Kitabı oku: «Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frisst – Band 185e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski», sayfa 3
„Ja“, sagt Bruhn, „das war damals noch durch den langen Kalfaktor, den Tietjen, der wegen Raub saß. Der war stiekum, der machte es selber so.“
„Und dann das erste Mal, als du im Duschraum, wie der Wachtmeister sich umdrehte, zu mir unter meine Dusche krochst und wie du dich immer hinter dem Schirm verstecktest, wenn der linste ... Gott, es waren doch manchmal schöne Zeiten hier im alten Bau ...“
„Ja“, sagt Bruhn, „aber ein Mädchen ist doch besser.“
Kufalt besinnt sich: „Siehst du, darum hab' ich mich daran erinnert: wenn wir beide zusammen wären, es ginge gleich wieder los wie früher ...“
„Nein“, sagt Bruhn. „Nicht, wenn Mädchen da sind.“
„Doch“, sagt Kufalt. „Und es soll alles vorbei sein. So schön es gewesen ist, es soll alles vorbei sein. Jetzt geht es ganz neu los, und ich will genau so sein wie alle anderen.“
„Also du gehst bestimmt nach Hamburg?“
„Nach Hamburg, ja, da fragt keiner nach mir.“
„Na schön, bleib bloß fest in Hamburg, Willi. – Gehen wir noch ein Stück?“
„Ja, gehen wir, die Sonne ist schon richtig heiß.“
Der kleine Bruhn sagt: „Dann werde ich also mit Krüger zusammenziehen. Der kommt am 16. Mai raus.“
Kufalt fragt erschrocken: „Hast du den jetzt, Emil? Der ist aber nicht gut.“
„Nein, ich weiß. Er klaut uns noch immer unseren Tabak. Und er hat drei Strafen, weil er Arbeitskollegen bemaust hat.“
„Na also!“
„Aber was soll ich machen? Einen muss ich haben, ganz allein halt' ich's nicht aus. Und die meisten wollen draußen nichts von mir wissen, von wegen Raubmord, weißt du.“
„Aber nicht gerade mit Krüger!“
„Wer kommt denn schon mit mir! Du hast doch auch nein gesagt.“
„Aber doch nicht darum, Emil!“
„Und ich muss auch jemanden haben, der mir hilft, Willi. Ich bin doch elf Jahre im Bunker, ich weiß doch von nichts, Mensch. Manchmal habe ich direkt Angst, ich denke, ich mach' was falsch, und es geht gleich wieder schief und ich sitz' mein' Lebtag drin.“
„Schon darum ginge ich nicht mit Krüger.“
„Also zieh du zu mir.“
„Nein. Ich kann nicht. Ich will nach Hamburg.“
„Dann nehme ich Krüger.“
Eine Weile gehen sie stumm nebeneinander. Dann sagt Bruhn: „Ich muss dich auch noch was fragen, Willi. Du weißt doch mit solchen Sachen Bescheid...“
„Mit was für Sachen?“
„Mit Geld. Mit Sparkassenbüchern.“
„Ein bisschen. Vielleicht.“
„Wenn jemand – also einer hat ein Sparkassenbuch auf meinen Namen und er hat auch die Marke dazu, kann er da Geld abheben darauf? Nicht wahr, das kann er doch nicht?“
„Meistens wird er's können, wenn das Sparbuch nicht gerade gesperrt ist oder es ist Kündigung ausgemacht. Meistens kann er's. Hast du ein Sparbuch?“
„Ja. Nein. Es ist eins angelegt worden für mich...“
„Vor deinem Knast?“
„Nein, hier...“
„Quatsch dich rein aus, Emil, ich halt' schon den Sabbel. Vielleicht kann ich dir was helfen?“
„Ich hab' doch immer in Schuppen drei gearbeitet, erst bei den Möbeltischlern und nachher für die Firma Steguweit die Geflügelställe...“
„Ja?“
„Und dann hat doch Steguweit auf der großen Geflügelausstellung die goldene Medaille gekriegt auf seine Fallennester und musste liefern, noch und noch. Und damit wir ordentlich was fertig kriegten, haben seine Werkmeister uns heimlich Tabak zugesteckt. Das war damals, als im Bau überhaupt noch nicht geraucht werden durfte.“
„Vor meiner Zeit...“
„Ja, und dann kam es raus, es gab einen Riesenkrach, und mit dem Tabak war es alle. Aber sie hatten sich was anderes ausgedacht. Wir hatten ja nun keine Lust mehr, uns das Leder von den Händen zu arbeiten, bloß damit Steguweit Geld verdiente, und schlugen so Nest für Nest zusammen, gerade, dass der Tag hinging. Und da kamen dann die Werkmeister und sagten: ‚Jungens, für jedes Nest, das ihr über fünfzehn abliefert pro Tag und Mann, kriegt ihr zwanzig Pfennig. Und das Geld wird für jeden von euch eingezahlt auf ein Sparkassenbuch mit seinem Namen. Und wenn ihr entlassen seid, dann kommt ihr zu uns und holt euch das Geld ab.’“
„Saubere Sache das! Da wurden Nester fertig?“
