Kitabı oku: «Wolf unter Wölfen», sayfa 9
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Der Zug fuhr schneller und schneller. Er tauchte in den Tunnel, der erleuchtete Bahnsteig blieb hinten.
Wolf Pagel saß auf dem Löschkasten des überfüllten Raucherwagens, brannte sich eine Lucky Strike aus dem Päckchen an, das er eben aus dem Erlös für ihr ganzes Hab und Gut erstanden. Er tat einen tiefen Zug.
Oh, schön, schön! Die letzte Zigarette hatte er in der vergangenen Nacht auf dem Heimweg vom Spiel geraucht, um so besser schmeckte diese, fast zwölf Stunden später. Lucky Strike hieß ja wohl, wenn ihn sein Schulenglisch nicht ganz im Stich ließ, soviel wie Glücksschlag, Glückstreffer – diese glückverheißende Zigarette sollte für den ganzen Tag von prophetischer Bedeutung sein!
Der Dicke da schnauft cholerisch, raschelt mit der Zeitung, schießt unruhige Blicke – das hilft dir alles nichts, wir wissen es allbereits auch schon: der Dollar kommt heute mit 760 Tausend, über fünfzig Prozent Aufschlag. Der Zigarettenonkel wußte es gottlob noch nicht, sonst hätten wir uns diese Zigarette nicht leisten können. Du hast auch falsch gelegen, Dicker, dein Schnaufen verrät dich, du bist empört! Aber das hilft dir nichts. Dies ist eine ganz großartige, völlig moderne Nachkriegserfindung: man stiehlt dir die Hälfte des Geldes, das du in der Tasche hast – und rührt die Tasche und das Geld doch nicht an – ja, Köpfchen! Köpfchen! Nun fragte sich, ob Freund Zecke richtig oder falsch gelegen hatte. Hatte er falsch gelegen, würde er etwas schwer hören (obwohl nicht einmal das sicher war); kam ihm die neue Entwertung aber zupaß, würde es ihm auf eine Handvoll Millionenscheine nicht ankommen. Seit ein paar Tagen gab es sogar Zweimillionenscheine – Pagel hatte sie im Spielklub gesehen. Sie waren mal wieder richtig auf beiden Seiten bedruckt, sahen aus wie Geld, nicht diese einseitig bedruckten, weißen Fetzen – die Leute sagten schon, das solle nun für ewig der höchste Schein bleiben. Sagten – wegen solcher Sage schnauft der Dicke, hatte an Sagen geglaubt.
Es war kaum anzunehmen, daß Zecke falsch gelegen hatte. So lange Pagel denken konnte, hatte Zecke stets richtig gelegen. Nie hatte er sich in der Beurteilung eines Lehrers geirrt. Er hatte gradezu eine Vorahnung dafür gehabt, was für Fragen gestellt werden würden, welche Themen bei der Examenarbeit ›dran‹ kamen. Im Kriege war er der erste gewesen, der ein großartiges Urlaubersystem zur Verteilung von Salvarsan auf dem Balkan, in der Türkei eingerichtet hatte. Und als dies Geschäft faul zu werden anfing, war er wiederum der erste gewesen, der, ehe er es ganz aufgab, die Salvarsanpackungen mit irgendeinem Dreckzeug füllte, einer Mischung aus Sand und Scheibenhonig vermutlich. Dann hatte er Chanteusen und Diseusen achter Güte an den Bosporus exportiert. Eine liebliche Pflanze also, alles in allem, einerseits horndumm, andrerseits von einer messerscharfen Schlauheit. Nach dem Kriege hatte er sich auf Garn gelegt – weiß der Himmel, was er jetzt handelte! Es kam ihm nicht darauf an – er würde mit Elefantenbullen schieben, wenn damit Geld zu verdienen war!
