Kitabı oku: «Hans Fallada: Damals bei uns daheim – Band 187e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski», sayfa 2

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Mein Onkel sah kurzsichtig auf den Krug, seinem Auge tat das sanfte Blau wohl, er sagte: „Drei Taler, Kötz! Schaffen Sie ihn nur in meine Wohnung!“ und ging an seine Dienstgeschäfte.

Wie aber ward ihm, als dem Heimkehrenden mittags sein Weib in einem Zustand völliger Auflösung entgegentrat! Die ganze Wohnung war von dem erstandenen Service überschwemmt. Es gab keine Stelle, wo es nicht sanftblau zuging, wo nicht weiße Gestalten in strengem Faltenwurf wandelten. Mein Onkel hatte gemeint, einen Krug erstanden zu haben, er hatte eine Töpferei gekauft. Eine Ausgabe zieht die andere nach sich: ein ungeheurer Eichenschrank musste angefertigt werden, um diese Geschirrflut zu bändigen. Bis er fertig war, führten Onkel und Tante nur ein bedrängtes Leben in ihrem Heim.

Nach dem Tode des Onkels kam dieses Geschirr auf dem Wege der Erbschaft in unsere Familie mitsamt dem riesigen Eichenschrank, der nach meines Vaters Ausspruch jeden Gedanken an Umziehen unmöglich machte. Er sei eine weitläufige Burg, kein Schrank. Selbst Berliner Möbelleute seien ihm nicht gewachsen...

Es war übrigens die einzige Erbschaft, die uns der Onkel in Aurich vermachte, daher führt er bei uns den Beinamen „Der Familientäuscher“! Er, der nämlich Mitte der Dreißiger schon Witwer geworden war, schrieb uns zu jedem Geburtstage, zu jedem Weihnachtsfest: „Was soll ich euch schenken? Ihr erbt ja doch einmal alles!“ Nachdem er aber fast vierzig Jahre im Witwerstand verharrt hatte, nahm er mit zweiundsiebzig Jahren ein junges Weib, dem er bald all sein irdisch Hab und Gut hinterließ, dieser Familientäuscher, der!

Aber wenigstens das Geschirr sandte uns die angeheiratete, unbekannte Tante, und dies wahrscheinlich auch nur, weil es ihr in seiner Überfülle lästig war, trotzdem nun schon manches Stück in den Händen der Abwaschenden das Zeitliche gesegnet hatte! Für vierzig Personen reichte es aber noch gut, und es machte sich wahrhaftig prächtig auf der von Gläsern funkelnden, von Neusilber-Leihbestecken blitzenden Tafel. Ihrer Gewohnheit nach warf Mutter noch einen Blick auf den Festtisch, kurz ehe die Gäste kamen. Es war alles in bester Ordnung, und zwar viel schöner als das Porzellanweiß bei den Kollegen. Dann verschwand Mutter nach der Küche hin, um die letzten Anweisungen für die große Saalschlacht zu geben.

Jetzt war der Augenblick für meine Schwester Fiete (von Frieda) gekommen. Ein Kompottschüsselchen Blaubeeren in der Hand, schlich sie in den Speisesaal, an die Tafel und...

Ja, was tat sie nun eigentlich? Wie gesagt, sie hat es erst Jahre später gestanden, und hat uns auch erklärt, warum sie es tat. Aber damals erschien alles ganz rätselhaft und beinahe verbrecherisch...

Meine Schwester Fiete war ein seltsames Kind. Meistens still und fast pomadig, war sie doch der lebhaftesten Zornesausbrüche fähig, besonders wenn man an „ihre Sachen“ ging. Geschwister haben leicht eine etwas kommunistische Art, mit den Sachen ihrer Brüder und Schwestern umzugehen, bei Fiete war so etwas nicht empfehlenswert. Sie konnte dann in den unsinnigsten Zorn geraten. Ich erinnere mich noch sehr wohl, wie Fiete lauthals weinend ihre eigene Lieblingspuppe zertrampelte, bloß weil unsere älteste Schwester Itzenplitz – von Elisabeth – ihr einen Kuss gegeben hatte!

Wie musste es also ein so veranlagtes Kind beunruhigen, dass meine Mutter, neben der sie bei Tisch saß, ständig „ihren“ Löffel zum Kosten benutzte! Fiete war nämlich ausgesprochen kiesätig beim Essen. Immer hatte sie etwas auszusetzen, mal war ihr etwas zu salzig, mal zu süß, mal zu sauer, mal zu heiß, mal zu kalt, mal schmeckte es nach gar nichts. Es gab kein Essen, an dem Fiete nicht etwas auszusetzen gehabt hätte. Ich höre noch ihre hohe, gleichmäßig nörgelnde Stimme im Ohr, da ich dies schreibe, sie fing sofort damit an, sobald sie nur den ersten Löffelvoll im Munde hatte.

