Kitabı oku: «Kleiner Mann - was nun? mehrbuch-Weltliteratur», sayfa 5

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Das Zwiebeln beginnt. Der Nazi Lauterbach, der dämonische Schulz und der heimliche Ehemann sind in Not.

Der Angestellte Lauterbach ist am frühesten auf das Büro gekommen: fünf Minuten vor acht. Aber das ist keine Pflichttreue bei ihm, das ist wegen der Langeweile. Dieser kleine, dicke, semmelblonde Knubben mit den riesengroßen roten Händen war einmal landwirtschaftlicher Beamter. Aber auf dem Lande gefiel es ihm nicht. Lauterbach ging in die Stadt, Lauterbach ging nach Ducherow zu Emil Kleinholz. Da wurde er so eine Art von Sachverständiger für Saatgut und Düngemittel. Die Bauern sahen ihn nicht übermäßig gern auf dem Waggon, wenn sie Kartoffeln ablieferten. Lauterbach merkte sofort, wenn die Sortierung nicht stimmte, wenn sie zwischen gelbfleischige Industrie weißfleischige Silesia gemogelt hatten. Aber andererseits war Lauterbach auch nicht so schlimm. Zwar nahm er keinen Bestechungsschnaps – er trank nie Schnaps, denn er muß die arische Rasse vor diesen entarteten Rauschgiften schützen –, also er hob keinen, er nahm auch keine Zigarren. Er schlug den Bauern auf die Schultern, daß es krachte: »Oller Betrüger!« er zog ihnen zehn Prozent, fünfzehn Prozent, zwanzig Prozent vom Preise ab, aber, und damit machte er alles wieder bei ihnen gut, er trug das Hakenkreuz, er erzählte ihnen die schönsten jüdischen Witze, er berichtete von der letzten S.A.-Werbefahrt nach Buhrkow und Lensahn, kurz, er war teutsch, zuverlässig, ein Feind der Juden, Welschen, Reparationen, Sozis und der KPD. Das machte alles wieder gut.

Zu den Nazis war Lauterbach auch nur aus Langeweile gegangen. Es hatte sich gezeigt, daß Ducherow ebenso wenig wie das Land geeignet war, ihm seine freie Zeit zu verkürzen. Mit den Mädchen hatte er nichts im Sinn, und da das Kino erst abends um acht anfängt und der Gottesdienst schon halb elf zu Ende ist, blieb eine lange leere Zwischenzeit.

Die Nazis waren nicht langweilig. Er kam rasch in den Sturm, er erwies sich bei Zusammenstößen als ein außerordentlich besonnener junger Mann, der seine Pranken (und was gerade in ihnen war) mit einem fast künstlerischen Gefühl für Wirkung benutzte. Lauterbachs Lebenssehnsucht war gestillt: er konnte sich fast jeden Sonntag – und manchmal auch wochentags am Abend – prügeln.

Lauterbachs Heim aber war das Büro. Hier waren Kollegen, ein Chef, eine Chefin, Arbeiter, Bauern: ihnen allen konnte er erzählen, was sich begeben hatte, was sich begeben sollte, über Gerechte und Ungerechte ergoß sich der zähe, langsame Brei seiner Rede, belebt von den dröhnenden Gelächtern, wenn er schilderte, wie er es den Sowjetbrüdern besorgt.

Heute kann er zwar nichts derartiges melden, dafür ist aber ein neuer Allgemeiner Sabe für jeden Gruf gekommen, und nun wird es Pinneberg, dem pünktlich um Acht erschienenen Pinneberg versetzt: Die S.A.-Leute haben neue Abzeichen! »Ich finde das einfach genial! Bisher hatten wir nur die Sturmnummer. Weißt du, Pinneberg, arabisch gestickte Ziffer auf dem rechten Spiegel. Nun haben wir auch noch 'ne Zweifarbenschnur am Kragenrand gekriegt. Genial ist das, nun kann man immer schon von hinten sehen, zu welchem Sturm jeder S.A.-Mann gehört. Denk dir aus. was das praktisch bedeutet! Also, wir sind in 'ner Klopperei will ich mal sagen und ich seh nun, da hat einer einen in der Mache, und ich seh nun auf den Kragen ...«

»Fabelhaft«, stimmt Pinneberg bei und sortiert Frachtbriefe vom Sonnabend abend. »War eigentlich München 387 536 'ne Sammelladung?«

»Der Weizenwaggon? Ja. – Und denk mal, unser Gruf trägt jetzt 'nen Stern am linken Spiegel.«

»Was ist 'en Gruf?« fragt Pinneberg.

