lese jetzt, Mama. Die Bibel für den Onkel Superintendent.«

Onkel Otto

Krachend versank der Onkel in einem Korbsessel, schwoll violett an, räusperte sich und begann: »Heiß haben wir’s.«

»Achtzehn Grad.«

»Réaumur?«

»Nein, Celsius.«

»Das ist eigentlich nicht so viel.«

»Nein eigentlich nicht.«

»Ich dachte, daß wir es wärmer hätten.«

»Ja.«

Und der andere stöhnend: »Für einen Frühlingstag ist es schließlich warm genug.«

Nein, es war nicht nur die Abneigung des Mageren gegen den fett Gedunsenen, die den Neffen packte, mehr noch erzürnt war er über diesen, der mit ödem Dreckseich daherkam, fest überzeugt, seine Anwesenheit genüge schon, alles zu schlichten. ›Wie er in den Sessel hineinplatzt, wird er in meine Innerlichkeiten hineinfahren, mit einem öden Schema bewaffnet, das ihm das einzig gültige ist, an dem Zweifel schon verdammenswert. – Und ich bin schwach gegen ihn. Zu sehr habe ich ihn früher bewundert, wenn er auf dem Hofe wirtschaftete, ein widerspenstiges Pferd zuritt, Erntefuder auf die Tenne schob, Säcke zum Boden trug. Wie sanft konnte er sein, dieser Fette, zu einer kalbenden Kuh, zu einem halb ertrunkenen Gössel, fast zärtlich sind diese Wurstfinger, wenn sie den losgerissenen Obstbaum am Pfahle anbinden. Ja, ein Bauer ist er, ein tüchtiger, und fast wehrlos macht es mich, daß ich ihm damals so viel Recht in mir gab. Aber nur daran will ich denken, daß er mir heute als Quäler kommt, mich noch mehr zu schwächen … und ich dulde es nicht …‹

»Nein, ich rauche nicht.«

»Wie du denkst. Eigentlich bist du schon in dem Alter, daß du mal rauchen kannst.«

»Nein, danke.«

»Ach natürlich, deine Lungenentzündung. Das ist vernünftig.«

Wütend: »Nein, nicht so. Bitte, gib mir eine.«

»Wirklich? Wie du willst. Genug sind da für uns beide. Und wenn sie alle sind –«

»… kaufen wir neue. Das kennen wir schon. Aber wovon?«

»Wovon –? Na, du bist gut! Vom Gelde.«

»Freilich, vom Gelde. Aber von welchem Gelde –?«

»Welchem Gelde –?«

»Ja, welchem Gelde –?!«

»Das muß man dir lassen, du kannst fragen.« Der Dicke sann. Ja, wirklich, er dachte nach, das Gesicht veränderte sich, das schweinisch Gedankenlose fiel ab; dieses Gesicht zerlegte sich, gliederte sich, Sinn bekam jede Falte, etwas ein wenig Hilfloses und Bestürztes erschien, zugleich eine Hartnäckigkeit, die Vertrauen erweckte.

›Muß ich auch hier noch zweifeln?‹ fragte sich der Junge. ›Vielleicht war mein Urteil vorschnell, vielleicht ist er ein ganz anderer, wie ich meine? Dürfte ich ihn doch verachten, uneingeschränkt, wie viel leichter … Verachten? Nun werde ich wohl niemand mehr verachten dürfen, fragte ich das nicht einmal? Neinnein, ich will nicht mehr, alles zerfällt, ich entgleite …‹

Der andere schien sich zurechtgefunden zu haben. »Ach, so meinst du das! Aber mein Superintendentengehalt spielt wirklich kaum eine Rolle. Die Hauptsache ist der Hof, und da arbeite ich.«

»Aber das andere nimmst du doch und, vor allem, bist du!«

»Freilich! Doch woher weißt du, daß es Schwindel ist –?«

(›Au fein! Sieh da! Dumm ist der gar nicht!‹)

