Kitabı oku: «Im Strom», sayfa 2
Erfreut sagten die beiden zu und verabschiedeten sich. Sie sahen noch, wie Renate die Gartenpforte aufschloss, hineinging, von innen wieder abschloss und ihnen einen angedeuteten Kuss auf ihrer Handfläche über die Pforte schickte. Dann ging sie beschwingt auf dem mit Buchsbaum umsäumten Weg auf ihr Elternhaus zu.
Auf dem Heimweg – wieder am Ernst-August-Kanal entlang – brach Michael das Schweigen: „Eigentlich gehört sie mir. Meine Idee war es doch, sie anzusprechen. Und ich bin ja auch zu ihr rübergegangen.“
Heinz sah das etwas anders. „Ich finde, dass wir ihr die Entscheidung überlassen sollten.“
„Ja“, kam von Michael mehr ein Knurren als eine Zustimmung.
Schweigend gingen sie dann bis zur Fährstraße. Dort verabschiedete sich Michael und ging die kurze Strecke zur Wohnung seiner Eltern in der Veringstraße.
Am Sonntag, gleich nach dem Mittagessen, klingelte es in der Wohnung der Bendowskis. Irene sah ihren Sohn an. Heinz hatte seiner Mutter von der Verabredung mit Michael und Renate erzählt.
„Michael kommt aber früh“, meinte sie. „Der kann es wohl gar nicht mehr erwarten.“
„Ich auch nicht“, gab Heinz zu.
Seine Mutter lachte. „Da hat es euch aber richtig erwischt.“
Heinz drückte seiner Mutter einen Kuss auf die Wange, verließ die Wohnung und lief die Treppe zu dem wartenden Michael hinunter.
Am Himmel standen keine Wolken, und die Sonne schickte ihre Strahlen auch in die kleine Badebucht an der Süderelbe, als Michael und Heinz dort eintrafen. Sie waren überpünktlich, von Renate war in der Menge der an der Elbe Erfrischung suchenden Menschen noch nichts zu sehen. Die Freunde fanden einen etwas abgelegenen Platz, an dem sie sich bis auf ihre Badehosen auszogen, sich auf den Bauch legten und auf die Deichkrone hinauf sahen, um die Ankunft von Renate nicht zu verpassen.
Sie waren gerade in ein Gespräch über ihre beruflichen Zukunftspläne vertieft, als eine Fahrradklingel sie aus ihren Karriereträumen riss. Lachend schob Renate, die den Deich an anderer Stelle überquert hatte, ihr Fahrrad durch den Elbsand zum Liegeplatz der Freunde. Beide sprangen auf und nahmen ihr das Fahrrad ab. Auf dem Gepäckhalter klemmte eine große Tasche. Gemeinsam stellten sie das Rad in den Schatten einer Schwarzerle. Erst dann begrüßten sie Renate.
Die war etwas außer Atem. „Ganz schön schwer, ein Fahrrad mit Badesachen und Proviant durch den Sand zu schieben.“
Sie nahm ihre Tasche vom Gepäckhalter und begann sie auszupacken. Eine Wolldecke kam zum Vorschein, die sie in der Sonne ausbreitete. Dann eine Thermoskanne.
„Kaffee“, sagte Renate. „Und Kuchen gibt es auch. Butterkuchen. Habe ich heute Vormittag gebacken.“
Es schienen mehrere große Stücke zu sein, die in dem Pergamentpapier eingewickelt waren. An Becher hatte sie auch gedacht, die in einem Geschirrtuch eingewickelt waren.
Michael wollte zum Kuchen greifen.
Renate schlug ihm leicht auf die Hand. „Erst geht’s ins Wasser. Ich brauche eine Erfrischung.“
Einen Badeanzug hatte sie schon untergezogen, so dass sie, nachdem sie ihr leichtes Sommerkleid ausgezogen hatte, sofort zum Wasser laufen konnte. Die beiden Freunde, die mit ihren Blicken noch an dem Kuchenpaket gehangen hatten, stürmten hinterher, und gemeinsam warfen die drei sich in die kühlenden Fluten der Elbe.