Schulz kommt, der dritte Hungerleider, kommt um acht Uhr zehn. Schulz kommt und mit einem Schlage sind Nazi-Abzeichen und Weizenfrachtbriefe vergessen. Schulz kommt, der dämonische Schulz, der geniale aber unzuverlässige Schulz, Schulz, der zwar 285,63 Zentner zu 3,85 Mark im Kopf ausrechnen kann, schneller als das Pinneberg auf dem Papier fertig bringt, der aber ein Frauenmann ist, ein bedenkenloser Wüstling, ein Schürzenjäger, der einzige Mann, der es fertig gebracht hat, Mariechen Kleinholz zu küssen, so im Vorbeigehen gewissermaßen, aus der Fülle seiner Gaben heraus, und der doch nicht auf der Stelle geheiratet wurde.

Schulz kommt, mit seinen schwarzen, gesalbten Locken über dem gelben, faltigen Gesicht, mit den schwarzen, großen, glänzenden Augen, Schulz, der Elegant von Ducherow mit der Bügelfalte und dem schwarzen Haarfilz (fünfzig Zentimeter Durchmesser), Schulz mit den dicken Ringen an den nikotingelben Fingern, Schulz, König aller Dienstmädchenherzen, Idol der Ladnerinnen, auf den sie abends vor dem Geschäft warten, den sie sich Tanz um Tanz streitig machen.

Schulz kommt.

Schulz sagt: »Morjen.« Hängt sich auf, sorgfältig auf einen Bügel, sieht die Kollegen prüfend an, dann mitleidig, dann voller Verachtung, sagt: »Na, ihr wißt natürlich wieder nichts!«

»Welche Deern hast du denn gestern wieder zur Schnuppe-Schnappe-Schneppe gemacht?« fragt Lauterbach.

»Nichts wißt ihr. Gar nichts. Ihr sitzt hier, ihr rechnet Frachtbriefe, ihr macht Kontokorrent, und dabei ...«

»Na, was dabei –«

»Emil ... Emil und Emilie ... gestern abend im Tivoli ...«

»Hat er sie mal mitgenommen? So was lebt nicht!«

Schulz setzt sich: »Die Kleemuster müßten auch endlich raus; Wer macht denn das, du oder Lauterbach?«

»Du!«

»Kleemuster bin ich doch nicht, Kleemuster ist doch unser lieber landwirtschaftlicher Sachverständiger. Mit der kleinen schwarzen Frieda aus der Rahmenfabrik hat der Chef gescherbelt, ich zwei Schritte ab, und plötzlich die Olle auf ihn nieder. Emilie im Morgenrock, darunter hat sie wohl nur das Hemd gehabt ...«

»Im Tivoli –?!«

»Du sohlst ja, Schulz!«

»So wahr ich hier sitze! Im Tivoli, die Harmonie hatte Familien-Tanzabend. Militärkapelle aus Platz, fein mit Ei! Reichswehr mit Ei! Und plötzlich unsere Emilie, nieder auf ihren Emil, ihm eine geklebt, du oller Saufkopp, du gemeine Sau ...«

Was heißt Frachtbriefe? Was heißt Arbeit? Büro Kleinholz hat seine Sensation.

Lauterbach bettelt: »Also erzähl es noch mal, Schulz. Frau Kleinholz kommt also in den Saal ... Ich kann mir das gar nicht recht vorstellen ... durch welche Tür denn? Wann hast du sie zuerst gesehen?«

Geschmeichelt sagt Schulz: »Was soll ich denn noch sagen? Du weißt doch schon. Also sie kommt rein, gleich die Tür vom Gang her, hochrot, weißt du, sie wird doch so blau-lila-rot ... Sie kommt also rein ...«

Emil Kleinholz kommt rein, ins Büro nämlich. Die drei fahren auseinander, sitzen auf ihren Stühlen, Papier raschelt. Kleinholz betrachtet sie, steht vor ihnen, sieht auf die gesenkten Köpfe.

»Nischt zu tun?« krächzt er. »Nischt zu tun? Wer' ich einen abbauen. Na, wen –?«

Die drei sehen nicht hoch.

