Kitabı oku: «Strafsache van Geldern», sayfa 2
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Sie behaupten also, Angeklagter, daß Sie nach diesem Zank das Haus verlassen, dann ein Auto genommen hätten und ... na, erzählen Sie uns mal selber, was Sie nun gemacht haben!«
»Ich habe, wie Sie, Herr Vorsitzender, eben sagten, eine Autodroschke genommen und bin ziellos umhergefahren.«
»Was heißt ziellos?«
»Ich habe erst eine Adresse angegeben, und als der Wagen dort hielt, eine andere und so weiter. Ich weiß nicht, wie oft, auch nicht, wohin ich gefahren bin ... das weiß ich in der Tat nicht!«
»So! – Also Sie wissen nichts davon? ... Ja, das ist schlimm für Sie ... und das schlimmste ist, daß außer Ihnen auch niemand etwas davon weiß! Das Gericht ebensowenig wie Ihr eigener Anwalt. Wir haben uns alle Mühe gegeben, den Schofför herauszufinden, mit dem Sie damals gefahren sind.«
»Der Mann kann Berlin inzwischen verlassen haben ... er kann krank sein ... am Ende lebt er nicht mehr!«
»Und was kam nachher? Was taten Sie dann? ... Wo sind Sie damals ausgestiegen aus dem Auto, das Sie benutzten?«
Van Geldern hob die Schultern: »Ich kann mich nicht mehr entsinnen. Es ist, als ob über diese Stunde sich ein dichter Schleier gelagert hätte ... Ich weiß nur, daß ich vorher schon einmal ausgestiegen bin und, wie es leider meine Gewohnheit ist, wenn derartige Aufregungen über mich kommen, in einem Café am Bayrischen Platz eine Anzahl großer Kognaks getrunken habe.«
»Sie trinken im allgemeinen nicht?«
»Nein, sehr selten.«
»Aber an diesem Tage? Warum tranken Sie denn ... so unmäßig?«
Wieder die hebende Bewegung der Achseln und jener Blick aus den Augen van Gelderns, der über Menschen und Raum hinweg oder durch sie hindurch sehen zu wollen schien: »Ich kann es nicht sagen ... nein, und ich glaube, das weiß niemand, warum in solchen Momenten ein wahnsinniger Durst nach Alkohol den Menschen überfällt ... Richtig besinnen kann ich mich erst wieder auf alles von dem Augenblick an, wo ich in Westend war und in die Villa getreten bin.«
»Sie waren doch mit dem Auto nach Berlin und in Berlin hin und her gefahren?«
Der Angeschuldigte nickte: »Ganz recht, Herr Vorsitzender ...«
»Na, wie sind Sie denn wieder nach Westend gekommen? ... Daran müssen Sie sich doch wenigstens erinnern!«
»Ich weiß es aber nicht, Herr Landgerichtsdirektor! ... Und ich kann nur das sagen, was ich weiß!«
»Sicherlich! ... Sie wissen aber leider recht wenig! ... Also Sie kamen in die Villa. Wir werden ja später einen Termin am Tatort abhalten müssen. Aber ich habe mir inzwischen die Umgebung schon einmal persönlich angesehen und kann Ihnen daher gut folgen, wenn Sie mir nun erzählen wollen, was alles und wie es sich von da an, ich meine, als Sie wieder zu Hause waren, was sich da nun abgespielt hat?«
Der Angeklagte richtete sich mit einem tiefen Atemholen auf: »Ich öffnete das unverschlossene Gitter und ging durch den Vorgarten die Verandatreppe hinauf, um durch das Eßzimmer, dessen Türen zum Balkon weit offen standen, in mein Studio zu kommen ...«
»Sie meinen Ihr Arbeitszimmer?«
Paulus sah den Vorsitzenden groß und mit leerem Blick an: »Ja ... ich meine mein Arbeitszimmer ... Dabei mußte ich durch den kleinen Salon, den meine Frau bewohnt. Und da –«
Paulus ließ den Kopf sinken, ein Zittern lief über seinen Körper. Er mußte wiederholt zum Sprechen ansetzen, bis es ihm gelang:
»Meine Frau ... hatte eine so merkwürdige Vorliebe für Kissen und Polster ... alles lag voll davon in ihren Zimmern ...« Er stockte. »Aber das ist ja ... nur ... wie ich eintrat, da lag sie auf einem Berg von Kissen ...«
Der Angeklagte atmete zwischen jedem Wort tief und schwer: »... mit dem Gesicht auf dem linken Arm, die rechte Hand seitwärts fortgestreckt, so lag sie da ... Die Knie waren unter dem Leib angezogen ...«
Totenstille.