Dann nahm ihr Mutter einfach den Löffel aus der Hand, kostete von ihrem Teller und sagte gleichgültig: „Es ist alles in schönster Ordnung, Fiete. Du bist nur mal wieder kaufaul!“

Hundertmal hatte Fiete darauf die Mutter gebeten, doch den eigenen Löffel zum Kosten zu benutzen. Es half nichts, so hartnäckig wie Fiete meckerte, so hartnäckig nahm Mutter ihren Löffel, nicht als Strafe, aus reiner Gewohnheit, weil sie auch schon längst nicht mehr auf das hörte, was Fiete vorbrachte.

Aber nun war Fiete zu einem großen Rachewerk entschlossen...

Eilig huscht sie um den Tisch. Bei jedem Gedeck bleibt sie stehen, nimmt Löffel für Löffel und zieht ihn sorgsam durch den Mund. Damit aber nicht nur in ihr das Gefühl, sich gerächt zu haben, lebe, nimmt sie ab und zu einen Mundvoll Blaubeerenkompott – die Großen sollen schon sehen, wie das ist, wenn man die Sachen der Kinder missachtet!

Fiete hat ihr Werk vollendet. Sie steht noch einen Augenblick da und mustert es. Der Tisch sieht für ein prüfendes Auge nicht mehr ganz so schön aus wie vordem, alle Löffel tragen bläuliche und schwärzliche Spuren. Fiete hat das Gefühl, sie müsse noch ein Übriges tun: sie bückt sich und schneuzt die Nase in einer Ecke des Tischtuchs. Dasselbe wiederholt sie an den anderen drei Ecken. Dann verschwindet sie lautlos...

Natürlich konnte auch der taktvollste Gast dies nicht übersehen. Wohl erhoben sie die Hände zum lecker bereiteten Mahle, und mit den Händen die Löffel, aber sie ließen sie wieder sinken, Staunen im Blick. Meine Mutter erglomm wie die Abendröte, mein Vater warf ihr einen beinahe strengen Blick zu.

„Ich verstehe es nicht“, stammelte meine unselige Mutter. „Ich habe den Tisch eben noch nachgesehen. Wer mir diesen Tort angetan hat ...“

Mutter war nahe am Weinen. Wären nur Freunde dagewesen, sie hätte geweint. Aber es war manch eine unter den weiblichen Gästen, der sie den Gefallen nicht tun wollte, sie weinen zu sehen.

„Schnell!“ sagte mein Vater zu den Lohndienern. „Die Bestecke einsammeln und abwaschen lassen! Nein, alles, auch die Messer und Gabeln ... man weiß ja nicht ...“

Und mit einem Lächeln zu allen Gästen: „Kinder ... Kinder ... Sie wissen es ja alle, wie es ist, wo Kinder sind. Irgendein unbegreiflicher Kinderstreich!“ Energischer: „Den ich aber bald begreifen werde!“

Aber nun erhob sich Widerspruch. Die meisten waren für einen Racheakt. Diese Dienstboten ... ein uferloses Thema. Diese Lohndiener – ein ebenso uferloses Thema. Die Wartezeit, bis die Bestecke abgewaschen waren, verstrich auf das angenehmste, bis der Ruf „Attention, les servants!“ erscholl.

Nur meine Mutter war ins Herz getroffen – wer konnte ihr dies nur angetan haben, wer nur –?! Auf Fiete riet sie nicht, auf Fiete riet keiner. Ihr Meckern über das Essen, ihre Klagen über die Löffelbenutzung waren so gewohnheitsmäßig, dass schon seit langem niemand sie mehr beachtete. Das Ereignis verlor sich allmählich im Strudel der Zeit, in dem alle Ereignisse, die einen schnell, die anderen langsamer, untertauchen...