Später, als sie in der wärmenden Sonne lagen, Kaffee getrunken und mehrere Stücke Kuchen gegessen hatten, erzählten Michael und Heinz von ihrem Hobby, dem Fußballspielen und ihren Erlebnissen mit den Mannschaftskameraden. Renate gefiel eine Geschichte dabei besonders gut. Die Fußballfreunde hatten sich einen besonders derben Spaß mit Manni Nierlinger, dem etwas naiven und leichtgläubigen Mittelläufer ihrer Mannschaft gemacht. Sie hatten Manni erzählt, dass für den Bau von Landebahnen auf der amerikanischen Militärbasis auf Grönland Arbeitskräfte gesucht würden. Bei einer Verpflichtung für zwei Jahre, bei täglich acht Stunden Arbeit auf der Airbase, würde ein Stundenlohn von zwanzig Dollar gezahlt. Und das bei Übernahme der Fahrtkosten, Unterkunft und voller Verpflegung. Nach zwei Jahren würde man also als gemachter Mann heimfahren können. Voraussetzung wäre allerdings, dass der Bewerber auf dem amerikanischen Konsulat den Kältetest in der Kältekammer bestehen müsse. Manni hatte die Geschichte geglaubt und war Feuer und Flamme.
Mitten im letzten Sommer, an einem besonders heißen Tag, hatte er lange, dicke Unterwäsche, ein Flanelloberhemd, zwei dicke Pullover, besonders dicke Wollhosen, seinen Wintermantel, Wollschal, Pudelmütze und derbe hochschaftige Stiefel angezogen und war mit der U-Bahn zum amerikanischen Konsulat gefahren. Es war leider keiner der Fußballfreunde dabei gewesen, als er so ausstaffiert vorgelassen und nach seinen Wünschen gefragt wurde. Manni hatte geantwortet, dass er den Kältetest für Grönland machen wolle.
Die Reaktion nach seiner Rückkehr deutete darauf hin, dass man ihn beinahe in die Geschlossene Abteilung der Psychiatrie in Eppendorf eingewiesen hätte. Manni hatte daraufhin einige Wochen nicht mehr mit den Freunden gesprochen und das Thema „Kältetest“ nie wieder erwähnt.
Lachend stürzten sie sich wieder in die Fluten der Elbe.
Michael deutete auf einige elbaufwärts fahrende Schleppkähne. „Wollen wir?“
Renate schüttelte den Kopf. „Das könnt ihr machen, wenn ich nicht dabei bin!“ Sie hatte die nicht ganz ungefährlichen Aktionen von jungen Männern schon öfter beobachtet. Dabei schwammen die größeren Jungen und Männer zu den geschleppten Schuten und zogen sich auf dem tief im Wasser liegenden Ladebord hoch. Wenn sie Glück hatten und nicht vom Schiffer gleich wieder in den Fluss befördert wurden, ließen sie sich elbaufwärts ein paar Kilometer mitnehmen. Mit einem gewagten, möglichst weiten Sprung, um nicht in den starken Sog der Schiffe oder einen Stromwirbel zu kommen, glitten sie wieder ins Wasser und ließen sich mit dem Strom zur Badebucht zurücktreiben.
Bis in den frühen Herbst hinein verbrachten die Freunde an sonnigen Tagen viele Stunden an der Elbe. Als die ersten Blätter an den Bäumen sich herbstlich färbten, verspürten Heinz und Renate immer mehr das Bedürfnis, sich ohne die Anwesenheit von Michael zu treffen.
Als Michael an einem als letzten Badetag ins Auge gefassten Termin verhindert war, machte Heinz Renate den Vorschlag, einmal in einer anderen Bucht die Badesaison zu beenden. Freunde seiner Fußballmannschaft hatten die Stelle an der Süderelbe als Geheimtipp bezeichnet. Das letzte Stück mussten sie ihre Räder schieben, denn der schmale Pfad, der zu dem kleinen Strand führte, war durch dorniges Gestrüpp fast zugewachsen. Sie sahen gleich, dass sie die einzigen Badegäste waren. Sie sahen auch, dass vor der Bucht eine kleine, mit Buschwerk und ein paar Bäumen begrünte Insel lag.
Wie fast immer war Renate am schnellsten im Wasser. „Wer ist zuerst an der Insel?“ gab sie das Ziel vor, als Heinz etwas frierend in das merklich abgekühlte Elbwasser stieg.
Er wollte sich keine Blöße geben, tauchte kurz unter und hielt mit kräftigen Schwimmstößen auf die Insel zu. Um durch die starke Strömung nicht abgetrieben zu werden, musste er alle Kraft aufwenden, um geraden Kurs zu halten. Renate, die den Kraulstil perfekt beherrschte, hatte schnell zwei Körperlängen Vorsprung und schlug als Siegerin an.