»Ja«, sagte der Vorsitzende, die Luft gewaltsam aus dem offenen Munde stoßend, »ja, das stimmt alles, nur – war, die da so merkwürdig am Boden lag, erstochen! Warum sagen Sie denn davon nichts, Angeklagter?«
»Ich kann nicht alles auf einmal sagen, Herr Landgerichtsdirektor. Zu dem, was Sie meinen, komme ich noch ... übrigens würden Sie es mir am meisten verargen, wenn ich jetzt hier ganz unbewegt meine damaligen Eindrücke schildern würde.«
»Ach so, Sie meinen: wird der Angeklagte rot, ist er schuldig, weil er ein schlechtes Gewissen hat – bleibt er blaß, ist er erst recht schuldig, weil alles von ihm abprallt! ... Nein, Angeklagter, so ist das nun nicht! Wenigstens da nicht, wo ich verhandle! Das Gericht und die Geschworenen empfangen – das dürfen Sie mir gern glauben – die richtigen Eindrücke schon und werden sie auch entsprechend verwerten!«
Bei diesen Worten bekam van Gelderns Gesicht etwas unglaublich Starres. »Ich habe den Eindruck, Herr Vorsitzender«, entgegnete er, »daß Sie selbst mein Urteil schon gesprochen haben. Wenn diese Verhandlung so weiter geführt wird, werde ich auf keine Frage mehr antworten!«
Doktor Vierklee erhob sich, trat an den Angeklagten heran und legte ihm, leise zuredend, die Hand auf die Schulter. Dann wandte er sich zu dem Vorsitzenden und sah ihn ohne ein Wort ruhig und ernst an.
Aber Hallmann sprach, als sei gar nichts vorgefallen, leise zu dem Landgerichtsrat Schnellpfeffer, um dann mit einer kurzen Wendung zu van Geldern in der Verhandlung fortzufahren:
»Ich möchte jetzt die vom Tatort und von der Leiche der Ermordeten aufgenommenen Fotografien bei den Geschworenen zirkulieren lassen.«
Vierklee erhob sich: »Ich widerspreche dieser Anordnung des Herrn Vorsitzenden auf das entschiedenste! Selbstverständlich kann die Staatsanwaltschaft und das Gericht das von Ihnen beigebrachte Material im Sinne der Anklage verwerten. Aber einer guten Gepflogenheit zufolge geschieht das meist nach der Zeugenvernehmung. Jetzt, in diesem Stadium, die Geschworenen schon mit den furchtbaren Eindrücken der Fotogramme zu belasten, heißt, ihre psychische Einstellung aufs ärgste beeinflussen ... und das erscheint mir nicht zulässig. Ich widerspreche dem also nochmals!«
»Ob meine Maßnahmen zulässig oder unzulässig sind, darüber bestimmen nicht Sie, Herr Rechtsanwalt! ... Um aber jeder Schwierigkeit aus dem Wege zu gehen, werde ich einen Gerichtsbeschluß herbeiführen.«
Das Gericht verschwand im Beratungszimmer. Der Staatsanwalt machte sich eifrig Notizen. Nach einer kurzen Weile kehrten die Herren zurück und verkündeten durch den Mund des Vorsitzenden: »Das Gericht hat beschlossen, da die Anordnung, den Geschworenen schon jetzt die Mord-Fotogramme zur Kenntnis zu bringen, durchaus innerhalb der Kompetenz des Verhandlungsleiters liegt, daß die Fotografien nunmehr zirkulieren sollen.«
Vierklee setzte sich, sprach leise mit dem Angeklagten: »Werden Sie nicht unruhig, lieber Kollege, und zeigen Sie ja keine Ängstlichkeit. Dieser merkwürdige Mann, der übrigens sonst ein Kind an Gutherzigkeit ist, muß irgendeinen ganz sonderbaren Komplex in bezug auf Ihre Sache haben. Wir müssen jedenfalls damit rechnen, daß Hallmann Ihnen nichts schenken wird.«
Paulus nickte mehrmals in ruhiger Bejahung:
»Ich fürchte mich nicht, Herr Doktor. Ich kenne den Herrn Landgerichtsdirektor und weiß, daß er letzten Endes ein untadeliger Richter ist.«
Die Stimme des Vorsitzenden kam wieder:
»Sie riefen nun die Dienstmädchen, Angeklagter, nicht wahr? ... Oder nein, wir wollen erst mal über die Waffe sprechen ... hier, bitte!«
Der Landgerichtsdirektor winkte einem der beiden Justizwachtmeister und ließ sich von dem Tisch neben der grünen Richtertafel, auf dem die Asservate lagen, ein Schwedenmesser reichen.
