Kitabı oku: «Das Gebet - "die Intimität der Transzendenz"», sayfa 2

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3. Erkenntnistheoretische Rahmenbedingungen sinnvollen Betens

Gebet ist nur da sinnvoll, wo Gott als Du gedacht wird, wo er ein personales Antlitz trägt. Emil Brunner hat das Gebet in diesem Sinne einmal als „Prüfstein des Glaubens“ und die Theologie des Gebetes als „Prüfstein aller Theologie“ bezeichnet.53 Denn „ob wir unter Gott einen Ich-Du-Gott verstehen oder ein namenloses Absolutes, entscheidet über die Christlichkeit einer Theologie“.54 Griechische Philosophie kennt dagegen den personalen Gott, der sich dem Menschen zuwendet, nicht. Der Gott Platons und Aristoteles’ ist kein personaler Gott; Personalität scheint ein Proprium des jüdisch-christlichen Gottes zu sein. Vielleicht sind Anklänge an Gottes Personalität bei Plotin festzustellen,55 aber sie sind hier nicht sonderlich ausgeprägt, und der Gedanke einer Zuwendung Gottes zur Welt ist Plotin zeitlebens fremd geblieben.

Nun hat aber Karl Jaspers zu Recht darauf hingewiesen, dass das Göttliche den Gegensatz von Subjekt und Objekt „umgreift“ und es darum auch als das Umgreifende, genauer: als „das Allumgreifende“ zu bezeichnen sei.56 Damit will er zum Ausdruck bringen, dass dieses kein Seiendes ist, das wir in der Welt vorfinden, sondern als Grund der Welt noch jenseits des Subjekt-Objekt-Gegensatzes anzusiedeln ist. Unter den Bedingungen der Existenz kommt der Mensch aber erkenntnismäßig niemals aus der Subjekt-Objekt-Spaltung heraus: Ich als Subjekt denke jemanden/etwas als Objekt.57 Wie aber kann man etwas denken oder über etwas sprechen, das im ontologischen, d.h. seinsmäßigen Sinne, an sich selbst nie Objekt ist?

Auch der Religionsphilosoph und protestantische Theologe Paul Tillich (1886-1965) kommt in einer Ontologie-Vorlesung aus dem Jahre 1951 auf dieses Problem zu sprechen, wenn es dort heißt: „Man macht ihn [sc. Gott] logisch zum Objekt. Wenn man ihn aber logisch zum Objekt macht, kann man nicht verhindern, dass man ihn auch ontologisch zum Objekt macht, [...] d.h. er wird ein Seiendes, dem ich als Subjekt gegenüberstehe, das mir als Objekt gegenübersteht. In dem Augenblick, wo das geschieht, liegt etwas vor, was zugleich wieder zurückgenommen werden muss.“58 Denn, so schreibt Tillich weiter, „Gott kann nie Objekt werden, weil er seinem Wesen nach das ist, was jenseits von Subjekt und Objekt liegt. Machen wir ihn doch zu einem Objekt, tun wir etwas, was seinem Wesen widerspricht, und müssen es im Augenblick, in dem wir das getan haben, wieder zurücknehmen.“59 Tillich sucht das mit einem Verweis auf die Liebe zu plausibilisieren, wo es sich ähnlich verhält: „Die Liebe kann nicht aufrechterhalten werden, die Liebe ist innerlich zerbrochen in dem Augenblick, wo der andere zum Objekt für mich wird. Ein Objekt kann ich behandeln, managen, kann ich so und so dirigieren, den Geliebten kann ich nicht so und so dirigieren, er ist etwas, mit dem ich Gemeinschaft haben kann oder von dem ich in Hass getrennt sein kann. Aber das ist eine völlig andere Haltung.“60 Mache ich den anderen dagegen zum (bloßen) Objekt, dann kommt darin zum Ausdruck, dass ich ihn eben gerade nicht liebe.