Eigentlich, dachte man über diesen Mann und sogenannten guten Freund Zecke genau nach, war nicht einzusehen, warum er einem Geld geben sollte – Pagel gab es sich plötzlich zu. Er hatte bisher auch noch nie den Versuch gemacht, ihn anzupumpen. Aber da war nun eben das andere Gefühl in der Wolfgang Pagelschen Brust, das Gefühl, daß Zecke jetzt ›reif‹ war, daß er es unbedingt tun würde. Ein Spielerkompaß gewissermaßen, ein Signal, das plötzlich gezogen wurde, der Henker wußte warum. Unbedingt würde er Geld geben. Es gab solche Augenblicke im Leben. Plötzlich tat man, was man gestern noch um keinen Preis getan hätte. Und aus dem, was man getan hatte, folgte ganz von selbst wieder etwas anderes, zum Beispiel gewann man heute abend eine Riesensumme – und nun veränderte sich plötzlich alles! Das Leben lief in einem Winkel zu der bisherigen Bahn weiter. Man konnte sich zwanzig Mietshäuser in der City kaufen (die Buden waren für einen Dreck zu haben) oder eine Riesenbar aufmachen (achtzig Mädchen hinter dem Bartisch) – noch gar keine schlechte Idee! – oder man brauchte auch einmal gar nichts zu tun, konnte sich auch einmal hinsetzen und die Daumen drehen, sich richtig ausruhen, gut essen und trinken und sich an Peter freuen. Oder besser noch, ein Auto kaufen und mit Peter durch die Welt fahren! Ihr alles zeigen, Kirchen, Bilder, eben alles, das Mädchen hatte Entwicklungsmöglichkeiten – aber selbstverständlich. Bestritt das etwa jemand –?! Er jedenfalls nicht, ein großartiges Mädchen, nie unbequem. (Oder fast nie.)
Fahnenjunker a. D. Wolfgang Pagel ist an der Podbielskiallee ausgestiegen und die paar Straßen bis zur Zeckeschen Villa hinuntergeschlendert. So richtig faul und gemächlich in der Hitze. Nun steht er vor dem Haus, das heißt vor dem Vorgarten natürlich, dem Garten, der Anlage, dem Park. Und nicht direkt davor, natürlich ist ein geschmiedetes Gitter da und irgendwelcher behauene Stein, in Säulenform aufgesetzt, sagen wir Muschelkalk. Ein ganz kleines Messingschild ist auch da, auf dem nichts weiter steht als ›von Zecke‹ und ein messingner Klingelknopf. Gut geputzt. Von dem Haus sieht man nicht viel, es steckt hinter Büschen und Bäumen, man hat nur so eine Ahnung von großen, spiegelnden Scheiben und einer nicht zu hohen, leicht gegliederten Fassade.
Pagel sieht sich die Bescherung an, er hat Zeit. Dann dreht er sich um und sieht die Villen auf der andern Straßenseite an. Pompös – hier also wohnen die Herrschaften, die um keinen Preis an einem Hinterhof beim Alexanderplatz wohnen könnten. Wolfgang Pagel hält sich für befähigt, beides zu tun, mal Dahlem, mal Alex, es kommt ihm nicht darauf an. Aber vielleicht, weil es ihm nicht darauf ankommt, wohnt er nicht in Dahlem, sondern in der Georgenkirchstraße.
Er macht wieder kehrt und betrachtet Schild, Knopf, Blumenbeete, Grün, Fassade. Rätselhaft bleibt, warum Zecke sich mit solchem Kram belastet. Denn so was ist eine Last. Ein Haus haben, eine Riesenvilla, einen halben Palast, der ewig was von einem verlangt: Steuern zahlen, reinmachen lassen; elektrische Lichtleitung versagt, Koks muß gekauft werden – jedenfalls muß Zecke sich geändert haben. Früher hätte er auch gedacht: es ist eine Last. Als er ihn zum letztenmal sah, hatte Zecke zwei höchst elegante Junggesellenzimmer am Kurfürstendamm (mit Freundin, Telefonanschluß und Bad) – das paßte zu Zecke.
Dies nicht. Aber wahrscheinlich war er verheiratet. Jeder Quatsch, den man mit einem Mann erlebte, erklärte sich dadurch, daß er verheiratet war. Daß eine Frau da war. Nun ja, man würde sie ja wahrscheinlich zu sehen kriegen, und sie würde natürlich sofort erraten, daß dieser alte Freund ihres Mannes Geld pumpen wollte. Daraufhin würde sie ihn halb gereizt, halb verächtlich behandeln. Aber das konnte sie seinetwegen gerne tun, wer abends als Pari-Panther auf Raub ausging, war gegen Weiberlaunen völlig gefeit.