»Ich glaube nicht, daß ich etwas von Schwindel gesagt habe.«

»Aber wenn du solche Diskussion nicht wünschest, solltest du dich nicht so weit vorwagen, lieber Neffe. Also –?«

»Gut denn, ich habe es gedacht.«

»Na schön. – Sieh mal, es ist natürlich ausgeschlossen, daß ich dir jetzt in einer halben Stunde meine ganze Entwicklung erzähle, und außerdem: so was glaubt sich erst, wenn man es sieht. Und da denke ich, du wirst nächstens mal ein paar Wochen zu Besuch zu uns herauskommen, schaust du dir das am besten einmal an. Du hast doch keine Bedenken, mich zu besuchen?«

»Nei … n. Nein.«

»Das beruhigt. Schön. Aber was ich sagen wollte … laß dir da nur einmal eine kleine Geschichte erzählen, die ich kürzlich erlebt habe. Ist da eine Landarztfrau bei uns, halb Dutzend Gören, er natürlich ganz Darwinist, Haeckelmann, und sie brav in seinem Fahrwasser. Schön, wie das so kommt, der Mann macht dumme Geschichten, verplempert sich irgendwie, schießt sich tot. Und zwei Tage darauf ist die Frau bei mir, sagt: ›Herr Superintendent, so und so, als ich klein war, da hatte ich meinen Glauben, und als dann mein Mann kam, hatte ich seinen Glauben, und das war schön, aber nun, so ganz allein, möchte ich wieder zu Gott heimfinden, es ist doch leichter!‹ Siehst du, da hast du …«

»Aber, aber …«, unterbrach ihn Anton erregt, »das ist ja gemein! Diese Schamlosigkeit! Das wechselt man doch nicht wie Wäsche!«

»Diese Schamlosigkeit, lieber Junge, ist eigentlich der einzige Trost auf der Welt. Daß wir nämlichen den Glauben wechseln können und immer neu hoffen. Sonst –«

»Aber doch nicht so! Das ist doch …«

»Aber das steht augenblicklich gar nicht in Frage. Sondern darum handelt es sich, daß für diese Frau und für tausend andere Menschen jemand da ist, der ihnen hilft. Und wenn er nun selbst mit einer Lüge hilft, er hilft doch!« Plötzlich war da das trübe Gesicht, das vor Antons Blicken verschwamm, wieder ein ganz anderes geworden; ein scharfes, ein junges Gesicht, mit entzückenden Spottfältchen um die Augen, lächelte zart, fragte leis: »Hast du nie einen Menschen aus Liebe belogen, um ihm zu helfen –?«

Anton schwieg, aber in ihm schrie’s: ›Eben erst! Eben erst die Mama. Daß ich mit ihr weinte …‹

Und der Onkel, als hätte er gar keine Antwort erwartet, fuhr ruhig fort: »Also sieh mal, selbst gesetzt den Fall, ich löge, was ganz und gar unrichtig ist, wäre auch das noch nicht einmal so schlimm, sondern vielleicht gar von dir zu entschuldigen. Also – kann ich und darfst du in aller Ruhe diese Virginia rauchen, selbst wenn sie von meinem Gehalt gekauft ist.«

Wozu der Onkel fidel und aufgeräumt lächelte, plötzlich wieder der dicke Geistliche. Aber nun verlor Anton den Kopf; dieses Parlamentieren, diese Vorreden hatten ihn ermüdet, seine Aufmerksamkeit abgelenkt, die Angriffstimmung gebrochen, ihn selbst zu einer Verteidigung unfähig gemacht. Und in der Furcht, bei längerem Zuwarten könnten seine Nerven ihn ganz im Stich lassen: »Das ist alles ja ganz schön und gut, aber – wollen wir nicht endlich zum Thema kommen?!«