Freilich musste an diesem Abend meine Mutter doch noch weinen. Die Kollegenfrau Siedeleben, die meiner Mutter wegen ihres patronisierenden Wesens besonders unangenehm war, sagte beim Abschied huldvoll: „Es war wirklich ganz reizend! Und immer passiert etwas Interessantes bei Ihnen, so etwas ganz außer dem Rahmen dessen, was wir hier in der Großstadt gewöhnt sind.“ (Sie vergaß nie, meine Mutter daran zu erinnern, dass sie aus einer hannoverschen Kleinstadt stammte.) „Wirklich so anregend!“

Da weinte meine Mutter, Gott sei Dank erst, als alle gegangen waren, an Vaters Brust

„Es passiert immer wieder etwas Neues, Louise!“ sagte mein Vater tröstend. „Pass auf, in vier Wochen wird von etwas ganz anderem geredet! Warte, übernächsten Donnerstag ist Diner bei Siedelebens, vielleicht passiert bei denen auch mal was!“

„Bei denen nie!“ rief meine Mutter weinend. „Diese kalte Person! Die ist nichts wie ein Anstandsbuch!“

„Wir wollen es ja nicht wünschen“, meinte mein Vater. „Aber wer weiß, wer weiß ...“

Doch ging das Siedelebensche Diner ohne jeden Zwischenfall vorüber. Alles lief wie am Schnürchen, es gab weder abgeleckte Löffel, noch fehlten Baumkuchennasen, auch war kein Lohndiener betrunken. Genau wie ein Uhrwerk rollte das Festessen ab. Die Weine waren vorzüglich, das Dessert bezaubernd, die Zigarren über jede Kritik erhaben. Meiner Mutter unausstehlich in ihrer Unfehlbarkeitspose, präsidierte Frau Kammergerichtsrätin Siedeleben, und streifte ihr Blick meine Mutter, so las diese in ihm: So müssen wirkliche Diners aufgezogen werden, meine kleine Landpomeranze!

Solche Makellosigkeit war wirklich kaum zu ertragen!

Bis sich am nächsten Tag die Kunde verbreitete ... Zuerst schien sie völlig unglaubhaft, nahm dann festere Gestalt an, gewisse Tatsachen wurden als unumstößlich festgestellt ... So viel war gewiss: mitten im Monat saß Frau Kammergerichtsrat Siedeleben ohne alle Dienstboten da, vor einem ungeheuren Aufwasch, in einer nahezu verwüsteten Wohnung!

Und der Grund –?! Aber, meine Liebe, der Grund –?!! Seit wann laufen Dienstboten noch in der Nacht hinter einem Diner fort –?! In solcher Nacht will doch jedes ein bisschen schlafen!

Es hatte eine Schlägerei gegeben, eine veritable Schlägerei zwischen den Lohndienern und den Dienstboten des Siedelebenschen Hauses!

Aber warum?! Sagen Sie doch bloß warum?!! Man schlägt sich doch nicht, todmüde nach einem Diner!

Mit geheimnisvoller, düsterer Stimme: Die Trinkgelder sollen ja verschwunden sein!

Und mit einem tiefen Aufatmen: Ach dann! Das erklärt freilich vieles!

Nicht ganz umsonst aßen Kammergerichtsräte festlich an der Tafel ihrer Kollegen. Mussten sich die Gastgeber Kosten machen, gingen auch die Gäste nicht frei aus. Schon während des Diners ruhte das Auge manchen Ehepaars nachdenklich auf den servierenden Gestalten, und beim Kaffee tauschten dann Mann und Frau geheimnisvolle Flüsterworte.

„Sieben!“ sagte Vater.

„Fünf ist völlig genug“, meinte meine Mutter. „Man soll die Leute auch nicht verwöhnen.“

„Aber es sind zwei Lohndiener, und drei sind in der Küche“, wandte Vater ein. „Es müssten eigentlich sieben fünfzig sein.“

„Fünf sind genug“, beharrte Mutter. „Du gibst immer zu viel, Arthur.“

„Nun“, sagte mein Vater, „ich will sehen, was Präsident Cornils gibt. Schließlich sollen die Leute auch eine kleine Freude haben. Ihre Füße müssen nach all der Lauferei schrecklich wehtun.“

„Meine Füße tun auch oft weh“, sagte Mutter kurz. „Nicht mehr als fünf, Arthur!“

Fuhren die Gäste dann in ihre Kleider, so stand auf dem Flur, diskret abseits auf einem Tischchen, ein Teller oder besser noch, weil unauffälliger, ein zinnernes Schüsselchen. Und während die Frauen vor dem Spiegel ihre Spitzentücher über der lockengebrannten Frisur zurechtlegten, traten die Herren sachte vor diese Opferschale und ließen so leise wie möglich ihren Beitrag hineingleiten. Dabei lag über dem Ganzen ein Anschein von etwas nahezu Verbotenem: das Geld durfte nicht klappern, der Herr tat so, als sei er mit seinen Handschuhen oder mit einem Bilde an der Wand über der Opferschale beschäftigt. Denn Trinkgelder, noch dazu im Hause eines Kollegen, zu geben, war nicht recht fein, wie auch Geldbesitzen zwar wünschenswert, aber davon zu reden als „shocking“ galt.