»Hier, Angeklagter, sehen Sie sich das Ding mal an! Sie werden nicht bestreiten können, daß die Waffe Ihr Eigentum ist?«
»Ich habe keine Veranlassung, Herr Vorsitzender, etwas zu bestreiten, was der Wahrheit entspricht. Der kleine Dolch ist oder er war vielmehr mein Eigentum bis ein paar Wochen vor dem Unglück. Ich habe ihn mir seinerzeit aus Kopenhagen mitgebracht, hatte ihn auf meinem Schreibtisch liegen, ohne mehr daran zu denken; bis ihn am einunddreißigsten Mai – an dem Tage ist mein Geburtstag – meine Frau zufällig nahm, einen Brief damit aufschneiden wollte und mich bat, ich sollte ihn ihr doch schenken. Was ich natürlich tat.«
»Natürlich! ... Was könnte man auch für eine plausiblere Erklärung dafür finden, daß sich die Waffe zufällig in Reichweite des Mörders befand, als Ihre Frau erstochen wurde ... Wir werden uns nunmehr mit dem Vorgang des Mordes eingehender zu beschäftigen haben ... Wie ich glaube, haben Sie, Herr Staatsanwalt«, Hallmann sah zu Doktor Malkenthin hinüber, »den Wunsch, für diesen Teil der Verhandlung die Öffentlichkeit auszuschließen?«
Doktor Malkenthin erhob sich:
»Ich beantrage Ausschluß der Öffentlichkeit für die ganze Dauer der Verhandlung.«
Eine Bewegung, die Hallmann machte, zeigte, daß er seinen Vorschlag so weitgehend nicht verstanden wissen wollte. Aber dann erhob er sich mit seinem gewohnten Achselzucken, und das Neun-Männer-Kollegium verließ den Saal, kam nach dieser kurzen Förmlichkeit sofort zurück und verkündete:
»Die Öffentlichkeit ist vorläufig wegen Gefährdung der Sittlichkeit ausgeschlossen!«
Bei aller Angst vor der Strenge des Vorsitzenden lief der Widerspruch des Publikums murrend durch den Raum. Hallmann schlug mit der flachen Hand auf den Tisch:
»Ein bißchen schnell, Herrschaften! Oder sollen die Justizwachtmeister erst ihres Amtes walten?«
Nun leerten sich die Räume rasch. Die Presse blieb im Saal.
Auf dem breiten Korridor vor dem großen Schwurgerichtssaal in der ersten Etage des gewaltigen Stiegenhauses war durch Schranken ein großer Raum abgeschlossen, in dem sich die Prozeßbeteiligten aufhielten; rechts und links in diesem Abschnitt waren Bänke für die Zeugen aufgestellt. Eine merkwürdige Gesellschaft, beinahe durchweg elegant und modern, wenigstens in ihrer Kleidung. Gute und schlechte Parfüme und ein nicht zu lautes, hastiges Getuschel und Geraune erfüllten den Raum. Über all diesen Menschen lag der schwer zu bestimmende Hauch jener Grenzregion, in der man nicht weiß, ob man jemandem freimütig die Hand entgegenstrecken oder sie besser in der Tasche lassen soll.
Eine kleine, blonde, grell geschminkte Frau, die so hübsch war, daß sie diese Malerei gut hätte entbehren können, in zartblauer Seide wie in einer lichten Wolke schwebend, stand neben einem blonden Riesen und sprach mit großer Heftigkeit auf ein Mädchen mit kupferrotem Lockenkopf ein.