Etwas außer Atem gratulierte Heinz: „Zurück wird nicht gekrault. Wir wollen doch Chancengleichheit.“
„Einverstanden. Aber erst erkunden wir die Insel“, meinte Renate.
Heinz deutete auf ein verwittertes Schild in Ufernähe der Insel und las den kaum noch zu entziffernden Text laut vor: „Vogelschutzgebiet. Betreten verboten.“
Renate hatte sich im Garten ihrer Eltern, in dem sie aufgewachsen war, durch die Beobachtung der Vogelwelt einige ornithologische Kenntnisse erworben. „Die Brutzeit unserer heimischen Vögel ist längst vorbei. Selbst Drosseln und Meisen, die oft zweimal hintereinander brüten, sind mit der Aufzucht ihrer Jungen längst durch. Die Zugvögel wie Stare sammeln sich doch schon für die Reise in den Süden.“
Heinz war schon aus dem Wasser und stieg die Uferkante hinauf. Renate folgte ihm. Sie schlängelten sich durch die Büsche, deren Blätter sich bereits vom Grün in buntes Herbstlaub verwandelten. In der Mitte der Insel stießen sie auf eine kleine Lichtung. Renate ließ sich im hohen Gras auf den Rücken fallen und blickte zu den Wipfeln der Bäume hoch.
Sie hob beide Arme in die Höhe. „So ähnlich muss es im Paradies sein.“
Heinz ging neben ihr auf die Knie und blickte ihr in die Augen. „Dann sind wir Adam und Eva.“
Er beugte sich weiter vor und küsste Renate. Die erwiderte nicht nur seinen Kuss, sondern umschlang Heinz mit beiden Armen und zog ihn zu sich hinunter.
Als die Sonne schon tief stand und die Bäume lange Schatten warfen, zogen sie fröstelnd ihre nassen Badesachen wieder an und gingen zum Ufer der Insel zurück. Schweigend ließen sie sich ins Wasser gleiten. An ein Wettschwimmen dachten beide nicht mehr. Eng beieinander schwammen sie ruhig zum Elbufer zurück.
Als sie sich abgetrocknet und wieder angezogen hatten, nahm Heinz Renate in den Arm. „Ist alles in Ordnung?“ fragte er.
„Ja“, sagte sie. „Es war wunderschön!“
Eine Woche später wurde auch ein Besuch des Herbstdoms auf dem Heiligengeistfeld ein Ausgang ohne Michael. Es gab weitere Treffen, bei denen Michael dabei war, aber die Aktivitäten ohne ihn wurden mit der Zeit immer häufiger.
Ein etwas unerfreuliches Erlebnis hatte Heinz im Kleingarten der Holzmanns, als er Renate einmal abholen wollte, um mit ihr mit dem Fahrrad einen Ausflug ins Alte Land zu machen.
Karl Holzmann war gerade dabei, eine gefällte Birke in handliche Stücke zu sägen. Er wollte für den bevorstehenden Winter einen Brennholzvorrat anlegen. Als er nach dem Begrüßungsschnack mit Heinz die Säge wieder ansetzte, brach er plötzlich mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen und fasste sich an den Rücken. Heinz veranlasste die Einlieferung in ein Krankenhaus. Der Notarzt stellte fest, dass ein Granatsplitter im Körper von Karl Holzmann gewandert war. Mit einem kleinen Schnitt konnte der Splitter herausgeholt werden. Nachdem die Wunde versorgt worden war, konnte Vater Holzmann mit einem großen Pflaster auf dem Rücken und einem russischen Granatsplitter in der Geldbörse wieder nach Haus fahren.
Zu Hause zeigte das Familienoberhaupt seiner Frau, Renate und Heinz sein Andenken aus dem Krieg erzählte die ganze Geschichte. Den Splitter hatte er sich in Russland eingefangen. Er kämpfte als Infanterist an vorderster Front, als sowjetische Panzer auftauchten und das Feuer eröffneten. Karl Holzmann lief neben einem Kameraden, dem von einer Granate der Kopf abgerissen wurde. Einige Splitter trafen ihn. Er stürzte, vom Blut des Kameraden übersudelt, in ein vor ihm auftauchendes Erdloch. Sein erster Gedanke war, dass jetzt alles vorbei sei. Nach einigen Minuten, als er sich die Gehirnmasse des toten Kameraden aus dem Gesicht gewischt hatte, erkannte er: „Mensch, ich lebe ja.“
In einem Feldlazarett wurden die Splitter bis auf einen herausoperiert. Bei dem verbliebenen Splitter war den Ärzten das Risiko zu groß, weil er unmittelbar neben der Wirbelsäule lag. Jetzt war der Splitter gewandert, und das Problem hatte sich erledigt.