„Mensch, ich sage dir! Wir haben Tage gehabt, da haben wir zweiunddreißig, ja, fünfunddreißig pro Nase extra abgeliefert. Na, es war auch Schinderei, meine Pfoten hättest du sehen sollen, das hat was gekostet!“
„Und das Geld ist richtig für dich eingezahlt?“
„Klar. Im ersten Jahre waren schon über zweihundert Mark da. Und im nächsten machte es noch mehr. Jetzt müssen's schon weit über tausend sein.“
„Na, nun verlang doch das Sparbuch. Nimm's ihm einfach weg, wenn er's dir zeigt.“
„Ja, jetzt zeigt er es doch nicht mehr. Ist zu gefährlich, sagt er, riecht sauer, sagt er. Da sind doch eine Masse Leute rausgekommen in der Zeit, und manche haben Krach gemacht und sind zum Direktor gelaufen, weil es zu wenig ist. Und Steguweit hat zum Direktor gesagt, das alles ist Scheißhausparole, so was wie Sparbücher gibt es natürlich überhaupt nicht, weil es nicht zulässig ist vor dem Gesetz, dass Gefangene sich Geld extra verdienen.“
„Es sind doch sicher welche von den Entlassenen wieder reingekommen in der Zeit in den Bau, was haben die denn erzählt?“
„Welche sind, die hat der Steguweit gefragt, wenn sie zu ihm gekommen sind, ob sie träumen, er weiß von Sparbüchern nichts. Und wenn sie gemein geworden sind, dann hat er mit der Polizei gedroht. Manchen, die sehr gebettelt haben, hat er auch zwanzig Mark gegeben und manchen fünfzig, aber was ist das gegen die vielen Hunderter, die sie zu kriegen hatten? Ich hab' allerdings das meiste, ich bin von Anfang an dabei.“
„Und was sagen die Werkmeister?“
„Dass die Kerls schwindeln. Dass die ihr Geld gekriegt haben und dass sie es nur nicht wahrhaben wollen, weil sie es gleich versoffen und verhurt haben.“
„Möglich ist das ja. Das sind doch alles Scheißer, die wieder reinkommen in den Bunker. Aber warum zeigen sie dir das Buch dann nicht? Das ist doch Schwindel, dass sie Angst haben! Du müsstest den Steguweit anzeigen. Aber nee, das ist auch nichts, das lass lieber. Nachher kriegst du noch Knast wegen Erpressung wie der Sethe da an der Mauer.“
„Der hat doch was mit dem Küchenmeister gehabt?“
„Ja. Lass schon, ich seh' rot, wenn ich daran denke. Der käme auch übermorgen raus und muss noch drei Monate abreißen, weil ich den Sabbel nicht gehalten habe. Der brächte mich am liebsten um. Na, lass schon...“
„Ich hab' gedacht“, sagt der kleine Bruhn, „ich geh' am schlausten zum Alten. Der ist doch ein netter Kerl und hilft uns, wenn er kann.“
„Freilich, wenn er kann. Er kann nur nicht, wie er will.“
„Warum soll er nicht können? Er braucht nur jeden Gefangenen in Schuppen drei zu fragen, dann hört er, dass ich die Wahrheit sage.“
„Und wenn er dir auch glaubt, er kann gar nichts machen. Das ist doch was Verbotenes, das Spargeld, und er kann dir doch nicht zu was Verbotenem verhelfen! – Sieh mal, da ist die Sache von dem ollen Sethe drüben, die war ganz sauber, und doch schiebt der Olle Knast dafür noch ein Vierteljahr.“
Sie stehen in einem Winkel. Die Fußballspieler sind müde geworden, liegen an der Mauer in der Sonne, schlafen und rauchen. „Rauchen auch wieder, die Äster“, murrt Kufalt. „Wissen, dass es verboten ist hier vorm Jugendgefängnis. Na, lass sie, übermorgen bin ich in der vierten Stufe, da kann mir piepe sein, was aus der dritten wird. – Also, der olle Sethe, der war Kartoffelschäler für die Küche und saß seine sechs oder acht Jahre im Kartoffelkeller und schälte Kartoffeln. Und jeden Monat einmal meldete er sich zum Arbeitsinspektor, er bäte um andere Arbeit, er wäre nun lange genug im Kartoffelkeller gewesen, möchte auch mal an die Luft. Und immer wurde sein Gesuch abgelehnt. Schließlich kommt er dahinter, dass es der Küchenmeister ist, der den Arbeitsinspektor aufputscht, er soll ihn nicht aus dem Kartoffelkeller rauslassen. Weil Sethe nämlich so viel schafft wie sonst zwei Kartoffelschäler. Das hast du vom vielen Arbeiten hier im Bau.“
„Richtig.“
„Und er fleht den dicken, vollgefressenen Küchenbullen an, er soll ihn doch rauslassen, er wird trübsinnig in dem nassen, dunklen Keller, und der sagt: ja, ja, nur noch dies Vierteljahr, und im Frühjahr soll er zu den Gärtnern kommen. Und dann wieder nicht und wieder nicht, bis dem ollen Sethe die Geduld reißt.