»Ihr wißt doch, ich war Marthas beste Freundin! Mir hat sie alles gesagt!«
Die Kleine in Blau preßte die schmalen Hände beteuernd an die Brust:
»Niemand weiß so genau Bescheid wie ich mit der ganzen Geschichte! Noch zwei Tage vorher war sie bei mir! Da hat sie mir gesagt: Hortense, sagt sie, er schlägt mich sicher noch tot. Es vergeht kein Tag, wo er mir nicht droht, daß er mich umbringen will!«
Die rote Loni, eine Wienerin, die es von der einfachen Maniküre in einem Jahr zur »großen Frau« gebracht hatte, die bei der Auswahl ihrer Liebhaber das Flugwesen bevorzugte und selbst in tadellosem Looping durch den Äther schoß, sah ihre kleine blonde Freundin lächelnd an:
»Aber geh, Hortense! Der Paulus, den kenn' mir besser! Da kannst uns nix erzählen! Der tuat doch kan Kinderl net weh ... Und die Martha? ... Wenn die net was zerbrechen und zerschlagen hat können oder wen was an' Schädel schmeiß'n, dann war's ihr do net wohl ...«
Die schwarzen Augen suchten Zustimmung bei dem blonden Gert, der aber in seiner fabelhaften Pomadigkeit lehnte jedes Urteil ab:
»Es ist alles nicht so wichtig, Kinder! Wichtig ist, wo wir nachher frühstücken werden, und wer heute abend mit mir ausgeht!«
Die Damen lachten, und auf ihr Gelächter kamen zwei Herren von der anderen Seite her. Der eine, ein berüchtigter Spieler, lang, schmal, hektisch, mit den Allüren des Grandseigneurs, und sein Freund, ein bekannter Herrenreiter, der auch schon in einem Spielerprozeß nur mit Mühe an der Anklagebank vorbeigeglitten war. Der lachte mit viel zu breitem Munde und flinkernden Augen:
»Zu dumm, den armen Kerl hier auszustellen wie eine Panoptikumfigur! Ich kenne van Geldern! Wenn der den Mord begangen hat, dann heiße ich Matz!«
»Und wie heißt du wirklich!« fragte die rote Loni.
Alle lachten.
»Das sage ich nicht! Du kriegst es fertig und nennst mich laut beim Vornamen!«
Der lange Hasardeur schüttelte mißbilligend den Kopf:
»Mir scheint, es ist nicht der Augenblick, um Witze zu reißen ... da kämpft ein Mensch um sein Leben und um seine Ehre. Ich wünschte, ich könnte etwas für Paulus van Geldern tun. Mir scheint, der arme Junge hat eine schlechte Karte in der Hand ... er wird das Spiel hinwerfen müssen!«
»Seht ihr, das sage ich auch!« Hortense Bernhardi fuchtelte mit ihren weißen Kinderarmen in der Luft. »Und es ist ihm ganz recht! ... Meine arme Martha!« Das süße Gesichtchen schluchzte plötzlich laut auf.
Plötzlich kamen zwei ganz in Weiß gekleidete Frauen, einander sehr ähnlich, weshalb man sie auch »die Zwillinge« getauft hatte, mit allen Gesten einer großen schrecklichen Neuigkeit herüber, und sofort verbreitete sich die Kunde, die schon durch die geschlossenen Türen des Schwurgerichtssaales gedrungen war: wie und unter was für grausigen Umständen Martha Streckaus ermordet wurde. Sie steckten alle die Köpfe zusammen, wisperten.
»Ja«, flüsterte die eine der beiden duftig hellen »Zwillinge«, »auf dem rechten Arm hat sie gelegen mit dem Gesicht ...«
Sie sprach französisch weiter ... Leise Schreie ertönten, als sei die Schlußnote eines grellen, herzzerreißenden Musikstücks aufgeklungen und schwinge zitternd im Raum. Aus der Höhe der Riesenfenster goß die Sonne einen Schwall von Licht in das Stiegenhaus. Da war es, als trüge jedes Sonnenstäubchen diese entsetzliche Mär von dem Mord, den der Gatte an seiner eigenen Frau verübt haben sollte.
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Der Justizwachtmeister hatte die große Pforte des Schwurgerichtssaales zum Korridor hin ebenso wie die hohen Fenster weit geöffnet. Der Tag war heiß, und im Saal hatte die Luft, schon jetzt um zwölf Uhr, wie ein Bleimantel auf den Menschen gelegen.