Trotz all dieser Vorsicht war der Trinkgeldgeber sich völlig darüber klar, dass sein Tun diskret, aber genau beobachtet wurde, einmal von Kollegen, die sich über die Höhe ihres Beitrags nicht klar waren, zum anderen aber von den in die Mäntel helfenden Lohndienern und den Dienstmädchen, die den Damen bei ihrer Toilette beistanden. Denn deren Ernte war es, die sich dort sammelte...

War aber der letzte Gast gegangen, fielen alle Bande frommer Scheu. Schamlos offen wurde von den Lohndienern unter dem achtsamen Geleit der Mädchen der Teller in die Küche getragen und unter oft recht heftigen Wechselreden zur Teilung geschritten. Schon bei der Prozession wurden manchmal recht abfällige Reden laut, die „Popligkeit“ und „Gnietschigkeit“ mancher Gäste wurde heftig angeprangert: die Herrschaft tat gut, solchem zuchtlosen Treiben fern zu bleiben.

Freilich gab es bestimmte Hausfrauen, unter ihnen die Rätin Siedeleben, die es grade für ihre Pflicht erachteten, bei diesen Teilungen anwesend zu sein, damit es gerecht zugehe. (Und damit sie für ihre Freundinnen wertvolles Material sammelte. Y hatte nur zwei Mark hingelegt, aber nach Aussage des Lohndieners hatte er sich doch wahrhaftig die eigene Tasche mit der schönen Havanna des Hausherrn gefüllt. „Nicht, dass ich es behauptete, Liebe, denn ich habe es nicht gesehen. Aber der Lohndiener sagt es, und er hat es gesehen! – Und was meinen Sie dazu, Liebe, der Schulte hat zehn Mark auf den Teller gelegt, mehr als Präsident Cornils – und wie unterernährt sehen die Kinder von Schultes aus! Sie sagt immer, sie müssen sparen. Aber wenn sie sowas Sparen nennen, ich nenne es Protz!“)

Aber in dieser schrecklichen Nacht hatte Frau Kammergerichtsrat Siedeleben keine Gelegenheit, die Teilung zu überwachen: sofort nach dem Fortgang des letzten Gastes, des Kammergerichtsrates Elbe mit Frau, wurde entdeckt, dass der Teller mit den Trinkgeldern seines Inhalts beraubt worden war. Ratzekahl stand er da im diskreten Winkel, nicht eine jämmerliche Mark lag noch auf ihm!

Und ehe Frau Siedeleben noch ein Wort zu dieser Katastrophe hatte äußern können, war der wildeste Streit im Gange: die Mädchen beschuldigten die Lohndiener. Die Lohndiener aber waren gesonnen, gegen die Mädchen handgreiflich zu werden, um ihnen den vermeintlichen Raub abzujagen. Jede Partei kämpfte mit der äußersten Erbitterung, ging es doch um einen Gesamtbetrag von über hundert Mark, und das war damals noch sehr viel mehr Geld als heute. Die Mädchen bekamen Zuzug aus der Küche durch Köchin und Abwaschfrau, wild tobte der Kampf.

Aus der ehelichen Schlafstube fuhr ungnädig der Kammergerichtsrat, schon in Hosenträgern und Schlappen – er war aber nur ein Männchen. Ungehört verhallte das gefürchtete Befehlsorgan der Siedeleben; aus der Wohnung unten und aus der Wohnung oben wurde geschickt, dass dieser ruhestörende Lärm nachts um halb drei unbedingt abgestellt werden müsse ... aber der Kampf tobte weiter.

Schließlich suchten sie einander die Kleider ab: ergebnislos. Dann kam die Wohnung daran, die bei dieser Gelegenheit in eine Wüste verwandelt wurde – ohne Resultat. In der Küche erneute sich, es war mittlerweile vier Uhr morgens geworden – der Streit.

Unterdes war der erschöpfte Herr Siedeleben dafür, den Leuten einen vernünftigen Abstand zu zahlen, das Geld werde sich schon wieder anfinden.