»Rationalisieren. Wo drei faul sind, können zwei fleißig sein. Wie ist es mit Ihnen, Pinneberg? Sie sind der Jüngste hier.«

Pinneberg antwortet nicht.

»Na, natürlich, dann kann keiner reden. Aber vorher – wie sieht meine Olle aus, Sie oller Bock, blau-lila-rot? Soll ich Sie rausschmeißen? Soll ich Sie auf der Stelle rausschmeißen?!«

»Hat gelauscht, der Hund«, denken alle drei in fahlem Schrecken. »O Gott, o Gott, was hab ich gesagt?«

»Wir haben überhaupt nicht von Ihnen gesprochen, Herr Kleinholz«, sagt Schulz, aber nur sehr halblaut, nur so vor sich hin.

»Na und Sie? Sie?« Kleinholz wendet sich an Lauterbach. Aber Lauterbach ist nicht so ängstlich wie seine beiden Kollegen. Lauterbach gehört zu den paar Angestellten, denen es piepe ist, ob sie eine Stellung haben oder nicht. »Ich?« fragt er wohl. »Ich soll Angst haben? Bei den Pfoten? Ich mach alles, ich geh als Pferdeknecht, ich geh als Sackträger. Angestellter? Wenn ich so was höre! Die reine Augenverblendung!«

Lauterbach sieht seinem Chef also furchtlos ins gerötete Auge: »Ja, Herr Kleinholz?«

Kleinholz haut auf die Barriere, daß sie brummt. »Abbauen tu ich einen von euch Brüdern! Ihr sollt sehen ... Und die andern sitzen deswegen noch lange nicht sicher. Von euch laufen genug rum. Gehen Sie auf den Futterboden, Lauterbach, sacken Sie mit dem Kruse hundert Zentner Erdnußkuchenmehl ein. Von dem Rufisque! Halt, nein, der Schulz soll gehen, der sieht heute wieder aus wie seine eigene Leiche, wird ihm gut tun, die Säcke heben.«

Schulz verschwindet wortlos, froh, entronnen zu sein.

»Sie gehen zur Bahn, Pinneberg, aber ein bißchen Trab. Für morgen früh sechse bestellen Sie vier Zwanzigtonner geschlossen, wollen den Weizen auf die Mühle verladen. Ab!«

»Jawohl, Herr Kleinholz«, sagt Pinneberg und trabt ab. Sehr schön ist ihr nicht zumute, aber es wird wohl nur Katergeschwätz von Emil sein. Immerhin ...

Als er vom Güterbahnhof zurück zu Kleinholz geht, sieht er auf der anderen Seite der Straße eine Gestalt, einen Menschen, ein Mädchen, eine Frau, seine Frau ...

Also geht er langsam über den Damm, auf dieselbe Straßenseite ...

Da kommt Lämmchen daher, sie hat ein Einholenetz in der Hand. Sie hat ihn nicht bemerkt. Nun geht sie an das Schaufenster von Fleischermeister Brecht, bleibt dort an der Auslage stehen. Er geht ganz dicht an sie heran, einen prüfenden Blick wirft er über die Straße, an den Häusern hoch, was Gefährliches ist gerade nicht in Sicht.

»Was gibts denn heut zu präpeln, junge Frau?« flüstert er an ihrer Schulter, und schon ist er zehn Schritte weiter, sieht sich nur noch einmal um, in ihr froh erglänzendes Gesicht. Na, wenn Frau Brecht das vom Laden gesehen hat, die kennt ihn, hat er immer seine Wurst gekauft, wieder mal leichtsinnig gewesen, na, was soll man machen, wenn man so 'ne Frau hat. Also Töpfe hat sie scheinbar noch nicht gekauft, man wird doch sehr aufs Geld aufpassen müssen ...

Im Büro sitzt der Chef. Solo. Lauterbach weg. Schulz weg. Mies, denkt Pinneberg, obermies. Aber der Chef achtet gar nicht auf ihn, die Stirn in einer Hand, rutscht die andere langsam, wie buchstabierend, die Zahlenreihen vom Kassabuch auf und nieder.