Pagel ist schon im Begriff, auf den Klingelknopf zu drücken – einmal muß man es ja tun, so angenehm es auch ist, hier faul in der Sonne zu stehen und an das viele schöne Geld zu denken, das er dem Zecke gleich abnehmen wird. Aber er erinnert sich grade rechtzeitig, daß er noch fast 100 000 Mark in der Tasche trägt. Nun gibt es zwar den Satz, daß Geld zum Gelde will, aber in dieser Form ist der Satz nicht richtig. Er müßte heißen: viel Geld will zu viel Geld. Dafür aber kommt das, was Pagel in der Tasche trägt, nicht in Frage. Unter diesen Umständen ist es viel besser, er steht völlig blank vor Zecke. Unbedingt vertritt man ein Darlehensgesuch überzeugender, wenn man nicht einmal das Fahrgeld nach Haus in der Tasche hat. Für diese hunderttausend wird man etwa zwei Cognacs kriegen, und diese zwei Cognacs werden seinem Darlehensgesuch weiteres Gewicht verleihen!
Pagel hat umgedreht und schlendert wieder die Straße hinunter. Er geht rechts, dann links, wieder rechts, hin und her – aber es erweist sich als schwierig, das Geld in Alkohol umzusetzen. In dieser pikfeinen Villengegend scheint es weder Läden noch Kneipen zu geben. Natürlich, solchen Leuten wird alles ins Haus gebracht, Wein und Schnaps halten sie kellerweise.
Pagel findet nur einen Zeitungsmann, aber in Zeitungen mag er das Geld nicht anlegen. Nein, danke, mit so was hat er nichts zu tun. Wenn er schon die Schlagzeile liest ›Aufhebung der Grenzsperre zum besetzten Gebiet‹ – geht ihn nichts an, macht, was ihr wollt, Scheibe ist es doch!
Als nächstes trifft er eine Blumenfrau, sie steht an einer Autobushaltestelle und hökert mit Rosen. Der Gedanke, Herrn von Zecke, der einen ganzen Garten voller Rosen hat, mit einem Pofel von Rosenstrauß unter die Nase zu gehen, ist so schön, daß Pagel beinahe kauft. Aber dann zuckt er die Achseln und geht weiter. Er ist nicht ganz sicher, daß Zecke seinen Pumpversuch nur leicht und humoristisch nimmt.
Aber raus aus der Tasche muß das Geld – so viel ist sicher. Am liebsten würde Pagel es einem Bettler schenken, das bringt immer Glück. Aber es gibt hier in Dahlem nicht einmal Bettler. Die setzen sich lieber an den Alexanderplatz zu den armen Leuten. Die haben immer noch eher mal ein bißchen Geld über.
Eine Weile ging Wolfgang dann hinter einer älteren, dürren Dame her, die in ihrem grau aussehenden Jäckchen mit verschossenem lila Aufschlag und irgendeinem Gebammel von schwarzen Schmelzperlen ihm den Eindruck einer ›verschämten Armen‹ machte. Aber dann verzichtete er darauf, ihr das Geld in die Hand zu drücken. Denn von allerschlechtester Vorbedeutung wäre es gewesen, das Geld nicht gleich auf Anhieb loszuwerden, sondern es erst einmal wieder zurückzubekommen.
Schließlich geriet Pagel auf den Hund. Stillvergnügt saß er auf einer Bank und pfiff und schmeichelte einen stromernden, weißen, braungefleckten Fox an sich heran. Das Tier war von einer phantastischen Lebenslust erfüllt, es bellte den Schmeichler trotzig, herausfordernd an, war dann plötzlich liebevoll, legte den Kopf prüfend auf die Seite und wackelte mit dem Schwanzstummel. Beinahe hatte Wolf ihn fest, da jagte er schon wieder, fröhlich aufbellend, drüben in den Anlagen, während man ein Dienstmädchen mit geschwungener Leine, verzweifelt Schnaps! Schnaps! rufend, ihm nacheilen sah.
Vor die Wahl zwischen dem geruhig rauchenden Mann und dem aufgeregten Mädchen gestellt, entschied sich der Fox für den Mann. Er stieß mit der Schnauze auffordernd gegen Pagels Bein, und in seinen Augen stand die klare Bitte, ein neues Spiel zu beginnen. Grade hatte Wolf ihm die Scheine fest unter das Halsband geschoben, da kam schon das Mädchen, erhitzt und empört, und stieß atemlos hervor: Lassen Sie unsern Hund los!