Der weiß doch eine ganze Menge aus der Küche, und so weiß er auch, dass der Küchenmeister sich jeden Mittwoch und Sonnabend seine fünf, sechs Pfund Fleisch unter die Weste steckt und nach Hause schleppt. Und dann dürfen die Beamten sich doch Hobelspäne holen aus der Tischlerei, in einem Sack auf dem Handwägelchen, zum Feuer anmachen. Aber im Sack vom Küchenmeister sind oben Späne, und unten drin sind Erbsen und Linsen und Graupen und Grieß. Aber das Beste ist: meistens muss ausgerechnet der olle Sethe dem Dicken das Handwägelchen nach Hause ziehen.
Na, der Sethe überlegt sich hin und her, wie er es machen soll, dass er den Küchenmeister absägt und ein anderer kommt und er aus dem Keller. Schließlich erzählt er mir den ganzen Quatsch und fragt: ‚Kufalt, was soll ich machen?’ Und ich sage ihm: ‚Sethe, die Sache ist klar wie Kuhkäse, mit der Scheiße gehen wir zum Direktor.’ Und er sagt: ‚Zum Alten! Auf keinen Fall! Da schussele ich rein!’ Und ich sage: ‚Wie kannst du da reinschusseln, der Quatsch ist klar, wir drehen das Ding so, dass du nicht reinfallen kannst.’ Und er zu mir: ‚Ich wollte Gott, ich hätte dir nichts gesagt, ich falle rein, du bist ja grün.’ Und ich zu ihm: ‚Ich bin nicht grün, aber du bist in einer Woche bei den Gärtnern.’ Und melde mich zum Direktor.
Denn eine schöne Wut hatte ich im Bauch auf das fette Schwein von Küchenmeister. Uns armen Gefangenen, die Kohldampf schieben, frisst so ein Speckjäger noch das bisschen Fleisch weg!“
„Und was sagt der Alte?“
„Der Direktor hört sich also die Geschichte an und wiegt seinen ollen Glatzkopf hin und her und sagt: ‚So ist das also. Gehört habe ich auch schon davon, aber wie es im Einzelnen zuging, das wusste ich noch nicht.’ Und ich sagte ihm: ‚Ja, nun darf aber der Sethe nicht reinfallen. Wenn Herr Direktor sich vielleicht am nächsten Mittwoch oder Sonnabend um sechs Uhr am Tor aufhalten wird? Da kommt der Küchenmeister mit seinem Handwagen mit Spänen drauf und Sethe vorneweg. Und kneift Sethe die Augen zu, so ist diesmal wirklich nur Holzzeug im Sack, und lässt er die Augen offen, so greifen Sie zu und haben den Speckjäger.’ – ‚Ja’, sagt der Direktor, ‚das haben Sie sich gut ausgedacht, das machen wir. Und ich danke Ihnen auch, Kufalt.’
‚Na’, sage ich zu Sethe, ‚die Sache ist in Butter.’ Und er freut sich auch. Aber am nächsten Mittwoch sagt er: ‚Der Direktor war nicht da, und drei Büchsen Corned beef waren im Sack!’ Und am Sonnabend sagt er: ‚Die haben dem Küchenmeister die Sache verpfiffen, der ist ganz anders zu mir.’