Zurück zum eigentlichen Thema: Zwar spreche ich beim Beten nicht über, sondern mit Gott, aber das Problem bleibt das gleiche. Das heißt, beim Beten tun wir eigentlich etwas, was vom Menschen her unmöglich ist: „Wir sprechen mit jemandem, der nicht irgendein anderer ist, sondern der uns näher ist, als wir uns selbst sind. Wir wenden uns an jemanden, der niemals Objekt unserer Hinwendung werden kann, weil er immer Subjekt ist, immer der Handelnde, immer der Schaffende. Wir sagen ihm etwas, obwohl er nicht nur schon weiß, was wir ihm sagen, sondern auch all die unbewußten Antriebe kennt, aus denen unsere bewußten Worte stammen.“61 So ist das Gebet eigentlich vom Menschen aus unmöglich. Aus diesem Grunde kommt Tillich zu dem paradoxen Satz: „Es ist Gott selbst, der durch uns betet, wenn wir zu ihm beten.“62 Das Gebet hat somit paradoxen Charakter, weil im Gebet zu jemandem gesprochen wird, mit dem man nicht sprechen kann, weil es kein Jemand ist. Im Gebet wird an Jemanden eine Bitte gerichtet, von dem man nichts erbitten kann, weil er gibt oder auch nicht gibt, ehe man ihn bittet. Im Gebet sagt man zu Jemandem „Du“, der dem Ich immer schon näher ist als dieses sich selbst.63

Beim ernsthaften Gebet darf Gott eben nicht „wie ein beliebiger Gesprächspartner“ behandelt werden, sondern das ernsthafte Gebet ist „ein Sprechen zu Gott in dem Sinne, daß Gott zwar logisches Objekt ist für den, der betet. Doch kann Gott niemals zum Objekt werden, es sei denn, daß er gleichzeitig Subjekt ist.“64 Theologisch kann man das dadurch ausdrücken, dass man sagt, dass der göttliche Geist, der den Betenden ergreift, Gott selbst ist. Von hieraus ist auch der folgende Satz Tillichs zu verstehen: „Gott spricht durch uns zu sich selbst.“65 Das bedeutet, dass Beten eigentlich eine „unmögliche Möglichkeit“ ist,66 da hier die Subjekt-Objekt-Struktur überwunden ist. Nach Tillich drückt der Hl. Paulus dieses Paradox in klassischer Weise aus, „wenn er von der menschlichen Unfähigkeit zum richtigen Beten spricht und vom göttlichen Geist sagt, daß er die Betenden vor Gott vertritt ‚mit unaussprechlichem Seufzen‘ (Röm. 8,26)“.67

Dass wir Gott Personalität zusprechen dürfen, wenn er auch nicht in dem Sinne Person ist, wie wir Personen sind, findet seinen letzten Grund darin, dass es eine Analogie zwischen Schöpfung und Schöpfer gibt. So wie das Kunstwerk immer schon einen Rückschluss auf den Künstler zulässt, so trifft das auch auf das Schöpferhandeln Gottes zu: Gott ist zwar nicht der Welt ähnlich, aber die Welt ist Gott ähnlich, wie es die mittelalterliche Philosophie und Theologie68 im Anschluss an Plotin vorgetragen hat, der diesen Grundgedanken erstmalig entwickelt hat; denn das Bewirkte kann nicht gänzlich verschieden sein vom Bewirkenden. Auf unser Problem angewandt, heißt dies: Wenn Gott Grund unseres Personseins ist, das sich wesentlich im Begriff der Freiheit dokumentiert, so kann er nicht weniger, sondern immer nur mehr sein als Person. Gott kann also nicht a-personal, sondern immer nur über-personal sein,69 und aus diesem Grunde dürfen wir ihn auch ansprechen als Person, als Du.

Von daher ist es verständlich, dass nicht nur vom Unveränderlichkeitsaxiom her immer wieder kritische Einwände gegen das Gebet, besonders gegen das Bittgebet, erhoben wurden, sondern auch ausgehend von einer Ablehnung der Personalität Gottes. Am Beispiel von Karl Jaspers könnte das näher verdeutlicht werden.70

Auf die Frage, warum überhaupt das Symbol des Personalen in Bezug auf Gott gebraucht werden muss, antwortet Tillich: „Das ‚Über-Persönliche‘ ist kein ‚Es‘, oder genauer, es ist ebenso ein ‚Er‘ wie ein ‚Es‘; und es steht gleichzeitig über beiden. Wenn aber das ‚Er‘-Element weggelassen wird, dann verwandelt das ‚Es‘-Element das angenommene Über-Persönliche in ein Unter-Persönliches [...]. Und solch ein neutrales ‚Unter-Persönliches‘ kann uns nicht in der Mitte unseres Personseins treffen [...]. Der Philosoph Schelling sagt: ‚Allein eine Person kann eine Person heilen.‘ Das ist der Grund, warum das Symbol des ‚persönlichen Gottes‘ für eine lebendige Religion unentbehrlich ist.“71