Ach, Fräulein, sagte Wolfgang. Für Schnaps sind wir Männer nun mal alle. – Und … setzte er hinzu, denn in dem frisch gewaschenen Kleid steckte ein erfreuliches Mädchen, und für die Liebe.
Ach Sie! sagte das Mädchen, und ihr verärgertes Gesicht verwandelte sich so plötzlich, daß auch Wolfgang lächeln mußte. Sie ahnen ja nicht, sagte sie und versuchte, den tänzelnden und jaulenden Fox an die Leine zu hängen, was ich für Ärger mit dem Hund habe. Und immer sprechen einen Herren an. – Was ist denn das? fragte sie erstaunt, denn sie hatte das Papier unter dem Halsband gefühlt.
Ein Brief, sagte Pagel im Abgehen. Ein Brief für Sie. Sie müssen ja gemerkt haben, ich gehe Ihnen schon eine Woche lang jeden Morgen nach. Aber lesen Sie ihn erst nachher, wenn Sie allein sind, es steht alles drin. Auf Wiedersehen!
Und er ging eilig um die Ecke, denn ihr Gesicht glänzte ihm zu hell, als daß er die Entdeckung der Wahrheit noch hätte miterleben mögen. Wieder um eine Ecke, und jetzt konnte er wohl langsamer gehen, jetzt war er vor ihr sicher. Auch schwitzte er schon wieder; eigentlich hatte er die ganze Zeit geschwitzt, seit er auf der Podbielskiallee ausgestiegen war. So langsam er auch gegangen war. Und plötzlich überkam es ihn, daß es nicht der Sonnenbrand war, der ihm so warm machte, nicht nur der Sonnenbrand. Nein, nein, es war etwas anderes, noch etwas anderes: er war aufgeregt, er hatte Angst!
Mit einem Ruck blieb er stehen und sah um sich. Schweigend standen in der Mittagsglut die Villen zwischen den Schirmen der Kiefern. Irgendwo summte ein Staubsauger. Alles, was er bis jetzt getan hatte, um das Drücken auf den Klingelknopf zu verzögern, war ihm von der Angst eingegeben worden. Und es hatte noch viel früher angefangen: er hätte keine Lucky Strike gekauft, sondern ein Frühstück für sie beide – hätte er keine Angst gehabt. Ohne die Angst hätte er auch die Sachen dem Onkel nicht gelassen.
Ja, sagte er und ging langsam weiter, es treibt auf das Ende zu. Er sah ihrer beider Lage plötzlich, wie sie wirklich war: in Schulden, ohne jede Aussicht für den nächsten Tag, Petra fast nackt in der stinkenden Höhle, ihn hier im Viertel der Reichen mit seinem abgeschabten, feldgrauen Rock, nicht einmal das Fahrgeld in der Tasche.
›Ich muß ihn überreden, uns Geld zu geben‹, dachte er. ›Und wenn es auch nur ganz wenig ist.‹
Aber es war Idiotie, es war völliger Wahnsinn, von Zecke ein Darlehen zu erwarten! Nichts von dem, was ihm über Zecke bekannt war, berechtigte zu der Erwartung, daß er Geld verlieh – mit einem Minimum an Aussicht, es wiederzubekommen. Aber was dann, wenn er ›Nein‹ sagte –? (Und er würde natürlich ›Nein‹ sagen, Wolfgang konnte sich jede Frage ruhig sparen.)
Die lange, ziemlich breite Allee, an deren Ende Zeckes Villa liegt, tut sich vor Pagel auf. Er beginnt, sie hinunterzugehen, ziemlich langsam zuerst. Dann schneller und schneller, als treibe es ihn einen Berghang hinunter, seinem Schicksal entgegen.
›Er muß Ja sagen‹, denkt Wolfgang Pagel wieder einmal, ›und wenn er auch noch so wenig gibt. Dann mache ich Schluß mit dem Spielen. Ich kann immer noch Taxichauffeur werden – Gottschalk hat mir seinen zweiten Wagen fest zugesagt. Dann bekommt Petra es auch leichter.‹
Nun ist er der Villa schon ganz nahe. Er sieht schon wieder Muschelkalk und Eisengitter, Messingschild und Klingelknopf. Von neuem zögernd überquert er die Straße.