Und wie der Kram zum Klappen kommt, kriegt der Sethe eine Anklage wegen Beamtenbeleidigung in die Zelle. Und die Köche stehen wie ein Mann da und schwören, dass sie nie gesehen haben, dass der Küchenmeister sich Fleisch genommen hat oder Erbsen und dass das auch gar nicht möglich ist, und ol Vadder Sethe hat drei Monate Knast weg. Übermorgen wäre er sonst rausgekommen.“
„Aber vielleicht hat er wirklich geschwindelt. Warum soll der Direktor so was machen?“
„Das hat doch nicht der Direktor gemacht, das hat doch die Beamtenkonferenz gemacht. Das geht doch nicht, dass ein alter Beamter von einem Gefangenen reingelegt wird! – Sei du vernünftig, mach es, wie ich es dir gesagt habe, und geh nicht zum Direktor.“
„Ich weiß nicht, Willi. Bei mir ist das doch anders.“
„Natürlich ist es anders bei dir. Aber das gleiche ist, dass der ein Verbrecher ist und du auch, und uns wird schon von vornherein gar nichts geglaubt. Mach es, wie ich es dir gesagt habe. Halt die Klappe und sei froh, wenn du draußen bist und Arbeit hast!“
„Wenn du wirklich meinst, Willi?“
„Natürlich meine ich das. Ich mach' es auch nicht anders, Emil!“
* * *
8
Am Nachmittag wurde Kufalt plötzlich von einem jähen Arbeitseifer ergriffen. Eigentlich hatte er bloß seine Zelle wienern wollen, aber dann sah er, dass ihm am Netz nur noch gegen zweitausend Knoten zu einem vollen Pensum fehlten, und wenn er sich dranhielt, war das zu schaffen und er bekam achtzehn Pfennig mehr ausbezahlt bei der Entlassung.
So strickte er denn los auf Deubel komm raus. Ein bisschen schluderig wurde es ja, und gerade bei einem Heringsbelli sah es immer infam aus, wenn die Knoten nicht fest waren. Aber die Hauptsache blieben die achtzehn Pfennige, und wenn der Netzekalfaktor das Netz ordentlich reckte, war es noch zehnmal gut für die ollen Fischdampfer.
Dann ist er mit dem Stricken fertig, setzt sich auf den Fußboden und reibt ihn ein. Auch das muss man weghaben, nur eine Spur Terpentin mit Graphit, sonst bleibt die Erde stumpf und wird nicht blank, soviel man auch mit der Bürste reibt. Zum Schluss macht er ‚Muster’, das ist augenblicklich die große Mode im Zentralgefängnis: aus einem Pappdeckel schneidet man sich eine Schablone und bürstet nun den Boden durch die Schablone ‚gegen den Strich’, dann hat man hell und dunkel glänzende Muster auf der Erde, Blumen und Sterne und kleine, galoppierende Tiere. Es ist das kein Muss, aber es macht Spaß und gefällt dem Auge des Hauptwachtmeisters Rusch und macht sein Herz geneigt für solche Künstler.
Als er auch das fertig hat, geht er ans Putzen des Metalls. Der schwierigste Fall ist die Innenseite des Kübeldeckels, die direkt mit dem Urin und Kot in Berührung kommt, da bildet sich immer ein weißlicher, schleimiger Schimmel. Nun, er hat den Bogen raus, man scheuert das erst mit einem möglichst hart gebrannten Backstein, dann...
Zu Anfang hat es ihn gestört, dass unterdes der offene Kübel dicke Gestankwolken in seine Zelle sendet, jetzt weiß er von so was nichts mehr. Der Kübel stinkt eben, da kann man nichts machen, und er stinkt auch noch lange nach, denn die Zellen sind klein und lüften sich schlecht. Dann nimmt man etwas Putzpomade...
Aber da geht die Tür zu seiner Zelle auf, und der Netzemeister kommt herein, mit seinem Netzekalfaktor. Doch das ist der Rosenthal nicht mehr, das ist schon wieder ein neues Gesicht.