Das war die einzige Kriegserinnerung, die Karl Holzmann seiner Familie erzählte. Er zeigte Verständnis für die Russen, denn er beendete seinen Bericht mit den Worten: „Was wollten wir dort? Wir waren doch gar nicht eingeladen!“
Ende des Jahres bekam die Freundschaft zwischen Heinz Bendowski und Michael Sonnenberg die ersten Risse, als Heinz merkte, dass sein Freund es nicht akzeptieren konnte, dass zwischen Renate und ihm inzwischen aus Freundschaft Liebe geworden war. Von Renates Seite aus blieb die Freundschaft zu Michael unberührt.
1961
Tobias Döllmann, der Linksaußen des Wilhelmsburger SV, hatte für die Freunde eine Brauereibesichtigung organisiert. Tobias war Sohn einer der letzten Bauern in Wilhelmsburg. Da sein älterer Bruder als Erbfolger den elterlichen Hof übernehmen würde, hatte er sich bei der Holsten-Brauerei als Bierkutscher verdingt.
Die Einladung galt auch den Frauen und Freundinnen der Spieler. An einem späten Nachmittag fanden sich die Teilnehmer auf dem Hof der Brauerei ein. Neben sieben anderen jungen Frauen war Renate zusammen mit Heinz und Michael gekommen.
Nach der Begrüßung durch einen Braumeister traf etwas abgehetzt der lange Andreas, linker Verteidiger und Kapitän der Mannschaft, ein. Etwas derangiert meinte er: „Ich hatte heute Probleme mit der Polizei.“
Alle Mannschaftskameraden schauten ihn fragend an. Der lange Andreas war Kunststudent, hatte kein Stipendium und konnte von seinen mittellosen Eltern finanziell kaum unterstützt werden. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Pflastermaler in den Einkaufsstraßen der Hamburger Innenstadt. Ein Kleid in der Auslage eines führenden Modehauses am Neuen Wall kostete mehr, als ein Kunststudent auf dem Pflaster davor für die Kopie von Franz Marcs „Blauen Pferden“ im Monat an Spenden bekam. Aber nach Abzug seiner Kosten für Kreide blieb noch etwas für ein bescheidenes Leben übrig. Andreas hatte seinen Sportkameraden erzählt, dass Gauguin, Manet und viele andere Maler auf den Straßen von Montmartre angefangen hatten, weil das Geld nicht mehr für Leinwand und Farbe reichte und sie hofften, auf diese Art und Weise Gönner zu finden.
Die Brauerei hatte noch achtzehn Pferde im Stall, mit denen die Gastronomiekunden „rund um den Schornstein“ beliefert wurden. Außerdem wurden einige dieser Pferde vom Stallmeister trainiert, um als Vierer-Gespann bei festlichen Anlässen als Werbebotschafter für die Brauerei eingesetzt zu werden.
In ihrem leicht angetrunkenem Zustand fingen einige Fußballfreunde an zu johlen und unterstellten Wiebke, sich mal einen Pferdepenis ansehen zu wollen. Die Männer zeigten Wiebke die Größe eines erigierten Hengstpenis mit zwei ausgestreckten Armen und animierten sie, in den Stall zu gehen, um sich mit der Anatomie der Pferde vertraut zu machen. Wiebke war begeistert. Tobias Döllmann begleitete sie. Nach einer Viertelstunde kamen sie zurück. Wiebke humpelte, und ihr Rock war zerrissen. Sie hatte keinen Pferdepenis gesehen. Aber sie hätte beim Hinschauen von einem Pferd einen kräftigen Huftritt an den Oberschenkel bekommen. Was ihr nicht erzählt worden war, war die Tatsache, dass nur Stuten im Brauereistall standen. Wiebke raffte ihren Rock und zeigte allen ein paar schöne Blutergüsse. Es wurde noch ein langer Abend, der im Vereinsheim des Wilhelmsburger SV ausklang.
Heinz, Michael und Renate verbrachten, trotz leichter Dissonanzen, weiter gemeinsam ihre Freizeit. Als im April auf St. Pauli eine neue Band aus Liverpool spielte, erlebten sie im Top Ten Club den Beginn der großartigen Karriere der Beatles.