Pinneberg prüft die Lage. »An der Schreibmaschine«, denkt er, »ist es am schlausten. Wenn man tippt, wird man am wenigsten angequasselt.«

Aber er hat sich geirrt. Kaum hat er geschrieben: »Euer Hochwohlgeboren, gestatten wir uns hiermit ein Muster unseres Rotklees, diesjähriger Ernte garantiert seidefrei, Keimfähigkeit fünfundneunzig Prozent, Reinheit neunundneunzig Prozent ...«

... Da legt sich eine Hand auf seine Schulter und der Chef sagt: »Sie, Pinneberg, einen Augenblick ...«

»Bitte, Herr Kleinholz?« fragt Pinneberg und läßt die Finger von den Tasten.

»Sie schreiben wegen dem Rotklee. Lassen Sie das doch Lauterbach ...«

»Och ...«

»Mit den Waggons, das ist in Ordnung?«

»Ist in Ordnung, ja, Herr Kleinholz.«

»Müssen wir alle heute nachmittag feste ran und Weizen sacken. Meine Weiber müssen auch mithelfen. Säcke zubinden.«

»Ja, Herr Kleinholz.«

»Die Marie ist ganz tüchtig bei so was. Ist überhaupt ein tüchtiges Mädchen. Nicht grade 'ne Schönheit, aber tüchtig ist sie.«

»Gewiß, Herr Kleinholz.«

Da sitzen sie beide, einander gegenüber. Es ist gewissermaßen eine Pause im Gespräch. Herr Kleinholz will, daß seine Worte etwas wirken, sie sind sozusagen der Entwickler, wird sich ja nun zeigen, was für ein Bild auf der Platte ist.

Pinneberg sitzt und betrachtet gedrückt und sorgenvoll seinen Chef, der da in grünem Loden vor ihm hockt, die Beine in hohen Stiefeln.

»Ja, Pinneberg«, beginnt der Chef wieder und seine Stimme hat einen ganz rührseligen Klang. »Haben Sie sich das nun mal überlegt? Wie ist es denn nun damit?«

Pinneberg überlegt angstvoll. Aber er weiß keinen Ausweg.

»Womit, Herr Kleinholz?« fragt er töricht.

»Mit dem Abbau«, sagt nach einer langen Pause der Brotherr, »mit dem Abbau! Wen würden Sie denn wohl an meiner Stelle entlassen?«

Pinneberg wird es heiß. So ein Aas. So ein Schwein, zwiebelt mich hier!

»Das kann ich doch nicht sagen, Herr Kleinholz«, erklärt er unruhig. »Ich kann doch nicht gegen meine Kollegen reden.«

Herr Kleinholz genießt den Fall.

»Sich würden Sie also nicht entlassen, wenn Sie ich wären?« fragt er.

»Wenn ich Sie –? Mich selbst? Ich kann doch nicht ...«

»Na«, sagt Emil Kleinholz und steht auf. »Ich bin überzeugt. Sie überlegen sich die Sache. Sie haben ja wohl monatliche Kündigung. Das wäre dann also am 1. September zum 1. Oktober, nicht wahr?«

Kleinholz verläßt das Büro, Mutter berichten, wie er den Pinneberg gezwiebelt hat. Möglich, daß Mutter dann einen sausen läßt. Ihm ist eigentlich so.

Erbsensuppe wird angesetzt und ein Brief geschrieben, aber das Wasser ist zu dünn

Zuerst am Morgen hat Lämmchen eingekauft, nur schnell die Betten zum Lüften ins Fenster gelegt, und ist Einkaufen gegangen. Warum hat er ihr nicht gesagt, was es zum Mittagessen geben soll? Sie weiß es doch nicht! Und sie ahnt nicht, was er gerne ißt.

Die Möglichkeiten verringern sich beim Nachdenken, schließlich bleibt Lämmchens planender Geist an einer Erbsensuppe hängen. Das ist einfach und billig, das kann man zwei Mittage hintereinander essen.

»Oh Gott, haben's die Mädchen gut, die richtige Kochstunde gehabt haben! Mich hat Mutter immer vom Herd weggejagt. Weg mit dir, Ungeschickt läßt grüßen!«

Was braucht sie? Wasser ist da. Ein Topf ist da. Erbsen, wie viel? Ein halbes Pfund reicht sicher für zwei Personen, Erbsen geben viel aus. Salz?Suppengrün? Bißchen Fett? Na, vielleicht für alle Fälle. Wieviel Fleisch? Was für Fleisch erst mal? Rind, natürlich Rind. Ein halbes Pfund muß genug sein. Erbsen sind sehr nahrhaft und das viele Fleischessen ist ungesund. Und dann natürlich Kartoffeln.