„Nanu, Meister“, grinst Kufalt und putzt emsig weiter, „haben Sie schon wieder 'nen neuen Kalfaktor? Das geht bei Ihnen ja wie's Brezelbacken!“
Der Meister antwortet nicht, sondern sagt zu seinem Gehilfen: „Da, das Netz raus und alles Garn und die Eisenstange und – wo haben Sie Ihr Messer, Kufalt?“
„Liegt im Schrank bei der Bibel. Nee, auf dem Fenster. Habe eben noch das Pensum fertiggestrickt, Meister.“
„Welches Pensum? Wollen Sie nicht den Kübel solange zumachen? Das stinkt hier wie die Pest.“
„Ihre riecht wie Veilchen, was? – Welches Pensum? Das letzte Pensum natürlich. Immer, was unten dranhängt!“
„Sechzehn Pensum haben Sie seit dem Ersten! – Machen Sie jetzt den Kübel zu, ich befehle es Ihnen!“
„Geht nicht, muss den Deckel wienern. Trampeltier du da hinten, heb das Netz gefälligst auf und verschramm mir nicht meinen Boden! Siehste nich, dass ich frisch gewienert habe?“
Der Gefangene, ein ‚Studierter’, wie Kufalt gleich gesehen hat, sagt: „Schnauzen Sie mich nicht an, ich verbitte mir das! Und dann sollen Sie den Kübel zumachen, haben Sie ja gehört, das stinkt hier wirklich gemein.“
„Mit dir red' ich überhaupt nicht, du hast doch sicher 'ne alte Tante um ihre Spargroschen betrogen?! – Wieso sechzehn, Meister? Jetzt sind's siebzehn, und die will ich morgen bezahlt haben, sonst kracht's.“
„Seien Sie nicht so frech, Kufalt“, bittet der Meister förmlich. „Oder ich muss Herrn Hauptwachtmeister rufen.“
Kufalt aber ist in Wut und sagt: „Den ruf du man, mit dem erzähle ich mir gerne was. – Guck nicht so, du Dussel, raus mit dem Netz, raus mit dir aus meiner Zelle! – Wollen Sie mich zum Tort um ein Pensum betrügen?“
Der Netzemeister ist ganz verzweifelt: „Sie sind ja reine wild, Kufalt, Sie spinnen ja. Der Arbeitsinspektor hat doch heute früh schon die Pensumlisten von den Entlassenen verlangt! Da kann ich doch nichts mehr ändern, Kufalt. Nehmen Sie doch Vernunft an!“
Kufalt schreit: „Dann mussten Sie's mir sagen!“
„Sie waren doch beim Arzt.“
„Ganz egal! Denkt ihr, ich schenke euch viertausendfünfhundert Knoten! Bring das Netz rein, du, ich knot's wieder auf.“
„Kufalt“, fleht der Meister, „seien Sie nur einmal vernünftig. Sie brauchen doch sechs, acht Stunden, die Knoten wieder aufzumachen.“
„Ganz egal!“ schreit Kufalt wieder. „Das ist Schikane von dir! Das ist deine Rache, dass du mir das Pensum nicht zahlen willst, ich kenn dich doch! Das Netz her, oder ich schmeiß' den Kübel mit dem ganzen Scheißdreck...“
„Wat denn! Wat denn!“ klingt es von der Tür, und der Herrscher des Zentralgefängnisses, Hauptwachtmeister Rusch, schiebt sich herein. „Mit Scheiße schmeißen? Feste, feste! Aber alles wieder einsammeln, mit den Händen, selbst! Selbst!!“
„Und der Mann will übermorgen rauskommen“, sagt der Netzemeister, der sich plötzlich sicher fühlt.
„Das geht Sie gar nichts an“, fährt Kufalt neu auf. „So was haben Sie überhaupt nicht zu sagen! Sie sind hier kein Beamter, verstehen Sie! Beim Direktor werd' ich Sie melden! Sie, Sie haben mich erst so gemacht! Schikaniert haben Sie mich Tag für Tag! Ich hab's Ihnen nicht vergessen, Meister, wie Sie mir immer das schlechteste Garn gegeben haben und immer gesagt haben, die Knoten sind nicht fest genug. Und ich hab' getreckt und getreckt, bis ich mir den Daumen verknackst habe, und Sie haben sich in den Bart gelacht und immer gesagt: immer noch nicht fest genug.“
„Warum schreien Sie denn so, Kufalt?“ fragt der Hauptwachtmeister. „Sind Sie krank?“
„Gar nicht bin ich krank, aber siebzehn Pensum hab' ich gestrickt und der Meister will mir nur sechzehn anrechnen. Ist das Gerechtigkeit? Ich denke, wir werden hier nach Gerechtigkeit behandelt?“
„Wenn der Mann siebzehn gestrickt hat, muss er auch siebzehn bezahlt kriegen“, erklärt Rusch.
„Aber ich hab' dem Arbeitsinspektor...“
„Wat! Wat! Aber! Hat er siebzehn gestrickt –?“
„Ja, aber...“
„Wat! Wat! Aber? Kriegt er siebzehn bezahlt! Alles klar!“
„Aber ich hab' die Listen doch schon abgeliefert.“
„Dann sagen Sie eben, Sie haben einen Fehler gemacht.“
„Es ist nur, Herr Hauptwachtmeister“, sagt plötzlich grinsend Kufalt, „weil er denkt, ich hab' ihn in die Pfanne gehauen mit seinem Rosenthal. Darum soll ich ein Pensum weniger kriegen. Und darum bin ich so wütend gewesen.“
Der Hauptwachtmeister guckt und wartet. Dies ist seine Stunde. In solchen Stunden erntet er, in diesen Stunden, wenn sich die Kumpel verfeinden und die Genossen anschwärzen, da sammelt er sein Material gegen Gefangene und Stufenstrafvollzug, da kommt der Stoff her für seine Anzeigen. Alles weiß er, alles erfährt er, und vorne in seinem Büro, der Direktor schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und verzweifelt: ist denn nicht ein Gerechter...?