Die Öffentlichkeit wurde wiederhergestellt. Die Zeugen, die noch nicht aufgerufen waren und den Saal vorläufig nicht betreten durften, drängten zu der aus der Tür fallenden Helligkeit. Zuhörer kamen durch den Hintereingang, man hörte Scharren, Räuspern und Husten. Die Damen und Kavaliere auf der Galerie erschienen, und der Vorsitzende verkündete:
»Die Vernehmung geht weiter ... Angeklagter! Was können Sie uns über den Schmuck, den Ihre Frau in so reichem Maße besessen zu haben scheint, was können Sie uns darüber angeben?«
Es war, als wehe von irgendwoher aus dem Unbekannten und Unsichtbaren etwas an den Rechtsanwalt Paulus van Geldern heran. Seine Sicherheit und Festigkeit schien ins Schwanken zu kommen. Er dachte nach. Er besann sich, und als ihn der Landgerichtsdirektor wiederholt und weniger freundlich aufforderte, sich zu diesem Punkt zu äußern, meinte er sichtlich verlegen:
»Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstehe, Herr Vorsitzender ...?«
»Ja, Sie verstehen mich schon richtig, Angeklagter! Aber hier ist die Ecke, um die Sie nicht herumkommen!« Der starke, dicke Finger schlug wiederholt auf den Aktendeckel: »Machen Sie keine Ausflüchte, sagen Sie frei heraus, daß Sie diesen Schmuck an sich genommen und verkauft haben!«
Es dauerte immer noch Sekunden, bis van Geldern sprach. Aber man sah jetzt an seinem kampfentschlossenen Gesicht, daß er nicht mehr unsicher war. Er überlegte nur. Dann sagte er ruhig und bestimmt:
»Ich habe nichts zu verbergen, und ich werde nichts verheimlichen. Vergleichen Sie bitte die Protokolle, wie sie in meinen Verhören mit Kommissar Dammann zustande gekommen sind. Ich habe niemals etwas anderes gesagt als das, was ich jetzt sagen werde ...«
»Etwas viel Vorrede!« brummte Hallmann. Aber die Worte erreichten van Gelderns Ohr kaum.
»Ja, meine Frau besaß viel Schmuck. Sie hat stets eine große Vorliebe für Brillanten und Edelsteine, besonders auch für Perlen gehabt. Und bei der Eigenart ihres Geschäfts ist sie wohl häufig in die Lage gekommen, statt Zahlung Schmuckgegenstände annehmen zu müssen. Daher stand sie mit verschiedenen Juwelieren – zwei der Herren sind ja als Zeugen geladen! – mit denen stand meine Frau in dauernden Geschäftsbeziehungen. Wieviel Schmuck sie gehabt hat, wie die einzelnen Stücke aussahen, das kann ich nicht sagen. Ich selbst habe nur eins, und zwar ein Perlenhalsband, in Händen gehabt. Und das habe ich«, der Angeklagte erhob seine Stimme und sein Gesicht zu den Gesichtern, »nicht nur mit Wissen, sondern in ausdrücklichem Einvernehmen mit ihr verkauft!«
Der Landgerichtsdirektor nickte langsam und träge mit seinem großen blanken Schädel, daß der blonde Bart sich an dem schwarzen Samtaufschlag der Robe rieb:
»Natürlich, Angeklagter, wie werden Sie denn auch ohne den Willen Ihrer Frau ein so auffallendes Wertstück verkauft haben, wo sie jedenfalls sehr gut auf ihre Sachen aufgepaßt hat! Aber die anderen Stücke, die – darüber kann uns die Direktrice Schneider volle Auskunft geben – die bestimmt am Morgen des Mordtages noch vorhanden waren, was ist damit geschehen?«
Und ehe van Geldern noch antworten konnte:
»Ich habe hier«, er klopfte auf das Papier, »eine genaue Liste. Danach sind geraubt: ein paar Boutons in ungefährem Wert von siebzehntausend Mark, ein Diadem über fünfzigtausend Mark, zwei Schmucknadeln mit großen Smaragden, minimal achttausend Mark, vier Perlenringe, die der Sachverständige zusammen mit zehntausend Mark bewertet –, wir wissen beinahe bei all den Sachen, wo sie her sind und was sie gekostet haben –, dann sind noch eine Agraffe, mehrere goldene Ketten und eine Uhr in Goldemail mit Diamanten –, wo sind diese Gegenstände?«
Der Angeklagte sah seinen Richter ernst und lange an:
»Das weiß ich nicht, Herr Vorsitzender! Ich habe diese Dinge kaum bei einer anderen Gelegenheit gesehen, als wenn meine Frau etwas davon trug. Ich habe mich auch nicht dafür interessiert, und ich habe auch nicht die leiseste Ahnung, wo der Schmuck nach dem Tode meiner Frau hingekommen ist.«
»Aber das wissen Sie, daß Sie die Perlenkette, die Ihnen Frau Streckaus zum Verkauf übergeben hat, nicht verkauft, sondern Ihrer Geliebten geschenkt haben?«