Lämmchen geht einkaufen. Herrlich, an einem richtigen Alltagsvormittag, wenn alles in den Büros sitzt, über die Straße zu bummeln, die Luft ist noch frisch, trotzdem die Sonne schon kräftig scheint.

Über den Marktplatz tutet langsam ein großes, gelbes Postauto. Dort hinter den Fenstern sitzt vielleicht ihr Junge. Aber er sitzt nicht dort, sondern zehn Minuten später fragt er sie über die Schulter, was es mittags zu präpeln gibt. Die Schlächterfrau hat sicher was gemerkt, sie ist so komisch, und für Suppenknochen verlangt sie dreißig Pfennig das Pfund, so was muß sie doch eigentlich zugeben, bloße blanke Knochen, ohne ein Fitzelchen Fleisch. Sie wird Mutter schreiben und fragen, ob das richtig ist. Nein, lieber nicht, lieber allein fertig werden. Aber an seine Mutter muß sie schreiben. Und sie fängt auf dem Heimweg an, den Brief aufzusetzen.

Die Scharrenhöfer scheint nur ein Nachtgespenst zu sein, in der Küche, als Lämmchen Wasser holt, sieht sie keine Spur, daß dort etwas gekocht ist oder wird, alles blank, kalt, und aus dem Zimmer dahinter dringt kein Laut. Sie setzt ihre Erbsen auf, ob man das Salz gleich reintut? Besser, sie wartet bis zum Schluß, dann trifft man es richtiger.

Und nun das Reinmachen. Es ist hart, es ist noch viel härter, als Lämmchen je gedacht hat, oh, diese ollen Papierrosen, diese Girlanden, halb verblaßt und halb giftgrün, diese verschossenen Polstermöbel, diese Winkel, diese Ecken, diese Knäufe, diese Balustraden! Bis halb zwölf muß sie fertig sein, dann den Brief schreiben. Der Junge, der von zwölf bis zwei Mittagspause hat, wird kaum vor dreiviertel eins hier sein, er muß erst aufs Rathaus zur Anmeldung.

Um dreiviertel zwölf sitzt sie an einem kleinen Nußbaumschreibtisch, ihr gelbes Briefpapier aus der Mädchenzeit vor sich.

Erst die Adresse: »Frau Marie Pinneberg – Berlin NW 40 – Spenerstraße 92 II.«

Seiner Mutter muß man schreiben, seiner Mutter muß man mitteilen, wenn man heiratet, zumal als einziger Sohn, als einziges Kind sogar. Wenn man auch nicht einverstanden mit ihr ist, weil man nämlich mit ihrem Lebenswandel nicht einverstanden ist, als Sohn.

»Mutter sollte sich was schämen«, hat Pinneberg erklärt.

»Aber, Jungchen, wenn sie doch nun schon zwanzig Jahre Witwe ist!«

»Egal! Und es ist nicht einmal immer derselbe gewesen.«

»Hannes, du hast doch auch schon mehr Mädchen als mich gehabt.«

»Das ist ganz was anderes.«

»Was soll denn der Murkel sagen, wenn er sich mal ausrechnet, wann er geboren ist und wann wir geheiratet haben?«

»Das ist noch gar nicht raus, wann der Murkel geboren wird.«

»Doch. Anfang März.«

»Aber wieso denn?«

»Laß schon, Jungchen, ich weiß. Und an deine Mutter schreib' ich, das gehört sich so.«

»Tu, was du willst, aber ich mag nichts mehr davon hören.«

»›Sehr geehrte gnädige Frau‹ – furchtbar dumm; nicht wahr? So schreibt man doch nicht. ›Liebe Frau Pinneberg‹ – aber das bin ich doch selbst, und gut klingt es auch nicht. Der Junge liest sicher den Brief.«

»Ach was«, denkt Lämmchen, »entweder ist sie so, wie der Junge denkt, und dann ist es ganz egal, was ich schreibe, oder sie ist 'ne richtige nette Frau, und da schreibe ich lieber so, wie ich möchte. Also –:

»Liebe Mutter! Ich bin Ihre neue Schwiegertochter Emma, genannt Lämmchen, und Hannes und ich haben vorgestern geheiratet, am Sonnabend. Wir sind glücklich und zufrieden, und würden ganz glücklich sein, wenn Sie sich mit uns freuen würden. Es geht uns gut, nur hat leider der Hannes die Konfektion aufgeben müssen und arbeitet in einem Düngemittelgeschäft, was uns nicht so gefällt. Es grüßen Sie

Ihre Lämmchen ...«

Sie läßt den Raum frei. »Und du schreibst doch deinen Namen hin, mein Junge!«

Und weil nun noch eine halbe Stunde Zeit ist, kriegt sie ihr Buch, vor vierzehn Tagen gekauft, beim Wickel: ›Das heilige Wunder der Mutterschaft‹.