Der Netzmeister läuft blaurot an und schluckt: „Herr Rusch, wenn hier einer in die Pfanne gehauen werden muss...“
„Na, wat denn?“ fragt Rusch breit und gemütlich. „Sie meinen doch nicht unsern Musterknaben, den Willi Kufalt? Gucken Sie sich die Zelle an, wissen Sie sonst noch so 'ne Zelle im ganzen Bau? Gewienert, glänzt wie ein Affenarsch.“
Und Kufalt ist seiner Sache so sicher, dass auch er noch den Meister hetzt: „Freilich, ich muss in die Pfanne gehauen werden, Meister, Sie haben's gerade nötig, mir Lampen zu machen, Meister. Haben doch wohl auch als Hilfsbeamter einen Eid geschworen, Meister?“
Worauf nun wieder der Netzemeister wütend losbricht: „Der Erpresser der, aber ich will Ihnen sagen, Hauptwachtmeister...“ Und besinnt sich, dunkelrot, aber besinnt sich: „Also Sie kriegen Ihre siebzehn Pensum bezahlt, Kufalt. Und wenn ich Ihnen die achtzehn Pfennig übermorgen unterm Tor selber geben muss. Sie kriegen Sie!“
Der Netzemeister geht ab. Jetzt steht der Hauptwachtmeister unzufrieden und wütend da.
„Hab' ich keine Post, Herr Hauptwachtmeister?“ fragt Kufalt.
„Post. Post. Sie kriegen Ihre Post, wenn's Zeit ist. Und überhaupt haben Sie nicht so frech zu sein. Der Netzemeister ist Ihr Vorgesetzter. Ich schreib's in Ihren Entlassungsschein, Kufalt, dass die Führung schlecht war. Dann kommen Sie bei keiner späteren Strafe auch nur in die zweite Stufe.“
Spricht's und schrammt die Tür zu, ehe Kufalt sich von neuem entrüsten kann.
* * *
9
Abends um acht Uhr hat die dritte Stufe ihren allwöchentlichen Radioabend. Es ist schön still im Bau, die paar Wachtmeister vom Nachtdienst schlurren auf Filzlatschen herum und schließen die schon für die Nacht versperrten Zellen der Leute von der dritten Gruppe vorsichtig und leise noch einmal auf. Und sachte gehen die runter zum Schulzimmer, denn nichts ist schlimmer als ein Gefängnis, das nachts in Lärm gerät. Sind die Gefangenen erst einmal in ihrer kostbaren Nachtruhe gestört, dann hört das Schreien und Toben und Brüllen überhaupt nicht wieder auf.
Im Schulzimmer sammeln sich die Zwölf, es ist noch ziemlich taghell, der Schuster hantiert schon am Radio.
„Was gibt's denn?“ fragt Kufalt, aber der Schuster ist noch von mittag her böse und antwortet nicht.
Dafür sagt Batzke, der lange Batzke, der über nackte Mädchenschönheiten gebietet und der die Heizkessel der Anstalt versorgt: „'ne Oper, von Verdi. Willste zuhören?“
„Nee, nur nicht. Warum die am Abend nie was Humoristisches machen, versteh' ich nicht. Könnten doch auch mal an 'nen Gefangenen denken.“
Aber Batzke leiert seinen alten Vers: „Warum sollen die an uns denken? Sind froh, dass sie nicht an uns zu denken brauchen. Heilfroh, dass sie uns los sind, Vieh, das wir sind.“
Das Radio hat eingesetzt, und die beiden gehen den langen Gang neben den Schulbänken auf und ab.