Frau Siedeleben sagte ganz unkammergerichtlich: „Quatsch! Sie sollen mir was zahlen für den Zustand, in den sie meine Wohnung versetzt haben! Und überhaupt gehe ich gleich mit allen Sechsen zur Polizei!“

Energischer verbat sich Herr Siedeleben, der wie die meisten erfahrenen Juristen Prozesse in eigener Sache nicht liebte, jede Einmischung der Polizei. „Tu was du willst, Friederike, aber du sollst den Abstand für die Leute ja nicht aus deiner Haushaltskasse bezahlen müssen, ich trage den Schaden. Ich will jetzt endlich ins Bett gehen können und meine Ruhe haben.“

„Und ich gehe doch zur Polizei! Einer von den Sechsen muss ja der Dieb sein!“

Zu dem Streit unter den Diensten kam der Streit unter den Eheleuten, der aber bald endete. Die Sechse klopften an die Tür, traten recht trotzig ein und teilten mit, dass sie jetzt der Ansicht seien, einer von den letzten Gästen müsse das Geld eingesteckt haben. Sie hätten alles bedacht, in den letzten fünf Minuten sei keiner von ihnen dem Teller auch nur nahe gekommen, sie verlangten Namen und Adresse der letzten Gäste.

Du lieber Himmel – wie flammte da das Ehepaar Siedeleben einträchtiglich auf! Die Ehre des Kammergerichts war beschmutzt, die Achtung vor den Freunden des Hauses verletzt – und von wem? Von wem –?! Oh, es wurde nicht an Worten und Beschimpfungen gespart, alte Geschichten wurden ausgegraben, Hass entlud sich, heimliche Naschereien wurden zu Kriminalverbrechen – wer schließlich wen hinauswarf, wird ewig ungeklärt bleiben; ob die Dienstboten sich selbst entließen oder entlassen wurden, darüber gibt es zwei nicht zu vereinigende Lesarten.

Um sechs Uhr morgens saß Kammergerichtsrat Siedeleben völlig erledigt an seinem Schreibtisch, machte Gesindebücher fertig, zahlte Löhne aus (und eine Entschädigung für entgangenes Trinkgeld, von der seine Frau nichts wissen durfte), während seine Frau unterdes das Packen der Mädchensachen mit argwöhnischem Auge beaufsichtigte. Gegen sieben Uhr lag das Ehepaar endlich im Bett. Leider schlaflos – wo war das Geld? Wie bekam man die Wohnung wieder in Ordnung? Woher kriegte man mitten im Monat schnell Ersatz? Wie hielt man diesen Zwischenfall vor den Kollegen geheim? Würden die Mädchen und die Lohndiener denn den Mund halten?!

Besonders die Rätin Siedeleben hatte das Gefühl einer schweren Niederlage: diese jungen Gänschen im Senat würden es an Respekt fehlen lassen, wenn erst bekannt wurde, dass bei ihr so etwas geschehen konnte.

„Wann wirst du endlich Senatspräsident, Heinrich?“ fragte sie.

Er fuhr aus seinen Gedanken auf. „Ich?“ fragte er. „Ich Senatspräsident? Nie!! Und wenn ich ernannt werden sollte, würde ich es ablehnen! Ich bin völlig zufrieden mit dem, was ich erreicht habe!“

„Aber ich nicht! Du musst einfach Senatspräsident werden ... Nach dem heutigen Vorfall ist es noch zehnmal nötiger ...“

So redete sie wenigstens noch ihren Gatten in Schlaf, sie selbst freilich blieb schlaflos. –

Manchmal, aber nicht sehr häufig, besuchten mein Bruder Ede und ich die Söhne vom Kollegen, des Vaters, Kammergerichtsrat Elbe. Obwohl Elbes in der Luitpoldstraße nur wenige Häuser von uns wohnten und obwohl die Jungens fast gleichaltrig mit uns waren, verband uns keine natürliche Freundschaft, es war nur ein von den Eltern gestifteter Bund. Sie gingen auf eine Oberrealschule, während wir ein humanistisches Gymnasium besuchten – das war schon ein Abstand wie zwischen einem Kammergerichtsrat und einem Justizsekretär. Außerdem litt der ältere, Hellmuth, an Asthma und lag oft schnaufend und übellaunisch im Bett, wenn wir kamen. Wir waren Bücherratzen, sie Bastler, so trennte uns eine ganze Welt...

Entschlossen wir uns aber doch wieder einmal zu einem Besuch, so fanden wir ihn immer hochinteressant, nicht der Jungen, sondern des ganzen Hauses wegen. Hier betraten wir eine andere Welt ... Bei uns zu Haus ging alles mit der größten Ordnung und Pünktlichkeit zu: Auf die Minute genau wurde gegessen, vor dem Essen hatten wir regelmäßig unsere Hände vorzuzeigen, in den Stunden, zu denen Vater arbeitete, hatte die größte Ruhe zu herrschen. Kurz, es gab bei uns nichts, bis zur Ordnung in Schränken und Fächern, was nicht vorausgesehen und bestimmt war.