Onkel Otto glotzte. »Zum Thema?«

»Freilich zum Thema! Denn du willst mir doch wohl nicht einreden, daß du die Reise von Martensdorf nach Rostock gemacht hast, mich davon zu überzeugen, daß du ein – religiöser Seelenhirt bist?«

»Und was sollte denn unser Thema sein? Etwa?«

»Ach Onkel –!« Nun gaben die Nerven wirklich nach, Anton fühlte mit Entsetzen, wie sich alles in ihm entspannte, wie die Tränen in der Kehle würgten, daß er in fünf Minuten schon allem ja sagen würde, nur um allein zu sein … »Soll ich dich wirklich erst in Gang bringen? Habe etwas Mitleid! Mit meinen Nerven …«

»Aber ich weiß wirklich nicht …«

»Schon gut! Schon gut! Dann eben nicht! Aber ich mache dich darauf aufmerksam, Onkel …« (›O wie häßlich schreie ich! Ich darf doch nicht so abscheulich kreischen!‹) »Ich mache dich darauf aufmerksam, daß ich beim ersten Worte über Gerda das Zimmer verlassen werde und …«

»Gerda! Welche Gerda –?«

»Welche Gerda! Tue doch nicht, als seist du vom Monde! Aber ich komme nicht wieder! Ich komme nicht wieder! Bestimmt nie!«

Und da war das Weinen da, würgte in der Kehle, schnellte die Schultern hoch, krümmte den Leib, aber dieser Wutteufel raste weiter in ihm, zwang ihn zu wilden Gebärden, zwischen Schluchzern hervorgeschnellten Ausrufen: »Wie ihr mich alle elendet! Laßt mich doch in Ruhe! Ich mag dies nicht mehr. Ich will …« Und er weinte, floß aus darin, schwemmte fort und hörte doch so gierig auf die ruhig behutsame Stimme des andern, der da leise auf und ab ging und gar nicht zu ihm zu sprechen schien.

»So ist das! Aber es ist zum Bangewerden. Hat man sich geschnitten, so wird die Wunde verbunden und das Glied geschont, hat man aber in seiner Seele eine Wunde, so sticht alles hinein. Das heißt, es scheint nur so, aber es ist gleichgültig, ob es so ist oder scheint: weh tut es allemal. Wenn wir nicht ganz mit uns im Gleichgewicht sind, wenn da eine schwache Stelle in uns ist, so fällt alles Erleben auf diese Stelle und vergrößert den Schmerz. Und ein Wunder bleibt es, daß so eine Stelle je wieder ausheilt, aber das tut sie, wie ist nicht zu erklären, eines Tages ist sie heil …«

Der Dicke hielt inne, wandte sich zum Fenster, und nun sprach er, schien’s, zu dem Blütenast draußen: »Jedenfalls kann ich dir die Versicherung geben, daß ich von einer Gerda nichts weiß. Deine Eltern haben mir geschrieben, dir ginge es schlecht, du seiest krank gewesen, auf eine schriftliche Einladung würdest du doch nicht reagieren, ich möchte kommen und dir zureden. Das ist alles. Da liegt der Brief der Eltern, überzeuge dich selbst. Nein, bitte, ich weiß, was in solcher Lage Mißtrauen tun kann. Freilich kannst du sagen, der Brief sei zugerichtet und ich eben mündlich instruiert. Aber was hätte es denn für einen Zweck, mich zu instruieren, wenn ich doch nicht über das Thema reden will? Und ich will nicht. Vielleicht, daß du einmal willst, dann bin ich natürlich bereit. Jedenfalls habe ich deine Zusage für Martensdorf. Was meinst du zu Montag? Na schön. Und nun mach dich zum Essen zurecht; wir essen doch gemeinsam?«

Der Onkel ging. Doch in der Tür drehte er noch einmal um und sagte, nebenbei: »Vielleicht denkst du einmal daran: ›Es ist doch leichter so!‹ Was –?«

Da wußte er die Antwort: »Aber es soll nicht leichter sein!«

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