„Hast du Tabak? Au, Mensch, Batzke, wo kriegst du nur immer den feinen Tabak her? Ich habe hier ja auch was gelernt von Schieben, aber so wie du...“
„Wenn du erst vierzehn Jahre Knast abgerissen hast wie ich“, sagt der sechsunddreißigjährige Batzke, „kennst du den Laden auch schon besser.“
„Nur nicht!“ ruft Kufalt. „Lieber tot!“
„Das sag man nicht“, tröstet Batzke. „Dafür ist die Zeit draußen umso schöner.“
„Nee, danke, ich werde jetzt solide.“
„Mach bloß so was nicht“, warnt Batzke. „Du hältst es ja doch nicht durch. Da strampelst du dich zwei Monate ab oder drei oder fünf und schiebst Kohldampf und rennst dich um nach Arbeit. Und vielleicht kriegst du wirklich Arbeit und schuftest dich tot, dass sie dich nur behalten. Aber dann kommt's doch irgendwie raus, dass du gesessen hast, und der Chef befördert dich an die Luft oder die Kollegen – die sind immer die schlimmsten – wollen mit so 'nem Verbrecher nicht arbeiten. Hab' ich alles versucht. Aber wenn du dann mürbe bist und hast drei Tage nichts gefressen und fasst was an und gehst hoch dabei, gleich sagen sie: ‚Das haben wir uns doch gedacht. Gut, dass wir den damals gleich rausgeschmissen haben.’ So sind die, und wenn du schlau bist, dann hörst du auf mich und fängst gar nicht erst so was an wie Solidwerden. Dann machste mit mir mit.“
„Aber man wird geschnappt und kommt wieder ins Kittchen.“
„Nicht so leicht, wenn man ausgeruht ist und Geld hat. Immer wenn man Kohldampf hat und Angst, und Geld kriegen muss. – Irgendwann fassen sie einen natürlich doch, aber bei mir wird das seine Weile haben.“
„Aber es gibt doch welche, die kommen nicht wieder rein?“
„Wer denn? Wer denn? Sag doch, wie lange schiebst du Knast? Wieviel Leute hast du schon wiederkommen sehen in der Zeit? – Na also! Und die nicht hierher wiedergekommen sind, die schieben jetzt woanders Knast. Ich dreh' mein nächstes Ding auch nicht wieder in Preußen, ich geh' mit 'nem Stadtplan brechen in Hamburg, dass ich nur nicht über die Grenze nach Altona gerate. Knast in Fuhlsbüttel ist viel besser als in Preußen, da kann schon die zweite Stufe Fußball spielen.“
„Ich mag aber nicht brechen gehen. Hab' keinen Mumm für so was.“
„Sollst du auch nicht, mein Junge. Weiß ich doch selber. Wie wirst du mit solchen Ärmchen brechen gehen? Nee, auf so einen wie dich habe ich schon lange gewartet. Du bist doch fein, kennst die Fremdwörter und ein bisschen Englisch. Parlewuh, du ahnst ja nicht, wie einem so was fehlt. Ich mach' auch lieber was anderes als auf Bruch gehen.“
Kufalt fühlt sich geschmeichelt.
„Ich hab' gelernt und gelernt“, erzählt Batzke weiter, „aber den richtigen Dreh krieg' ich doch nicht raus. Eine Weile lang hab' ich mal in Heiratsschwindel gemacht, das Risiko ist nicht so groß und du brauchst kein Geld auszugeben für die Nutten, aber glaubst du, ein besseres Mädchen hab' ich gekriegt –? Ich hab' so aufgepasst wie's gemacht wird, auf der Rennbahn und in der Bar, und die Fingernägel hab' ich mir manikürt – nichts. Die feinen Kavaliere sind mit den großen Kallen abgezogen, und wenn ich meine besah, dann waren 's immer ein Dienstbolzen oder höchstens 'ne Stütze, mit ein paar hundert Erspartem, es lohnte nicht.“
„Richtiges Benehmen könnte ich dir schon zeigen.“
„Siehst du, das ist es, was einen wurmt. Ich versteh' alles, ich kann 'nen Geldschrank knacken mit 'nem Schneidbrenner wie nur einer. Aber immer krieg' ich nur die kleinen Sachen, die anderen gehen mit den großen über den Harz. So was wurmt einen, wenn man sein Fach versteht.“
„Aber zum Einbrechen braucht man doch keine Bildung, Walter!“
„Du hast 'ne Ahnung! In einen feinen Klub kommen als Doktor Batzke oder mit einem Luxuszug mitfahren, ohne dass gleich die Schmiere den Braten riecht in einem hochherrschaftlichen Haus die Vordertreppe raufgehen und der Portier hat nicht einmal die Courage, dich zu fragen, wieso und zu wem – das, sage ich dir, das musst du mir beibringen.“
„Ich glaub' immer, du kannst das alles schon. Du hast sicher in deinem Leben mehr Sekt gesoffen als ich.“
„Sicher ... aber eben gesoffen ... aber eben mit Huren. Sekt trinken, weißt du, und dabei 'ne Unterhaltung führen mit 'ner richtigen Dame und ihr nicht schon nach dem dritten Glas in den Ausschnitt fassen – so was will ich lernen!“
Sie gehen auf und ab. Alle unterhalten sich, rauchen, streiten, ein paar im Winkel spielen Schach. Verdis Melodien gehen unter in dem Gelärm.