Sie liest mit gerunzelter Stirne: »Ja, die glücklichen, sonnigen Tage sind da, wenn das Kindchen kommt. Das ist der Ausgleich, den die gottgewollte Natur den menschlichen Unvollkommenheiten schafft.«

Sie versucht, dies zu verstehen, aber es entwischt ihr immer, es scheint ihr schrecklich schwierig, und direkt auf den Murkel bezieht es sich wohl auch nicht. Aber nun kommen ein paar Verse, sie liest sie langsam, ein paar Male:

»O du Kindermund, o du Kindermund,

Unbewußter Weisheit froh,

Vogelsprache kund, Vogelsprache kund

Wie Salomo.«

Auch das versteht Lämmchen nicht ganz. Aber es ist so fröhlich, sie lehnt sich ganz zurück, es gibt jetzt Minuten, in denen sie ihren Schoß so schwer fühlt, reich, und sie wiederholt es in sich mit geschlossenen Augen: »Vogelsprache kund, Vogelsprache kund wie Salomo.«

»Es muß ungefähr das Fröhlichste sein, was es gibt«, fühlt sie. »Fröhlich soll er sein, der Murkel! Vogelsprache kund ...«

»Mittagessen!« ruft der Junge, schon draußen auf dem Flur.

Sie muß ein wenig geschlafen haben, manchmal ist sie jetzt so müde.

»Mein Mittagessen«, denkt sie und steht langsam auf.

»Noch nicht gedeckt?« fragt er.

»Einen Augenblick, Jungchen, gleich«, sagt sie und läuft zur Küche. »Darf ich den Topf auf den Tisch bringen? Aber ich nehme auch gerne die Terrine!«

»Was gibt's denn?«

»Erbsensuppe.«

»Fein. Na bring schon den Topf. Ich decke unterdessen.«

Lämmchen füllt auf. Sie sieht etwas ängstlich aus. »Scheint etwas dünn?« fragt sie besorgt.

»Wird schon so richtig sein«, sagt er und schneidet das Fleisch auf dem Tellerchen.

Sie probiert. »Oh Gott, wie dünn!« sage sie unwillkürlich. Und es folgt: »Oh Gott, das Salz!«

Auch er läßt den Löffel sinken, über dem Tisch, über den Tellern, über dem dicken braunen Emailletopf begegnen sich beider Blicke.

»Und sie müßte so gut sein«, klagt Lämmchen. »Ich hab alles richtig genommen: ein halbes Pfund Erbsen, ein halbes Pfund Fleisch, ein ganzes Pfund Knochen, das müßte eine gute Suppe sein!«

Er ist aufgestanden und bewegt nachdenklich den großen Auffüllöffel aus Emaille in der Suppe. »Ab und an begegnet man 'ner Schluse? Wieviel Wasser hast du denn genommen, Lämmchen?«

»Es muß an den Erbsen liegen! Die Erbsen geben rein gar nichts aus!«

»Wieviel Wasser?« wiederholte er.

»Nun, den Topf voll.«

»Fünf Liter – und ein halbes Pfund Erbsen. Ich glaube, Lämmchen«, sagt er geheimnisvoll, »es liegt an dem Wasser. Das Wasser ist zu dünn.«

»Meinst du«, fragt sie betrübt. »Hab ich zu viel genommen? Fünf Liter. Es sollte aber für zwei Tage reichen.«

»Fünf Liter – ich glaube, es ist zu viel für zwei Tage.« Er probiert noch mal. »Nee, entschuldige, Lämmchen, es ist wirklich nur heißes Wasser.«

»Ach, mein armer Junge, hast du schrecklichen Hunger? Was mache ich nun? Soll ich ganz schnell ein paar Eier raufholen und uns Bratkartoffeln und Spiegeleier machen? Spiegeleier und Bratkartoffeln kann ich bestimmt.«

»Also los!« sagt er. »Ich lauf selbst nach den Eiern.« Und ist fort.