Bei Elbes war alles ganz anders. Hatten die Jungen Hunger, so brachen sie in Küche und Speisekammer ein und aßen, was und wann es ihnen gefiel. Sie sangen, lachten, jagten, hämmerten zu jeder Stunde. Sollte der Esstisch gedeckt werden, erwies er sich mit Soldaten vollgestellt. Eine Schlacht war im Gange, die unmöglich wegen einer so albernen Sache wie Mittagessen unterbrochen werden konnte – kurz, die Jungen taten, was sie wollten.

Aber alle taten in diesem Haushalt, was sie wollten: Köchin, Mädchen, auch Herr und Frau Elbe. Ganz unbekümmert und stets heiterster Laune schritt Frau Elbe, erstaunlich jung und hübsch anzusehen, durch alle Unordnung und Trubel, meistens eine Zigarette im Mund, was damals noch für ganz unfein galt. Irgendeine erkenntliche Beschäftigung hatte sie nie. Meist trug sie irgendetwas in der Hand: eine Männerhose, einen Suppenlöffel, eine Vase. Aber sie schien diese Dinge abzulegen, wie es grade kam, sobald sie lästig wurden. Meist gab es dann eine Suche, während der die Suppe kalt wurde, bis der Suppenlöffel gefunden war. Übrigens machte das weder ihr noch sonst einem in diesem Hause etwas aus.

Sie war als Tochter eines Gutsbesitzers auf dem Lande aufgewachsen, und am liebsten sprach sie auch jetzt noch vom Landleben. Mit Verachtung nur erwähnte sie die dunkle Enge ihrer Stadtwohnung, den Mangel an Platz, die Unmöglichkeit, sich ordentlich zu bewegen, sich auszuarbeiten. In der Stadt gab es überhaupt keine Arbeit, die wert war, angefasst zu werden. Während meine Mutter ängstlich bemüht war, alles Kleinstädtische abzustreifen und völlig eine Berlinerin zu werden (obwohl auch sie Berlin nicht liebte), verleugnete Frau Elbe nie ihre ländliche Herkunft. Sie hatte es fertiggebracht, als bei einem besonders feierlichen Diner alle Gäste den ersten Gang erwartend fast stumm um den Tisch saßen, mit lauter, vergnügter Stimme zu sagen: „Genau wie in meines Vaters Kuhstall, ehe das Futter kommt!“ – ein Ausspruch, der natürlich auch in duldsamen Gemütern einen kalten Schauder hervorgerufen hatte! Denn wie konnte man angesichts eines Kammergerichtsrats, eines Senatspräsidenten an einen Kuhstall denken?!

Sie war einfach das Enfant terrible des Kammergerichts. Es gab unendliche Geschichten über ihre Verstöße gegen Takt und gute Lebensart. Bei dem feierlichen Antrittsbesuch eines neuernannten Kammergerichtsrats hatte im „Salon“ bei Elbes frei und unverhüllt und schamlos ein ominöses Gefäß gestanden – bei diesem Bericht erinnerten sich die ältesten Damen ihres Schulfranzösisch, um Unsagbares doch zu sagen: „Wirklich und wahrhaftig un pot de chambre! Und sie nahm nicht einmal Anstoß! Sie hat ihn lachend hinausgetragen!“

Einmal war sie mit dem Senatskollegen Becker in Streit geraten, ob Fliegenpilze wirklich „so“ giftig seien oder nicht. Sie verfocht nämlich die Ansicht, man könne alles essen, was da wachse, in Feld und Wald sei alles gut. Und sie verschwor sich heilig, ihrer Familie zum Beweise dessen ein Gericht Fliegenpilze vorzusetzen.

Umsonst flehte sie der immer ängstlicher werdende Kammergerichtsrat Becker an, von diesem mörderischen Beginnen abzustehen. Sie verschleppte an einem Sonntag ihre ganze Familie in den Grunewald, Fliegenpilze wurden gesammelt, und am Abend gab es bei Elbes Fliegenpilze mit Rührei und Bratkartoffeln! Freilich hatte sie die Vorsicht gebraucht, die Pilze mehrere Male abzukochen und das Kochwasser wegzugießen, so ging es denn mit gelinden Leibschmerzen ab.

„Und das nennen Sie Gift –?! Gift nenne ich, was einen wie ein Blitz zu Boden schlägt! Danen ist Rizinus auch Gift! Von Rizinus kriege ich genau solche Bauchschmerzen!“

(Dass sie es – zu allem anderen – nun auch fertigbrachte, von Bauch und von Rizinus in Verbindung mit ihrem Bauch zu reden – shocking! Shocking!! Shocking!!!)