Walter Batzke fängt an zu schwärmen: „Mensch, ich sage dir, wir wollen es fein haben! Wenn wir jetzt rauskommen, haben wir beide Geld, da wird gelebt, sage ich dir. Was du in der ersten Nacht tust, weißt du?“
„Nee? was tue ich da?“
„Nichts weißt du! Eine feine Nutte freist du dir auf der Reeperbahn oder in der Freiheit und gehst mit ihr auf ihre Bude. Und wenn sie anfängt von Marie und Abladen und so, dann haust du deinen Entlassungsschein auf den Tisch und sagst: ‚Mädchen, heute blechst mal du! Fahr Sekt auf!“
„Die wird mir schön auf den Kopf spucken.“
„Das weiß er nicht! Nicht mal das weiß er! Die erste Nacht nach dem Knast ist bei allen Huren in Hamburg frei. Das ist so. Das kannst du mir glauben. Da schließt sich keine aus.“
„Wirklich?“
„Ehrenwort! – Na, und am Sonntag komme ich dann ja nach.“
„Soll ich dich von der Bahn abholen?“ fragt Kufalt.
„Nee, lieber nicht. Ich muss erst mal nach Haus und nach meiner Ollen sehen.“
„Verheiratet bist du plötzlich auch?“
„Nee! Seh' ich so aus? Ne olle Witwe habe ich, so an die Fünfzig, die sonst keinen mehr findet, die besorge ich und dafür habe ich zwei feine Zimmer und Bad und fein Essen – Präpelchen, Junge! Vielleicht kannst du auch bei mir wohnen, muss mal sehen, Harvestehuder Weg, Witwe Antonie Hermann. Die ist von der großen Reederei, davon hast du doch schon gehört?“
„Glaubst du denn, dass die all die Jahre auf dich gewartet hat?“
„Du bist gut! Natürlich hat sie 'nen Jungen und natürlich hat sie keine Ahnung, dass ich jetzt wieder rauskomme aus dem Knast. Aber du weißt ja, wie ich bin, fromm bin ich nicht. Ich stell mich einfach hin vor den Jungen und sag: ‚Der Rabe ist da. Raus!’ Und wenn er seine Sachen packt, da steh' ich dabei, und was sie ihm zu viel geschenkt hat, das wird meins!“
Kufalt macht es Spaß, er grinst: „Und lässt sie sich das gefallen?“
„Die –? Ich weiß doch, wo die Reitpeitsche hängt, und wenn ich sie erst einmal verdroschen habe, weiß sie von keinem anderen mehr.“
Es geht Kufalt etwas durcheinander, der Rauch ist dick und der Abend trüb geworden und die Musik der Oper klingt aus weiter Ferne. Witwe vom Harvestehuder Weg, Reedereibesitzerin, Reitpeitsche, Rabe – es ist ein bisschen viel. Aber wenn man fünf Jahre Knast geschoben hat, scheint nichts unmöglich – Dinge hat man hier erlebt!
Er lässt es auf sich beruhen und fragt: „Also wo treffen wir uns? Und wann?“
„Ich will dir sagen“, schlägt Batzke vor, „wir treffen uns auf dem Hauptbahnhof – nee, da läuft immer so viel Schmiere rum, die kennen mich alle. Wir treffen uns um acht auf dem Rathausmarkt unterm Pferdeschwanz.“
„Wo ist das?“
„Unterm Pferdeschwanz? Warst noch nie in Hamburg?“
„Nur ein paar Tage.“
„Da ist ein Denkmal von Kaiser Wilhelm auf dem Rathausmarkt, da reitet er. Unterm Pferdeschwanz weiß jeder in Hamburg.“
„Gut. Das finde ich. Also um acht.“
„Abgemacht. Und wirf dich fein in Schale. Wir machen einen langen Zug.“
„Schön. An mir soll's nicht liegen.“
„An mir auch nicht.“
* * *
10
Durch den schlafenden, fast dunklen Bau schleicht hinter dem Nachtbeamten Kufalt, auf Socken, die Pantoffeln in der Hand.
Der Wachtmeister schließt die Zelle auf, er steht einen Augenblick da, den Lichtschalter zögernd in der Hand. „Gehen Sie einmal ohne Licht ins Bett, Kufalt. Ich muss sonst in zehn Minuten die vier Treppen wieder rauf. Und ich hab' den ganzen Tag zu Haus Holz gesägt und bin hundemüde.“
„Selbstverständlich“, sagt Kufalt. „Das macht mir nichts. Gute Nacht, Herr Thießen.“