Als er dann zu ihr in die Küche kommt, laufen ihre Augen nicht von der Zwiebel, die sie für die Bratkartoffeln geschnitten hat. »Aber Lämmchen«, sagt er, »es ist doch keine Tragödie!«

Sie wirft beide Arme um seinen Hals. »Jungchen, wenn ich nun eine untüchtige Hausfrau bin! Ich möchte es gerne alles so nett für dich machen. Und wenn der Murkel kein richtiges Essen kriegt, kommt er auch nicht vorwärts!«

»Meinst du jetzt oder nachher?« fragt er lachend. »Glaubst du, du lernst es nie?«

»Siehst du, du veräppelst mich auch noch.«

»Mit der Suppe, das habe ich mir eben schon auf der Treppe überlegt. Der Suppe fehlt doch gar nichts, nur zu viel Wasser. Wenn du sie noch mal aufsetzt und ganz lange richtig kochen läßt, daß alles Wasser richtig auskocht, was zuviel ist, dann haben wir doch 'ne richtige gute Erbsensuppe.«

»Fein!« sagt sie strahlend. »Da hast du recht. Mach ich gleich heute nachmittag, dann essen wir noch einen Teller zum Abendessen.«

Sie ziehen mit ihren Bratkartoffeln plus je zwei Spiegeleiern ins Zimmer. »Schmeckt es? Schmeckt es ganz richtig, wie du es gewöhnt bist? Ist es auch nicht zu spät für dich? Kannst du dich nicht noch einen Augenblick hinlegen? Du siehst so müde aus, Jungchen.«

»Nee. Nicht weil es zu spät ist, nein, ich kann heute doch nicht schlafen. Dieser Kleinholz ...«

Er hat sich lange überlegt, ob er es ihr überhaupt erzählen soll.

Aber jedenfalls haben sie in der Sonnabendnacht verabredet, es soll keine Geheimnisse mehr geben. Und darum erzählt er ihr. Und dann tut es so gut, wenn man sich aussprechen kann! »Und was mach ich nun?« fragt er. »Wenn ich ihm nichts sage, kündigt er mir doch bestimmt am Ersten. Wenn ich ihm einfach die Wahrheit sagte? Wenn ich ihm sagte, daß ich verheiratet bin, daß er mich nicht auf die Straße setzen soll?«

Aber darin ist Lämmchen ganz die Tochter ihres Vaters: von einem Arbeitgeber hat ein Angestellter nichts zu erwarten. »Das ist ja dem so piepe«, sagt sie empört. »Früher, ja vielleicht, da gab's noch ab und an ein paar anständige ... Aber heute ... wo so viele arbeitslos sind und durchkommen müssen, kann's auf meine Leute auch nicht ankommen, denken die!«

»Schlecht ist der Kleinholz eigentlich nicht«, sagt Pinneberg. »Nur so gedankenlos. Man müßte es ihm richtig auseinandersetzen. Daß wir den Murkel erwarten und so ...«

Lämmchen ist empört: »Das willst du dem erzählen! Dem, der dich erpressen will? Nein, Junge. Das tust und tust du nicht.«

»Aber was soll ich denn tun? Ich muß ihm doch was sagen.«

»Ich«, sagte Lämmchen nachdenklich, »ich spräch mal mit meinen Kollegen. Vielleicht hat er denen auch so gedroht wie dir. Und wenn ihr dann alle zusammenhaltet, allen dreien wird er ja nicht kündigen.«

»Das mag angehen«, sagte er. »Wenn sie einen nur nicht reinlegen. Lauterbach betrügt nicht, der ist schon viel zu doof dazu, aber Schulz ...«

Lämmchen glaubt an die Solidarität aller Arbeitenden: »Deine Kollegen werden dich doch nicht reinreißen! Nein, Jungchen, es wird schon werden. Ich glaub immer, es kann uns gar nicht schlecht gehen. Warum denn eigentlich? Fleißig sind wir, sparsam sind wir, schlechte Menschen sind wir auch nicht, den Murkel wollen wir auch, und gerne wollen wir ihn – warum soll es uns da eigentlich schlecht gehen? Das hat doch gar keinen Sinn!«

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