»Ich habe keine Geliebte, Herr Vorsitzender! Ich bin verlobt mit Fräulein Heerström. Ich hatte vor, das Perlenband zu verkaufen. Nun war ich damals durch ein hohes, sehr hohes Vertragshonorar und durch Spielgewinne in der Lage, die Perlen für mich zu behalten ... Den von meiner Frau geforderten Preis von achtundvierzigtausend Mark hat sie bei Heller und Pfennig bekommen.«
»Allerdings, das geht aus ihren Büchern auch hervor. Aber was wurde mit den Perlen? ... Na, antworten Sie doch! Sie waren ja nun Ihr wohlerworbenes Eigentum, Sie konnten ja damit machen, was Sie wollten!«
Paulus schwieg. Seine Augen suchten unwillkürlich die Stelle, an der vorhin Greta Heerström gesessen hatte. Er sagte:
»Ich betrachte diese Angelegenheit als eine reine Privatsache. Das Gericht hat das Recht, in einem solchen Prozeß den Angeklagten nach allem zu fragen. Aber kein Mensch auf der Welt ist verpflichtet, solche Fragen zu beantworten.«
Hallmann war ein wenig verblüfft. Er faßte sich aber schnell:
»No', da haben Sie recht! ... Bloß jede verweigerte Erklärung fällt auf den Angeschuldigten zurück. Wenn Sie über Dinge, die mit dem Mord innig zusammenhängen, ausdrücklich nichts sagen wollen, so steht Ihnen das frei ... Nur werden Sie sich nicht wundern dürfen, wenn das Gericht daraus Schlüsse zieht!«
Paulus van Geldern sah seinen Anwalt an, Vierklee schien ihn aufzufordern, er möchte sich doch seine Lage nicht unnötig erschweren. Aber in den Zügen des jungen Anwalts war eine so eisige Gleichgültigkeit, daß der gelbe Kopf mit dem großen Einglas mit leisem Neigen sich einverstanden erklären mußte.
»Ist Ihnen, Angeklagter, denn noch sonst irgend etwas bekannt, eine Tatsache, ein Umstand, dieser oder jener Mensch, der vielleicht zu dem Morde Beziehungen haben könnte? ... Sie sagen, Sie sind nicht der Täter?«
Van Geldern bewegte verneinend den Kopf.
»Geschehen ist die Tat aber, also muß einer der Täter sein! Und ich frage Sie nochmals: Haben Sie von irgendeinem Umstand Kenntnis, der uns einen Fingerzeig geben könnte über die Person des Mörders?«
»Nein, Herr Vorsitzender!«
Hallmann stieß wieder die Luft aus und sah nach der Decke hinauf:
»Ich fühle mich verpflichtet, Angeklagter, Sie hier an dieser Stelle noch einmal zu fragen: Wollen Sie ein Geständnis ablegen? ... Es wäre ja doch möglich, daß Sie die Tat nicht oder nicht nur aus gewinnsüchtigen Absichten begangen hätten ... und ich brauche Sie, als geschickten Verteidiger, wohl nicht darauf hinzuweisen, daß die ganze Beurteilung dieses traurigen Geschehnisses anders wird, wenn Sie jetzt mit einem offenen Geständnis vor das Gericht hintreten.«
Langsam, abgemessen, fast feierlich kam die Antwort:
»Ich bin nicht im Sinne der Kirche gottesgläubig. Aber wie jeder denkende Mensch verehre auch ich ein hohes Wesen, eine Gewalt, die über uns entscheidet. Und bei diesem Glauben an das Unsichtbare, Allumfassende und Allgütige sage ich hier noch einmal und zum letzten Male, daß ich die Tat nicht begangen habe und daß ich nichts von ihr weiß!«
Irgendwo von der Galerie her kam es wie ein schluchzender Laut.
Doktor Malkenthin blickte, wie erschrocken, nach oben. Aber Hallmann kehrte sich daran nicht: »Mit seinem Schöpfer muß sich jeder allein auseinandersetzen, Angeklagter ... Ich habe meine Schuldigkeit getan und habe Sie noch einmal auf die Vorteile hingewiesen, die ein offenes Geständnis bietet!«
Er beugte sich zu den Beisitzern: »Es ist ein Uhr, ich glaube, wir legen am besten jetzt eine Frühstückspause ein. Die Vernehmung des Angeklagten zur Tat ist ja beendet. Nach der Pause kommen wir zu den Zeugen!«
Damit stand er auf und gab das Zeichen für die Richter und die Geschworenen, sich zurückzuziehen.
Der Erste Staatsanwalt, Doktor Malkenthin, blieb im Saal. Er saß eine Weile unschlüssig auf seinem Platz rechts oben beim Fenster und blickte hinauf nach der Galerie, die jetzt auch leer wurde, und sah dann hinüber zu dem Angeklagten. Der erwiderte den Blick. Und nach einigem Zögern stand Doktor Malkenthin auf und kam, die hohe magere Gestalt im Genick etwas gebeugt, langsam zu Paulus van Gelderns Platz.