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878-1965) meint mit Blick auf Jaspers: „Jene Verschwisterung von Gottesliebe und Menschenliebe im Doppelgebot lenkte unseren Blick auf die Transparenz des endlichen Du, aber auch auf die Gnade des Unendlichen, zu erscheinen, wo und wie es erscheinen will. Nun soll uns das Du-sagen zur Gottheit als unrechtmäßig verwiesen werden. Gewiß ist der Philosoph unverbrüchlich befugt zu erklären, ‚philosophische Existenz‘ ertrage es, ‚dem verborgenen Gott nicht zu nahen‘. Er ist aber nicht befugt, das seiner Erfahrung also fremde Gebet als ‚fragwürdig‘ zu bezeichnen.“72

Sprechen wir vom personalen Gott, so impliziert dies also eine ganze Reihe philosophischer Voraussetzungen. Eine zentrale Rolle spielt hierbei der Analogiegedanke, der besagt, dass die Welt Gott ähnlich ist. Es ist dann eine sekundäre Frage, welche Ausprägung des Analogiedenkens zu bevorzugen ist: die sog. Negative Theologie, die Analogielehre eines Thomas von Aquin oder die Symboltheorie Paul Tillich, um nur die wichtigsten Ausformungen zu nennen.73 Entscheidend ist hier zuerst einmal, dass das Verhältnis von Welt und Gott in Beziehung gedacht wird und nicht – wie bei Jaspers – in einseitiger Differenz.74

4. Das Gebet in der Spannung zwischen Konkretheit und Unbedingtheit des religiösen Anliegens

Dass Gott über-personal zu denken ist, impliziert nach Tillich zwei Momente: „Er ist das, was unsere Erfahrung des Person-Seins unendlich transzendiert, und zugleich das, was unserm Person-Sein so adäquat ist, daß wir ‚DU‘ zu ihm sagen und zu ihm beten können.“75 Beide Elemente müssen nach Tillich erhalten bleiben. „Haben wir nur das Element des Unbedingten, so ist keine Beziehung zu Gott möglich. Bleibt nur die Ich-Du-Beziehung, wie wir heute sagen, so verlieren wir das Element des Göttlichen, des Unbedingten, das Subjekt und Objekt und alle anderen Polaritäten transzendiert.“76

Der Psychiater, Psychotherapeut und Philosoph Viktor E. Frankl (1905-1997), der Begründer der sog. Logotherapie und Existenzanalyse, betont in ganz besonderem Maße den personalen Aspekt, wenn er schreibt: „Was das Gebet leistet, das ist die Intimität der Transzendenz.“77 Von daher wird auch verständlich, wenn er Gott als „Personalissimum“ bezeichnet.78 Demgegenüber stammt von dem protestantischen Theologen, Religionsgeschichtler und Religionsphilosophen Rudolf Otto (1869-1937) der Satz: „In der Tat, man kann das Höchste nicht immer duzen.“79 Und in diesem Zusammenhang verweist er auch auf die Hl. Teresa von Avila, die zu Gott „Ew. Majestät“ gesagt haben soll. Beide Sätze haben ihre Wahrheit, und in ihnen tritt eine Spannung zutage, die größer nicht sein könnte.