›Aber er sagt natürlich Nein. – Oh, verdammt, verdammt!!!‹ Denn beim Umsehen sieht er am Straßenende ein Mädchen kommen; der an der Leine zerrende, kläffende Fox verrät schon, was das für ein Mädchen ist. Und zwischen Auseinandersetzung hier und Bitte dort, gejagt und Jäger, drückt er auf den Klingelknopf, und atmet erst erleichtert auf, als der Türverschluß leise surrt. Ohne einen Blick auf die Heraneilende tritt er ein, zieht sorgfältig die Tür zu und atmet auf, als eine Biegung des Weges ihn zwischen deckende Büsche führt.
Zecke kann schließlich bloß ›Nein‹ sagen, dieser Dienstbolzen da aber unmenschlichen Krach schlagen – Wolfgang haßt Krach mit Frauen. Das wird immer gleich so uferlos.
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Also da bist du wirklich, Pagel, sagte Herr von Zecke. Halb und halb hatte ich dich erwartet. Und als Wolfgang eine Bewegung machte: Nicht grade heute – aber du warst fällig, nicht wahr?
Und Zecke lächelt überlegen, Wolfgang Pagel aber ärgert sich. Ihm fällt ein, daß Zecke schon immer diese wichtigtuerische Geheimniskrämerei liebte, daß er schon immer dieses überlegene Lächeln gehabt hat, und daß er, Pagel, sich schon immer darüber geärgert hat. Zecke lächelte so, wenn er sich besonders schlau vorkam.
Na, ich meine ja bloß, grinste Zecke also. Schließlich sitzt du ja wirklich hier bei mir – das wirst du wohl nicht bestreiten wollen. Na, laß man. Ich weiß, was ich weiß. Trinken wir einen Schnabus, nimm ’ne Zigarette und schauen wir uns meine Bilder an, was?
Pagel hat die Bilder längst gesehen. Sie sitzen in einem großen, sehr anständig eingerichteten Gartenzimmer. Ein paar Türen zu der sonnenüberglühten Terrasse stehen offen, man sieht Sonne und Grün, aber es ist doch angenehm kühl hier drinnen. Ein schönes Licht, das durch die grünlichen Jalousien vor den Fenstern kommt, hell und dunkel zugleich und vor allem kühl.
Sie sitzen in schönen Sesseln, nicht in diesen schrecklichen, glatten, kalten Ledersesseln, die man jetzt überall sieht, sondern in tiefen, geräumigen Gehäusen, die mit irgendeinem blumigen, englischen Stoff bespannt sind – Chintz vermutlich. Bücher bis zu einem Drittel Höhe der Wand, darüber Bilder, gute moderne Bilder, Pagel hat es gleich gesehen. Aber er reagiert nicht auf Zeckes Frage, er hat schon gemerkt, daß die Atmosphäre ihm gar nicht ungünstig ist, daß dem Herrn von Zecke sein Besuch irgendwie zupaß kommt. Natürlich will Zecke was von ihm, und so kann man geruhig abwarten und ein bißchen pampig sein. (›Mein Geld kriege ich schon!‹)
Pagel zeigt auf die Bücher: Feine Bücher. Du liest viel –?
Aber so dumm ist von Zecke nun auch wieder nicht. Er lacht herzhaft. Ich und lesen –?! Immer noch der kleine Schäker? Das möchtest du wohl, daß ich ›Ja‹ sage, und du ödest mich dann an, was in dem Nietzsche da steht! Plötzlich ändert sich sein Gesicht, es wird nachdenklich. Ich glaube, das ist ’ne ganz gute Kapitalsanlage. Volleder-Einband. Man muß ja sehen, daß man sein Geld irgendwie wertbeständig anlegt. Ich verstehe nichts von Büchern – Salvarsan ist einfacher. Aber ich habe da so einen kleinen Studenten, der berät mich … Er denkt einen Augenblick nach, wahrscheinlich darüber, ob der kleine Student das Geld wert ist, was er ihm zahlt. Dann fragt er wieder: Na – und die Bilder?
Aber Pagel will einfach nicht. Er zeigt auf ein paar Plastiken, die da stehen: Apostelfiguren, eine Madonna mit dem Kind, ein Kruzifix, zwei Beweinungen. Mittelalterliche Holzplastik sammelst du auch?