Der neben dem Angeklagten sitzende Justizwachtmeister trat sofort respektvoll zurück, als der Erste Staatsanwalt den Angeklagten, der sich erhoben hatte, bat, doch wieder Platz zu nehmen. Er hätte nur eine Frage an ihn.
Paulus, der alle im Saal überragte, blieb stehen und neigte sich nur ein wenig zu Doktor Malkenthin, der im Flüsterton sprach: »Ich habe es nicht fertiggekriegt, Herr Rechtsanwalt, Ihnen die dreitausend Mark, die ich Ihnen noch schulde, zurückzugeben. Und ich weiß wohl, daß ich unter diesen Umständen nicht an meinem Platz stehen dürfte. Aber das Eingeständnis dieser meiner Schuld bedeutet meinen Ruin, vielleicht mein Ende.«
Paulus van Geldern lächelte, und ebenso leise wie der, der ihn anklagen sollte, erwiderte er: »Sie sind mir nichts schuldig, Herr Staatsanwalt. Die dreitausend Mark, die ich Ihnen damals mühelos leihen konnte, weil ich sie eben erst gewonnen hatte, von denen ist keine Rede mehr. Ihr Schuldschein ist verbrannt, und aus meinem Munde erfährt niemand etwas. Ich möchte Sie nur um eines bitten: Nehmen Sie es sich ebenso fest vor, wie ich es mir selbst vorgenommen habe, und rühren Sie nie wieder eine Karte an! Im übrigen erwarte ich von Ihnen nichts anderes als Gerechtigkeit!«
Doktor Malkenthin stand noch einige Augenblicke mit gesenktem Kopf. Dann nickte er, wandte sich und ging an seinen Platz.
Zu van Geldern trat eben wieder Doktor Vierklee, der draußen rasch ein Glas Portwein zu seiner Frühstücksschrippe getrunken hatte: »Haben Sie keinen Hunger, lieber Kollege?«
»Nein, aber eine Zigarette möchte ich rauchen!«
»Kann ich Ihnen leider hier nicht vermitteln. Aber wenn Sie drüben in dem kleinen Richterzimmer ...«
Paulus schüttelte den Kopf: »Nein ... keine Vergünstigungen! Ich danke Ihnen. Wieviel Tage werden wir verhandeln, Doktor, was meinen Sie?«
»Eine Woche mindestens!«
»Dann werde ich solange überhaupt nicht rauchen ... ich fiebere nämlich ... aber ich habe ja dann Zeit, mich zu erholen.«
»Sie meinen, daß ...?«
Paulus nickte: »Ja! Jeder Angeklagte muß doch unmittelbar nach seinem Freispruch entlassen werden.«
Doktor Vierklee nahm die sehr große, merkwürdig spitzfingrige Rechte des Angeklagten in seine beiden viel kleineren Hände: »Gott erhalte Ihnen diese Zuversicht! ... Aber ich bitte Sie noch einmal, wenn ich selbst auch unverbrüchlich von Ihrer Unschuld überzeugt bin, seien Sie nicht zu siegessicher! Sie haben, glaube ich, in diesem Saal außer mir keinen Menschen, der Ihr Freund ist!«
»Doch, einen ja!«
Und Paulus van Geldern lächelte wie einer, der aus der tiefsten Hölle mitten unter die jubelnden Engelchöre des Himmels tritt.
*
Die Geschworenen genossen ihr Frühstück im Beratungszimmer. Die drei Richter hatten sich in das Amtszimmer des Landgerichtsdirektors zurückgezogen, und der jüngste von den drei Herren, Landgerichtsrat Ernemann, war hinausgegangen, um auf dem Korridor einen Bekannten zu begrüßen.
So saßen Landgerichtsrat Schnellpfeffer und Hallmann allein, aßen ihre belegten Brote und unterhielten sich. Nicht eigentlich über die Sache selbst.
Hallmann hatte ein jüngst erschienenes Buch in der Hand und zeigte dem Kollegen die fotografischen Abbildungen zu einem Fall, der sehr ähnlich zu liegen schien. Ein stellungsloser junger Mensch hatte seine ehemalige Geliebte ermordet und beraubt. Er hatte die Ergebenheit der Frau benutzt, um der Ahnungslosen eine Schlinge um den Hals zu legen und sie – scheinbar voller Zärtlichkeit – zu erwürgen.