Unter der Überschrift „Gott als Idee. Eine phänomenologische Beschreibung“ kommt Tillich in seiner „Systematischen Theologie“ auf diese Spannung näher zu sprechen, wenn es dort heißt: „Gott ist die Antwort auf die Frage, die in der Endlichkeit des Menschen liegt, er ist der Name für das, was den Menschen unbedingt angeht. [...] Es heißt, daß das, was einen Menschen unbedingt angeht, für ihn zum Gott (oder Götzen) wird, und es heißt, daß nur das ihn unbedingt angehen kann, was für ihn Gott (oder Götze) ist. Der Ausdruck: ‚das, was unbedingt angeht‘, weist auf eine Spannung in der menschlichen Erfahrung hin. Auf der einen Seite ist es unmöglich, daß uns etwas angeht, dem nicht konkret begegnet werden kann, sei es im Bereich der Wirklichkeit, sei es im Bereich der Einbildung. [...] Andererseits muß das, was unbedingt angeht, alles, was uns vorläufig und konkret angeht, transzendieren. Es muß den ganzen Bereich des Endlichen transzendieren, um die Antwort auf die Frage zu sein, die in der Endlichkeit liegt. Aber indem das religiöse Anliegen das Endliche transzendiert, verliert es die Konkretheit einer Beziehung zwischen endlichen Wesen. Es hat die Tendenz, nicht nur absolut, sondern auch abstrakt zu werden und damit Reaktionen des konkreten Elements hervorzurufen. Das ist die unausweichliche Spannung in der Gottesidee. Der Konflikt zwischen Konkretheit und Unbedingtheit des religiösen Anliegens ist aktuell, wo immer Gott erfahren und diese Erfahrung ausgedrückt wird, vom primitiven Gebet bis zum kompliziertesten theologischen System. Er ist der Schlüssel zum Verständnis der Dynamik der Religionsgeschichte, und er ist das Grundproblem jeder Lehre von Gott.“80

Wird die Konkretheit Gottes einseitig überbetont, so steht das Gebet in der Gefahr, magische Züge zu bekommen, indem es „in eine Person-Ding-Beziehung“ verwandelt wird, „die aus dem göttlichen ‚Du‘ ein Mittel für eigene Zwecke macht“ im Sinne der bekannten „do-ut-des“-Formel81: Ich gebe, damit du gibst. Damit wären wir bei dem von Kant angesprochenen Problem. Wird auf der anderen Seite die Unbedingtheit Gottes einseitig überbetont, so entweicht uns das Göttliche im Sinne einer absoluten Transzendenz, zu der keine Beziehung mehr möglich ist. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Position von Karl Jaspers in dieser Frage. Das heißt, das Gebet bewegt sich ständig zwischen den beiden Gefahrenpunkten der Dämonisierung oder Vergötzung einerseits und der Profanisierung andererseits.82 Hierin kommt eine Spannung zum Ausdruck, unter der jede konkrete Religion und auch der persönliche Glaube unausweichlich steht und die in der Realität unüberwindlich ist.

Das führt auch noch einmal auf die eingangs aufgeworfene Frage zurück, was es heißt, dass ein Gebet „erhört“ ist. Wenn wir diese Überlegungen ernst nehmen, dann müssen wir uns hier von jeder eindimensionalen Sichtweise verabschieden, die meint, ein Gebet sei dann – und nur dann – erhört, wenn die an Gott herangetragene Bitte in Erfüllung geht. Der letzte Sinn des Bittgebets besteht demgegenüber nach Tillich vielmehr darin zu sehen, dass man Gott bittet, die gegebene Situation in Richtung ihrer Erfüllung zu lenken.83 Letztlich entscheidend ist darum allein „die Hingabe an Gott“.84 Der ernsthafte Beter sieht alles „unter dem Einfluß des göttlichen Geistes und im Lichte der göttlichen Vorsehung“.85 „Das Neue, das im Bitt-Gebet geschaffen wird,“ schreibt Tillich, „ist der Geist-gewirkte Akt, in dem der Inhalt unserer Wünsche und Hoffnungen in die Gegenwart des göttlichen Geistes erhoben wird. Ein Gebet, in dem das geschieht, ist ‚erhört‘, selbst wenn ihm Ereignisse folgen, die dem konkreten Inhalt des Gebets widersprechen.“86

Ähnlich drückt es auch der christliche Existenzphilosoph Gabriel Marcel (1889-1973) aus: „Selbst angenommen also, das, worum ich betete, habe sich nicht verwirklicht, könnte ich doch nicht sagen, mein Gebet sei nicht erhört worden (oder wenn ich es sagte, hörte ich damit auf, mir dessen bewußt zu sein, daß ich es an Gott richtete: ich verfiele in Abgötterei). Mein Groll fände in einer allzu menschlichen Es-Formel Ausdruck. Soll das bedeuten, daß ich mich in jeder Weise dem göttlichen Ratschluß zu fügen hätte und daß es völlig nutzlos sei zu beten? Das hieße aber doch Gott (die göttliche Realität) in eine abstrakte Ordnung, in ein reines Es verwandeln: hieße in eine andere Art Abgötterei verfallen, in die der Notwendigkeit. Zwischen beiden Abgöttereien liegt bloß eine schmale Landenge, wohl der Ort des religiösen Denkens. [...] Mein Gebet kann nicht als für Gott belanglos, als nicht zu ihm durchdringend gedacht werden: in diesem Sinne ist mein Beten sicherlich wirksam. Man mag allerdings einwenden, die göttlichen Entscheide müßten von aller Ewigkeit her getroffen sein. Doch bin ich davon überzeugt: Wenn von aller Ewigkeit her bedeuten soll ‚eine unmeßbare Zeit‘, dann stehen wir mitten in einer Irrlehre (und vielleicht im Herzen des Sinnwidrigen). [...] Beten heißt, tätig ablehnen, Gott als Ordnung zu denken, heißt, ihn wahrhaftig als Gott denken – als reines Du.“87