Zecke macht ein kummervolles Gesicht. Nicht sammeln, nein. Geld anlegen. Aber ich weiß nicht, wie es kommt, es macht mir plötzlich auch Spaß. Guck mal hier, den Burschen hier mit dem Schlüssel, Petrus, richtig. Den hab ich aus Würzburg. Ich weiß nicht, ich verstehe nichts davon, es macht ja wirklich nicht viel her, gar nicht pompös und so – aber es gefällt mir. Und dieser Leuchterengel – der Arm ist ja sicher ergänzt, glaubst du, daß ich angeschwindelt bin –?
Wolfgang Pagel sieht von Zecke prüfend an. Zecke ist ein kleiner Mann, trotz seiner vier- oder fünfundzwanzig Jahre wird er schon rundlich und die Stirn infolge Haarschwund hoch. Auch ist er dunkel – und all dies mißfällt Wolfgang. Es mißfällt ihm auch, daß von Zecke an Holzplastiken Gefallen findet und daß ihm seine Bilder anscheinend wirklich anteilvolle Sorge bereiten. Zecke ist ein roher Schieber, weiter nichts, und so hat er zu bleiben. Interesse an Kunst bei ihm wirkt lächerlich und empörend. Am meisten aber empört es Wolf, daß er diesen verwandelten Zecke um Geld angehen soll. Der ist imstande und gibt es aus Anstand –! Nein, Zecke hat ein Schieber zu sein und zu bleiben, und wenn er Geld verleiht, hat er Wucherzinsen zu nehmen, sonst mag Wolfgang nichts mit ihm zu tun haben. Von einem Zecke will er kein Geld geschenkt!
So sagt denn Pagel, und sieht den Leuchterengel mißbilligend an: Also jetzt sind es Leuchterengel – mit Varieténutten handelst du nicht mehr –?
Pagel sieht sofort aus der Reaktion Zeckes, daß er es zu weit getrieben, daß er einen entscheidenden Fehler gemacht hat. Sie sind nicht mehr auf der Schule, wo man plumpe Vertraulichkeiten ertragen mußte, wo sie gradezu Sport waren. Zeckes Nase wird weiß, das kennt Pagel noch von früher, während das Gesicht stark gerötet bleibt.
Aber wenn von Zecke auch immer noch nicht gelernt hat, Bücher zu lesen, sich zu beherrschen hat er gelernt (und ist in diesem Punkt Pagel weit voraus). Er scheint nichts gehört zu haben. Langsam setzt er den Leuchterengel wieder hin, streichelt noch einmal nachdenklich über den wohl ergänzten Arm und sagt: Jaja, die Bilder. Ihr müßt auch noch ganz schöne zu Haus haben – von deinem Vater.
›Aha! Das möchtest du also!‹ denkt Pagel tief befriedigt. Und laut sagt er: Ja, doch einiges sehr Gutes ist noch da.
Weiß ich, sagt Zecke, gießt noch einen Schnaps ein, erst in Pagels Glas, dann in sein Glas. Er setzt sich gemütlich. Wenn du also einmal Geld brauchst – du siehst, ich kaufe Bilder …
Das war ein Hieb, erste Antwort auf die Frechheit eben, aber Pagel läßt sich nichts anmerken. Ich glaube nicht, daß wir jetzt verkaufen.
Da bist du nicht ganz unterrichtet, lächelt Zecke ihm liebenswürdig zu. Letzten Monat erst hat deine Mutter Bäume im Herbst nach England an die Galerie in Glasgow verkauft. Na, denn Prost! Er trinkt, lehnt sich dann zufrieden zurück und sagt harmlos: Naja, wovon soll denn die alte Frau schließlich leben? Was sie an Papieren hatte, ist heute doch nur Dreck.
Zecke grinst zwar nicht, aber Pagel hat doch sehr stark das Gefühl, daß die Bezeichnung ›guter Freund‹, die er heute früh noch für ihn gebraucht hat, reichlich übertrieben ist. Zwei Hiebe hat Pagel weg, und der dritte wird kaum auf sich warten lassen. Richtig, eine Giftkröte war von Zecke immer gewesen, ein schlimmer Feind. Also ist es schon besser, ihm auf halbem Wege entgegenzukommen – dann ist die Sache wenigstens erledigt und vorbei. Er sagt und versucht, es so leicht wie nur möglich zu sagen: Ich bin ein bißchen in der Klemme, Zecke. Könntest du mir mit ein wenig Geld aushelfen?