»Die Sache ist ja auch in der Presse breitgetreten worden, es wird da allerlei geredet von abnormen Erregungszuständen, die leidenschaftliche Ausbrüche des Unterbewußtseins hervorrufen... So sollen Mordtaten zustande kommen, die für den logisch Denkenden nichts anderes als Auswirkungen einer widerlichen Habsucht und scheußlichen Geilheit sind ... Ich bin der Überzeugung, daß, wenn sich die Justiz auf diese abschüssige Bahn locken läßt, wenn wir erst einmal damit anfangen, die sogenannten Absenzen, Rauschzustände und was weiß ich sonst, gelten zu lassen, dann – ja, dann ist der Tag nicht mehr fern, wo jeder Halunke ungestraft morden und Verbrechen begehen darf, wie er gerade Lust hat ...
Er sah den Kollegen von der Seite an: »Sie schweigen sich wieder aus, lieber Schnellpfeffer, wie immer in solchen Fällen! Sind Sie etwa auch schon in das Lager dieser Menschheitsbeglücker oder vielmehr: Verderber hinübergewechselt?«
Der andere schüttelte seinen eisgrauen Kopf mit dem verrunzelten, aus erstorbenen Augen blickenden Gesicht. Aber er sprach noch nicht.
»Na, was ist los? ... antworten Sie doch!«
Es schien ihm Mühe zu machen. Endlich sagte er: »Ich beobachte und ich höre. Ich lese. Man muß alles kennen.«
Und schwieg wieder.
»Na ja, aber weiter! ... weiter!«
Der andere sprach, und es klang, als wenn Buchstaben kalt, traurig und trostlos, ohne Hoffnung auf ein Weiterkommen und Erlösen redeten: »Das Menschenleben ist nicht so wichtig, wie viele glauben! Wichtig ist allein der Bestand der Ordnung und der Gerechtigkeit. Die Formen können sich ändern. Der Inhalt nie. Wir Richter sind dazu da, auch die Formen zu bewahren. Der menschlichen Bestie den Beißkorb anzulegen, ohne den sie zum gefährlichen Raubtier wird.«
»Also, Sie meinen, eine Gerechtigkeit im eigentlichen Sinne gibt es nicht?«
»Als Ideal! Als Einbildung! Auch Phantasien sind wichtig. Nur nicht für den Richter, der den erhabenen Begriff der Staatshoheit verkörpert.«
Den Landgerichtsdirektor hatte es, wie so oft in der Gegenwart dieses Mannes, seltsam ergriffen. Er grübelte noch, als sich die Tür auftat und der andere Kollege, Landgerichtsrat Ernemann, eintrat.
Die Frühstückspause war zu Ende, und die Verhandlung begann von neuem.
Hallmann sprach zu dem Justizwachtmeister hinüber: »Die Zeugin Hortense Bernhardi!«
Das blaue Seidenkleidchen mit dem lockigen Kinderkopf darüber schwebte herein und trat an den Zeugentisch. Sie gab ihren Namen an und ihr Alter mit zweiundzwanzig Jahren.
»Sie sind mit dem Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert?«
»Nein, Herr Präsident!«
»Also, Sie müssen Ihre Aussagen beeiden. Sie müssen sich überlegen, ob alles das, was Sie hier aussagen, auch wirklich und wahrhaftig wahr ist. Wenn Sie etwas nicht ganz genau wissen, so sagen Sie es nicht. Sie dürfen keinen Augenblick außer acht lassen, daß Sie für eine falsche Aussage, auch wenn Sie sie aus Fahrlässigkeit oder ohne Ihren Willen machen – daß Sie dafür bestraft werden ... Haben Sie mich verstanden?«
»Ja, Herr Präsident!«
Die Kleine sah mit ihren großen blauen Augen voller Andacht zu dem mächtigen Manne hinauf.
»Also erheben Sie die rechte Hand ... Sie wollen doch den Eid in religiöser Form ablegen?«
»Ja, Herr Präsident!«
Herr Hallmann stand auf, und mit ihm erhoben sich alle, die in dem großen schweigenden Saal saßen.
»Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich nach bestem Wissen die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde – so wahr mir Gott helfe!«
Und mit einer Kinderstimme, Wort für Wort wiederholte die Zeugin die Eidesformel.
»Was können Sie nun zur Sache selbst aussagen?«
»Ich ... ich war die Freundin ... ich war Martha Streckaus' beste Freundin ...«
Der Vorsitzende nickte: »Weiter!«
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