In diesem längeren Zitat von Marcel wird auch noch einmal die Verbindung zu Meister Eckhart deutlich. Eckhart hat die Ewigkeit ja gerade nicht im Sinne einer „schlechten Unendlichkeit“, d.h. als nicht endende Zeitlichkeit verstanden, sondern, wie schon Boethius in seiner „Consolatio philosophiae“ deutlich gemacht hat, als nicht endende Gegenwart.88 Und es wird ebenso die Verbindung zu Tillich und Frankl deutlich.

Das bedeutet: Erfolg oder Misserfolg sind keine letzten Indikatoren dafür, dass Gott unser Gebet erhört oder nicht erhört hat. Der Erfolg birgt somit nicht unmittelbar und ohne weiteres eine Rechtfertigung in sich, so wenig wie der Misserfolg ein Zeugnis für Gottes Missfallen wäre. Das führt uns auch das Beispiel Hiobs klar vor Augen. Urteile, die aus Erfolg oder Misserfolg gewonnen sind, sind höchst problematisch.89 Solche Überlegungen stehen natürlich in einer gewissen Spannung zur volkstümlichen Gebetspraxis, wie sie sich z.B. auf Votivtafeln dokumentiert. Diese Spannung ist aber, wie schon angedeutet, nicht aufzulösen, drückt sich doch darin immer auch das grundsätzliche menschliche Bedürfnis aus, das Heilige an bestimmten Handlungen quasi „festzumachen“, d.h. zu konkretisieren, zu materialisieren. Aber selbst der einfache Gläubige wird sich der Paradoxie der Erhörungsproblematik bewusst sein, wenn er den Satz im Vater-unser „Dein Wille geschehe“ ernst nimmt. Diese Einsicht leitet auch schon zu meinem letzten Aspekt über.

5. Die mystische Überhöhung des Gebets

In seinem Traktat „Von Abgeschiedenheit“, aus dem ich schon oben zitiert habe, kommt Meister Eckhart im Rahmen seiner weiteren Überlegungen auf die Frage zu sprechen: „Was ist des abgeschiedenen Herzens Gebet?“ Und er antwortet darauf: „Abgeschiedene Lauterkeit kann nicht beten, denn wer betet, der begehrt etwas von Gott, das ihm zuteil werden solle, oder aber begehrt, daß ihm Gott etwas abnehme. Nun begehrt das abgeschiedene Herz gar nichts, es hat auch gar nichts, dessen es gerne ledig wäre. Deshalb steht es ledig allen Gebets, und sein Gebet ist nichts anderes als einförmig zu sein mit Gott. Das macht sein ganzes Gebet aus.“90 Gegen Ende dieses Traktates findet sich dann noch das folgende Wort Meister Eckharts: „Das schnellste Tier, das euch zu dieser Vollkommenheit trägt, ist das Leiden.“ Und: „Das festeste Fundament, worauf diese Vollkommenheit stehen kann, ist die Demut, denn wessen Natur hier in der tiefsten Niedrigkeit kriecht, dessen Geist fliegt empor in das Höchste der Gottheit, denn Liebe bringt Leid, und Leid bringt Liebe.“91