Was aber sagte Herr Kammergerichtsrat Elbe zu dieser Frau, zu dieser Unordnung, zu solcher Vermessenheit? Er sagte gar nichts dazu! Ich glaube, er merkte dies alles gar nicht. Er hatte nicht einmal eine Ahnung davon, dass eine Frau anders sein, ein Haushalt anders geführt werden, Kinder anders erzogen werden könnten. An Zerstreutheit und Weltfremdheit übertraf er jeden Professor aus den „Fliegenden“ mühelos. Natürlich war er Zivilrechtler, immer über knifflichen Fragen brütend – für einen Strafrechtler lebte er zu wenig auf dieser Welt. Juristerei war ihm etwas Ähnliches wie Geometrie: rechte Winkel, zu konstruierende Dreiecke, das Berechnen von etwas Unbekanntem aus etwas Gegebenem (den Paragraphen).

Oft wenn wir Jungens ein wildes Spiel vorhatten, tat sich die Tür auf, und Herr Kammergerichtsrat Elbe trat ein. Er war ein kleiner, quittengelber, faltiger Mann mit einem kahlen Schädel, auch bartlos in jener Zeit der ungeheuren Vollbärte. Immer trug er zu Haus einen violetten, recht schäbigen Schlafrock, der ihm mit hundert Falten um die dürren Glieder hing. Meist hatte er Pantoffeln an, oft hatte er sie aber auch vergessen und ging achtlos barfuß.

Die Tür er hinter sich offen und ging, ohne überhaupt zu bemerken, dass außer seinen Jungens auch noch andere anwesend waren, ans Fenster, gegen dessen Scheibe er zu trommeln anfing. Dabei sah er auf ein Blatt Papier, das er in der Hand hielt.

Oder er setzte sich ins Sofa und fing an zu lesen. Wir konnten schreien, johlen, über seine Beine fallen, nichts störte ihn. Im Gegenteil: ich glaube, er suchte grade bei seinen Grübeleien die menschliche Nähe, ohne jedoch von ihr irgendeinen sichtbaren Gebrauch zu machen. Zuerst war er uns Jungens unheimlich, später gewöhnten wir uns an ihn und beachteten ihn nicht mehr als einen Stuhl. Nie sprach er mit uns, ich bin überzeugt, nach drei Jahren wusste er immer noch nicht, wer wir waren. Wie dieser Mann dazu gekommen ist, zu heiraten und Kinder zu zeugen, kann ich mir auch in meinen wildesten Phantasien nicht vorstellen.


Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (* 24. Januar 1776 in Königsberg, Ostpreußen; † 25. Juni 1822 in Berlin; eigentlich „Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann“) war ein bedeutender deutscher Schriftsteller der Romantik.

Ich las damals grade viel im E. T. A. Hoffmann, und all die durch seine Geschichten wimmelnden skurrilen Figuren nahmen für mich Gestalt und Wesen von Kammergerichtsrat Elbe an. Dabei soll er ein vorzüglicher Jurist gewesen sein, von einer unerschöpflichen Belesenheit – freilich ganz von der alten Observanz, für die Recht nichts Lebendiges, sondern eine Art Gedankenakrobatik bedeutete.

Ich erinnere mich besonders eines Osterfestes, bei dem seine Söhne sich den Scherz erlaubt hatten, dem Vater statt seines wegen des kahlen Schädels stets im Hause getragenen Käppis ein mit grüner Holzwolle gefülltes Ostereinest auf den Kopf zu stülpen. Ich sehe ihn da noch stehen, etwas verwirrt, aber milde verwirrt, in der einen Hand sein gewohntes Käppchen, auf dem sein erstaunter Blick ruht, mit der anderen immer wieder vorsichtig das Geflecht auf seinem Kopf betastend, im Zweifel darüber, wieso er jetzt plötzlich zwei Käppchen besaß, und wieso das andere sich so ungewohnt anfasste.

Und dieser selbe Mann war es gewesen, der bei Kammergerichtsrat Siedeleben den Trinkgeldteller entleert hatte – nicht aus schnöder Gewinnsucht natürlich, sondern aus reiner Zerstreutheit. Wie nicht anders zu erwarten, war dieser Mann in allem, was Geld anging, ein Kind. Er wusste es weder zu bewahren noch auszugeben, er konnte mit Geld überhaupt nichts anfangen. Jedes Mal, wenn er auf das Kammergericht ging, legte ihm seine Frau das Fahrgeld auf die Spiegelkonsole des Flurs. Er war das so gewöhnt, dass er es, ganz ohne darüber nachzudenken, einsteckte.