Im Mai war Michael durch eine bevorstehende Klausur, auf die er sich noch vorbereiten musste, an einem Treffen verhindert. Renate und Heinz waren, wie sie einander gestanden, nicht unerfreut über die Absage. Sie entschlossen sich, in die River-Kasematten zu gehen. Heinz war Jazzfan und hatte Renate mit seiner Begeisterung für diese Musik angesteckt. Auch das war dem eifersüchtigen Michael ein Dorn im Auge. Ihm, der immer elegant angezogen war und die kurzen Haare wie mit der Axt gescheitelt trug, waren die leger gekleideten und unfrisierten Jazzer suspekt gewesen.
Heinz hatte die Freunde mehrfach darauf angesprochen, doch mal nach Berlin in die Eierschale am Breitenbachplatz, zu H. W. Schneider mit den Spree City Stompers, ins Riverboat am Fehrbelliner Platz oder ins Hajo am Nollendorfplatz, in der die Creme der Jazzmusiker spielte, zu fahren. Aber Michael wollte mit diesen Sartre und Camus lesenden Pseudoexistenzialisten nichts zu tun haben. Und neben dem Jazz womöglich auch noch die Chansons von Juliette Greco anzuhören, war auch nicht seine Welt. Francoise Sagan wollte er als Lesestoff noch gelten lassen, aber in diese Jazzkeller, die dunklen Höhlen glichen, wollte er keinen Fuß setzen.
Renate und Heinz fuhren mit der S-Bahn von Wilhelmsburg nach St. Pauli. In den River-Kasematten gastierte Ken Colyer mit seiner Band aus England. Sie fanden noch Plätze in einer Nische. Nachdem sie ihre Getränke – Renate eine Bluna und Heinz ein Elbschlossbier – erhalten hatten, sprachen sie über Michael.
„Was sagst du eigentlich dazu, dass er dich neuerdings immer mit Heini anspricht und sich selbst Mike nennt?“ fragte Renate. „Auch wenn er mit anderen über uns spricht, bist du für ihn nur der Heini.“
„Mich stört das nicht; soll er mich doch so nennen, und ich spreche ihn gern mit Mike an, wenn er das möchte.“
Nachdem Renate einen Schluck getrunken hatte, meinte sie: „Ich finde, dass er sich immer mehr verändert. Und nicht zum Guten. Den Michael vom vorigen Sommer erkenne ich nicht mehr in ihm.“
Heinz gab ihr recht. „Unsere Interessen driften eben immer mehr auseinander. Das wurde doch auch deutlich, als wir in die Jazz at the Philharmonic-Veranstaltung in die Musikhalle wollten. Er hatte doch keine Lust und wollte sich lieber Bill Haley and the Comets in der Ernst-Merck-Halle ansehen.“
„Und mit Filmen ist es doch ähnlich. Als wir uns den Henry-Fonda-Film ‚Die zwölf Geschworenen‘ ansehen wollten, ist er doch auch nicht mitgekommen, sondern hat sich lieber den neuen Tarzan-Film mit Gordon Scott angesehen. Mit Gordon Scott! Wenn es wenigstens Jonny Weismuller gewesen wäre. Und dann auch noch im Rialto-Kino am Vogelhüttendeich. Oder wie Michael immer sagt, am Vögelnuttendeich, wo sich in der Dämmerung immer die Rocker versammeln.“
Ken Colyer hatte inzwischen eine Story von seiner Fahrt auf einem Frachter nach New Orleans und seinen Erlebnissen an der Wiege des Jazz berichtet und setzte die Trompete für den Basin Street Blues an. Renate und Heinz küssten sich.
Nachdem sie ein paarmal getanzt hatten und als Ken Colyer den ‚Chattanooga Stomp‘ von King Oliver blies, sprach Heinz von Verlobung.
„Meinst du das ernst?“ fragte Renate.
Er lächelte. „Ich habe doch bisher nur zwei Bier getrunken, bin also nüchtern. Ich möchte, dass du meine Frau wirst.“
Die Band spielte gerade „The man I love“ von George Gershwin.
Renate fiel Heinz um den Hals und küsste ihn. „Ich habe es mir so gewünscht, dass du mich das fragst. Aber ein Jahr Verlobungszeit muss sein.“
„Klar“, sagte Heinz selig.
Er bezahlte die Getränke, und eng umschlungen verließen sie die River-Kasematten. Sie gingen über die Straße ans Elbufer und blickten zur Werft Blohm und Voss hinüber. In der Dunkelheit der Nacht leuchteten nur die Lampen auf dem Trockendock der Werft, um den Arbeitern der Nachtschicht bei der Arbeit an einem Stückgutfrachter Licht zu spenden.