In seinem bekannten, nur wenige Monate vor seinem Tode geschriebenen „Abschiedswort“ an seine Studierenden hat der christliche Existenzphilosophen Peter Wust (1884-1940) Ähnliches zum Ausdruck gebracht wie Meister Eckhart, wenn es hier gegen Ende heißt: „Und wenn Sie mich nun noch fragen sollten, bevor ich jetzt gehe und endgültig gehe, ob ich nicht einen Zauberschlüssel kenne, der einem das letzte Tor zur Weisheit des Lebens erschließen könne, dann würde ich Ihnen antworten: ‚Jawohl‘. – Und zwar ist dieser Zauberschlüssel nicht die Reflexion, wie Sie es von einem Philosophen vielleicht erwarten möchten, sondern das Gebet. Das Gebet, als letzte Hingabe gefaßt, macht still, macht kindlich, macht objektiv. Ein Mensch wächst für mich in dem Maße immer tiefer hinein in den Raum der Humanität (– nicht des Humanismus –), wie er zu beten imstande ist, wofern nur das rechte Beten gemeint ist. Gebet kennzeichnet alle letzte ‚humilitas‘ des Geistes. Die großen Dinge des Daseins werden nur den betenden Geistern geschenkt. Beten lernen aber kann man am besten im Leiden.“92 Und nur wenige Wochen vor seinem Tod schreibt er in einem Brief an seine Tochter Else vom Krankenbett aus: „Alles wie Gott es will. Man muß so weit in der Gelassenheit kommen, daß man, wie der hl. Franz von Sales, der berühmte Bischof von Genf, es formuliert, weder etwas Angenehmes wünscht, noch etwas Unangenehmes abweist.“93

Mit diesen Sätzen will Wust nicht einem unversöhnlichen Gegensatz von Glauben und Denken das Wort reden.94 Es handelt sich hier einfach um das Selbstzeugnis des Menschen Peter Wust, für den im Angesicht des Todes nicht die Reflexion, sondern das Gebet – „als letzte Hingabe gefaßt“ – das Entscheidende ist.

Wer aber mit einer solchen, wie auch immer verstandenen Form von Leidensmystik, in der ohne Zweifel ein Körnchen Wahrheit steckt, nun doch seine Schwierigkeiten hat, weil eine solche vielleicht doch mehr Probleme mit sich bringen mag, als sie zu lösen vorgibt und weil sie auch nicht vor Missverständnissen und Missbräuchen gefeit ist,95 dessen Blick möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal auf Paul Tillich lenken, der Mystik nicht so sehr als ein besonderes Verhältnis zum Seinsgrund deutet, sondern als ein Element in jedem derartigen Verhältnis. In diesem Sinne fehlt das mystische Element nach Tillich in keiner religiösen Erfahrung,96 wobei dieses mystische Element der Religion auf der Seite der religiösen Selbstkritik steht, wie sie auch in der prophetische Kritik zum Ausdruck kommt.

Auf die Gebetsproblematik angewandt, heißt das für Tillich, dass die Tatsache, dass wir in der Wirklichkeit einen Gegensatz vorfinden zwischen einer religiösen Kultur, Religion genannt, und einer weltlichen Kultur, letztlich auf die Entfremdung des Menschen von seinem wahren Wesen hinweist. Denn stünde der Mensch in seinem Wesen, so gäbe es keinen kulturellen Akt, der nicht gleichzeitig ein religiöser wäre. In Bezug auf das Gebet würde das implizieren, dass es eigentlich keiner besonderen Worte des Betens bedürfte, sondern dass alle unsere Worte immer auch schon Gebet wären. Aber ein solcher Zustand, in dem das Wesen der Religion realisiert wäre, wäre nach Tillich das Reich Gottes, denn dieses ist „der Ort, an dem jedes Ding völlig transparent ist, damit das Göttliche durchscheinen kann. In seinem erfüllten Reich ist Gott alles in allem.“97

Die geschichtliche Wirklichkeit sieht aber anders aus. Hier stehen Religion und Kultur nebeneinander oder gar gegeneinander. Daraus folgt, dass wir notgedrungen unterscheiden müssen, um erleben zu können. Das heißt, in der Wirklichkeit finden wir immer „einen Tempel neben einem Rathaus, das Abendmahl des Herrn neben einem täglichen Abendessen, das Gebet neben der Arbeit, Meditation neben Forschung, caritas neben eros“.98 Und trotzdem sollte die Überwindung der menschlichen Selbstentfremdung als Ziel niemals aus den Augen verloren werden; Tillich spricht in diesem Zusammenhang vom Telos der Theonomie.99 Im biblischen Wort, dass es im himmlischen Jerusalem keinen Tempel mehr gibt,100 finden diese Überlegungen ihre Entsprechung.

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