Dann marschierte er zur Haltestelle der 51. Auf der 51 kannten ihn alle Schaffner und betreuten ihn mit jener gutmütig überlegenen Sorgfalt, die der Berliner für alle hat, denen er sich gewachsen fühlt. Sie nahmen ihm das Fahrgeld aus der Tasche und steckten ihm den Fahrschein dafür hinein. Dann setzten sie ihn an der Ecke der Vossstraße aus dem Wagen, wobei sie darauf achteten, dass er weder Schirm, noch Hut, noch Klemmer, noch Aktentasche vergaß, und noch im Wegfahren schauten sie ihm väterlich besorgt nach, ob er nun auch wirklich keine Dummheiten machte, sondern artig in die Vossstraße einbog.

In jener Nacht des Streits und Unheils nun hatte seine Frau ihm fünf Mark in die Hand gedrückt und ihm zugeflüstert, das Geld auf den Trinkgeldteller zu legen. Da Herr Kammergerichtsrat Elbe bereits viele Male einen solchen Auftrag fehlerlos erledigt hatte, sah sie ihm nicht nach, wie es die menschenkundigen Schaffner auf der Elektrischen taten, sondern ließ sich, auf das Freiwerden eines Spiegels wartend, in ein Gespräch ein.

Kammergerichtsrat Elbe seinerseits fand sich, ehe er zwei Schritte getan hatte, seinem Präsidenten gegenüber, der ihn ernst ermahnte, nach einem Aktenfaszikel, der unzweifelhaft in seinem Besitz sich befinden musste, genaue Ausschau zu halten. Wieder frei geworden, fand er sich auf dem Flur, einem Teller gegenüber, der mit Silber gefüllt war. Während seine Gedanken bei dem vermissten Akt weilten, den gelesen zu haben er sich wohl erinnerte, gelang ihm, was keinem noch so geschickten Dieb unter so vielen Augen gelungen wäre: er entleerte den Teller in seine Tasche, rasch und lautlos wie ein Traumwandler. Es war eine rein mechanische Handlung, ohne wesentlichen Anteil des Hirns – dieses Geld auf dem Flur hatte ihn dämmerhaft an anderes Geld auf einem anderen Flur erinnert, das er in seine Tasche zu tun hatte. So tat er's.

Es war am Tage nach jenem Diner, dass Kammergerichtsrat Elbe verloren zu seiner Frau sagte: „Ich weiß nicht, meine Hosen sind so schwer ...“

„Schwer?“ fragte sie. „Wie können sie schwer sein? Was wirst du wieder hineingesteckt haben? Neulich hattest du im Mantel deinen Briefbeschwerer!“

„Den Briefbeschwerer –? Nein, der ist es nicht“, sagte er und steckte die Hand in die Tasche. Er brachte sie mit Münzen gefüllt hervor. „Es scheint Geld zu sein“, sagte er.

„Geld? Wie kommst du zu Geld?! Bist du bei meinem Geld gewesen?“

„Soviel ich weiß, nein. Das heißt, genau gesagt, ich erinnere mich dessen nicht, falls ich es gewesen sein sollte. Immerhin könnte es möglich sein ...“

„Lass einmal sehen!“ Sie entleerte seine Taschen. „Es sind über hundert Mark. Nein, das kann nicht Geld von mir sein. Wie kommst du zu dem Geld, Franz, denke bitte nach.“

Er rieb sich verlegen mit zwei Fingern das Kinn.

„Ich fürchte, auch ein intensives Nachdenken von mir führt nicht zum Ziel. Im Gegenteil glaube ich mich zu entsinnen, schon seit einem längeren Zeitraum nicht mit Geld in Berührung gekommen zu sein.“ Er setzte nach einigem Nachdenken hinzu: „Um genau zu sein: außer mit meinem Fahrgeld.“

„Mit welchem Fahrgeld?“

„Mit dem Fahrgeld zum Gericht.“

„Das Fahrgeld sind zwanzig Pfennig, und dies sind über hundert Mark. Das ist ein ungeheurer Unterschied!“

„Ich sehe es ein, Liebe“, sagte er kummervoll. „Es war mir ja selbst aufgefallen, wie schwer meine Taschen waren. Beim Fahrgeld habe ich so etwas noch nie beobachtet.“

„Hast du auf dem Gericht etwas ausbezahlt bekommen? Hast du der Juristischen Wochenschrift vielleicht einen Artikel geliefert? Bist du auf der Treppe dem Geldbriefträger begegnet? Hast du von einem Kollegen Geld bekommen?“

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