Was nennst du ein wenig Geld? fragt Zecke und betrachtet sich seinen Pagel.
Nun, wirklich nicht viel, eine Kleinigkeit für dich, sagt Pagel. Was meinst du zu hundert Millionen?
Hundert Millionen, sagt Zecke, träumerisch. So viel habe ich an den ganzen Varieténutten nicht verdient …
Dritter Schlag, und diesmal scheint es Knockout gewesen zu sein. Aber so leicht läßt sich Wolfgang Pagel nicht niederschlagen. Er fängt an zu lachen, ganz herzhaft und unbekümmert zu lachen. Dann sagt er: Recht hast du, Zecke! Großartig! Und ich bin das Kamel. Quatsche große Töne, und will mir doch Geld von dir pumpen. Werde pampig. Aber weißt du, irgendwie hat es mich gleich geärgert, wie ich hier reinkam … Ich weiß nicht, ob du das verstehst … Ich hause da in so ’ner Höhle am Alex … Zecke nickt, als wisse er es … Habe gar nichts … und dann hier so rin in die Pracht! Gar nicht wie bei Neureichs und Raffkes, wirklich schön – und ich glaube auch nicht einmal, daß der Arm ergänzt ist …
Er bricht ab und sieht prüfend auf Zecke. Mehr kann er nicht tun, mehr bringt er einfach nicht über sich. Aber als sich Zecke auch jetzt nicht rührt, sagt er: Na schön, gib mir auch kein Geld, Zecke. Verdient hab ich das, blöd, wie ich war.
Ich sage ja nicht nein, erklärt Zecke. Ich möchte bloß mal so hören. Geld ist Geld, und du willst es doch nicht geschenkt –?
Nein, sobald ich kann, kriegst du es wieder.
Und wann kannst du?
Unter Umständen, wenn es gut geht, schon morgen.
So, sagt Zecke, nicht sonderlich begeistert. So. – Na, trinken wir noch einen Schnabus. – Und wozu brauchst du das Geld –?
Ach, sagt Pagel, wird verlegen und fängt an, sich zu ärgern. Ich habe da so ein paar Schulden bei meiner Wirtin, Kleinigkeiten eigentlich – weißt du, hundert Millionen klingt gewaltig viel, aber am Ende ist es doch nicht viel mehr als hundert Dollar, nichts so Überragendes …
Also Schulden bei der Wirtin, sagt Zecke ganz ungerührt und sieht den Freund aus dunklen Augen aufmerksam an. Und was sonst noch?
Ja, sagt Pagel verdrießlich, ich habe auch noch was versetzt beim Onkel …
Im gleichen Augenblick fällt ihm ein, daß dies nun wirklich nicht wahr ist. Aber er hat im Moment nicht daran gedacht, daß verkauft nicht versetzt ist, und so läßt er es dabei. Es kommt ja wirklich nicht so genau darauf an …
So, versetzt beim Onkel, sagt von Zecke und sieht weiter dunkel und prüfend aus. Weißt du, Pagel, sagt er dann. Ich muß dich noch was fragen – entschuldige bitte. Geld ist ja schließlich Geld, und selbst sehr wenig Geld (hundert Dollar zum Beispiel) sind für manchen sehr viel Geld – zum Beispiel für dich.
Pagel hat beschlossen, diese Stiche nicht mehr zu beachten, schließlich ist ja die Hauptsache, daß er sein Geld bekommt. Er sagt mürrisch: Also frag schon.
Und was tust du? fragt Zecke. Ich meine, wovon lebst du? Hast du ’ne Stellung, die dir was einbringt? Vertreter gegen Provision? Angestellter mit Gehalt?
Im Moment habe ich nichts, sagt Pagel. Aber ich kann jeden Augenblick als Taxichauffeur eintreten.