Schweigend rissen sich die beiden von dem Anblick los und schauten sich im fahlen Licht einer Straßenlaterne an. Sie küssten sich wieder.
„Lass uns gehen“, sagte Heinz schon zum zweiten Mal an diesem Abend.
Renate nickte, und sie machten sich auf den Heimweg nach Wilhelmsburg.
In den nächsten Monaten wurden die Disharmonien zwischen Michael und Heinz größer. Es gab keinen richtigen Streit, aber Michael entwickelte zusehends eine unangenehmere Art im Umgang mit seinem Freund. Als Jurastudent an der Uni Hamburg ließ er Heinz gegenüber den angehenden Akademiker heraushängen. Außerdem wollte er immer noch nicht begreifen, dass Renate sich für Heinz entschieden hatte.
Als sie einmal bei einem Glas Bier im Vereinsheim des Wilhelmsburger Ruderclubs am Assmannkanal zusammensaßen – Michael trug sich mit dem Gedanken, das Fußballspielen aufzugeben und sich dem standesgemäßeren Rudern zuzuwenden –, äußerte er wieder einmal sein Unverständnis über Renates Entscheidung: „Eigentlich gehört sie mir. Ich habe damals am Strand der Süder-elbe den ersten Schritt getan. Und außerdem wäre sie bei einem erfolgreichen Juristen besser aufgehoben als bei einem kleinen Buchdrucker.“
Diesmal konnte Heinz nicht, wie so oft in der Vergangenheit, die Bemerkung von Michael unwidersprochen hinnehmen. „Erstens bist du noch lange kein erfolgreicher Jurist, zweitens werde ich kein kleiner Buchdrucker bleiben, und drittens ist bei einer Frau, wenn sie sich für einen Mann entscheidet, die Liebe und nicht der Beruf des Mannes ausschlaggebend.“
Michael war daraufhin in lautes Lachen ausgebrochen. „Ha, Liebe, dass ich nicht lache. Du hast viertens vergessen. Und viertens ist noch lange nicht klar, ob sie sich nicht doch für mich entscheidet und dir irgendwann den Laufpass gibt.“
Heinz wollte den Disput nicht weiterführen und verkniff sich eine Erwiderung.
Neben seiner sportlichen Aktivität als Fußballspieler war Heinz im Verein auch für die monatlich erscheinenden Vereinsnachrichten und die Pressearbeit zuständig. Da er in einer Druckerei arbeitete, hatte man ihn für geeignet gehalten und ihm auf einer Mitglieder-Versammlung – als sich niemand freiwillig meldete – diese ehrenamtliche Tätigkeit übertragen. Zuerst nicht sehr begeistert von diesem Amt, merkte Heinz aber schnell, dass es ihm lag, kleine Artikel über das Vereinsleben zu schreiben; und er fand auch Freude daran. Die Überwachung der Produktion der Vereinsmitteilungen mit einer Auflage von einigen tausend Stück war für ihn als gelernten Drucker kein Problem. Auch das Formulieren von Pressemitteilungen über die Aktivitäten des Vereins machten ihm nach einer Eingewöhnungsphase Spaß.
Sein neues Hobby blieb nicht unbeobachtet. Beim Mittagessen in der Kantine des Verlagshauses setzte sich einmal der verantwortliche Sportredakteur der WILHELMSBURGER NACHRICHTEN zu ihm an den Tisch. Er fragte Heinz, ob er Lust hätte, einen Bericht über das bevorstehende Fußballturnier für die Tageszeitung zu schreiben.
Heinz war begeistert. Bezahlung für einen von ihm geschriebenen Text, auch wenn es nur ein mageres Zeilenhonorar war. Er hatte daraufhin einen Vorbericht und eine Reportage über das Turnier geschrieben. Die Texte mussten nur geringfügig von der Redaktion redigiert werden.
Heinz wurde mit weiteren Aufgaben betraut. Er schrieb neben seiner Tätigkeit als Drucker Berichte über das Training des Rudervereins auf dem Assmannkanal, über Schwimmwettbewerbe und Artikel über den Wilhelmsburger Boxclub.
Als im Laufe der Monate die Aufgaben für die Sportredaktion immer größer wurden, machte Heinz sich Gedanken darüber, ob ein Wechsel von der Druckmaschine an den Redaktionstisch sinnvoll wäre. Seine Überlegungen gingen dahin, die Entwicklung noch ein paar Monate abzuwarten, um dann eine Entscheidung zu treffen.
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