Ja so, dann natürlich! sagt Zecke und scheint ganz befriedigt. Wenn du noch einen Schnabus magst, bitte! Ich habe für den Vormittag genug. – Also Taxichauffeur … fängt er wieder an zu bohren, dieses Aas, dieser Schieber, dieser Menschenschinder, dieser Verbrecher. (Sand statt Salvarsan!) Taxichauffeur – sicher ein schönes Brot, auskömmlicher Verdienst … (Wie er höhnt, dieser bösartige Affe!) … Aber doch sicher nicht so auskömmlich, daß du mir morgen mein Geld zurückgeben könntest. Du erinnerst dich doch, du sagtest, wenn es gut geht, schon morgen?! So gut geht Taxifahren doch nicht?
Mein lieber Zecke, sagt Wolfgang und steht auf. Du möchtest mich ein bißchen quälen, was? Aber so wichtig ist mir das Geld nun doch wieder nicht –
Er zittert beinahe vor Zorn.
Aber Pagel! – ruft Zecke und ist ganz erschrocken. Ich dich quälen –?! Wie komme ich denn dazu? Sieh mal, du hast mich doch ausdrücklich nicht um ein Geschenk gebeten – dann hättest du die paar Scheine längst. Du willst doch ein Darlehen, hast Angaben wegen der Rückzahlung gemacht – ich frage also danach, erkundige mich, wie du dir das denkst – und du schimpfst?!! Ich verstehe das nicht.
Ich kann, sagt Pagel, das vorhin nur so hingesagt haben. In Wirklichkeit könnte ich dir das Geld nur in Wochenraten zurückzahlen, etwa zwei Millionen wöchentlich …
Spielt keine Rolle, alter Junge! ruft von Zecke fröhlich. Spielt gar keine Rolle unter uns alten Freunden, nicht wahr? Die Hauptsache ist doch, daß du das Geld nicht wieder verspielst, nicht wahr, Pagel?
Die beiden sehen sich an.
Es hat keinen Zweck, Pagel, sagt Zecke dann eilig und leise, daß du schreist. Ich werde so oft angeschrien, es stört mich gar nicht. Wenn du tätlich werden willst, mußt du es sehr schnell tun – Sieh mal, jetzt habe ich schon auf den Klingelknopf gedrückt – Ach ja, Reimers, dieser Herr wünscht zu gehen. Sie zeigen ihm den Weg, ja? Auf Wiedersehen, Pagel, alter Freund, und wenn du einmal ein Bild von deinem Herrn Vater verkaufen möchtest, ich bin für dich immer zu sprechen, immer … Nanu, bist du verrückt geworden?! unterbricht Zecke sich plötzlich.
Denn Pagel hat zu lachen angefangen, leicht und völlig vergnügt lacht er.
Gott, was bist du für ein wunderbares Schwein geworden, Zecke! ruft Pagel lachend. Das muß dich doch verdammt geschmerzt haben, was ich von den Varieténutten gesagt habe, daß du daraufhin all deinen Dreck von dir gibst. – Er hat nämlich früher mit Varieténutten gehandelt, Ihr Chef, sagt er zu dem Manne hinter sich. (Eine Kreuzung von Mann und Herr.) Er will’s nicht mehr wissen, aber es tut ihm noch weh, wenn man davon spricht. Aber, Zecke, sagt Pagel plötzlich ganz fachmännisch ernst, ich neige doch dazu, daß der Arm von diesem Leuchterengel ergänzt ist, und zwar schlecht. Ich würde es so machen …
Und ehe Zecke und sein Mann ihn noch haben hindern können, ist der Engel ohne Arm. Von Zecke schreit, als fühle er den Schmerz der Amputation. Der Mann Reimers will auf Pagel eindringen, aber der ist, trotz mangelhafter Ernährung, noch ein kräftiger junger Mann. Mit einer Hand wehrt er den Mann ab, in der andern hält er den amputierten Arm mit der Lichttülle. Diese grobe Fälschung möchte ich zum Andenken an dich behalten, alter Freund Zecke, sagt Wolfgang vergnügt. Weißt du: das Licht erlosch – und so. Auf Wiedersehen und ein gedeihliches Mittagessen allerseits. Pagel geht ab, vergnügt und zufrieden, denn wenn von Zecke sich wirklich einmal freuen will, daß er ihm kein Geld gegeben hat, wird er an den Arm des Leuchterengels denken müssen, der in der Pagelschen Tasche steckt. Und der Schmerz wird überwiegen.